Apokalypse Für Einsteiger - Julian Birkner - E-Book

Apokalypse Für Einsteiger E-Book

Julian Birkner

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Beschreibung

Emma ist gestresst. Nicht nur der Job im Supermarkt geht ihr auf den Zeiger, auch steht plötzlich ihr Ex Tom in der Tür und wirbelt ihr Gefühlsleben ordentlich durcheinander. Und als wäre das noch nicht genug, bahnt sich eine Katastrophe biblischen Ausmaßes an und ausgerechnet Emma soll den ganzen Mist aufhalten. Während sie versucht ihre große Liebe Tom zurückzugewinnen und dabei von einem Fettnäpfchen ins nächste schlittert, lassen die ersten Ausläufer der Apokalypse nicht lange auf sich warten. Mit nichts als ihren High-Heels bewaffnet, stellt sie sich zusammen mit ihrer besten Freundin Lina, ihrer durchgeknallten Nachbarin Kikumi und einem tollpatschigen Labrador dem aussichtslosen Kampf entgegen …

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Seitenzahl: 415

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Ähnliche


Apokalypse für Einsteiger
Über den Autor
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53

Julian Birkner

Apokalypse für Einsteiger

Wie man in High-Heels die Welt rettet

Humor

XOXO Verlag

Über den Autor

Julian Birkner wurde am 29. Juli 1983 in Bayreuth geboren. Nach dem Literaturstudium absolvierte er in Berlin die Schauspielschule. Nach mehreren erfolgreichen Jahren als Schauspieler in Berlin, Potsdam und Magdeburg, wo er unter anderem als Prinz von Homburg zu sehen war, hing er die Schauspielkarriere an den Nagel und arbeitete als Marktleiter in einem Supermarkt. Hier ist auch die Idee für seinen ersten Roman entstanden: Eine Kassiererin, die die Welt retten muss.

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://www.d-nb.deabrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-141-2

E-Book-ISBN: 978-3-96752-641-7

Copyright (2020) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter, XOXO Verlag

unter Verwendung der Bilder:

Stockfoto-Nummer: 120393655, 384052714, 1246877911

von www.shutterstock.com

Buchsatz: Grit Richter, XOXO Verlag

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Kapitel 1

Eigentlich sollte es mich ja nicht wundern, dass ich mal wieder Hals über Kopf in der Scheiße steckte. Es war typisch für mich, dass die halbe Welt sauer auf mich war, weil ich wieder einmal Mist gebaut hatte. Meine Mutter pflegte in solchen Momenten gerne ihren Lieblingssatz zu zitieren: »Na ja, sie war als Kind schon schwer.« Ich war daran gewöhnt, dass meine gelegentlichen Ausraster mich in Schwierigkeiten brachten. Neu war hingegen, dass ich auf dem Polizeirevier in Handschellen saß. Und noch neuer, dass der Grund dafür so verrückt war, dass ich kein einziges Wort herausbrachte. Wenn meine Mutter noch leben würde, müsste ich mir jetzt einiges anhören …

»Okay …! Ich versuche es ein letztes Mal im Guten!« Mit Daumen und Mittelfinger massierte sich der Polizist die Schläfen, als wolle er den letzten Rest Geduld aus sich herausdrücken. Er atmete tief ein, fuhr sich entnervt durch seine dunklen, kurzen Haare und presste dann mit strenger Stimme zwischen den Lippen hervor: »Was ist da vorhin geschehen? Wieso liegt der komplette Marktplatz in Trümmern?«

Wortlos starrte ich auf meine Hände. Die Handschellen rieben an den Gelenken und hinterließen hässliche Spuren auf meiner Haut. Ich versuchte meine Nase zu kratzen, die schon seit geraumer Zeit wie verrückt juckte, aber durch die eingeschränkte Beweglichkeit sah das vermutlich genauso bescheuert aus, wie es sich anfühlte. Ich fröstelte. In diesem Polizeirevier war es eisig. Passte zumindest zu dem kalten Blick meines Peinigers. Fieberhaft dachte ich nach, wie ich aus dieser beschissenen Situation nur herauskam. Leider weigerte sich mein Gehirn mit einer brauchbaren Idee herauszurücken.

»Also?«, fragte der Polizist mit Nachdruck.

»Ich …« Mehr brachte ich nicht zustande. Es war sinnlos.

Was sollte ich ihm sagen? Die Wahrheit? Dann könnte ich auch gleich nach dem Formular für die Einweisung in die geschlossene Anstalt fragen.

»Also …«, startete ich vorsichtig. »Ich will Ihnen das ja alles auch erklären und mir ist bewusst, dass ich ein riesiges Chaos angerichtet habe, aber … ich kann nicht …«

Das Blitzen in den Augen des Polizisten verriet mir, dass seine Geduld am Ende war. Er knallte mit der Faust auf den Tisch! »Hören Sie, Frau Schwarz! Sie sagen mir jetzt auf der Stelle was ich wissen will, ansonsten stecke ich Sie in eine Zelle und wir unterhalten uns morgen früh weiter!«

»Okay … !« Ich versuchte meine stetig wachsende Panik irgendwie im Zaum zu halten. Er durfte mich auf keinen Fall einsperren. Dann wäre die Katastrophe perfekt. Falls sie das nicht schon war.

»Wieso sind Sie so gehetzt?«, fragte der Polizist und musterte mein Gesicht.

»Ich … muss unbedingt noch eine Sache zu Ende bringen.«

»Aha und was soll das für eine Sache sein?«

Ähm … Die Welt vor dem Untergang retten.

Das wäre zumindest die ehrliche Antwort gewesen, aber irgendwie zweifelte ich, dass es in diesem Fall die beste Option war.

»Das kann ich Ihnen auch nicht sagen.«, nuschelte ich und fürchtete einen weiteren Wutausbruch des Gesetzeshüters, jedoch sah er mich nur prüfend an und schüttelte dann frustriert den Kopf. Als er sich nach vorne beugte, um sich wieder eine Tasse Kaffee einzugießen, konnte ich zum ersten Mal sein Namensschild lesen: Herr Schulze! Hm, irgendwie hatte ich mir einen spektakuläreren Namen vorgestellt! Etwas das zu seinem kalten, verhärmten Gesicht passte und eher wie ein zwielichtiger Bulle klang. Vielleicht irgendwas Russisches … Aber »Herr Schulze« war lahm … »Diese Sache, die Sie noch erledigen wollen, wird warten müssen!«, erklärte er nun wieder in einem ruhigeren Ton und goss sich Milch in die Tasse.

Klar! Wenn ich mal ganz lieb frage, wird die Apokalypse bestimmt ein oder zwei Stündchen auf mich warten …

»Ich hoffe Sie haben eine gute Erklärung, denn die Presse sitzt mir schon im Nacken und befürchtet, dass dies ein weiterer Terroranschlag war! Sie haben ein Motorrad geklaut, die örtliche Klöppelgruppe beim Jahresausflug überfahren, einen Dackel vergiftet und fünf Marktstände zerlegt. Wie haben Sie das nur hinbekommen?«

»Ich war als Kind schon schwer …«

»Frau Schwarz. Tun Sie sich einen Gefallen und reden Sie. Desto schneller sind Sie hier raus …«

»Ich HABE aber keine Erklärung, die in ein paar Minuten alle Fragen beantwortet.«, rief ich verzweifelt.

