Auf der Straße ins Ungewisse - Wolfgang Habel - E-Book

Auf der Straße ins Ungewisse E-Book

Wolfgang Habel

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Beschreibung

Nach der geglückten Flucht und Heimkehr zu seinen Eltern, bleiben der Familie nach dem Kriegsende nur noch wenige ruhige Tage. Dann wird Hardi, der Erzähler, abgeholt und für mehrere Monate in einem Lager seiner Heimatstadt Ostrau interniert. Hier, in der Stube 11, ist ein jeder bestrebt im Lageralltag unbeschadet über die Runden zu kommen. Die erzwungene Gemeinschaft seltsamster Charaktere wächst durch unerwartete und außergewöhnliche Ereignisse allmählich zusammen. Hier im Lager trifft Hardi nicht nur seine Jugendliebe, sondern auch seinen alten Freund wieder, der zufällig eingeliefert wird. Endlich wird das Lager aufgelöst und nach glücklichem Wiedersehen seiner Eltern, kommt es zur Abschiebung zu einem unbekannten Ziel in Deutschland.

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Wolfgang Habel wurde am 30.März 1951 in Seligenthal, Thüringen, geboren. Nach Verlassen der DDR Ende der 50er Jahre und Übersiedlung nach NRW, studierte er nach Abschluss des Gymnasiums Chemie an der Universität Dortmund mit anschließender Promotion. Anfang der 70er Jahre war er bei R.W. Oberhausen Fußballprofi in der Bundesliga. 2016 beendete er seinen Hochschuldienst an der Universität Duisburg-Essen.

Wilhelm Meisters Lehrjahre

Wer nie sein Brot mit Tränen aß,

Wer nie die kummervollen Nächte

Auf seinem Bette weinend saß,

Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Ihr führt ins Leben uns hinein,

Ihr laßt den Armen schuldig werden,

Dann überlaßt ihr ihn der Pein,

Denn alle Schuld rächt sich auf Erden

Johann Wolfgang von Goethe

Wolfgang Habel

Auf der Straße ins Ungewisse

2. Teil

Das Lager

© 2018 Wolfgang Habel

Umschlag, Illustration:

Lektorat, Korrektorat:

Weitere Mitwirkende: Erhard Habel

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN:

978-3-7469-2272-0 (Paperback)

978-3-7469-2273-7 (Hardcover)

978-3-7469-2274-4 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Die Verhaftung

Im Lager

Stube 11

Der Kollaborateur

Das Besenkommando

Lagerleben

Nur ein Brief

Der Handlesekünstler

Ein rabenschwarzer Tag

Stella

Das Vierweiberlhaus

Ein Wiedersehen

Kommando “Palace – Hotel“

Marillenklöße

Machorka

Die Übersinnlichen

Epilog

Was bisher geschah

Auf der Straße ins Ungewisse - 1.Teil: Die Flucht

Im letzten Monat vor Kriegsende treffen sich die beiden Jugendfreunde Hardi und Mikosch durch Zufall in einem Lazarett nahe Prag. Gemeinsam im Einsatz vor ihrer Heimatstadt Ostrau, beschließen sie, als sowjetische Truppen die Stadt besetzen, den Krieg für sich zu beenden. In Zivil wollen sie sich zu ihren Verwandten durchschlagen. Ihr Vorteil ist, dass sie die tschechische Sprache perfekt beherrschen. Dem und einer reichlichen Portion Glück ist es auch zu verdanken, dass sie auf ihrer Flucht eine ganze Woche unentdeckt bleiben.

Dann, nachdem sich ihre Wege getrennt haben, wird Hardi gefasst und als "Deserteur" zum Tode verurteilt. Mut und Zufall lassen ihn der drohenden Exekution entgehen. Unter Versprengten trifft er seinen Freund wieder, und beide sollen nochmals an der Front eingesetzt werden.

Ein erneuter Fluchtversuch, um sich zu den Amerikanern durchzuschlagen, schlägt fehl.

Mikosch sucht eine Verwandte in Böhmen auf, während Hardi auf einem Pferdefuhrwerk in seine Heimatstadt zurückkehrt. Er wird begleitet von Vera, einem Mädchen, das sich ihm unterwegs angeschlossen hat.

In Ostrau sind inzwischen fast alle Deutschen aus ihren Wohnungen vertrieben und in Lagern interniert worden. Zur großen Überraschung wohnen aber seine Eltern noch in ihrer alten Wohnung. Groß ist die Wiedersehensfreude als der verlorene Sohn unerwartet mit Vera erscheint und mit ihnen für Stunden die ungewisse, drohende Zukunft vergisst.

Hier nun lassen wir Hardi erzählen.

Die Verhaftung

Am späten Abend des 13. Mai war ich mit Vera daheim, in Ostrau, bei meinen Eltern angekommen. Die folgenden Tage verbrachten wir in unserer Wohnung, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu verlassen.

Vom Fenster aus, hinter dem Vorhang verborgen, konnten wir beobachten, was sich draußen in der schnöden Welt ereignete.

Der jahrelang angestaute Hass der Tschechen gegen die Deutschen kam nunmehr spontan zum Ausbruch. Zahn um Zahn, Auge um Auge, das war die Devise in diesen ersten, chaotischen Tagen nach dem Zusammenbruch. Die Deutschen hatten diesen schrecklichen Krieg vom Zaun gebrochen und sie alle trugen die Schuld an dem unsagbaren Leid und der bitteren Not. Sie hatten diesen blutigen, ungerechten Krieg verloren. Jetzt war die Zeit gekommen, da sie alle für das büßen sollten, was sie in ihrer rücksichtslosen Machtgier und ihrem maßlosen Hochmut angerichtet hatten. Alle sollten sie dafür büßen, alle ohne Ausnahme, die einen mehr, die anderen weniger.

Die von den Deutschen geräumten Wohnungen wurden nach Brauchbarem durchsucht und ausgeräumt. Deutsche Bücher warf man zum Fenster hinaus und schichtete sie zu hohen Haufen auf dem Bürgersteig.

Alle Deutschen mussten vorne auf der linken Seite ein schwarzes “N" tragen. Das war der Anfangsbuchstabe des Wortes "Němec", (Deutsche). Der vorgeschriebene Durchmesser des Stoffkreises betrug 15 Zentimeter, die Balken des Buchstaben N mussten zwei Zentimeter breit sein. Ehemalige Parteigenossen hatten sich dieses weithin sichtbare Zeichen auch noch auf dem Rücken anzunähen. Auch in den sonstigen Lebensbereichen sollte es den Deutschen nunmehr wie einst den Juden ergehen. Das Begehen des Bürgersteiges war für sie verboten, ebenso durften sie keinerlei öffentliche Verkehrsmittel benutzen oder sich im Park auf eine Bank setzen. Das Betreten eines Lokals, eines Kinos oder Theaters war selbstverständlich allen Deutschen verwehrt.

Alles andere, was sich in den ersten Nachkriegswochen ereignete, sollten wir alle noch zur Genüge am eigenen Leibe erfahren.

