APOCALYPSE MARSEILLE - Andreas Gruber - E-Book

APOCALYPSE MARSEILLE E-Book

Andreas Gruber

4,4

Beschreibung

Brutale Reality-Live-Shows in der Zukunft, Flugmaschinen, die gnadenlose Jagd auf Menschen machen, ein Tierarzt, der seine Familie auslöscht, um ihr Proben aus dem Rückenmark zu entnehmen, und der erfinderische Testpilot Ian Goodwin, der auf einem merkwürdigen Asteroiden notlandet und nur noch zwei Stunden zum Überleben hat. In Grubers Fantasien liegt die Côte d'Azur in Schutt und Asche. Er nimmt uns mit zum Untergang der Titanic, wie er tatsächlich passiert sein könnte, den mysteriösen unterirdischen Maya-Tempeln in Uxmal und in ein bizarres Steampunk-Wien um 1900, bei dem nichts so ist, wie es scheint. Bei Andreas Gruber ist alles möglich! --------------------------------------------------------------- "An Andreas Gruber schätze ich vor allem, dass er eigene erzählerische Wege geht – und das atmosphärisch so glaubhaft, so greifbar, dass man ihm bereitwillig folgt." [Andreas Eschbach] "Grubers Stil ist rasant, komplex und sorgt immer wieder für überraschende Wendungen." [Sebastian Fitzek]

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Inhalte

AM

Impressum

Widmung

Zitat

Mein Zugang zur Science-Fiction

Sieben Ampullen

Ramada Inn

Biohybriden

Einundvierzig Grad nördliche Breite

Weiter oder Raus

Wenn der Himmel gefriert

Parkers letzter Auftrag

Der Maya-Transmitter

Sabrina

Raum Nr. 7

Apocalypse Marseille

Asteroid CMG 8

Die Weltmaschine

Der Autor

Unser Leseprobenbuch

Der LUZIFER Verlag

Quellenverzeichnis

Impressum

Copyright © 2016 by Andreas Gruber
Copyright Deutsche Erstausgabe © 2016LUZIFER Verlag
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

ISBN E-Book: 978-3-95835-134-9

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Roman Schleifer,

das größte lebende Perry-Rhodan-Lexikon,

das auf diesem Planeten wandelt,

danke für alles.

»Ich weiß nicht, wer die Welt erschaffen hat,

aber ich weiß, wer sie vernichten wird.«

Stanislaw Jerzy Lec

MEIN ZUGANG ZUR SCIENCE-FICTION

Hin und wieder werde ich gefragt, welche Tipps ich angehenden Autoren geben kann – dann antworte ich meist, dass sie sich nicht gleich zu Beginn an einem 500 Seiten dicken Roman versuchen sollen, der von einem Großverlag eingekauft und als Bestseller beworben wird. Stattdessen sollten sie mit Kurzgeschichten beginnen, kleinen Fingerübungen und mit verschiedenen Genres und Stilen experimentieren.
  Ich spreche aus Erfahrung. Meine ersten Gehversuche als Autor begannen 1996 mit Horror- und Science-Fiction-Kurzgeschichten. Warum gerade diese Genres?
  Ich bin in den 70er Jahren aufgewachsen, in der sogenanntenWickie, Slime & Paiper-Zeit, wie man diese Generation in Österreich nennt. Slime war eine grüne Glibbermasse, mit der man prima im Klassenzimmer werfen konnte, Paiper ein Eis, das man an einem Stiel aus einem runden Plastikbecher drücken konnte, und Wickie … tja, Wickie war der Held meiner Kindheit – eine clevere Zeichentrickfigur. Wir hatten nur zwei TV-Sender: ORF1 und ORF2. Es gab kleine Kinosäle mit siebzig Plätzen und an jeder Ecke einen Kiosk, der Comics und Heftromane verkaufte. Und dann gab es natürlich die Heftroman-Tauschzentralen. Enorm wichtig, wenn man in einer Großstadt wie Wien kulturell überleben wollte, besonders im Winter, wenn es um 16 Uhr dunkel wurde und man zu Hause sein musste.
  Insgesamt war es eine sehr abenteuerliche und spannende Zeit, denn man konnte nichts googeln, nichts downloaden oder in Wikipedia nachlesen. Man war auf Gerüchte angewiesen, die man hörte. Und angeblich gab es abends eine TV-Serie, die extrem gut sein sollte, nämlichRaumschiff Enterprise.
  Damit bin ich aufgewachsen.
  Als Siebenjähriger durfte ich das natürlich noch nicht sehen. Außerdem liefen die Episoden zu einer Zeit, da ich schon längst im Bett liegen musste. Aber meine Eltern hatten nicht mit meiner Schläue gerechnet! Immerhin war Wickie mein Vorbild.
  Während meine Eltern also abends im Wohnzimmer auf der Couch lagen und fernsahen, saß ich im Vorzimmer hinter den Mänteln der Kleiderablage verborgen und linste schräg durch die offene Tür ins Wohnzimmer. Direkt auf das Fernsehgerät. Auf diese Weise sah ich fast alle Episoden vonRaumschiff Enterprise. Captain James T. Kirk ist für mich nach wie vor der beste Raumschiffkommandant, den es je gab. Ein Mann mit Rückgrat und Zivilcourage, der verbissen für seine Mannschaft kämpfte und niemals jemanden zurückließ – außer es musste sein.
  Mit dem logischen Mr. Spock, der fast alles faszinierend fand, und dem sehr menschlichen Dr. McCoy alias Pille, hatte Kirk zwei Koryphäen an seiner Seite, die sein Team unbesiegbar machten. Dann gehörte noch der asiatische Sulu zu seiner Crew, der russische Chekov, die afrikanische Uhura und Chefingenieur Scotty, die allesamt geniale Figuren waren.
  Alles, was ich danach im Fernsehen sah,Raumpatrouille Orion,UFOoderMondbasis Alpha 1, faszinierte mich nie mehr so sehr wie die originalen Enterprise-Folgen. Ja, ich gebe zu, mein Zugang zur Science-Fiction war ziemlich old school.

Später, als Zehnjähriger, sah ich dann in den Sommerferien die japanischen Godzilla-Filme im Kino und war am meisten vonKing Kong gegen Godzillabeeindruckt, in dem die Riesenechse gegen den Riesenroboter Mechagodzilla kämpfen musste. Am besten gefielen mir dabei die reihenweise spektakulär einstürzenden Hochhäuser.

