Andreas Hartknopf - Eine Allegorie / Predigerjahre - Karl Philipp Moritz - E-Book

Andreas Hartknopf - Eine Allegorie / Predigerjahre E-Book

Karl Philipp Moritz

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Beschreibung

Als einer der genialsten Aufklärer Deutschlands verehrt und als ketzerischer Schriftsteller gefürchtet. Moritz' Figur Andreas Hartknopf, hier im Doppelroman mit den Teilen "Allegorie" und "Predigerjahre" vorliegend, verkörpert alles, wovor sich die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts fürchten musste.

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Andreas Hartknopf. Eine Allegorie/ Predigerjahre

Karl Philipp Moritz

Inhalt:

Karl Philipp Moritz – Biografie und Bibliografie

Andreas Hartknopf. Eine Allegorie

Vorbericht.

Hartknopfs erstes Erwachen in seinem Geburtsorte.

Hartknopfs Unterredung mit seinem alten Lehrer unter dem Galgen von Gellenhausen.

Wo ein Aas ist, versammeln sich die Adler.

Eine Leichenpredigt auf einen alten lahmen und einäugigen Pudel.

Der hohe Beruf eines Gastwirthes.

Des Gastwirth Knapps Pädagogik.

Etwas von Nägeln und Schlössern.

Auri Sacra Fames.

Hartknopfs Gesellenjahre.

Meine Zusammenkunft mit Hartknopfen in einem Karthäuserkloster.

Andreas Hartknopfs Predigerjahre

Ribbeckenau.

Mein Abschied von Hartknopf, als er aus Erfurt gieng.

Hartknopfs Antrittspredigt.

Das Torfmoor.

Die Geschwister.

Die Wiederholung.

Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Das Liebesmahl

Der Fichtenwald.

Der Herr von G...

Die Kinderlehre.

Hartknopfs Besuch bey dem Hrn. von G...

Das Wiegenlied.

Die Kadenz.

Doktor Martin Luthers Tischreden.

Elias.

Der Umweg.

Die Sinfonie.

Hartknopf lernt den Grobschmidt Kersting kennen.

Der Küster Ehrenpreiß und die Bauern.

Das Abendmahl.

Mein Besuch bei Hartknopf in Ribbeckenau.

Das Jubelfest.

Die Jubelpredigt.

Das Hallelujah.

Sophia Erdmuth.

Schreiben des Herrn von G... an Hartknopf.

Die Trauung.

Das Hochzeitkarmen.

Der Tanz der Liebesgötter.

Der Grobschmidt Kersting besucht das neue Ehepaar.

Im Entzücken schwimmen.

Der schwüle Tag.

Die Schmiede.

Hartknopfs Klage.

Hartknopf steckt den Küster Ehrenpreiß in einen Graben.

Auszug aus einem Briefe, den Hartknopf an mich schrieb.

Freundschaft und Zärtlichkeit.

Der geheimste Kummer.

Das höchste Opfer.

Die Trennung.

Eine Lücke in Hartknopfs Geschichte1.

Täuschung und Würklichkeit.

Der Abschied.

Andreas Hartknopf. Eine Allegorie / Predigerjahre, K. P. Moritz

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849632052

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Karl Philipp Moritz – Biografie und Bibliografie