Vorausschicken möchte ich an dieser Stelle, dass mich bei der Schilderung der folgenden Ereignisse weder Rache- noch Hassgefühle bewegen oder ich die Absicht verfolge, ähnliche Gefühle zu erzeugen.

So mussten viele für etwas büßen, wofür andere verantwortlich waren, mussten viel Leid ertragen, da besonders in den ersten Wochen Elemente auftauchten, die ihrem Hass freien Lauf ließen und aus jedem Lager am liebsten ein kleines Konzentrationslager gemacht hätten.

Jedenfalls geschah viel Unrecht in dieser Zeit, Unrecht als Folge eines verlorenen Krieges in einem besetzten Land an denen, die man für den Krieg und das damit verbundene Elend pauschal verantwortlich machte.

So bilden diese Ereignisse den Rahmen für die kleinen Geschichten, die sich ganz am Rande der Geschehnisse ereigneten.

Die erste Nacht nach meiner langen Irrfahrt verging viel zu schnell. Ich schlief zwar erst sehr spät ein, bin aber überzeugt davon, in meinem ganzen Leben nie wieder so gut und tief geschlafen zu haben wie in dieser Nacht.

Vera erging es nicht viel anders.

So blieb meiner Mutter nichts anderes übrig, als uns zum Mittagessen aus dem Bett zu holen.

Herrliche, schon lange Zeit nicht mehr wahrgenommene Gerüche durchzogen die Wohnung. Die mitgebrachten Büchsen waren jetzt Gold wert und sicherten unsere Verköstigung für die nächsten Tage.

Tagsüber standen wir stundenlang am Fenster und beobachteten das Treiben auf der Straße. Bereits früh am Morgen ging es los. Deutsche Arbeitskolonnen tauchten auf, die Männer in Arbeitskleidung, hohlwangig, müde und abgezehrt, mit kahl geschorenen Köpfen und ihre groben Holzschuhe erzeugten auf dem Straßenpflaster ein unüberhörbares Klappern. Auf ihrem Drillich leuchtete der weiße Kreis mit dem schwarzen “N“. Begleitet wurde jede Kolonne von ein bis zwei bewaffneten Posten, die die Marschierenden stets zur Eile antrieben.

Auch Arbeitskolonnen mit Frauen sahen wir vorbeiziehen, auch sie kahl geschoren, ohne Kopftücher, in Holzschuhen und grober Arbeitskleidung und mit dem weithin sichtbaren “N“ gezeichnet.

Eines Tages kam ein Handwagen angerattert, auf dem ein Deutscher stand. Er hatte die Hände auf dem Rücken zusammen geschnürt und trug um den Hals ein mit Draht festgemachtes Schild mit der deutlich lesbaren Aufschrift: "Ich habe drei Tschechen auf dem Gewissen". Gezogen wurde das Gefährt von zwei ehemaligen Parteigenossen, wie an dem “N“ auf dem Rücken zu erkennen war. Hinterher zog eine grölende Menge.

„Na, Servus", sagte ich, „die treiben es ja ganz schön mit uns! Ich bin gespannt, wann wir an der Reihe sind."

„Vielleicht lassen sie uns in Ruhe", hoffte mein Vater,

„schließlich war ich nicht in der Partei.“ Er sagte das, um uns zu beruhigen, obgleich er genau wusste, dass wir alle vom Gegenteil überzeugt waren.

Meine Mutter warf keinen Blick aus dem Fenster. Sie wollte von all dem Schrecklichen nichts sehen und nichts hören.

So vergingen die nächsten Tage für uns in völliger Abgeschiedenheit und trügerischer Ruhe.

Bis uns eines Tages Vera eröffnete, dass es für sie an der Zeit sei, nach Hause zu gehen. Teschen, ihre Heimatstadt, war ungefähr 30 Kilometer östlich von Ostrau gelegen. Sie konnte, wenn sie Glück hatte und man sie unterwegs nicht aufgriff, sogar in einem Tag zu Hause sein.

Wir respektierten ihren begreiflichen Wunsch, rieten ihr nicht ab und hielten sie nicht. Schließlich konnten wir nicht wissen, was mit ihr geschah, wenn sie bei uns blieb.

Sie ging und versprach, uns sofort zu schreiben, sobald sie in Teschen ankam.

Wir haben nie wieder etwas von ihr gehört. Wahrscheinlich hat man sie unterwegs eingefangen und in irgendein Lager gesteckt, so dass sie keine Gelegenheit mehr fand, uns ein Lebenszeichen zukommen zu lassen.

Während das Leben draußen auf der Straße wie ein Film vor uns ablief, schien oben in unserer Wohnung die Zeit stillzustehen. Allmählich begannen wir in der Tat zu hoffen, dass man uns vergessen hatte und wir von einer etwaigen Verhaftung verschont bleiben könnten.

Und was ich nie und nimmer geglaubt hätte: Sogar meinen Geburtstag konnte ich noch zu Hause verbringen.

Meine Mutter, eine wahre Meisterin in der Herstellung schmackhafter Buttercremetorten, ließ es sich nicht nehmen, mir an diesem Festtag mit Hilfe der allerletzten Lebensmittelreserven eine Torte zu backen. In ihrer Mitte prangte die schneeweiße, süße Schrift aus Zuckerguss: “Zum 21. Geburtstag“.

Ich aß und aß, während meine Eltern mir gegenübersaßen und mir erst verwundert, dann maßlos erstaunt und schließlich äußerst entsetzt zusahen.

„Er hat sich nicht geändert. Immer muss er alles auf einmal aufessen", meinte meine Mutter und lächelte. „Hardi, heb dir doch noch etwas für heute Abend auf!"

Ich war gerade beim letzten Viertel. „Der Abend ist noch weit. Wer weiß, was bis dahin passiert." Ungerührt schob ich das nächste Stück in den Mund und schaffte, wenn auch mit ein wenig Gewalt und Würgen, den Rest.

Meine Mama sah mich bewundernd an. „Du meine Güte, du hast immer noch denselben Appetit wie früher! Weißt du noch, wie du zu deinem 16. Geburtstag 32 Pflaumenknödel verdrückt hast?“

Und ob ich das wusste! „Schade, dass die Zutaten fehlen, ich glaube, heute könnte ich den Rekord von damals noch brechen."

Und wir lachten alle drei.

Unser Lachen jedoch erstarb jäh, als die Klingel anschlug

und gleichzeitig derbe Fäuste an die Tür trommelten. Bewegungslos saßen wir am Tisch und sahen uns an. Jetzt war sie wohl endgültig vorbei, die stille, ruhige Zeit.

Ich begab mich ins Eckzimmer, setzte mich ans Fenster und nahm ein Buch zur Hand. Dann harrte ich der Dinge, die auf uns zukamen.

Meine Mutter wollte öffnen, sie trug sich mit der vagen Hoffnung, dass bei ihrem Anblick die Herren der Volksmiliz sich mit einem tiefen Diener wieder verabschieden würden.

Aber so weit kam es natürlich nicht. Bald vernahm ich aus dem Nebenzimmer ein herrisches Geschrei, jemand riss die Tür auf, dass sie beinahe aus den Angeln sprang, und herein traten zwei Männer, bewaffnet mit Maschinenpistolen und durch rote Armbinden legitimiert.

