AUF DEM HIPPIE-TRAIL - Fritz Appel - E-Book

AUF DEM HIPPIE-TRAIL E-Book

Fritz Appel

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Beschreibung

Das Buch handelt von meiner Reise mit einem Freund und einem alten VW-Bus, Ende 1971, auf dem Hippie-Trail von Wien nach Bombay. Indien stand im Krieg gegen Pakistan und wir befanden uns in der Nähe der Front. Die Rückkehr in das friedliche Afghanistan war nicht mehr möglich. Der Landweg war uns versperrt. Viele berühmte Reisende haben vor uns, oft unter viel schwierigeren Umständen als wir, diese Länder bereist. Sie sollten mich bei diesem Bericht begleiten und darüber erzählen, wie es in diesen Ländern und Städten in früheren Jahrhunderten ausgesehen hat. Aber ich hatte noch ein anderes Anliegen. Ich wollte wissen, was die Politiker und die Religionen aus diesen Ländern bis zum heutigen Zeitpunkt, 2013, gemacht haben. Die Ergebnisse sind kein Grund zur Freude - um es vorsichtig auszudrücken.

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Seitenzahl: 563

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Impressum:

Verlag tredition GmbH, Hamburg

Mai 2013

Umschlag: Fritz Appel, Wien.

Sepahsalar-Moschee, Teheran

http://www.appel-books.at

ISBN: 978-3-8495-4952-7

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Von Wien nach Bagdad

2. Von Bagdad nach Kabul

3. Von Kabul nach Bombay

4. Von Bombay über Delhi nach Bombay

5. Auf dem Schiff. Teheran - Istanbul – Wien

VORWORT

Im November 2012 nahm ich, nach langer Zeit, meine beiden “Logbücher”, die ich während meiner Indienreise in den Jahren 1971 bis 1972 täglich, fein säuberlich und oft unter sehr widrigen Bedingungen, geschrieben habe, zur Hand. Indien stand im Krieg gegen Pakistan und ich war mit einem Freund mit meinem alten VW-Bus in der Nähe der Front. Noch einmal machte ich in Gedanken diese Reise mit und davon handelt dieses Buch. Es war mir ein Anliegen, den ursprünglichen Text möglichst unverändert wiederzugeben, obwohl es stilistisch manchmal nötig gewesen wäre. Doch der Schwerpunkt sollte woanders liegen.

Viele berühmte Reisende haben vor uns, oft unter viel schwierigeren Umständen als wir, diese Länder bereist. Sie sollten mich bei diesem Bericht begleiten und unterstützen, um zu erfahren, wie es vor 100, ja vor 670 Jahren (Marco Polo) in diesen Ländern ausgesehen hat.

Aber ich hatte noch ein anderes Anliegen. Ich wollte wissen, was die Politiker und die Religionen aus diesen Ländern bis zum heutigen Zeitpunkt, 2013, gemacht haben. Ich habe einige wenige Beispiele eingefügt. Würde man alle Vorkommnisse der letzten 42 Jahre aufschreiben, erhielte man ein Buch, dicker als die Bibel und es würde nur endlose Berichte über sinnlose, blutige Massaker enthalten.

Durch meinen Beruf war es mir einige Jahre danach möglich, fast alle diese Länder wieder zu bereisen und die dort lebenden Menschen viel besser kennen zu lernen. Ich hielt mich oft einige Wochen in diesen Ländern auf und konnte so Kontakte zu den verschiedensten Gesellschaftsschichten, von den Arbeitern bis zu den Firmenleitern und Inhabern, aufnehmen. Einige dieser Erlebnisse werde ich an den entsprechenden Stellen einfügen.

“Am Hippie-Trail, vom Krieg vertrieben”. Der Titel des Buches sagt schon, dass wir einige Probleme hatten. Mein Auto musste ich in Bombay zurücklassen. Wir waren froh, dass wir uns selbst in Rettung bringen konnten. “Sex, Drugs and Rock’n Roll” kommen nur am Rande vor, was den Leser hoffentlich nicht zu sehr enttäuschen wird. Wir waren damals, angesichts der vielen kaputten Typen aus den “zivilisierten Ländern”, die wir immer wieder sahen, stolz darauf “clean” zu sein und die Schönheiten der Landschaften und der Kultur mit klaren Köpfen erleben zu können.

Folgende Reisende werden im Text kurz zu Wort kommen:

Marco Polo - 1254 bis 1324, bereiste diese Länder um das Jahr 1275. Bücher: “Marco Polo - Von Venedig nach China” und “Marco Polo - Der Roman zweier Welten”

Carsten Niebuhr - 1733 bis 1815, bereiste diese Länder vor mehr als 200 Jahren. Buch: “Carsten Niebuhr -Entdeckungen im Orient” 1761-1767

Pierre Loti - 1850 bis 1923. Er bereiste den Iran um 1830. Sein Buch: “Nach Isfahan”

Nicolas Bouvier - “Die Erfahrung der Welt”. Der 1929 in der Schweiz geborene Dichter und Poet fuhr 1953 / 1954 mit seinem Freund, dem Maler Thierry Vernet, mit einem Fiat 500A, Baujahr 1948, Topolino nahezu dieselbe Strecke wie wir, bis Bombay. In weiterer Folge brachte ihm dieses Auto bis nach Colombo. Sein Buch endet jedoch an der afghanisch-pakistanischen Grenze.

Max Reisch - fuhr 1933 mit Herbert Tichy auf einem am Motorrad. Sein Buch: “Indien, lockende Ferne.”

Dr. August Jentsch - fuhr 1966 mit einem Traktor in die Türkei, den Iran und nach Pakistan. “Ein Mann und ein Traktor auf Weltreise”

Peter Levi - “Im Garten des Lichts”. Levi reiste 1970 mit Bruce Chatwin durch Afghanistan.

Jason Elliot - “Unerwartetes Licht”. Elliot bereiste das Land in der gefährlichen Zeit der Taliban, Mitte der neunziger Jahre.

Andreas Pröve- “Meine orientalische Reise”. Mit dem Rollstuhl durch Syrien, Jordanien und den Iran.

V.S.Naipaul: “Indien, Land des Aufruhrs”

Eine kurze Bemerkung zur Grammatik:

Beim Schreiben von Zahlen habe ich mich bewusst von der derzeitigen Rechtschreibregel abgewendet. Ich schrieb Zahlen von eins bis elf aus, darüber hinaus in Ziffern. Ich sehe keinen Sinn darin, außer in Geldgeschäften, zu schreiben, dass unsere Reise im Jahr neunzehnhundert einundsiebzig begonnen hat. Sie hat 1971 begonnen.

1. VON WIEN NACH BAGDAD

Wenn ein langgehegter Wunsch endlich in Erfüllung geht, bleibt die große Freude manchmal aus. Ich habe das schon einige Male beobachtet und bedauert und nie verstanden warum das so ist. Und heute, an diesem 16. Oktober 1971 fällt mir auf, dass es genau so wieder ist. Schade! Die Vorfreude war grösser.

Nach wochenlangen Vorbereitungen voll Ungeduld sind wir jetzt endlich “On the Road” und ich bin nachdenklich und werde mir jetzt, während wir uns der ungarischen Grenze nähern, so richtig bewusst, worauf wir uns da eben einlassen. Wird unser knappes Budget ausreichen, um bis nach Indien und wieder zurück zu kommen? Hoffentlich haben wir keinen Verkehrsunfall! Was ist wenn jemand von uns ernstlich krank wird? Von einer Schlange gebissen wird. Und wird das Auto die fast 50.000 Kilometer überstehen oder wird uns ein irreparabler Defekt alles zunichtemachen? Oder werden wir in den Einöden Persiens oder Afghanistans sogar überfallen, ausgeraubt, verletzt, erschlagen, erschossen, abgestochen? Meine beiden Freunde, Markus und Richard, sind auch auffallend ruhig. Wahrscheinlich gehen ihnen ähnliche Gedanken durch den Kopf. Es wird uns erst jetzt bewusst, dass wir ein großes Risiko eingehen. So vieles könnte passieren.

Um zehn Uhr haben wir heute Vormittag Wien, Richtung Osten, verlassen. Damit hat das Abenteuer begonnen. Habe ich mich eigentlich von meiner Mutter richtig verabschiedet? Ganz plötzlich geht mir dieser Gedanke durch den Kopf. Ich erinnere mich. Ich habe ihr schon vor einigen Tagen erzählt:

-Ich fahre wieder nach Afghanistan. Aber diesmal ein bisserl weiter wie voriges Jahr. Nach Indien. Und als ich mich von ihr heute verabschiedet habe, sagte ich nur.

-Also, bis bald. Bleib gesund. Und mach dir keine Sorgen.

-Pass auf dich auf, hat sie, mit leiser, unsicherer Stimme gesagt.

Dann ist die Türe auch schon zugefallen. Ich war in Gedanken schon längst unterwegs. Jetzt tut mir meine Mutter plötzlich sehr leid. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Das muss doch furchtbar für sie sein. Ihr Bub - plötzlich ist er nicht mehr da. Als wäre er froh von mir weg zu kommen. Kein Musiklärm mehr aus seinem Zimmer, keine schmutzige Wäsche für ihn zu waschen und mit dem Kochen kann sie ihren Burschi auch nicht mehr verwöhnen. Vielleicht denkt sie so. Noch dazu sind Länder wie die Türkei, Afghanistan oder Pakistan für sie wahrscheinlich wie die Vorhöfe zur Hölle.

