Auf der Sonnenseite - Franz Alt - E-Book

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Franz Alt

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Beschreibung

Bereits ein Viertel unseres Bedarfs wird durch Öko-Strom gedeckt: Die Energiewende hat Deutschland zum Vorreiter alternativer Energiequellen gemacht. Doch warum sind wir immer noch von Öl, Gas, Kohle und Atomstrom abhängig? Warum stehen Lobbyisten weiter unter dem Schutz der Politik? Franz Alt deckt auf, wer die Energiewende bremst und warum sie dennoch alternativlos ist.  Der langjährige Berater von Regierungen und Konzernen legt eine brisante Analyse vor, die Lobbyisten, Energiemultis und Politikern nicht gefallen wird.

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www.piper.de

Für Hermann Scheer (SPD) und Angela Merkel (CDU), weil sie gemeinsam die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) initiiert haben. IRENA gehören inzwischen 160 Staaten an, etwa 90 Prozent der Menschheit.

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2013

ISBN 978-3-492-96305-3

© 2013 Piper Verlag GmbH, München Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin Umschlagmotiv: iStockphoto Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

»Der unverzügliche Wechsel zu erneuerbaren Energien ist keine Last, sondern die größte greifbare soziale und wirtschaftliche Zukunftschance.«

Hermann Scheer

Vorwort

Mit diesem Buch lade ich Sie auf die Sonnenseite des Lebens ein. Mit der Sonne, einem Sonnenauf- und -untergang vor allem, verbinde ich seit Kindertagen Herzenswärme. Und dieser innere und äußere Glanz hat auch heute nichts von seinem Zauber verloren. Jeder Blick zur Sonne lässt eine wohlige Stimmung in mir aufkommen. Diese Sonnenkultur verbindet seit jeher alle Menschen aller Kontinente auf beinahe magische Weise. Unsere Internetseite www.sonnenseite.com besuchen zurzeit jeden Tag um die 10000 Menschen. Es werden ständig mehr. Das Öl-, Kohle- und Atomzeitalter neigt sich dem Ende zu, und das Solarzeitalter beginnt. Und klar ist: Die Sonne gewinnt. Ich will hier Lust auf Zukunft vermitteln und aufzeigen, dass und wie uns die solare Energiewende zu Gewinnern macht.

Die Knospe der Sonnenblume dreht sich, um der Sonne folgen zu können. So hat es vor über 500Jahren Leonardo da Vinci erstmals in seinen botanischen Studien beschrieben. Anfang des 16.Jahrhunderts wurde sie von den Spaniern aus Südamerika nach Europa gebracht. Sie galt den Azteken als heilig und war das Emblem des Sonnengotts der Inka.

Bald nach ihrer Ankunft in Europa war die Sonnenblume zum Symbol der Loyalität geworden, »weil sie so treu dem Lauf der Sonne folgt«, wie es der britische Publizist Richard Cohen in seinem einzigartigen Buch Die Sonne – der Stern, um den sich alles dreht formuliert. Die Sonne als Symbol der Erleuchtung. Aus dieser Überzeugung schreibe ich mein neues Buch.

Auf die »Loyalität« der Sonne haben sich alle menschlichen Kulturen, Religionen und Weisheitslehren zu allen Zeiten verlassen: die Sumerer, die Babylonier und die Ägypter. Die Griechen und die Römer. Die Chinesen und die Japaner. Die Inder und die Araber. Die Maoris in Neuseeland und die Aborigines in Australien. Die alten Kelten in Europa und bis heute die Indianer-Kulturen in beiden Amerikas. Und wir in den Industrieländern fangen gerade damit an, in einem neuen Solarzeitalter unsere Energieprobleme ein für alle Mal zu lösen. Auch Sie, liebe Leserin und lieber Leser, können sicher sein, dass morgen früh wieder die Sonne aufgeht. Das ist die absolut verlässliche Urerfahrung, seit es uns Menschen gibt. Und seit jeher funktioniert das System Sonne-Erde ohne Blackout, wenn wir einmal von den wenigen Augenblicken einer totalen Sonnenfinsternis alle hundert Jahre absehen.

Nikolaus Kopernikus schrieb im 16.Jahrhundert: »In der Mitte von allen aber hat die Sonne ihren Sitz. Denn wer möchte sie in diesem herrlichen Tempel als Leuchte an einen anderen Ort oder gar besseren Ort stellen? So nennen doch einige sie durchaus passend die Leuchte der Welt.« Die jüdische Weisheitsüberlieferung »Kabbala« sagt über die Erschaffung der Welt: »Am Anfang war das Licht.«

Die moderne Astrophysik weiß es noch präziser: Wenn die »Leuchte der Welt«, also die Sonne, nur drei Wochen nicht scheinen würde, dann hätten wir auf unserem schönen Planeten eine Temperatur von minus 273Grad. Das aber hieße: Alles Leben wäre tot – kein Baum, keine Pflanze, kein Tier und kein Mensch lebte mehr. Nach drei Wochen ohne Sonne wäre die Erde wieder »öd und leer« wie am Beginn der Schöpfung. Sie ist die größte Energiequelle in diesem System, in dem wir leben und von dem unser Leben abhängig ist. Ohne Sonne kein Leben. Der Schriftsteller Dieter Hildebrandt – nicht zu verwechseln mit dem Kabarettisten gleichen Namens – meint: »Sonne und Erde – das ist die vielleicht grandioseste Zweierbeziehung im ganzen Universum.«

Albert Einstein erhielt eines Tages diesen Brief: »Sehr geehrter Herr Professor, wir sind in der sechsten Klasse. In unserer Klasse gibt es einen Streit. Die Klasse spaltete sich in zwei Parteien. Wir sechs befinden uns auf der einen Seite und 21 auf der anderen … Thema der Diskussion ist, ob Leben auf der Erde möglich [ist], wenn die Sonne erlöschen würde … Wir bleiben dabei, das zu glauben … Sagen Sie uns, was Sie denken. Tausend süße Grüße, sechs kleine Wissenschaftler.« Einsteins Antwort: »Liebe Kinder, die Minorität hat manchmal recht, aber nicht in Eurem Falle: Ohne Sonnenstrahlung kein Weizen, kein Brot, kein Gras, kein Vieh, kein Fleisch, keine Milch, und alles gefroren, kein LEBEN, A.Einstein.«

Die Sonne ist unsere »loyalste« Energiequelle. Das war so, ist so und wird noch mindestens vier Milliarden Jahre so bleiben. Sie schickt uns jede Sekunde unseres Hierseins 15000-mal mehr Energie, als zurzeit alle sieben Milliarden Menschen auf der Erde verbrauchen. Die Sonnenstrahlen schenken uns alle 30Minuten mehr Energie, als die Menschheit in einem Jahr konsumiert. Und nur deshalb ist unser Planet der Garten im ansonsten kalten und unbelebten Universum. Nur weil die Erde den exakt richtigen Abstand zur Sonne von 150Millionen Kilometern hat, ist hier Leben möglich. Ein unglaubliches Wunder und einmalig. Die Sonne ist Quelle und Garant allen Lebens. Alles dreht sich um sie.