„Wen haben wir denn da an der Angel?“, schrie einer und richtete den Lauf seiner Maschinenpistole auf mich. „Kannst du mir verraten, was du hier treibst?"

„Wie du siehst", sagte ich, „lese ich gerade."

„Sieh einer an", höhnte der zweite, „das deutsche Dreckschwein beliebt zu lesen." Er ergriff das Euch, öffnete das Fenster und warf es auf die Straße.

Es war "Quo vadis" von Sienkiewicz, das damals davon flatterte. Der Titel "Wohin gehst du?", schoss es mir durch den Kopf, stimmte in diesem Fall nicht mehr ganz. "Wohin fliegst du?“, hätte viel besser gepasst.

„Du bist Soldat?", fragte er. Stolz auf seine glorreiche Tat schloss er tief befriedigt das Fenster, ohne zu ahnen, dass er soeben das Werk eines großen polnischen Dichters auf die Reise geschickt hatte.

„War", berichtigte ich, „ich war Soldat."

Er streckte gebieterisch seinen Arm aus. „Soldbuch!" Ich zuckte mit den Schultern. „Das habe ich leider nicht mehr, es ist verloren gegangen."

Die beiden sahen mich drohend an. „Los, mach deinen Arm frei!", schrie der Bücherwerfer und fuchtelte mit seiner Maschinenpistole vor meiner Nase herum.

Ich tat ihm den Gefallen. „Bei der SS war ich nicht, wenn ihr das denkt", sagte ich, „dafür habe ich auch genügend Zeugen hier in der Gegend."

Meine Eltern standen in der Tür. Sie waren beide bleich und verstört und sahen besorgt zu, was die beiden mit mir anstellten.

„Wir haben noch einen Pass und den Taufschein. Wenn das genügt, hier in der Schublade finden Sie alles. Auch die Geburtsurkunde“, warf mein Vater ein.

Er erhielt ein Zeichen, die Ausweise selbst zu holen. Jetzt erst sah ich, dass im Esszimmer noch, ein Rotmilizionär stand, der seine Waffe auf meine Eltern richtete und so diese beiden gefährlichen Menschen in Schach hielt.

In der Zwischenzeit hatten die beiden sich überzeugt, dass ich nicht nummeriert war. Sie blätterten sämtliche Ausweise und Urkunden durch, hielten sie gegen das Licht und verglichen die Fotos mit den Originalen.

Schließlich wandte sich der Bücherwurm noch einmal an mich: „Wie kommst du hierher?", wollte er wissen.

„Ach, das ist eigentlich die einfachste Sache der Welt. Ich war auf der Landecke im Einsatz. Und von dort war es nicht weit nach Hause."

Der Mann von der Volksmiliz schien meinen Worten Glauben zu schenken. Er machte eine unmissverständliche Geste mit seiner Waffe. „Los, mitkommen", herrschte er uns an, „alle drei mitkommen."

Wir durchquerten das Esszimmer und strebten der Diele zu.

„Und legt alle drei die Hände schön auf den Hinterkopf!“, kommandierte der Anführer der drei Tschechen. Man musste dies zumindest annehmen, da er sich bisher am stärksten hervorgetan hatte.

Ich drehte mich noch einmal um. „Ja, dürfen wir denn nichts mitnehmen? Wenigstens eine Zahnbürste?“

„Du wirst schon keine Zahnbürste brauchen, wenn sie dir beim Verhör alle Zähne ausschlagen", höhnte der Genosse von der Miliz und schob mich durch die Diele. Da war nichts zu machen. Schweigend, die Hände am Nacken verschränkt, gingen wir voran, von den drei waffenstarrenden Männern verfolgt.

„Das hätte euch so gepasst, euch da oben auszufaulenzen und zuzugucken, wenn die anderen für euch arbeiten!"

Wir gaben keine Antwort, da wir von der Sinnlosigkeit eines solchen Unterfangens restlos überzeugt waren. Nur meine Mutter klagte, sie könne ihre Hände nicht länger oben halten, sie hätte Gelenkrheuma und leide große Schmerzen. Sie erhielt sogar die Erlaubnis, ihre Arme herunterzunehmen.

So marschierten wir aus dem Haus, überquerten die Bahnhofstraße und gingen an Hawlitscheks Kolonialwarenladen vorbei. Der Ladenbesitzer war nicht zu sehen. Er kannte mich gut, hatten mein Freund Mikosch und ich den Kaufmann oft genug geärgert, ihm Stinkbomben ins Geschäft geworfen und mit Hilfe von Stöcken die Büchsenpyramiden in seinem Schaufenster zum Einsturz gebracht. Ich hielt vergeblich nach Herrn Havlitschek Ausschau, dafür erschien seine Frau unvermittelt in der Tür und sah uns kommen. Sie musterte uns, ohne auch nur eine Miene zu verziehen und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Man konnte ihr nicht ansehen, was sie bei unserem Anblick dachte.

Ganz unverhofft bekam ich mit dem Gewehrlauf einen kräftigen Stoß in den Rücken, dass mir für einen Augenblick die Luft wegblieb.

„Willst du vielleicht auf der Straße gehen, du Hundesohn!", schrillte die wohlbekannte Stimme hinter mir.

Ich biss die Zähne zusammen und verließ den Bürgersteig. Die erste Aufforderung mit dem Gewehrlauf hatte mir vollkommen genügt.

Unser Marsch blieb nicht unbeobachtet und wir mussten einige Bemerkungen über uns ergehen lassen, die uns das Blut in die Wangen trieben oder uns vor Scham oder Wut erbleichen ließen. Alle, ob Frauen oder Männer, machten ihrer Empörung und ihrem Hass gehörig Luft. Sie schimpften hinter uns her und wünschten uns alles nur erdenklich Schlechte.

An der Evangelischen Kirche trennten sich unsere Wege. Für mich, den ehemaligen Soldaten der Deutschen Wehrmacht, war ein anderes Gefängnis vorgesehen.

Wir erhielten keine Gelegenheit, uns noch auf Wiedersehen zu sagen. Ein kurzer, aufmunternder Blick, ein leichtes Kopfnicken, ein schnelles, verstohlenes Winken, dann war ich mit meinem Bewacher allein. Während wir nach links abbogen und die Richtung zum Rathaus einschlugen, wurden meine Eltern in entgegengesetzter Richtung weggeführt.

Mich schien man als einen äußerst gefährlichen Kriegsverbrecher einzustufen, denn mein Bewacher brachte mich zum Polizeipräsidium am Neuen Rathaus. Hier dirigierte er mich bis zu einer Tür, die zum Keller führte.

Wieder einmal ein Keller! Nun, das alles war mir allmählich schon zur Gewohnheit geworden und vermochte mich nicht aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen. Es machte mir einfach nichts mehr aus.

Der Mann übergab mich einem mürrischen Wachposten, der die Kellertür bewachte und dastand, als hätte er einen ganzen Zaunpfahl unzerkaut verschlungen. Wortlos riss er die Tür auf und gab mir mit einer einladenden Geste zu verstehen, dass ich hinuntersteigen durfte.