Neben mir, als Co-Pilot, sitzt Markus. Groß, blond, ein ruhiger Typ, der langsam und überlegt spricht. Hinten, im “Salon” des Autos Richard. Er ist klein, trägt Brillen und gibt mit seiner piepsigen Stimme, immer seine wohl überlegten Kommentare ab. Er hat zu allem eine Meinung und er wird uns aus den Reiseführern über alles Sehenswerte auf der Strecke informieren. Kennen gelernt haben wir uns in der Ingenieurschule, Fachrichtung Nachrichtentechnik.

Ich selbst war schon immer die Triebfeder für viele Reisen und Ideen gewesen. So bin ich mit Markus und Werner, einem anderen Schulkollegen, erst vor einem Jahr, mit einem sehr alten VW-Bus, nach Afghanistan gefahren.

Ich habe, wie immer, sehr viel über die bereisten Länder gelesen und meine Bord Bibliothek ist gut bestückt. Ich habe Literatur für jede Stimmungslage in meinem Regal, neben meinem Schlafplatz. Und natürlich auch die entsprechenden Reiseführer.

*

“Die magische Kraft einer Reise liegt darin, dass sie das Leben reinigt, bevor man es einrichtet und ausschmückt” schrieb Nicolas Bouvier von der Poesie des Reisens. Er startete, mit seinem Freund, dem Maler Thierry, die Reise von Genf nach Bombay, in einem Fiat Topolino im Juli 1953. 24 Jahre war Nicolas damals alt.

“Reisen ist ein Weg in die Askese”, schrieb er in seinem Buch “Die Erfahrung der Welt”. Sein “Mäuschen”, was Topolino auf Deutsch heißt, brachte ihn auch noch weiter, bis Colombo auf Ceylon, dem heutigen Sri Lanka.

*

Wir werden sehen, inwieweit dieses Abenteuer uns verändern wird. Jedenfalls wird es sehr interessant und auch lustig werden. Darüber bin ich mir sicher.Wir lieben es zu diskutieren und jedes Thema wird immer wieder hinterfragt und damit werden wir auch die ödesten Strecken, die vor uns liegen, schnell hinter uns bringen.

-Ich will heute unbedingt noch bis Jugoslawien

kommen und Cevapcici essen, unterbricht Markus unser Schweigen.

-Das geht sich locker aus, antworte ich.

Nach einigen Minuten werde ich richtig munter und juble:

-Immer nach Osten. Nichts kann uns mehr aufhalten!

Jetzt habe ich alle Zweifel überwunden und die Vorfreude überwiegt.

Wir haben eben Bruck an der Leitha hinter uns gelassen, da wirft ein Lastwagen, der vor uns fährt, mit seinen Zwillingsrändern einen Stein auf die Windschutzscheibe meines VW-Busses und ich sehe nur mehr gesplittertes Glas vor meinen Augen und halte am Straßenrand an.

-Shit! rufen wir im Chor.

-Fängt nicht gut an. Aber besser hier, als irgendwo im Ausland.

-Wir verlieren vieleicht zwei bis drei Stunden. Lassen wir auch gleich die Bremsen entlüften und einstellen.

Also drehen wir um und fahren zurück nach Wien.

-Von wegen, nichts kann uns mehr aufhalten.

-Kein guter Anfang.

Wir haben Glück, dass sich sofort ein Mechaniker bei der Firma im 15.Bezirk um uns kümmert und die passende Scheibe auch lagernd ist. Nur vier Stunden später haben wir schon wieder unseren Kurs nach Osten eingenommen und um 15 Uhr auch schon Bruck an der Leitha hinter uns gelassen.

*

Heute würde man in einer Auto-Werkstatt einen Termin in zwei Wochen bekommen. Ganz abgesehen vom Preis. Wir haben 420 Schilling, etwa 30 Euro bezahlt. So viel würde man heute, 40 Jahre später, schon für die Besichtigung des Schadens bezahlen.

*

  -Ich fühle mich jetzt sicherer. Deine Bremsen

  waren ja wirklich kriminell, sagt Richard und damit hat er nicht ganz Unrecht. Vor jedem Bremsvorgang habe ich schnell zwei, drei Mal das Bremspedal drücken müssen, um die Luft aus der Leitung zu pumpen. Ansonsten wäre die Bremswirkung gleich Null gewesen.

-Na klar ist das besser. Aber Markus, du kannst dich sicher an voriges Jahr erinnern. Da sind wir von Wien abgefahren und der Starter von meiner alten Kiste war kaputt. Wir haben für die Schlafplätze jeden Abend einen Hügel suchen müssen, um am nächsten Morgen den Wagen anlaufen zu lassen. Hat aber immer gut funktioniert.

-Ja. Die erste Nacht haben wir bis Belgrad fahren müssen, weil es in Ungarn überall zu flach war.

-Ich habe kein Geld für einen neuen Starter gehabt. Die Nachbarn haben jedenfalls dumm geschaut, als wir gesagt haben, wir fahren jetzt nach Indien. Dann sind Markus und Werner ausgestiegen und haben in der Gasse, in der ich gewohnt habe, das Auto angeschoben.

-Crazy!

-Ja. Da haben viele den Kopf geschüttelt oder mitleidig gelächelt.

*

Das war tatsächlich ein wenig verrückt. Ich habe es schon kurz erwähnt: Mit meinem uralten VW-Bus, Baujahr 1952, den ich um unglaubliche 2.500 Schilling (etwa 180 Euro) gekauft habe und einfach schwarz-rot angepinselt habe, sind wir am 6. Juli 1970 nach Afghanistan aufgebrochen. Der Motor hat nur 24 PS Leistung gehabt, aber wir haben es geschafft, mit diesem Fahrzeug knapp vor Schulbeginn, wieder zurück in Wien zu sein. Das Auto war innen mit zwei Liegeplätzen ausgestattet, die man ganz rasch in Sitzbänke und einen Tisch ändern konnte. Der dritte Mann schlief auf der Fahrerbank. Es war gemütlich. Ich hatte natürlich auch damals eine kleine Bibliothek neben meinem Schlafplatz. Bücher von Jean Hougron, die ich damals so gerne gelesen habe, obwohl, oder vielleicht gerade weil seine Bücher im fernen Indochina handelten. Natürlich auch einige Taschenbücher. Ernest Hemingway und Hermann Hesse waren meine Favoriten und natürlich hatte ich einige Reiseführer und Straßenkarten mit an Bord.

Den Motor konnten wir in 20 Minuten ausbauen, denn ich hatte die hintere Stoßstange und die Heizung abmontiert und in Wien gelassen. Ein Benzin-Kanister passte genau unter den Motor. Es waren nur die vier Schrauben zum Getriebe zu lösen, Drähte und Seile ab zu klemmen und dann konnte man den Wagen vorschieben und der Motor stand vor uns auf dem Kanister.

An der Frontseite des Busses war ein Reserverad montiert, als Puffer, doch eigentlich mehr wegen der Optik und am schwarz gestrichenen Dach stand vorne in weißen Buchstaben: “Inch ’Allah” und auf den Seiten: “Bombay”, “India” “Teheran” und “Nemsa”, Österreich, in arabischer Schrift, habe ich auf die Rückseite gepinselt.

Wir kamen damals bis Kabul und sind weiter nach Norden, über den Hindukusch bis Mazar-i-Sharif, nahe der Grenze zu Tadschikistan gefahren. Wir wollten, obwohl alle Reiseführer davor gewarnt haben, die Nordstrecke zurück nach Herat fahren. Über Balkh und Maimana. Ein Sandsturm und ausgebrannte Unterbrecherkontakte hatten eine Weiterfahrt in dieser Einöde fast verhindert. Den Starter hatten wir uns glücklicherweise bei der Hinfahrt in Trabzon, in der Ost-Türkei reparieren lassen, denn ein Anlaufen des Wagens, der bis zur Bodenplatte im Sand gesteckt ist, wäre natürlich vollkommen unmöglich gewesen. Wir haben es dann doch zurück nach Kabul geschafft und erst in Griechenland hielt uns wieder ein Defekt zwei Tage auf. Markus besorgte damals den nötigen Ersatzteil in Saloniki, während ich mit Werner am Strand von Kavala auf ihn gewartet habe.

*

Ich erzähle Richard, wie das im vorigen Jahr war:

-Damals, am Strand in Griechenland, haben wir das erste Mal einen Satelliten am Nachthimmel gesehen, erinnere ich mich.

-Und wir waren begeistert, wie die alten Frauen, mit ihren schwarzen Kleidern und ihren Kopftüchern die Hippies begrüßt haben. Langhaarige, nicht gerade saubere Typen, einer mit einem Hare-Krischna-Gewand und einem langen Wanderstock und die alten Frauen haben die jungen Männer kichernd am Bart gezogen und gelacht und ihnen auf die Schultern geklopft und ihnen Oliven und Obst geschenkt. Echt sympathisch! Bei uns hätten sich die Leute von ihnen abgewendet: Hippies, Halbstarke, arbeitsscheu es Gesindel, die sollen lieber arbeiten gehen, wie die ausschauen!

Ich mache eine kurze Pause und erzähle dann weiter:

-Noch besser haben mir natürlich die jungen Mädchen gefallen. Super Mini-Röcke, schöne Gesichter, schlanke Figuren, zumindest die meisten. Jeden Abend war dort die Promenade der aufgeputzten Jugend des Ortes. Die Brautschau. Der Korso. Immer 500 Meter vor, 500 Meter zurück, 500 wieder vor und so weiter. Genau eine Stunde lang. Die jungen Männer haben sich wie die Pfauen benommen. Mit engen T-Shirts, damit man ihre Muskeln sehen konnte. Manche röhrten mit ihren Mopeds wie die Hirsche und wollten damit den Mädeln damit imponieren.