Es beginnt vor 4,5Milliarden Jahren. Ein neuer Stern erwacht in einer gewaltigen Wolke aus Gas und Staub zum Leben. Um ihn herum entstehen neue, junge Welten. Unser Sonnensystem wird geboren. Die Zone des Lebens ist verhältnismäßig schmal, aber durch eine unwahrscheinliche Fügung kreist einer der Planeten genau in dieser Zone – unsere Erde.

Der Astrophysiker Klaus Fuhrmann hat errechnet, dass die Sonne jede Sekunde vier Millionen Tonnen Materie in Energie umwandelt und 386000000000000000000000 (386Trilliarden) Watt abstrahlt. Nur ein geringer Teil davon trifft auf unsere Erde. Aber das sind noch immer über 15

Deutschland wird unabhängig und erneuerbar

Deutschland erklärt mithilfe der Sonne seine Unabhängigkeit. 2013 wird nirgendwo auf der Welt so viel Solarstrom erzeugt werden wie hierzulande. In den letzten 15Jahren sind im Bereich der Photovoltaik 100000 neue Arbeitsplätze entstanden, 15000 bei der Solarthermie und je über 100000 bei Windkraft und bei Bioenergie. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen bis 2020 eine Million Autos mit Solar- und Windstrom fahren, bis 2030 sechs Millionen. Das Solarzeitalter hat bereits begonnen.

In der Politik wird viel taktiert. Doch für die Energiewende brauchen wir zuallererst eine Strategie. Eine Strategie aber braucht Strategen, das heißt Träger in der Gesellschaft. Deshalb werden Sie, liebe Leserin und lieber Leser, in diesem Buch wenig Appelle an Regierungen und Organisationen finden, sondern viele konkrete Beispiele dafür, dass und wie einzelne Menschen, Firmen und Kommunalpolitiker für die erneuerbaren Energien aktiv geworden sind.

Den Erneuerbaren ist es gelungen, das schon lange brachliegende gesellschaftliche Potenzial anzuzapfen. Aber das gesamte gesellschaftliche Potenzial ist auch heute noch nicht ausgeschöpft. Entscheidend für die 100-prozentige Wende wird es sein, möglichst viele solare, genossenschaftliche und bürgerschaftliche Initiativen anzustoßen: aus dem Mittelstand, aus Umweltverbänden, aus den Organisationen der erneuerbaren Energien, unter Hausbesitzern, bei den Landwirten für die Bioenergie.

Jeder Vorschlag bleibt unfruchtbar, solange er keine engagierten Träger in der Gesellschaft findet, hat Hermann Scheer 15Jahre lang gepredigt, wenn er als Eurosolar-Chef die Deutschen und Europäischen Solarpreise verliehen hat. Viele Bücher – auch prominenter Autoren wie Al Gore – leiden darunter, dass sie, anstatt die gesellschaftlichen Träger der Energiewende anzusprechen, ihre wohlformulierten Appelle an Regierungen, internationale Institutionen oder die UNO richten. Das ist immer gut gemeint, aber selten gut gemacht. Unsere Zeit ist voller Appelle, aber es fehlt an praktischen Handlungsanweisungen und Hilfen für die Mitte der Gesellschaft, welche die Energiewende und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen mit ihrer Arbeit, ihrer Phantasie und ihrem Geld stemmen kann.

Die wichtigste Ressource für die Wende ist und bleibt die gesellschaftliche. Sie anhand guter Beispiele zu mobilisieren ist die klare Absicht dieses Buches. Ich will vor allem die größer werdende Zahl der Neugierigen erreichen und zur Aktivität ermuntern. Nur dann kann in absehbarer Zeit der unaufhaltsame Durchbruch gelingen.

Der schwedische Wirtschaftsnobelpreisträger Gunnar Myrdal ging davon aus, dass ein gesellschaftliches Projekt dann realisiert werden kann, wenn es von fünf Prozent passionierter Menschen nachhaltig verfolgt wird. Diese Minderheit wird dann weitere 15 Prozent mitziehen. Das reicht aus, weil die Mehrheit gewöhnlich indifferent ist, aber dennoch bereit, sich einer neuen, überzeugenden gesellschaftlichen Perspektive anzuschließen. Dieses kritische Potenzial ist jetzt erreichbar.

Hinter dem Wunsch nach der Energiewende steckt jedoch viel mehr als die Vorstellung von sinkenden Kosten durch kostenlose Energieträger. Hinter dem weltweiten Vormarsch der erneuerbaren Energien steckt die Hoffnung auf Versorgungssicherheit, neue Arbeitsplätze, naturverträgliche Energieversorgung, verbrauchernahe Stromerzeugung, kurze Bauzeiten, lokale Wertschöpfung, umweltgerechte Mobilität sowie technische Innovation. Die Energiewende ist eine Kultur- und Zivilisationswende.

»Der Beitrag der Photovoltaik wird immer wichtiger. Seit diesem Sommer [2012] übertrifft die in Deutschland installierte Solarstromleistung sogar die Windkraftleistung«, stellt Professor Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg fest. In der Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur stehen im Sommer 2012 30Gigawatt Photovoltaik 29Gigawatt Windkraft gegenüber. Steinkohle- und Erdgaskraftwerke folgen mit 21 beziehungsweise 20Gigawatt, Braunkohle- und Kernkraftwerke mit 17 beziehungsweise 12Gigawatt. Damit ist Solarenergie ab jetzt in Deutschland die leistungsstärkste Stromquelle überhaupt. Eine Durchschnittsfamilie verbraucht hierzulande im Schnitt 4500 bis 5000Kilowattstunden Strom pro Jahr. Mit einem Gigawatt installierter Wasserkraft-Leistung können bei 5000 Volllaststunden im Jahr etwa drei Millionen Privatpersonen versorgt werden.

Bei allem Wachstum muss allerdings beachtet werden, dass die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer weht, und dadurch die tatsächlich ins Netz eingespeiste Solar- und Windleistung aufgrund lokaler Wetterbedingungen niedriger ist als die installierte Leistung, die lediglich das mögliche Potenzial der Anlage beziffert und nicht die tatsächlich erbrachte Menge. Außerdem ist die Leistung der Solaranlagen nachts naturgemäß gleich null. Kohle- und Gaskraftwerke und auch große Pumpspeicherkraftwerke müssen deshalb die Schwankungen noch ausgleichen, solange die Entwicklung von Speichertechnologien nicht stärker gefördert wird.

