Ascendance of a Bookworm: Kein Weg ist zu weit, um Bibliothekarin zu werden – Teil II: Das Tempelmädchen in Ausbildung Band 1 - Miya Kazuki - E-Book

Ascendance of a Bookworm: Kein Weg ist zu weit, um Bibliothekarin zu werden – Teil II: Das Tempelmädchen in Ausbildung Band 1 E-Book

Miya Kazuki

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Beschreibung

Myne hat sich nach ihrer Taufe dazu entschlossen, als Lehrling im Tempel anzufangen. Die Verlockung, eine Bibliothek mit einer schier unendlichen Anzahl an Büchern zum Lesen zur Verfügung zu haben, war einfach zu groß und so lässt sie sich darauf ein.
Die Leseratte hat so lange auf die Möglichkeit gewartet, endlich wieder von Büchern umgeben zu sein, dass sie die Probleme und Anforderungen, die mit dieser Lehre einhergehen, gänzlich außer Acht lässt. Doch die sollen sie noch in echte Schwierigkeiten bringen …

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Seitenzahl: 475

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Farbseiten

Charaktere

Prolog

Die Weihe und die Diener

Die Arbeit eines Tempelmädchens

Andere Kleider, andere Sitten

Das eigentliche Thema

Der Altkleiderladen

Lutz‘ Zorn und Gils Wut

Was ihnen zustand

Zum ersten Mal draußen

Die Ausbildung der Köche

Delias Arbeit

Die Zustände im Waisenhaus

Der Standpunkt des Hohepriesters und mein Entschluss

Geheime Besprechung mit dem Hohepriester

Der Großputz im Waisenhaus

Entwurf für ein neues Produkt

Die Wachstafeln und das Karuta

Die Vorbereitungen auf das Sternenfest

Das Sternenfest

Nach dem Fest

Lutz’ Weg

Lutz’ Flucht

Die Einladung des Hohepriesters

Die Familienkonferenz im Tempel

Epilog

Noch weit entfernt

Die Selbstwahrnehmung eines Dieners

Nachwort

Über JNC Nina

Impressum

Orientierungsmarken

Farbseiten

Inhaltsverzeichnis

Prolog

„Hohepriester, der Bischof ruft Euch.“

„Er hat die Einschüchterung wohl gut verkraftet.“

Als der Hohepriester Ferdinand die Stimme seines Dieners Fran hörte, seufzte er und stand auf. Wäre der Bischof länger im Bett geblieben, wäre er mit seiner Arbeit besser vorangekommen, dachte er und verließ in Begleitung seines Dieners Arno sein Zimmer.

Auf dem Weg zum Bischof bemerkte er die Bibliothek. Gleichzeitig sah er vor seinem geistigen Auge das Gesicht von Myne, einem Kind, das einen Aufstand gemacht hatte, weil es unbedingt Bücher lesen wollte. Das Mädchen hatte ihm in letzter Zeit einige Kopfschmerzen bereitet und war der Grund, warum der Bischof ihn gerufen hatte. Sicher wollte er wissen, wie die Verhandlung mit Myne gelaufen war, und seinem Frust Luft machen. Ferdinand kamen sarkastische Kommentare, die er von sich geben könnte, in den Sinn. So lästig es auch war, er musste dem Bischof, dem höchsten Würdenträger des Tempels, seinen Respekt erweisen. Er rieb sich mit den Fingerspitzen über die Schläfen und versuchte, sein Unbehagen zu unterdrücken.

Viele würden Ferdinand auf fünfundzwanzig, manche vielleicht sogar auf dreißig Jahre schätzen, aber in Wirklichkeit war er erst zwanzig Jahre alt. Ihm fehle die jugendliche Frische, sagte sein Halbbruder oft zu ihm, aber er hielt das für das Ergebnis seiner Lebensumstände.

Im Tempel hatte er eine besondere Stellung inne, denn er war nicht dort aufgewachsen, sondern bis zu seiner Volljährigkeit ein Mitglied der Adelsgesellschaft gewesen. Er war zwar das Kind einer Konkubine, konnte aber mit den grundlegenden magischen Accessoires umgehen, war lernfähig und wurde zum Berater seines Halbbruders erzogen. Mit diesem verstand er sich gut, aber die Mutter seines Halbbruders, die Ehefrau seines Vaters, war von der Idee alles andere als begeistert. Nach dem Tod seines Vaters wurde er zusehends ausgegrenzt. Die machthungrigen Erwachsenen zogen mit ihr an einem Strang, und niemand wollte auf seine leibliche Mutter hören. Als er um seine Sicherheit fürchtete, schlug ihm sein Halbbruder vor, in den Tempel zu gehen.

In der Adelsgesellschaft bedeutete der Eintritt in den Tempel, sich von der Politik fernzuhalten, gleichzeitig war der Tempel aber auch eng mit der Politik verbunden, da dort Magie angewendet und Rituale vollzogen wurden. Außerdem herrschte im Tempel eine Ständegesellschaft, in der die Herkunft den Status bestimmte: Die Oberschicht des Tempels bestand aus blauen Priestern und Tempelmädchen, die aus adeligen Familien stammten. Der Halbbruder hatte lachend zu Ferdinand gesagt, er solle die Herrschaft des Tempels an sich reißen. Der jetzige Bischof war der Bruder der Ehefrau seines Vaters, herablassend und lästig. Als ob das so einfach wäre, dachte er sich, zuckte mit den Schultern und ging in den Tempel.

Dort verbrachte er eine ruhige Zeit. Es gab zwar auch Tempeldiener, die sich um die Finanzen kümmerten, das Waisenhaus verwalteten oder Kontakte zum Adel pflegten, aber abgesehen von der Aufgabe, die göttlichen Werkzeuge mit Magie zu versorgen, fiel ihm keine besondere Arbeit zu. Da er nicht wusste, was er mit all der freien Zeit anfangen sollte, bat er seine Familie, ihm Bücher und Bretter zu schicken. Er wollte die Gelegenheit nutzen, um sie auch Adeligen, die aus weniger wohlhabenden Familien stammten, zur Verfügung zu stellen, und stellte einige Bücher in die Bibliothek. Doch die blauen Priester und Tempelmädchen waren Menschen, die nicht mehr in die Adelsgesellschaft zurückkehren konnten, und niemand von ihnen schien sich für das Lesen zu interessieren. Die Einzige, die sich so sehr für Bücher begeisterte, dass sie sogar in Tränen ausbrach und schrie: „Ich möchte lesen“, war Myne, ein Mädchen aus armen Verhältnissen.

Doch die Ruhe währte nicht lange. Nach dem Ende des Putsches wurde das Land großflächig „gesäubert“ und die Zahl der Adeligen nahm rapide ab. Um die Lücken zu füllen, wurden Lehrlinge, die alt genug waren, um die Adelsakademie zu besuchen, zu ihren Familien zurückgerufen, dann kehrten auch junge Priester und Tempelmädchen im heiratsfähigen Alter in die Adelsgesellschaft zurück. Ältere Tempeldiener mit magischen Kräften wurden ebenfalls in das zentrale Gebiet gerufen. Zu diesem Zeitpunkt gab es keine blauen Tempelmädchen mehr im Tempel, und von den blauen Priestern blieben nur jene zurück, die entweder nicht im richtigen Alter waren, um zu ihren Familien zurückzukehren, oder die nicht über ausreichend magische Kräfte verfügten, wie sie vom zentralen Tempel gefordert wurden.

Nun, da die Tempeldiener, die die meiste Arbeit erledigt hatten, nicht mehr zur Verfügung standen, musste Ferdinand die verschiedensten Aufgaben übernehmen. Er war zwar immer noch ein Grünschnabel, aber durch den Status seiner Familie erhielt er das Amt des Hohenpriesters, und damit war die Zeit der Ruhe mit einem Schlag vorbei.

„Bischof, der Hohepriester ist da.“

Der Diener des Bischofs, der vor seinem Zimmer gewartet hatte, öffnete die Tür, damit Ferdinand schnellstens eintreten konnte. Der Bischof saß zusammengesunken auf einem Stuhl, das Gesicht zu tiefen Falten verzerrt, und tippte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf den Tisch. Kaum hatte er Ferdinand erblickt, begann er energisch zu sprechen.

„Hohepriester, was war denn das?“

Ferdinand ging ruhig auf den Bischof zu, um die Eleganz des Adels zur Schau zu stellen, und sah ihn an.

„Was meint Ihr?“

„Das freche Gör natürlich, was sonst?!“, brüllte der Bischof.

Wie ein Kind, das seine Wut nicht im Zaum halten kann, sprang er auf und schlug auf den Tisch. Mit einer solchen Reaktion hatte Ferdinand bereits gerechnet. Um sich vor der Spucke des Bischofs zu schützen, hielt er sich ein Brett, das er für den Bericht mitgebracht hatte, vor das Gesicht und tat so, als würde er lesen.