-Bis die Mädchen geheiratet werden, etliche Kinder bekommen, fett und unförmig werden und langsam verfallen, sagt Richard.

-So ist der Lauf des Lebens. Das Verfallen bleibt auch uns nicht erspart.

Anyhow! Am 4. September waren wir, mit dieser alten Kiste, wieder zurück in Wien. Das Auto hat die lange Reise tatsächlich überstanden.

-Hoffentlich haben wir diesmal auch so viel Glück.

*

Den VW-Bus, in dem wir jetzt sitzen, habe ich genau so eingerichtet und bemalt, wie das Fahrzeug auf dieser Fahrt 1970.

Nur hat der Motor diesmal 34 PS und das Auto ist Baujahr 1961. Der Zustand des Fahrzeugs ist gut. Ich habe einen großen Dachträger montiert, auf dem wir etliche Ersatzräder, ein altes Zelt, einen Kanister für Trinkwasser und Kleinzeug festgebunden haben. Die Bibliothek hat sich etwas geändert. So hat zum Beispiel Jean Paul Sartre Jean Hougron abgewechselt und zwei Bücher von Nikos Kazantzakis und ein Reisebericht von Marco Polo sind dazu gekommen.

An der Grenze zu Ungarn, bei Nickelsdorf, haben wir eine halbe Stunde Aufenthalt. Viele Österreicher fahren nach Ungarn um billige Würste, Paprika, Krimsekt, Wodka und Gewand einzukaufen.

-Wo fahren sie hin? fragt mich der junge, ungarische Zollbeamte.

-Nach Indien.

Er schluckt und überlegt kurz, dann gibt er mir die drei Reisepässe zurück.

-Ich wünschen gute Reise! sagt er zackig.

-Danke!

Dann rollen wir Richtung Györ.

-Ich glaube der war uns so richtig neidig.

-Kann ich verstehen. Der Mann ist eingesperrt in seinem Land.

Jetzt fallen langsam alle Bedenken von mir ab. Die große Freude auf das, was uns erwartet, kommt plötzlich wie eine Welle, wie ein Tsunami über mich. Unglaublich was für Abenteuer und Eindrücke vor uns liegen. Jugoslawien, wo ich schon so schöne Tage und Wochen verbracht habe. Bulgarien und die herrliche Stadt meiner Träume, Istanbul, die ich inzwischen schon sehr gut kenne. Dann Anatolien und der Iran und wieder Afghanistan mit seinen Ebenen und den schneebedeckten Bergen im Norden. Ab dem Khyber Pass beginnt für Markus und mich Neuland. Richard wird uns in Teheran verlassen, weil sein Urlaub zu Ende sein wird. Dann werde ich mit Markus durch Pakistan in das geheimnisvolle Indien kommen.

Viele Bücher habe ich über diese Länder gelesen.

*

Meinen Traum von Istanbul ging im Jahr 1963 das erste Mal in Erfüllung.

Mit einem alten Motorrad der Marke “Puch TF - 250 ccm, mit Beiwagen startete ich mit zwei Freunden, Gerd und Herbert, am 9. August die Reise durch Jugoslawien und Bulgarien nach Istanbul. Drei Männer in einer Beiwagenmaschine, mit einem Koffer aus Karton, der sich langsam aber sicher, nach dem ersten Regen, aufgelöst hat. Schon bei Edirne schauten die ersten Socken und Unterhosen aus dem Koffer heraus und wir schnürten ihn mit schwarzem Isolierband ein. All das über 4.300 Kilometer. Rückblickend war es ein Mords-Spaß.

Istanbul: Endlich stand ich damals ehrfurchtsvoll vor den majestätischen Moscheen, ging durch den lauten, bunten Basar, mit all seinen fremdartigen Geräuschen und Gerüchen.

Topkapi Serail, das alte Stambul, das Kaffeehaus von Pierre Loti und das “Goldene Horn”, damals noch eine stinkende Brühe. Aber schön war es!

Stinkende Brühen hatten wir in Wien nicht. Wir fuhren noch weiter nach Osten, nach Asien. Um das Marmarameer erreichten wir Bursa mit seiner “Grünen Moschee”, besuchten die Ausgrabungen von Troja, fuhren mit der Fähre in Çanakkale über die Dardanellen, wurden mit einem Militärkonvoi durch das Sperrgebiet um Gallipoli transportiert und kämpften uns, mit einem langsam sterbenden Motorrad bis nach Skopje durch, wo wir die Aufräumungs-Arbeiten, nach dem verheerenden Erdbeben vom 26. Juli 1963 zusahen. An kilometerlangen Zeltstätten, in denen die überlebenden Obdachlosen hausten vorbei, erreichten wir über die Lovcen Straße Kotor in Montenegro. Unser großes Problem waren, wie auch Max Reisch in seinem Buch “Indien, lockende Ferne” klagte, die Speichen im Hinterrad, die eine nach der anderen rissen. Auch der Motor des Motorrads litt mit. Die Trockensumpf-Schmierung des Motors funktionierte nicht wie sie sollte und immer wieder kam es zu “Kolbenreibern”. Wir montierten dann in Kotor den Beiwagen ab und zogen die Speichen, die wir vorher, mit der Hilfe eines Mechanikers, gekürzt hatten, in das Hinterrad ein. Einer der Freunde fuhr mit Autostopp weiter und ich kämpfte mich mit Gerd bis Dubrovnik durch. Dort war das Ende von “Marylinde”, meinem Motorrad.

Wir liehen uns Geld von Touristen, fuhren mit dem Schiff nach Rijeka und mit Hilfe von mitleidigen Autofahreren erreichten wir, übel riechend und pleite, Wien.

*

Das eigentliche Ziel unserer jetzigen Reise ist der Wunsch in Zukunft einen 16 mm Film über Yogis, Fakire und Sadhus in Indien zu drehen. Doch vorerst wollen wir uns nur im Land umschauen. Die Drehorte festlegen.

Aus dem Radio hören wir “Black Magic Woman” von Carlos Santana, eines der Lieder dieses Jahres. Es hat mir von Anfang an gut gefallen. Zwei andere Songs, “Metal Guru” von T.Rex und “My Sweet Lord” von George Harrison habe ich zu Hause vom Radio auf Tonband aufgenommen. Insgesamt habe ich zehn Musikkassetten und einige Leerkassetten mit an Bord, denn ich habe vor, in jedem Land, durch welches wir fahren werden, einheimische Musik aus dem Radio aufzunehmen. Ich liebte diese schwermütige, jaulende, für uns so fremde Musik dieser orientalischen Länder.

Im Radio folgen Nachrichten in deutscher Sprache. Ein Toter an der Grenze bei Hirschberg in der DDR. Ich weiß nicht viel über die DDR, genau genommen gar nichts. Nur dass nach dem Ende des zweiten Weltkrieges Österreich fast dasselbe Schicksal hätte treffen können. Dann hätten alle meine Reisen, wie bei den Leuten in der DDR, nur im Kopf stattfinden können und meine Träume von fremden Ländern wären Träume geblieben. Wie schrecklich muss es sein in einem Land eingesperrt zu sein, wenn man von fernen, exotischen Plätzen träumt.

Aber damals, 1945, hatten unsere Politiker in Österreich, wie Karl Renner, zum Glück noch Rückgrat.

*

Die DDR, ein Land welches mich in Zukunft sehr intensiv beschäftigt hat, hatte 1971 unglaubliche 80.000 Kilometer Stacheldraht und zwei Millionen Minen verlegt und Erich Honecker löste in diesem Jahr Walter Ulbricht ab.

Neun Jahre später heiratete ich in der DDR meine Frau, mit der ich im November 2010 den 30. Hochzeitstag in Jurien Bay, in West-Australien, gefeiert habe.

Bei der sozialistischen Trauung in der kleinen, ländlichen Ortschaft im Kreis “Börde-Hakel”, wie der Bezirk heute genannt wird, spielte man sinnigerweise den “Gefangenenchor” aus der Oper “Nabucco” von Giuseppe Verdi. Nicht aus Bosheit und schon gar nicht aus Spaß. Den kannte man damals amtlich nicht, sondern weil es eben nur diese eine Schallplatte gegeben hat

*

Wir kommen in die westlichen Vororte von Budapest.

-Nichts wie durch, damit wir wieder Gas geben können. Es ist schon spät.

Viele Autos sind nicht unterwegs, auch nicht im Zentrum und auf der Brücke über die Donau.

-Ich erinnere mich noch als ich im Herbst 1956 mit einem Freund auf dem Satzberg in Hütteldorf spazieren gegangen bin, erzähle ich.

-Da ist mitten auf der Wiese eine Frau ganz aufgeregt auf uns zugerannt und hat schon von weitem geschrien: “Passt’s auf Buam! Die Russen kummen wieder. Die san schon in Ungarn. Versteckt’s euch!”

Unser Bundesheer hat diese Nachricht erst durch das Radio erfahren, was ein wenig erschreckend war.

*

Es war damals wirklich kritisch.

Angefangen hat alles am 23. Oktober 1956. Da haben Studenten der Technischen Universität eine genehmigte Demonstration abgehalten aber sie haben dann mehr gefordert als man erwartet hat und tausende Ungarn haben sich ihnen angeschlossen. Die Leute haben ganz einfach von der sowjetischen Unterdrückung die Schnauze voll gehabt. Es sind dann immer mehr Menschen gekommen und sie sind zum Rundfunkgebäude auf der Pest-Donauseite gegangen, weil sie ihre Forderungen über den staatlichen Rundfunk verbreiten lassen wollten. Von dort hat man auf sie geschossen. Demonstranten haben sich auch Soldaten mit Waffen angeschlossen und sie haben das Gebäude gestürmt. Dann haben sich etwa 300.000 Menschen am Abend vor dem Parlament versammelt und Meinungs- und Pressefreiheit, freie Wahlen und vor allem Unabhängigkeit von den Sowjets gefordert und sie haben das Stalin Denkmal umgeworfen.