Tastend tappte ich ein paar Schritte vor, dann wurde hinter mir die Tür mit einem lauten Knall zugeschlagen. Entsetzt hielt ich den Atem an. Ein ganzer Schwall übelster Gerüche drang mir entgegen. „Na, Prost Mahlzeit!", stieß ich hervor und versuchte, etwas mehr von meiner Umgebung zu erkennen.

Hatte ich erwartet, vor mir eine hell erleuchtete Treppe und unten ein paar saubere Räume mit Bänken oder sonstigen Sitzgelegenheiten zu sehen, so wurde ich jetzt eines Besseren belehrt.

Erst als ich mich an das düstere Halbdunkel gewöhnt hatte, begannen sich vor meinen Augen dunkle Konturen abzuzeichnen. Der Treppenaufgang war mit Menschen vollgestopft. Sie saßen auf den Stufen oder standen seitlich an die Wand gelehnt, einige saßen sogar der Länge nach auf einer der staubbedeckten Steinstufen.

„Du da oben, hör mal, hier an der Tür darfst du auf keinen Fall stehen bleiben“, raunte eine Stimme in meiner Nähe.

Ich blickte angestrengt in die Richtung, aus der die Stimme kam. Zwei Stufen unter mir stand, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, ein Mann zwischen 30 bis 40 Jahren, soweit ich das bei der Dunkelheit schätzen konnte.

„Dem Kerl da draußen macht es nämlich großen Spaß, die Tür mit voller Wucht aufzureißen, wenn er einen in den Keller schickt. Dabei bekommst du so einen Stoß, dass du die ganze Treppe hinunter fliegst. Also such‘ dir irgendwo da unten einen Platz! Wirst schon einen finden."

Das leuchtete mir ein, und wie ich den Burschen da draußen einschätzte, würde er diesen Spaß bei jeder neuen Einlieferung treiben.

Vorsichtig begann ich mit dem Abstieg, kletterte wieder einmal über Arme und Beine, über ausgestreckte oder zusammen gekrümmte Körper, über Köpfe, dann wieder musste ich mich mit Gewalt zwischen Menschenleibern hindurchzwängen, die dicht gedrängt nebeneinander standen. Oft ertastete ich keinen festen Halt oder fand keine freie Stelle, auf der ich meinen Fuß aufsetzen konnte.

Einmal trat ich auf etwas Weiches, und als ich schnell den Fuß wegzog, verlor ich den Halt und fiel der Länge nach mitten hinein in dieses unentwirrbare Knäuel ineinander verkeilter Menschen.

Aber niemand schimpfte, ich hörte weder einen Schmerzenslaut noch lautstarken Protest. Schweigend, ohne jegliche innere Teilnahme, gleichgültig und abgestumpft durch das endlose Stehen, ertrugen die Gefangenen alles widerspruchslos und ohne erkennbare Regung.

Endlich hatte ich den Treppenaufgang hinter mich gebracht und zwängte mich durch den Gang. Allmählich hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und ich vermochte etwas mehr von meiner Umgebung zu unterscheiden. Ganz hinten am Ende des Ganges pendelte an einem Draht eine verstaubte Glühbirne und verbreitete dürftiges Licht. Links und rechts führten Türen in die eigentlichen Kellerräume, die auch nur spärlich beleuchtet waren. Meine Hoffnung, hier unten etwas mehr Bewegungsfreiheit vorzufinden, erfüllte sich nicht. Nirgends sah ich auch nur den kleinsten Zwischenraum, in den ich mich hätte hineinzwängen können.

Als der Gang endete, blieb mir nichts anderes übrig, als einen der beiden Räume rechts oder links zu betreten.

Der Gestank war penetranter geworden, denn am Gangende befand sich eine Toilette. Die Tür ließ sich nur anlehnen, und der beißende Gestank nach Urin und Kot war ekelerregend und ließ die Augen tränen.

Ich beschloss, mein Glück auf der rechten Seite zu versuchen. Hier schien es nicht gar so voll zu sein. Leider aber schien es nur so, denn sobald ich es geschafft hatte, mich durch die Türöffnung zu zwängen, wurde ich eines Besseren belehrt. Eine schier undurchdringliche Wand aus Menschenleibern versperrte mir den Durchgang. Es schien nahezu unmöglich, hier durchzukommen. Aber zurück? Noch einmal an der alten Frau vorbei, die hilflos eingekeilt direkt in der Türöffnung saß? Sich nochmals zwischen den drei Mädchen hindurchquälen, die neben der Frau standen und leise vor sich hin weinten? Nein, auf keinen Fall wieder zurück. Also weiter!

So kämpfte ich mich verbissen Zentimeter um Zentimeter vorwärts und erreichte nach mühsamen, kraftraubenden Anstrengungen völlig erschöpft und ausgepumpt die äußerste Ecke des Raumes. Die elektrische Beleuchtung fehlte. Ein schmales, vergittertes Fensterchen knapp unter der niedrigen Decke warf einen Schimmer des grauen Tages in das mit Menschen vollgestopfte Kellergewölbe.

Da wurde ich angerufen. „Hallo, du da, komm her, setz dich neben mich! Hier ist noch Platz." Ein Mädchen hatte gerufen, das hinten an der Wand saß. Sie mochte 18 Jahre alt sein, soweit ich das bei der Dunkelheit zu erkennen vermochte. Ihr Gesicht und ihre Haare starrten vor Schmutz. „Komm, setz dich zu mir, vielleicht kann ich mich dann besser verstecken. Ich heiße Karin."

Ich ließ mich auf dem mit einer dicken Staubschicht bedeckten Boden nieder. „Vor wem willst du dich denn verstecken?", fragte ich sie arglos, nachdem ich es mir halbwegs bequem gemacht hatte.

„Man merkt ‚ dass du eben erst gekommen bist! Alle naselang kommen Russen herein und suchen Mädchen zum Saubermachen. Meine Freundin haben sie gestern geholt, und sie ist bis jetzt noch nicht zurück. Deshalb habe ich mich so mit Dreck beschmiert, vielleicht lassen sie mich dann in Ruhe. Außerdem verkrieche ich mich immer hinter den beiden da, wenn sie kommen. Und jetzt kannst du dich auch noch davorsetzen.“

Ich blickte in die Richtung, in die sie deutete. Da saßen ihre beiden Beschützer: ein schwarz gelockter, schlanker Jüngling, höchstens 18 Jahre alt und ein schätzungsweise sechzigjähriger Mann. Bleich und völlig abgezehrt, saß der Alte auf der Erde und lehnte sich kraftlos an die Wand.

„Der macht nicht mehr lange", flüsterte mir das Mädchen zu, „er hat schon drei Tage nichts mehr gegessen."

Von Karin erfuhr ich, dass es hier überhaupt nichts zu essen gab, nicht einmal einen Schluck schwarzen Kaffee hatte man für die Eingesperrten übrig. „Wenn ihr zu viel fresst, müsst ihr zu viel scheißen, und dafür reicht das Klo nicht aus", so begründete einer der Posten diese unmenschlichen Maßnahmen. So einfach also ließen sich Probleme lösen.