Eine der eigentümlichsten Gestalten der Sturm- und Drangperiode, geb. 15. Sept. 1756 in Hameln, gest. 26. Juli 1793 in Berlin, verlebte seine früheste Jugend unter traurigen Familienverhältnissen, sollte dann in Braunschweig die Hutmacherei erlernen, kehrte aber bald wieder zu seinen Eltern, die inzwischen nach Hannover gezogen waren, zurück. Hier erregte er durch seine großen Fähigkeiten die Aufmerksamkeit eines fürstlichen Gönners, erhielt dadurch Gelegenheit, das Gymnasium zu besuchen, verließ es aber als Primaner, um unter Ekhof in Gotha Engagement als Schauspieler zu suchen, begann, als dieser Plan nach manchen abenteuerlichen Erlebnissen scheiterte, in Erfurt zu studieren (1776), machte einen nochmaligen vergeblichen Versuch, sich der Bühne zu widmen, und fand, als auch dieser gescheitert war, zunächst eine Zuflucht bei den Herrnhutern in Barby. Von der Brüdergemeinde unterstützt, studierte er in Wittenberg Theologie (1777) und trat dann in Dessau als Lehrer ins Philanthropin ein. Basedows Geistestyrannei trieb ihn aber bald aufs neue zum Wandern; er ging nach Potsdam und wurde dort 1778 Lehrer am Militärwaisenhaus, einige Zeit später am Grauen Kloster in Berlin. Hier machte er sich bald als Schriftsteller, Prediger und Dichter bekannt. Er unternahm 1782 eine Reiie nach England, die er in einem sehr lesenswerten Buch (s. unten) beschrieb, wurde darauf Professor am Köllnischen Gymnasium in Berlin, versuchte als Redakteur der »Vossischen Zeitung« ohne Erfolg diese zu einem Blatt »für das Volk« umzugestalten, geriet durch die Leidenschaft für eine verheiratete Frau in verhängnisvolle Herzenswirren und suchte 1786 geistige Genesung durch eine Reise nach Italien. Hier traf er mit Goethe zusammen, der ihn schätzen und lieben lernte und ihm manche Anregung verdankte. 1788 nach seiner Rückkehr fand M. bei Goethe in Weimar gastliche Ausnahme. Durch Empfehlung des Herzogs Karl August erlangte er die Mitgliedschaft der Berliner Akademie der Wissenschaften und wurde 1789 Professor der Altertumskunde an der Kunstakademie in Berlin. 1792 vermählte er sich mit einem jungen Mädchen, Friederike Matzdorf. Unter M. ' Schriften ist die wichtigste der autobiographische Roman »Anton Reiser«, der die Lebensschicksale des Verfassers bis zur Zeit nach dem Erfurter Aufenthalt schildert (Berl. 1785–90, 4 Bde.; fortgesetzt von Klischnig, 1794; neue Ausg. von Geiger, Heilbr. 1886, und von H. Henning in Reclams Universal-Bibliothek, Leipz. 1906), eine psychologisch und kulturgeschichtlich bemerkenswerte Darstellung der Seelenzustände eines Jünglings, der von den großen Anregungen der Sturm- und Drangperiode ergriffen wird. Auch in »Andreas Hartkopf« (Berl. 1786) schildert M. eigne Erlebnisse. Geistreich und durch originelle Ideen wertvoll sind auch noch andre von M.' zahlreichen Schriften, z. B.: »Versuch einer deutschen Prosodie« (Berl. 1786, neu aufgelegt 1815), das bedeutendste Werk über Metrik aus der Zeit unsrer Klassiker; »Über die bildende Nachahmung des Schönen« (Braunschw. 1788; neue Ausg. von Dessoir, Heilbr. 1888); die »Götterlehre« (Berl. 1791; 10. Aufl. von Frederichs, 1851; neue Ausg. von M. Oberbreyer in Reclams Universal-Bibliothek); »Reisen eines Deutschen in England« (Berl. 1783; neue Ausg. von Otto zur Linde, das. 1903); »Reisen eines Deutschen in Italien« (das. 1792–93, 3 Bde.) u.a. 1783–93 gab M. im Myliusschen Verlag ein »Magazin für Erfahrungsseelenkunde« (10 Bde.) heraus. Vgl. Alexis in Prutz' »Literarhistorischem Taschenbuch« (Hannov. 1847); Varnhagen v. Ense, Vermischte Schriften, Bd. 1; Dessoir, Karl Philipp M. als Ästhetiker (Berl. 1889); Altenberger, K. Ph. M.' pädagogische Ansichten (Leipz. 1905). Über M.' Verhältnis zu Schiller, den er durch eine Besprechung von »Kabale und Liebe« schwer beleidigte, vgl. Auerbach in der »Vierteljahrschrift für Literaturgeschichte«, Bd. 5 (Weim. 1892).