»Gut, dann sehe ich nur eine Möglichkeit. Sie erzählen mir ALLES haarklein von Anfang an und lassen kein einziges, winziges Detail aus und wenn ich mit den Antworten zufrieden bin, dann lasse ich Sie vielleicht, aber auch wirklich nur vielleicht, diese eine Sache erledigen. Sollte ich jedoch das Gefühl haben, das Sie mich anlügen oder für dumm verkaufen wollen, dann brechen wir diese Unterhaltung ab und Sie landen in der nächstbesten Zelle! Haben wir uns verstanden?«

»In Ordnung! Ich rede … Aber das wird eine lange Geschichte!«, seufzte ich.

»Nun ich habe die ganze Nacht Zeit!«, erklärte Herr Schulze ruhig.

Na wenigstens einer von uns.

Ich spürte wie die Hoffnungslosigkeit immer mehr Besitz von mir ergriff. Die Situation war ausweglos und es war allein meine Schuld. Ich hatte viel zu spät begriffen in welcher Gefahr wir schwebten. Ich hatte verloren, bevor ich richtig kämpfen konnte. Wieso nur hatte ich Luca nicht früher geglaubt? Es hatte so viele Zeichen gegeben … so viele Menschen, die auf meiner Seite waren … Und ich blöde Kuh war viel zu sehr auf mich und meine Probleme fokussiert gewesen um zu sehen, was ich damit alles anrichte …

Ich fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. Mein Make-Up war eh schon so verschmiert durch den Regen, das mir jede Vogelscheuche hätte Schminktipps geben können … Und schlimmer als die Situation jetzt war, konnte sie ohnehin nicht werden. Luca war entführt worden, jeder der mir etwas bedeutete war weg, ich hatte keine Ahnung wie ich die Katastrophe verhindern konnte und zu allem Überfluss saß ich hier auf der Polizeistation fest und musste Herrn Schulze dabei zusehen wie er genüsslich an seinem Kaffee schlürfte, während die Welt vor ihrem Untergang stand. Ich wollte diesen Typen nur noch packen und so lange schütteln bis er den Wetterkanal aus Bielefeld empfing. Er raffte es einfach nicht. Er hatte keine Ahnung wie viele Menschen in Gefahr waren … Und ich würde die nächsten Stunden nichts tun können, als meine Geschichte zu erzählen …

Ich, Emma Schwarz, 34, aus Bottrop, war die Einzige, die die Welt retten konnte? Alles klar! Die Welt war sowas von geliefert …

Kapitel 2

Alles begann mit einem ziemlich normalen Arbeitstag! Es war Montag, meine Motivation noch im Wochenende und mein Körper sehnte sich zurück ins Bett. »Schichten sollten niemals um 6 Uhr beginnen«, murmelte ich unzufrieden und schlurfte den langen und engen Gang zu den Personalräumen entlang, um mir für die anstehende Schicht meinen weißen Kittel anzuziehen, damit wir alle hier im Supermarkt gleich bescheuert aussahen.

»Au!« Der plötzliche, dumpfe Schmerz raubte mir fast die Besinnung als ich mit meinem Fuß an etwas sehr Hartes stieß! »Oh Mann! Welcher Vollidiot stellt hier denn einfach etwas in den Weg?« Ich begutachtete die schmerzende Stelle, aber es schien nichts kaputt zu sein. Zumindest nicht kaputt genug um der Chefin sagen zu können, dass ich nach diesem schmerzhaften Unfall sofort wieder ins Bett müsse! Die Kollegin, die sich lustlos vor mir durch den Gang schob und die sich natürlich nicht den Fuß gestoßen hatte, drehte sich gelangweilt um und sagte monoton: »Ach so Vorsicht! Da liegt der Stand für die Promotion heute!«

Super! Danke, aber die Warnung hätte ein mir kleeeeines bisschen früher doch wesentlich mehr Freude bereitet als jetzt.

Grummelnd humpelte ich den Gang weiter! Promotion war meist eine super Sache! Ein übermotivierter Mitarbeiter stand irgendwo mit seinem viel zu großen Stand in unserem kleinen Laden und ließ die Kunden irgendetwas probieren, das entweder ziemlich lecker oder ziemlich grausig schmeckte. Es war ein bisschen wie nach einer Folge Game of Thrones! Man wusste nie, ob man danach jubeln oder aus vollem Herzen weinen würde! Aber alles in Allem war es eine willkommene Abwechslung von dem schnöden immer gleichen Tagesablauf.

»Was ist es denn diesmal?«, fragte ich neugierig! »Vielleicht mal Schokolade oder Kuchen? Ich finde nämlich, dass kommt viel zu selten vor!« Die Kollegin stapfte gelangweilt weiter. »Nee, ist diesmal Fisch!«

FISCH??? Unwillkürlich stellte ich mir einen Hamburger Fischverkäufer vor, der mir einen toten Karpfen unter die Nase hielt und mit großen Zahnlücken und wilden Augen rief: »Mal abbeißen?«

Ich schüttelte den Gedanken ab und zog mich um. Mein Fuß schmerzte noch immer und der Tag war jetzt schon ein Arschloch! Ich kannte solche Montage. Wenn eine Woche so anfing, dann war das meist ein Zeichen dafür, dass es noch viel schlimmer werden würde … Das ich aber schon Tage später gegen den drohenden Weltuntergang kämpfen würde, nun ja, das war dann doch nicht abzusehen …

Einige Stunden später, meine Motivation hatte mir inzwischen eine SMS gesendet und mir mit Bedauern mitgeteilt, dass sie es heute leider nicht mehr schaffen werde auf Arbeit vorbeizuschauen, entdeckte ich den Stand fertig aufgebaut neben unserer Fischtheke und eine sehr große (1.95 m??) blonde Frau winkte mich freudestrahlend zu sich heran. Gutgelaunte Menschen hatten es eh schwer bei mir, aber gutgelaunte Menschen vor 10 Uhr konnte ich auf den Tod nicht ausstehen!

»Du musst auch probieren! Das ist ganz neu!«

»Aha!«, sagte ich vorsichtig. »Was ist das denn überhaupt?«

»Trockenfisch!«, bekam ich als Antwort! Ich blickte auf den Stand! Ausgebreitet lagen da verschiedene Sorten von etwas, das aussah als wäre es gerade gestorben und dann in tausend Stücke zerhackt worden. Leider roch es auch so. Meine Lust dieses Zeug zu probieren war in etwa so stark wie das Bedürfnis einen Marathon vom Frühlingsfest der Volksmusik anzusehen oder mich von einem tollwütigen Hamster beißen zu lassen!

Plötzlich hielt mir die blonde Promoterin das Tablett mitten unter die Nase!

»Also eigentlich muss ich jetzt ja arbeiten!«, stammelte ich vorsichtig. Blondchen wirkte nicht überzeugt!

»Aber das kannst du dir nicht entgehen lassen! Das ist eine Geschmacksexplosion im Mund!«

Ja, genau das befürchte ich ja eben!

»Frau Schwarz, ich brauche mal eben ihre Hilfe!«, hörte ich eine Kollegin rufen und sah das enttäuschte Gesicht der Promoterin!

DANKE! DANKE! DANKE! Es gibt doch einen Gott! Ich muss das Zeug nicht probieren und ich verspreche ich gehe am Sonntag in die Kirche.

»Oh hat sich erledigt, Frau Schwarz! Ich brauche Sie doch nicht!« Das Gesicht von Blondchen hellte sich schlagartig wieder auf!

Das mit der Kirche kannst du da oben mal schön vergessen!!

»Hör mal, du musst doch schließlich wissen, was du verkaufst!«

Oh so ein Mist! Jetzt hat sie auch noch Argumente!

Sie hielt mir einen Fetzen Trockenfisch unter die Nase und allein der Geruch brachte mich fast zum Würgen. Und ich war ein Mensch, der viel aushalten konnte. Aber das fühlte sich an wie Folter. Ob die Menschen in den Kriegsgebieten auch mit Trockenfisch gefoltert wurden?

