Anastasia McCrumpet und der Tag, an dem die Unke rief - Holly Grant - E-Book

Anastasia McCrumpet und der Tag, an dem die Unke rief E-Book

Holly Grant

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Beschreibung

Unheimlich witzig und entzückend gruselig!

Die fast 11-jährige Anastasia hört eigentlich nicht auf Unkenrufe ... Aber als die ungeliebte Schulsekretärin Miss Sneed mit der Mono-Augenbraue sie aus dem Unterricht reißt, spürt sie sofort, dass ein Unheil auf sie lauert. Und richtig: Anastasias Eltern sind einem seltsamen Staubsaugerunfall zum Opfer gefallen und müssen sich an einem weit entfernten Ort davon erholen. Stattdessen stehen zwei unbekannte Großtanten bereit, um Anastasia mitzunehmen. Tante Prim und Tante Prude wohnen in einem uralten verstaubten Heim, in dem Anastasia bald mulmig wird: Schon das Gelände wird von bösen Pudeln mit Metallgebissen bewacht. Nachts heulen Geräusche durch das Haus. Und an den Wänden hängen Bilder von verschwundenen Kindern und von finsteren Damen mit Monobrauen ...

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Holly Grant

Illustrationen von Josie Portillo

Aus dem Englischen von Ursula Höfker

Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage 2015

© 2015 by Holly Grant / Josie Portillo

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem

Titel »The League Of Beastly Dradfuls« bei

Random House Childrens Books, a Penguin Random House Company, New York

© 2015 für die deutschsprachige Ausgabe by cbt Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Ursula Höfker

Umschlagillustration: Josie Portillo

Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen

SK · Herstellung: KW

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-14851-5

www.cbt-buecher.de

FürMuffyundMike

Inhalt

1. Ein großartiger Tag für eine Beerdigung

2. Unkenrufe

3. Prim und Prude

4. Fingernägel auf Glas

5. Die kindförmige Kuhle

6. Das silberne Herz

7. Egel

8. Augäpfel

9. Blick durch ein Schlüsselloch

10. Eine sonderbare Tür

11. Das Erinnerungsbuch

12. Lauschaktion

13. Der Ring aus Spiegeln

14. Rosa Fußabdrücke

15. Pfefferminzbonbons

16. Schatten im Salon

17. Seltsame Nachrichten

18. Der dunkle Handschuh

19. Die Liga der garstigen Ungeheuer

20. Der triumphale Schachmatt-Zug

21. Pieps und Pups

22. Der Mäusevernichter

23. Der schwarze Umschlag

24. Der geniale Käse-Streich

25. Im Quecksilbergarten

26. Das Geschöpf im Wald

27. Es wird immer merkwürdiger

28. Sterne

1

Ein großartiger Tag für eine Beerdigung

Anastasias Tag begann mit einer Beerdigung. Von da an ging es bergab.

Während sie unter einem Schirm fror, fragte sie sich, ob ein getüpfelter Schlafanzug und flauschige Häschen-Puschen als angemessenes Beerdigungsoutfit durchgehen konnten. Die Häschen guckten die Verstorbene mit ihren glänzenden Glasaugen vielleicht etwas zu fröhlich an. Aber wenigstens das Wetter war dem Ereignis entsprechend miserabel. Es war nieselig und trüb. Der Boden war matschig und graue Wolken klumpten am Himmel zusammen. Anastasia betrachtete zufrieden die staksigen Novemberbäume und zählte sieben Krähen auf den kahlen Ästen.

Ja, doch, es war ein großartiger Tag für eine Beerdigung.

Anastasias Vater zog die Nase hoch und sie reichte ihm die Schachtel mit den Taschentüchern.

»Ich kann’s einfach nicht glauben«, schniefte Mr McCrumpet. »Es ist so völlig sinnlos. Was für eine Tragödie.«

Anastasia tätschelte tröstend seinen Arm. »Dort, wo sie hingeht, hat sie es besser.«

»Auf dem Komposthaufen?«, rief Mr McCrumpet.

»Also, ich finde, es ist ein sehr hübscher Komposthaufen«, erwiderte Anastasia.

Sie senkten in respektvollem Schweigen die Köpfe. In den Abflussrohren gurgelte der Regen.