Andreas Hartknopf. Eine Allegorie

Non fumum ex fulgore

Sed ex fumo dare lucem.

Vorbericht.

Der Buchstabe tödtet,

aber der Geist macht lebendig.

Hier will ich still stehen – – sagte mein lieber Andreas Hartknopf, da er sich plötzlich, auf seiner Wanderschaft an einem breiten Graben befand, und weder Weg noch Steg sahe, der ihn hinüberführen konnte; und doch war es schon beinahe dunkle Nacht, und der Wind wehte scharf aus Norden ihm einen seinen Staubregen ins Gesicht, der schon seine Kleider bis auf die Haut durchnetzt hatte – – er hat nun ausgewandert, der gute Hartknopf – – aber mir däucht, ich sehe ihn noch da stehen mit seinem langen Knotenstocke, den messingnen Kamm in sein dickes schwarzbraunes Haar geschlagen, und seinen Rock mit den steifen Schößen von oben bis unten zugeknöpft –

Er war eine gute Seele – ob er gleich in der Gottheit vier Personen annahm, und glaubte, daß die ganze Welt aus alkalischem Salz geschaffen sey – Dieß öffentliche Zeugniß von seinem Charakter und seinem Herzen, das gewiß ein Unpartheiischer fällt, möge ihn gegen die Beschuldigungen retten, womit Bosheit und Verläumdung seinen Nahmen oft gebrandmarkt haben.

Du guter Andreas Hartknopf magst wohl nicht gedacht haben, daß deine besten Freunde, die auch wie du an die Viereinigkeit, und an die Schöpfung der Welt aus alkalischem Salze glaubten, und mit dir, wie du meintest, ein Herz und eine Seele waren, daß diese dein Gedächtniß nach deinem Tode so schändlich verunglimpfen würden.

Ach, es war dir auch nicht bei der Wiege gesungen, wie es dir einmal in der Welt ergehen sollte – daß du verstoßen, verjagt, von aller Welt verlassen, umherirren, irgendwo ein freundliches Obdach suchen und es nicht finden solltest – daß du an die Thüren deiner Brüder, deiner Freunde klopfen, und sie dir nicht aufgethan werden sollten – daß du – o nichts weiter! meine Seele ergrimmt gegen die Menschen, wenn ich bedenke, daß sie den Edelsten unter sich ausstießen, den Diamant, der auf diese harten Kieselsteine seinen unnachahmlichen Glanz hätte werfen können, wodurch sie auch bemerkt worden wären, wenn man ihn unter ihnen gesucht hätte!

Oft unterhält sich meine Seele in einsamen Stunden mit dir in Gesprächen; ich sehe dich in meine kleine Kammer treten; wir sehen uns und sehen den Himmel aus dem eröfneten Fenster an – und ob wir gleich nur gegen ein altes Gemäuer blicken, so erhebt sich doch unser Herz, wenn die Sonne darauf scheint, und unsre Seelen ergießen sich gegeneinander in Liebe und Wärme, in süßen Gesprächen von Zukunft und Vergangenheit – –

Ich soll von dir reden, mein Guter! und rede mit dir – Steh' ich muß wieder Abschied von deinem Geiste nehmen, wenn ich von dir reden soll – das wird mir schwer – o habt Geduld mit mir meine Leser! es ist mir schwer geworden, mich von meinem Freunde zu trennen – ich sprach mit ihm, da ich mit euch sprechen sollte – denn ich wollte euch doch seine Geschichte erzählen.

Hier will ich still stehen! sagte er also, da er plötzlich an dem breiten Graben stand, über den kein schmaler Steg ihn führte – er ging eine weite Strecke auf und ab, und fand keinen Weg hinüber – die Nacht brach immer tiefer herein – der Wind ging immer schärfer, und jagte schon den Regen in großen Tropfen meinem Wandrer ins Gesicht – hinter ihm war ein meilenlanger Wald – Hier will ich still stehen, sagte er noch einmal – weil ich nicht weiter kann – und das will sagte er mit einem gewissen Trotz, aber auch zugleich mit einer Erhabenheit der Seele, womit er dem Regen und dem Sturmwinde zu befehlen und über die Elemente zu herrschen schien.