Als nächstes Highlight kam dannKrieg der Sterne, den ich mit meiner Mutter im Kino sah. Die Rede ist vonStar WarsEpisode IV, wie sie heute leider genannt wird, aber für mich wird sie immer und ewig die erste Episode bleiben. Prinzessin Leia, Luke Skywalker, der Rasende Falke, die gruseligen Sandleute, die kleinen Jawas, ein dreckiger und frecher Han Solo, ein grunzender Chewbacca, schmutzige Raumgleiter, öl-verschmierte Roboter, die blendend weißen Sturmtruppen und natürlich die besten Jedi-Ritter aller Zeiten … Obi-Wan Kenobi und sein Gegenspieler der dunkle Darth Vader. Das alles gepaart mit dieser dramatischen orchestralen Filmmusik. Es war herrlich. Alle in der Klasse sammelten dasKrieg-der-Sterne-Panini-Stickeralbum, und in den Pausen wurde getauscht, wenn nicht gerade mit grünem Slime geworfen wurde.
  Dieser Film wird meines Erachtens nur noch vonDas Imperium schlägt zurückgetoppt. Die späteren Episoden I bis III waren leider nur noch mit CGI-Tricks überfrachtete Computerspektakel, bei denen ich den Eindruck hatte, einem seelenlosen Computerspiel zuzusehen.
  Zu diesem Zeitpunkt, 1982, als Vierzehnjähriger, wusste ich schon, dass die Science-Fiction für mich dreckig sein musste. Meine Vision einer zukünftigen Welt war nicht blank poliert, freundlich und strahlend, sondern bestand aus dreckigen Schläuchen, aus denen Kühlflüssigkeit tropfte, dampfenden Apparaturen, öl-verschmierten Maschinen und rostigen Robotern, die quietschend auseinander fielen.
  Als ichAlienzum ersten Mal sah, war es für mich eine Offenbarung, und Jahre späterBlade Runner– beide von Ridley Scott. Und für mich war klar: So würde eine zukünftige Welt aussehen. Und so musste ein außerirdisches Wesen aussehen – blutrünstig und gefährlich. Und wenn es ein Raumschiff gab, das einsam durchs All zog, dann musste es so aussehen wie dieNostromo.

Zu jener Zeit entdeckte ich auch die Science-Fiction-Literatur. Ich muss gestehen, dass ich trotz mehrmaliger Anläufe nie ein Perry-Rhodan-Fan wurde. Dieses Universum war mir zu gewaltig und zu komplex. Trotzdem startete ich einen letzten Versuch und begann mit den ersten Silberbänden – 400-seitige chronologische Zusammenfassungen der Perry-Rhodan-Heftromane mit buntem Hologramm-Cover. Doch ich schaffte nie mehr als die ersten drei Bücher. Allerdings fand ich eine Alternative.  Ich war immer noch vierzehn, als im Sommer eine ehemalige Schulfreundin meiner Mutter zu Besuch in unsere Wiener Wohnung kam. Tante Traude, so durfte ich sie nennen, brachte mir als Geschenk ein Buch mit. Einen Sammelband mit zwei Romanen. Ich weiß noch, Vanilleeis klebte am Cover, denn während der Fahrt mit der Straßenbahn, war ihr leider die Eisbox aufgesprungen, die sie ebenfalls als Geschenk mitgebracht hatte. Aber das störte mich nicht. Sofort begann ich zu lesen, und ich fand es – um Spock zu zitieren – äußerstfaszinierend.  Es waren die ersten zwei Bände vonMark Brandis, einer Science-Fiction-Serie für Jugendliche, die der deutsche Autor Nikolai von Michalewsky unter dem PseudonymMark Brandisin der Ich-Form geschrieben hatte. Auch wenn es sich um eine Jugendserie des Herder-Verlags handelte – es war literarisch anspruchsvoll geschrieben, manchmal sogar poetisch, immer spannend und hatte sogar eine Botschaft: Zivilcourage. DennMark Brandiswar ein Raumkommandant, der sich für demokratische Werte einsetzte, für Menschenrechte und Fairness, aber nicht auf eine plakative Art und Weise, sondern so, dass es mir manchmal Tränen in die Augen trieb. Außerdem war seine Ehefrau Ruth eine – heute würde man sagen – emanzipierte, toughe Frau, die ihrem Mann in nichts nachstand.  Als junger Teenager lieh ich mir die 190 Seiten dicken Hardcoverbände vonMark Brandisaus der Bibliothek aus, und das waren die Bücher, die mich wohl – neben den Romanen von Stephen King – am meisten geprägt haben.  Jeder Band behandelte ein anderes Thema: Mal ging es um einen Diktator, der die Erde und ihre Kolonien unterjochen wollte, mal um einen falsch programmierten Mega-Computer, der die Gerichtsbarkeit ablösen sollte, um Feindfahrten gegen Terroristen, um das Aufspüren einer außerirdischen Sonde, um gekaperte Raumfrachter, kaputte Raumstationen oder um jahrelang dauernde Expeditionen zu Uranus oder Neptun. Dabei wurde das Leben an Bord wie die klaustrophobische Enge auf einem U-Boot beschrieben. Kein Wunder, da Michalewsky unter anderem auch als Kriegsberichterstatter gearbeitet hatte.   Als ich mit sechzehn Jahren mein erstes Geld als Ferialpraktikant verdiente, kaufte ich mir die Bücher der Reihe nach. Ich besitze sie noch heute, alle 31 Bände und den Sonderband. Und gelegentlich lese ich darin – und finde sie immer noch gut.   Leider war es mir nicht vergönnt, Nikolai von Michalewsky persönlich kennen lernen zu dürfen, da ich ihn 1999 in Dortmund auf dem SF-Con knapp verpasst hatte, weil er früher als geplant abgereist war. Im Jahr darauf ist er leider verstorben. Aber ich besitze ein Autogramm von ihm, denn natürlich habe ich ihn als jugendlicher Fan mehrmals angeschrieben.  Übrigens gibt es eine sehr empfehlenswerte Hörbuch-Reihe mit den vertontenMark-Brandis-Romanen in neuem Gewand, die ich sehr gelungen finde, und die mich in Jugenderinnerungen schwelgen lässt.

Das Jahr 1987 kam, und ich kann mich noch genau erinnern, als ein Science-Fiction-Roman der neuen Generation groß angekündigt wurde:Neuromancervon William Gibson. Der Titel klang düster und viel versprechend. Ich habe das Buch vorbestellt und bin wochenlang täglich zur Buchhandlung gelaufen, um nachzufragen, ob es denn endlich geliefert worden sei. Genauso groß wie meine Vorfreude war dann aber auch meine Enttäuschung, als ich das Buch schließlich in Händen hielt. Auf dem Cover war der Titel nämlich mit »Neu-Romancer« abgeteilt worden, und irgendwie drängte sich bei mir ständig die Assoziation von »Romantik« auf. Als ich dann die ersten fünfzig Seiten gelesen hatte, war meine Enttäuschung perfekt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich zwar schon den FilmTronim ORF gesehen und fand ihn sogar spannend, aber trotzdem konnte ich damals mit William Gibsons Version eines Cyberspace nichts anfangen.Neuromancerist zweifelsohne ein revolutionäres, bahnbrechendes und stilistisch herausragendes Werk – ich habe es zwanzig Jahre später noch einmal gelesen –, aber mir persönlich war es seinerzeit als Neunzehnjähriger zu abstrakt und zu wenig greifbar. Schließlich hatte es damals noch nicht einmal PCs gegeben.