Mr McCrumpet seufzte. »Wir sollten wahrscheinlich ein paar Worte sagen.«

»Fred, wo bleibt mein Frühstück?«, bellte jemand ganz in der Nähe. »Du weißt doch, dass ich nach dem Aufwachen immer einen Mordshunger habe!«

»Ich komme, Liebes«, rief Mr McCrumpet und ließ die Schultern hängen.

»Innigst Geliebte«, begann Anastasia mit ihrer besten Beerdigungsstimme, »wir haben uns hier versammelt, um uns von unserer Freundin Betty Lou zu verabschieden.«

»Waffeln!«, kreischte die Stimme vom Fenster her.

Mr McCrumpet zuckte zusammen.

»Betty Lou war eine wundervolle Kameradin«, fuhr Anastasia fort.

»Was muss eine Frau in diesem Haus tun, um eine einfache belgische Waffel zu bekommen?«, brüllte Mrs McCrumpet.

»Betty Lou, wir werden deine samtigen Lippen vermissen«, beendete Anastasia rasch ihre Rede. »Ruhe in Frieden. Reicht das, Dad? Ich glaube, Mom explodiert gleich.« Außerdem waren ihre Häschen-Puschen bald total durchgeweicht. »Es tut mir leid um deine Pflanze.«

»Ein weiterer Verlust.« Mr McCrumpet schnäuzte sich. »Und Betty Lou war ein ganz außergewöhnlich schönes Exemplar der Venusfliegenfalle. Wirklich erstklassig.«

»Bis sie das Fliegenfangen einstellte«, erinnerte Anastasia ihn.

»Bis sie das Fliegenfangen einstellte«, wiederholte Mr McCrumpet düster.

»Erwartest du, dass die Waffeln sich selbst backen?«, kam die Frage vom Fenster her. »Und ich will meinen Happy-Forest-Ahornsirup heute warm! Gestern war’s, als würde ich kalten Leim essen!«

»Herrje, kann man denn hier nicht mal in Ruhe um seine Venusfliegenfalle trauern?«, murmelte Mr McCrumpet, warf Betty Lou auf das stinkende Durcheinander aus Kaffeepulver und Eierschalen und stapfte zurück ins Haus der McCrumpets.

Anastasia folgte ihm. Ihre Häschen-Puschen quietschten bei jedem Schritt.

Mrs McCrumpet war nicht die Einzige, die ihr Frühstück später als sonst bekam. Anastasia schmierte sich ihren Toast im Stehen und überlegte dabei, dass ihr keine Zeit zum Zähneputzen und Haarekämmen bleiben würde. Ihr machte das nichts aus. Sie tauchte ihren Löffel noch einmal ins Marmeladenglas und irgendwie – solche Sachen passierten ihr ständig – katapultierte sie sich selbst einen Klecks oranger Pampe ins Auge.

»Autsch!« Sie wankte vom Tisch zurück.

»Vorsicht!« Mr McCrumpet schaute erschrocken vom Waffeleisen auf. »Denk an Muffy! Tritt nicht auf – oh-oh! Zu spät.«

Alle Welt wusste zwei Dinge über Muffy, das Meerschweinchen der McCrumpets. Erstens: Muffy war nachtragend. Zweitens: Muffy war ein Rache-Kacker. Was bedeutete, dass Anastasia innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden mit einer ekligen Überraschung in einem ihrer Schuhe rechnen konnte (möglicherweise auch auf dem Kopfkissen).

»Hab ich sie erwischt?«, keuchte Anastasia und blinzelte durch einen Schleier aus orangefarbener Marmelade.

Mr McCrumpet kniete auf dem Boden und streichelte das wuschelige Meerschweinchen. »Sie ist beleidigt«, stellte er fest. »Und zu Recht!«

Ein Hupen von draußen sagte Anastasia, dass der Schulbus da war.

»Ich bin noch nicht mal angezogen«, stöhnte sie. »Tut mir leid, Muff-Maus«, entschuldigte sie sich über die Schulter, während sie bereits hinausstürzte, um sich die nächstbesten Sachen zu schnappen, die zerknautscht auf ihrem Wäschekorb lagen. Keine Zeit für Socken. Als sie aus der Haustür stürmte und die Eingangstreppe hinuntertorkelte, kämpfte sie noch mit ihrem Kapuzenshirt. »Halt! Wartet auf mich!«

Zum Glück hielt der Bus mit tuckerndem Motor noch einmal an.

Leider stolperte Anastasia und fiel der Länge nach hin.