Obwohl laut einer Studie des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) 2012 bereits über 25 Prozent des Bruttostromverbrauchs durch regenerative Energien bereitgestellt werden können, sind wir erst am Anfang: Bisher werden hierzulande erst 13 Prozent der geeigneten Dachfläche für Photovoltaik genutzt – 87 Prozent warten also noch darauf. Hinzu kommen Fabriken, Freilandflächen wie Industrie- und Militärbrachen, Müllhalden, Lärmschutzwände sowie viele weitere Nutzflächen wie Fensterscheiben und Glasbauten, deren Entwicklung gerade erst beginnt.

Außerdem: Bei weiter sinkenden Modulpreisen rechnen sich auch Flächen, die bisher ausgespart bleiben – wie nach Osten, Nordosten und Nordwesten ausgerichtete Dächer. Erste Erfahrungen zeigen: Selbst nach Norden orientierte Dächer können noch bis zu 70 Prozent des Stroms erzeugen, den nach Süden orientierte Dächer produzieren.

Boshafte werden über die inzwischen 1,3Millionen Kleinsolarier, die es in Deutschland gibt, vielleicht sagen: Das ist eine Selbsthilfegruppe für Sonnensüchtige! Die Beschreibung mag manchmal sogar zutreffen: Ich kenne Photovoltaikanlagenbetreiber, die selbst dann am Abend auf ihren Stromzähler schauen, wenn tagsüber keine Sonne schien. Doch sicher ist, dass sich der Erfolg der erneuerbaren Energien einer Volksbewegung dieser »Sonnensüchtigen« verdankt. Dabei geht es längst nicht allen Erzeugern von erneuerbarer Energie hauptsächlich ums Klima. Oft überwiegen auch ökonomische Interessen. Aber selbst dann wirken diese gemeinwohlfördernd. Denn auch sie tragen dazu bei, die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu erhalten. Genau deshalb sagen viele Investoren in erneuerbare Energien, sie haben »ein gutes Gewissen dabei«. Das können Investoren in fossil-atomare Energie so nicht behaupten. Die Energiewende gelingt, wenn die Gesellschaft zu ihrem Akteur und Motor wird – ob nun aus ideologischen oder wirtschaftlichen Interessen.

Vor wenigen Jahren war es noch undenkbar: Über ein Viertel des Stroms wird hierzulande bereits ökologisch erzeugt. Hinzu kommt: Der Neubau von Wind- und Solarkraftwerken ist preiswerter als der Neubau von Kohlekraftwerken – bei gleicher Leistung. Der deutsche Boom für Solarkraft reißt außerdem die Welt mit, was wiederum gut ist für die deutsche Maschinenbauindustrie. Von 2006 bis 2013 sind die Kosten des Solarstroms um drei Viertel gefallen. Und die Entwicklungsländer warten jetzt ebenfalls auf die erneuerbaren Energien. Aber was machen wir? Die Ewiggestrigen jammern über die Höhe der Einspeisevergütung, die in Folge des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die Konkurrenzfähigkeit der erneuerbaren Energien fördern soll, anstatt die Energiewende zu feiern.

Können die erneuerbaren Energien atomare und fossile Kraftwerke vollständig ersetzen?

Eine oft gestellte Frage. Die Antwort ist eindeutig, die unterschiedlichsten Studien kommen zu einem klaren Ja. Ob Umweltbundesamt, Bundesumweltministerium, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, European Climate Foundation/McKinsey, Greenpeace, Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, Prognos AG, das Wuppertal-Institut oder der Sachverständigenrat für Umweltfragen: Sie alle kommen zu dem Ergebnis, dass spätestens bis 2050 die komplette Energieversorgung oder zumindest die Stromversorgung zu 100 Prozent auf erneuerbar umgestellt werden kann. Die Bundesregierung plant allerdings konservativer: Bis 2050 sollen 60Prozent der Gesamtenergie und 80Prozent des Stroms erneuerbar produziert werden.

In späteren Szenarien werde ich aufzeigen, dass die Energiewende auch schneller gelingen kann. Wir haben in Deutschland und Europa zwar unendlich viel erneuerbare Energie, aber nicht unendlich viel Zeit für die Energiewende. Entscheidend wird der Preis für Ökoenergie sein. Da die Sonne bekanntlich keine Rechnung schickt, kostet 2013 Solarstrom vom eigenen Dach schon 40 Prozent weniger als der Strom aus der Steckdose. Eine positive Preisentwicklung, die auch ich in meinen früheren Büchern so rasch nicht für möglich gehalten habe.

Doch hier sollen auch die noch größten Engpässe der Energiewende angesprochen werden: die Grundlastfähigkeit der erneuerbaren Energieträger, die Speicherfähigkeit von Strom und die entsprechende Netzstruktur. Es ist ein Versäumnis aller Bundesregierungen seit 2001, als es zum ersten deutschen Ausstieg aus der Atomkraft kam, dieses Thema nicht ernsthaft angepackt zu haben. Es hätte schon damals ein nationales Forschungsprogramm für Energiespeicher und den Netzausbau eingerichtet werden müssen.

Maximale Leistung erreichte die Windkraft in Deutschland im Januar 2012 mit 24Gigawatt, die Photovoltaik im Mai 2012 mit 22,4Gigawatt. Damit leisten sowohl die Windkraft als auch die Photovoltaik bereits einen wesentlichen Beitrag zur Stromversorgung. Weltweit erzeugen Photovoltaikanlagen bereits genauso viel Strom wie circa 20Atomkraftwerke, Tendenz stark steigend. Die Anzahl der Atomkraftwerke hingegen geht zurück. Nach der Katastrophe in Fukushima haben neben Deutschland die Schweiz, Italien, Litauen, die Niederlande und Japan den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Selbst Frankreich fährt seinen Atomstromanteil zurück. In den nächsten zehn Jahren werden weltweit etwa die Hälfte aller AKWs aus Alters- und Sicherheitsgründen abgeschaltet. Wir erleben den Anfang vom Ende des Atomzeitalters.

Die EU-Kommission hat 2011 einen Stresstest für alle 135 AKWs in der EU beschlossen. Fast alle haben Mängel. Dieser Sicherheits-Check hat auch Sicherheitsdefizite in deutschen Atomkraftwerken ans Licht gebracht. Bis zu 25Milliarden Euro, so die Tester, müssten in der EU für Nachrüstungen aufgewendet werden. Doch vernünftiger, als teuer nachzurüsten, wäre es, die AKWs rasch abzuschalten. Das aber bedeutet, die Energiewende zu beschleunigen. Das Ziel muss sein, das atomare Risiko so schnell wie möglich zu beseitigen. Das ist die Lektion von Fukushima.

