Auf leisen Tatzen ins Glück - Cathy Woodman - E-Book
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Auf leisen Tatzen ins Glück E-Book

Cathy Woodman

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Beschreibung

Eine geplatzte Hochzeit, eine große Liebe und jede Menge tierische Turbulenzen.

Tessa Wilde ist Tierarzthelferin mit Leib und Seele. Als der Wagen, der sie ausgerechnet zu ihrer eigenen Hochzeit bringen soll, einen Hund anfährt, denkt sie keine Sekunde nach und rettet das Tier. Sie schafft es zwar in letzter Minute noch zur Trauung, aber vor dem Altar geht es turbulent weiter: Jack Miller, einer ihrer ältesten Freunde, stürmt in die Kirche und fleht sie an, Nein zu sagen. Tatsächlich kommt Tessa ins Zweifeln und lässt die Hochzeit platzen. Ist vielleicht doch Jack der Mann ihres Lebens? Als sie anfangen, zusammen in der Tierklinik zu arbeiten, knistert es auf jeden Fall gewaltig zwischen den beiden …

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Seitenzahl: 521

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Buch

Tessa Wilde ist Tierarzthelferin mit Leib und Seele. Und nicht nur beruflich läuft es bei der hübschen jungen Frau gut, heute wird sie auch endlich ihrem hinreißenden Freund Nathan das Jawort geben. Es soll der schönste Tag ihres Lebens werden, doch als der Wagen, der sie zu ihrer Hochzeit bringen soll, einen Hund anfährt, denkt sie keine Sekunde nach, springt in ihrem Brautkleid aus dem Auto und rettet das Tier. In allerletzter Minute schafft sie es zwar noch zur Trauung, aber vor dem Altar geht es turbulent weiter: Jack Miller, einer ihrer ältesten Freunde, stürmt in die Kirche und fleht sie an, Nein zu sagen, denn er ist sich sicher: Diese Ehe kann nur in Tränen enden. Tatsächlich kommt Tessa ins Zweifeln und lässt die Hochzeit platzen. Ist vielleicht doch Jack der Mann ihres Lebens? Als sie anfangen, zusammen in der Tierschutzstation zu arbeiten, knistert es auf jeden Fall gewaltig zwischen den beiden …

Autorin

Cathy Woodman ist Autorin mehrerer Romane und ausgebildete Tierärztin. Sie hat ein ganzes Haus vollerHaustiere, auch wenn sie sich mittlerweile ausschließlich dem Schreiben widmet. Auf leisen Tatzen ins Glück ist Cathy Woodmans neuester Roman bei Blanvalet.

Von Cathy Woodman bei Blanvalet lieferbar:

Schnupperküsse · Vier Pfoten für die Liebe

CATHY WOODMAN

Auf leisen Tatzenins Glück

Roman

Aus dem Englischenvon Barbara Müller

Die Originalausgabe erschien 2012unter dem Titel »The Village Vet« bei Arrow Books, a division of Random House, London.

1. AuflageDeutsche Erstausgabe November 2015bei Blanvalet Verlag, einem Unternehmen derVerlagsgruppe Random House GmbH, MünchenCopyright © 2012 by Cathy WoodmanPublished by Arrangement with Cathy Woodman.Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische AgenturThomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.Copyright © 2015 für die deutsche Ausgabeby Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, MünchenUmschlaggestaltung: www.buerosued.deUmschlagmotiv: Corbis/Heide Benser; www.buerosued.deRedaktion: Angela KuepperLH · Herstellung: samSatz: DTP Service Apel, HannoverISBN: 978-3-641-16594-9www.blanvalet.de

Für Tamsin als Dank für ihre brillanten Einfälle.Für Will, weil er immer heiter bleibt.

KAPITEL 1

Dieses Jahr, nächstes Jahr, irgendwann, niemals

Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ich in der hellen Aprilsonne in einem Rolls-Royce über die Landstraßen Devons rolle, während mein Dad an meiner Seite mit seinem vollen Bariton »Bringt mich pünktlich zum Altar« singt. Seine Begeisterung ist ansteckend, und ich bin mir nicht sicher, wer von uns beiden aufgeregter ist, er oder ich.

An der nächsten Kreuzung hinter dem Grat des bewaldeten Steilhangs, von wo aus ich die glänzenden Windungen des Flusses durch die Bäume hindurch sehen kann und den Glockenturm der Kirche, der sich über die kleine Ortschaft im Tal erhebt, biegt der Chauffeur rechts ab. Dort, wo die einspurige Straße sich zu einer Ausweichstelle verbreitert, springt eine dunkle, vierbeinige Gestalt direkt vor uns auf die Straße.