Imre Nagy hat Ungarn für neutral erklärt und Ungarn ist aus dem Warschauer Pakt ausgetreten. Die Truppen der Roten Armee haben Rot gesehen. Und sie haben begonnen den Volksaufstand nieder zu schlagen. Zehn Tage oder noch länger hat es im ganzen Land heftige Kämpfe gegeben und es sind etwa 20.000 Ungarn dabei getötet worden.

Natürlich haben dann sehr viele Ungarn mit ihren Familien die Flucht ergriffen und sind nach Österreich gekommen. Ich habe gelesen, dass es etwa 200.000 waren.

Damals bestand tatsächlich die Gefahr eines dritten Weltkriegs, weil sich die russischen Panzer Anfang November 1956 immer mehr der österreichischen Grenze genähert haben. Unseren Soldaten wurde damals befohlen sich etwas zurück zu ziehen, weil man sich in der Ebene nicht hätte verteidigen können. Sie hätten dann, sollten die Russen die Grenze überschreiten, hinhaltenden Widerstand leisten, bis die USA zu Hilfe hätte kommen sollen. Die Amerikaner hatten damals die Russen gewarnt, dass sie den Weltfrieden gefährdeten, wenn sie bei uns einmarschieren. Aber die Russen haben zum Glück unsere Grenze respektiert.”

*

Es sind noch 148 km bis Szeged, durch ein brettebenes Land.

Auch das Wetter ist trüb und die Landschaft ist ziemlich reizlos, aber das ändert nichts an unserer Stimmung. Wir haben unseren Spaß und sind voller Erwartungen.

-Kennt ihr den Roman von Hugo Hartung oder den Film “Ich denke oft an Piroschka” frage ich Markus und Richard.

-Den Film habe ich gesehen, sagt Richard.

-Mit der Liselotte Pulver.

-Ich habe mir den langen Ortsnamen gemerkt und eine Bekannte von uns, eine Ungarin, hat mir gesagt was er auf Deutsch bedeutet. Der Ort hat im Buch und auch im Film

Hódmezövásárhelykutasipuszta geheißen. Keine Ahnung wie und wozu ich mir diesen Namen gemerkt habe. Jedenfalls: auf Deutsch heißt das:

Hód ist der Biber, mezo ist ein Feld, Vásárhely ein Marktplatz, Kut ist ein Brunnen und die Puszta ist halt die Puszta.

-Also ein Biberfeld mit einem Brunnen und einem Marktplatz in der Puszta.

-Genauso. Übrigens das “kutasipuszta” hat der Hugo Hartung dazu gedichtet. Aber den Ort gibt es wirklich. Er ist jetzt links von uns, im Osten, ganz in der Nähe.

*

Auf einer meiner späteren Reisen habe ich den Ort kurz besucht. Ich wollte nur ein Foto vom Bahnhof und der langen Ortstafel machen.

Ich stellte mein Auto kurz ab, sprang heraus, ging in das kleine Wäldchen gegenüber der Station und machte schnell mein Foto.

Da klopfte etwas über mir. Richtig laut. Ich habe geschaut, wer da einen Klopfer hat und sah eine Tafel mit einem rot durch gestrichenen Fotoapparat und dann bemerkte ich, dass ich genau unter einem Wachturm gestanden bin und darauf stand ein Soldat mit hochrotem Kopf und klopfte mit seinem Gewehr wie wild auf den Holzboden seiner Kabine.

Ich musste lachen, er aber nicht. Er hat telefoniert und ich bin rasch abgefahren.

Blitzschnell war ein Polizeiauto hinter mir her und ich versteckte mich mit meinem Citroen hinter einem Holzschuppen und die Miliz raste mit Blaulicht an mir vorbei. Das war mein Erlebnis mit der Piroschka.

*

Wir kommen an die jugoslawische Grenze. Aus irgendeinem Grund greift der Beamte zum Telefon und fordert einen höheren Offizier an. Er kommt torkelnd zum Auto. Einige Sterne glänzen an seiner Uniformjacke. Er hält seinen Kopf bei meinem Fenster herein und bläst mir seinen, nach Slibowitz und billigen Zigaretten stinkenden, Atem entgegen:

-Du haben Mädchen? fragt er mit lüsternem Blick, obwohl er doch sehen muss, dass nur drei schöne Männer im Auto sitzen.

Ich drehe mich langsam um.

-Haben wir Mädchen dabei? frage ich Richard, der hinter mir sitzt und neugierig nach vorne schaut.

Richard dreht sich um:

-Nein! Keine Mädchen! sage ich dann zackig zu der uniformierten Respektperson.

-Weiter fahren! ruft er im Militärton und gibt mir schwankend die Pässe zurück.

-Mann. Der ist vielleicht voll! Das so etwas möglich ist.

Im Hintergrund sehe ich die lachenden Grenzbeamten.

-Die haben den Offizier nur gerufen um ihren Spaß zu haben.

Endlich sind wir in der Vojvodina, endlich in Jugoslawien. Vor einer kleinen Gostilna stehen einige Lastwagen und ich bekomme die Cevapcici mit grünen Peperoni, auf die ich mich schon gefreut habe.

-Angebrannt, aber ganz lecker.

-Sie schmecken nach Balkan, nach der Fremde.

-Stimmt. In Österreich wären sie nicht angebrannt.

Wir fahren noch 130 Kilometer Richtung Süden, bis vor die Tore von Novi Sad. Auf einer Wiese, am Ufer der Donau, finden wir in der Dunkelheit hinter einer kleinen Baumgruppe einen idealen Schlafplatz.

-Die erste Nacht von einer großen Reise.

Jeder bezieht seinen Platz. Wir haben beschlossen, dass der Mann auf dem unbequemen Vordersitz jede Nacht wechseln wird. Nur ich, als Fahrer, muss natürlich neben meinen Büchern schlafen.

-Schließlich muss ich immer topfit sein. Unser Leben kann davon abhängen, dass ich gut ausgeschlafen bin, habe ich argumentiert.

Markus kocht Tee und jeder packt seinen Proviant aus Wien aus.

-Vielleicht kommen wir morgen bis Edirne, in der Türkei, sagt Richard.

-Inch ’Allah!

Immerhin haben wir heute 693 Kilometer zurück gelegt.

*

1999 war der Krieg auch nach Novi Sad gekommen. Die NATO hatte während des Kosovo-Krieges die Stadt bombardiert und dabei auch alle drei Brücken über die Donau und die wichtigsten Gebäude, wie die Raffinerie, die Wasser-Versorgung der Region, das Rundfunkgebäude, Schulen und das Krankenhaus zerstört. Bis zum Jahr 2005 konnte man die Donau nur über eine Pontonbrücke überqueren und auch der Schiffsverkehr war dadurch stark behindert. Erst vor wenigen Tagen wurde die neue Freiheitsbrücke eröffnet.

Eine Geschichte aus der Zeit der Kämpfe gefiel mir. 40 Kilometer westlich von Belgrad hatte man am 27.März 1999 einen F-117 A “Nighthawk” der Firma Lockheed, einen sogenannten Tarnkappenbomber der NATO, abgeschossen. Ein Flugzeug, das, wegen seiner Form und der reflektierenden Beschichtung der Außenhaut, am Radar als unsichtbar galt.

Stolz gingen am nächsten Tag serbische Demonstranten durch die Straßen und auf einem Transparent konnte man lesen:

“Sorry. Wir haben nicht gewusst, dass du unsichtbar bist.” Der Pilot konnte sich übrigens mit einem Schleudersitz retten.

Doch lustig waren die umstrittenen NATO Angriffe natürlich nicht. Die serbischen Behörden sprechen von bis zu 2.000 Zivilisten und rund 1.000 Soldaten, die dabei ums Leben gekommen sind.

Belgrad begann die Vertreibungen der albanischen Zivilisten voran zu treiben und in den letzten März-Tagen 1999 wurden im Kosovo lange Menschenkolonnen in Richtung Mazedonien und Albanien in Bewegung gesetzt.

*

Im Auto hat es frische vier Grad. Ich bin froh, dass ich das Thermometer mitgenommen habe. So wissen wir in Zukunft immer, ob uns kalt oder warm ist. Meine Freundin hat mir die Mitnahme einer sehr dicken Decke im wahren Sinn des Wortes, wärmstens empfohlen.

-Du wirst mir dafür noch dankbar sein, hat sie gesagt.

-Ich finde das unmännlich, irgendwie schwul. Nein das will ich nicht. Außerdem habe ich einen Schlafsack.

-Aber der Winter kommt! Die Nächte werden kalt werden. Die Decke ist schön kuschelig warm.

Also nahm ich sie dann doch mit und jetzt bin ich ihr sehr dankbar für diese Empfehlung. Frauen haben eben immer Recht. Fast immer.

Die Fenster des Autos sind stark beschlagen. Noch im Halbschlaf wische ich über die Scheibe. Über der Donau liegt noch dichter Nebel, das Gras ist feucht und der Himmel ist sehr stark bewölkt. Ich öffne die Seitentüre, um frische Luft herein zu lassen und um die Freunde zu wecken. Ich habe nicht nur Hunger, ich will auch sehen wo wir da gestern im Finstern gelandet sind. Außerdem zieht es mich immer weiter. Ein Trieb, vielleicht ein Programm aus der Zeit als wir noch Zugvögel, oder zumindest Nomaden, waren. Zum Glück empfinden meine Freunde genau wie ich, zumindest was den Hunger betrifft.

