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Der Protagonist dieses fulminanten Debütwerks blickt auf eine verlorene Freundschaft zurück. Voller Bedauern über sein eigenes Handeln lässt er Szenen aus der Vergangenheit mit Matteo, dem Sohn iranischer Einwanderer, Revue passieren. Er kann genau festmachen, wo er als Freund versagt, nicht die nötige Hilfe geleistet hat. Es ist schließlich ein Zufallsfund am Strand, der dem Protagonisten die Augen öffnet. Die Flaschenpost eines Mädchens, das die Hoffnung auf ein besseres Leben nie aufgegeben hat. Vuskovic versteht, das Persönliche mit dem Politischen zu verknüpfen und auf bedrückende Art Stellung zu beziehen zu einer der größten Tragödien unserer Zeit: dem Massensterben von Fluchtsuchenden in unseren Weltmeeren. Ein Text, der unter die Haut geht und zur moralischen Selbstbefragung anregt.
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Seitenzahl: 46
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
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© 2024 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99146-889-9
ISBN e-book: 978-3-99146-890-5
Lektorat: Thomas Schwentenwein
Umschlagabbildungen: Lightfieldstudiosprod, Aleksangel, Weintel, Sharplaninac | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Widmung
Für all die Stimmen, die zu früh ausgelöscht wurden.
Eure Namen sind nicht spurlos aus der Welt verschwunden.
Sie haben tiefe Furchen hinterlassen.
1
Es war Winter.
Na ja, jedenfalls ein sizilianischer Winter.
Ich erinnere mich an jede Einzelheit dieses Tages. Wie hätte ich sie auch vergessen können? Glasklar sehe ich noch alles vor mir: den Tisch, den meine Mutter so lieb hatte, die helle Sonne, die durch die quietschgelben Vorhänge schien, und auch meine ungelösten Physikhausaufgaben. Hätte man mir gesagt, dass mein Leben sich in wenigen Tagen schlagartig verändern würde, hätte ich es garantiert nicht geglaubt. Im Gegenteil: Ich wäre wahrscheinlich lauthals schreiend weggerannt und hätte danach über diese Wahrsagerei gelacht.
Abergläubisch war ich noch nie. Niemand in meiner Familie ist es wirklich. Zwar sind meine Eltern streng genommen beide Christen, doch sie verfügen eher über atheistische Ansichten. Am Freitag, dem Dreizehnten, ging mein Vater wie gewöhnlich seelenruhig, nachdem er sein morgendliches Spiegelei mit Toast und Butter verdrückt hatte, zur Arbeit.
Wenn eine schwarze Katze über den Weg lief, bekreuzigte sich meine Mutter nicht, im Gegenteil: je nach Laune streichelte sie sie sogar.
Als die alte Signora Bedilla einem neuen Nachbarn Salz zu dessen Einzug schenkte, lächelten meine Eltern nur spöttisch hinter vorgehaltener Hand.
Nur Weihnachten und Ostern feiern wir, doch dies eigentlich nur, um mit dem Rest der Familie zusammenzukommen.
Die Vorstellung, ein Gott möge über uns herrschen, war mir deswegen schon immer fremd und führte zu heftigen Auseinandersetzungen mit meinem besten Freund, Matteo.
Er war dank seiner Erziehung streng religiös. Für ihn war die Präsenz Gottes das Selbstverständlichste der Welt.
In der Schule lief es ganz okay. Ich schrieb durchschnittliche Noten, nicht glänzende und nicht besorgniserregende. Kurz gesagt, ich war nicht der Kerl, der besonders auffiel. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich außer Matteo auch keine wirklichen Freunde.
Zwar verstand ich mich mit den meisten Jungen ziemlich gut, doch ich hielt sie genauso wenig für etwas Besonderes wie sie mich. Nur Matteo war anders.
Seit dem Tag, an dem er von Neapel zu uns in die Klasse gekommen war, saß ich nicht mehr alleine in der Pause herum, sondern hatte Gesellschaft.
Matteos Familie kam ursprünglich aus dem Iran, lebte aber so lange in Italien wie wir alle. Er war eher klein gebaut, mit schwarzen Locken auf dem Kopf und großen dunkelbraunen Augen, die von dichten schwarzen Wimpern umgeben waren.
Er war sicher einer der besser aussehenden Jungen unserer Klasse, weshalb es seltsam erscheinen musste, dass er sich mit mir herumschlug.
Wir waren komplette Gegenteile, nicht nur, was das Aussehen betraf.
Und doch war er der beste Freund, den man sich wünschen kann.
2
Still zog sich das Leben dahin. Nichts konnte unsere ruhige kleine Seifenblase, in der wir lebten, zerbersten, dachten wir.
Dachten alle.
Ich war oft bei Matteo zu Hause. Selbst heute noch erfüllt mich die Erinnerung an sein Haus mit wohliger Wärme. Seine Mutter war oft daheim, während sein Vater unermüdlich arbeitete. Signora Faramashleh konnte die beste Pizza ganz Siziliens, nein, sogar ganz Italiens backen.
Sie war Köchin in einem Spital Neapels gewesen, bevor sie mit Matteo schwanger geworden war. Seit seiner Geburt arbeitete sie zwar noch gelegentlich, jedoch deutlich weniger als früher.
Sein Vater dagegen war der Zahnarzt unseres Dorfes und hatte immer zu tun. Gesehen habe ich ihn sehr selten und wenn doch, dann wegen jährlicher Kontrolluntersuchungen oder Kariesbehandlungen. Obwohl ich ihn nicht so gut kannte, war mir seine Gegenwart nie unangenehm. Er war ein hagerer, großer Mann mit freundlichem Lächeln und buschigen, ausdrucksstarken Augenbrauen, genau wie die seines Sohnes.
Er pflegte es, diese Augenbrauen ständig zusammenzupferchen, so als tadle er ein Kleinkind, das das letzte Stück Kuchen, ohne zu fragen, ob es jemand anderes noch wollte, gegessen hat, und sich dabei würdevoll über Politik zu äußern, während er an seinen Patienten herumbohrte.
Die Male, bei denen ich ihn nicht während der Arbeit gesehen habe, war er stets bester Laune, küsste seine Frau auf die Wange und bedankte sich bei ihr für das aufgetischte Abendessen.
Überhaupt war die Ehe Matteos Eltern von für mich von unbegreiflicher Reinheit, dass ich es verstehen konnte, wieso er nicht an der Existenz wahrer Liebe zweifelte. Für mich war die Zärtlichkeit unbegreiflich, mit welcher Signore Faramashleh seine Frau ansprach. Unglaublich fand ich die Menge an liebevoller Aufmerksamkeit, die er ihr widmete.
Hätte mir irgendjemand außer Matteo gesagt, dass das Finden wahrer Liebe das Ziel des irdischen Lebens sei, hätte ich mich geschüttelt und geantwortet, es sei unschicklich für einen Jungen, so zu sprechen.
Liebe, damit könnten sich doch die Frauen beschäftigen, wenn sie es wollten.
Vielleicht versuchte ich, mich selbst zu täuschen.
Zu besänftigen. Denn als beim Abendessen die ganze Familie zusammenkam, hing immer so viel Freude in der Luft, dass es mir jedes Mal fast die Kehle zuschnürte.
Erst dann begriff ich das unfassbare Glück dieser Familie.
Womöglich war es aus diesem Grund, aus dem meine Zweifel geboren wurden.
Wieso hatte ich nicht auch solch eine Familie? Wieso schauten mich meine Eltern nicht so an, wie Matteo angeschaut wurde?
War es meine Schuld?