Hin und wieder wurden ein paar Namen aufgerufen. Die Genannten drängten hinaus, wohin, das wusste niemand. Gleichzeitig aber wurden dauernd neue Gefangene eingeliefert, so dass das unerträgliche Gedränge nicht nachließ. Hinzu kam noch, dass jede Weile ein paar Tschechen im Keller auftauchten und unter den Eingesperrten bekannte Gesichter suchten. Mit Taschenlampen leuchteten sie jedem ins Gesicht, und wehe dem Armen, den sie als ehemaligen Parteigenossen oder Funktionär wiedererkannten. Er musste mitgehen und wurde erbarmungslos verprügelt.

„Guck dir doch den an, der da drüben an der Wand lehnt", raunte mir Karin ins Ohr, „den haben sie seit gestern schon dreimal geholt. Auf den haben sie es besonders abgesehen."

Ich drehte mich um und blickte in ein Gesicht, das schwarz war von Schlägen. Der Mann lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand und rührte sich nicht. So etwas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen, und mir wurde nun doch etwas mulmig zumute. „Was hat er denn verbrochen?", erkundigte ich mich und vermied es, noch einmal in dieses zerschlagene, geschwollene Antlitz zu blicken.

„Der muss ein paar Tschechen angezeigt haben. So wenigstens hat der eine gebrüllt, der ihn holte. Genaues weiß ich auch nicht."

Ich sollte noch am gleichen Abend erleben, wie so etwas vor sich ging.

Karin stieß mir plötzlich ihren Ellenbogen in die Rippen. „Hörst du, jetzt kommen welche!" Sie sprang auf, gleichzeitig rückten die Männer etwas vor, so dass sie sich hinter ihnen an die Wand legen konnte. Ich setzte mich neben die beiden, und so verdeckten wir zu dritt den Körper des Mädchens fast völlig.

Vom Gang her ertönten die lauten Rufe: „Platz da! Platz da!"

So dicht die Leute auch aneinander standen, die Masse der Menschenleiber wich zur Seite, und ein breiter Gang entstand.

Zwei Mann kamen zu uns herein: ein bewaffneter Posten und ein Mann in Zivil. Der Mann von der Miliz blieb vor dem Deutschen mit dem zerschundenen Gesicht stehen und richtete den blendenden Strahl seiner Taschenlampe auf ihn.

Der Mann rührte sich nicht und hielt die Augen geschlossen. Der Zivilist trat näher heran und beugte sich vor. „Man muss schon genau hinsehen, wenn man ihn erkennen will. Aber er ist es, der Hund!" Dann versetzte er seinem Opfer einen Tritt und brüllte: „Steh auf, du Schwein, wenn ich mit dir spreche!“

Der Getretene erhob sich mühsam.

„Kennst du mich?", fragte ihn der Tscheche scharf.

Der Befragte schüttelte verneinend den Kopf, was ihm einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein einbrachte.

„Kerl, ich habe dich gefragt, ob du mich kennst!"

Der Mann hob den Blick und nickte. „Ja, ich kenne Sie", würgte er mit gepresster, heiserer Stimme hervor.

„So, so, jetzt auf einmal erkennst du mich! Weißt du auch noch, wie du mich damals genannt hast?"

Keine Antwort. Wieder zuckte er unter einem Tritt zusammen.

„Ich.., ich weiß es nicht mehr", stöhnte er auf.

„Dann will ich es dir sagen! Miese tschechische Ratte hast du mich genannt! Stimmt's?"

Wieder keine Antwort. Der nächste Tritt. „Ja, ja, es stimmt! Ich habe es gesagt", erklang der gequälte Aufschrei.

„Und weißt du auch, wie lange ich wegen dir gesessen habe?“

„Nein, ich weiß es nicht.“

„Dann weißt du es jetzt: Zwei Jahre habe ich wegen dir gesessen, zwei lange Jahre, du dreckiges Nazischwein! So, und jetzt wirst du sagen, was du bist!"

Der Mann schwieg.

Diesmal versetzte ihm der Posten einen Hieb mit dem Gewehrkolben. „Was sollst du sagen?", schrie er.

„Dass ich ein dreckiges Nazischwein bin."

„Also los, dann sag' es!“

Der Geschlagene sagte es: „Ich bin ein dreckiges Nazischwein."

„Lauter!" schrie der Tscheche, „lauter!"

Der Mann wiederholte die Worte mit erhobener Stimme.

„Ich höre nichts! Noch lauter!"

Das ging eine Weile so weiter, und sie gaben nicht eher Ruhe, bis ihr Opfer sich mindestens zehnmal beschimpft und gedemütigt hatte. Anschließend nahmen sie ihn doch noch mit und brachten ihn erst nach einer Stunde wieder. Blutverschmiert und am Ende seiner Kräfte lehnte sich der Mann an die Wand und rutschte langsam nach unten.

Wir fragten ihn, ob wir ihm irgendwie helfen könnten, aber er hielt die Augen geschlossen und antwortete nicht.

Die Stunden tropften unendlich langsam dahin. Selten sprach jemand, und wenn ein Posten mit mehreren Tschechen oder Russen erschien, wurde es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Sie gingen von Mann zu Mann, leuchteten jedem mit der Taschenlampe ins Gesicht und fragten hin und wieder nach dem Namen. Ich blieb von dieser Prozedur auch nicht verschont, erregte aber ihr Interesse in keiner Weise. Das lag begreiflicherweise auch nicht in meiner Absicht.

Nur einmal fiel mir das Herz in die Hose. Da hatte mich wieder ein Kerl angeleuchtet und wollte zu meiner Erleichterung weitergehen, als er dann doch wie angewurzelt stehen blieb und mir noch einmal seine Taschenlampe unter die Nase hielt. Dabei trat er dicht an mich heran und musterte mich eindringlich.

„Kerl, dich kenn' ich doch”, zischte er und starrte mich durchdringend an, wenn ich nur wüsste, woher!"

Ich kniff die Augen zusammen und sah ihn an. Kein Zweifel, ich kannte ihn auch, nur fiel mir ihm Moment ebenfalls nicht ein, wer der Kerl sein konnte. „Ich kenne dich auch", sagte ich daher schnell, „aber ich komme nicht dahinter, woher.“

Eine Zeitlang standen wir uns bewegungslos gegenüber, sahen uns lauernd an und überlegten krampfhaft, wo wir uns früher über den Weg gelaufen waren. Wenn mir nicht bald die rettende Erleuchtung kam, nahm er mich mit hinaus, das war mir klar.

„Aber mir wird gleich einfallen, wann du mir begegnet bist! Dann wird dir kein Hitler mehr helfen!"

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es musste fünf Jahre her sein, als wir im Hinterhof unser beliebtes Spiel "Räuber und Gendarm" spielten. Es war schon dunkel, und wir schlichen, mit Taschenlampen und Spielzeugpistolen bewaffnet, über enge Hinterhöfe, krochen über Zäune und Mauern. Damals waren wir nur zwei Räuber. Der Petr Holubek vom Nachbarhaus und ich. Wir hatten bereits einen gehörigen Vorsprung gewonnen und schwangen uns gerade auf das Dach des Fotoateliers, um von dort über die Teppichstange auf unseren Hof zu gelangen, wo wir uns hinter einem Stapel Kisten verstecken wollten, als es geschah.