Ich will, was ich muß, war sein Wahlspruch bis an den letzten Hauch seines Lebens – Es war seine höchste Weißheit, der er bis zum Tode getreu blieb – die ihn über die Dornenpfade seines Lebens sicher hinleitete, die ihm am Rande des Grabes noch einmal ihre freundschaftliche Rechte bot.

Weil ich das nun alles weiß, und ich mich fast eben so in seine Seele hineindenken kann, als in meine eigne Seele – so genau waren wir miteinander verwebt – so kann ich nun auch das alles von ihm erzählen, was gewiß sonst niemand leicht von ihm würde erzählen können: wie seine ganze Seele dabe arbeitete, als er die Worte sagte – hier will ich still stehen bleiben! Er fühlte dabei einen unwiderstehlichen Muth, womit er der Kälte, dem Regen, dem Winde, der Dunkelheit der Nacht, und der Ohnmacht der menschlichen Natur selbst Troz bot – er zog sich in sich selbst zurück, wie der Igel in seine Stacheln, wie die Schildkröte in ihr felsenfestes Haus; seine Brust war mit ehernem Muthe gestählt, sein Körper zum Leiden abgehärtet – die rauhen Elemente noch immer seine Freunde, denn sie behandelten ihn gütiger, wie die Menschen.

Legen konnte er sich nicht, denn der Boden war vom Regen durchnäßt – Er stand und ging am Graben auf und nieder, dann stand er wieder eine Weile, und pfiff die halbe Nacht hindurch im Winde sein Leibstückchen, daß es weit in die Ferne schallte, wo es der Wind hintrug – Ein paar Eulen auf den nahen Bäumen fingen an, statt der Nachtigall, ihn zu akkompagnieren, und ein paar Fledermäuse schwirreten statt der Lerchen ihm um den Kopf – und er ward nicht böse darüber, sondern ließ sich, da er es nicht besser haben konnte, den Wettgesang gern gefallen, und freute sich, daß selbst in der stillen Todten Nacht, die Natur noch Funken von Leben sprüht – sie machte ihm itzt, seine sonst so getreue, liebevolle, zwar eine etwas saure Miene – und er hätte ihr in der Dunkelheit der Nacht, durch eine sehr unfreundliche Verzerrung seiner Gesichtszüge den Gruß sehr gut erwiedern können – aber das that er nicht – seine Stirne zog sich nicht in düstre Falten, sein Auge blieb so heiter, daß er sich vor der hellen Sonne nicht hätte schämen dürfen, wenn sie in diesem Augenblicke sein Antlitz beleuchtet hätte.

Indem er noch so da stand und pfiff, hörte er in der Ferne Menschenstimmen, und seine gute Laune, in die er sich hineingepfiffen hatte, erhielt beinahe einen kleinen Stoß – bald aber ermannte er sich wieder, und die Menschenstimmen klangen seinen Ohren beinahe wieder so lieblich, als der Gesaug der Eulen, mit denen er vorher in Gesellschaft des rauschenden Windes ein angenehmes Konzert aufgeführt hatte.

Die Menschenstimmen tönten wild in die Nacht – der Laut war wie von stammelnden Zungen, und ihr Ausruf war, wie der Ausruf derer, die voll süßen Weins sind. – Schon waren sie dicht heran, und es war doch schändlich! die Eulen und Fledermäuse hatten meinem Hartknopf zur Gesellschaft mitgemacht – und diese Unmenschen – – es waren ihrer zwei – He da! Landsmann, stammelte der eine, was wankt er hier noch so spät umher? – Ich kann nicht über den Graben – – I Narr, so schwimm er durch, lachte jener laut auf, und stieß ihn in den Graben hinein – Hartknopf rafte sich im Fallen so gut er konnte zusammen, und siehe da, es war eine Grube, wie die, worin weiland Joseph von seinen mitleidigen Brüdern hinabgelassen wurde, es war ein Graben, worin kein Wasser war, und durch welchen er gleich anfangs trocknes Fußes hätte durchgehen können, wenn er statt seiner philosophischen Resignation, seine beiden Sinne Gesicht und Gefühl zusammengenommen hätte, um sich vermittelst seines Dornstockes und seiner gesunden Füße, erst einen Durchgang durch den Graben zu erproben, ehe er sich entschloß, die Nacht über disseits zu bleiben, und mit seinem Pfeiffen ein paar Eulen zu akkompagniren.