Jedenfalls sind mir bis heute die klassischen SF-Themen, mit denen ich aufgewachsen bin, am sympathischsten geblieben. Nachdem ich also die gesamtenMark-Brandis-Romane gelesen hatte, folgte eine Zeit, in der ich die Planetenromane von Ben Bova auf Englisch las, die skurrilen und satirischen SF-Kurzgeschichten von Robert Sheckley, die technische Hard-SF von James P. Hogan und die amüsanten Bücher von Douglas Adams. Als Stephen-King-Fan stieß ich dann auch auf den großartigen RomanMenschenjagd, den er als Richard Bachman in angeblich nur 72 Stunden verfasst hatte, der aber alsRunning Manleider grottenschlecht und überhaupt nicht romangetreu verfilmt worden war.  Durch Douglas Adams'Hitchhikers Guidelernte ich die Zeitreise-Geschichten lieben, die für mich bis heute eine der faszinierendsten Facetten der SF geblieben sind. Ich schwärme für Filme wieTerminator,Frequency,Zurück in die Zukunftoder den eher unbekannten spanischen FilmTimecrimesaus dem Jahr 2007. Aber ebenso den melancholischenEine Frau aus vergangenen Tagenmit Christopher Reeve und einer atemberaubenden Jane Seymour, den Jack-the-Ripper-ZeitreisefilmFlucht in die Zukunftmit der ebenso entzückenden Mary Steenburgen oder den verstörendenTwelve Monkeysmit der hinreißenden Madeleine Stowe. Was lässt sich daran erkennen? Gute Zeitreisefilme kommen offensichtlich nicht ohne attraktive und interessante Frauen aus.  Zufällig bin ich dann auf die wunderbare Zeitreise-Kurzgeschichten-Sammlung des Herausgebers Wolfgang Jeschke aus dem Heyne-Verlag gestoßen – eine wahre Fundgrube für Leute, die dieses Thema lieben. Zudem liest sich das Inhaltsverzeichnis wie ein Who-is-Who der Klassiker. InDie Gehäuse der Zeitgibt es auf 780 Seiten u.a. Storys von Anthony Burgess, Robert Sheckley, Robert A. Heinlein, F. Scott Fitzgerald, J. G. Ballard, Brian W. Aldiss, Philip K. Dick, John Brunner, Robert Silverberg, Robert Bloch, Ursula K. Le Guin, Philip José Farmer und Herbert Rosendorfer. RosendorfersBriefe in die chinesische Vergangenheitsollten Sie übrigens unbedingt gelesen haben, egal ob Zeitreise-Fan oder nicht. Eine Pflichtlektüre! Amüsant, intelligent und erfrischend witzig.

In jener Zeit entdeckte ich auch die SF-Comics. Vor allem haben es mir die psychedelisch skurrile 10-bändige SerieDie Schiffbrüchigen der Zeitvon Paul Gillon und die Serie der niedlichenYoku Tsunovon Roger Leloup angetan. An dieser Stelle muss ich mich sowieso outen, dass ich die franko-belgischen Comics um vieles besser finde als die us-amerikanischen Superhelden-Comics. Mit Batman, Spiderman, Superman und X-Men habe ich noch nie etwas anfangen können. Einzig den rotzfrechen Hellboy finde ich klasse. Allerdings gibt es eine amerikanische Comic-Serie, die ich für wirklich gelungen halte, weil sie spannend ist und zugleich sehr präzise die Schattenseite der menschlichen Psyche zeigt:The Walking Dead. Aber letztendlich geht es darin um Zombies, und die gehören nicht wirklich in dieses Vorwort. Oder doch?

Später, während meiner Zeit als Student, beschäftigte ich mich mit der politischen und gesellschaftlichen Seite der Science-Fiction, und so las ich die Romane von Aldous Huxley, George Orwell, Ray Bradbury und Jewgenij Samjatin. Schon damals hatte ich die Befürchtung, dass es genau in diese Richtung gehen würde, sobald es die technischen Möglichkeiten erlaubten, und wie wir im Jahr 2013 anhand des NSA-Abhörskandals gesehen haben,istes möglich. Und diese Möglichkeiten sind bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Wir und unsere Kinder können uns also auf eine lustige Zukunft gefasst machen.

Manchmal werde ich gefragt, was ich für gute Science-Fiction halte. Jedenfalls sind es nicht die TV-Serien der 90er Jahre, in denen die fremde Spezies eines Weltraumvolkes einfach nur drei Runzeln über der Nase oder ein goldenes Dreieck auf der Stirn kleben hat. Gute Science-Fiction-Filme sind für michCypher, weil die Handlung clever ist,Alien,Dark CityoderPandorum, weil das Ambiente herrlich düster ist,StargateundEdge of Tomorrow, weil es überraschend und spannend ist,Contact, weil es intelligent ist,Event Horizon, weil es atmosphärisch gruselig ist,MatrixundInception, weil es optisch revolutionär und handlungstechnisch herausragend ist, und schließlichSerenityundGuardians of the Galaxy, weil es ein erfrischend origineller Genre-Mix ist, der fernab jeglicher Klischees funktioniert.  Ebenso zählenTotal Recall,Minority Reportoder der anfangs erwähnteBlade Runnerzu meinen Lieblingsfilmen, weil sie originell sind und man sich anschließend stundenlang den Kopf über die Handlung zerbrechen kann. Die letzten drei Verfilmungen stammen aus der Welt des Philip K. Dick. Offensichtlich war er seiner Zeit weit voraus, denn seine erschreckend paranoiden und schizophrenen Visionen, vor denen ich mit tiefer Bewunderung den Hut ziehe, wurden erst Jahrzehnte später fürs Kino entdeckt und sind bis heute brandaktuell.

Gegen Ende möchte ich noch die humorvolle Seite der Science-Fiction ansprechen, die für mich ebenso wichtig ist. Douglas Adams hatte ich ja schon erwähnt – der die Idee zumHitchhiker’s Guideübrigens während eines Urlaubs hatte, als er betrunken auf einer Wiese in Innsbruck lag. Gott hab ihn selig, wo auch immer er jetzt herumkurvt!  Den trashigen BBC Sechsteiler vonPer Anhalter durch die Galaxisfinde ich übrigens total gelungen. Mir gefällt ohnehin der Mix aus billigem knallbunten SF-Trash kombiniert mit satirischem Humor ausgesprochen gut.Mystery Science Theater 3000ist ein gutes Beispiel, wo dieser Mix funktioniert. Und natürlich darf die beste deutsche Science-Fiction-TV-Serie aller Zeiten hier nicht unerwähnt bleiben:Ijon Tichy, der Held des Kosmos! Basierend auf den Geschichten des SF-Urgesteins Stanislaw Lem.  Diese Episoden sind herrlich verrückt, skurril, ineinander verwoben und optisch einfach grenzgenial. Wenn Ijon Tichy mit einem Besen als Steuerknüppel in einem Raumschiff, das innen wie eine Altbauwohnung aussieht, durchs All düst, auf der Suche nach dem Eierplaneten Eggman, könnte ich mich totlachen. Noch dazu, wenn er sich dabei Wortduelle mit seiner Analogen Halluzinelle liefert, einem Hologramm, das er erfunden hat, damit es sein Raumschiff putzt. Und wer Nora Tschirner kennt, weiß, dass sie das nicht macht.  Beim Stichwort Science-Fiction und Humor darf aber eine Figur nicht unerwähnt bleiben. Ein Außerirdischer, der mit seiner vorlauten und respektlosen Klappe meine Teenagerjahre bereichert hat. Die Rede ist von dem knapp einen Meter großen, rotbraunen, pelzigen ALF, der so gerne Katzen frisst und vom Planeten Melmac stammt. Ich selbst habe ja auch fünf Katzen zu Hause. Trotzdem dürfte ALF jederzeit auf meinem Garagendach landen.Null Problemo!

Bleiben wir noch kurz bei TV-Serien. Ich bin ein besonderer Fan der Serie Lost, die mit insgesamt sechs Staffeln trotz mystischer Elemente im weitesten Sinne auch zur Science-Fiction zählt, schon allein deshalb, weil die Insel – Achtung Spoiler – durch Raum und Zeit reist. Die Story stammt übrigens von J. J. Abrams, der zwei ausgezeichneteStar-Trek-Prequels mit einem jungen Captain Kirk gedreht hat.  Damit schließt sich der Kreis, und es endet wie es begonnen hat, mit Captain Kirk, dem besten Kommandanten der Raumflotte.