„Wie ursprünglich geplant, wird Myne in den Tempel eintreten. Ohne sie hätten wir ein Problem mit den Opfergaben. Außerdem haben wir für den Herbst einen Auftrag vom Ritterorden erhalten, wie reagieren wir am besten? Sollen wir sagen, dass wir ablehnen müssen, weil wir nicht genug magische Kräfte zur Verfügung haben? Oder sollen wir einen fremden Tempel um Hilfe bitten, bis die Zahl der Adeligen gestiegen ist?“

Der Stolz des Bischofs, der aus gutem Hause stammte, würde es ihm keinesfalls erlauben, Hilfe zu suchen. Der Gedanke, sich in einem fremden Tempel zu verbeugen und um Unterstützung zu bitten, trieb ihm die Zornesröte auf die Stirn.

„Urg, hätten wir nur genug magische Kräfte, dann hätte ich das unverschämte Balg schon längst hingerichtet ...“

„Myne zu provozieren ist sehr gefährlich. Wenn Ihr ihren Kräften noch einmal direkt ausgesetzt wärt, würde Euer Herz das vielleicht nicht überstehen.“

Der Bischof schien vergessen zu haben, dass er aufgrund seines arroganten Auftretens so eingeschüchtert wurde, dass er zusammengebrochen war. Genau deshalb machen alte Leute so viele Probleme, dachte Ferdinand, warf einen Blick auf den zähneknirschenden Bischof und berichtete von den Ergebnissen der Verhandlung mit Mynes Eltern.

„Wie besprochen erhält sie ein blaues Gewand. Sie soll sich um die magischen Accessoires kümmern und wie vereinbart in der Bibliothek arbeiten, wie sie es sich gewünscht hat.“

Ferdinand wiederholte, dass diese Punkte bereits im Voraus beschlossen worden waren. In letzter Zeit vergaß der Bischof oft Dinge, die er selbst gesagt hatte, was vielleicht an seinem Alter lag. Wie erwartet sah der Bischof äußerst unzufrieden aus, konnte aber nichts erwidern und starrte ihn nur grimmig an.

„Hmpf ... Hohepriester, du ...“

„Außerdem haben wir uns darauf geeinigt, dass Myne pendelt, weil sie keine Waise ist. Es gibt ja viele blaue Priester, die pendeln, deshalb halte ich es für unproblematisch und habe es ihr erlaubt.“

„Was?!“, fuhr ihn der Bischof mit weit aufgerissenen Augen an.

Auch das überraschte Ferdinand nicht.

„Ich habe darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass, wenn Myne schon das blaue Gewand erhält, es besser sei, sie pendeln zu lassen, anstatt ihr ein Zimmer im Adelsbereich zu geben.“

„Na gut.“

Der Bischof nickte zustimmend und lächelte spöttisch. Er hatte zwar einmal gesagt, dass man Myne lieber ins Waisenhaus stecken sollte, aber das schien er völlig vergessen zu haben und nun hatte Ferdinand sein Wort.

„Es hieß auch, Myne sei schwach und könne nicht jeden Tag zur Arbeit erscheinen. Da die blauen Tempelmädchen nicht viel zu erledigen haben, sollte es auch kein Problem sein, wenn sie sich bei schlechter Gesundheit ausruht.“

„Puh, was für ein Faulpelz.“

Der Bischof hatte immer etwas zu meckern, aber das wusste Ferdinand schon. Er zuckte nur mit den Schultern und ging nicht weiter darauf ein.

„Bevor sie eine Krankheit in den Tempel bringt, sollte sie meiner Meinung nach lieber zu Hause bleiben, das war meine Einschätzung. Zudem wurde beschlossen, dass sich Diener und Zofen um ihre Gesundheit kümmern sollen.“

„Das ist vollkommen unnötig!“

Die Worte des Bischofs waren so vorhersehbar, dass Ferdinand ihm wieder nur mit einem leichten Seufzer und einer Antwort entgegnete, die er sich schon vorher überlegt hatte.

„Mit einem blauen Tempelmädchen ohne Diener können wir nicht umgehen. Außerdem gibt es im Moment zu viele graue Tempeldiener. Ich halte es für eine gute Lösung, wenn Myne sich ihrer annimmt.“

Viele blaue Tempeldiener hatten den Tempel verlassen, aber nur wenige Diener und Zofen, die ihnen ans Herz gewachsen waren, hatten sie mitgenommen, während die meisten entlassen und im Waisenhaus zurückgelassen worden waren. Da die Spenden der Familien der blauen Tempeldiener zurückgegangen waren, verursachten die herrenlosen grauen Priester und Tempelmädchen nur noch horrende Kosten.

„Ich habe Nachforschungen über Myne angestellt und herausgefunden, dass sie in der Handelsgilde als Werkstattleiterin eingetragen ist. Wir könnten ihr zwar einfach sagen, dass sich Diener der Götter von weltlichen Tätigkeiten fernhalten sollen, aber ich frage mich, ob das Fortbestehen der Werkstatt dem Tempel auf lange Sicht nicht zugutekäme. Was meint Ihr?“

„Nimm alles, was du kriegen kannst.“

Durch die sinkende Zahl der Tempeldiener floss auch immer weniger Geld in die Taschen des Bischofs, also warf er die Dogmen des Tempels über Bord und entschied sich für den praktischen Nutzen. Ferdinand atmete erleichtert auf, denn alle Bedingungen, die Myne gestellt hatte, waren akzeptiert worden.

„Um Euch zu entlasten, werde ich mich um Myne kümmern und dafür sorgen, dass sie Euer Zimmer nicht betritt. Ich werde einen meiner Diener zu ihr schicken und ihn ausführlich Bericht erstatten lassen.“

Als Ferdinand signalisierte, dass auch er sich vor Myne in Acht nahm, leuchteten die Augen des Bischofs vielsagend auf. Er strich sich über den weißen Bart, und seine Mundwinkel verzogen sich zu dem hämischen Grinsen, das er zeigte, wenn er etwas im Schilde führte.

„Oho? Dann sollte ich ihr vielleicht auch jemanden schicken. Die gleichaltrige Delia leistet uns treue Dienste. Myne wird ihr sicher auch vertrauen. Ansonsten such eine ungezogene Waise als Diener für sie aus. Sie darf ihr gerne auf die Nerven gehen. Nutze ihre magischen Kräfte und ihre Spenden aus, so gut du kannst. Wozu ist sie sonst gut?!“

Das machte die Sache kompliziert. Ferdinand wollte Myne, die sich weder im Tempel noch in der adeligen Gesellschaft auskannte, einen Berater zur Seite stellen, aber wenn ihr ein vom Bischof aufgezogenes Kind diente, konnte man vor dem Bischof nichts geheim halten. Mit dem Gefühl, sich ins eigene Fleisch geschnitten zu haben, verabschiedete er sich und kehrte in sein eigenes Zimmer zurück.

„Oh Mann ... Diese alte Nervensäge ...“

Die meisten blauen Priester und Tempelmädchen waren uneheliche Kinder, nicht aber der Bischof, der stolz auf seine vornehme Abstammung war. In Wirklichkeit wurde er in den Tempel geschickt, weil er für seine Herkunft zu wenig magische Kräfte besaß, und hatte Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Menschen mit starken Kräften. Wenn man nicht ein Auge auf Myne werfen würde, könnten ihre Kräfte wieder außer Kontrolle geraten.

Den Berichten zufolge hatte sich Myne mithilfe des Handelshauses Gilberta vorläufig als Lehrling angemeldet und seitdem verschiedene Produkte entwickelt: Rinsham, pflanzliches Papier, Haarschmuck und Quatre-quarts. Als sie behauptete, eine große Goldmünze spenden zu können, hatte sie weder übertrieben noch gelogen. Aus gesundheitlichen Gründen hatte sie auf eine kaufmännische Lehre verzichtet und plante, in der Myne-Werkstatt, die ihr das Handelshaus Gilberta zur Verfügung gestellt hatte, weitere Artikel zu entwerfen. Sie besaß nicht nur magische Kräfte und Geld, sondern auch administrative Fähigkeiten. Für Ferdinand, der sich vor Arbeit kaum retten konnte, schien Myne eine viel wertvollere Arbeitskraft zu sein als der Bischof.

„Dass sie in einem Jahr so viele Verträge für Produkte abgeschlossen hat ...“

Die Myne-Werkstatt würde sicher viel Gewinn abwerfen. Ferdinand musste ihr einen Diener schicken, der sich von der gierigen Kauffrau nicht täuschen lassen und ihm genauestens Bericht erstatten würde. Er musterte die Diener, die in seinem Zimmer standen. Es musste jemand sein, der treu, aufmerksam und geduldig war und geschickt mit der lästigen Zofe des Bischofs umgehen konnte.