Hartknopfkam nun auf der andern Seite des Grabens wieder in die Höhe, und machte auch nicht einmal in Gedanken seinem Beleidiger Vorwürfe, der ihm freilich wider Willen einen Dienst geleistet hatte, indem er ihn durch einen zwar etwas unsanften, Stoß durch einen Graben half, wodurch ihn vorher alle seine Philosophie nicht hatte helfen können. Was aber noch mehr war, so machte Hartknopf sich selber nicht einmal Vorwürfe, daß er wie mit Blindheit geschlagen gewesen war – das war nun einmal seine Art so – er hielt es für noch einen kindischen und läppischen Streich mehr, wenn man sich über irgend einen kindischen und läppischen Streich, den man einmal gemacht hatte, die Haare ausraufen wollte. – Ueberhaupt hatte er sich, seitdem er anfing, weise zu werden, die Reue abzugewöhnen gesucht, die er nur für ein Arzneimittel der Thoren hielt. Ich will, was ich muß! war sein Wahlspruch, wenn er von aussen her getrieben wurde, und ich muß, was ich will, wenn ihn etwas von innen trieb. Gefühl seiner Kraft, insbesondre der widerstrebenden, war seine höchste Glückseligkeit. – Darum mochte er zuweilen gern wider den Strom schwimmen, ob es ihm gleich sauer wurde, und wider die Wand rennen, ob er sich gleich den Kopf zerstieß. – Darum war er auch die Nacht disseits des Grabens geblieben, als er nur einige Wahrscheinlichkeit hatte, daß er nicht würde durchkommen können. Und er gefiel sich nun einmal so; und weil ihm die Zeit nicht sehr übel verstrichen war, so würde er sich über jeden Aerger geärgert haben, den er über sich selbst hätte in sich aufsteigen lassen, darum ärgerte er sich dann am Ende lieber gar nicht.

Er verdoppelte seine Schritte, um sich warm zu gehen, und befand sich ungleich besser, da er wieder auf der Landstraße war, und mit Zweck und Absicht sich nach einer festern Richtung fortbewegen konnte, als vorher, da er gehen mußte um zu gehen, und immer wieder an denselben Fleck zurückkam – Dieß führte ihn zu tiefsinnigen Betrachtungen über die gerade und über die krumme Linie, und in wie fern die gerade Linie gleichsam das Bild des Zweckmäßigen in unsern Handlungen sey, indem die Thätigkeit der Seele den kürzesten Weg zu ihrem Ziele nimmt – die krumme Linie hingegen das Schöne, Tändelnde und Spielende, den Tanz, das Spatzierengehen bezeichnet – – indem waren die beiden besoffnen Kerl schon wieder hinter ihm, und faßten ihn brüderlich, der eine unter dem rechten, der andre unter dem linken Arm – der unter dem linken Arm hatte ihn in den Graben gestoßen, und war wie der böse Schächer zur Linken am Kreutze, die Tugend und Weißheit ging in der Mitten.

Die beiden besoffnen Kerl aber waren ein paar Weltreformatoren und Kosmopoliten – und der zur Linken war der Anführer einer kleinen Kosmopolitenbande, die im Lande umherzog, und sich jetzt in einem kleinen Städtchen aufhielt, um ihr Gaukelspiel da zu treiben, und aus allen vier Enden der Erde Menschen hinzulocken, die sich vor ihrer großen Bude versammlen, und ihre Markschreier- und Taschenspielerkünste anstaunen sollten – –

Der Anführer zur Linken hatte große schwarze struppigte Augenbraunen, und borstiges Haar, und trug ein sammtnes Kleid vom Schweiß und Blut der betrognen Menschheit – Er kniff meinem guten Hartknopf in den Arm, daß es ihm blau wurde, da er ihn untergefaßt hatte, und sagte: Du alter Kauz, wie ist dir denn das Schwimmen bekommen? – daraus war denn zu schließen, daß er ihn nicht in einen trocknen sondern mit Wasser angefüllten Graben hatte stoßen wollen, dieser Borstige.