Ich steige aus und beginne mit meinem Morgensport. Ich strecke die Arme weit hoch und atme einige Male tief ein. Das soll für heute genug sein. Markus ist unser Teekocher. Er macht das vorzüglich und die Tassen wärmen unsere klammen Finger und man spürt beim Trinken, wo sich im Körper die Speiseröhre und der Magen befinden und wie sich der ganze Körper wohl zu fühlen beginnt und aufwacht.

-Du bist ein sehr guter Koch, lobe ich ihn.

-Ich habe mich auch sehr bemüht.

Kurz nach neun Uhr starte ich den Motor und wir holpern wieder zurück auf die Landstraße. Im Auto ist es noch immer empfindlich kalt.

“Parkieren für Autos verboten” lesen wir auf einer Tafel bei der Ortseinfahrt von Belgrad.

-Parkieren! Das muss ein Schweizer geschrieben haben.

Es wird nicht richtig hell, aber noch regnet es nicht. Wir wollen uns mit großen Städten nicht weiter aufhalten und versuchen Belgrad rasch hinter uns zu lassen.

*

“Nicolas Bouvier schreibt in seinem Buch “Die Erfahrung der Welt” über die Stadt, die er im Jahr 1953 mit seinem Fiat Topolino erreicht hatte:

“Belgrad ist von einem bäuerlichen Zauber erfüllt. Dabei hat es nichts von einem Dorf, aber ein ländlicher Geistdurchweht die Stadt und verleiht ihr etwas Märchenhaftes.”

Er schreibt auch über die Invasion der Nazis:

“Die 20.000, die beim Bombardement von Belgrad den Tod fanden, die Widerstandsbewegung, der Aufstieg Titos, der Bürgerkrieg, die Revolution, der Zwist mit der Komintern (Kommunistische Internationale) und die Ausbreitung einer eigenen nationalen Doktrin, dies alles hatte sich in weniger als acht Jahren ereignet.”

*

Einige Jahre später hatte ich Gelegenheit mir Belgrad genauer anzusehen und ich begann die eigenartige Mischung von bäuerlichem Leben in einer großen Stadt zu schätzen.

Der Poet Bouvier beschrieb es sehr anschaulich:

*

“Hier gab es ausladende moslemische Bäuerinnen, die zwischen ihren Zwiebelkörben auf den Bänken schnarchten, Lastwagenfahrer mit pockennarbigen Gesichtern, Offiziere, die kerzengerade vor ihrem Glas saßen und mit einem Zahnstocher spielten….”

“…Und Nacht für Nacht neben der Tür vier junge Huren, die Kürbiskerne kauten und zuhörten, wie der Harmonikaspieler aus seinem brandneuen Instrument liebliche Arpeggien (Akkorde, bei denen die einzelnen Töne nicht gleichzeitig, sondern nacheinander erklingen) hervorlockte. Sie hatten schöne, glatte, braungebrannte Knie, ein bisschen erdig nachdem sie ihr Gewerbe auf einer nahen Böschung ausgeübt hatten und starke Backenknochen…”

“…(Bouvier) fand sie auf ihre Art schön und verlockend, bis zum Moment, da sie niesten und sich auf widerliche Art räusperten, bevor sie in das Sägemehl spuckten.”

*

Wir peilen die 250 Kilometer entfernte Stadt Niŝ an.

-In Niŝ geht es dann nach Osten, zur bulgarischen Grenze. Dort möchte ich noch einmal Cevapcici oder Rasnici essen, sage ich.

Markus erzählt Richard vom Schädelturm in Niŝ, den wir uns auf der letzten Reise angesehen haben.

-Den möchte ich auch sehen. So viel Zeit muss sein.

Die Straße nach Süden ist sehr stark befahren. Unzählige, meist alte, klapprige Lastwagen, überladene Personenautos, deren Fahrer, oft wie Kamikaze, vollkommen hirnlos langsame Kolonnen überholen. Auf der Landstraße sehen wir viele Autos, die in Österreich schon am Schrottplatz stehen würden.

In den Dörfern fahren oft Ochsenkarren und Pferdewagen mit Rädern, die bei jeder Umdrehung von rechts nach links eiern. Die Straße ist oft voll großer, nasser Erdklumpen, welche die Karren von den Feldwegen mitgebracht haben und man muss trachten, ihnen rechtzeitig auszuweichen.

Wieder überholt uns ein Auto mit sehr hoher Geschwindigkeit und rast direkt auf den Gegenverkehr zu. Uns stehen die Haare zu Berge, aber irgendwie scheint es sich meistens auszugehen. Nicht immer. Davon zeugen die vielen Kreuze und die Plastikblumen, die schwarz vom Kot der vorbeifahrenden Fahrzeuge angespritzt sind. Vielleicht steht unter den Kreuzen: “Unvergesslich”, “Wir werden dich nie vergessen” oder “Wir denken immer an dich!”

Viele Unfälle werden nur dadurch verhindert, weil alle Fahrer wissen, mit was für Wahnsinn hier zu rechnen ist. Wir, mit unseren 80 Kilometer in der Stunde fahrenden, brustschwachem, Gefährt fühlen uns wie Zuschauer in einem Actionfilm.

Es beginnt zu regnen. Zuerst nur leicht, aber die Fahrbahn wird rasch schmierig und rutschig und den Überholmanövern der Jugoslawen zuzusehen ist jetzt noch spannender.

Trotz allem bin ich begeistert. In den Dörfern rechts der Straße sehen wir die ersten kleinen Moscheen, die wie ausgestreckte Finger zu sagen scheinen - dort oben wohnt Mohammed und Allah ist groß! Die Bauern auf den Feldern versinken mit ihren Ochsen tief im Morast, die Dörfer sind schmutzig, die Häuser ärmlich, die kleinen Kinder spielen im Schlamm, die Hunde ziehen ihre Schwänze ein.

Auf der linken Seite sehe ich manchmal kleine Auwälder der “Veliki Morava”, der großen Morava, mit Ulmen und Maisfeldern, die oft überschwemmt sind. Deshalb hat man dort nur selten Häuser gebaut. Irgendwo halten wir kurz an und bestellen, in einem windschiefen Laden, türkischen Kaffee.

“Schwarz wie die Nacht, heiß wie die Hölle und süß wie die Liebe” muss er sein, sagen die Türken.

Er belebt uns kurz, aber das unweigerliche Kauen des Suds am Boden der kleinen Tassen stört mich.

Wir sind eben keine Serben oder Türken, aber wir werden es bald lernen, den Kaffee richtig zu genießen.

Knapp nach 13 Uhr kommen wir nach Niš.

-Die Festung von Niš wurde von den Osmanen auf den Überresten eines römischen Militärlagers im 18. Jahrhundert gebaut, liest uns Richard aus dem

Reiseführer vor.

-Wo ist jetzt der Schädelturm?

Ich frage einen älteren Mann, in der Hoffnung, dass er vielleicht versteht, was wir suchen.

-Ćele Kula? fragt er und zeigt in eine Richtung.

Der Turm wurde von den Osmanen auf Befehl von Khurshid Pascha aus Schädeln und Knochen der serbischen Krieger errichtet. Was für eine Idee! Die Männer sind bei der Schlacht von Čegar im ersten serbischen Aufstand, am 31. Mai 1809 gefallen.

Die Körper der Gefallenen hat man mit Baumwolle gefüllt und nach Istanbul geschickt. 952 Schädel wurden in 14 Reihen eingemauert. Insgesamt gab es damals 3.000 gefallene, serbische Soldaten. Inzwischen wurden etliche Schädel gestohlen, vielleicht von Touristen, manche sollen auch “beerdigt” worden sein. Wer immer das glauben will.

Im Weltkrieg Nummer Zwei hat der Turm einiges abbekommen, weil immer wieder ein Militärspital, ganz in der Nähe, bombardiert wurde und manche verirrte Kugel in das Gemäuer und in die Schädel geprallt ist.

-Unglaublich auf welche Ideen die Menschen kommen, sagt Richard nachdenklich.

-Nicht alle Menschen. Die Türken.

Im Auto machen wir uns eine Dose Bohnensuppe warm, trinken danach Markus-Tee und fahren im Regen weiter Richtung Pirot und Dimitrovgrad, der Grenzstadt nach Bulgarien.

-Lange Zeit war die Stadt bulgarisch und erst nach dem Ersten Weltkrieg, zusammen mit anderen Gebieten im Westen des damaligen Bulgariens, wurde Dimitrowgrad im Vertrag von Neuilly-sur-Seine an Jugoslawien abgetreten, informiert uns unser Guide.

Für eine Versicherung will man zehn Leva von uns. Das sind etwa 125 Schillinge. Für uns ist das viel Geld. Ansonsten gehen die Formalitäten ganz normal langsam vor sich und ich wechsle 20 Mark in der Wechselstube, wo mich ein junges Mädchen mit schwerer Akne im Gesicht und mit Mundgeruch freudlos durch dicke Brillengläser anschaut.

-Mädel, du stinkst aus dem Mund, sage ich zu ihr und sie quält sich ein Lächeln ab. Sicher denkt sie ich habe ihr ein Kompliment gemacht und ihre, durch die Brillen stark vergrößerten Augen, strahlen kurz auf.

Nach der Grenze, in Slivnica, gehe ich in einen Laden und zeige auf eine Flasche Rotwein und sage “vino” und deute dann auf das Stück Käse in der Vitrine. Die Verkäuferin schüttelt verneinend den Kopf. Was soll das? Will die Frau mir nichts verkaufen?