»Hier ist extra ein großes Stück, damit du auch was schmeckst!«

»Oh, danke... Das ist ja lieb!«

Fuck, das Ding ist wirklich groß. Okay, Emma, du schaffst das! Augen zu und durch!

Ich stopfte mir den Klumpen Trockenfisch in den Mund und fing an zu kauen.

Es schmeckt bestimmt wie Hühnchen... Bitte lass es nach Hühnchen schmecken.

Ich kaute ein paar Sekunden vorsichtig auf dem harten Stück Fisch herum und merkte erstmal gar nichts. Langsam begann ich mich zu entspannen. Doch dann entfaltete der Trockenfisch sein Aroma. Der Geschmack bahnte sich unbarmherzig und grausam einen Weg durch meine gesamten Geschmacksnerven.

Das schmeckt definitiv nicht nach Hühnchen.

Tränen schossen mir in die Augen! Das war das Grauenhafteste, was ich jemals gegessen hatte!

»Und?« Voller Vorfreude und Enthusiasmus strahlte mich Blondchen an!

Oh mein Gott! Es schmeckt als hätte mir eine Gelbflossenflunder direkt ins Gesicht gekotzt!

»Ich kann da gar nicht viel zu sagen!«, stammelte ich vorsichtig! Und das war nicht mal gelogen, denn ich musste mich richtig konzentrieren, um den Würgereiz aktiv zu unterdrücken. Ich versuchte immer wieder zu kauen, aber gegen diesen fiesen Geschmack schien ich nicht anzukommen. Ich wollte das Ding nur noch loswerden. Ich wälzte es mit der Zunge von der einen Seite auf die andere. Jedoch schien es in meinem Mund nur immer mehr zu werden!

»Ach weißt du, ich mache ja öfter mal Promotion!«, sprudelte Blondchen energiegeladen weiter, ohne zu merken welche Kämpfe ich gerade ausstand.

»Bestimmt ein- oder zweimal die Woche«

Hilfe! Mach, dass es aufhört!

»Und meistens ist es ja recht langweilig.«

Ich werde diesen Geschmack noch Wochen auf der Zunge haben, oder?

»Aber diesmal bin ich von dem Produkt echt begeistert!«

Ob ich mir gleich die Zähne putze?

»Und das mit dem Trockenfisch ist echt etwas Neues!«

Zahnbürsten haben wir ja im Laden …

»Und die Leute reagieren da auch ganz unterschiedlich«

Dann muss ich mir aber auch Zahnpasta holen …

»In dem Job erlebt man so viel«

Ich nahm alle Kraft zusammen und...

Schluckte... Es war überstanden! So mussten sich die alten Griechen nach einer gewonnen Schlacht fühlen. Na ja, mit weniger Fischgeschmack im Mund wahrscheinlich …

Das Leben kann so schön sein. Jetzt nur noch weg hier!

Ich wollte mich gerade abwenden, als mich Blondchen am Arm festhielt!

»Du hast ja die anderen Sorten überhaupt nicht probiert!« Enttäuscht und traurig sah sie mich an. Als ich in ihre blauen Augen sah, spürte ich tief in mir eine Stimme, die mich fragte: »Bringst du es echt übers Herz sie zu enttäuschen?«

Ja, das kriege ich hin!

»Ich muss leider weiterarbeiten. Sonst komm ich zu gar nichts mehr!«, sagte ich entschuldigend.

»Dann nimm wenigstens noch ein paar Proben für deine Kollegen mit, die heute nicht da sind!«

Hm, wenn ich möchte, dass sie fristlos kündigen...

Ich packte die Proben ein und war überglücklich, dass Blondchen kurz danach den Laden verließ. Ich sollte noch Tage später einen seltsamen Geschmack auf der Zunge haben …

Kapitel 3

Ich hatte jedoch keine Zeit lange über den Trockenfisch nachzudenken. Genauso erbarmungslos wie der grauenvolle Geschmack holte mich nämlich der Stress und der Zeitdruck ein. Ich freute mich so auf den Feierabend, aber die Liste der Aufgaben, die ich bis dahin noch zu erledigen hatte, war immens lang. Was man in so einem Moment übrigens gar nicht gebrauchen kann sind Kunden. Unzufriedene, stets nörgelnde und immer alles besserwissende Kunden … Und die alten Damen sind da immer eine besondere Freude …

»Wo steht der Zucker?«

»Hinter Ihnen!«

»Der stand aber letztes Mal noch da hinten bei den Brötchen!«

»Nein, der stand schon immer hier beim Mehl!«

»Doch ich bin mir sicher, dass Sie wieder umgeräumt haben! Sie räumen ja ständig um …«

»Wir haben das letzte Mal vor 4 Jahren umgeräumt. Seitdem steht er hier beim Mehl.«

»Nein, das glaube ich Ihnen nicht. Letzte Woche stand der noch da hinten! Sie räumen hier nur immer um, um die Kunden zu verwirren. Eine ganz üble Masche ist das.«

»Ich versichere Ihnen, der Zucker stand letzte Woche genau da, wo er jetzt auch steht!«

»Dieses ständige Umräumen ist eine Zumutung. Sagen Sie das mal Ihrem Chef!«

AHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH! Nimm deinen scheiß Zucker und geh endlich!

»Ja, das werde Ihm ausrichten …«

Wenn man solche Gespräche 5 bis 10 Mal am Tag führt, dann beginnt man Kunden allmählich zu verabscheuen. Diese nervigen Knalltüten, die einem mit dem Einkaufswagen den Weg versperren und daran hindern, pünktlich mit der Arbeit fertigzuwerden.

Der nächste Kandidat, der mich anspricht, der bekommt so dermaßen …

Und plötzlich sah ich ihn wieder. Er stand bei der Margarine und musterte die unterschiedlichen Sorten. Einer unserer Stammkunden hier, aber ich kannte seinen Namen nicht. Er blickte kurz in meine Richtung und sein braunes Haar fiel in sein Gesicht. Er strich sich die Strähne aus dem Gesicht und winkte mir freundlich lächelnd zu. Sofort machte mein Herz einen Hüpfer. Ich kannte diesen Mann nur vom Sehen und wir hatten noch nie ein Wort miteinander gewechselt, aber seine freundliche Art und sein magisches Lächeln, machten mich jedes Mal sprachlos. Abgesehen davon war er der perfekte Kunde. Er stand nie im Weg, war stets höflich und war praktisch wie ein Geist: Nicht vorhanden, aber brachte Umsatz. Und das Beste: Er trug keinen Ehering am Finger. Das hatte ich schon bei der zweiten Begegnung mit ihm gecheckt. Trotzdem kamen wir nie ins Gespräch … Kein Wunder bei dem Kittel, den ich tragen musste. Ich hätte genauso gut ein Schild hochhalten können auf dem steht: »Achtung! Ich bin eine frigide Jungfer. Bitte sprechen Sie mich nicht an!« Ich hätte diesen Mann ewig beobachten können. Er war groß gewachsen, hatte einen sexy Drei-Tage-Bart und einen Hintern, in den man einfach nur reinkneifen wollte. Wenn er nicht den ersten Schritt machte, dann musste ich das tun.