»Was zum Teufel!« Der Chauffeur tritt mit aller Kraft auf das Bremspedal, und die Sekunden scheinen wie in Zeitlupe zu verstreichen, während der Wagen schlitternd zum Stehen kommt. Ein unheilvoller Schlag, dann herrscht Stille.

»Nicht, Tess!«, sagt mein Dad, doch ich bin bereits mit hochgerafftem Kleid aus dem Auto gesprungen. Die Absätze meiner Schuhe – meiner wunderschönen elfenbeinfarbenen Brautschuhe – versinken im Schlamm am Straßenrand, als ich um den Rolls-Royce herum nach vorn gehe, wo ein großer schwarzer Hund reglos auf dem Asphalt liegt.

»Oh mein Gott!« Ich will mich neben ihn knien, um ihm zu helfen, doch mein Dad hält mich zurück.

»Nicht, Tess«, wiederholt er. »Es ist zu spät. Ich glaube, er ist tot.«

Leer vor Sorge und Schock starre ich den Hund an, einen hübschen Kerl mit blutiger Nase und einem kleinen weißen Fleck auf der Brust. Ich wünsche mir so sehr, dass er okay ist.

»Er lebt«, seufze ich erleichtert auf, als der Hund den Kopf hebt und blind den Blick in meine Richtung dreht. Die Zunge fällt ihm seitlich aus dem Maul, und seine Ohren liegen flach an den Seiten des breiten Schädels.

»Er sieht aus, als würde er Sternchen sehen«, bemerkt mein Dad, während der Chauffeur seine Aufmerksamkeit der Beule an der Frontseite des Wagens zuwendet, der bei dem Zusammenstoß definitiv schlechter weggekommen ist. »Was sollen wir jetzt tun?«

»Er muss zum Tierarzt«, sage ich und blicke unseren Fahrer voller Hoffnung an.

»Keine Sorge wegen der Autositze«, sagt er trocken. »Schaffen wir ihn in den Wagen.«

Innerhalb kurzer Zeit liegt der Hund mit blutender Nase auf dem Beifahrersitz, und ich denke, dass das nicht gerade ein vielversprechender Anfang ist. Mein Dad sieht aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Dank seines Vorschlags, wir sollten eine kleine Runde drehen, was ich ursprünglich für eine prima Idee gehalten hatte, haben wir inzwischen mehr Verspätung, als traditionell erwartet wird.

»Ich lasse Sie auf dem Weg zum Tierarzt bei der Kirche aussteigen und fahre den Rolls gleich in die Werkstatt, um den Schaden begutachten zu lassen, ehe ich Sie wieder abhole«, sagt der Chauffeur und streckt die Hand aus, um den Hund zu stützen, während wir die erste Serpentine den Hügel hinab nach Talyton St. George nehmen, woraufhin der Hund eine Wolke feinen roten Nebels ausniest.

»Nein, wir müssen zuallererst zum Tierarzt.« Ich bin Tierarzthelferin und habe bei der Behandlung von genügend Unfallopfern assistiert, um zu wissen, dass man nie vorhersehen kann, wie es ausgeht. Manchmal überleben gerade die Tiere nicht, die anfangs noch relativ unversehrt wirken.

»Sie hat recht – wir müssen direkt zum Otter House, der Kleintierpraxis«, sagt mein Dad. »Gehen Sie nicht über LOS und ziehen Sie nicht zweihundert Pfund ein. Oh, Tessa, weißt du noch, wie wir Monopoly gespielt haben, als du ein kleines Mädchen warst? Und Scrabble? Beim Scrabble hast du immer gewonnen.«

»Dad, bitte, nicht jetzt.« Die Worte bleiben mir schier im Hals stecken, als ich fortfahre: »Ich werde sonst noch ganz traurig.« Mir schießt der Gedanke durch den Kopf, es könne ein schreckliches Omen sein, dass wir den Hund angefahren haben. Nicht dass ich abergläubisch wäre. Nicht wirklich. Es ist bloß so, dass ich ziemlich erschüttert bin. Bisher verläuft mein großer Tag nicht gerade nach Plan.

Es ist Samstag, Markttag, und wir brauchen eine Weile, um durch die engen Einbahnstraßen und über den Marktplatz zu fahren, wo die lokalen Anbieter ihre Produkte verkaufen – von Eiern von freilaufenden Hühnern und Apfelkuchen bis hin zu handgestrickten Pullovern und fleischfressenden Pflanzen –, doch schließlich kommen wir vor der Tierarztpraxis an, wo der Chauffeur den Wagen im absoluten Halteverbot parkt und in die Praxis läuft, um einen Tierarzt zu holen. Ich biete meine Hilfe an, doch Dad besteht darauf, dass ich im Wagen bleibe, und angesichts der Umstände hat er wahrscheinlich recht.