Petr glitt von der Stange ab und trat so unglücklich auf, dass er sich das Schienbein brach. Ich stand noch oben auf der Mauer, als ich das hässliche Knacken vernahm, dann einen Aufschrei. Petr begann zu jammern. „Au, mein Bein, ich glaub', es ist kaputt!"

Erschreckt schwang ich mich von der Mauer und half ihm hoch. Seinen Arm auf meine Schultern legend, hüpfte er auf einem Bein in unseren Hausflur. Ich setzte ihn auf der Treppe ab und alarmierte Antschi, die Köchin des Caféhauses, die sogleich einen Krankenwagen herbeirief.

Das alles fiel mir nun zu meinem Glück ein und ich begann zu grinsen, obwohl mir der Bursche immer noch ins Gesicht leuchtete. „Ich weiß jetzt, woher ich dich kenne", stieß ich erleichtert hervor, „du bist der Petr Holubek von der Bahnhofstraffe 37."

„Und du, wer bist du?“, knurrte er, „woher kennen wir uns?"

Er schaltete seine Lampe aus und starrte mich durchdringend an.

„Ich bin der Hardi aus dem Nachbarhaus. Wir haben doch früher immer zusammen “Räuber und Gendarm“ gespielt, auch damals, als du dir das Bein gebrochen hast.“

Holubek schlug sich auf die Stirn. „Richtig! Du bist der Hardi! Natürlich, jetzt erkenne ich dich!" Er hatte es plötzlich sehr eilig. „Ich will sehen, ob ich etwas für dich tun kann", flüsterte er mir so leise zu, dass nur ich ihn verstehen konnte.

Dann ging er, ohne seine Taschenlampe auch nur einmal anzuknipsen.

Ich habe Petr Holubek nicht wieder gesehen, viel schien er für mich auch nicht getan zu haben, denn der Abend kam, eine nicht enden wollende Nacht begann, und nichts geschah, kein Mensch holte mich heraus.

Als der Morgen anbrach, wurde vom Posten wieder eine größere Anzahl von Namen verlesen. Wie immer, wurden die Aufgerufenen aufgefordert, unverzüglich nach oben zu kommen.

Endlich bekamen wir ein wenig Luft und etwas mehr Platz. Karin hatte in der Ecke sogar einige Ziegelsteine aufgestöbert, so dass wir nicht mehr auf dem feuchten, staubigen Boden zu sitzen brauchten. Sie hatte die Schwärze in ihrem Gesicht erneuert, eine Sicherheitsmaßnahme, die sich bisher ausgezeichnet bewährt hatte. Nun saß sie auf ihrem Ziegelstein und krümmte stöhnend ihren Körper zusammen. „Was hab' ich für einen entsetzlichen Hunger! Seit drei Tagen habe ich keinen Bissen mehr über die Lippen bekommen", klagte sie.

So gerne ich es getan hätte! Aber ich konnte ihr leider nicht helfen. Mir ging es dafür dank der genossenen Geburtstagstorte noch ganz gut.

Umso schlechter erging es dem älteren Mann, der leise vor sich hin stöhnte.

Sein Nachbar, der schwarzhaarige junge Bursche, ergriff ihn am Arm und fragte: „Fehlt Ihnen etwas?"

Er erhielt keine Antwort. Nur das leise Wimmern hörte auf.

„Er hat in der Nacht angefangen, den Putz von der Wand zu kratzen und in den Mund zu stecken. Ich glaube, es geht mit ihm zu Ende", sagte sein junger Nachbar.

„Man müsste den Posten rufen! So kann man ihn doch hier nicht liegen lassen!", machte ich meiner Empörung Luft.

„Der würde dir was anderes erzählen", ertönte eine Stimme im Hintergrund.

Wir konnten wirklich nicht viel für den Sterbenden tun. Etwas Essbares besaß niemand hier im Keller, ein Arzt befand sich auch nicht unter den Inhaftierten, so blieb uns nur noch eines: dem Mann in einem aus Zeitungspapier gefalteten Becher Wasser zu bringen.

Draußen am Gang war an der grau verputzten Wand ein mit Grünspan bedeckter Wasserhahn angebracht, aus dem sich, wenn man den Hahn voll aufdrehte, mühsam ein paar Wassertropfen herausquälten. Da es nichts zu essen gab, war der Andrang an dieser einzigen, mehr als dürftigen Wasserquelle stets besonders groß. Es dauerte meist den ganzen Tag, ehe man einmal, an die Reihe kam.

Der Sterbende reagierte auf das ihm gereichte Wasser nicht mehr. Als sein Nachbar ihn aufrichten wollte, sank er kraftlos vornüber.

„Er ist tot! Er ist gestorben", flüsterte der Junge und hielt den Toten krampfhaft mit beiden Händen fest. Er war selbst so bleich wie ein Toter, und seine Hände zitterten.

Wir riefen nach dem Posten. Es dauerte zwar eine Zeitlang, aber schließlich kam er. „Was ist hier los? Gestorben ist einer? Wo ist denn der Tote?", fragte er und ließ den Strahl seiner Taschenlampe über die düsteren Gestalten gleiten.

Wir wiesen ihm den Weg. „Aha, der ist das", meinte er ungerührt, nachdem er den Leichnam gebührend lange angeleuchtet hatte. Er drehte sich um und marschierte wieder hinaus. „Er wird gleich abgeholt", brummte er im Hinausgehen.

Wenige Minuten später kamen zwei tschechische Posten mit einer Bahre und trugen den Verstorbenen hinaus.

Gleichzeitig wurde ein ganzer Schwall neuer Leute in den Keller geschickt, so dass wir wieder dicht aneinander rücken mussten.

Für Karin schufen wir ein besseres Versteck, und sobald wir hörten, dass jemand kam, verschwand sie mit Windeseile hinter vier Mann, die ihren Körper völlig verdeckten. Sie hatte noch einige Male den Dreck auf ihrem Gesicht und den Haaren erneuert und sah aus wie ein Bergmann nach der Schicht. Ich konnte mir ihr Gesicht frisch gewaschen gar nicht vorstellen, bestimmt hätte ich sie dann gar nicht mehr erkannt. Ich konnte nicht einmal erkennen, ob sie sehr hübsch oder ausnehmend hässlich war.

So verging auch dieser öde, düstere Tag. Abwechslung gab es zwar immer genug, denn andauernd kamen irgendwelche Leute herein und suchten Opfer. Mal waren sie in Begleitung von tschechischen Zivilisten, dann waren ein paar Russen dabei, die meist weibliche Arbeitskräfte zum Saubermachen suchten. Freiwillig meldete sich ohnehin niemand, obwohl die Russen stets gutes Essen versprachen. Da sich dennoch kein Mensch rührte, ging einer von ihnen im Keller herum, deutete mit dem Finger auf einige Frauen und sagte nur: „Ty, ty, ty i ty!“

Am Abend des zweiten Tages begann mein Magen auch schon, sich durch lautes und anhaltendes Knurren bemerkbar zu machen. Nach bewährtem Rezept begann ich, meinen Gürtel enger zu schnallen.