Zum Glück dämpfte eine matschige Dreckpfütze ihren Fall.

Leider war auch das ein ziemliches Unglück. Dreckwasser floss ihr aus den Nasenlöchern, als sie sich umdrehte und finster in das lächelnde Gips-Gesicht des Gartenzwergs blickte, der für ihren Sturz verantwortlich war. Du musst wissen: Der Vorgarten der McCrumpets war mit Gartenzwergen geradezu vermint. Mrs McCrumpet liebte es, sie über den Shopping-Kanal im Fernsehen zu bestellen.

»Zum Teufel mit dir, Pimmel!« Anastasia rappelte sich von dem schäbigen Rasen der McCrumpets auf und humpelte zum Bus. Die Tür zischte auf. »Danke, dass Sie gewartet haben, Mr Butterfield«, keuchte Anastasia und zog ihre Kapuze über die klatschnassen Zöpfe.

Der Busfahrer schaute sie einen Moment lang an. Dann schob er seinen Zeigefinger unter den Rand seines Toupets und kratzte sich am Kopf. »War Halloween nicht gestern?«

Anastasia rieb sich den letzten Rest Marmelade aus den Augen und blickte hinunter auf die Kleider von gestern, die sie sich vom Wäschekorb gegriffen hatte. Oh, Mist! Sie wedelte mit den Armen. Zipfelige Stofffetzen verzierten ihre Ärmel vom Bündchen bis zur Seitennaht ihres Shirts. Sie fasste sich an den Hosenboden und verzog das Gesicht. Klar doch, die alte Socke, die sie an ihrer Jeans festgesteckt hatte, war auch noch da.

Sah so aus, als ginge sie erneut als Flughörnchen zur Schule.

Anastasia schleppte sich auf ihren Platz und tat, als höre sie das Kichern ringsherum nicht. Schlimmer konnte der Tag unmöglich werden.

Wie sich herausstellte, täuschte sie sich.

Innerhalb der nächsten zweiundvierzig Minuten sollte das Unheil über Anastasia McCrumpet hereinbrechen.

2

Unkenrufe

An dieser Stelle schüttelst du wahrscheinlich den Kopf und sagst: »Meine Güte, die arme Anastasia McCrumpet! Marmelade in den Augen und am Rand einer Katastrophe. Dazu noch der bevorstehende Rache-Kack. Dieses Mädchen ist die Tragik in Person.«

Allerdings neigte Anastasia normalerweise nicht zu Unheil oder Katastrophen oder etwas ähnlich Aufregendem. Ich bedaure sagen zu müssen, dass sie eher ungeschickt war und sich ständig in peinliche Situationen brachte, indem sie hinfiel oder etwas verschüttete. Ansonsten war ihr Leben keineswegs Aufsehen erregend. Genau genommen war es ganz und gar ereignislos.

Dem äußeren Anschein nach war Anastasia ein völlig durchschnittliches fast elfjähriges Mädchen. Sie hatte mausbraunes Haar, mausbraune Augen und genau einhundertsiebenundzwanzig Sommersprossen. Im Schulorchester schlug sie die Triangel und bei den jährlichen Theateraufführungen der Schule spielte sie regelmäßig einen Baum. Diese Beschreibung ist nicht sonderlich begeisternd, aber sie wird reichen müssen, weil sie der Wahrheit entspricht. Wenn du eine Heldin mit glänzendem Haar und wunderbarem Körpergeruch haben willst, klappst du das Buch besser zu und suchst dir eine andere Lektüre. Anastasia war Durchschnitt, und das nicht nur an der Schule von Mooselick. Manchmal kam sie sich vor wie ein Baum im Schultheater des Lebens.

Anastasia wohnte in einer schäbigen kleinen Stadt in einem schäbigen kleinen Haus, und zwar zusammen mit Mr McCrumpet, Mrs McCrumpet und Muffy, dem Meerschweinchen mit den Aggressionsbewältigungsproblemen, das du bereits kennengelernt hast. Zum Haushalt der McCrumpets gehörten außerdem zahlreiche Pflanzen in zahlreichen Stadien des Dahinsiechens. Obwohl Mr McCrumpet sich sehr um seine Flora bemühte, landeten die meisten seiner Pflanzen früher oder später auf dem Komposthaufen, so wie Betty Lou, die Venusfliegenfalle, die sich in einen fatalen Hungerstreik begab und deren Beerdigung du gerade beigewohnt hast.