Ich betrachte mich im Rückspiegel. Mein dunkles, fast schwarzes Haar ist zu einem Knoten hochgesteckt. Einzelne Strähnen kringeln sich um meine Wangen. Auf meinen Augenlidern glänzt perlmuttfarbener Lidschatten, und meine Lippen sind scharlachrot geschminkt. Insgesamt komme ich mir eher vor wie Schneewittchen als wie ich selbst. Eigentlich bin ich eher der Typ für den natürlichen Look, mein Haar fällt mir normalerweise in weichen Wellen auf die Schultern, und ich benutze auch nicht viel Make-up. Aber mir gefällt der Effekt. Ich könnte eine Hollywoodschauspielerin sein – mit ein bisschen Fantasie vielleicht Gemma Arterton.

Ich lehne mich zurück und warte, wobei ich durch das Fenster die kleine Menschenansammlung betrachte, die sich auf dem Bürgersteig versammelt hat, um den alten Rolls zu bewundern und einen Blick auf die Braut zu erhaschen. Ich senke den Blick auf den Brautstrauß auf meinem Schoß und erlaube mir zu lächeln. Das bin ich, Tessa Wilde, und wenn jetzt bald jemand kommt, um den Hund zu holen, werde ich Nathaniel Cooper heiraten, meinen besten Freund, Geliebten und Mann meiner Träume. Okay, ich bin achtundzwanzig, und meine Träume haben ziemlich lange gebraucht, um Realität zu werden, doch jetzt endlich ist es so weit.

Der Fahrer ist zurück und öffnet mit gekonntem Schwung die Beifahrertür für Maz, eine der Tierärztinnen vom Otter House. Sie trägt einen lila OP-Kittel, und ein Ehering baumelt an einer Kette um ihren Hals, als sie sich ins Auto beugt und dem Hund ein Halsband mit Leine über den Kopf streift. Als sich das Halsband um seinen Hals zusammenzieht, knurrt der Hund, springt aus dem Wagen und taumelt dann blind über den Bürgersteig. Maz führt ihn in die Praxis, die Leine fest in der Hand, während der Chauffeur sich hinters Steuer schiebt und – vielleicht aus Sorge um die Befindlichkeit der Braut – sein Jackett auf den Blutfleck legt, den der Hund hinterlassen hat.

»Wir brauchen nicht länger als ein paar Minuten, um von hier zur Kirche zu gelangen«, sagt er und lässt den Motor an, der wie eine große Katze schnurrt. »Bisher habe ich noch jede Braut rechtzeitig zu ihrer Hochzeit gebracht«, fügt er hinzu, woraufhin mein Dad wieder so aussieht, als wolle er jeden Moment losweinen.

»Bitte, nicht.« Ich nehme seine Hand in meine und drücke sie. »Für den Hund wird bestens gesorgt.«

»Ich rege mich nicht wegen des Hundes auf.« Sein Gesicht ist gerötet, was auf den Champagner zurückzuführen ist, den wir gemeinsam vor unserem Aufbruch in meinem Elternhaus getrunken haben, wo ich meine letzte Nacht als ledige Frau verbracht habe. »Oh, es tut mir so leid, mein Schatz. Ich bereite dir Kummer.« Er zieht ein gemustertes Taschentuch aus der Brusttasche seiner Anzugjacke und putzt sich lautstark die Nase.

»Dad, das Taschentuch ist ein Teil deines Outfits.« Ich fange an zu kichern, denn ich kann ihm nicht böse sein. »Passend zu dem von Nathan und Mike.« Mike ist Nathans Trauzeuge.

Wieder entschuldigt sich mein Dad. »Ich kann nichts dagegen machen. Du magst ja groß und erwachsen sein, Tessa, aber für mich bleibst du immer meine kleine Prinzessin.« Er dreht sich zu mir und legt mir den Arm um die Schulter, ohne auf meinen Schleier und den Brautstrauß zu achten, und umarmt mich ungestüm. Tränen schießen mir in die Augen, als ich die Hände in seinem Nacken falte. »Ich weiß, dass deine Mum mir ständig sagt, ich solle es so betrachten, dass ich einen Schwiegersohn bekomme und keine Tochter verliere, aber es gefällt mir überhaupt nicht, dass ich dich ziehen lassen muss.«

»Ich dachte, du willst, dass ich glücklich bin«, sage ich sanft.