Der Kosmopolit zur Rechten war der reuige Schächer, und sagte: Lieber Bruder, wir hätten dieses Menschen schonen sollen – – und hätten ihn nicht sollen in die Grube stoßen, worin kein Wasser war – der arme Mensch! – indem drückte er Hartknopfen sanft die Hand – und dieser sagte halb im Schlummer: Heute wirst du mit mir im Paradiese seyn! Er meinte aber den Gasthof in dem Städtchen, das vor ihnen lag, wo er immer einzukehren pflegte, wo die Zöllner und Sünder herbergten, und wohin jetzt sein sehnlichstes Wünschen ging. – Die Idee vom Paradiese schlug in den beiden Kosmopolitenköpfen, wie ein Feuerfunken an – – sie hatte so etwas Erhabenes und Feierliches in der dunkeln, schauervollen Nacht, so wenig Erhabenes sich auch mein guter ehrlicher Hartknopf dabei gedacht hatte – – Der Schächer zur Rechten und der Schächer zur Linken fühlten die ganze Macht der Worte, die sie nun wirklich auf sich abgezielt glaubten. – – Ihre Seelen wurden zerknirscht, Thränen entströmten ihren Augen; sie fingen an, sich wirklich für ein paar arme Schächer zu halten, welche in ihrem verkehrten Sinn die hohe Würde der Menschheit beleidigt hätten: – –

Fühlst du das, lieber Bruder? sagte der zur Rechten – – Ich fühl' es! antwortete der Linke mit bebender Stimme – laß uns hier niederfallen im Staube, und den großen Allvater bitten, daß er uns vergebe die Sünden unsrer Jugend und die Sünden unsrer grauen Jahre; daß er nicht ansehe unsre Missethat, und uns nicht strafe, wie wir es verdient haben – denn wo will man einen Reinen finden, unter denen da keiner rein ist – Bewahre meinen Fuß – – und so lang wie er war lag der borstige Betende ausgestreckt da – denn sein Gebet war schwarze Heuchelei und verflog in den Lüften – er maß die Erde mit seiner Länge, denn er hatte sich an einem alten Stubben am Wege sein Schienbein zerstoßen, daß es ihn bis in den Wirbel hinauf schmerzte. – Das sanfte Erbarmen meines Hartknopfs mit seinem Beleidiger hob den Gefallnen wieder auf – und der Gefallne dankte ihm nicht, denn sein böser Geist hatte dem Stubben Hartknopfs Gestalt gegeben – und der Gefallne sagte zu dem Schächer zur Rechten: mein Bruder, was meinst du, der Schurke da hat mir ein Bein untergeschlagen, um sich an mir zu rächen! Ei so soll ihn ja auch – – rief der reuige Schächer, und fing an tüchtig auf meinen Hartknopf loßzuschlagen, und der zur Linken war dabei sein getreuer Rath und Assistent – – aber das Blättchen fing sich bald an zu wenden. – – Die Weißheit in der Mitte nahm ihren Dornenstock in die Hand, und schlug damit rechts und links um sich, und die Thorheit taumelte an beiden Seiten von ihren wiederhohlten Schlägen zu Boden, und als mein Hartknopf die beiden Besoffnen nach Herzenslust durchgeprügelt hatte, so sagte er: Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun! – –

Und nun hob er sie beide wieder auf, und sie wanderten wieder einträchtig und brüderlich miteinander fort – darüber brach der Tag an, und der Rausch in den Köpfen der beiden Kosmopoliten fing allmälig an zu verfliegen – ihr nächtlicher Zwist mit Hartknopfen verlohr sich in ein dunkles Schattenbild – und sie sahen jetzt seine offne Stirn und sein edles freies Auge, womit er sie im Glanz der aufgehenden Sonne anblickte, und schlugen beschämt ihre Augen nieder.