„Fran, von nun an wirst du Myne dienen. Bitte erstatte mir genauestens Bericht und sorge dafür, dass Myne sich vom Bischof fernhält.“

Für einen kurzen Moment wirkte Fran unsicher, doch dann nickte er ruhig und antwortete: „Ich verstehe.“

„Wir brauchen noch einen Diener ... Ach ja, war da nicht einer, der etwas schwierig war und mit dem die blauen Priester nicht zurechtkamen? Ich muss wenigstens so tun, als ob ich die Meinung des Bischofs respektiere.“

Verwirrt sah Fran ins Leere und senkte den Blick.

Arno, der mit Ferdinand zum Bischof gegangen war, griff Fran unter die Arme und antwortete: „Wie wäre es mit Gil? Er wird oft in den Besinnungsraum geschickt, lernt aber nie etwas daraus und bereitet auch den Aufsichtspriestern Kopfschmerzen.“

„Hm ... Gut, dann sind Gil, Delia und Fran nun Mynes Diener.“

Die Weihe und die Diener

Ab heute bin ich ein Tempelmädchen in Ausbildung ...

Man hatte mir gesagt, dass die Bereitstellung des blauen Gewands einige Zeit in Anspruch nehmen würde, sodass ich fast einen Monat später mit der Lehre beginnen würde als Lutz, der mit mir getauft worden war. Dabei wollte ich so schnell wie möglich in den Tempel, und das Warten kam mir wie eine Ewigkeit vor.

Endlich, endlich kann ich Bücher lesen! Sogar die angeketteten Bücher! Ach, wenn ich nur daran denke, geht mir schon das Herz auf! Jippie!

Als ich mich vor Freude im Kreis drehte, rief mich Tuuli.

„Myne, Lutz ist da, um dich abzuholen ... Warum tanzt du?“

„Weil ich lesen kann. Bis später, Tuuli.“

„Pass auf, dass du nicht zu aufgeregt bist.“

Wie könnte ich nicht aufgeregt sein?, antwortete ich in Gedanken und rannte aus dem Haus. Da der Tempel im Norden der Stadt lag, trug ich die vornehmste Kleidung, die ich besaß, nämlich die Uniform des Handelshauses Gilberta. Bis ich das blaue Gewand des Tempels erhalten würde, sollte das Outfit reichen.

„Ehehe hehe ...“

Als ich hüpfte und summte, stieß mich Lutz mit dem Ellbogen an.

„Myne, du übertreibst. Du kriegst noch Fieber, bevor wir im Tempel sind.“

„Urg ... Das wäre nicht gut.“

Ich hielt den Impuls meiner Beine zurück, die von selbst aufspringen wollten, ärgerte mich über diesen schwachen Körper, der mir nicht einmal ein bisschen Spaß gönnte, und unterdrückte das Gefühl, so schnell wie möglich laufen zu wollen. Hand in Hand schlenderten Lutz und ich zum Tempel.

„Myne, kommst du wirklich alleine zurecht?“

„Klar, heute bekomme ich doch nur das Gewand und lerne die Diener kennen.“

Es wurde beschlossen, dass ich an den gleichen Tagen wie Lutz zur Arbeit gehen sollte. Bis die Diener, die mir der Tempel zur Verfügung stellen würde, meinen Gesundheitszustand kannten, sollte Lutz weiter auf mich aufpassen. Das war die Entscheidung meiner Familie und von Benno.

Aber für andere ist es doch unmöglich, meinen Gesundheitszustand so gut zu kennen wie Lutz ...

Vielleicht wollten sie, dass Lutz auch in Zukunft an meiner Seite blieb. Meine Familie, Benno, Mark und Lutz, sie alle hüteten sich vor den Adeligen im Tempel. Aber wenn ich mich weiter auf Lutz verlassen würde, dann wäre mein Plan, ihm nicht zur Last zu fallen und auf die Kaufmannslehre zu verzichten, umsonst gewesen.

Als ich Benno mein Herz ausschüttete, schnaubte er nur. Mark lächelte verlegen und erzählte, dass er Lutz direkt betreute, um die Eröffnung des italienischen Restaurants und die Einrichtung einer Papierwerkstatt in einer fremden Stadt vorzubereiten. Mark erklärte, dass Lutz ein spezielles Training erhielt, weil er für den Kontakt mit mir, der Erfinderin, verantwortlich war. Er sollte von Anfang an am Aufbau der neuen Geschäftszweige beteiligt sein, praktische Erfahrungen sammeln und die Inhalte der Arbeit kennenlernen. „Das ist aber keine normale Ausbildung für Neulinge, oder?“, kommentierte ich. Aber Lutz schien sich schwer ins Zeug zu legen, um früher als geplant fremde Städte zu sehen.

Solange er glücklich ist, ist alles gut. Gib dein Bestes, Lutz!

Als wir am Tempel ankamen, wartete ein grauer Priester vor dem Tor. Der kräftig gebaute Mann verbeugte sich, beugte ein Knie und kreuzte die Arme vor der Brust.

„Guten Morgen, Fräulein Myne. Ich bringe Euch zum Hohepriester.“

„Fräulein Myne?! Puh ... Ahahaha! Das passt ja gar nicht zu dir.“

Die höfliche Art des grauen Priesters brachte Lutz zum Lachen. Er schaute abwechselnd zu mir und zum Priester und kicherte. Ich hätte am liebsten mit gelacht, bemerkte aber, wie die Augenbrauen des Priesters missmutig zuckten, und stieß Lutz, der sich den Bauch hielt, leicht an.

„Lutz, es reicht!“

„Oh, tut mir leid, tut mir leid. Ich hole dich zum vierten Glockenschlag ab, warte auf mich, ja?“

Ich winkte und verabschiedete mich von ihm, dann wandte ich mich wieder dem Priester zu.

„Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.“

„Ihr müsst Euch nicht bei mir entschuldigen. Der Hohepriester erwartet Euch.“

Er wandte den Blick ab und lehnte meine Entschuldigung ab. Während ich verwirrt blinzelte, drehte er sich um und ging los. Das Klappern seiner Holzschuhe hallte durch den weißen Steinflur, aber sonst war es vollkommen ruhig. Eingehüllt in die Stille, die schwer auf mir lastete, folgte ich ihm mit schnellen Schritten.

Als wir um die Ecke bogen, hörte ich etwas anderes als unsere Schritte. Als ich den Kopf hob und in die Richtung schaute, aus der das Geräusch kam, fand ich dort graue Tempelmädchen, die den Gang putzten. Die Tempelmädchen, die nicht bei der Taufe zugegen gewesen waren, wirkten nicht besonders reinlich, nicht weil sie gerade putzten oder schmutzige Kleider trugen, sondern weil sie sich wohl seltener wuschen, weniger gepflegt aussahen und eine ganz andere Ausstrahlung hatten als der graue Priester vor mir. Als sie ihn sahen, blieben sie stehen, stellten sich in einer Reihe am Rand des Ganges auf und senkten den Blick.

Sollte das auch ein Ausdruck des Respekts sein?

Diese Geste schien nicht mir zu gelten, denn mein kleiner Körper stand im Schatten des Priesters und einige Tempelmädchen waren überrascht, mich hinter ihm zu sehen. Als mir vor Augen geführt wurde, dass auch unter den grauen Tempeldienern, die Waisen waren, eine Klassengesellschaft herrschte, machte sich Unruhe in mir breit. Ich hatte bisher nichts mit Adeligen zu tun gehabt. Um mich herum lebten nur Menschen in ähnlichen Verhältnissen, selbst im Umgang mit reichen Kaufleuten wurde ich aufgrund des Wertes meiner Produkte auf Augenhöhe behandelt.

Werde ich hier wirklich zurechtkommen? Bin ich dabei, mich ins Verderben stürzen, weil ich die Konventionen der Klassengesellschaft nicht kenne?

Als die Schritte durch den stillen, schneeweißen und prunkvollen Flur hallten, wurde mir schwer ums Herz. Ich begriff, dass ich nun eine Welt betrat, die ich mir weder in meinem jetzigen Leben noch zur Urano-Zeit einmal hätte vorstellen können.

„Hohepriester, Fräulein Myne ist da.“

„Fräulein Myne“, wie der graue Priester es sagte, klang so ungewohnt, dass ich mich nicht um Geringsten angesprochen fühlte. Obwohl ich nur ein gewöhnliches Kind war und keinen besonderen Status hatte, nannte mich der erwachsene graue Priester so. Das fühlte sich so fremd an und verunsicherte mich. Aber mit dem blauen Gewand würde ich im Tempel wie eine Adelige behandelt werden und könnte dann auch nicht sagen: „Bitte nennen Sie mich einfach Myne, sonst fühle ich mich unwohl.“ Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich daran zu gewöhnen.

„Entschuldigen Sie die Störung.“

Aus Gewohnheit verbeugte ich mich leicht und betrat das Zimmer des Hohepriesters. Aus irgendeinem Grund stand vor mir ein schlichter Altar, der offensichtlich eine vereinfachte Version der treppenförmigen Opferstätte bei der Taufe war.