»Natürlich will ich das«, meint Dad und rückt ein wenig von mir ab. »Achte nicht weiter auf mich. Ich bin ein bisschen überreizt.« Er grinst mich an. »Ich hätte besser nichts trinken sollen.« Nach einer kurzen Pause fährt er fort. »Bist du nicht nervös? Ich war wie gelähmt, als ich deine Mutter heiratete.«

»Irgendwie bin ich gleichzeitig nervös und aufgeregt. Alles wird gut sein, wenn es vorbei ist.« Rasch korrigiere ich mich. »Ich meine, wenn der Tag heute vorbei ist.«

»Man heiratet nur einmal. Na ja, zumindest gilt das für deine Mum und mich.«

»Hattest du jemals Zweifel?«, frage ich ihn.

»Ob ich das Richtige tat?« Er schüttelt den Kopf. »Überhaupt keine, denn genau wie du bei Nathan wusste ich von dem Tag an, als ich ihr das erste Mal begegnete, dass ich den Rest meines Lebens mit ihr verbringen wollte, in guten wie in schlechten Zeiten …« Er hält inne, um seinen Bauch zu tätscheln, ehe er fortfährt: »… in fetten und noch fetteren Jahren.«

Ich lächle ihn zärtlich an. Vielleicht würde er sich in Frauenkleidung wohler fühlen. Er war Schauspieler, und mehr als einmal ist er in Frauenrollen geschlüpft, ehe die Regionaltheater wegen fehlender öffentlicher Gelder schließen mussten. Jetzt im Ruhestand schreibt er Theaterstücke und leitet die Laienschauspielgruppe von Talyton St. George.

Getröstet von den Worten meines Dads, der über alles einen Witz machen kann, und von seiner Überzeugung, dass am Ende immer alles gut ausgehen wird, richte ich meine Aufmerksamkeit auf die Aufgabe, mich und das Kleid aus dem Rolls zu bekommen, wobei mir Katie, meine erste Brautjungfer und beste Freundin, und zwei viel jüngere Nichten von Nathan helfen.

»Hi, Tessa.« Katie ist ungefähr eins fünfundsechzig groß, so wie ich. Sie hat grüne Augen und rotblondes Haar und sieht in ihrem figurbetonten, im Rücken geknöpften blassrosa Seidenkleid absolut umwerfend aus. »Wo hast du gesteckt?«

Tief atme ich die frische, mit einem Hauch Gülle versetzte Luft Devons ein und fange an, ihr die Geschichte mit dem Hund zu erzählen.

»Tessa, ich weiß, dass du verrückt nach Tieren bist, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine Geschichte über einen zotteligen Hund«, unterbricht sie mich. »Mal abgesehen von dem Dreck an deinen Schuhen siehst du fantastisch aus. Die perfekte, leicht errötende Braut.«

»Ich komme mir wirklich ein bisschen erhitzt vor«, sage ich. »Hast du Gesichtspuder griffbereit?«

»Glaub mir, den brauchst du nicht.« Katie schiebt sich näher an mich heran und fügt flüsternd hinzu: »Ums Pudern kann sich Nathan nachher kümmern. Der Mann ist ja dermaßen geil.«

»Bitte?«

»Geil – also, ich meine toll. Geh weiter!« Sie schubst mich sanft vorwärts. »Du Glückliche. Ich bin so neidisch. Du musst ja so aufgeregt sein.«

Ich lege die Hand an die Brust, während wir den Weg zwischen den Gräbern und Gedenksteinen hindurchgehen, die den verstorbenen Bewohnern Talyton St. Georges gewidmet sind, und spüre, wie mein Herz unter meinen Fingern rast. Der holpernde Rhythmus hat jedoch mehr mit aufkommender Panik zu tun als mit Aufregung.

»Bist du bereit, Tessa?«, mischt Dad sich ein und bietet mir seinen Arm an.

Ich nicke und hänge mich verzweifelt bei ihm ein, als wir in die Kirche treten und uns zu den Klängen des Hochzeitsmarsches auf den langen Weg zum Altar begeben. Die Musik klingt disharmonisch und verschwommen, als wäre Nobby Warwick, der Organist, vorher noch im Dog and Duck gewesen, um seine Orgelpfeifen zu befeuchten. Auch das hatte ich nicht erwartet.