Außer seiner erfolglosen Pflanzenpflege hatte Mr McCrumpet keine weiteren Hobbys oder Interessen. Still ging er seinen Geschäften als Staubsaugervertreter nach. Eigentlich ging er alles, was er tat, still an. Er sah sogar still aus, wenn du weißt, was ich meine. Man vergaß leicht, dass er mit im Zimmer war. Er hatte ein Gesicht wie eine Tapete.

Mrs McCrumpet dagegen war unübersehbar. Man konnte nicht vergessen, dass sie in der Nähe war, auch wenn man es noch so gern getan hätte. Sie war eine große, aufgeblasene Seegurke von einer Frau, und sie war laut. Sie tat den ganzen Tag nichts anderes, als sich ein Taschentuch an die Stirn zu drücken und Hustensirup direkt aus der Flasche zu gluckern. Es gibt eine Sorte Mensch, die glaubt, sie sei krank, selbst wenn sie es nicht ist. Das sind die sogenannten Hypochonder und Mrs McCrumpet gehörte definitiv zu ihnen. Jetzt gibt es allerdings auch ganz reizende, charmante Hypochonder, doch Mrs McCrumpet war weder reizend noch charmant. Sie war herrisch und aufbrausend. Sie blieb den ganzen Tag im Bett, und wenn sie etwas wollte, klopfte sie mit einem hölzernen Besenstiel auf den Boden. Eilten Anastasia oder ihr Vater danach nicht innerhalb von Sekunden die Treppe herauf, begann sie zu brüllen. Je länger es dauerte, bis sie kamen, desto lauter und roter wurde sie. Bis Fred McCrumpet an dem Morgen, an dem das Unheil über Anastasia hereinbrach, mit dem Teller voller Waffeln die Treppe hinaufgehastet war, war Mrs McCrumpet bereits dunkelrot.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte allerdings noch niemand etwas von der bevorstehenden Katastrophe.

Anastasia rechnete ganz gewiss nicht damit. Sie hatte, ich muss es leider sagen, Betty Lous herzzerreißende Beerdigung bereits vergessen. Zusammengekauert saß sie an ihrem Schultisch und kritzelte auf einem zerknitterten Blatt Papier herum, das sie auf den Knien liegen hatte.

Und wenn dies ein wahrheitsgemäßer Bericht von Anastasias Tätigkeiten in der Zeit vor dem Moment sein soll, der ihr Schicksal für immer veränderte, muss ich auch noch erwähnen, dass sie vor Kurzem – es war noch keine drei Sekunden her – einen hatte fahren lassen. Zusätzlich zu ihrem mausbraunen Haar, den mausbraunen Augen und den genau einhundertsiebenundzwanzig Sommersprossen hatte Anastasia McCrumpet nämlich leider auch noch Blähungen.

Ein paar Kinder in ihrer Nähe schnupperten argwöhnisch.

Miss Jenkins, die Lehrerin der fünften Klasse, leierte vorn an der Tafel irgendetwas herunter. Sie hielt zwar ein dickes Wörterbuch in den Händen, referierte jedoch nicht über Rechtschreibung, sondern erzählte den Schülern stattdessen von den Verdauungsproblemen ihres Frettchens.

»Das ist eine wichtige Lektion, die ihr fürs Leben lernt, Kinder«, sagte sie. »Füttert einem laktoseintoleranten Frettchen nie Milchreis. Milchprodukte«, predigte sie, »sind der Feind.«

Diese wichtige Lektion fürs Leben wurde durch lautes Klopfen an der Tür unterbrochen. In der Tür war eine trübe Glasscheibe, und als Anastasia von ihren Kritzeleien aufschaute, sah sie dahinter eine verschwommene Gestalt. Etwas an ihr verursachte ihr eine Gänsehaut.

Miss Jenkins ging zur Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und streckte den Kopf hinaus. Die Schüler beugten sich auf ihren Stühlen vor, in der Hoffnung, Fetzen einer schlüpfrigen Erwachsenenunterhaltung mitzubekommen. Doch sie hörten lediglich Folgendes:

»Nuschel, nuschel«, murmelte der Schatten.

»Flüster?«, fragte Miss Jenkins.

»Nuschel. Murmel, nuschel, nuschel«, erwiderte der Schatten.