Auf der obersten der drei Stufen lagen ein schwarzer Umhang und eine goldene Tiara, mit denen die Statuen bei der Taufe geschmückt waren. Die mittlere Stufe war mit einem Stab, einer Lanze, einem Kelch, einem Schild und einem Schwert versehen. Die unterste war mit Blumen, Früchten, einem Weihrauchfass, einer Glocke und anderen Gegenständen geschmückt. Am Rand lag ein blaues Gewand, das sorgfältig gefaltet war. Vor dem Altar war ein blauer Teppich ausgebreitet, der mich unwillkürlich an das Gebet bei der Taufe erinnerte.

Bei meinem letzten Besuch stand hier noch kein Altar. Als ich vor der Tür stehen blieb und in meinem Gedächtnis kramte, unterbrach der Hohepriester seine Arbeit, stand auf und ging zum Altar.

„Myne, komm her.“

Mit schnellen Schritten ging ich auf den Hohepriester zu. Er schaute mich mit seinen hellgoldenen Augen an, seufzte leise und richtete seinen Blick auf den Altar.

„Eigentlich hätte die Weihe im Zimmer des Bischofs stattfinden sollen und du hättest dort das blaue Gewand empfangen, aber der Bischof schien dich nicht hereinlassen zu wollen, also mussten wir hier in aller Eile einen Altar aufbauen.“

„Es tut mir leid, dass ich Ihnen Umstände bereitet habe.“

Als mich meine Wut über die arrogante Haltung und Ausdrucksweise des Bischofs erfasste und ich in meiner Erregung meinen magischen Kräften freien Lauf ließ, hatte sich gleichzeitig auch mein Ärger bis zu einem gewissen Grad gelegt. Mir war jedoch klar, dass ich dem Bischof, der durch meine wütenden Kräfte eingeschüchtert worden war, ein Dorn im Auge war.

Selbst wenn nichts gewesen wäre, hätte er mich wegen meiner armen Familie trotzdem wie den letzten Dreck behandelt ...

Steckte ich nicht in der Klemme, wenn ich von Anfang an von der höchsten Autorität des Tempels unwiderruflich gehasst wurde? Während ich die Hindernisse spürte, die das Leben im Tempel für mich bereithielt, schüttelte der Hohepriester langsam den Kopf.

„Um kein Öl ins Feuer zu gießen, solltest du dem Bischof möglichst aus dem Weg gehen.“

Wenn der Hohepriester, der den Bischof besser kannte als ich, das sagte, dann sollte ich besser auf ihn hören. Da ich sowieso vom Bischof Abstand halten wollte, nickte ich.

„Nun lass uns die Weihe vollziehen.“

Der Hohepriester nahm das Weihrauchfass in die Hand, hielt es an der Kette und schwang es wie ein Pendel. Im Rhythmus der Bewegung stieg das Aroma mit dem Dampf in die Luft. Der beruhigende Duft des Weihrauchs breitete sich im Raum aus.

Dann erklärte er mit tiefer Stimme, welche Bedeutungen die göttlichen Werkzeuge auf dem Altar hatten. Der schwarze Umhang auf der obersten Stufe stand für den Nachthimmel und war das Symbol der Finsternis. Die goldene Tiara stellte die Sonne dar und war das Symbol der Göttin des Lichts. Dieses Paar stand für die erhabensten Götter, die über den Himmel walteten und deshalb den höchsten Platz einnahmen. Der Stab auf der mittleren Stufe war das Symbol der Göttin des Wassers, die über Schnee und Eis verfügte. Die Lanze war das Symbol des Gottes des Feuers, der langes und hohes Wachstum förderte. Der Schild war das Symbol der Göttin des Windes, die vor dem kalten Winter schützte. Der Kelch war das Symbol der Göttin der Erde, die alles aufnahm. Und das Schwert war das Symbol des Gottes des Lebens, der den harten Boden durchbohren konnte. Die Dinge auf der untersten Stufe waren die Opfergaben für die Götter. Die Pflanzen versinnbildlichten den Lebenshauch, die Früchte feierten die Ernte, der Duft verkörperte den Frieden und das Tuch stellte den Glauben dar.

„Grün ist die Farbe des Frühlings. Es ist die Farbe des jungen Lebens, das nach dem strengen Winter erwacht. Blau ist die Farbe des Sommers. Es ist die Farbe des unendlichen Himmels, nach dem das groß und hochwachsende Leben streben sollte. Gelb ist die Farbe des Herbstes. Es ist die Farbe des Getreides, das eine reiche Ernte bringt und sich zur Erde neigt. Rot ist die Farbe des Winters. Es ist die Farbe des Herdes, der die Kälte mildert und Hoffnung gibt.“

Die Farben, die im Tempel verwendet wurden, schienen je nach Jahreszeit zu variieren. Die Farben der Tücher und des Teppichs, mit denen der Altar geschmückt war, hingen davon ab; genauso wie die Accessoires an den blauen Gewändern der Priester und der Tempelmädchen.

„Nun das Gelübde.“

Der Hohepriester kniete auf dem Teppich nieder und stellte sich auf sein linkes Knie. Dann kreuzte er seine Arme vor der Brust und senkte den Kopf. Ich tat es ihm nach. Als er sah, dass ich bereit war, sagte er: „Wiederhole meine Worte.“

Aus Angst, einen Fehler zu machen, starrte ich unentwegt auf den Mund des Hohepriesters. Seine dünnen Lippen bewegten sich langsam, damit ich ihm folgen konnte, und sprachen die Worte des Gelübdes.

„Die erhabensten Götter sind der Gott der Finsternis und die Göttin des Lichts, das Götterpaar, das über das unendliche Himmelsgewölbe waltet.“

„Die fünf großen Götter, die über das unermessliche Erdreich herrschen, sind ...“

„Die Göttin des Wassers, Frühträne.“

„Der Gott des Feuers, Leidenschaft.“

„Die Göttin des Windes, Schützerin.“

„Die Göttin der Erde, Geduldig.“

„Der Gott des Lebens, Ewigliebe.“

„Möge der Segen der erhabensten Götter des unendlichen Himmelsgewölbes das unermessliche Erdreich erfüllen ...“

„... und mit dem Segen der fünf großen Götter allen Geschöpfen Leben schenken.“

„Als Dank für die Gnade des heiligen Segens gelobe ich ...“

„... mich zu bessern, mich zu bekehren, mich zu entschließen, Euch fromm zu verehren bis ans Ende meiner Tage.“

„Ich gelobe, Euch mitsamt den Göttern der Natur von ganzem Herzen anzubeten, Euch zu danken und meine Gaben darzubringen.“

Ich wiederholte aufmerksam und sah zum Hohepriester auf. Er nickte leicht und zufrieden. Dann erhob er sich und wandte seinen Blick einem grauen Priester zu, der an der Wand stand. Ohne ein Wort zu sagen, nahm dieser das blaue Gewand, das am Rand des Altars lag, und reichte es dem Hohepriester.

„Blau ist die Farbe des Gottes des Feuers, der das Wachstum fördert und unterstützt. Es ist die Farbe des unendlichen Himmelsgewölbes, über das die erhabensten Götter walten. Nun gebe ich dir, Tempelmädchen, das den Glauben an die erhabensten Götter und sein fortwährendes Wachstum gelobt, dieses Gewand.“

Ein Tempelmädchen in Ausbildung, das an der Wand stand, half mir in das blaue Gewand. Es sah aus wie ein loses Überkleid und wurde mit einem Gürtel um die Taille gebunden. Die Kleidung darunter konnte man je nach Jahreszeit selbst bestimmen, und bei Zeremonien trug man Schmuck, der mit den Göttern in Verbindung stand.

„Myne, frommer Apostel, der sich der Führung der Götter fügt, wir heißen dich willkommen.“

Der Hohepriester verbeugte sich leicht und kreuzte die Arme vor der Brust. Ich tat es ihm nach.

„Ihr herzlicher Empfang ist mir die größte Freude.“

„Nun lass uns beten.“

Ich war überrumpelt und wusste zunächst nicht, was ich tun sollte. Als ich mit gekreuzten Armen fragte: „Was?“, schien der Hohepriester über meine Taktlosigkeit sprachlos zu sein und runzelte die Stirn.

„Das hast du doch bei der Taufe gelernt. Bring den Göttern dein Gebet dar.“

Ach, er meint die Gulico-Pose. Im Tempel gehört sie wohl zum Alltag. Ob meine Bauchmuskeln das aushalten werden?

Ich schüttelte den Kopf, verdrängte die Erinnerung daran, wie ich mich bei der Taufe kaputtgelacht hatte und mich zurückziehen musste, und spannte meinen Bauch an, um einem Lachanfall vorzubeugen. Während ich den brennenden Blick des Hohepriesters auf mir spürte, der sich zu fragen schien, ob ich das Ritual des Betens vergessen hatte, richtete ich mein Gebet an die Götter.

„Go... Gott zum Gebet! Uah!“

Die Gulico-Pose zu halten, war unerwartet schwierig. Man brauchte Muskeln, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und das eigene Gewicht zu tragen. Ich konnte die Gulico-Pose nicht so schön halten wie die Priester bei der Taufe und schwankte unelegant hin und her.