Dad marschiert steif an Freunden, Familienangehörigen und auch an völlig Fremden von Nathans Seite vorbei. Er trägt einen Cut und eine Fliege, und die Knöpfe seiner Jacke sehen aus, als wollten sie jeden Moment abspringen. Ein roter Striemen zieht sich um seinen Hals, wo er nervös an seinem Hemdkragen herumgenestelt hat. Als wir schließlich vor dem Altar ankommen, wo Nathan und sein Trauzeuge mit dem Vikar auf uns warten, klammert sich mein Vater an meinen Arm. Eine Träne glitzert auf seiner Wange. Ich bleibe stehen und wische sie mit zitternden Fingerspitzen fort. Bei dieser kleinen Geste muss ich lächeln, erinnert sie mich doch daran, wie ich ihm vor jeder Vorstellung während der Weihnachtsspielzeit seinen Schönheitsfleck an genau diese Stelle gemalt habe.

Widerwillig lässt Dad mich los. Katie nimmt mir den Blumenstrauß ab und macht ein paar Schritte zurück, während Nathan sich mir nähert.

»Tessa, Liebling, du hast dich verspätet.« Aus kühlen grauen Augen schaut er mich an, nimmt meine Hand und drückt mir einen kurzen, feuchten Kuss auf die Lippen. »Aber es hat sich gelohnt, auf dich zu warten. Du siehst schön aus.«

»Du auch«, sage ich sanft. Er kommt mir ein wenig blass unter der Bräune vor, an der er in Vorbereitung für unsere Flitterwochen gearbeitet hat, so als hätte er eine Woche lang weder gegessen und noch geschlafen. Aber Katie hat recht. Von seinen regelmäßigen, fast zwanghaften Einheiten im Fitnessstudio ist Nathan muskulös und gedrungen und auf mehr als eine Art enorm fit. Jede Frau wäre stolz darauf, ihn zu heiraten.

»Ich kann es kaum glauben, wie viele Leute nur unseretwegen gekommen sind«, sage ich mit Blick auf die Gemeinde und entdecke Nathans Eltern, die den weiten Weg aus Spanien gemacht haben, sowie meine Großtante Marion, die von ihrer Farm in North Wales hergekommen ist, obwohl sie eigentlich im Krankenhaus liegen sollte.

»Es wird eine große Party«, sagt Nathan. »Ich frage mich, ob deine unverheiratete Tante die Nacht übersteht oder ob sie vor lauter Aufregung schlappmacht.«

»Nathan, willst du wohl still sein?«, sage ich mit gespielter Entrüstung, aber ich weiß ja, dass er es bloß witzig meint. Meine Großtante mag nicht bei bester Gesundheit sein, aber es wird noch lange dauern, bis ich mein Erbe antreten kann, sollte sie beschließen, mir einen Teil oder auch ihre ganzen Ländereien zu vermachen. Mir ist es egal, was sie damit vorhat, denn ich habe schon etwas von ihr geerbt, was viel wertvoller ist als Geld, nämlich ihre Tierliebe. »Kannst du nicht dieses eine Mal ernst sein?«

»Ich will es versuchen.« Er hält inne, und mein Herz schmilzt, als er fortfährt: »Heute tue ich alles, worum du mich bittest. Es ist dein Tag, und ich möchte ihn zu etwas ganz Besonderem für dich machen.«

Ich weiß, dass er es nicht mag, wenn ich es sage, aber es kommt mir richtig vor, wenn man bedenkt, dass wir uns geloben wollen, den Rest unseres Lebens miteinander zu verbringen. Die Wörter sprudeln mir über die Lippen. »Nathan, ich liebe dich …« Und jetzt müsste er mir eigentlich seine Liebe gestehen, nachdem er sich bisher standhaft geweigert hat, die drei magischen Worte auszusprechen. Doch alles, was er fertigbringt, ist, zu Boden zu starren und in seinen quietschenden neuen Hochzeitsschuhen von einem Fuß auf den anderen zu treten. »Nathan, sag mir, dass du mich liebst«, flüstere ich drängend. »Ich muss es wissen. Ich muss mir sicher sein.«

Er blickt auf und zieht eine Augenbraue hoch. »Natürlich tue ich das, und du solltest nicht danach fragen müssen. Es ist selbstverständlich.«

Also wird er es nicht einmal jetzt aussprechen, nicht einmal an unserem Hochzeitstag, denke ich, als die Orgel mit einem letzten furzenden Geräusch verstummt.

»Gott sei Dank.« Nathan verdreht die Augen. »Das war eine verdammt peinliche Darbietung.«

»Nathan!« Ich schaue ihn streng an. »In der Kirche flucht man nicht.«

Er lächelt, und ich erwidere sein Lächeln, teils beruhigt, dass ich das Richtige tue. »Tessa, bist du bereit?«, fragt der Vikar neben mir.

»Ich bin bereit«, antworte ich laut, obwohl ich beim Blick auf den Altar vor mir unweigerlich an Opferlämmer denken muss.