Und was bleibt mir am Schluss noch zu sagen? Captain Kirk, ALF und ich wünschen Ihnen viel Spaß mit den folgenden dreizehn Science-Fiction-Geschichten.

Ihr Andreas Gruber

Sieben Ampullen

Ich bin davon überzeugt, dass viele Autoren in der Hölle brennen werden. Warum? Schriftsteller sind nun mal geisteskrank. Sie erfinden Dinge, die schrecklich und abartig sind. Ich nehme mich da nicht aus. Auch in den Storys dieser Sammlung schreibe ich über einige dieser Themen – wie zum Beispiel jetzt.  Die ersten fünf Seiten dieser Story entstanden übrigens in der Steiermark, bei einem Schreibworkshop, bei dem siebzehn Autorinnen und Autoren von Andreas Findig und Leo Lukas im Rahmen einer mehrtägigen Autorenschmiede unterrichtet wurden. Einer dieser Teilnehmer war u.a. Michael Marcus Thurner, der mittlerweile erfolgreicher Perry-Rhodan-Autor ist und selbst Workshops hält. Zuvor hatte ich bereits in Wolfenbüttel in Norddeutschland einen dreitägigen Schreibworkshop von Andreas Eschbach und Klaus N. Frick besucht. Diese Treffen waren immer sehr fruchtbar, und ich erinnere mich gern an diese Zeit.  Jedenfalls wollte ich die Story gleich mit einem starken Opener eröffnen. Ohne Aufwärmphase.  Schnallen Sie sich an!

Doktor Kamal Ahmed legte den Kopf schief und lauschte. »Kleines, bist du oben?«  Keine Antwort. In dem Einfamilienhaus im Örtchen Griesach, wenige Kilometer südlich von Wien, blieb es still. Warum musste es heute sein, am zweiten Sonntag im Juni? Ausgerechnet am Vatertag! Aber er hatte keine andere Wahl, er musste es hinter sich bringen. Kamal stieg die Treppe zur Dachbodenkammer hinauf und öffnete die Tür.   »Hallo, Papa.« Sandra sah nicht auf. Sie saß vor dem gekippten Fenster, über den Schreibtisch gebeugt und kritzelte in ein Heft.   Die Vorhänge wiegten sich im Wind. Mehrere Stofftiere saßen auf der Fensterbank und blickten mit schwarzen Knopfaugen in den Raum. Kamal legte den Aluminiumkoffer auf das Bett seiner Tochter, lockerte den Krawattenknoten und atmete tief aus. Er schob das Sakko zur Seite und zog die Waffe aus dem Hosenbund.   Kamal nagte an der Unterlippe. »Machst du Schulaufgaben, Kleines?« Er versuchte, so belanglos wie möglich zu klingen.   »Mhm«, murmelte sie.Hoffentlich dreht sie sich nicht um.Er hätte seiner Tochter nicht in die Augen sehen können. Zum Glück reagierte Sandra nicht. Wie immer, wenn sie Hausaufgaben machte, war sie in ihre Arbeit vertieft.  Stumm saßen Hase, Esel und Puh der Bär auf dem Fensterbrett – Stofftiere aus ihrer Kindheit, von denen sie sich nicht trennen konnte. Kamal legte den Finger auf den Abzug. Schwer lag die Automatik in seiner Hand. Beinahe hätte er vergessen, den Schalldämpfer zu montieren. Marlene bereitete in der Küche das Mittagessen zu. Sie hätte den Schuss gehört und wäre augenblicklich auf den Dachboden gestürzt. Solche plumpen Fehler würden ihm nicht noch einmal passieren.Aber die Vorratskammer! Verdammt!Marlene war ja in der Küche. Hoffentlich blickte sie nicht in die Kammer. Egal, er durfte nicht daran denken.Konzentrier dich! Du musst dich beeilen.Kamals Arm zitterte. Er trat von hinten an Sandra heran und legte ihr die Hand auf die Schulter. Die blonden Strähnen des Mädchens leuchteten in der Mittagssonne. Er roch das Haarshampoo, die Hautcreme und den Hauch des Parfums – das Mädchenparfum einer Vierzehnjährigen.   »Ich liebe dich, meine Kleine.«   »Papa, was …?«   Er hielt ihr den Lauf an den Hinterkopf, schloss die Augen und drückte ab. Der Rückstoß riss ihm die Hand zur Seite, der Schädel des Mädchens schnellte nach vorne und krachte auf die Schreibtischplatte. Gott! Überall Blut. Graue und rote Masse klebte auf dem Fenster und lief am Rahmen herunter. Er durfte nicht darüber nachdenken, was er getan hatte, sondern musste rasch handeln.   Kamal zerrte Sandras Leichnam unter den Achseln vom Stuhl und legte ihn bäuchlings auf den Boden. Er kauerte sich über sie, riss ihr die Bluse und die Shorts vom Leib und entblößte ihren Rücken und den Po. Die Haut schimmerte weiß, der Körper war noch warm. Er durfte keine Zeit verlieren, sonst war Sandra für immer verloren.   Kamal ließ den Koffer aufschnappen, griff nach der Ampulle und jagte seiner Tochter die Nadel in die Halsschlagader. Langsam füllte sich die Kammer mit 250ml dunkelroter Flüssigkeit. Mit den Stahlklammern öffnete er Sandras Rücken und legte ihre Wirbelsäule frei. Er platzierte die Biosonde am dritten Halswirbel, wie er es gelernt hatte. Die Maschine schnurrte wie der Flügelschlag einer Libelle, bohrte sich in den Knochen und entnahm eine Probe des Rückenmarks.   »Herr im Himmel, Kamal! Was zum Teufel tust du hier?«   Kamal schreckte hoch.   Marlene stand im Türrahmen, die Küchenschürze umgebunden, den Kochlöffel in der Hand. Sie starrte auf den geöffneten Koffer. Ein halbes Dutzend roter Ampullen sowie mechanisch klickende und pulsierende Sonden lagen aufgereiht in den Fächern. Eine einzige Ampulle war noch leer. Diese hatte er sich bis zum Schluss aufgehoben. Eilig ließ Kamal den Koffer zuschnappen. Seine Hände waren blutbesudelt. Auch der Anzug, die Krawatte und das weiße Hemd waren befleckt. Er stand inmitten einer Lache, die sich rasch ausbreitete und vom Teppich aufgesogen wurde. Sandras Kopf lag flach auf dem Boden. Zu flach! Ihr Gesicht fehlte. Das hätte Marlene nicht sehen dürfen … noch nicht.   »Schließ die Tür!«, befahl er ihr.   Die Tür blieb offen, Marlene taumelte in die Mitte des Zimmers. Als sie den verstümmelten Leichnam ihrer Tochter sah, fiel der Kochlöffel zu Boden. Sie riss die Hände hoch und kreischte auf.   Kamal blieb ruhig. Natürlich hatte er diese Reaktion erwartet. Nach vierzehn Ehejahren rottete man nicht einfach seine gesamte Familie innerhalb eines einzigen Vormittages aus.  »Marlene, Schatz. Ich …« Er merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten.Verdammt!Dabei hatte er sich geschworen, die Sache ohne Emotionen durchzuziehen.  Seine Frau schnappte nach Luft. »Warstdudas?«, presste sie hervor.  »Ich kann dir jetzt nicht erklären, was hier geschieht, vielleicht in ein paar Wochen. Jedenfalls ist es gut so, wie es ist. Vertraue mir.«   »Was heißt in ein paar Wochen?«, kreischte sie. »Bist du verrückt?« Sie verstummte, als die Polizeisirene im Vorgarten schrillte.   Kamal blickte kurz zum Fenster. Autoreifen knirschten im Kies vor dem Haus. Die verdammten Nachbarn konnten unmöglich das Blut am Fenster entdeckt haben.   »Marlene, ich liebe dich.«   Langsam hob er die Waffe.