Dann sehe ich eine kleine, alte, gebückte Frau, mit einem bunten Kopftuch, neben mir stehen. Sie hat einen Korb um den Arm und ich verstehe, dass sie noch vor mit bedient werden soll. Sie war so klein, dass ich sie übersehen habe.

Dann gibt mir die Verkäuferin das Gewünschte und ich bezahle. Alles ist OK und mir dämmert jetzt, dass ich darüber schon gelesen habe. Verneinen, bedeutet hier mit dem Kopf zu nicken und umgekehrt den Kopf von rechts nach links bewegen heißt: ja. Das ist die Lösung. Und frisches Weißbrot habe ich auch gekauft.

Auch die Stadt Sofia durchqueren wir ohne anzuhalten. Hier ist alles grau in grau. Es regnet in Strömen. Die teilweise verfallenen Häuser und Fabrik-Schlote schauen auch nicht sehr malerisch aus und wir wollen einfach nur weiter. Richtung Morgenland und der Sonne entgegen.

Um 20 Uhr finden wir einen Platz in einem Feld. Hier können wir von der Hauptstraße nicht gesehen werden. Auf den Autoreifen und auf unseren Schuhen bleibt die feuchte, lehmige Erde kleben. Die Räder des Autos werden immer größer und ich quäle das Fahrzeug weiter, bis hinter einen kleinen Hügel.

-Am besten wir steigen gar nicht aus, sage ich und klettere nach hinten, in mein Territorium und ziehe die Vorhänge vor.

-Machen wir die Rotwein-Bottle auf.

-Dazu gibt es bulgarischen Schafkäse und Brot.

Ich notiere den Kilometerstand: 1.239 und sage:

-Nastrovje!

*

Auch in Bulgarien war ich beruflich sehr oft und ich habe dort viele schöne Tage erlebt. Auch in Sofia.

Mit unserem bulgarischen Vertreter und seiner Frau fuhr ich an einem Wochenende zu den Rila-Kloster, dem” Kloster des Heiligen Iwan Rilski”. Er war der erste bulgarischen Einsiedler und der Gründer des Klosters. Rund 300 schön geschmückte Räume, manche mit herrlichen Wand-und Decken Malereien, gab es hier zu sehen. In einem Raum waren alte Waffen ausgestellt, in anderen Urkunden der bulgarischen Zaren, Schmuck, Münzen und vieles mehr.

Am Abend führte mich die Familie in ein typisch bulgarisches Restaurant in Sofia, mit Volksmusik und Tanzvorführungen.

Aber die schönsten Tage verbrachte ich in Gabrovo, im Nordosten des Landes, der “internationalen Hauptstadt der Satire und des bulgarischen Humors.”

Ich erinnere mich an die schönen Wanderungen in die nahen Berge des Zentral-Balkans und am Ufer des Flusses Yantra und an das Freiluft-Museum “Etar”, wo die volkstümliche Wassertechnik-Sammlung und eine Handwerksgasse mit 16 Beispielen der Balkan-Architektur zu sehen waren.

Und jeden Abend gab es vorzügliches Bier und köstliche Leckerbissen bei Life-Musik und Volkstanzaufführungen in einem Lokal am Ufer des Flusses.

*

Der nächste Tag beginnt mit einem Radwechsel. Inmitten der lehmigen Erde ist das kein echtes Vergnügen. Für den Wagenheber müssen wir erst eine feste Unterlage schaffen und bald ist alles voll nasser, klebriger Erde, die wir unweigerlich auch in das Auto tragen.

Mein Thermometer zeigt neun Grad und es regnet noch immer ohne Unterbrechung. Die Schafhirten, in den teilweise überschwemmten Wiesen, haben sich billige, durchsichtige Nylonfolien umgehängt und stehen traurig zwischen den ebenso traurigen Schafen. In den Dörfern stehen nasse Truthähne und nur die Rosenbüsche, bei den einfachen Häusern, bringen ein wenig Farbe in die tristen Bilder. Der Regen peitscht auf unsere Frontscheibe und der Scheiben Wischer läuft ohne Unterbrechung.

In Plovdiv fahren wir an einem mächtigen Fabrik-Gelände vorbei. Alles ist schwarz bis grau und die vielen Menschen, welche an der Bus-Haltestelle warten, lassen alles hängen. Die Arme, die Schultern und die Köpfe.

Wir kaufen Brot und Butter und nach der Stadt hält uns ein Mann, der neben einem weinroten Peugeot steht, auf. Er ist aus Istanbul, sagt er.

-Ich bin Journalist und besitze eine Apotheke in Istanbul. Und ich bin Fußballer bei Fenerbahce,

stellt er sich vor.

Mit Fußball kann er mir nicht imponieren, denn das interessiert mich ungefähr so viel wie Stricken.

-Können sie bitte einen Teil meines Gepäcks mit über die Grenze nehmen. Ich habe Stoffe und Kristall für meine Frau und meine Tochter eingekauft, bittet er uns höflich.

-Und warum sollen wir das nehmen?

-Mich als Türken würden sie genau untersuchen und dann muss ich Zoll zahlen. Ihr nicht.

Dafür will er uns 20 km nach der Grenze zum Essen einladen.

-Kebab mit Tomatensalat und Käse, sagt er. Schauen wir so ausgehungert aus, dass er uns damit locken will. Aber es stimmt. Die Einladung kommt uns schon gelegen und so sagen wir:

-Gut, geben sie das Zeug her.

*

Heute muss ich mich wundern, wie leichtgläubig und naiv wir damals waren. Ich würde natürlich sofort an irgendetwas Illegales denken. An Rauschgift oder an Waffen, die er in dem Gewand versteckt hat und wofür wir dann vielleicht sogar ins Gefängnis kommen könnten. Doch 1971 waren Drogen und Kriminalität noch kein so großes Thema, wie es das heute leider ist. Nur vor Diebstählen musste man sich natürlich auch damals schon vorsehen.

*

An der Grenze haben wir sehr langen Aufenthalt und es regnet noch immer leicht. Während der Wartezeit lässt der Regen dann endlich nach.

Aus einem modernen Reisebus aus Deutschland steigen ein paar lustige Typen aus. Einige haben nicht sehr passende Safari-Kleidungen an, als würden sie in die Serengeti fahren. Einige Männer haben dicke Bierbäuche und Fotoapparate mit langen Tele-Objektiven um den Hals hängen, die wie erigierte Penisse von ihnen weg stehen. Sie scheinen ihnen tatsächlich das Gefühl von Männlichkeit zu vermitteln, denn ein kleiner Mann, mit einem ganz normalen Objektiv, steht schüchtern und verloren abseits der Gruppe. Manche Frauen haben viel zu enge Hosen und Shirts an. Ihre Brüste hängen schwer auf ihren Bäuchen. Nur ein schönes Mädchen sticht aus der Gruppe heraus und genießt offensichtlich die Blicke und die Pfiffe der türkischen Autofahrer. Unter ihren weiblichen Reisegefährten wird sie es nicht leicht haben, denke ich mir.

Ich lehne meinen Arm aus dem Fenster und genieße diese Show, während Markus und Richard versuchen die Pässe abgestempelt zu bekommen.

Einer der jungen Touristen aus dem deutschen Bus schaut auf die Nummerntafel meines Autos. Er hat, ganz anders wie seine Reisegefährten, ein weißes Hemd an und eine Krawatte umgebunden. Und er hat extrem kurze Haare und eine Pullmann-Kappe darüber.

-Was ist mit dem los? denke ich mir.

Er kommt langsam zu mir und fragt mich:

-Wo geht’s denn hin?

-Nach Indien, sage ich.

Er hat gar nicht zugehört. Offensichtlich muss er irgendetwas unbedingt los werden.

-Wir fahren in den Süden der Türkei, in die Nähe von Antalya. Da soll es noch kleine Orte geben, die nicht einmal elektrischen Strom haben, sagt er.

-Und da wollen sie hin?

-Ja. Das stelle ich mir unheimlich archaisch vor.

-Archaisch! Warum schrauben sie bei sich zu Hause nicht die Sicherungen heraus, Dann werden sie sehen, wie schön das ist.

Er ist nicht böse und lächelt noch immer dümmlich. Er versteht offensichtlich gar nicht den Sinn meiner Antwort.

-Gute Reise, sagt er und sucht sich ein neues Opfer, mit dem er ein intellektuelles Gespräch führen kann.

*

Man kann es heute kaum mehr glauben, aber im Jahr 1971 war Antalya für ausländische Reisende tatsächlich noch ziemlich unerschlossen und die umliegenden Dörfer waren von Touristen noch vollkommen unverdorben.

Als ich im August 1965 das erste Mal nach Antalya kam, wohnten wir in einem neu gebauten Privathaus. Als ich mit einer Rolle Toilettenpapier dorthin ging, wohin man mit so einer Rolle eben geht, fragte mich der Herr des Hauses:

-Warum schreibst du Briefe auf Toilette?

Papier zu verwenden, wofür wir es auf einer Toilette verwenden, war Türken damals noch unbekannt. Hier war es noch “reine” Handarbeit.

Der Flug von Istanbul nach Antalya, damals im Jahr

1965, mit einer Zwischenlandung in Afyon-Karahisar, war der erste Flug meines Lebens.

Heute zeigt meine Statistik, dass ich bereits 1.687 Starts und Landungen und nahezu 2,5 Millionen Flug-Kilometern überlebt habe.