»Ach, du meine Güte. Ach, du lieber Himmel! Etwas so Grässliches habe ich in meinem Leben noch nicht gehört!«, rief Miss Jenkins.

»Nuschel, flüster.«

Anastasia starrte die ganze Zeit auf den dunklen Umriss. Sie hatte ein schreckliches Gefühl in der Magengrube, das ausnahmsweise nicht von Blähungen herrührte. Nein, lieber Leser, es war ein innerer Unkenruf. (Anders gesagt: eine Stimme in ihrem Innern, die ihr zuraunte, dass etwas äußerst Unangenehmes bevorstand. Sie sollte Recht behalten. Und wie!)

»Ja, ich hole sie sofort.« Miss Jenkins zog den Kopf zurück. »Anastasia? Pack deine Sachen zusammen. Du bist vom Unterricht befreit.«

Anastasia stopfte ihre Zeichnung in ihre Schultasche.

»Komm, Kind«, drängte Miss Jenkins.

Anastasia tappte nach vorn und Miss Jenkins schob sie zur Tür hinaus und direkt in die Fänge des lauernden Schattens.

»Pass doch auf!«, knurrte der Schatten und versetzte ihr einen Stoß.

Anastasia stolperte rückwärts. Dann schaute sie auf und in die geweiteten Nasenlöcher von Miss Sneed, der neuen Schulsekretärin. Miss Sneed arbeitete erst seit ein paar Tagen an der Schule von Mooselick, doch alle, einschließlich der Rektorin, nannten sie bereits die Monobraue wegen der durchgehenden Augenbraue, die wie ein haariger Tausendfüßler auf ihrer Stirn prangte. Dir ist vielleicht aufgefallen, dass ich Augenbraue sagte (Einzahl) und nicht Augenbrauen (Mehrzahl). Die meisten Leute haben zwei deutlich voneinander getrennte Augenbrauen. Nicht so Miss Sneed. Sie hatte nur eine Augenbraue, und diese einzelne Braue bildete ein wütendes V, als sie jetzt auf Anastasia herunterblickte.

Die Tür zum Klassenzimmer fiel hinter ihnen ins Schloss. Es war das letzte Mal, dass Anastasia Miss Jenkins oder einen ihrer Klassenkameraden an der Schule von Mooselick gesehen hatte. Aber das wusste sie natürlich nicht.

»Mitkommen«, bellte die Monobraue, drehte sich um und stapfte den Flur hinunter. »Nicht trödeln. Trödeln ist was für Schnecken.«

Anastasia mochte Schnecken, lief aber dennoch eilig hinter der Sekretärin her. Die Monobraue hatte entsetzlich lange Beine. Ihre Beine waren so lang, und sie ging so schnell, dass sie mit ihrem Stiefel einer Erstklässlerin direkt gegen das Knie trat.

»Du dusseliger Tollpatsch!«, blaffte die Monobraue. »Was machst du hier auf dem Flur? Es ist verboten, ohne Erlaubnisschein über die Flure zu gehen.«

»Aber ich habe einen«, quiekte das Mädchen und hielt ein Stück Papier in die Höhe.

»Unsinn!« Die Monobraue schnappte sich den Erlaubnisschein und zerriss ihn. Die beiden Teile warf sie auf den Boden. »Heb das auf, du Schmutzfink, und geh zurück in den Unterricht.«

Die Erstklässlerin vollführte einen Trippeltanz. »Aber ich muss auf die Toilette.«

»Wie«, die Monobraue schäumte vor Wut, »lautet das Motto unserer Schule?«

Die Erstklässlerin blickte sie mit offenem Mund an. Sie quiekte erneut.

»Quiek?«, höhnte die Monobraue. »Soll das heißen, das Motto der Schule von Mooselick lautet Quiek?«

»Es lautet Lerne fleißig und versuche, relativ sauber zu bleiben«, flüsterte Anastasia.