Die alte Krankheit: »Dementia fossilis« und »Dementia atomica«

Die noch laufenden neun deutschen AKWs weisen erhebliche Sicherheitsmängel bei den Erdbeben-Frühwarnsystemen auf – ähnlich wie in Fukushima. Der fehlende Schutz der Meiler vor Terroranschlägen – zum Beispiel wie in New York am 11.September 2001 – wurde im EU-Stresstest völlig vernachlässigt. Bei deutschen AKWs gibt es außerdem Mängel beim Hochwasserschutz und beim Störfallmanagement. Aber dem Stresstest folgen keine Konsequenzen. Wie in Fukushima wird auch hier nach dem Motto verfahren: Es wird schon gut gehen. Was nützen Sicherheitsauflagen, wenn sie nicht beachtet werden? Der wirkliche Lernprozess nach Fukushima steht auf EU-Ebene noch aus. Der EU-Stresstest war eher ein »Schnarchtest«, meint die atomkritische Organisation »Ausgestrahlt«.

Ich werde in diesem Buch aufzeigen, dass es von Natur aus kein Energieproblem gibt. Das heute so genannte Energieproblem ist ausschließlich menschengemacht. Unsere heutigen Energieträger Öl, Kohle, Gas und Uran sind gegenüber der Sonne fast ein Nichts. Wir verbrauchen aber in wenigen Jahrzehnten so viel fossil-atomare Energie, wie die Natur in 300Millionen Jahren angesammelt hat. Das kann nicht mehr lange gut gehen.

Deshalb: Wer die Energiewende aufschiebt oder verzögert, versündigt sich an künftigen Generationen.

In 100Jahren werden sich unsere Urenkel fassungslos fragen: Wie konnten unsere Vorfahren im 20. und 21.Jahrhundert nur so tun, als stünde ihnen der Schlüsselrohstoff Erdöl grenzenlos zur Verfügung? Schließlich hätte allein die schlichte Logik zu der Erkenntnis führen müssen, dass auch riesige Vorräte rasch zu Ende gehen, wenn sie eine Million Mal so schnell verbraucht werden, wie sie neu entstehen können. Künftige Historiker werden vor einem Rätsel stehen und sich die Frage nach der kollektiven Krankheit unserer Zeit, der »Dementia fossilis«, stellen. Von dieser Erkrankung spricht der begeisterte Chemiker und leidenschaftliche Unternehmer Hermann Fischer in seinem Buch Stoffwechsel, in dem er seiner Zunft vorschlägt, rasch von der Petrochemie auf eine solare Chemieproduktion umzusteigen.

Chemische Wandlungsprozesse sind die Basis allen Lebens. Aber 90 Prozent aller organisch-chemischen Alltagsgüter werden noch immer aus Erdöl hergestellt. Die Potenziale einer nachhaltigen solaren Chemie warten – parallel zum künftigen Energiewandel – also noch darauf, endlich erkannt und ausgeschöpft zu werden, wobei die heutige Chemieproduktion noch mehr von fossilen Rohstoffen abhängig ist als die Energieproduktion: bei Baustoffen, Farben und Verpackungen, Textilien, Kosmetika oder im modernen Automobilbau. Nachhaltiges Wirtschaften ist nur mit einer Chemie aus Sonnenkraft möglich. Also: auf die Sonnenseite! Und zwar so rasch wie möglich.

Aber nicht nur die »Dementia fossilis« müssen wir überwinden, sondern auch die »Dementia atomica«. Die endlichen und umweltschädlichen Energieträger werden in der alten Energiewirtschaft – ebenso wie die fossilen Rohstoffe in der herkömmlichen Chemiewirtschaft – noch immer unglaublich überschätzt, während die erneuerbaren, unendlichen, preiswerten und umweltfreundlichen Energien und Rohstoffe sträflich unterschätzt werden. Sonne und Wind schicken uns keine Rechnung – ergo können die mächtigen Lobbygruppen der Atom- und Ölwirtschaft auch nichts daran verdienen. Bei einem Umstieg auf Erneuerbare entfallen also die sogenannten Energieressourcenkosten, Biomasse einmal ausgenommen. Dafür entstehen bei erneuerbaren Energien höhere Technikkosten, die aber durch niedrigere Transportkosten ausgeglichen werden. Der Wechsel zu erneuerbaren Energien erfordert deshalb ein neues Denken. Das fällt jedoch den Spezialisten und Lobbyisten der konventionellen Energieträger besonders schwer. Der komplette Wechsel zu erneuerbaren Energien bedeutet den umfassendsten wirtschaftlichen Strukturwandel seit Beginn des Industriezeitalters: die dritte industrielle Revolution.

Denn die regenerativen Energien ermöglichen die Energieerzeugung dort, wo die Energie verbraucht wird. Das war und ist bei den fossil-atomaren Energien nicht der Fall, denn sie sind nur an wenigen Orten der Welt vorhanden. Das aber schafft Abhängigkeit. Mit der Verknappung von Kohle, Gas und Öl steigt auch die Kriegsgefahr, weil sich der Beschaffungsdruck verstärkt. Die überall oder fast überall vorhandenen erneuerbaren Energieträger schaffen hingegen Freiheit und Unabhängigkeit. Hermann Scheer in seinem Buch Solare Weltwirtschaft: »Es ist ein Weg von zunehmender energetischer Fremdbestimmung zu wachsender energetischer Selbstbestimmung, für Individuen und Gesellschaften. Es ist ein Wechsel von Desintegration der Menschen aus den Naturkreisläufen zu ihrer Re-Integrierung, von globalisierter struktureller Einfalt der Energiebereitstellung zu struktureller Vielfalt und zu einer neuartigen weltwirtschaftlichen Arbeitseilung.«

Die wichtigste Aufgabe unserer Zeit

Sonne, Wind, Wasserkraft, Bioenergie, Wellenenergie oder Erdwärme gehört die Zukunft. Wir haben bereits gelernt, unsere modernen Technologien wie Solarzellen, Windräder, Biogasanlagen, Blockheizkraftwerke und Wärmepumpen mit den Energiegeschenken des Universums in Verbindung zu bringen, und sind gerade dabei, Speichertechnologien, neue Netze und intelligente neue Medien miteinander zu verknüpfen. Wir haben also noch die Chance, dem Hitzetod auf dieser Erde zu entkommen, indem wir uns der Sonne bedienen. Auf die Sonnenseite zu gelangen: Das ist die wichtigste Aufgabe unserer Generation – auch und erst recht im Sinne aller nachfolgenden Generationen. Ein indisches Sprichwort sagt: »Der Himmel wölbt sich über allen – aber die Sonne scheint nur denen, die sie suchen.«