„Was für ein unansehnliches Gebet. Du wirst später an öffentlichen Andachten teilnehmen müssen. Wie soll das aussehen, wenn ein Tempelmädchen nicht einmal beten kann? Sieh zu, dass du bis zur Andacht ordentlich beten kannst.“

„Buhu ... Ich werde mich dem mit ganzer Seele widmen.“

Der Hohepriester seufzte, schüttelte leicht den Kopf und wandte seinen Blick den grauen Tempeldienern zu, die in einer Ecke standen.

„Das sind die grauen Tempeldiener, die dir als Diener zur Verfügung stehen.“

Ein grauer Priester und zwei Lehrlinge traten vor den Altar, als sie den Hohepriester hörten. Während der Priester wie ein erwachsener Mann aussah, handelte es sich bei den beiden Lehrlingen um einen Jungen und ein Mädchen im gleichen Alter.

Erstaunlicherweise schien der graue Priester, der mich in das Zimmer geführt hatte, einer meiner Diener zu sein. Er war ziemlich breit gebaut und so groß wie Papa. Er hatte lavendelfarbenes Haar, dunkelbraune Augen und wirkte ernst und wortkarg . Sein Gesichtsausdruck war steif und zurückhaltend. Er machte einen unnahbaren Eindruck, was vielleicht an seinen geschlossenen Lippen lag.

„Fran. Ich bin siebzehn Jahre alt. Sehr erfreut.“

„Die Freude ist ganz meinerseits.“

Ich wollte ihn nur freundlich begrüßen, doch der Hohepriester las mir die Leviten.

„Myne, als Trägerin eines blauen Gewands ziemt es sich nicht, graue Priester mit Demut zu behandeln.“

„Das ... das tut mir leid. Ich werde darauf achten.“

Ich verstand die Klassengesellschaft nicht. Mit meinem jetzigen Wissensstand konnte ich nicht beurteilen, was richtig und was falsch war. Ich musste mich wohl erst an die Konventionen herantasten, wie damals, als ich gerade in diese Welt gekommen war. Als mich die Unruhe überkam, trat ein Diener vor mich, der ebenfalls besorgniserregend aussah.

Vielleicht war er unterernährt, denn er war kaum größer als Lutz und von hagerer Statur. Er hatte hellblondes Haar und seine böse blickenden Augen schienen auf den ersten Blick schwarz, waren aber violett. Er wirkte wie ein flinker Balg. Um ehrlich zu sein, ich konnte mit Menschen wie ihm nicht umgehen.

Zur Urano-Zeit hatte ich nur zu Hause Bücher gelesen. Jetzt musste ich wegen meiner schlechten Gesundheit oft das Bett hüten und war eine engagierte Stubenhockerin durch und durch. Rücksichtslose ... nein, ungezogene, aktive Jungs mit großer Klappe hatte ich schon immer gemieden. Als ich den Jungen ansah und mir dachte, dass wir wohl nicht miteinander auskommen würden, starrte er mich unhöflich an, musterte mich von oben bis unten und sagte: „Ich bin Gil und zehn. Ich soll dir dienen? So ein Pech. Du bist ja winzig.“

Huch? Darf man als Diener so frech sein?

Sein herablassender Blick und sein böses Mundwerk verschlugen mir die Sprache. Der Hohepriester war wieder bereit, eine Predigt zu halten, allerdings nicht Gil, sondern mir.

„Myne, Gil ist dein Diener. Wenn er sich nicht benehmen kann, musst du ihn zurechtweisen.“

„Wie bitte? Ich?“

„Du bist seine Herrin, wer sollte es also sonst machen?“

Das sagt sich so leicht, aber wie soll ich ihn zurechtweisen? Er sieht nicht so aus, als würde er auf mich hören.

„Ähm, kannst du bitte auf deinen Ausdruck achten?“

„Hä? Willst du mich verarschen?“

Der Hohepriester schien ihn für einen hoffnungslosen Fall zu halten und schüttelte nur den Kopf. Ich hatte das Gefühl, dass man bei der Auswahl der Diener eine falsche Entscheidung getroffen hatte. Als ich mich fragte, ob man mich ärgern wollte, wurde mir klar, dass dies zweifellos der Fall war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Gil die Aufgaben eines Dieners erfüllen würde. Man wollte mir einen lästigen Diener aufbürden, weil ich eine Gewöhnliche war. Nachdem ich das begriffen hatte, kam mir meine Höflichkeit lächerlich vor. Es würde genügen, ihn so zu behandeln, wie ich früher meine nervigen Mitschüler behandelt hatte: Ich sollte ihn einfach ignorieren.

Ich hob die Hand, um das Gespräch mit Gil zu beenden, und sah das einzige Mädchen unter den dreien an. Sie hatte dunkelrotes Haar und hellblaue Augen. Ihr Gesichtsausdruck wirkte energisch und einschüchternd, aber sie war hübsch. Sie sah nicht niedlich aus, sondern schön. Sie machte den Eindruck, als wüsste sie ihre Schönheit zu nutzen.

Als Mädchen fällt einem so etwas gleich auf ...

„Mein Name ist Delia. Ich bin acht Jahre alt. Ich hoffe, wir werden uns gut verstehen.“

Während sie das sagte, lachten ihre Augen kein bisschen. Sie hatte wohl gemerkt, dass wir offensichtlich keine Freundinnen werden konnten, und nahm sich vor mir in Acht. Allerdings schien der Hohepriester Delia, die auf den ersten Blick freundlich lächelte, für unproblematisch zu halten und hatte mir diesmal keine Standpauke gehalten.

Keiner der drei wirkte zugänglich und ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mit ihnen auskommen würde. Ganz im Gegenteil, allein neben ihnen zu stehen, war schon anstrengend.

„Ähm, Hohepriester, ich hatte noch nie einen Diener, vielleicht komme ich auch ohne ...“

„Kommt nicht infrage. Ein blaues Tempelmädchen ist dazu verpflichtet. Diese Diener haben der Bischof und ich für dich ausgesucht. Solange du das blaue Gewand trägst, musst du dich so verhalten, wie es sich für ihre Herrin gehört.“

„Ich verstehe.“

Darf ich nicht einmal sagen, dass ich sie nicht brauche? Habe ich denn gar kein Mitspracherecht?

Es schien, als würde ich gleich an meinem ersten Tag als Tempelmädchen auf die Nase fallen.

Die Arbeit eines Tempelmädchens

„Damit ist die Weihe beendet.“

„Dann würde ich gerne in die Bibliothek ...“

„Einen Moment bitte. Wir sind noch nicht fertig.“

Der Hohepriester bat mich an den Tisch vor dem Altar. Ich setzte mich auf den Stuhl, den Fran für mich bereitgestellt hatte.

„Danke, Fran.“

„Ihr braucht mir nicht zu danken.“

Fran schaute für einen Moment verdutzt und verzog das Gesicht. Vielleicht hätte ich mich nicht bedanken sollen. Ich sollte Frieda bei Gelegenheit fragen, wie man sich als Adelige zu verhalten hatte.

„Können wir jetzt reden?“

„Ja, bitte.“

Auf dem Schreibtisch des Hohepriesters stapelten sich Bretter und Pergamente, bei denen es sich offenbar um Berichte handelte. Er überflog sie und warf mir flüchtige Blicke zu. Wie ein Lehrer, der ein Lehrbuch in der Hand hält und einem Schüler etwas erklärt, begann er zu sprechen: „Wie du weißt, sind alle blauen Priester und Tempelmädchen von adeliger Herkunft. Du kannst also davon ausgehen, dass niemand es gutheißen wird, wenn eine Gewöhnliche wie du ein blaues Gewand trägt.“

Obwohl mir das klar war, lief es mir eiskalt den Rücken herunter, als er es mir ins Gesicht sagte. Als ich beschloss, Tempelmädchen zu werden, dachte ich, dass ich nur noch ein halbes Jahr zu leben hatte. Mir ging es nur darum, die Bücher der Bibliothek lesen zu können. Aber da es im Tempel magische Accessoires gab, konnte ich mein Leben als blaues Tempelmädchen verlängern und damit war mein Aufenthalt im Tempel keine vorübergehende Angelegenheit mehr. Da meine Zukunft nun nicht mehr so aussichtslos war, musste ich mir über verschiedene Dinge Gedanken machen.

„Im Moment gibt es nur sehr wenige blaue Tempeldiener und Menschen mit magischen Kräften werden dringend benötigt, weshalb man ein Auge zudrücken kann, aber wenn die Zahl der adeligen Kinder im Tempel steigt, ist dein Schicksal ungewiss. Nur, dass du das weißt.“

Ich ballte die Hände im Schoß zu Fäusten und biss mir auf die Lippen. Wenn mir vor dem Adel ein Fauxpas passierte, würde ich auch meine Familie in Schwierigkeiten bringen. Um hier zu überleben, brauchte ich Informationen.