Karin quälten bereits heftige Magenkrämpfe, und das bisschen Wasser half ihr nicht viel.

Wir saßen trübsinnig nebeneinander, und jeder hing seinen Gedanken nach. Die Zeit schien stillzustehen, sie tröpfelte so langsam dahin wie das Wasser draußen aus dem Wasserhahn sickerte.

Ich dachte an meine Eltern. Wo würden die beiden jetzt sein? Ob man sie beide auch in irgendein Lager oder Gefängnis gesteckt hatte? Ob sie vielleicht längst wieder zu Hause waren? Hoffentlich erging es ihnen besser als mir. Ich wusste damals nicht, dass meine Mutter inzwischen erfahren hatte, wo ich steckte. Es war ihr gelungen, ihren gesamten Schmuck aus dem Versteck herauszuholen. Sie brachte alles, Uhren, Armbänder, Perlenketten und Ringe, einem Posten und bot ihm die Sachen an, falls er mir ein paar Brote zusteckte. Der Posten nutzte das Angebot. Leider erfüllte er nur den ersten Teil des Vertrages und nahm die Belohnung für seine unterbliebene Hilfsbereitschaft.

Wie bereits gesagt, wusste ich damals von Mutters Bemühungen nichts, und das war auch gut so. Denn in diesem Falle hätte ich sehnsüchtig auf die Brote gewartet, die ich nie bekam.

Am Nachmittag wurden wieder einige Deutsche herausgeholt, unter ihnen auch Karin. Sie freute sich mit den anderen Aufgerufenen, endlich hier wegzukommen. „Schlimmer kann es bestimmt nicht werden", sagte sie zum Abschied, „und vielleicht bekommen wir draußen endlich etwas zu essen.“

Das wünschte ich ihr vom Herzen. Vielleicht sehen wir uns in den nächsten Tagen wieder", sagte ich, als sie mir ihre schwarze Hand reichte, „obwohl ich dich gewaschen ganz bestimmt nicht wieder erkennen werde."

„Aber ich dich", lächelte sie, und ihre Zähne blitzten förmlich in dem geschwärzten Gesicht, „und denke ja nicht, dass du so sauber bist."

Als sie gegangen war, kam ich mir in diesem düsteren Keller trotz der vielen Menschen, zwischen denen ich eingekeilt war, noch einsamer vor.

In der Nacht plagten mich die ersten Magenkrämpfe. Zum Glück gelang es mir, den Papierfaltbecher gleich mehrere Male zu füllen. Das war aber nur deshalb möglich, weil aus unerfindlichen Gründen in der Zwischenzeit das Wasser aus dem mit Grünspan bedeckten Wasserhahn etwas lebhafter zu fließen begonnen hatte.

Danach schnallte ich meinen Gürtel noch etwas enger und versuchte, ein wenig zu schlafen. Das musste mir auch gelungen sein, denn ich wachte erst auf, als es draußen hell wurde.

Ein Glück, dass an der einen Seite der Wand ein vergittertes Fenster angebracht war. So verirrte sich an diesem Morgen sogar ein Sonnenstrahl in unseren Keller und ließ die dichten Staubwolken in seinem Schein tanzen.

Ich setzte mich wieder auf meinen Ziegelstein und beobachtete das Spiel der wirbelnden Staubteilchen. Das Hungergefühl war verflogen. Dafür waren die Magenkrämpfe heftiger geworden. Erst als es mir gelang, den Gürtel noch um ein Loch enger zu schnallen, den Körper zusammenzukrümmen und die Knie fest anzuziehen, ließen sich die Schmerzen am besten ertragen.

Den anderen erging es nicht besser, kein Wunder, dass alle apathisch dalagen und die Gespräche allmählich verstummten.

Mein Trost war, dass die meisten nach drei bis vier Tagen geholt wurden. Da ich bereits vier Tage in diesem scheußlichen Keller herumlungerte, hoffte ich zuversichtlich, noch heute von dieser Quälerei befreit zu werden.

Gegen Mittag erschien ein Rotarmist und begann sein Abzählverschen: „Ty, ty, ty, i ty!" Diesmal holte er sich junge Männer heraus. Bei einem seiner "Ty" zeigte er unmissverständlich auf mich. Dann bedeutete er uns, ihm zu folgen.

Als ich die Treppe hochging, wurde mir schwarz vor den Augen, zum Glück ging dieser Schwächeanfall schnell wieder vorüber. Im dritten Stockwerk betraten wir einen mit spärlichem Mobiliar eingerichteten Raum. Der Soldat zeigte auf einen Schreibtisch und gab uns durch Zeichen zu verstehen, dass wir diesen zu tragen hätten.

Viel Kraft besaßen wir nicht mehr, aber zu viert schafften wir es, wenn auch mit Mühe, das Möbel hoch zu wuchten und in einen anderen Raum zu schleppen.

Diese Schlepperei blieb für die nächsten Stunden unsere einzige Beschäftigung. Wir transportierten Schränke, Stühle und Schreibtische von einem Raum in den anderen. Das ging so lange, bis wir sämtliche Möbelstücke dieses Stockwerks. im Kreise herumgetragen hatten.

Endlich schien unser Werk vollendet zu sein. So jedenfalls dachten wir und atmeten auf, denn unsere ohnehin so schwachen Kräfte schwanden dahin wie der Schnee in der Frühlingssonne. Aber der Rotarmist bedeutete uns mit Hilfe seiner unmissverständlichen Gesten und einem "Dawaj", dass wir ihm weiterhin zu folgen hätten.

Unsere Hoffnung, man würde uns jetzt für unsere Mühe eine kleine Stärkung reichen, erwies sich sehr schnell als trügerisch. Wir mussten dem Sowjetfreund lediglich auf den Hof folgen, wo zu unserem Entsetzen noch ein paar dieser unhandlichen Möbelstücke herumstanden, die nur darauf warteten, von uns herumgetragen zu werden. Ich begann schon mit dem Gedanken zu spielen, einfach umzufallen und eine Ohnmacht vorzutäuschen. Der Russe bedeutete uns, hier zu warten. Anscheinend wollte er genauere Erkundigungen einziehen, wohin diese Schreibungeheuer transportiert werden sollten.

Erschöpft lehnten wir uns an die Schreibtische und hofften inbrünstig, dass unser Iwan erst am Abend erfahren würde, wo die Möbel gebraucht werden.

Dicht hinter uns standen an der Wand einige Mülleimer. Als wir sie erblickten, traten wir wie auf ein Kommando an die Tonnen heran und hoben die Deckel hoch. Wir wollten unbedingt etwas Essbares finden, egal, was es war. Hier hatte man etwas in Zeitungspapier eingewickelt. Hastig rissen wir das Papier auseinander. Kartoffelschalen! Schöne, dicke, frische Schalen von rohen Kartoffeln. Welch ein kostbarer Fund!

Ohne Zögern stopften wir uns den Mund voll und kauten, was das Zeug hielt. Jeder achtete aufmerksam darauf, dass keiner zu oft zulangte oder zu viel auf einmal in den Mund schob.