Aber noch sind zu viele Bremser am Werk. Zu ihnen gehört erstaunlicherweise auch Peter Altmaier. Kurz nach Amtsantritt sagte der Umweltminister: »Die Energiewende ist das große identitätsstiftende Projekt einer ganzen Generation, ähnlich bedeutsam wie die Wiedervereinigung.« Aber schon wenige Wochen danach ist er der erste deutsche Umweltminister, der darüber besorgt ist, dass die erneuerbaren Energien zu schnell wachsen – wegen der fehlenden Netze. Wenn zu wenig Netze für die Erneuerbaren da sind, lieber Peter Altmaier, hat es wenig Sinn, diese auszubremsen. Sinnvoll für die Energiewende ist es vielmehr, den Netzausbau zu beschleunigen. Das ging auch beim Ausbau der alten Atomwirtschaft ganz fix – warum soll es jetzt nicht gehen?

Im August 2012 weihte Peter Altmaier in Neurath das größte Braunkohlekraftwerk der Welt ein – also die CO2-intensivste aller Stromerzeugungstechnologien – und feierte diesen Akt »als herausragenden Beitrag zur Energiewende«. Das war eher ein Beitrag zur Sterbehilfe des alten Energiesystems als ein Beitrag zur Geburtshilfe eines neuen.

Die Krisenmanager: Blinde können keine Blinden führen

Zu den wenigen Ökonomen, die frühzeitig die Bedeutung der Erneuerbaren für die gesamte Volkswirtschaft erkannt haben, gehörte der langjährige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Er sagte schon 2006: »Wer jetzt noch gegen erneuerbare Energien ist, hat nicht alle Tassen im Schrank.« Und der frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, meinte: »Es gibt keine Alternative zu den erneuerbaren Energien.« Übersehen wurde in den letzten Jahren, dass wir keine Lösung für unsere Wirtschaftskrisen finden, wenn wir nicht zuvor unsere immer deutlicher werdenden Umwelt-, Hunger-, Klima- und Energieprobleme lösen. Die Energie- und die Klimakrise sind die eigentliche Wirtschaftskrise, sie sind deren fundamentale Ursache. Die Krisensymptome mehren sich. In den 90er-Jahren des 20.Jahrhunderts hatten wir die Ostasienkrise, die Russland-, die Mexiko- und Argentinienkrise, die geplatzte New-Economy-Blase, ab 2008 die Weltwirtschaftskrise, die Euro- und die Finanzkrise. Aber noch immer wollen viele Verantwortliche in Politik und Wirtschaft den Zusammenhang von Kreditblase, Staatsverschuldung und Ölpreisen nicht sehen. Solange sie in diesem Irrtum verharren, agieren sie hilflos im Zentrum der Krisen. Blinde können keine Blinden führen. Die Mächtigen dieser Welt zelebrieren beinahe täglich blinden Aktionismus auf einem Konferenzgipfel nach dem anderen. Alle 14Tage muss der Euro neu gerettet werden.

Kein Wunder also, dass zurzeit über 80 Prozent der Deutschen und Österreicher kein Vertrauen in unser herrschendes Wirtschaftssystem mehr haben. Das Vertrauen in die Handlungs- und Wandlungsfähigkeit der demokratischen Institutionen schwindet dramatisch. Die eindeutige Mehrheit der Wählerinnen und Wähler will eine gerechtere und ökologischere Politik und Wirtschaft – ihr Motto könnte heißen: ökosozial statt marktradikal. Der real existierende Kapitalismus frisst seine Kinder, er zerstört seine bisherige ökonomische, ökologische und soziale Basis.

Jeremy Rifkin aus den USA, einer der wichtigsten gesellschaftlichen Vordenker unserer Zeit, nennt in seinem Buch Die dritte industrielle Revolution die Weltwirtschaftskrise 2008 den »Peak Globalization« – analog zum »Peak Oil«, dem Höhepunkt der globalen Ölförderung. Unser vom Öl abhängiges globales Wirtschaftssystem habe seinen Höhepunkt erreicht. Wer jetzt noch »Wachstum, Wachstum, Wachstum« als Lösung der Krise fordere, habe nicht viel von der eigentlichen Krise verstanden.

In der Tat machen es sich viele Beobachter zu einfach, wenn sie die steigenden Ölpreise auf die bösen Spekulanten schieben. Diese Fakten sind unstrittig: Für jedes Barrel Öl, das wir heute fördern, verbrauchen wir beinahe vier Barrel. Und das bedeutet: Der Ölpreis wird auch ohne Spekulanten weiter steigen, bald über 150Dollar pro Barrel hinaus.

Hinzu kommt: Seit 2011 demonstrieren fast im gesamten arabischen Raum Millionen junger Menschen gegen korrupte und autoritäre Regime. Sollte es nach den Rebellionen in Ägypten, Tunesien, Libyen, Bahrein, Syrien und dem Jemen auch in Saudi-Arabien und dem Iran zu politischen Unruhen kommen, ist nicht auszuschließen, dass der Ölpreis auf 200Dollar steigt und mit einer Erholung der Weltwirtschaft für lange Zeit nicht zu rechnen ist. Es ist ein politisch hoffnungsvolles Zeichen, dass am Ende des Ölzeitalters auch die autoritären Regime verschwinden, die am meisten von dieser Ära profitierten.

Realistischerweise müssen wir davon ausgehen, dass wir in den nächsten Jahren von einer Ölkrise in die nächste taumeln und damit weitere Erschütterungen des Weltwirtschaftssystems erleben werden. Das auf fossilen Brennstoffen aufgebaute Industriezeitalter liegt im Sterben. Wir hängen aber noch immer am Tropf des Erdöls. Doch statt so schnell wie irgend möglich auf 100 Prozent grüne Energie umzusteigen, versuchen es die alten Energieriesen mit Ersatzdrogen: Sie pressen aus Ölsanden in Kanada und aus Ölschiefern in den USA den letzten Tropfen Öl, in China und Europa wird die unterirdische Lagerung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, CCS) ausprobiert, und am Golf von Mexiko, wo 2010 durch BP ein ganzes Meer versaut wurde, weil in 1500Metern Tiefe die Ölbohrungen technisch nicht beherrschbar waren, wird inzwischen in 2000Metern Tiefe nach Öl gebohrt. Lauter gefährliche und im Grunde lächerliche Versuche, das alte und kranke Energiesystem noch etwas aufrechtzuerhalten. Die alte Energiewirtschaft begeht Verbrechen an künftigen Generationen.