Was hatte ich zu verlieren? Meinen Stolz, meine Achtung vor mir selbst, meine Würde …

Was konnte schon Schlimmes passieren wenn ich ihn nach einem Date fragen würde? Er könnte vor Lachen zu Boden gehen und ersticken oder Panik bekommen und bei der Flucht draußen vor einen Bus laufen …

Was sollte mich davon abhalten jetzt einfach auf ihn zuzugehen und ihn anzusprechen? Ein Blick nach unten auf meinen Kittel und die Antwort war klar …

Die Fakten lagen klar auf dem Tisch. Das da drüben war ein Traumtyp, der es nicht nötig hatte jemanden anzusprechen und ich eine feige Nullnummer gekleidet in einen Kartoffelsack. Wir würden also in 10 Jahren noch genau an derselben Stelle stehen. Er vor der Margarine und ich bei der Milch, um sie einzuräumen …

Plötzlich packte mich die Wut. Ich war eine selbstbewusste, emanzipierte Frau. Ich wusste was ich wollte und war noch nie auf den Mund gefallen. Wieso hatte ich solche Angst ihn anzusprechen? Scheiß drauf, ich mach das jetzt einfach …

Ich näherte mich ihm, setzte meinen sexy Blick auf und …

»Entschuldigung, Sie sehen so verloren aus. Kann ich Ihnen behilflich sein?«

Moment mal! Das ist nicht meine Stimme!

Eine Kollegin hatte sich ihm von der anderen Seite genähert und hatte nun seine volle Aufmerksamkeit.

Susanne …

Die konnte ich noch nie leiden. Sie warf sich jedem gutaussehenden Kunden an den Hals und sah zu allem Überfluss auch noch verdammt gut aus. Sogar der Kittel schien ihr zu stehen und ihre Kurven zu betonen. Mit einem triumphierenden »Der gehört mir!«-Lächeln nahm sie den Margarine-Traumtypen sanft am Arm und säuselte: »Ich zeige Ihnen noch die besonders günstigen Angebote hier drüben!«

ARGHHH! Du blödes Miststück! Ich mach Kleinholz aus dir …

Aber ehe der Margarine-Traumtyp etwas sagen konnte, hatte sie ihn schon von mir weggeführt und ich stand wie bestellt und nicht abgeholt neben meiner Milch …

Stolz und Würde verloren? Check

Wie eine Vollidiotin dastehen? Check

Lust haben, nun weiter zu arbeiten? ERROR

Enttäuscht und übellaunig ging ich in die Hocke und stopfte die Milch weiter ins Regal, mit einer Heftigkeit die das ganze Kühlregal zittern ließ. Susanne würde noch ihr blaues Wunder erleben. Der würde ich so die Meinung geigen, dass sie nicht mehr wissen würde, ob sie Männlein oder Weiblein war …

Ich spürte, wie mich ein Finger auf der Schulter antippte, fuhr herum und rief eine Spur zu heftig: »Was ist?«

Als ich jedoch sah wer mich da angetippt hatte, war die Wut verflogen. Ein kleiner Junge um die 5 oder 6 Jahre stand schüchtern hinter mir und blickte mich verängstigt aus großen Kulleraugen an …

Oh ich liebe Kinder.

Ich drehte mich zu ihm um und sagte in sanfterem Ton: »Wie kann die Tante dir denn helfen?«

Mit Kindern kann ich super.

Der Junge sah mich irritiert an und trat dann nervös von einem Fuß auf den Anderen.

»Ich habe dich gesucht.«, murmelte er.

Und Kinder lieben mich.

»Na nun hast du mich gefunden. Was möchtest du denn?«

Der Junge musterte mich genau. Seine dunkelblaue Mütze hatte er tief ins Gesicht gezogen.

»Meine Mama ist hübscher als du.«

Okay vielleicht nicht alle Kinder.

»Aber kann deine Mama auch das hier?« Ich warf ein Päckchen Milch in die Luft um sie lässig mit der anderen Hand hinter meinem Rücken zu fangen. Nun so war der Plan. Die Milch sah das anders und landete mit einem lauten Klatschen auf dem Boden und ergoss sich in alle Richtungen.

»Das mach ich später weg«, nuschelte ich.

»Du bist komisch.«, sagte der Junge tonlos.

Gut vielleicht konnte ich doch nicht so gut mit Kindern …

»Du musst mir helfen, Frau Schwarz!«, flüsterte er kaum hörbar … »Es wird etwas Schlimmes passieren …«

Ich spürte einen leichten Anflug von Gänsehaut.

»Woher kennst du eigentlich meinen Namen?«

Der Junge ignorierte meine Frage und sah stattdessen traurig zu Boden. »Es wird bald ganz finster …«

»Ähm, brauchst du eine Taschenlampe.«

Der Junge schüttelte den Kopf.

»Oder Batterien?«

»Nein.«

»Wie haben auch Akkus.«

»Frau Schwarz, du musst die Welt retten!«

Eine Sekunde lang sah ich den Jungen entgeistert an und dann bekam ich so einen Lachflash, dass ich mich am Regal festhalten musste um nicht umzukippen.

»Du bist ja der Hammer, Kleiner!«, lachte ich lautstark auf. »Das hat mir jetzt echt den Tag gerettet. Knaller!« Ich bekam kaum Luft und mein Bauch schmerzte bereits durch den Lachanfall. »Ja wenn ich fertig bin mit der Milch, werde ich noch schnell die Welt retten.«

Verwirrt sah mich der Junge an. »Aber das ist doch gar nicht lustig. Das ist ernst. Du musst mir helfen …«

»Hör mal, kleiner Mann!«, erklärte ich ruhig, als der Lachkrampf endlich nachließ und ich mir die letzten Tränen aus den Augen gewischt hatte. »Ich finde das ja super, das du mit mir Superheld spielen willst, aber ich denke du solltest das mit deinen Eltern spielen … Ich habe auch noch eine Menge zu tun: Milch und Eier auffüllen, das Lager aufräumen und meine Kasse abrechnen. Die Welt retten steht da nicht auf meiner Liste.«

Ich spürte wie sich Panik in ihm breit machte. Offenbar nahm er das alles viel zu ernst. »Aber … aber … BITTE … Du MUSST mir helfen. Sonst …« Er packte mich am Arm und rüttelte daran so heftig, dass ich das Gleichgewicht verlor und unsanft auf meinem Allerwertesten landete. Natürlich voll in der Milch, die ausgelaufen war.

»Jetzt ist aber genug!«, rief ich unwirsch. Mein Kittel war klatschnass. »Ich werde weder heute noch morgen die Welt retten. Für so ein blödes Spiel bin ich die Falsche. Also geh zurück zu deinen Eltern und fall denen auf die Nerven!«

Update: Mit Kindern kann ich doch nicht gut …

Geschockt durch meine laute Ansage, blickte mich der Junge aus seinen großen, grünen Augen an und als sie sich mit Tränen füllten, tat es mir leid so hart gewesen zu sein. Sein Blick war so verzweifelt, dass es mir bis unter die Haut ging.

Ich bin sogar richtig scheiße darin.

»Aber du bist doch die Einzige, die das kann … Und wenn du es nicht willst, dann …« Er schlug die Hände vors Gesicht und rannte davon. Für eine Sekunde überlegte ich ihm hinterherzugehen. Als mich dann noch eine Kundin vorwurfsvoll und verächtlich ansah und den Kopf schüttelte, fühlte ich mich vollkommen schlecht.

Einen kleinen Jungen zum Weinen gebracht? Check

Sich fühlen wie der unsensibelste Mensch auf Erden? Check

Gleich den Feierabend genießen können? Error

Missmutig begann ich die Milch aufzuwischen und während ich Susanne um die Ecke biegen sah, die triumphierend die Telefonnummer von dem Margarine-Traumtypen in die Höhe reckte, fragte ich mich wie viel schlimmer der Tag noch werden konnte …

Kapitel 4

»Ah …! Das ist genau das, was ich jetzt brauche!« Zufrieden grinste Lina mich an.