Ende der 90er Jahre hatte ich das Glück einige Wochen beruflich in Antalya zu verbringen und ich war fast jeden Abend im Hafen oder in einem der Lokale in den engen Gassen, dort wo auch die vielen Touristen essen gingen. Mein Zimmer, in dem ich wohnte war hoch über den Klippen des Meeres und oft ging ich am frühen Morgen die Stufen hinunter zum Meer und schwamm, bevor ich in die Firma gefahren wurde, noch ein paar Runden in dem glasklaren Wasser. Es waren Tage und Wochen, an denen ich meine Arbeit besonders liebte.

*

Zwei Kilometer nach der Grenze wartet der Journalist mit seinem Peugeot und wir laden sein Gepäck rasch wieder um.

-Thank you, Thank you so much! sagt er erleichtert.

Für morgen ladet er uns in sein Haus in Istanbul ein und gibt uns seine Visitenkarte. Eigentlich wollte er uns nach der Grenze zu einem Essen einladen. Never mind!

Es sind nur mehr wenige Kilometer bis in die erste türkische Stadt und ich freue mich schon sehr auf die herrliche Moschee und den Basar von Edirne.

-Unter den mehr als 40 Moscheen, die die Stadt besitzt, ist die “Selimiye”, die Selim der Zweite erbaute, berühmt. Sie ist noch größer als die Aja

Sophia in Konstantinopel und verdankt ihre Entstehung dem berühmten Baumeister Sinan, liest Richard aus einem Buch vor.

-Dass der Selim sie selbst erbaut hat kann ja wohl nicht stimmen und dass es 40 Moscheen in Ediirne geben soll glaube ich auch nicht ganz. Was liest du denn da? frage ich.

-Es geht noch weiter, sagt Richard.

-Aus der Ferne bot uns Adrianopel einen prächtigen Anblick, als wir es aber erreicht hatten und durch seine Straßen ritten, war es wie bei allen anderen Städten der Türkei: sie verlieren in der Nähe ihre Schönheit.

-Also. Wer ist da geritten? frage ich -Das ist aus dem Buch von Karl May: “Von Bagdad nach Stambul” sagt Richard.

-He, Mann. Ein Kinderbuch.

-Ist doch interessant es mit der Wirklichkeit zu vergleichen.

Bei der nächsten Rast will ich es genau wissen und blättere in dem Reiseführer.

Dann habe ich die Abmessungen der beiden Moscheen gefunden.

-Also! Jetzt steht es fest! Der May Karl hat Unecht. Hier steht es: Der Kuppeldurchmesser der Hagia Sophia ist um ein paar Zentimeter größer, als der der Selimiye Moschee, nämlich 32 Meter und 31,28 Meter bei der Selimiye und die Höhe der Kuppel ist bei der Hagia Sophia 55 Meter und bei der Selimiye 43,288 Meter.

-Er hat auch Ssinan mit zwei “s” geschrieben, sagt Richard.

-Wäre interessant, von wo er seine Informationen her gehabt hat.

Wir erreichen Edirne und ich erinnere mich an das Jahr 1963, als wir mit dem Motorrad auf der holprigen Straße vor die Tore der Stadt gekommen sind. An einem Brunnen haben wir uns, gemeinsam mit einigen Schafen, gewaschen, bevor wir die orientalische Welt des Basars auf uns einwirken ließen. Immer wieder spielte ich damals mein Lieblingslied vom “Grundig-Niki” Tonbandgerät: “As tears go by”, gesungen von der damals noch jungen Marianne Faithfull.

In einem Teehaus schreibe ich ein paar Zeilen in mein Logbuch.

Endlich bin ich wieder in einem türkischen Basar. Wieder die Rufe der Händler hören, die Düfte der Gewürze riechen und die orientalischen Bilder in mich aufnehmen.

-Ich möchte so einen Karottensaft trinken, sage ich dann zu meinen Reisegefährten. Liebevoll hat ein Händler Karotten zu einem kegelförmigen Turm aufgeschichtet. Er presst sie in seinem Mixer, füllt den dicken Saft in ein Glas und gibt einen Teelöffel Öl obenauf.

-Er gibt das Öl auf den Saft weil sein Vater das so gemacht hat, sein Großvater es so gemacht hat und auch alle seine Kollegen, die Karottensaft verkaufen, es machen. Eine alte Tradition. Was

das für einen Sinn hat, weiß der Mann sicher nicht, sage ich.

-Weißt du es? fragt Markus.

-Ja. Der Grund ist, weil das Vitamin A in den Karotten fettlöslich ist. Ohne Fett hat das Vitamin praktisch keine Wirkung.

-Danke, Herr Lehrer. Hab ich auch nicht gewusst.

*

Was würde ich heute über Edirne alles erzählen. Ich würde über das bunte Leben in den Gassen des Pascha Basars, über den unglaublichen Architekten (Mimar) Sinan, welcher hier sein Meisterwerk, die Selimiye Moschee, 1575 erbauen ließ oder über die Üç-Serefeli Moschee, in deren Minaretts drei voneinander unabhängige Treppen zu den drei (üç) Umgängen (serefeli) führen, berichten. Eine interessante Geschichte gibt es über den Baumeister Sinan zu berichten. Es gibt eine Theorie, dass er Österreicher war, Joseph hieß und damals, als Sohn christlicher Eltern aus dem Süden Österreichs zu den Janitscharen verschleppt wurde. Jedenfalls ist seine Herkunft sehr unklar.

“Ob er in Ağırnas geboren ist, ist genauso unbekannt wie die ethnische Herkunft seiner Familie, die griechischen, armenischen oder türkischen Ursprungs gewesen sein kann.” liest man in den Lexika. Gewiss ist, dass er zu den Janitscharen, der Elitetruppe, der Leibwache des Sultans, kam. Diese Truppe wurde 1826 aufgelöst.

*

Als wir weiter fahren erzähle ich meinen Freunden eine lustige Geschichte aus dem Jahr 1966, als ich mit einer 16 mm Eumig-Filmkamera und einem billigen Tonbandgerät ausgerüstet, hier in der Selimiye Moschee in Edirne Tonaufnahmen machen wollte.

-Ich habe den Muezzin gefragt, ob er mir in das Mikrofon sein Allahu Akbar singen würde und er war so nett es zu machen. Wir haben uns auf den dicken Teppich in der Moschee gesetzt und er hat so laut in das Mikro gebrüllt, dass sich fast die Nadel der Level-Anzeige meines Gerätes verbogen hat. Ich habe schnell zurück geregelt und dann lief alles ganz gut, bis ihm, bei einer anstrengenden Stelle, ein sehr lauter Pups entwichen ist. Ein sehr lauter! Mein Freund und ich haben dann das Lachen einfach nicht mehr zurück halten können und der Alte ist ziemlich böse geworden und er ist schnell abgeschwirrt.

Wir fahren durch die Ortschaft Babaeski und weiter nach Lüleburgaz.

-Iüle heißt das Mundstück von Tabakpfeifen, liest Richard vor.

-Hier sind nämlich Pfeifen erzeugt worden und 1912 haben bulgarische Truppen in dieser Gegend die Türken besiegt.

Im strömenden Regen muss ich immer wieder Kolonnen von Militärlastwagen überholen. Dann kommen wir nach Çorlu. Hier suchen wir uns um 22 Uhr türkischer Zeit, bei einer Temperatur von elf Grad und bei Kilometertand 1.671 einen Schlafplatz. Aus dem Radio hören wir türkische Musik von RadioAnkara und freuen uns auf die Stadt Istanbul, die nur mehr 90 km entfernt ist und auf die Sonne und Wärme.

*

Im Jahre 1755 gab der König von Dänemark, Friedrich V., den Auftrag eine Reise in das glückliche Arabien vorzubereiten. Carsten Niebuhr wurde dabei die Beschreibung Arabiens aufgetragen. Die Reise fand in den Jahren 1761 bis 1767 statt und ich werde noch einige Male auf Niebuhrs Berichte zurück kommen.

Von Konstantinopel nach Adrianopel reiste er mit einer Karawane. Die Fuhrleute und Pferdevermieter hatten ihm gesagt, dass eine solche Reise 44 1/2 Stunden dauern würde.

Die Berichte von seiner Reise mit der Karawane, die fünf Tage dauerte, sind nicht sehr ausführlich.

Er sah Bauern mit großen Pflügen, die von sechs Ochsen gezogen wurden und er berichtete von vielen kegelförmigen Hügeln, die er unterwegs gesehen hat.

“Solch ein Hügel wird immer dann errichtet, wenn ein Sultan diese Gegend mit seinem Besuch geehrt hat”

In Baba lag viel totes Hornvieh herum, das an einer ansteckenden Krankheit gestorben ist und von den Mohammedanern einfach liegen gelassen wurde und einen entsetzlichen Gestank verbreitete.

Als Carsten Niebuhr am 8.Juni Konstantinopel verlassen hatte, sammelten sich die Teilnehmer der Karawane beim “Kutsjuk tschekmese”, wie er schrieb. Beim heutigen Edirne Tor ist auch heute noch der Sammelplatz für Taxifahrer und Überlandtaxis, den sogenannten Dolmeş.

n fünf Pfähle und fünf Menschen”

Er brachte in Erfahrung, dass es sich um Straßenräuber handelte, welche Reisende ermordet hatten.

*

Im Jahr 2000 habe ich einige Wochen im Winter beruflich in Corlu verbracht und habe in der Firma sehr unter der Kälte gelitten, weil die großen Tore, auf beiden Seiten der Halle, noch nicht montiert waren und der März-Wind durch die Halle blies. Das Projekt, das wir hier in Angriff nahmen war aber sehr außergewöhnlich und interessant. Hier möchte ich aber nur davon erzählen, dass unsere Maschinen in riesigen Kisten geliefert wurden, in welchen, als ich dort ankam, bereits einige kinderreiche Familien gewohnt haben. Andere Kisten verwendete man als Ställe für die Schafe.