Nach dem Beginn des Traugottesdienstes führt der Vikar, ein Freund der Familie, die Gemeinde durch ein Gebet und eine Hymne, die der Organist ohrenbetäubend begleitet. Ich singe mit, doch Nathan nicht. Er zappelt die ganzen vier Strophen lang herum, manchmal lächelnd und manchmal die Augen verdrehend, und macht sich über den Vikar lustig, der voller Inbrunst singt. Seine Fähigkeit, Spaß zu haben, ist eine Sache an Nathan, die ich liebe, aber ich wünschte, er würde es nicht auf Kosten anderer Leute tun – und nicht während unserer Hochzeit.

Wir sind noch nicht lange zusammen. Manchmal habe ich das Gefühl, als würde ich ihn schon immer kennen, und manchmal kommt es mir so vor, als wäre er ein vollkommen Fremder. Vor sechs Monaten wurden wir einander von gemeinsamen Freunden vorgestellt und trafen uns in einer der Kneipen im Ort, wo wir uns sofort gut verstanden. Ein paar Wochen später machte er mir während eines romantischen Kurzurlaubs in Paris einen Antrag, und ich nahm an. Nathan, mein dritter ernst zu nehmender Freund – aller guten Dinge sind drei –, ist anders. Ich wurde in dieser ruhigen Kleinstadt geboren, bin hier aufgewachsen und habe nie woanders als in Devon gelebt, während Nathan oft umgezogen und weit gereist ist und ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut hat, indem er alles importiert und verkauft, was ihm einen Gewinn verspricht und ihn zu seiner ersten Million bringt.

Wenn wir zusammen sind, gibt er mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, obwohl wir für meinen Geschmack längst nicht oft genug zusammen sind. Es gab ein paar unangenehme Tage zu Beginn unserer Beziehung, als wir uns stritten, weil ich dachte, er solle mehr Zeit mit mir verbringen, während er meinte, ich müsse verstehen, dass er ein viel beschäftigter Mann ist. Ich lernte loszulassen, während er weitermachte wie zuvor, jedoch unter der Bedingung, dass er mir regelmäßig SMS schickte. Das ist eine Mädchensache, und ich bin nun mal ein Mädchen, machte ich ihm klar, woraufhin er mich in die Arme nahm und meinte, diese Tatsache könne er voll und ganz bestätigen. Was er daraufhin auch gleich mehrere Male tat.

Am Anfang hatte Nathan bloß Augen für mich, doch inzwischen habe ich so meine Zweifel. Bilde ich mir das bloß ein, oder wandert sein Blick tatsächlich immer wieder zu Katies kurviger Kehrseite? Ich hatte eine weniger aufreizende Version des Kleides bevorzugt, für das sie sich letztendlich entschied, doch schließlich willigte ich gnädig ein, denn ich wollte, dass sie glücklich ist. Und das ist sie jetzt ganz offensichtlich. Ihr Blick trifft sich immer wieder mit Nathans, als teilten sie einen Insiderwitz. Ich wollte ja, dass die beiden sich gut verstehen, doch nicht so gut, wie es jetzt den Anschein hat, sinniere ich, während die letzten Töne des Kirchenliedes verklingen und der Vikar zu reden beginnt. Lächelnd schaut er von mir zu Nathan und wieder zurück.

»Zunächst bin ich verpflichtet, die Anwesenden zu fragen, ob irgendjemand einen Grund kennt, warum diese beiden nicht rechtmäßig miteinander vermählt werden sollten. Sollte dem so sein, so spreche er jetzt.«

Einen kurzen Moment lang kann ich meinen Herzschlag hören, was lächerlich ist, denn es gibt absolut keinen Grund, weshalb Nathan und ich nicht rechtmäßig heiraten sollten, doch ehe der Vikar mit dem Ehegelöbnis fortfahren kann, ertönt ein Ruf von ganz hinten in der Kirche. »Halt! Stoppt die Hochzeit!«

Zuerst begreife ich nicht, was da gerade passiert.

»Jack! Nicht, Jack!« Direkt vor dem Kirchentor werden Stimmen laut, und Füße scharren, gefolgt von eiligen Schritten, die sich uns auf dem Mittelgang nähern.

Ich wirbele herum, ein wenig schwankend wegen meiner Absätze, und sehe, wie ein großer, wütender, blonder junger Mann in beigefarbenen Chinos und dunkelblauem Poloshirt zwei Trauzeugen – einen meiner Cousins und Nathans Bruder – abschüttelt, während er sich uns nähert.