»Was?«, entgegnete ich schnippisch. »In einer überfüllten S-Bahn zu stehen mit verschwitzten Menschen, denen jeglicher Sinn für Mode fehlt? Das brauchst du jetzt? Steht auf meiner To-do-Liste nicht sehr weit oben!« Und mit einem abschätzenden und gleichzeitig fasziniertem Seitenblick auf die Dame neben mir, flüsterte ich: »Ich wunder mich immer wieder wieviel Bein in so eine enge Leggins passt …«

Lina knuffte mir in den Arm und schüttelte lachend den Kopf: »Nein du Witzbombe! Ich meine Shopping mit der besten Freundin! Lächle mal, du hast Feierabend?«

»Glaub mir! Nach dem was heute passiert ist hättest du auch schlechte Laune!« Mit Schrecken dachte ich an meinen Arbeitstag zurück. Der Geschmack des Trockenfischs von heute Morgen war immer noch nicht ganz verschwunden und diese Leute in der S-Bahn gaben mir den Rest! Ich beugte mich freundlich lächelnd zu dem jungen Mann neben mir und säuselte: »Entschuldigung! Hätten Sie eventuell ein Deo?«

»Ja klar!« Sofort begann er umständlich in seinem Rucksack zu kramen und fischte ein Deodorant heraus!

»Super«, sagte ich schon weniger freundlich. »Dann benutzen Sie das Ding auch! In Ihrem Rucksack nützt das niemandem!« Anschließend wandte ich mich wieder meiner Freundin zu und überhörte das »Zicke«, das er mir wütend in den Rücken zischte.

Lina packte mich am Arm und zog mich aus der Bahn. »Na wir sind ja heute wieder der Sonnenschein pur! Bewirbst du dich gerade um das Miststück des Monats? Meine Stimme hast du!«

»Er hat gestunken!«, rief ich zu meiner Verteidigung. »Ich habe der Welt einen Gefallen getan.«

»Ich weiß nicht, ob die Welt das auch so sieht.«, seufzte Lina. »Vielleicht brauchst du einfach nur wieder einen Mann an deiner Seite. Du hattest schon ewig keine feste Beziehung mehr …«

»Das hatte ich sehr wohl.«

»Ja? Wen denn?«

»Na zum Beispiel Sven.«

»Du zählst jetzt nicht ernsthaft den Typen dazu, der dich jedes Mal mit: »Hey jo Digga, was geht?« begrüßt hat und dir nach dem Sex immer einen Fist Bump gegeben hat?«

»Er hatte auch seine guten Seiten. Er hat mich zum Essen eingeladen.«

»Einen Döner mitbringen ist nicht zum Essen einladen, Emma.«

»Ach Männer kann man eh alle vergessen …«

»Süße, lass doch endlich die Vergangenheit hinter dir. Suche dir einen süßen Kerl und verliebe dich. Es gibt sie da draußen … Die tollen Männer, die einen auf Händen tragen, in den Schlaf küssen und niedliche Dinge ins Ohr flüstern. Männer, die nur Augen für dich haben und dir das Gefühl geben, du wärst eine Prinzessin …« Lina begann sich mal wieder in einem ihrer Tagträume zu verlieren.

»Wow! Darf ich dir mal eben ins Märchenbuch kotzen?«

»Du bist nur einfach verbittert. Aber dagegen machen wir jetzt etwas. Wir suchen dir einen Kerl!«

»WAS?«

»Gut, was ist mit dem? Der sieht doch ganz nett aus.« Sie deutete unauffällig auf einen jungen Mann rechts von uns.

»Der hat einen Bierbauch …«

»Okay … Hey dieser hier ist niedlich.«

»Der hat ein komisches Gesicht …«

»Hmpf … Aber der da drüben ist nun wirklich süß.«

»Der hat eine komische Hose …«

Lina rollte mit den Augen. »Ach Emma, du bist viel zu sehr aufs Äußere fixiert! Die inneren Werte zählen viel mehr!«

»Du meinst so Sachen wie Cholesterinspiegel?«, grinste ich.

Lina blieb abrupt stehen und hielt mich am Arm fest.

»Was ist los?«

»Sieh dir mal den an! Der ist echt heiß!« Sie zeigte auf einen etwa 25-jährigen jungen Mann in kurzen Jogginghosen, einem lässigen, grauen Shirt, das nur spärlich sein Sixpack bedeckte und dessen lange, blonde Filzzöpfe in sein Gesicht hingen. Innere Werte, alles klar!

Ich blickte ihn abschätzig an! »Auf so etwas stehst du? Die Haare gehen gar nicht!«

Lina zuckte entschuldigend mit den Achseln, konnte ihren Blick aber nicht von ihm wenden.

»Also ich finde, der hat was.«, sagte sie schüchtern.

»Ja, ziemlich sicher!«, pflichtete ich ihr bei. »Läuse!«

»Oah echt, du bist so gemein!« Lina stapfte weiter durch die Fußgängerzone und ich trottete hinterher.

»Hör mal!«, rief ich. »Vergiss den Mist mit der Liebe! Das ist Nonsens. Habe ein bisschen Spaß und genieße was du kriegst!«

Mitfühlend blickte mich Lina an: »Emma! Wie willst du denn so jemals glücklich werden?«

Ich musste laut lachen. »Schätzchen, ich arbeite rund um die Uhr in einem Supermarkt in einem viel zu großen, unvorteilhaften Kittel, der aussagt: »Ich hasse Sex!«, habe eine Freundin, die mir jeden Tag aufs Neue mit ihrem »Ich-suche-die-große-Liebe-Gesülze« auf die Eierstöcke geht und mein Kater hat mir heute Morgen in die High-Heels gekotzt! Ich bin weit davon entfernt glücklich zu sein! Und mir fällt gerade ein, das ich neue Schuhe brauche …«

»Warum sind wir gleich noch mal Freundinnen?«, fragte Lina lachend.

»Weil ich die Einzige bin, die exakt die gleiche Kleidergröße hat und wir so Klamotten tauschen können! Und weil ich noch dein Lieblingstop habe und wer weiß, was für Unfälle passieren können? Rote Lieblingstops gehen verloren … Oder laufen vor ein Auto …«

Lina schüttelte grinsend den Kopf: »Du bist soo bescheuert!«

»Vor allem bin ich überarbeitet …«, seufzte ich.

»Dann lass uns zusammen Urlaub machen oder ein Wochenende im Spa. Du musst mal wieder den Kopf freikriegen. Mit ein bisschen Ruhe wirst du auch wieder gelassener und freundlicher. Du bist nämlich gerade ziemlich leicht reizbar.«

»Bin ich überhaupt nicht.«, zischte ich.

»Ich meine, du musst ja nicht gleich die Welt retten, aber manchmal würde dir ein bisschen Mitgefühl ganz gut tun …«

»Sag mal was habt ihr alle mit dem »Welt retten«?«, fuhr ich Lina eine Spur zu heftig an. »Du bist schon die Zweite, die das heute sagt! Was soll denn dieser Mist? Ist Cannabis inzwischen legal und ich bin einfach bloß die Einzige, die nicht high ist oder was läuft hier? Hab ich was verpasst?«

»Was meinst du denn?«, fragte Lina ratlos.

Ich versuchte mich wieder ein bisschen zu beruhigen und erzählte meiner besten Freundin ausführlich, was heute Morgen geschehen war.