Die heutigen Wissenschaften akzeptieren die Vorstellung, dass die Erde mit der Sonne zusammenarbeitet. Das Problem aber ist: Viele kurzfristig denkende Ökonomen und Politiker haben dieses einfache Naturgesetz noch nicht verstanden. Manche Vertreter und Lobbyisten der alten Energiewirtschaft wollen es auch nicht verstehen.

Dieses Buch will aber nicht nur die bestehenden Probleme aufzählen, sondern vor allem Dutzende von Erfolgsgeschichten berichten, die zeigen, dass die Energiewende nicht nur nötig, sondern auch möglich ist. Diejenigen Gesellschaften, die als Erste auf erneuerbare Energien umsteigen, werden morgen an der Spitze der Weltwirtschaft stehen.

Dabei haben wir schon mindestens ein Jahrhundert verschlafen. Bereits 1909 hat der deutsche Chemiker und Physiker Wilhelm Ostwald für diese Erkenntnis den Nobelpreis bekommen: Die Sonne sende unablässig »Freie Energie«, womit »so gut wie alles, was überhaupt auf der Erde geschieht«, in Gang gesetzt werde. In seinem Buch Der energetische Imperativ schrieb er: »Die dauerhafte Wirtschaft muss ausschließlich auf die regelmäßige Benutzung der jährlichen Strahlungsenergie gegründet werden … Wenn ich mir ein Bild von der künftigen künstlichen Verwertung der Sonnenstrahlen machen will, so nimmt es die Form eines photoelektrischen Apparates an.« Diese wissenschaftliche Erkenntnis haben Politik und Wirtschaft beinahe 100Jahre vernachlässigt.

Wer die Energiewende vorantreibt und wer sie hintertreibt

»Die Sonne ist Gott« – »Gott ist die Sonne«

Um zu verstehen, welche große Chance in der Kraft der Sonne für uns Menschen liegt, darf ihre große kulturelle Bedeutung – neben all den naturwissenschaftlichen Fakten – nicht außer Acht gelassen werden. In allen Religionen ist die Sonne ein göttliches Symbol: Gott ist die Sonne hinter der Sonne – die Ur-Kraft und Ur-Energie, ohne die wir nicht wären. Jesus in seiner Bergpredigt: »Die Sonne des himmlischen Vaters scheint für Gerechte und Ungerechte.« Also für alle zu allen Zeiten auf allen Kontinenten. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. nimmt sich die Sonne zum Vorbild »durch die gerechte Verteilung des Lichts über die verschiedenen Himmelsgegenden der Welt, durch die Wohltaten, die sie überall spendet, durch das Leben, durch die Freude, die sie überall weckt«. Der Sonnengesang des heiligen Franziskus von Assisi (»Bruder Sonne«, »Schwester Wasser«, »Mutter Erde«) ist eines der schönsten und nachhaltigsten Gebete der Menschheit. Er entdeckte darin die ganze Schöpfung neu und sah in ihr seine wahre Familie, eine große geschwisterliche Verwandtschaft. Für Franziskus’ Wanderleben war die Sonne der hilfreichste Bruder.

Die Sonne hat schon immer Künstler fasziniert und inspiriert. Der Maler Vincent van Gogh war in die Sonne verliebt. Er fand in ihr das zentrale Thema seiner Bilder. Sie explodieren geradezu durch die Intensität des Sonnenlichts. Er verließ mit 34Jahren seine Heimat Holland und ging auf der Suche nach einer »stärkeren Sonne« nach Südfrankreich. In seinen Briefen und Bildern ist sie stets gegenwärtig. Er schreibt: »Es ist so, dass die Sonne uns Menschen aus dem Norden nie wirklich durchdrungen hat … Natur und schönes Wetter sind Vorzüge des Südens. Das ganz andere, stärkere Licht, der blaue Himmel, das lehrt sehen.« Ich vermute, dass van Gogh nie einen südnorwegischen Sommertag erlebt hat, der mit seinen weißblauen Wolken genauso sonnendurchflutet sein kann wie ein Sommertag in Südfrankreich. Vincent van Gogh konnte sogar schwärmen: »Gott ist die Sonne.« Umgekehrt formuliert es der englische Maler Joseph Mallord William Turner: »Die Sonne ist Gott.« Dieselbe Auskunft erhielt C. G. Jung, als er 1925 einen Ältesten vom Stamm der Pueblo-Indianer in New Mexiko besuchte. Der Indianer deutete auf die untergehende Sonne und fragte den Psychoanalytiker aus der Schweiz: »Ist nicht der, der dort geht, unser Vater?« Jung fragte nach: Vielleicht könne die Sonne auch ein Feuerball sein, von einem unsichtbaren Gott geschaffen? Die Antwort des Indianers: »Die Sonne ist Gott. Jeder kann es sehen.«

Warum sind alle Fotografen dieser Welt so begeistert vom Sonnenauf- und -untergang? Ein Sonnenaufgang symbolisiert die Hoffnung und den Neuanfang nach einer Krise. Ein Sonnenuntergang weist auf das weitere Leben nach dem Tod hin und die tägliche Wiederkehr der Sonne auf die Unsterblichkeit der Seele. Es gibt seit Jahrtausenden eine Art Solartheologie. Schon der griechische Philosoph Platon hat vor 2400Jahren der Sonne eine gottähnliche Stellung zugesprochen. Ähnlich überschwänglich hat im Mittelalter Nikolaus Kopernikus die Sonne als »wunderschönes Heiligtum« bezeichnet. Johannes Kepler wusste: »Gemäß der höchsten Logik kommen wir so auf die Sonne (als Zentrum), die kraft ihrer Würde und Macht allein für die Aufgabe des antreibenden Bewegers geeignet scheint und würdig ist, Wohnstatt von Gott selbst zu sein, um nicht zu sagen: erster Beweger.« Gott als »erster Beweger« – genau so hat der bedeutendste mittelalterliche Theologe, Thomas von Aquin, im 13.Jahrhundert den Allgütigen oder die Allgütige oder das Allgütige definiert. Wir können in der Sonne ein Symbol der unendlichen Güte Gottes sehen.

Die Energie der Sonne ist nach menschlichem Ermessen unendlich. Die Sonne ist das Maß aller Dinge. Darüber hinaus ist sie umweltfreundlich und preiswert und grundsätzlich menschlichem Zugriff entzogen. Die Sonne ist als ein riesiger Fusionsreaktor allem Leben eine Gefahr – aber nicht, wenn wir den natürlichen Abstand von 150Millionen Kilometern bedenken. In Lichtgeschwindigkeit gemessen sind das freilich gerade mal acht Minuten. Unsere Gnadenfrist, unser Sicherheitsabstand!