„Vor allem hat der Bischof selbst die Weihe abgelehnt. Die anderen blauen Priester kennen dich nicht und haben sicher kein gutes Bild von dir, deshalb habe ich die Aufgabe übernommen, dich zu betreuen.“

Allein meine Existenz als Gewöhnliche mit magischen Kräften und finanziellen Mitteln machte mich in den Augen der Adligen zu jemandem, der ihre Ansprüche mit Füßen trat. Kein Wunder, dass sie nicht viel von mir hielten. Doch dafür, dass die Adeligen mich nicht ausstehen konnten, erschien mir der Hohepriester, der mir mit Rat und Tat zur Seite stand, recht freundlich.

„Stört es Sie nicht, dass ich ...“

„Für mich zählt nur die Leistung. Gerade jetzt, da die Zahl der Priester und Tempelmädchen stark zurückgegangen ist, konzentriere ich mich auf die Arbeit. Ich weiß, dass du dich mit Verwaltungsaufgaben auskennst und mir helfen kannst. Da habe ich doch keinen Grund, dir die kalte Schulter zu zeigen, oder?“

Sein verschmitztes Grinsen ließ mein Gesicht zucken. Wenn er wusste, dass ich mich mit Büroarbeit auskannte, dann waren die Nachforschungen über mich, von denen ich gehört hatte, wohl schon abgeschlossen und der Hohepriester hatte alle möglichen Informationen erhalten. In dieser Welt schien das Konzept des Datenschutzes nicht zu existieren. Wenn der adelige Hohepriester etwas wissen wollte, plauderte sein Gegenüber alles aus. Ich fragte mich, was er wohl über mich wusste. Jedenfalls machte er mir Angst.

„Ich werde mein Bestes geben. Aber für welche Arbeit im Tempel bin ich denn zuständig? Wenn es etwas gibt, was ich tun kann, geben Sie mir bitte Bescheid.“

„Deine Arbeit besteht vor allem darin, mir als Assistentin bei der Verwaltung zu helfen. Das ist deine Hauptaufgabe. Vormittags arbeitest du hier und kümmerst dich um den Papierkram. Dann gibt es noch die Andacht und die Opfergaben. Gerade als Tempelmädchen musst du richtig beten können.“

„Die Andacht verstehe ich noch, aber was bedeutet Opfergabe?“

„Man muss die göttlichen Werkzeuge mit Magie versorgen. Fran, bring uns den Schild.“

Dieser nickte und nahm den Schild in die Hand, der einen Durchmesser von fünfzig bis sechzig Zentimetern hatte. Passend zur Bezeichnung „göttliches Werkzeug“ schien der runde Schild aus Gold zu sein, war mit filigranen Mustern graviert und stellenweise blau verziert. In der Mitte befand sich ein handgroßer gelber Edelstein, der wie eine Flamme leuchtete und flackerte. Der Rand des Schildes war mit murmelgroßen Juwelen besetzt. Die Hälfte der kleinen Edelsteine war gelb, während die andere Hälfte kristallklar war.

„Berühr den magischen Stein in der Mitte und stell dir vor, wie du deine magischen Kräfte in ihn fließen lässt ...“

Anscheinend handelte es sich nicht um einen Edelstein, sondern um einen magischen Stein. Während dieser fantastische Gegenstand mein Herz zum Klopfen brachte, berührte ich den Schild mit meiner rechten Hand. Plötzlich strahlte er ein goldenes Licht aus. Gleichzeitig erschien ein hellgrünes Licht in Form der filigranen Muster und einer Reihe von Symbolen, die wie Schriftzeichen aussahen und die ich noch nie gesehen hatte, und umgab mein Handgelenk.

Wow, ein magischer Kreis! Wie cool! Wie cool!

Während ich neugierig auf die Zeichen starrte, spürte ich, wie die Hitze in mir wie von einem Staubsauger aufgesogen wurde. Das gleiche Gefühl hatte ich empfunden, als ich fast an der Zerfressung gestorben wäre und Frieda das magische Accessoire für mich benutzt hatte. Ich wollte die Gelegenheit nutzen und öffnete bewusst den imaginären Deckel, unter dem ich die Magie normalerweise verschloss. Die Hitze der Zerfressung strömte aus der Mitte, floss in meine Hand und ließ sich absorbieren. Während die überflüssige Hitze aus meinem Körper verschwand, gab ich mich ganz dem Gefühl der Erleichterung hin.

Der Schild wird aber nicht kaputt gehen, oder?

Ich erinnerte mich an Friedas magisches Accessoire, das ich zerbrochen hatte. Aus Angst zog ich reflexartig meine Hand zurück und sammelte die geschwächte Magie in der Mitte meines Körpers. Obwohl ich meine magischen Kräfte nur für einen kurzen Moment freigesetzt hatte, belasteten sie mich nun deutlich weniger. Es war, als wäre mir buchstäblich eine Last von den Schultern genommen worden, und ich fühlte mich viel unbeschwerter.

„Aha, sieben kleine magische Steine also ...“

Als ich die Stimme des Hohepriesters hörte, betrachtete ich den Schild und bemerkte, dass die Anzahl der gelben Steine zugenommen hatte. Anscheinend änderte sich die Farbe der Steine, wenn sich der Schild mit Magie füllte. So konnte man auf einen Blick erkennen, wie viel Magie noch übrig war.

Jetzt fühle ich mich wie ein Ladegerät ...

Ich öffnete und schloss meine rechte Hand, mit der ich die Magie freigesetzt hatte. Die Hitze der Zerfressung war also tatsächlich Magie und mit dem klaren Ziel konnte ich den Fluss der Magie erstaunlich gut steuern. Während mir verschiedene Dinge durch den Kopf gingen, starrte mich der Hohepriester besorgt an.

„Myne, fühlst du dich unwohl?“

„Ähm, ich fühle mich eher erfrischt und erleichtert.“

„Ich verstehe ... Achte bitte darauf, dich bei der Opfergabe nicht zu überanstrengen.“

Die Opfergabe, bei der ein göttliches Werkzeug mit Magie gefüllt wurde, fand ich relativ entspannend. Am anstrengendsten würde wohl die Andacht sein. Mit meinem Körper war es eine große Herausforderung, auf einem Bein zu stehen, vor allem wenn ich die Arme nicht ausbreiten durfte, um das Gleichgewicht zu halten, sondern sie schräg nach oben strecken musste. Man würde mir wohl genauestens beibringen, welcher Winkel der richtige war und wie lange ich die Pose halten musste.

„Und deine letzte Aufgabe besteht darin, die Heilige Schrift zu lesen und auswendig zu lernen“, fügte der Hohepriester mit leiser, tiefer Stimme hinzu.

Das hatten meine Ohren natürlich nicht überhört. Ich sollte also lesen und mir den Inhalt einprägen. Ob ich mir was merken könnte, wusste ich nicht, aber im Lesen war ich eine Expertin.

„Jawohl! Ich begebe mich sofort in die Bibliothek!“

Ich stand auf, hob die Hand und zeigte dem Hohepriester meine volle Einsatzbereitschaft, aber er nahm nur ein anderes Pergament in die Hand, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

„Davor möchte ich noch über die Spende sprechen. Setz dich wieder. Arno, gib mir das Rechnungsbuch.“

Geld war ein wichtiges Thema. Da ich selbst eine großzügige Spende angeboten hatte, interessierte mich vor allem, wie und wofür ich spenden sollte.

„Du hast gesagt, du würdest eine große Goldmünze spenden ...“

Als mich der Hohepriester streng anschaute, erinnerte ich mich an das Gespräch mit Benno. „Bei Zeremonien, die mehrmals im Jahr stattfinden, sammelt die Handelsgilde Almosen für den Tempel, aber ich habe mich noch nie daran beteiligt. Wenn die Summe der Spende zu hoch ist, fällst du wahrscheinlich negativ auf. Warum zahlst du sie nicht in Raten? Wenn man einem Taugenichts, der nicht mit Geld umgehen kann, zu viel in die Tasche steckt, macht er seinen Mitmenschen nur Ärger.“

„Wenn es sein muss, kann ich das Geld sofort spenden, aber wäre es auch in Ordnung, wenn ich es in Raten zahle und jeden Monat eine kleine Goldmünze spende?“

„Eine Spende ist nichts, was wir festlegen können, also ist das möglich. Aber warum willst du das?“

„Ein Bekannter sagte, wenn ich alles auf einmal zahle, könnten manche Leute das Geld achtlos ausgeben ... Also dachte ich, dass es besser wäre, den Buchhalter des Tempels zu fragen, wofür die Spende genutzt wird, und dann zu entscheiden.“

Natürlich musste ich Bennos Worte ein wenig abändern. Trotz meiner vagen Formulierungen schien der Hohepriester mich verstanden zu haben. Er überlegte kurz und atmete tief durch.