Alexander Brenner sprang aus dem Wagen. Der Motor lief noch. Er ließ die Tür offen stehen und sprintete über den Kiesweg zur Hausmauer. Im Laufen zog er die Waffe aus dem Schulterholster und klemmte sich das Headset ins Ohr. Augenblicklich hörte er die Stimme des Einsatzleiters des Kobra-Teams, das er zur Verstärkung aus Wien angefordert hatte.  »Gruppe Eins am Hintereingang postiert. Gruppe Zwei am Gartenzaun des linken Nachbarn postiert. Warten auf Kommando!«   »Bringen Sie die Familien in Sicherheit. Die sollen in die Häuser gehen.« Keuchend lehnte sich Kommissar Brenner an die Hausmauer. Während seiner dreißig Dienstjahre bei der Kripo hatte er es erst einmal mit einem betrunkenen Amokläufer zu tun gehabt, der bei einem Dorffest mit einem Gewehr wild um sich geschossen hatte. Aber das lag schon mehr als zehn Jahre zurück. Doch dieser Fall ließ sich mit nichts vergleichen.  Neben Brenner führten zwei Stufen zum Haupteingang, einer massiven Holztür mit Glaseinlegearbeiten und einem Blumenkranz unter dem Türspion. Auf der Schwelle lag ein Fußabstreicher:Willkommen zu Hause.Er verzog das Gesicht. Dies war bei Gott kein willkommen heißender Ort.  Die Mittagssonne knallte herunter und wurde von der weißen Fassade reflektiert. Brenner stand der Schweiß auf der Stirn. Er blinzelte zum Dienstwagen. Sein Kollege Gunther saß im Auto. Er redete hastig in das Sprechfunkgerät. Brenner bedeutete ihm mit einer Handbewegung, den Wagen vor die Garage des Einfamilienhauses zu fahren. Das Tor stand offen, in der Garage sah er die Motorhaube eines schwarzen Audis. Gunther beendete das Gespräch, rutschte auf den Fahrersitz, lenkte den Dienstwagen herum und versperrte einen möglichen Fluchtweg. Danach winkte Brenner seinen Kollegen zur Hausmauer. Geduckt lief Gunther über den Rasen. Dabei machte er eine sportliche Figur.Kunststück!Gunther war auch zwanzig Jahre jünger als Brenner.  Brenner entsicherte die Waffe und atmete tief durch. Dr. Kamal Ahmed saß in der Falle. Das Haus war umstellt, das sechsköpfige Kobra-Team wartete an der Rückseite, jede Fluchtmöglichkeit war versperrt. Umso wichtiger war es, dass Brenner alles über seine Zielperson wusste, um jeden ihrer Schritte so gut wie möglich vorauszuahnen.  Brenner rief sich das Dossier in Erinnerung, das er vor wenigen Stunden von der Ärztekammer gefaxt bekommen hatte. Doktor Ahmed war vor zwanzig Jahren als junger Student aus dem Iran geflohen. Sein Vater war Ägypter, seine Mutter stammte aus dem Iran. Kamal hatte sein Studium an der veterinärmedizinischen Universität in Wien beendet, geheiratet, eine Familie gegründet, zwei Kinder in die Welt gesetzt und in dem kleinen Örtchen Griesach seine Praxis als Tierarzt eröffnet. Auf dem Foto wirkte er sympathisch: Er hatte dichtes schwarzes Haar, eine hohe Stirn und einen krausen Vollbart. Ein wenig erinnerte er ihn an Salman Rushdie, nur war Kamal Ahmed jünger und schlanker. Er wurde als charmanter Arzt beschrieben, der sich für jeden seiner kleinen Patienten Zeit nahm, egal ob Meerschweinchen oder Rottweiler, und nie laut wurde, pünktlich seine Einkommenssteuererklärung einreichte und stets einen Parkschein für sein Auto löste. Genaudaswaren die Leute, die Amok liefen und grundlos die gesamte Verwandtschaft abschlachteten. Dabei hätte dies ein ruhiges Wochenende werden können. Nur ein einziges Mal wollte Brenner den Vatertag in Ruhe genießen, den Holzkohlegrill im Garten anwerfen, Steaks essen und anschließend die selbst gebastelten Geschenke seiner mittlerweile fast erwachsenen Kinder auspacken. Die Hektik hatte damit begonnen, dass heute Vormittag am anderen Ende von Griesach ein älteres Ehepaar Schüsse aus dem Nachbarhaus gehört hatte. Zehn Minuten später war die Kripo ausgerückt.  Brenner und seine Kollegen hatten die Haustür aufgebrochen und drei Leichen entdeckt. Zwei in der Küche, eine im Kinderzimmer. Marlene Ahmeds Schwester und deren Mann. Ihr Sohn lag auf dem Bett im Kinderzimmer. Alle hatten eine Kugel im Kopf, einen Einstich in der Halsschlagader und ein mit Schneidewerkzeugen verstümmeltes Rückgrat. An zwei Stellen: der Halswirbelsäule und dem Steißbein. Die Tat eines Wahnsinnigen!   Die Nachbarn hatten einen schwarzen Audi beobachtet, der über die Wiese gerast war und das Grundstück verlassen hatte. Doktor Ahmeds Wagen. Die Spurensicherung hatte ganze Arbeit geleistet. Binnen kürzester Zeit stand fest: Die Fingerabdrücke im getrockneten Blut der Leichen waren die des iranischen Doktors. Eine DNS-Analyse der Haare und des Speichels am Tatort konnte man sich sparen. Hier gab es nicht viel aufzuklären, von Indizienbeweisen konnte längst nicht mehr die Rede sein. Die Fahndung ging um 11.30 Uhr raus.   Während Brenner zu Doktor Ahmeds Haus gefahren war, hatte Ahmeds Nachbarin auf dem Kommissariat angerufen und berichtet, dass sie einen Mord durchs Kinderzimmerfenster beobachtet hatte. Anscheinend riss der Amoklauf nicht ab.   Nun blickten sich Brenner und sein Kollege an. Beide trugen eine kugelsichere Kevlarweste, und auch Gunther hatte seine Waffe entsichert.   Der Kommissar nickte. »Wir gehen jetzt rein!«, sprach er in das Mikrofon des Headsets.   »Bestätige. Wir kommen durch den Hintereingang«, erklang die knackende Stimme des Kobra-Einsatzleiters in Brenners Headset.   Eigentlich hätte die Kobra ein zweites Team schicken sollen, doch das war erst im Anmarsch. Und die Zeit drängte!  Brenner legte die Hand auf die Türklinke.Versperrt.Gunther deutete fragend zu dem Dietrich-Set an seinem Gürtel, doch Brenner schüttelte den Kopf.Keine Zeit, formte er tonlos mit den Lippen.  Er ging einen Schritt zurück, feuerte zweimal auf das Schloss und trat die Tür ein. Immerhin war Gefahr im Verzug. Gunther gab ihm Feuerschutz. Geduckt liefen sie durch den Flur. Es roch nach Karotten und gekochten Kartoffeln. In der Küche blubberte es in den Töpfen.   Das Kobra-Team war schon längst im Haus. Die Männer trugen Visierhelme, Stiefel und schwarze Anzüge, sie waren mit Tränengasgranaten und Sturmgewehren bewaffnet. Rote Laserpunkte huschten über die Wände. Die Männer verständigten sich mit Handzeichen. Brenner begriff nur die Hälfte davon. Hintereinander sicherten sie die Räume. Das dreiköpfige Einsatzteam stürmte über die Treppe in den ersten Stock. Gunther folgte ihnen.