»Der Junge war wirklich davon überzeugt, dass ICH Diejenige bin, die die Welt retten wird!«

»Kinder haben eine blühende Phantasie. Vergiss es einfach. So etwas beschäftigt dich?«

»Nein, das ist Bockmist … Aber du hast sein Gesicht nicht gesehen … Seinen Blick. Der meinte das ernst … Wie kommt der denn ausgerechnet auf mich?«

»Vielleicht siehst du seiner Lieblingsfigur aus dem Fernsehen ähnlich?«

»Ich weiß auch gar nicht, warum mir das so nahe geht! Wenn seine Eltern ihn zu viele Science-Fiction-Filme sehen lassen, dann muss das ja nicht mein Problem sein. Ich brauche sowieso erst einmal neue Klamotten. In den Fetzen kann ich keine Welt retten.«, grinste ich.

»Emma, die große Heldin. Haha, vielleicht kriegst du ja auf diese Weise einen hübschen Kerl. Du könntest ein enges Lederoutfit tragen.«

Ich winkte lachend ab. »Lass mal stecken. Darauf habe ich keinen Bock! Sollen das doch die Männer machen!«

ZACK! Lina hatte mir eine fette Kopfnuss verpasst! »Aua! Spinnst du?«, blaffte ich sie an.

»Du spülst mal eben 100 Jahre Emanzipation im Klo hinunter mit so einer Aussage! Frauen können sehr wohl die Welt retten!«

»So meinte ich das auch nicht!«, zischte ich beleidigt, während ich mir die schmerzende Stelle am Kopf rieb.

»Ich meine nur, dass Männer doch eh meistens ziemlich nutzlos sind. Man kann sie gerade mal für ein paar Dinge benutzen und dazu zähle ich noch nicht mal Sex, denn auch da sind das meistens hoffnungslose Fälle … Drücken hilflos an den Brüsten rum als wollten sie eine Kuh melken und wenn es endlich anfängt interessant zu werden, sind sie fertig …Und wenn sie sonst schon zu nichts zu gebrauchen sind, dann können sie doch wenigstens mal ab und an die Welt retten.«

Lina seufzte, warf mir den Du-bist-ein-hoffnungsloser-Fall-Blick zu und zog mich wieder nach oben!

»Na komm! Lass uns endlich shoppen!«

Ich lächelte sie an. »Alles klar! Es gibt nichts, was ein paar neue Schuhe nicht richten können! Übrigens brauche ich neue High-Heels.« Lina lachte und hakte sich bei mir ein.

Es wurde ein witziger Nachmittag und Lina schaffte es tatsächlich mich den Alltagsfrust vergessen zu lassen. Dann und wann drifteten meine Gedanken allerdings ab und kreisten um den kleinen Jungen. Ich konnte die Panik in seinen Augen nicht vergessen. Ich, ausgerechnet ich, sollte die Welt retten! Vor was denn überhaupt? Und wie?

Nein! Ich würde den Jungen sowieso nie wieder sehen und wenn eines sicher war dann das:

Ich würde garantiert nie gegen irgendeinen seltsamen Weltuntergang kämpfen.

Ich lag sowas von daneben …

Kapitel 5

Der Regen trommelte laut gegen die Fenster, als ich abends die Tür zu meiner Wohnung aufschloss. Das Gewitter hatte uns beim Shoppen überrascht und jetzt stand ich triefend mit den Einkaufstüten im Flur und war froh endlich zuhause zu sein. Wie immer bei meiner Rückkehr kam sofort Artemis angelaufen, maunzte mich zur Begrüßung an und strich um meine Beine. Als er allerdings merkte, dass alles an mir nass und klebrig war, verschwand die Wiedersehensfreude und er nahm erst einmal Sicherheitsabstand. Ich stellte die Tüten ab und begann mich aus den feuchten Klamotten zu schälen und freute mich auf den gemütlichen Jogginganzug. Nicht sehr damenhaft, ich weiß, aber überaus bequem und das war es, was ich jetzt brauchte. Artemis hatte inzwischen die Einkaufstüten entdeckt und beschnupperte eindringlich den Karton mit den neuen High-Heels.

»Wenn du mir die neuen Schuhe auch wieder vollkotzt, dann verkauf ich dich an das peruanische Restaurant um die Ecke! Die waren nämlich echt teuer!«

Eigentlich sogar zu teuer. Mit Grauen dachte ich an meinen Kontostand. Wäre der ein Mensch, würde er wahrscheinlich grad hechelnd am Beatmungsgerät hängen. Aber manche Dinge musste Frau sich eben leisten.

Artemis blickte mich irritiert an und legte den Kopf schief. Wenn er mich so unschuldig ansah, konnte ich eh nicht böse sein. Ich streichelte über sein Köpfchen und versorgte den kleinen Kater erst einmal mit Abendessen, da er sonst sowieso keine Ruhe gab.

Nach ein paar Minuten konnte ich mich endlich auf der Couch niederlassen und ein wenig die Ruhe genießen. Ich dachte an Lina und unseren Nachmittag. Hatte sie Recht? War ich wirklich unleidlich geworden und hatte es nicht einmal gemerkt? Das konnte unmöglich sein! Ich war der Sonnenschein in Person.

Gut, der Postbote, den ich vor ein paar Tagen angeschrien hatte, weil er mir die Vogue total zerknittert geliefert hatte, sah das wahrscheinlich anders …

Oder der Taxifahrer, den ich als »Lappen« bezeichnet habe, weil er bei Rot nicht, wie von mir gewünscht, über die Ampel gebrettert ist …

Oder die Empfangsdame im Fitnessstudio, die ich aus Wut mit Anmeldeformularen beworfen habe, weil sie mir DRINGEND empfohlen hat, etwas gegen mein gebärfreudiges Becken zu tun …

Oder die Politesse, die ich freundlich gebeten habe, sich doch um ihren eigenen Dreck zu kümmern … hm, da könnte bald Post kommen

Oder der Busfahrer, der …

Okay, okay … Mir fielen dann doch einige Beispiele ein. Vielleicht war ich manchmal ein wenig launisch. Aber so war ich nun mal. Wenn mir jemand ans Bein pinkelte, dann pinkelte ich eben zurück. Zugegeben, die Metapher war jetzt ein klein wenig eklig … Wie auch immer: Ich war nicht der Typ Mensch, der sich etwas gefallen ließ und im Leben gab es nichts umsonst. Je näher man Menschen an sich heranließ, umso schneller konnte man verletzt werden. Diese Lektion musste ich auf schmerzhafte Weise lernen …

Das schrille Läuten des Telefons riss mich aus meinen Tagträumen. Gleichgültig ließ ich es klingeln. Ich war zu faul um aufzustehen …

Als der Anrufbeantworter ansprang und ich die Stimme hörte, blieb mir aber fast die Luft weg.

»Hallo Emma … Ich bin’s … Tom … Ähm … Wie geht’s dir so... Ist lange her … Hoffe bei dir ist alles gut … Also ich … Ähm ich wollte dir nur sagen, dass ich wieder in der Stadt bin … Ich bin wieder hergezogen … Hab mich beruflich ein bisschen verändert … Ja und ich ähm … vielleicht könnten wir uns mal treffen und reden … Ist viel passiert … Also ich fände es gut, wenn das klappt … Ich komme morgen mal in dem Laden vorbei … Hoffe du arbeitest noch da … Dann können wir das ja kurz besprechen... Schönen Abend dir …Ciao!«

Paralysiert starrte ich auf das Telefon. Mein Herz pumpte so rasend schnell, dass ich Angst hatte ohnmächtig zu werden. Allein seine Stimme zu hören, brach alles wieder auf.