„Die Hälfte der Spenden wird für den Erhalt des Tempels verwendet. Der Rest geht anteilig an die blauen Tempeldiener. Wie viel jeder Tempeldiener bekommt, hängt von seinem Status ab. Als Buchhalter des Tempels halte ich es für das Beste, am Anfang fünf kleine Goldmünzen zu spenden, dann jeden Monat eine.“

„Warum denn?“, fragte ich verständnislos.

Der Hohepriester reichte mir ein zusammengerolltes Pergament. Ich überflog es und verstand, dass es sich um einen Ausschnitt aus dem Rechnungsbuch handelte. Als ich überrascht schaute, zeigte er auf das Dokument.

„Die Einnahmen des Tempels stammen, grob gesagt, aus den Spenden des Fürsten, den Almosen bei den Zeremonien und der Unterstützung der Familien der blauen Tempeldiener. Das heißt, wenn die Zahl der blauen Tempeldiener sinkt, sinken auch die Einnahmen. Um es mit den Worten der Kaufleute auszudrücken: Der Tempel schreibt gerade rote Zahlen. Der Bischof hat gesagt, dass ich dich ausnehmen soll, also würde eine angemessene Spende helfen, seine Laune zu verbessern.“

Er hatte ganz schön aus dem Nähkästchen geplaudert. War die Information, dass der Tempel rote Zahlen schrieb, wirklich etwas, das ich wissen durfte?

„Ähm, Hohepriester, ist es denn in Ordnung, dass Sie mir solche Informationen geben?“

„In ein paar Tagen wirst du dich bei der Arbeit damit beschäftigen, also sollte das kein Problem sein.“

Er hatte gesagt, ich solle ihm bei Verwaltungsaufgaben helfen, aber anscheinend ging es nicht wie bei Otto um bloße Rechnungen, sondern um tiefer gehende Informationen.

„Ich verstehe. Wie soll ich Ihnen das Geld geben? Bisher habe ich bei größeren Summen immer mit der Gildenkarte bezahlt, aber Sie haben keine, oder?“

„Reicht es nicht, wenn du das Geld einfach in bar bringst?“

Das klang so einfach, aber ich war daran gewöhnt, Geld mit der Gildenkarte zu überweisen, und hatte nie viel Bargeld dabei. Die Vorstellung, als kleines Kind mit so vielen Goldmünzen von der Handelsgilde in den Tempel zu gehen, machte mir Angst.

„Für Sie ist das vielleicht nichts Besonderes, weil Sie täglich mit solchen Summen zu tun haben, aber ich habe Angst, so viel Geld bei mir zu tragen.“

„Was? Wofür, glaubst du, sind deine Diener da?“

Wie? Meine Diener?

Bei der Frage des Hohepriesters drehte ich mich reflexartig zu den Dienern hinter mir um. Auf keinen Fall könnte ich diesen schlecht ausgewählten Dienern so viel Geld anvertrauen. Fran würde vielleicht noch auf den Hohepriester hören, aber ich hatte Angst, dass man Delia und Gil ausnutzen würde, um mir das Leben schwer zu machen. So wie sie sich mir gegenüber verhalten hatten, erschien mir bisher keiner von ihnen vertrauenswürdig.

„Wenn ich jemandem das Geld gebe und er dann sagt, er hätte es nicht bekommen, habe ich ein Problem.“

„Vertraust du deinen Dienern nicht?“, fragte der Hohepriester erstaunt.

Er war nicht der Einzige, der sich wunderte. Ich fragte mich, ob die Adeligen wohl unfreundlichen Leuten, die sie kaum kannten, einfach so fünf kleine Goldmünzen in die Hand drücken könnten, oder ob die Diener eine Art Vertragsmagie angewandt hatten, mit der sie einen nicht hintergehen konnten. Aber ich erinnerte mich, dass sie bei der Vorstellung keinen solchen Vertrag geschlossen hatten. Eine Vertragsmagie hätte sogar ich sofort erkannt, denn sie verlangte Blut.

„Auch wenn sie meine Diener sind, es gibt keine äußeren Zwänge, die sie einschränken, und ich habe sie heute zum ersten Mal gesehen. Ich vertraue ihnen nicht genug, um ihnen so viel Geld anzuvertrauen.“

Hätten sie nicht wenigstens ein bisschen netter sein können? Als ob ich ihnen vertrauen könnte. Nein, auf keinen Fall. Wenn ich ihn mit den Dienern vergleiche, kommt mir sogar der Gildenmeister mehr wie ein Freund vor.

Es gab nicht viele Erwachsene, auf die ich mich verlassen konnte, wenn es um Geld ging. Ich fragte mich, ob ich Benno oder Mark bitten könnte, mit mir hierherzukommen. Vielleicht würde Benno nicht ablehnen, weil der Hohepriester ein Adeliger war und er Kontakte zum Adel knüpfen könnte. Ich würde mich freuen, wenn er mir helfen würde.

„Ich würde gerne einen vertrauenswürdigen Erwachsenen bitten, der souverän mit großen Summen umgehen kann. Könnte ich die Erlaubnis vom Tempel bekommen?“

„Um wen geht es?“

„Mein Vormund in geschäftlichen Dingen, Benno vom Handelshaus Gilberta.“

„Hm ... Gut, warum nicht.“

Wenn Lutz mich abholte, sollte ich bei Benno vorbeischauen und mich von ihm beraten lassen. Außerdem wollte ich ihn auch fragen, ob er wusste, wie man mit den Dienern umging. Vielleicht hatte der Umgang mit Dienern etwas mit dem Umgang mit Angestellten gemeinsam. Während ich in Gedanken versunken war, schloss der Hohepriester das Rechnungsbuch und gab es Arno.

„Das war alles für heute. Myne, hast du noch Fragen?“

„Ja! Lutz holt mich zum vierten Glockenschlag ab, darf ich bis dahin in der Bibliothek lesen? Ich möchte die Heilige Schrift lesen und auswendig lernen!“

„Lutz war doch der Junge, der sich um deine Gesundheit kümmert, oder? Ab jetzt werden deine Diener diese Aufgabe übernehmen.“

Obwohl ich gefragt hatte, ob ich in die Bibliothek dürfe, ging es auf einmal um meine Gesundheit. Ich warf wieder einen Blick auf die Diener. Gil kratzte sich am Kopf und sah offensichtlich desinteressiert aus. Delia schaute geistesabwesend aus dem Fenster, während Fran den Hohepriester vor mir ansah. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie in der Lage waren, sich um meine Gesundheit zu kümmern.

„Meine Familie sagte, dass ich mich von Lutz begleiten lassen soll, bis meine Diener meinen Gesundheitszustand besser kennen. Ich will Lutz auch nicht zu sehr zur Last fallen und hoffe, dass sie sich Mühe geben ... Darf ich jetzt in die Bibliothek?“

„Fran, bring sie dorthin.“

„Jawohl.“

Fran kreuzte die Arme, lächelte leicht und nickte. Sein Blick war stolz, ganz anders, als wenn er mich ansah und zeigte, wer sein wahrer Herr war.

Aber er war immer noch der Vertrauenswürdigste der drei. Er schien zwar den Hohepriester zu bewundern, aber er würde wahrscheinlich keinen Ärger machen. Während ich ihn begutachtete, folgte ich ihm mit hüpfenden Schritten.

Wie auch immer. Die Bibliothek! Da wartet die Arbeit! Meine Arbeit!

Während ich auf Wolke sieben schwebte und leichten Schrittes ging, folgten mir Delia und Gil. Nachdem wir uns ein Stück vom Zimmer des Hohepriesters entfernt hatten, schimpfte Gil: „Du willst in die Bibliothek? Was stimmt mit dir nicht?“

Puh, was stimmt mit dir nicht, dass du Bücher nicht schätzt?

Ich drehte mich um und warf Gil einen bösen Blick zu. Angriffslustig verzog er das Gesicht.

„Was soll denn dieser Blick? Du bist doch keine Adelige, sondern nur eine Gewöhnliche. Du bist nicht anders als ich, trägst aber ein blaues Gewand und hältst dich für was Besseres. Und du willst auch noch meine Herrin sein? Vergiss es. Deine Befehle interessieren mich nicht. Ich werde dich in den Wahnsinn treiben!“

So wie Gil mich nicht für seine Herrin hielt, hielt ich ihn auch nicht für meinen Diener. Außerdem hatte ich weder die Kraft noch die Nerven, um diesen frechen Bengel zu erziehen. Also würde ich ihn einfach ignorieren.

„Ach so. Das beruht auf Gegenseitigkeit.“

„‚Ach so‘?! Willst du mich verarschen?!“

Als ich dem wütend brüllenden Gil den Rücken zuwandte, ertönte hinter mir eine hohe Mädchenstimme.