Kamal stand auf dem Dachboden und zielte mit dem Lauf der Waffe auf seine Frau. »Wenn alles klappt«, flüsterte er, »sehen wir uns wieder, wenn das hier vorüber ist.« Er wischte sich mit dem Handrücken über den kurz gestutzten Bart.  Sie riss die Augen auf. »Nein!«   Kamal drückte ab. Der Pistole entfuhr ein dumpfes Ploppen. Marlenes Kopf schnellte nach hinten. Ihr Körper stürzte zu Boden. Kamal beugte sich über sie, rammte ihr die Nadel in die Halsschlagader und wartete, bis sich die Ampulle gefüllt hatte. Der Schwall versiegte, das Herz erstarb. Kamal verstaute das Gefäß im Aluminiumkoffer. Danach montierte er die Fräse und drei Stahlklammern auf dem Rücken der Frau. Seine Hände waren glitschig, eine Stahlklammer schnellte ihm aus der Hand und klimperte über den Boden.   »Verflucht!«   Hastig montierte er die Klammern ein weiteres Mal. Fieberhaft arbeitete er und platzierte die Biosonden am dritten Halswirbel und am Steißbein. Die Decodierung begann. Binnen Sekunden entschlüsselten sich die komplexen Stränge der DNS. Kamal lehnte sich zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Vermutlich hinterließ er dunkle Schlieren, die wie Striemen wirkten. Aber die waren seine geringsten Sorgen. Da hörte er zwei Schüsse aus dem unteren Stockwerk. Er hob den Kopf und lauschte. Die Eingangstür wurde aufgebrochen. Stiefel trampelten durchs Haus. Er griff nach der Waffe.

Brenner war im unteren Stockwerk geblieben. Mit einem flauen Gefühl im Magen blickte er um den Türrahmen in die Küche. Der Anblick von heute Vormittag saß ihm noch in den Knochen, als er im Haus von Marlene Ahmeds Schwester die zwei verstümmelten Leichen auf dem blutverschmierten Fliesenboden entdeckt hatte. In den Lachen waren Schuhabdrücke, und auf dem Küchenschrank war sogar der Abdruck einer Hand zu sehen gewesen. Doch diesmal fand er nichts Außergewöhnliches in der Küche. In den Töpfen brodelte das Mittagessen. Messer, Schneidbretter, Karotten, Tomaten, Zwiebeln und ein halbes Dutzend Lammkoteletts lagen auf der Küchenablage. Das Vatertagsessen!  Brenner lief durch die Küche und schaltete den Herd ab. Dann blickte er zu einer braunen Falttür aus Linoleum. Befand sich eine Speisekammer dahinter? Er legte die Hand auf den Griff, in der anderen hielt er die Waffe im Anschlag. Blitzschnell öffnete er die Tür, die wie eine Ziehharmonika zusammenklappte. Ein Mensch stürzte ihm entgegen. Brenner machte einen Satz zurück. Mit beiden Händen umklammerte er die Pistole und zielte auf den Rumpf. Fast wäre seine Waffe losgegangen.Mein Gott, meine Nerven!Es war der Körper eines Jungen, kaum sechs Jahre alt. Er krachte vor ihm auf den Boden, mit einem Einschussloch im Hinterkopf. Vom Gesicht war nicht mehr viel übrig. Brenner würgte.Himmel!Der Rücken des Jungen war entlang der Wirbelsäule mit Werkzeugen freigelegt worden, als wollte jemand die einzelnen Wirbel herausoperieren.Nicht schon wieder dieser Anblick!Diesmal war es ein noch jüngeres Kind. Es musste Bernhard sein, Kamals Sohn. Brenner hob den Blick zur Decke. Magensäure stieg ihm die Speiseröhre hoch. Wer war in der Lage, ein solches Verbrechen zu begehen?Dr. Kamal Ahmed, dieser Bastard!An seinem eigenen Sohn! Im Gegensatz zu Gunther hatte Brenner nichts gegen Migranten. Immerhin war er mit einer Slowakin verheiratet. Aber wenn Gunther dieses Blutbad erst mal zu Gesicht bekam, würde sich sein Fremdenhass dramatisch verschlimmern.Scheiße!  Auf eine gute Partnerschaft!   Als Brenner noch einmal in die Kammer sah, bemerkte er hinter der Leiche des Buben noch etwas. Ein zusammengekauertes schwarz weißes Fellbündel. Ein vielleicht zwei Jahre alter Bobtail. Brenner stieg über die Leiche des Jungen und stupste das Tier mit der Schuhspitze an. Keine Reaktion! Das Fell am Rücken des Tieres war kahl rasiert und die Wirbelsäule wie bei dem Jungen freigelegt und verstümmelt worden.   Brenner schluckte. »An das Kobra-Team«, murmelte er in das Headset. »Mit Sicherheit ist er noch im Haus.«   »Wie kommen Sie darauf?«   »Ich weiß es.« Brenner blickte auf den Jungen. Die Wunden glänzten feucht, sie waren erst wenige Minuten alt.