Tom … Meine große Jugendliebe! Der Dreckskerl hatte mir so wehgetan wie noch kein Mensch je zuvor. Ich habe Monate damit verbracht zu heulen und Jahre damit ihn zu hassen, zu verfluchen und ihm zu wünschen, dass ein Klavier auf ihn fallen würde oder dass er den unwiderstehlichen Drang verspüren würde gegen eine Steinmauer zu laufen oder einen Elektrozaun anzufassen. Immer und immer wieder …

Jetzt hörte ich seine Stimme und ich wünschte mir nichts mehr, als von ihm in die Arme genommen zu werden …

Gott, ich bin so kaputt!!

»Nein Tom!!! Ich lasse nicht mehr zu, dass du solche Macht hast über mich. Ich werde dir morgen so fest in dein blödes, hübsches Gesicht schlagen, das du nicht mehr weißt, wie viele Engelchen gerade um deinen Kopf fliegen.«, schwor ich mir selbst.

Plötzlich hämmerte jemand so laut gegen meine Tür, das ich fast von der Couch flog. Soviel zum Thema: Den Abend ruhig ausklingen lassen … Artemis floh ins Schlafzimmer und verkroch sich unter dem Bett und ich schlich zur Tür. Wieder klopfte jemand energisch.

Hoffentlich kein irrer Killer …

Ich blickte durch den Spion. Na ja das »Killer« konnte ich streichen, das »irre« leider nicht.

Genervt öffnete ich die Tür.

»Kikumi, was ist denn los? Was hämmerst du denn wie wild an meine Tür?«

Meine Nachbarin lächelte mich verklärt an. Sie war schon wieder high. Oder betrunken. Oder Beides …

»Ich habe den Klingelknopf nicht gefunden … Irgendwie ist dieses Mistding auch jedes Mal woanders …«, schimpfte sie murmelnd.

Oh Gott! Bingo! Die hat wieder voll einen sitzen.

»Emma ich muss dir was extreeeem Wichtiges sagen!!«, presste sie zwischen den Lippen hervor, während sie mit einer Hand versuchte sich am Türrahmen festzuhalten.

Das sah so bescheuert aus, dass ich nicht anders konnte als laut zu lachen und schon Sekunden später lachte sie mit.

Irgendwie mochte ich Kikumi. Sie war eine junge, lebensfrohe sehr kleine, zierliche Frau mit einem Herzen aus Gold. Ihr asiatisches Aussehen hatte sie von ihrem Vater, einem Japaner, geerbt. Aber aufgezogen wurde sie von ihrer Mutter hier in Bottrop. Sie sah irgendwie immer wie ein Manga auf Droge aus und ich war mir nicht sicher welche Drogen sie überhaupt alles einwarf. Sie schwor zwar »nur« zu kiffen und dabei ein »wenig« Alkohol zu trinken, aber das war bei ihren geistigen Aussetzern manchmal schwer zu glauben …

»Was musst du mir denn Wichtiges sagen?«, fragte ich noch immer schmunzelnd.

Kikumi machte ein ernstes Gesicht und lallte: »Ich habe es irgendwie vergessen, aber es war sehr wichtig!« Dabei wehte mir eine dezente Alkoholfahne um die Nase, die mich kurz aufstoßen ließ.

»Hast du einen sitzen oder bloß wieder neues Gras ausprobiert um zu sehen wie deine Wohnung mit anderen Farben aussieht?«

Kikumi schickte mir einen bösen Blick und zischte: »Das ist eine üble Verleud … Verleuu … Ich bin nicht IMMER high, okay? Du hast keine Beweise!«

»Süße, du hast keine Hose an!«

Kikumi sah an sich herunter und starrte ihre nackten Beine an …

»OH!!«, rief sie, als würde ihr plötzlich einiges klar werden. »DAS erklärt jetzt einiges … Ich hatte mich schon gewundert wieso das untenrum so luftig und bequem ist. Hatte sogar schon nach dem Kassenzettel gesucht, weil ich mir noch so eine kaufen wollte … Trage ich denn einen Slip?«

Ich HOFFE es, aber ich werde definitiv nicht nachsehen!

»Kikumi!« Langsam verabschiedete sich dann doch die Geduld! »Ich habe morgen Frühschicht und möchte gern ins Bett. Wenn es dir also nichts ausmacht …«

»Was stehst du hier eigentlich im Hausflur rum?«, fragte mich Kikumi irritiert und mit einem: »Komm doch rein!«, schob sie sich an mir vorbei in meine Wohnung!

»Das … ähm … ist meine Wohnung!«, murmelte ich, aber Kikumi hörte es entweder nicht oder ignorierte es gekonnt.

Nachdem sie sich selbst in meine Wohnung eingeladen hatte, ließ sie sich auf die Couch fallen und beobachtete fasziniert den Regen, der gegen mein Fenster prasselte …

»Hast du was zu Trinken da?«

Missmutig stapfte ich zum Kühlschrank, wohlwissend, dass mich da nicht viel erwarten würde.

»Ich habe Johannisbeersirup, ein altes Ginger Ale ohne Kohlensäure und ähm … Senf!«

Kikumi verzog das Gesicht. »Igitt! …Wobei auf Senf hätte ich Bock …«

Jetzt war es an mir das Gesicht zu verziehen, aber ich kannte Kikumi und mich wunderte nichts mehr. Ich stellte ihr das Glas Senf mit einem Löffel hin und sie schnappte es sich sofort.

»Hast du was zu Rauchen da?«

»Ich rauche nicht!«

»Hmmm … Du solltest damit anfangen! Du verpasst was!«

Wieder verzog ich das Gesicht. »Schleimiger Auswurf, Raucherhusten, zittrige Hände und einen langsamen qualvollen Tod durch Lungenkrebs? So verlockend das auch alles sein mag, aber ich passe!«

»Du bist langweilig!«, stellte Kikumi fest und stopfte sich den nächsten Löffel Senf in den Mund.«

Gut. Ich denke damit kann ich leben.

»Dein ganzes Leben ist langweilig. Du arbeitest in einem Supermarkt, rauchst und trinkst nicht und lebst hier allein in der Wohnung. Oh ich vergaß, da gibt es ja noch diese imaginäre Katze!« Bei dem Wort »Katze« nahm Kikumi ihre Hände um Gänsefüßchen darzustellen.

»Wieso denn imaginär?«, seufzte ich.

Kikumi legte sich auf die Couch um es sich bequem zu machen und meine Hoffnung auf eine baldige Verabschiedung von Kikumi verabschiedete sich ihrerseits.

»Weil ich diese »Katze« noch nie gesehen habe!«, stellte Kikumi mit detektivischem Spürsinn fest.

»Kikumi!«, stöhnte ich. »Artemis saß bei dir schon auf dem Schoß! Du hast ihn schon gestreichelt …«

Kikumis prüfender und konzentrierter Blick verriet, dass sie krampfhaft nachdachte.

»Hmm warte … So eine grau getigerte, mit weißem Hals und einem braunen Punkt über dem rechten Auge?«

»Genau die meine ich!«

Kikumi überlegte noch ein paar Sekunden und sagte dann überzeugt: »Nee tut mir leid, die kenne ich nicht!«

»Kikumi, willst du nicht bald wieder nach Hause? Ich muss echt früh raus, also …«

Doch abermals überhörte Kikumi gekonnt den sanften Rauswurf.

»Wie läuft es mit den Männern?«

»Gar nichts läuft!«, gab ich deprimiert zu. »Obwohl.. Na ja … Tom hat sich gerade, bevor du kamst, gemeldet.«

Mit einem plötzlichen Satz sprang Kikumi in die Höhe und fixierte mich.