Wir müssen also keine Kriege um Öl mehr führen – wie den Irakkrieg. Würden im Irak nur Bananen wachsen, wäre dort kein einziger amerikanischer Soldat. Wir können endlich Frieden organisieren mithilfe der Sonne. Der Sicherheitsabstand von 150Millionen Kilometern zwischen Erde und unserem Fixstern sorgt dafür, dass kein Mensch je Zugriff auf die Sonne haben wird. Dennoch steht sie allen Lebewesen zur Verfügung.

Die Lösung aller Energieprobleme steht am Himmel. Die Sonne scheint auf jedes Dach. Wir müssen uns nur öffnen für die Energie von ganz oben. Die Sonne ist die Energiequelle für eine friedliche Welt und für alle Zeiten. Wenn wir nur 1,15 Prozent der Fläche Deutschlands zur Produktion von Solarstrom nutzen würden – was wir ja gar nicht müssen oder sollen –, wären alle Elektrizitätsprobleme für immer gelöst. Wir stehen vor dem bisher größten Abenteuer der Menschheitsgeschichte: der Energiewende, in der die Sonne die Erde als Energielieferant ablöst. Und dieses Abenteuer verspricht Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Die solare Revolution wird die erste wirkliche Weltrevolution überhaupt, da die Sonne fest verwurzelt ist in den religiösen und philosophischen Grundlagen der gesamten Menschheit – und somit auch jeder Mensch seinen Beitrag leisten kann.

Die Erneuerbaren kommen schneller als erwartet

Die nach der Fukushima-Katastrophe in Deutschland propagierte Energiewende beginnt nicht bei null. In der Woche, in der ich dieses Buch zu schreiben beginne (Ende Juli 2012), gibt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bekannt: »2012 war bisher ein Rekordjahr für die erneuerbaren Energien in Deutschland. Sie haben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres erstmals die 25-Prozent-Marke überschritten.« Zum Vergleich: 2011 waren es noch rund 20 Prozent.

Für 2013 gibt es eine erste Prognose des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR): Erneuerbare Energien sind 2013 auf dem Weg zur Stromquelle Nummer 1. IWR-Chef Norbert Allnoch: »Schon im nächsten Jahr können Sonne, Wind und Co. die Braunkohle von Platz 1 verdrängen.«

Im Jahr 2000, als mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Ökostrom-Produktion angeschoben werden konnte, weil sie nun für Investoren auch ökonomisch attraktiv war, propagierte die damalige rot-grüne Bundesregierung das Ziel: 12 Prozent Ökostrom bis zum Jahr 2012. Diese erste Zielvorgabe wurde also weit übertroffen. Aus den angestrebten 12 wurden tatsächlich 25 Prozent, mehr als doppelt so viel. Beachtlich ist, dass dieses Etappenziel gegen den politischen, publizistischen und wirtschaftlichen Mainstream erreicht wurde. Noch vor wenigen Jahren galt eine Energieversorgung ohne atomare und fossile Brennstoffe als undenkbar und absurd. Als ich im Januar 1993 in der ARD die erste Sendung über die 100-prozentige Energiewende bis 2030 ausstrahlte, schien das damals noch vielen als reines Hirngespinst – unter den »Energiefachleuten«, nicht unter den Zuschauern!

Im selben Jahr, 1993, hatte die alte Energiewirtschaft in ganzseitigen Zeitungsanzeigen behauptet: »Regenerative Energien wie Sonne, Wasser und Wind können auch langfristig nicht mehr als vier Prozent unseres Strombedarfs decken. Können wir ein solches Vorgehen verantworten? Nein.« Noch 2006 sagte mir ein Vorstandsmitglied des baden-württembergischen Energieversorgers EnBW vor 1500 Bürgermeistern und Kommunalpolitikern in einem Streitgespräch: »Herr Alt, Ihr Buchtitel Die Sonne schickt uns keine Rechnung ist einfach lächerlich. In Deutschland haben wir für Sonnenenergie viel zu wenig Einstrahlung.« Weit über eine Million Deutsche haben mit Solaranlagen auf ihren Dächern die exakt gegenteilige Erfahrung gemacht. Inzwischen baut auch die EnBW Solaranlagen. Mit einem neuen Vorstand und unter einer neuen grün-roten Landesregierung.

Zu den Energieexperten: Sich von Expertenautorität nicht blenden zu lassen ist noch schwieriger, als ein esoterisches Heilsversprechen zu durchschauen. Wirklich große Meister wie Jesus, Buddha oder Laotse raten hingegen zur eigenen Vernunft: Mache dir nur Erkenntnisse zu eigen, die du selbst geprüft hast. Denn nur so kann Wissen von Ideologie getrennt werden.

Auch die Vorhersagen der Experten der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris hingen und hängen weit hinter der tatsächlichen Entwicklung zurück. 2002 hatte die IEA prognostiziert, dass die Europäische Union bis 2030 71000 Megawatt Windstrom produzieren werde. Tatsächlich war dieses Ziel im Jahr 2009 erreicht! Viermal so schnell wie von den »Energiefachleuten« angenommen! Die starke Differenz zwischen Prognose und tatsächlicher Entwicklung nährt den Verdacht, dass Ökoenergien systematisch kleingerechnet und kleingeredet werden. So wie die IEA die Erneuerbaren unterschätzt, so sehr überschätzt diese offizielle Energieagentur der Industriestaaten die Reichweite und die Chancen der fossil-atomaren Energieträger permanent. Vor allem ihre Einschätzungen der Ölpreisentwicklung sind völlig daneben: Die IEA ging im Jahr 2001 in ihrem Weißbuch für erneuerbare Energieträger noch davon aus, dass das Barrel Öl im Jahr 2030 circa 30Dollar kosten würde. Die reale Entwicklung ist bekannt: 2008 kletterte der Ölpreis auf 147Dollar pro Barrel, sank in der Wirtschaftskrise 2009 auf 40Dollar und überstieg 2012 wieder die 110-Dollar-Schranke. In der Zwischenzeit musste die IEA ihre alten Schätzungen stark nach oben korrigieren: Der Ölpreis könne, sagte sie 2011, im Jahr 2020 bei über 200Dollar liegen.

Mittlerweile rät auch der Chefökonom der IEA, Fatih Birol: »Wir sollten das Öl verlassen, bevor es uns verlässt.« Das ist vernünftig. Die Steinzeit ging auch nicht deshalb zu Ende, weil es keine Steine mehr gab, sondern weil unsere Vorfahren neue Technologien erfanden, weil es Neues gab und Besseres. Mit dieser schlichten Erkenntnis tun sich jedoch viele heutige Steinzeitmenschen noch recht schwer. Sie verschlafen den Platz auf der Sonnenseite.