Mit einem Mal begann die Luft neben Kamal zu flimmern und grünfarben zu schillern. Es knisterte und knackte. Eine hochgewachsene Gestalt materialisierte sich mitten im Zimmer. Kamal blickte nicht hin. Stattdessen kniff er die Augen zusammen und starrte konzentriert durch den Türspalt ins Treppenhaus. Jeden Moment würden die Polizisten auf den Dachboden stürmen. Er musste sich beeilen.  »Kamal, du steckst ganz schön in der Scheiße!«, bemerkte die Gestalt mit ruhiger Stimme.   »Schnauze!« Kamal blickte über die Schulter zu dem Hologramm. Danach blinzelte er zu der Biosonde. Die Entschlüsselung der DNS würde nur noch wenige Sekunden dauern.   Das Hologramm bewegte sich auf Kamal zu. »Denkbar ungünstig, hier zu hocken und zu warten, bis die Männer ins Haus eindringen.«   »Die sind schon im Haus.«   »Dann solltest du umso schneller …«   »Sari, du störst!«, fuhr Kamal das Hologramm an.   »Oh, verzeih, ich wollte dich nur daran erinnern, dass …«   »Sari! Wenn du keine konkreten Vorschläge hast, verschwinde von hier! Ich muss mich konzentrieren.«   »Bin schon weg.« Das Hologramm verzog das Gesicht. Gleichgültig zuckte es mit den Schultern. »Viel Spaß mit deinen Freunden. Drei kommen übrigens gerade die Treppe hoch, sie sind bewaffnet. Wenn du es schaffst, sehen wir uns in knapp vierzig Minuten wieder. Viel Glück!«Ja, viel Glück, dachte Kamal zynisch.  Das Hologramm löste sich auf. Im gleichen Moment piepten die Biosonden. Kamal riss die Geräte von Marlenes Wirbelsäule und verstaute sie im Aluminiumkoffer. Das Set war nun vollständig. Jeweils sieben Ampullen mit roter und doppelt so viele Sonden mit weißer Flüssigkeit klemmten in den Fächern. Die Gefäße waren mit den Namensetiketten der Ermordeten beklebt. Ansonsten würde Sari die Ampullen vertauschen. Zerstreut genug war er manchmal. Nicht auszudenken, was dabei herauskommen würde.   Kamal ließ den Koffer zuschnappen. Es war an der Zeit von hier zu verschwinden!   »Waffe fallen lassen! Hände über den Kopf! Gesicht zur Wand!«   Zwei Beamte in schwarzen Kampfanzügen stürzten mit erhobenem Sturmgewehr ins Zimmer. Einer stolperte beinahe über Marlenes Leiche.   Demjenigen, der gesprochen hatte, schoss Kamal als erstes in den rechten Oberarm. Das Projektil durchschlug den Anzug wie Butter und blieb in der Wand stecken. Den Zweiten verwundete er direkt neben der Kevlarweste an der Schulter und am Knie. Beide ließen das Gewehr fallen. Einer sackte zu Boden, der andere stolperte rücklings aus dem Zimmer.   »Verstärkung!«, rief ein Dritter in das Headset. Er stand vor dem Zimmer im Flur und verschanzte sich hinter der Mauer. »Die Zielperson ist oben. Zwei Beamte sind angeschossen!«   Kamal hatte keine Patrone mehr im Magazin. Er ließ die Waffe fallen, umklammerte den Aluminiumkoffer und stürzte zum Fenster. Statt es zu öffnen, schwang er kurzerhand den Koffer ins Fenster und zerschmetterte das Glas mitsamt dem Holzkreuz.   »Sie können nicht fliehen«, keuchte der Kobrabeamte auf dem Boden. Er presste sich die flache Hand auf die Schulterwunde.  Kamal wandte sich um und musterte den Beamten. »Sie verstehen nicht. Ichmussweg von hier. Sie werden alle sterben.«  Er stieg auf das Fensterbrett, Hase, Esel und Puh der Bär purzelten zur Seite. Kamal presste sich den Koffer vor die Brust und sprang.   Kamals Sakko flatterte hoch, der Wind fuhr ihm durchs Haar. Im nächsten Augenblick landete er auf dem Wellblechdach der Garage. Der Aufprall drückte ihm die Luft aus der Lunge. Wie eine Katze rollte er sich ab, schlitterte über die Regenrinne und stürzte über den Rand des Garagendaches. Er krachte einen Meter vor der Motorhaube seines schwarzen Audis zu Boden. Eine Staubwolke wirbelte um ihn herum auf. Kamal hustete und spuckte einen Kieselstein aus. Ächzend wälzte er sich herum, rappelte sich auf und hob den Koffer hoch. Hatten die Ampullen den Aufprall heil überstanden? Hoffentlich hatte Sari das Kofferinnere mit einer massiven Dämmschicht gesichert und nicht bloß mit billigem Material gepolstert.   Kamal humpelte in die Garage, warf den Koffer auf den Beifahrersitz und klemmte sich hinters Steuer. Er ließ den Motor aufheulen. Erst jetzt bemerkte er das Dienstfahrzeug der Kripo, das die Garagenausfahrt blockierte.   »Scheiße!« Kamal schlug mit der Faust auf das Lenkrad.   Neben ihm materialisierte sich Sari. Lässig rekelte sich das Hologramm auf dem Beifahrersitz. Es deutete auf das Polizeifahrzeug. »Kaum lässt man dich eine Minute allein, schlitterst du vom Regen in die Traufe. Deine Situation hat sich wahrlich nicht verbessert …«   »Schnauze!«   »Du wiederholst dich.« Sari verzog beleidigt das Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust.   Kamal hörte, wie die Klinke der Eingangstür gegen die Hausmauer knallte. Stiefel trampelten und Funkgeräte knackten. Er hatte seine Galgenfrist mehr als aufgebraucht. Kamal legte den Rückwärtsgang ein, ließ den Motor aufheulen und nahm den Fuß leicht von der Kupplung. Die Räder radierten im Stand über den Beton.   Entsetzt blickte Sari über die Schulter zur Heckscheibe. »Du willst doch nicht etwa …?«   »Hast du einen besseren Vorschlag?«, fauchte Kamal das Hologramm an.   Sari schluckte. »Also ehrlich, ich meine ja nur …«   Kamal ließ die Kupplung schnippen. Der Wagen preschte zurück und krachte mit dem Heck durch die Holzwand der Garage. Holz- und Glassplitter regneten auf das Wagendach. Sari kreischte auf.   »Hör auf zu schreien, du bist nur ein Hologramm«, rief Kamal.   Er steuerte den Wagen im Rückwärtsgang vollends durch die Garage, über die Wiese hinter dem Haus und durch den Lattenzaun auf das angrenzende Grundstück. Im Planschbecken auf dem Rasen war niemand. Nur eine gelbe Plastikente schwamm darin. Die Nachbarn standen auf der Veranda und starrten sie mit weit aufgerissenen Augen an. Hinter ihnen verbargen sich ihre Kinder. Offensichtlich hatten die Kobrabeamten Kamals Nachbarn vor dem Zugriff in ihre Häuser gebeten.   Allerdings jagte ihr Dobermann kläffend über die Wiese. Kamal kannte das Tier. Ein beißwütiger Bastard. Kamal trat aufs Gaspedal. Schließlich landeten sie auf dem Feldweg, der hinter der Wohnsiedlung an den Einfamilienhäusern vorbei führte.   Kamal trat auf die Bremse, sodass der Wagen herumschlitterte. Eine Staubwolke nebelte das Auto ein. Er gab Gas und jagte den Audi den Weg entlang. Im Rückspiegel sah er, wie die Kobrabeamten über die Wiese liefen, die Gewehre anlegten und zielten. Doch niemand schoss. Der Dobermann hetzte dem Wagen hinterher, bis er im Rückspiegel nicht mehr zu sehen war. Kamal atmete erleichtert aus. Möglicherweise hatte ihm der Hund das Leben gerettet.   Sari ließ die Schultern sinken. »Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.« Das Hologramm bewegte den Kopf von links nach rechts, sodass die virtuellen Wirbel knackten. »Ich glaube, ich habe ein Schleudertrauma.«   Kamal schüttelte den Kopf. »Du bist ein richtiger Jammerlappen. Ich sollte dich umprogrammieren.«  »So wie du Auto fährst, ist es ein Wunder, wenn ich überhaupt lebend ankomme.« Plötzlich verfinsterte sich Saris Miene. »Aproposankommen! Wie lange denkst du, wirst du zum Treffpunkt brauchen?«  Kamal trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Er jagte den Audi in eine enge Rechtskurve. »Weshalb fragst du?«   »Weil du in die falsche Richtung fährst! Und dir bleiben nur noch dreißig Minuten!«   »Ist das wieder einer deiner Scherze?«   »Ich mache keine Scherze.« Sari deutete durch die Windschutzscheibe auf die Straße. »Das ist definitiv die falsche Richtung!«   Kamal trat auf die Bremse, der Wagen schleuderte im Halbkreis über den Weg.  »Oh, oh, oooh!« Sari hielt sich am Sicherheitsbügel fest.  Erdkrumen spritzen davon, Steine knallten gegen die Bodenplatte des Wagens.  »Was heißt hierfalsche Richtung?«, brüllte Kamal.  »Heute Morgen wurden die Koordinaten geändert«, muckste Sari kleinlaut. »Hast du deine Combox nicht abgerufen?«  »Nein! Heute Morgen nicht!«, fauchte Kamal. »Ich war mit anderen Dingen beschäftigt! Ihr habt mir nur einen Tag Zeit gelassen, meine Sachen zu regeln. Unddiese Lösungist mir nicht leicht gefallen!« Kamal ballte die blutverschmierten Hände zu Fäusten.  »Okay, okay, okay.« Beschwichtigend hob Sari die Hand. »Einen Moment.« Er fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und zauberte eine dreidimensionale, bunt schillernde Landkarte auf die Windschutzscheibe.  »Wir sindhier.« Er deutete auf einen blinkenden roten Punkt. »Undhierist der Treffpunkt. Du hast noch exakt neunundzwanzig Minuten Zeit.«  »Ihr habt den Treffpunktdorthinverlegt! Seid ihr wahnsinnig?«  »Der alte Treffpunkt war nicht sicher.«   »Scheiße! Das sind an die zwanzig Kilometer. Das schaffe ich nie! Die haben mittlerweile sicher Polizeisperren errichtet.«   Sari griff nach dem Sicherheitsgurt. »Dann tritt aufs Gas! Der Transporter wartet nicht ewig auf dich.«