Alle drei schienen stillschweigend in einen Vertrag eingewilligt zu haben, alles in der Nacht vorgefallne in gänzliche Vergessenheit zu begraben. Sie unterhieltet sich miteinander über die Schönheit des Morgens, über die Pracht der aufgehenden Sonne, und über den herrlichen Anblick der wiedererwachenden Natur – und ließen ihren strafenden Unwillen gegen diejenigen aus, die den schönsten Morgen in ihren Pflaumfedern verschlafen könnten. – Dann fragten erst die beiden Kosmopoliten ihren nächtlichen Gefährten, wo er denn eigentlich herkomme, und wo er eigentlich hinwolle?

Beides wußte er nicht eigentlich zu beantworten. – Er kam aus dem Abend, und wanderte gerade gegen den Morgen zu; denn der Weg von Westen nach Osten hatte für ihn so etwas Reitzendes und Anziehendes, das sich zum Theil mit auf seine besondern Meinungen gründete. – Da er nun in Süden und Norden eben so wenig Schätze zu hohlen hatte, als in Osten und Westen, so nahm er seine Richtung immer nach Osten zu, und richtete es gemeiniglich so ein, daß er den ersten frühen Strahl der Sonne mit seinem Morgengebet begrüßen konnte. Welche Städte und Dörfer nun hier auf seinem Wege lagen, durch diese ging er oft hindurch, ohne nur nach ihrem Nahmen zu fragen, und wenn man ihn denn auch nicht nach seinem Nahmen fragte, sondern wie irgend ein unbedeutendes Wesen, einen Hund oder eine Katze, ihn durchwandern ließ, ohne nur einen Blick auf ihn zu werfen, wie froh war er dann!

Als er aber durch das Land kam, wo man am Thore die Geheimnisse seines Herzens und seiner Taschen ausforschen wollte, ehe man ihn durchließ; so nahm er einen weiten, weiten Umweg, wenn er an eine Stadt kam, und mußte von seiner geliebten Direktionslinie nach Osten manche Abweichung machen, ehe er wieder in sein Gleis kam – dann schüttelte er den Staub von seinen Füßen über einer solchen Stadt, und freute sich, wenn er in irgend eine dürre sandigte Heide kam, wo keine Spur von Taschendurchsuchenden und Geheimnisseerforschenden Menschen zu sehen war, und er nun wieder freier athmen konnte.

Damit der Leser auch keinen Augenblick länger etwa den Gedanken hege, als habe sich Hartknopf von Westen gegen Osten hingebettelt – so muß ich versichern – denn ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß man dieß auch nur von ihm denken könne – so muß ich den Leser versichern, daß Hartknopf sich lieber auf irgend einer Vestung oder in irgend einem Zuchthause würde von selbst angegeben haben, um zu karren oder zu raspeln, ehe er das gethan hätte. – Auch brauchte er es nicht: denn er war seines Handwerks ein Grobschmidt und ein Priester, und konnte sich also mit seiner Hände Arbeit sowohl, als vom Evangelium nähren, das er den Leuten gern verkündigte, die es hören wollten – aber von der Predigt des Evangeliums nährte er sich nicht, sondern vom Schmiedehammer; denn er dachte, umsonst habt ihrs empfangen, umsonst sollt ihr es auch wiedergeben. – Ein Arkanum für die Schwindsucht, welches er besaß, will ich nicht einmal erwähnen; er besaß ein noch weit größres Arkanum, den Leib des Menschen durch die Seele zu heilen – wie oft hat er hiervon Gebrauch gemacht! er nährte sich aber eben so wenig davon als vom Evangelium, das er verkündigte – sondern der Schmiedehammer, den er mit seinem nervigten Arm wohl auf dem Ambos zu führen wußte, verschafte ihm Nahrung und Kleider; und wenn er dann mit dem Allernothwendigsten versehen war, so ließ er eine Weile seinen Arm wieder ruhen, um seinen Lauf gegen Osten fortzusetzen, und seinen Weg, den er nahm, durch wohlthätige Handlungen zu bezeichnen. Am heißen Mittage begegnete ihm dann die Sonne in ihrem Laufe, und schien, ihm, als ihrem großen Nachahmer, Beifall zuzulächeln.