»Das war das alte Motto«, erwiderte die Monobraue. »Das neue Motto lautet Lerne einzuhalten oder hol dir einen Putzlappen. Präge es dir ein, du Winzling. Tätowiere es dir auf den Arm, wenn es sein muss. Und jetzt beweg dich, McCrumpet!«, rief sie und stapfte weiter. »Denk daran, was ich dir über Schnecken gesagt habe!«

»Aber Miss Sneed«, protestierte Anastasia. »Wohin gehen wir denn?«

»Das merkst du noch früh genug.«

Anastasia warf im Vorbeigehen einen sehnsüchtigen Blick auf die Tür zur Bibliothek. In der Bibliothek war es eng und dunkel, dennoch war es ihr liebster Platz in der Schule. Tatsächlich war es ihr liebster Platz in ganz Mooselick. Die Bibliothekarin, Miss Apple, verwöhnte die Schüler oft mit Kakao und selbst gebackenen Keksen. Aber was noch wichtiger war: Sie reservierte immer speziell für Anastasia den neuesten Francie-Droplet-Krimi. Anastasia bewunderte Francie Droplet aus tiefstem Herzen und wollte später einmal genau wie Francie eine gute Detektiv-Tierarzt-Künstlerin werden.

Anastasia sah die Bibliothekarin mit dem blassen, schmalen Gesicht über den Rand eines riesigen Buches spähen, als sie vorbeigingen. Anastasia hob ihre sommersprossige Hand, um zu winken, doch die Monobraue packte sie am Ellbogen und riss sie den Flur hinunter.

»Autsch!«, jaulte Anastasia.

»Nur Schnecken jaulen, McCrumpet!«

Die Monobraue zerrte sie an der Cafeteria vorbei, vorbei an den Wasserspendern und an der Turnhalle bis zum Haupteingang der Schule.

»Also gut, Kleine«, knurrte sie dann. »Hör mir zu.«

Anastasia verzog das Gesicht, drehte den Kopf und schaute auf die gewaltige Pranke, die ihren Arm umklammerte. Die kräftigen Finger der Monobraue waren rau und fleischig, und an dem dicken kleinen Finger glänzte ein silberner Ring, in den ein finster blickender Augapfel eingraviert war. Anastasia staunte einen Moment über seine unglaubliche Hässlichkeit, bevor sie wieder in das Gesicht der Monobraue hinaufblinzelte.

»Deine Eltern hatten heute einen Unfall. Sie liegen im Fuzzy-Antler-Krankenhaus.«

»Einen Unfall!« Anastasia keuchte. »Was für einen Unfall? Geht es ihnen gut?« In ihrem Kopf überschlugen sich die Möglichkeiten. Mr McCrumpet hatte sich an einem der Gartenzwerge mal den Knöchel verstaucht (an dem hinterhältigen Pimmel), und an einem schicksalsschweren, sonnigen Tag im vergangenen August hatte er von einem Paar Polyesterhosen einen Ausschlag bekommen. Davon abgesehen passierte Mr McCrumpet nie etwas. Die bloße Vorstellung, dass er im Krankenhaus landen könnte, schien unvorstellbar drastisch für einen so stillen Mann, dem in seinem ganzen Leben noch nichts Interessantes passiert war. Und was konnte Mrs McCrumpet passieren? Sie verließ ja kaum das Bett. »Was für einen Unfall?«, fragte sie noch einmal.

»Das werden dir deine Großtanten erzählen«, blaffte die Monobraue. »Sie warten draußen auf dich.«

Anastasia starrte sie an. »Aber …«

»Benimm dich, McCrumpet«, zischte die Monobraue. Sie hatte sich heruntergebeugt, sodass ihr Schnurrbart Anastasia am Ohr kitzelte. »Wenn du nicht tust, was deine Großtanten dir sagen, bekommst du unvorstellbaren Ärger. Dein Hintern wird eine Graswiese sein und ich bin der Rasenmäher.« Mit dieser furchterregenden Aussicht stieß sie Anastasia durch den Haupteingang der Schule von Mooselick.

3

Prim und Prude

Auf der Eingangstreppe zur Schule standen dicht beieinander zwei kleine alte Damen und lächelten schüchtern unter ihrem riesigen Regenschirm hervor. Ich bin sicher, du hast schon viele solcher alten Damen gesehen. Sie hatten rosige Wangen und Gesichter wie Dörrpflaumen. Regentropfen glitzerten auf den Kragen ihrer altmodischen Pelzmäntel. Eine war ein wenig untersetzt und hatte eine Stupsnase wie ein Igel. Die andere hatte spindeldürre Beine und blassrosa Haar, das in Ringellöckchen unter dem Rand ihres Hutes hervorspähte.

Anastasia musste widerwillig zugeben, dass diese beiden alten Damen genauso aussahen, wie zwei zerknitterte Großtanten mit Brille aussehen sollten.