*

Schon die ganze Nacht hat ein kräftiger Sturm aus dem Norden geblasen und auch jetzt, während der Fahrt, muss ich das Lenkrad oft sehr fest halten. Kräftige Windböen versuchen uns immer wieder in die Richtung zum Marmarameer zu drücken.

Silivri ist die erste Stadt, wo wir endlich das Meer sehen. Die Wasseroberfläche ist stark aufgewühlt und weiß, von der Gischt. Sturmböen wehen Wassertropfen von den Wellenspitzen gegen Süden. Wir halten kurz an. Ein kleines Schiff tanzt in den Wellen und verschwindet immer wieder in den Wellentälern.

-Die müssen einen guten Magen haben. Mir wird schon schlecht, wenn ich hinschaue, sagt Richard.

Zeitweise kommt die Sonne heraus und später hört der Regen ganz auf und auch der Wind legt sich, weil er von den Bergen abgehalten wird. Wir fahren am Wegweiser nach Florya vorbei, Richtung Meer.

-Florya! sage ich

-Hier bin ich 1963 eine Woche lang mit meiner Beiwagenmaschine auf dem Campingplatz gestanden. Wir waren zu dritt und mein Zelt war so klein, dass unsere sechs Beine in den Nächten im Freien waren.

-Muss lustig ausgeschaut haben.

-Jetzt bin ich schon das achte Mal in Istanbul.

Um elf Uhr erreichen wir, bei einer Temperatur von 19°C, die Stadt meiner Jugendträume, Istanbul und die Sonne scheint jetzt auch wieder.

*

1963 stand ich mit meinem Motorrad mit Beiwagen und zwei Freunden, Gerd und Herbert, das erste Mal beim Edirne Tor, vor dieser alten Stadtmauer des Theodosius. Gewaltige Türme, hohe, dicke Mauern bildeten ein Bollwerk gegen die feindlichen Perser, Slawen und Araber. Wenn man dieses Tor hinter sich gelassen hat ist es nicht mehr weit bis in das alte Stambul, mit all seinen Wundern, von denen ich damals geträumt habe. Wie stolz und wie glücklich war ich damals und ich habe stolz an alle Bekannten und Verwandten Ansichtskarten abgeschickt. Wir haben das Motorrad meistens am Campingplatz in Florya stehen lassen und sind mit einem Taxi in die Stadt gefahren. Das war billig und problemlos. Bei unserer ersten Taxifahrt, vom Edirne Tor zum Basar, sind wir ausgestiegen, als Herbert plötzlich, etwas weiß im Gesicht, stammelte:

-Ich habe die Brieftasche im Auto liegen lassen.

Das war eine echte Katastrophe! Er hatte unsere Gemeinschafts -Kasse über. In dieser Tasche war alles Geld, was wir hatten.

Wir hetzten zu Fuß zurück zum Edirne Tor und suchten den Taxifahrer. Negativ! Da kam ein Mann zu uns und sagte nur:

-Hürriyet.

Irgendwie fanden wir mit zitternden Knien das Gebäude der Redaktion dieser wichtigsten, türkischen Tageszeitung. Man führte uns in ein Büro und da stand er: Unser Taxifahrer! Er wollte eine Annonce aufgeben: “Brieftasche gefunden!”. Wir hätten zwar nie die Hürriyet gelesen, aber was hätte der Mann sonst machen sollen? Am liebsten hätten wir den Mann abgeküsst. Er gab uns unsere Tasche zurück und nichts fehlte!

So viel zu den Türken!!

*

Wir fahren am Meer entlang, Richtung Galatabrücke und am Sirkeci-Bahnhof vorbei, hinauf zu den beiden mächtigen Moscheen. Unser erster Weg führt uns in die Sultan-Ahmet Moschee, die “Blaue Moschee”, wie man sie wegen der vielen blau-weißen Fliesen nennt, welche die Kuppel und Teile der Mauern zieren. Hier können wir ein wenig entspannen und die Ruhe im Inneren der Moschee genießen. Die schweren Teppiche dämpfen jeden Schritt, die Menschen bewegen sich langsam und eine Reisegruppe schleicht ehrfurchtsvoll durch die beeindruckende Halle.

Es ist die einzige Moschee mit sechs Minaretten. Mehr sind nicht erlaubt, um die Vorherrschaft von Mekka aufrecht zu halten, habe ich einmal gelesen, obwohl die Al-Haram Moschee in Mekka neun Minarette hat.

Eine deutsche Reisegruppe kommt und ich höre dem Reiseleiter zu:

-1609 gab Sultan Ahmet I. den Auftrag für den Bau und ein Jahr vor dem Tod des Sultans, im Jahr 1616, wurde sie von einem Schüler des großen Sinan, Mehmet Ağa, erbaut, sagt der Guide.

In einem Buch lese ich noch eine nette Geschichte: Eigentlich wollte der Sultan die Minarette vergolden lassen, aber das hätte das vorgegebene Budget weit überschritten. So stellte sich Mehmet doof und sagte er habe altı (“sechs“) verstanden, anstatt altın (”Gold“).

-Wie hoch ist der Gebetsraum?

Wir schätzen auf etwa 30 Meter und haben uns dabei um 13 Meter verschätzt. Der Kuppel-Durchmesser ist 23,5 Meter. Der Gebetsraum selbst ist fast quadratisch mit Seitenlängen von 53 und 51 Metern und der Raum wird von 260 Fenstern erhellt. In der angrenzenden Türbe ruhen Ahmed I., seine Frau und drei seiner Söhne: Osman II. (1618–1622), Murat IV. und Prinz Beyazıt.

Im oberen Teil des Hofeingangs, auf der Westseite, befindet sich eine schwere Eisenkette. Diese diente dazu, dass der Sultan, der den Hof zu Pferde betrat, an dieser Stelle seinen Kopf neigen musste, wenn er nicht an die Kette stoßen wollte. Ein symbolischer Akt, damit der Sultan nicht erhobenen Hauptes, also in der Pose vollen Stolzes, die Moschee betreten konnte.

Von hier aus gehen wir zur nahen Yerebatan Zisterne, dem “Versunkenen Palast“. Sie stammt aus dem sechstes Jahrhundert. Ein 140m × 70m großer Raum mit 336 je acht Meter hohen Säulen. Kaiser Justinian ließ die Zisterne um das Jahr 540 als Wasserspeicher für den Großen Palast anlegen.

Das Fassungsvermögen war 80.000 Kubikmeter und das Wasser war von bester Qualität. Es kam über die Viadukte des Hadrian und des Vales aus dem Belgrader Wald im Hochland westlich von Istanbul.

*

1966 kam, mit einem sehr ungewöhnlichen Fahrzeug, ein Reisender aus Wien in Istanbul an. Dr. August Jentsch fuhr mit einem “Steyr” Traktor, mit einer Höchstgeschwindigkeit von sagenhaften 32 Kilometern pro Stunde, um die Welt und ich werde ihn noch einige Male zitieren, sollte er unseren Weg kreuzen. Er umfuhr allerdings, so wie vor ihm schon Max Reisch, Afghanistan im Süden. Er reiste durch Belutschistan und verließ in Karachi Asien per Schiff. In Australien setzte er seine Weltreise fort. Ich habe Herrn Jentsch einmal kurz in seinem Ledertaschengeschäft in Wien besucht. Inzwischen erschien er mir sehr verhärmt, aber sicher zehrte er von seinen wirklich unglaublichen Reisen.

In Istanbul ließ er sein Fahrzeug reparieren und er streifte viele Stunden durch die Stadt und verirrte sich eines Nachts:

“…Urplötzlich spie mich hinter einer Kreuzung die dunkle Schlucht des Elends in ein Lichtermeer, alles blieb zurück und ich stand mit keuchenden Lungen an den Wassern am Goldenen Horn, auf einem belebten Platz mit vielen Gaststätten. Matrosen, Soldaten und Lastträger aßen Fleisch- und Fischstücke, die über Holzkohlenfeuerchen gar gebraten wurden.”

*

-Genug Sightseeing für heute, sagt Markus. Er will zur Post gehen und Richard und ich warten im Auto. Ich habe immer ein ungutes Gefühl, das Auto alleine zu lassen. Mit einem einfachen Schraubenzieher kann man die Türe aufmachen, was uns im Vorjahr am Fuße des Berges Ararat in Doğubayazit auch passiert ist.

Gestern, in Edirne, war das Auto auch bereits aufgebrochen worden. Ein Mann, eine Frau und viele Pakete standen zur Tarnung neben der Türe und wir sind gerade noch zur rechten Zeit zurück gekommen, bevor die Leute den Wagen ausräumen konnten.

Wir wollen uns diesmal nicht länger in Istanbul aufhalten, aber normalerweise besuche ich, bei jedem Aufenthalt in dieser herrlichen Stadt, einen meiner Lieblingsplätze. Das Pierre Loti Kaffeehaus, auf einem Hügel in Eyüp, am Ende des Goldenen Horn. Durch einen halb verfallenen Friedhof erreicht man diesen Aussichtspunkt und der Tee wird von Männern in traditioneller Kleidung serviert.

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Heute hat auch dieses Lokal, wie fast alles, viel von seinem Flair verloren. Jetzt kann jeder den Hügel mit einer modernen Seilbahn erreichen und so kommen jetzt auch die Dicksten und Faulsten in das Kaffeehaus.

Pierre Loti, sein richtiger Name war Julien Viaud, kam am 14. Januar 1850 in Rochefort, Frankreich auf die Welt und er starb am 10. Juni 1923 in Hendaye, einem Ort in den Pyrenäen.