Das Geheimniß des Erdenlebens meines Hartknopfs ist mir heilig. Mit Ehrfurcht wage ich es, allmälig den Schleier wegzuziehen, der große, der Ewigkeit werthe Thaten vor dem Auge der Welt verhüllte, die dermaleinst im höchsten Glanze schimmern, und die Thaten der Könige verdunkeln werden. –

Du hörest sein Säuseln wohl, aber du weissest nicht, von wannen er kömmt, noch wohin er führet. – – Der Fromme geht seinen Gang vor sich hin, so lange er hienieden wallet, ist in sich gekehrt, und merkt auf jeden seiner Schritte, die er thut – seine Blicke schweifen nicht umher auf den Töchtern des Landes – denn eine ist seine auserwählte Braut, die verläßt er und sie ihn in Ewigkeit nicht, sie reicht ihm noch ihre sanfte Hand im finstern Thal des Todes, und geleitet ihn in beßre Welten hinüber, wo kein Kosmopolit den müden Wandrer mehr in einen Graben stößt, und kein böser Geist mehr einen Stubben in Hartknopfs Gestalt verwandelt, um ihm von zwei Weltreformatoren eine Tracht Schläge zuzuziehen.

Wohin er eigentlich ginge? – fragten ihn also die beiden Weltreformatoren – eigentlich habe er sich kein festes Ziel gesetzt, gab er zur Antwort, aber er wolle mir ihnen in das nächste Städtchen gehen – und dort im Paradiese einkehren, wo der Gastwirth noch sein Herr Vetter sey –

Das Städtchen aber, auf welches sie nun zu gingen, hieß Gellenhausen, und war Andreas Hartknopfs Geburtsort – den er itzt besuchte, weil er auf seiner Direktionslinie nach Osten lag – denn er kam aus dem äußersten Ende von Westphalen, und ging durch ganz Niedersachsen und Obersachsen immer auf das jetzige preußische Pohlen zu, und nun war er bis an Gellenhausen gekommen, ohne bis itzt daran zu denken, daß er da gebohren war – bis er, noch den Abend vorher, ehe er an den breiten Graben kam, die hohe Thurmspitze in der Ferne schimmern sahe, welche die einzige in dem Städtchen war, und mit ihrer Pracht alle übrigen Häuser, die in einem Klümpchen zusammen gedrängt da lagen, verdunkelte und beschämte. –

Das Städtchen hatte sich auch in dem Thurme ganz verbauet, und der Magistrat von Gellenhausen wäre beinahe darüber bei den höchsten Landesgerichten in Inquisition gekommen. – Das war aber nun einmal die Art dieses Städtchens, daß es schimmern wollte, von jeher – davon zeugten noch die Ueberreste eines alten Walles, worauf ein paar ungeheure Kanonen gepflanzt waren – und ein Prediger, der ein Buch geschrieben hatte unter dem Titel: die sich entknospende Frühlingsrose oder die Hoffnungen des Christen jenseit des Grabes, wo sie nicht eher ruhten, bis sie ihn in ihr Städtchen zogen, wo er auf dem Kirchhofe bei Mondschein Predigten hielt, und die Jünglinge und Mädchen des Ortes auf den Grabhügeln ihrer Väter um sich her versammelte, um ihnen die sich entknospende Frühlingsrose vorzupredigen.

Nun wird man sich auch leicht erklären können, wie sich in dem Städtchen eine Kosmopolitenbande einnisteln konnte – nachdem eine herumwandernde Truppe Komödianten schon die Hälfte von dem Haab' und Gut der armen Einwohner mit sich hinweggenommen hatte.