Es gab da nur ein kleines Problem.

Anastasia hatte gar keine Großtanten.

»Mein liebes Kind«, trällerte die Dürre, »was bist du gewachsen!«

»Du hast ganz schön viele Sommersprossen, wie ich sehe«, bemerkte die Igelnase.

»Genau einhundertsiebenundzwanzig«, erwiderte Anastasia. »Aber ich glaube, es hat da eine Verwechselung gegeben. Ich habe nämlich keine Tanten.« Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus. Die beiden alten Dörrpflaumen waren sicher wegen einer anderen Schülerin in die Schule gekommen.

Außerdem, dachte sie und rümpfte voller Abscheu die Nase, wollte sie keine Tanten haben, die tote Tiere am Leib trugen. Anastasia war, wie du dich erinnern wirst, mit einem wuscheligen Meerschweinchen befreundet. Sie missbilligte Pelzmäntel.

»Aber Anastasia!«, sagte die Igelnase. »Wir sind die Schwestern deines Großpapis McCrumpet. Gott segne ihn.«

»Er ruhe in Frieden«, ergänzte die Dürre.

»Großpapi?«, wiederholte Anastasia. Sie musste zugeben, dass sie ihre Großeltern nie kennengelernt hatte. Genau genommen kannte sie außer Mr und Mrs McCrumpet überhaupt keine Verwandten. Ihre Eltern redeten nicht über Familie und irgendwelche Großtanten hatten sie ganz gewiss noch nie erwähnt.

»Erinnerst du dich nicht an uns?«, fragte die Dürre.

»Wir sind uns schon einmal begegnet?« Anastasia schauderte, als ihr der Regen in den Kragen lief.

»Du warst noch sehr klein«, flötete die Igelnase. »Nicht größer als ein Laib Bananenbrot. Wie schnell doch die Zeit verfliegt.«

»Haben deine Eltern dir denn nicht von uns erzählt?«, fragte die Dürre mit zittriger Stimme. »Sie haben Tantchen Primrose und Tantchen Prudence nie erwähnt?«

»Du meine Güte«, schniefte die Igelnase. »Oh je, oh je. Das bricht einem alten Tantchen das Herz.«

Beschämt murmelte Anastasia: »Kann schon sein, dass sie euch erwähnt haben.« Aber sie erinnerte sich ganz gewiss nicht daran.

»Siehst du, Prude?« Die Dürre strahlte wieder. »Natürlich spricht Fred über uns!«

»So ein lieber Junge«, säuselte Prude. »Erinnerst du dich noch, wie er uns jeden Sommer besucht hat, Prim? Er hat so gern die Läufer im Flur gesaugt!«

Ein Junge namens Fred, der gern staubsaugte? Das war Mr McCrumpet, keine Frage.

»Aber warum baumelt an deiner Hose eigentlich ein Schwanz?«, fragte Prim. »Bist du als – als Wolf verkleidet?«

»Nein.« Anastasia wurde feuerrot. Sie hob und senkte die Arme, damit man ihre Flügel sehen konnte. »Ich bin ein Flughörnchen.«

»Dem Himmel sei Dank«, seufzte Prim. »Wölfe sind ja so ausgesprochen furchterregend.«

Prude fasste sich an die Brust. »Sie fressen kleine alte Damen und kleine Kinder, musst du wissen.«

»Hm«, machte Anastasia. »Die Monobraue – ich meine, Miss Sneed sagte, Mom und Dad seien im Krankenhaus. Was ist mit ihnen?«

Die Tanten wechselten einen besorgten Blick.

Prude öffnete ihre Handtasche und wühlte eine Minute darin herum. Dann zog sie einen fusseligen Klumpen alter Pfefferminzbonbons heraus und bot ihn Anastasia an. »Nimm ein Bonbon. Es hilft immer, wenn man vor schlechten Nachrichten ein Bonbon lutscht.«

Anastasia lehnte hastig ab. »Nein, danke.«

»Nur einmal dran lecken«, drängte Prude und hielt ihr den Klumpen unter die Nase.

»Ich bin wirklich nicht hungrig«, behauptete Anastasia.

Prude ließ nicht locker. »Nur ein winziges bisschen. Lecker, lecker!«

»Mit ’nem Teelöffel Zucker nimmst du jede Medizin«, ermunterte Prim sie.