„Du verarschst uns also wirklich.“

Delia schnaubte, und ihr künstliches Lächeln verschwand. Ich hatte sie für ein Mädchen gehalten, das sich bei Männern einschmeichelte, und gedacht, sie würde ihr wahres Gesicht nicht zeigen, solange die anderen Diener da waren. Umso überraschter war ich, als sie ihre Fassade fallen ließ. Offenbar hatte ich sie falsch eingeschätzt. Vielleicht war sie nicht der Typ, der versuchte, sich bei allen beliebt zu machen, oder sie war eine Jägerin, die sich nur bei ihrem Ziel lieb Kind machte.

Während ich Delia musterte, fuhr sie sich durch ihr dunkelrotes Haar und hob arrogant das Kinn. Es war erschreckend, wie sie sich im zarten Alter von acht Jahren benahm.

„Oh Mann! Nachdem ich endlich die Chance bekommen habe, beim Bischof eine Lehre zu machen, muss ich ausgerechnet einem Mädchen wie dir dienen, das meinen Charme nicht zu schätzen weiß. Und dann kommst du auch noch aus einer armen Familie. Furchtbar.“

Es schien, als wäre Delia eine Spionin des Bischofs. Kein Wunder, dass sie nicht auf meiner Seite war.

Aber warum sagt sie das so offen? War das auch ein Befehl des Bischofs?

„Dann werde ich nach einer anderen Zofe fragen.“

Verblüfft und erfreut über ihr plötzliches Geständnis teilte ich ihr meinen Wunsch nach einem Personalwechsel mit. Delia kniff ihre Mandelaugen wütend zusammen.

„Oh Mann! Du verstehst wirklich gar nichts. Ich werde meine Stelle auf keinen Fall hergeben. Was redest du da?“

Das möchte ich sie auch fragen. Was redet sie da?

„Der Bischof hat mich beauftragt, dir auf die Nerven zu gehen. Wenn mich jemand ablöst, wird meine Kompetenz infrage gestellt!“

Obwohl wir dieselbe Sprache sprachen, verstanden wir uns nicht. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wovon sie redete. Natürlich wollte ich niemanden in meiner Nähe haben, der den Befehl vom Bischof erhalten hatte, mich auf die Palme zu bringen, und es war nur selbstverständlich, dass ich nach einer anderen Zofe verlangte. Als mir dieser Gedanke durch den Kopf ging, wurde mir etwas klar. Selbst wenn ich Delia entlassen hätte, würde der Bischof mir einen Ersatz schicken. Für mich war Delia, die gerne von sich erzählte, eine bessere Kandidatin als jemand, der nichts preisgab. Während ich mir den Kopf zerbrach, zeigte sie mit dem Finger auf mich.

„Denk bloß nicht, dass ich Angst vor dir hätte, nur weil du ein blaues Gewand trägst! Ich werde die Gunst des Bischofs gewinnen und seine Geliebte werden!“

Hatte ich mich verhört oder war „Geliebte“ ein Trend unter jungen Mädchen? Ich erinnerte mich daran, wie schockiert ich war, als Frieda von ihrer Zukunft als Konkubine sprach, und empfand ein Gefühl des Ekels, als ich an das Alter des Bischofs dachte. Ich hatte angenommen, dass das attraktive graue Tempelmädchen, das wie eine Sekretärin aussah, sein Typ wäre, aber vielleicht hatte ich mich geirrt.

„Ähm ... ist das etwas, womit man angeben kann?“

„Natürlich. Geliebte zu sein, ist die beste Position, die eine Frau haben kann. Nicht mal das weißt du? Na ja, wer nicht so hübsch ist wie ich, hat sowieso keine Chance.“

„Hä? Geliebte zu sein, ist die beste Position, die eine Frau haben kann?“

Ihr Verständnis von „Geliebte“ entsprach definitiv nicht der Norm, denn Frieda und ich hatten die gleiche Vorstellung davon, was es hieß, eine Geliebte zu sein. Zumindest hatte sie nicht stolz und prahlerisch davon gesprochen, dass sie Geliebte werden wollte. Gil zuckte mit den Schultern und grinste spöttisch, als würde er mich auslachen, weil ich ihre Wertvorstellungen nicht sofort akzeptieren konnte.

„Ist doch klar. Wenn man die Geliebte eines blauen Priesters ist, kann man sich von den grauen Priestern bedienen lassen. Und wenn man die Geliebte des Bischofs ist, muss man sich von den anderen nichts mehr sagen lassen und hat nur Vorteile ... Sag mal, spinnst du? Warum weißt du so was Selbstverständliches nicht?“

Obwohl er mich für eine Nichtswisserin hielt und mich verachtete, war ich nicht im Geringsten wütend. Dass die Geliebte des Machthabers das Beste war, was ein Mädchen aus dem Waisenhaus erreichen konnte, hätte ich lieber nicht gewusst. Mit dieser Vorstellung hatte ich bisher keinen Berührungspunkt gehabt, aber für die Waisen des Tempels gehörte sie zum Alltag. Als Außenstehende konnte ich wohl sagen, was ich wollte, sie würden mir trotzdem kein Wort glauben.

„Gil, es reicht!“, rief Fran, als er sah, wie ich mir den Kopf hielt.

Doch Gil ließ sich nicht einschüchtern, kicherte nur und verspottete mich.

„Die ist doch selbst schuld, dass sie keine Ahnung von nichts hat. So was weiß doch jeder.“

„Fräulein Myne, der Hohepriester hat doch vorhin gesagt, dass Ihr ihn zurechtweisen sollt, wenn er sich nicht benehmen kann.“

„Ach ja. Aber was mich mehr interessiert: Wann sind wir endlich da?“

Die Erziehung der Diener war mir völlig gleichgültig. Ich hatte weder die Lust noch die Kraft, Gil oder Delia eine Lektion zu erteilen. Fran hatte nur Augen für den Hohepriester und war wahrscheinlich nicht besonders glücklich darüber, mir dienen zu müssen. Delia hatte sich das Ziel gesetzt, die Geliebte des Bischofs zu werden, und gab ihr Bestes, um mir auf den Keks zu gehen. Und Gil erkannte mich nicht als seine Herrin an, leistete heftigen Widerstand und machte sich über mich lustig. Daran zu denken, dass ich gleich Bücher lesen könnte, erschien mir viel sinnvoller, als mich zu fragen, wie ich mit diesen Dienern zurechtkommen sollte.

„Ich werde dem Hohepriester davon erzählen“, sagte Fran.

„Fühl dich frei, das scheint ja sowieso deine Aufgabe zu sein.“

Fran seufzte, öffnete eine Tür und trat ein. Als ich das Paradies vor mir sah, ging mir das Herz auf. Aus Angst, wieder abgewiesen zu werden, klopfte mein Herz laut. Ich streckte die Hand aus, suchte die durchsichtige Wand und ging Schritt für Schritt in die Bibliothek hinein. Doch anders als beim letzten Mal konnte ich ungehindert eintreten.

„Wow!“

In dem Moment, in dem ich den Boden der Bibliothek betrat, änderte sich die Atmosphäre schlagartig. Während ich vor Ergriffenheit zitterte, atmete ich die staubige Luft tief ein, die für eine Bibliothek typisch war. Aber diese Bibliothek roch anders als die, die ich kannte, vielleicht wegen der vielen Pergamente und Holzbretter oder wegen der Zusammensetzung der Tinte. Der Duft der Tinte und der alten Bücher machte mich so nostalgisch und glücklich, dass meine Augen feucht wurden.

Es gab nicht besonders viele Bücherschränke, einige waren verschlossen, andere mit Brettern und Zetteln gefüllt. Ich fand auch Regale, in denen Schriftrollen aufbewahrt wurden. Die Rollen lagen auf den Regalen wie zusammengerollte Stoffe in einem Stoffladen, und die Etiketten für die Titel hingen herunter. Weiter hinten standen Fässer für die Schriftrollen, auf denen Etiketten mit den Titeln der darin aufbewahrten Reihen aufgeklebt waren.

Die Fenster waren in regelmäßigen Abständen angeordnet und ließen das helle Sonnenlicht herein. Genau an den sonnendurchfluteten Stellen befanden sich lange Tische, wie man sie aus der Universität kennt. An den Lesetischen mit den schrägen Tischplatten waren Bücher mit dicken Ketten angekettet, die klagten, dass sie von mir gelesen werden wollten.

„Das ist die Heilige Schrift“, sagte Fran.

Bevor ich die angekettete Heilige Schrift las, berührte ich den Ledereinband. Dann löste ich den Ledergürtel, der das Buch zusammenhielt. Im nächsten Moment sprangen die Seiten nach oben und schoben den Einband zur Seite. Ein natürlicher Vorgang für das Pergament, das Feuchtigkeit aufgesogen hatte, aber es war, als würde mich das Buch zum Lesen drängen.

Ach, wann habe ich denn das letzte Mal ein Buch gelesen?

Als ich den Einband öffnete, hallte das Klirren der schweren Kette durch die Bibliothek. Meine Fingerspitzen, die über die leicht vergilbten Seiten strichen, zitterten. Während ich die etwas schwer lesbare Handschrift nachzeichnete, begann ich nach langer Zeit wieder ein Buch zu lesen.