»Ts-ts-ts, wenn das mal nicht Jack Miller ist, dein Verflossener«, sagt Nathan zu mir. »Ich verstehe das nicht. Sagtest du nicht, er würde nicht kommen?«

»Stimmt.« Ich runzele die Stirn. Ich habe Jack eine Einladung geschickt, weil wir miteinander befreundet sind, solange ich mich erinnern kann. Natürlich mit Nathans Zustimmung und unter dem Eindruck, dass Jack sie niemals annehmen würde. Schließlich war er mit Nathan im Pub aneinandergeraten, kurz nachdem Nathan und ich uns kennengelernt hatten.

Es gibt Augenblicke, da ist Offenheit nicht die beste Strategie, und ich wünschte, ich hätte Nathan nie erzählt, dass Jack und ich als Teenager zusammen waren – eine intensive und alles verzehrende Liebesbeziehung, die erst endete, als Jack aufs College ging –, denn das gab Nathan einen guten Grund, ihn nicht zu mögen. Leider stellte sich heraus, dass das Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte, und als Nathan eine witzig gemeinte, dumme Bemerkung über mein Hüftgold machte, nahm Jack es sich für mich zu Herzen. Ich schämte mich dafür, wie die beiden Männer öffentlich miteinander stritten, und bat Jack zu gehen, was er auch tat, doch erst nachdem er mich warnte, ich solle mir gut überlegen, was ich tue – und diese Warnung wiederholte er, als ich ihn kontaktierte, um ihm zu sagen, dass Nathan und ich uns verlobt hätten, weil ich nicht wollte, dass Jack es von anderen erfuhr.

Warum habe ich das getan, könntet ihr fragen. Nun, weil ich annahm, dass er immer noch Gefühle für mich hegte, und ich den Schlag abmildern wollte. Oder aber um mir selbst zu beweisen, dass ich über ihn hinweg war. Oder beides?

Das Nächste, was ich von Jack hörte, war, dass er fortgegangen sei – nicht bloß aus der Stadt, sondern gleich ins Ausland, nach Asien, wo er während der letzten vier Monate mit Kragenbären arbeitete.

»He, einen Moment mal.« Mein Dad versucht Jack aufzuhalten, doch der schiebt ihn mit seinen kräftigen Schultern beiseite und stellt sich vor Nathan, der vor ihm zusammenschrumpft und zurückweicht, bis er fast von dem Blumenarrangement neben dem Altar verschluckt wird. Als die Bodenvase gefährlich schwankt, Nathan kreidebleich wird und eines der Blumenmädchen anfängt zu weinen, schiebe ich mich zwischen die beiden Männer.

»Jack, was glaubst du eigentlich, was du hier machst?« Meine Stimme schwankt vor Zorn und Verwirrtheit. »Das hier ist mein Tag, und du ruinierst ihn mir. Du machst alles kaputt!«, fahre ich fort, als die Vase krachend zu Boden geht, Scherben über die mittelalterlichen Mosaikfliesen schlittern und die Gemeinde im Chor nach Luft schnappt.

»Ich habe das Recht dazu«, knurrt Jack. »Tess, lass mich mit dir reden.« Der Ausdruck in seinen braunen Augen wird sanfter und flehentlich. »Zwei Minuten unter vier Augen. Um mehr bitte ich dich nicht.«

Eine Pause entsteht, und die Gemeinde wird wieder still. Ich bemerke, wie ungepflegt Jack aussieht; unrasiert, die Haare wild vom Kopf abstehend und dunkle Ringe unter den Augen. Er ist schlanker, als ich ihn zuletzt gesehen habe, und mit seiner braunen Haut und den von der Sonne ausgeblichenen Strähnen sieht er weitgereist aus. Ich beiße mir auf die Lippe und schmecke Blut. Es gab eine Zeit, da hätte ich ihn umarmt, um ihn zu Hause willkommen zu heißen; in dieser Minute könnte ich ihn jedoch umbringen.

»Bitte …« Sein barscher Ton enthüllt ein Gefühl, das mir wie ein Messer ins Herz fährt, denn Jack war immer der starke, stille Typ, unfähig oder nicht willens, seine Seele offenzulegen, und für einen kurzen Moment komme ich ins Schwanken, doch das hier ist meine Hochzeit, und Nathan steht direkt neben mir – und zieht offenbar seine eigenen Schlüsse aus der Situation, denn ich kann seinen wachsenden Zorn spüren, der sich darin äußert, dass sein Gesicht dunkelrot anläuft und er die Fäuste ballt. »Ich habe versucht, dich zu erreichen«, fährt Jack fort.

»Nicht jetzt, Jack«, sage ich leise, während Katie neben mir auftaucht.