Anastasia betrachtete die beiden aufgeregten alten Damen, kniff dann die Augen zu und streckte die Zunge heraus.

»Köstlich, nicht wahr?« Prude stopfte den ekligen Klumpen wieder in ihre Handtasche. »Meine Lieblingssorte. Und so sparsam. Das eine Stück hab ich jetzt schon über zwei Jahre! Und ich habe bestimmt schon tausend Mal daran geleckt.«

»Wir sollten jetzt wirklich gehen«, drängte Prim.

»Aber ihr habt mir immer noch nicht verraten, was mit Mom und Dad passiert ist!«, protestierte Anastasia. »Geht es ihnen gut?«

»Wir erzählen dir unterwegs alles«, antwortete Prude. »Wenn wir noch länger in diesem Regen herumstehen, bekommen wir eine Lungenentzündung!«

»Aber –«

Ein Donnerschlag übertönte Anastasias Protest. Die Tanten wuselten die Eingangstreppe der Schule von Mooselick hinunter und kreischten Huch! Huch! Huch!, während sie mit ihren Gesundheitsschuhen durch die von Regenbogenschlieren durchzogenen Pfützen auf dem Parkplatz patschten. Anastasia lief hinter ihnen her zu einem Kombi, der in einem höchst erstaunlichen Pinkton lackiert war.

Prim öffnete die hintere Tür. »Hinein mit dir, Liebes. Und bitte sieh zu, dass du keinen Dreck aufs Polster bringst.«

Der Kombi düste bereits mit quietschenden Reifen vom Schulparkplatz und die regennasse Straße entlang, als Anastasia das Gitter auffiel.

Die vorderen Sitze des Kombis waren von den hinteren durch ein Drahtgeflecht abgetrennt.

Anastasia streckte die Hand aus und hakte ihren Zeigefinger in eine der Metallmaschen. »Was ist das?«

Prim drehte sich ein kleines Stück weit zu ihr um. »Der Kombi hat mal einem Hundepfleger gehört«, erklärte sie.

»Wir haben ihn sagenhaft günstig bekommen«, ergänzte Prude. »Kaufe nie ein neues Auto, Anastasia. In dem Augenblick, in dem du damit vom Hof fährst, hat es schon die Hälfte seines Werts verloren.«

»Aber warum ist da dieses Gitter?«, wollte Anastasia wissen.

»Damit die Köter Claude nicht auf den Schoß springen oder seine Ohren anknabbern konnten«, antwortete Prim.

»Claude?«

»Der Hundepfleger!«

Sie brausten die Schnellstraße hinunter. Anastasia wickelte die Enden ihrer Zöpfe um die Finger und schaute zu, wie Regentropfen wie gläserne Würmer die Scheiben hinunterschnörkelten. Dann sah sie das riesige Schild am Straßenrand, auf dem in großen orangefarbenen Buchstaben MOOSELICK BEDANKT SICH FÜR IHREN BESUCH stand.

»He!«, rief sie. »Du hast die Ausfahrt zum Fuzzy Antler verpasst! Wir müssen umkehren!«

»Fuzzy Antler?« Prim schaute Anastasia verständnislos an.

»Das Krankenhaus! Miss Sneed hat gesagt, Mom und Dad sind im Fuzzy-Antler-Krankenhaus!«

»Oh.« Prims flauschiger Hut wackelte ein wenig. »Da hat Miss Sneed sich leider getäuscht, Liebes. Deine Eltern sind im St.-Shirley-Krankenhaus für die ganz übel Zugerichteten. Bedauerlicherweise liegt das etliche Stunden weiter weg.«

»Sie haben sie im Hubschrauber hingebracht«, ergänzte Prude. »Ist das nicht toll?«

»Für … für die ganz übel Zugerichteten?«, stammelte Anastasia.

»Kein Grund zur Panik«, beruhigte Prim sie. »Sie kommen wieder auf die Beine. Es war nur ein außergewöhnlicher Staubsaugerunfall. Und Dr. Manzahn vom St. Shirley soll für solche Fälle der beste Chirurg im Land sein.«

»Meine Eltern werden operiert?«

»Wenn ich noch länger so sitze, bekomme ich einen Knoten im Hals«, verkündete Prim. »Meine armen alten Knochen halten das nicht aus.« Damit wandte sie Anastasia den Rücken zu.

ENDE DER LESEPROBE