Nach dieser bescheidenen Mahlzeit fühlten wir uns etwas besser. Wir waren zwar nicht gesättigt, aber der Magen nahm anscheinend befriedigt zur Kenntnis, dass wir ihn ein wenig mit Arbeit versorgt hatten.

Wenn ich heute an diese Mahlzeit denke, kann ich ein flaues Gefühl in der Magengegend nicht unterdrücken. Damals aber schmeckten uns die rohen Kartoffelschalen so gut, dass nicht ein einziges Stückchen übrig blieb.

Die letzten drei Schreibtische brauchten wir zum Glück nur im Parterre zu verteilen. Dann wurden wir wortlos in den Keller zurückgebracht.

Im Lager

Vor der Kellertür hatte sich wieder ein größerer Trupp Deutscher versammelt, die fortgeschafft werden sollten. Als der Sowjetsoldat uns abgeliefert hatte, fragte der Posten jeden von uns nach seinem Namen und sah in seiner Liste nach, ob wir auch zu den Auserwählten gehörten. Mein Name war zu meiner größten Erleichterung dabei, und ich freute mich damals sehr, denn wie alle anderen war auch ich fest davon überzeugt, dass sich unsere Lage nur noch verbessern konnte. Ich durfte gleich oben bleiben und mich den anderen anschließen, die in Zweierreihen auf dem Gang angetreten waren.

Ich hatte mich gerade wieder auf ein paar Stunden Wartezeit eingestellt, als ein Mann von der Volksmiliz erschien, die Liste übernahm, alle Namen noch einmal verlas und am Schluss sagte: „Ihr kommt heute in ein Lager in Oderfurt. Auf der Straße geht ihr zu zweit, die Männer vorne, die Frauen hinten. Und merkt euch das: Den Bürgersteig darf keiner betreten!“

Nun, diese neuen Sitten waren mir inzwischen zur Genüge bekannt und berührten mich wenig.

Wie befohlen, formierten wir uns zu zweit und setzten uns auf ein Kommando unseres Begleiters schleppend und müde in Bewegung.

Vom Rathaus waren bis Oderfurt nur wenige Kilometer zurückzulegen. Dennoch zog sich der Weg bis zum Lager endlos dahin. Meine Beine schienen mit Blei ausgegossen zu sein, und mein Magen war offensichtlich mit seinem Inhalt nicht zufrieden, denn mir wurde immer flauer zumute. Als wir am Schlackenberg vorbeizogen, war das Würgen so unerträglich geworden, dass ich mich übergeben musste.

Kaum aber hatte ich die Reihen der Marschierenden verlassen und mich an die steinige Böschung gestellt, erhielt ich einen derben Stoß mit dem Gewehrkolben, zu meinem Pech auch noch genau auf dieselbe Stelle wie vor einigen Tagen.

„Los, kotz hier nicht herum, du Ferkel, sonst werde ich dir deine Wampe massieren!", gellte hinter mir die Stimme des Postens. So taumelte ich weiter, im Bauch einen rotierenden Magen und eine schreckliche Wut.

Nach einer knappen Stunde erreichten wir nachmittags gegen fünf Uhr endlich das sogenannte Internierungslager.

Ein hoher Bretterzaun erstreckte sich parallel zu einem Eisenbahndamm. Es war die Eisenbahnstrecke, die zum Oderfurter Bahnhof führte. Auf dem schmalen, dafür aber umso längeren Platz standen zwischen dem erhöhten Damm und dem Zaun in einer Reihe mehrere Holzbaracken, die uns in den nächsten Monaten als Unterkunft dienen sollten.

An der nördlichen Schmalseite stand das Postenhäuschen. Ein vergittertes, oben mit mehreren Reihen Stacheldraht versehenes Tor und zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Posten, die vor dem Tor hin und her patrouillierten, wiesen unmissverständlich darauf hin, dass man hier eingesperrt wurde.

Nach Übergabe der Listen und einer Mappe mit unseren Papieren schwangen die eisernen Torflügel quietschend zur Seite und gaben uns den Weg in das Lager frei.

Während wir durch den Eingang schritten, zählte einer der Posten noch einmal sorgfältig seine Schäfchen und verglich sein Zählergebnis mit der angegeben Zahl in der Liste. Anscheinend hatten wir uns unterwegs nicht vermehrt, denn er ließ uns anstandslos passieren und schmetterte hinter uns das Tor zu.

Nun hatten wir Gelegenheit, uns das Lager von innen näher anzusehen. Zu unserer Rechten standen die einfachen Holzbaracken der Länge nach hintereinander, die Fenster dem schmalen Lagerplatz zugewandt. Die erste Baracke enthielt nur die Küche und den angrenzenden Essraum. Daran schlossen sich fünf Wohnbaracken, die uns aus leeren Fensterhöhlen trübe anstarrten. Anscheinend waren die Bewohner noch nicht von der Arbeit zurückgekehrt. Hinter der letzten Baracke verlief quer über den Platz ein hoher Maschendrahtzaun, die Grenze des Männerlagers. Dahinter standen noch einige Gebäude, in denen die internierten deutschen Frauen untergebracht waren.

Wir mussten an der vorletzten Wohnbaracke stehenbleiben und wurden auf die einzelnen Stuben aufgeteilt. Mich schickte man mit vier meiner Leidensgenossen in die Stube 11. Es ging ein paar Stufen hoch durch den breiten Eingang auf den ebenso breiten Gang, der kerzengerade bis zum gegenüberliegenden Ausgang führte. Links und rechts lagen die einzelnen Räume.

Unsere neue Behausung näher zu beschreiben, lohnt sich nicht, sieht doch eine Baracke aus wie die andere. Da gibt es wenig Unterschiede.

Das Zimmer 11 war gleich das erste Zimmer links. Seine Einrichtung war, wie erwartet, spartanisch einfach: zehn Doppelbetten, mit ausgemergelten Strohsäcken und strohgefüllten Kopfkissen ausgestattet, fünf schmalbrüstige Spinde, ein mittelgroßer Tisch, zwei Holzbänke ohne Lehnen, einige wackelige Hocker, das war alles, was man uns als Komfort zu bieten hatte.

Das Fenster gestattete einen Blick auf den hohen Holzzaun, der sich ungefähr zwei Meter vor der Baracke über die gesamte Länge des Lagers entlang zog. Auch er war oben mit mehreren Reihen Stacheldraht verziert.

Auf der rechten Seite des Zimmers waren die Betten bereits belegt. Dafür entdeckten wir links noch einige freie Schlafstellen. Ich beeilte mich, gleich das erste obere Bett in der äußersten Ecke der Stube zu ergattern. Dieser Ort bietet ungeahnte Vorteile. Man fällt nicht so schnell auf, ist nicht so leicht zu erreichen und steht niemandem im Wege.

Wir warfen uns auf die Betten, dass die Bretter nur so krachten und freuten uns, endlich wieder etwas mehr Bequemlichkeit genießen zu dürfen. Der Mensch wird sehr schnell bescheiden, wenn ihn die Umstände dazu zwingen.