Kamal jagte den Audi über die Landstraße. Sari klammerte sich am Haltegriff fest. Mit einer gespielten Geste tat er so, als blickte er auf eine Armbanduhr, die er aber nicht trug. »Zz, zz, zz.« Er schnalzte mit der Zunge. Schließlich deutete er auf den Koffer, auf dem er saß. »Hast du eigentlich alles erledigt?«  »Ja«, murrte Kamal.   »Alle Daten?«   »Ja.«   »Hast du auch das Rückenmark am Steißbein nicht vergessen?«   »Nein.«   »Haben die Sonden die Decodierung abgeschlossen und …?«   »Sari! Du nervst!«   Wieder blickte Sari auf das Handgelenk. »Jetzt wäre es ohnehin zu spät. Beil dich«, murmelte er leise.   Kamal drückte das Gaspedal bis zur Bodenplatte durch. Die Tachonadel zuckte bei 140 Stundenkilometern. So schnell war er noch nie über diese Landstraße gedonnert – nicht einmal, als die trächtige Kuh des Bauern im Sterben gelegen hatte. Zum Glück gab es keinen Gegenverkehr.   Sari trommelte mit den Fingern auf den Aluminiumkoffer. »Wie viele Samples sind es denn?«   »Sieben.«   »Aha.« Sari überlegte. »Mehr wolltest du nicht mitnehmen?«  Kamal verzog das Gesicht. »Für mehr war kein Platz im Koffer! Du sagtest doch, ich dürfte nureinenKoffer mitnehmen.«  »Ja, richtig.« Sari schlug sich mit der Hand auf die Stirn. »Ich vergesse immer wieder, du bist nur Beta Klasse und darfst bloß ein Gepäckstück mit nach Hause nehmen.« Sari grinste schadenfroh.   Plötzlich erstarrten sie.   Ein Gewitter rollte über sie hinweg. Sari beugte sich nach vorne und blickte durch die Windschutzscheibe zum Himmel.   »Oh, oh!« Er hielt den Atem an.   »Was?«   »Hubschrauber«, sagte Sari.   Da sahen sie die Rotorblätter des Polizeihelikopters, der über sie hinweg knatterte.

Alexander Brenner sprang aus dem Helikopter, zog den Kopf ein und lief zur Wagenkolonne, die quer über die Landstraße stand. Hinter den Motorhauben kauerten die Scharfschützen des zweiten Kobra-Teams, das die Zentrale hergeschickt hatte.  »Wer hat hier das Kommando?«, rief er gegen den Lärm des Hubschraubers, der sich senkrecht in den Himmel schraubte.   Einer der Männer hob die Hand.   Brenner lief auf ihn zu. »Okay, er ist auf dem Weg hierher.« Er kniff die Augen zusammen und starrte die lange Straße entlang, die hinter einer Baumgruppe am Horizont verschwand. Brenner standen die Schweißflecken unter den Achseln. Die Mittagssonne knallte unbarmherzig herunter, und die aufgestaute Hitze flimmerte über dem Asphalt.   »Ich bekomme dich, du Hundesohn!«, murmelte er zu sich selbst. Acht Opfer gingen mittlerweile auf das Konto des Arztes: sechs Familienmitglieder und zwei verletzte Kobrabeamte. Neun, wenn man den Hund dazu rechnete. Das reichte für einen Vormittag. Es war an der Zeit, dass die Amokfahrt beendet wurde. Die Scharfschützen hatten einen klaren Befehl: Doktor Ahmed zu stoppen!   Brenners Funkgerät knackte. Der Hubschrauberpilot war nur schwer zu verstehen.   »Die Zielperson fährt einen schwarzen Audi. Der Wagen kommt direkt auf Sie zu.«   »In Ordnung«, brüllte Brenner in das Gerät. »Wie weit ist er noch entfernt?«   »Drei Kilometer.«   »Danke. Aus und Ende.« Brenner legte das Funkgerät auf die Motorhaube. Er blickte zum Himmel. Am Horizont sah er den Schemen des Helikopters, der in einer engen Schleife wendete. Augenblicke später wurde das Knattern der Rotorblätter wieder lauter.Perfekt!Gleich war es soweit. Ein zweites Mal würde ihm der Bastard nicht entkommen. Diesmal saß er in der Falle. Brenner nickte dem Einsatzleiter zu. Dieser wandte sich an seine Scharfschützen und gab ihnen ein Zeichen.  Stumm legten die Männer die Gewehre an.

Der Hubschrauber drehte ab und verschwand. Kamal sah ihm nach, dann starrte er wieder auf die Straße. In wenigen Minuten würde er den Treffpunkt erreicht haben.  Kamal blinzelte. »Was ist dort vorne?« Am Ende der Straße zeichneten sich einige Schatten ab.   Sari kniff die Augen zusammen. Seine Pupillen veränderten sich, als zoomte er den Horizont heran. »Vier Polizeiautos. Sie stehen quer über die Straße.«   »Was erkennst du noch?«   »Ein Dutzend Polizisten, mit Visierhelmen und Gewehren. Die sehen nicht gerade freundlich aus. Soweit ich das erkennen kann, sind …«   Der Audi holperte über ein neu asphaltiertes Straßenstück.   »Halt den Wagen ruhig!«, schnauzte Sari. Er justierte seinen Blick von Neuem. »So viel ich erkenne, sind die Waffen entsichert. Die erwarten dich bereits.«   »Eine Straßensperre, Scheiße!«   »Was hast du erwartet? Einen freundlichen Empfang mit Kaffee und Kuchen, nach dem, was du heute Vormittag angerichtet hast?«   Kamal trat das Gaspedal durch. Der Motor heulte auf.   Sari schluckte. »Was hast du vor?«   »Mitten durch«, antwortete Kamal. »Oder hast du eine bessere Idee?«   »Nein … allerdings auch keine Schlechtere.« Sari verzog traurig das Gesicht.   Rasch näherten sie sich der Polizeisperre. Jetzt konnte auch Kamal die Autos erkennen. Das Straßenstück vor ihm flimmerte in der Sonne. Kamal beugte sich hinunter, öffnete das Handschuhfach und kramte zwischen den Papieren herum.   »Ziemlich spät, um nach deinem Testament zu suchen«, murrte Sari.   »Sehr witzig!« Kamal fischte einen Schraubenzieher aus dem Fach.   »Was hast du vor?«