Klar ist: Je rascher die Preise für die atomar-fossilen Brennstoffe steigen, desto schneller werden die erneuerbaren Energien finanziell konkurrenzfähig. Höherwertig sind sie ökonomisch, ökologisch und gesellschaftspolitisch sowieso.

Selbst die bisherigen Prognosen der Verbände der erneuerbaren Energien und von Greenpeace wurden regelmäßig übertroffen. Die Erneuerbaren entwickelten sich dank engagierter Bürgerinnen und Bürger weit schneller als von fast allen Experten vorhergesagt. Das erste 100-Prozent-Szenario hatte »Solar Sweden« 1975 erstellt. Darin wurde die Möglichkeit aufgezeigt, das skandinavische Land komplett erneuerbar zu versorgen. Die Regierung Jimmy Carter hatte 1980 ein Energieszenario in Auftrag gegeben, das ergab, dass die USA bis 2030 zu 100 Prozent erneuerbar sein könnten. Nachfolger Ronald Reagan hat dann allerdings im Sinne der US-Öl-Lobby alles getan, damit dieses Ziel bald wieder vergessen war. Die Solaranlage, die Jimmy Carter symbolisch auf dem Dach des Weißen Hauses anbringen ließ, wurde auf Anweisung von Ronald Reagan gleich an seinem ersten Amtstag wieder abmontiert. Der Fingerzeig für die amerikanische Öl-, Kohle- und Atomlobby war deutlich genug.

Österreich könnte – neben Dänemark – innerhalb der EU das erste Land mit einer 100-prozentigen erneuerbaren Stromversorgung sein. Schon heute werden 74 Prozent des Stroms erneuerbar erzeugt – hauptsächlich mit Wasserkraft. Im Jahr 1999 legten die österreichischen Interessenvertretungen der erneuerbaren Energieverbände einen Plan vor, der aufzeigt, dass das Alpenland bis 2030 seinen Strom komplett sauber organisieren kann. Im Bereich solare Wärme haben die Österreicher bereits über fünf Millionen Quadratmeter Sonnenkollektoren installiert.

Ende August 2012 publizierte Greenpeace Schweiz eine neue Studie, in der es heißt: »Die Stromversorgung der Schweiz ist bis zum Jahre 2025 vollständig auf erneuerbare Energien umstellbar – und der Solarenergie kommt dabei eine zentrale Rolle zu.«

Immer mehr kleine Stromer

Der Solarpionier Hermann Scheer zitierte und erläuterte in meiner ARD-Sendung »Zeitsprung« am 15.Januar 1993 vor einem Millionenpublikum eine Eurosolar-Studie, wonach die Energiewende in Deutschland bis 2030 möglich sei. Diese Sendung stieß bei unseren Zuschauern auf so viel Resonanz, dass wir sie sechsmal ausgestrahlt haben. Seither sind alle Prognosen Scheers in etwa eingetroffen. Warum sollten ausgerechnet jetzt die Bedenkenträger recht behalten, die sich in ihren pessimistischen Fehleinschätzungen stets grandios geirrt haben? Inzwischen hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung 2010 eine Studie präsentiert, die aufzeigt, dass sich Deutschland mithilfe eines deutsch-dänisch-norwegischen Wasserkraftverbundes bis 2050 im Strombereich zu 100 Prozent erneuerbar versorgen könnte. Die norwegische Wasserkraft soll dabei eine Schlüsselrolle als Reserve- und Speicherenergie spielen.

Im Herbst 2012 gibt es in Deutschland bereits 138Regionen, die sich das politische Ziel gesetzt haben, bis 2020, 2030 oder spätestens 2050 bei der Stromgewinnung komplett erneuerbar und autonom zu sein. Einzelne kleine Regionen und Kommunen produzieren heute schon mehr Ökostrom, als sie selbst Strom verbrauchen. Es gibt immer mehr kleine Stromer, die eine Energie-Revolution von unten vorantreiben. Insgesamt hat sich bereits ein Viertel des Bundesgebiets von den alten Energieversorgern befreit.

Die Energiewende ist eines der anspruchsvollsten Projekte der jüngeren deutschen Geschichte. Ihre Umsetzung erfordert nicht nur technischen Fortschritt, sondern auch demokratische Reife und bürgerschaftliche Innovationen. Das passt gut zu den derzeitigen Wünschen der Deutschen nach einer offenen und transparenten Gesellschaft, nach mehr Bürgerbeteiligung. Das Nachdenken über eine gesellschaftlich tragfähige Gestaltung der Energiewende kam bisher zu kurz. In meinen 20Jahren Erfahrung beim Projektieren von Windparks habe ich gelernt: Wer die Betroffenen frühzeitig einschaltet und beteiligt, auch finanziell, kann später mit höherer Akzeptanz rechnen, muss weniger Widerstand befürchten. Die Energiewende kann eine demokratische Veranstaltung werden nach dem Motto: weniger reden, mehr beteiligen. Politiker, die diese Zusammenhänge verstehen, müssen sich vor der nächsten Wahl nicht fürchten.

In den USA hatte Al Gore zum Präsidentschaftswahlkampf 2008 ein Szenario vorgestellt, das vorsah, dass die USA ihren Strom in weniger als 20Jahren zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen gewinnen könnten. Barack Obama zog mit dieser These in den Wahlkampf, hat aber in seiner ersten Amtsperiode wenig erreicht. Die konservativen Republikaner haben bislang jeden Schritt hin zu mehr Klimaschutz oder für die Energiewende im energieverschwenderischen Amerika ausgebremst. In seiner Inaugurationsrede im Februar 2009 hatte Präsident Obama noch versprochen: »Wir werden die Sonne, den Wind und die Erde nutzbar machen, um unsere Autos zu betanken und unsere Fabriken zu betreiben … Nun gibt es auch solche, die das Ausmaß unserer Ambitionen infrage stellen – die behaupten, dass unser System nicht viele große Pläne verträgt. Ihr Erinnerungsvermögen ist kurz. Denn sie haben vergessen, was dieses Land bereits vollbracht hat, was alle Männer und Frauen erreichen können, wenn Vorstellungskraft und der gemeinsame Zweck sich einen und sich Erfordernisse und Courage gesellen. Was die Zyniker nicht verstehen, ist, dass die abgestandenen politischen Argumente, die uns so lange ausgezehrt haben, heute nicht mehr wirksam sind.« Gut gebrüllt, Löwe – aber wenig erreicht. Wollen tut er ja – aber dürfen kann er nicht.

Im Wahlkampf 2012 argumentierte Barack Obama dann wesentlich zurückhaltender. Es bleibt zu hoffen, dass er dafür in seiner zweiten Amtsperiode umso mehr tut.

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