»Was? Ernsthaft? Tom? Ich glaube es ja nicht. Das ist ja krass! Was will er?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Er hat mir auf den AB gequatscht, dass er mich sehen will und mit mir über alles reden will. Ich weiß grad überhaupt nicht, wie ich da reagieren soll … Ich habe mir das so lange gewünscht, dass er sich meldet und jetzt, als er es endlich tut, da bringt mich das total durcheinander. Ich meine, was er sich damals geleistet hat, ist einfach nicht zu entschuldigen und das kann ich ihm auch niemals verzeihen, aber es ist TOM!«

Kikumi hörte aufmerksam zu und ihre Augen waren weit aufgerissen, als ob sie lange keine so spannende Geschichte mehr gehört hatte und flüsterte ungläubig: »Das haut mich echt um … Nach allem was war … Ruft der einfach an und meldet sich … Tom … Oh Mann …!«

»Du hast keine Ahnung wer Tom ist, oder?«

»Nicht die geringste …« Kikumi ließ sich wieder auf die Couch sinken.

»War mir klar!«, seufzte ich! »Die Gespräche mit dir sind echt hilfreich!«

Artemis wagte sich nun endlich aus dem Schlafzimmer und sprang auf meinen Schoß, um seine allabendlichen Streicheleinheiten einzufordern.

»Oh wie süß! Du hast ja eine Katze!«, rief Kikumi begeistert.

»Also manchmal frage ich mich, was bei dir alles schief gelaufen ist!«, stöhnte ich kopfschüttelnd.

»Das aufzuzählen würde Jahre in Anspruch nehmen!«, antwortete Kikumi belustigt.

Ein ohrenbetäubend lauter Donner riss uns aus unserem Gespräch und Artemis drückte sich zitternd an mich. Der Regen und der Sturm wurden immer intensiver und schienen die Fenster mit all ihrer Kraft einschlagen zu wollen.

»Wow … Es regnet so stark... Man könnte meinen die Welt geht unter!«, flüsterte Kikumi.

Und da war es wieder …

»Dieses Thema lässt mich heute einfach nicht in Ruhe!«, seufzte ich. »Wieso reden alle plötzlich vom Weltuntergang? Das geht mir allmählich echt auf die Nerven!«

Kikumi wandte den Blick zu mir und wirkte für einen Moment erschreckend klar: »Wieso? Hatten auch andere diesen Traum?«

»Was für einen Traum meinst du denn?«, fragte ich zögerlich. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich hören wollte.

Kikumi wurde ganz still … »Na ja … er war ziemlich beängstigend … Es fühlte sich an wie das Ende … Ich bin draußen … Der Boden fängt an zu vibrieren … Ganz leicht … Und wird immer stärker und stärker … Und plötzlich bebt die ganze Erde … Bäume werden entwurzelt, Häuser stürzen ein und dann öffnet sich ein Abgrund vor mir … So groß und tief wie ich es noch nie gesehen habe … Ich habe Angst und will schreien, aber es geht nicht …Und dann höre ich ein Grummeln aus dem Abgrund … Ich spüre das etwas kommt …Etwas Großes!« Kikumi sah mich leichenblass an.

»Was kommt? Was kommt da, Kikumi?«

Kikumis Augen quollen hervor und ängstlich rief sie: »Mein Abendbrot!«

»Was?? Dein Abendbrot kommt?«

»Ja mir ist schlecht! Ich glaub ich muss mal eben in deine Toilette brechen …«

»Hey nein!«, rief ich erschrocken! »Kikumi, du wohnst 2 Meter neben mir, du kannst in deine eigene Toilette brechen!«

»Okay, das klingt fair!«, murmelte Kikumi und hievte sich von der Couch hoch. Ich half ihr schnell ihre eigene Wohnung zu erreichen und verabschiedete mich von ihr.

Ich beobachtete den Regen, dessen Intensität nicht nachzulassen schien. Ich sah den kleinen Jungen wieder vor meinem geistigen Auge, spürte seine Angst und hörte Kikumis Worte in meinem Kopf widerhallen!

Und zum ersten Mal, für einen winzigen Moment, glaubte ich daran …

Kapitel 6

»Ich kann beim besten Willen noch nicht erkennen, wie das zu dem Chaos führt, das sie verursacht haben!« Herr Schulze legte seinen Notizblock beiseite und fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Es war wohl auch für ihn ein langer Tag gewesen.

»Kaffee?«, fragte er und zum ersten Mal verspürte ich einen Anflug für Sympathie für den Polizisten, der mich während der letzten 20 Minuten nur meist böse, zweifelnd oder herablassend angesehen hatte.

»Ja gerne! Danke!«, erwiderte ich zögerlich. »Ja, ich erzähle Ihnen das auch nur, weil es alles relevant ist und ich einfach nichts auslassen möchte. Wenn Sie mich verstehen wollen, dann müssen Sie die ganze Geschichte kennen. Und was mir da passiert ist, lässt sich leider nicht so einfach zusammenfassen …«

Der Wachtmeister musterte mich und stellte mir eine Tasse Kaffee auf den Tisch und obwohl ich schwarzen Kaffee eigentlich verabscheue, so war ich doch für jeden Schluck dankbar und wollte nicht ungenügsam erscheinen, indem ich nach Milch und Zucker fragte.

Wo Luca wohl gerade war? Ob er überhaupt noch lebte? Spielte noch irgendetwas eine Rolle oder war sowieso bereits alles zu spät? Sollte ich Herrn Schulze von der Entführung erzählen? Ich hatte keine Beweise … Nichts. Und selbst wenn ich jetzt freigelassen werden würde, was konnte ich schon tun? Ich hatte keinen Anhaltspunkt, niemand war mehr auf meiner Seite, der mir hätte helfen können. Nein … Meine einzige Möglichkeit bestand darin, dem Polizisten meine Geschichte zu erzählen. Wenn er mir glaubte, dann könnte er mir vielleicht helfen … Dann wäre die Welt vielleicht noch nicht verloren …

Die Tür ging auf und ein junger Polizist knallte einen Bericht auf den Schreibtisch.

»Die Ergebnisse sind da! Sie steht weder unter Drogen- noch unter Alkoholeinfluss!«

Schulterzuckend blickte ich Herrn Schulze an. »Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nüchtern bin und dass das Zeitverschwendung ist. Alles normal bei mir!«

Der Wachtmeister fixierte mich. »VIELLEICHT sind Sie auch nur verrückt und durchgedreht, denn NORMAL sind Sie bestimmt nicht!«

VIELLEICHT trete ich dir unter dem Tisch auch gleich in die Weichteile … Wobei das mit dem Weltretten dann schwieriger werden dürfte …

»Also weiter jetzt!« Mit einer forschen Handbewegung forderte er mich auf mit meiner Geschichte fortzufahren

»Nichts lieber als das!«, antwortete ich seufzend. »Auch der nächste Tag sollte ein paar Überraschungen für mich bereithalten …«

Kapitel 7

Es gibt Momente im Leben, da stimmt einfach alles. Man ist glücklich und zufrieden, hat keinerlei Sorgen und nichts und niemand, der einen nervt. Man könnte ewig so weiterleben … Und dann klingelt der Wecker. Ein Gegenstand erschaffen vom Teufel persönlich, der jedes Mal einen Lachkrampf bekommt, wenn wir uns aus dem Bett quälen. Es gibt ja Menschen, die haben kein Problem damit früh aufzustehen, andererseits gibt es auch Menschen, die kein Problem damit haben aus brennenden Flugzeugen zu springen oder den Musikantenstadl von Anfang bis zum Ende zu sehen. Verrückte gibt’s überall.