»Frag ihn.« In Jacks Augen blitzt Wut auf, als er in Nathans Richtung nickt. »Frag ihn nach dieser Sache … dass er allen anderen entsagt.«

»Sie werden sehen, dass das ein wenig später kommt«, versucht der Vikar vergeblich die Situation zu retten.

»Du bist einfach nur verdammt neidisch, Kumpel.« Nathan holt zu einem Schlag aus, der Jack mit einem dumpfen Krachen am Kinn trifft. Jack wehrt sich mit einem rechten Haken gegen Nathans Nase, woraufhin dieser zusammenbricht und sich das Gesicht hält. Blut tropft zwischen seinen Fingern hindurch auf das zerbrochene Porzellan zu unseren Füßen.

Katie berührt meine Hand.

»Jede nimmt sich einen vor«, sagt sie fröhlich. »Das reicht jetzt, Jungs.«

Als Jack Anstalten macht, Nathan noch eine zu verpassen, stelle ich mich ihm in den Weg und sage ihm, dass er erst mich schlagen muss, während Katie Nathan am Arm packt und beiseitezieht.

»Du hast mir die Nase gebrochen, du verdammtes Arsch…«, brüllt Nathan.

»Nicht weniger hast du verdient, du untreuer Bastard!«, unterbricht Jack ihn und berührt den roten Fleck, der sich an seinem Kinn bildet. »Ich verstehe nicht, was die alle an dir finden – du hast das Charisma eines toten Schafs.«

»Jack, hör jetzt endlich auf«, herrscht Katie ihn an. »Schluss jetzt! Nichts hiervon hat auch nur irgendwas mit dir zu tun. Wenn du auch nur ein bisschen Respekt hast …«

Ein Sonnenstrahl fällt durch eines der Buntglasfenster auf den Altar. Inzwischen kapiere ich es, aber es muss ein schreckliches Missverständnis sein. Wie kann Nathan mit einer anderen Frau herummachen, wenn er jetzt hier neben mir steht und mich heiraten will?

»Jack, bitte hör auf«, flehe ich ihn an. »Bitte hör auf, dich vor aller Welt zu blamieren. Es war ein Fehler, dass du hierhergekommen bist.«

»Tess, du bist es, die einen Fehler macht. Und es könnte der größte deines Lebens sein.«

»Wie kannst du das zu mir sagen? Ich dachte, du wärst mein Freund.«

»Schafft ihn jetzt mal jemand von hier weg?«, schimpft Katie. »Lasst ihn so schnell wie möglich in die Klapsmühle bringen. Er braucht einen Psychiater.«

»Es tut mir furchtbar leid, alle miteinander, das ist eine höchst ungewöhnliche Unterbrechung«, spielt der Vikar die Angelegenheit vor der Gemeinde herunter. »Wir machen in Kürze weiter. Komm jetzt, Jack, lass uns von Mann zu Mann über die Sache reden.« Er winkt dem Organisten zu. »Ein wenig aufmunternde Musik nach deiner Wahl, Nobby – leg los!«

Als der Vikar und mein Dad Jack in die Sakristei führen und die Kirche mit den bebenden Akkorden von »Jerusalem« erfüllt wird, werden meine Knie weich, und ich sinke schluchzend in Nathans einarmige Umarmung.

»Pass auf den Anzug auf«, sagt er undeutlich wegen der Handvoll Taschentücher, die er an seine blutende Nase drückt. »Wir wollen doch nicht die Fotos ruinieren.«

»Ihr könnt kleine Fehler nachträglich per Photoshop wegretuschieren lassen«, mischt Katie sich ein. »Ich mache mir mehr Sorgen, dass Blut an das Kleid kommen könnte.«

Ich rücke von Nathan ab, als meine Mum in einem eisblauen Kostüm mit passendem Hut zu uns tritt und mich umarmt. Normalerweise ist sie wie der Sonnenschein – warm, hell und fröhlich –, doch jetzt ist ihre Miene niedergeschlagen, und ihre Lippen sind voller Sorge aufeinandergepresst.

»Was für ein Chaos, Schatz«, sagt sie, während die Gäste zur schrägen Orgelmusik singen.

»Wusstest du, dass er zurück ist?«, frage ich sie, und als sie betreten nickt, hake ich nach. »Seit wann?«

»Ich weiß es nicht genau.« Sie zuckt die Achseln. »Er kam gestern Abend vorbei und wollte dich sehen.«

»Ich war doch da«, sage ich verärgert darüber, dass ich meine Chance verpasst habe, diese Situation zu verhindern. Nicht dass ich sie auch nur ansatzweise erwartet hätte. »Warum hast du ihn nicht reingelassen?«

»Es war schon sehr spät. Du warst gerade unter der Dusche, und so wie er drauf war, dachte ich, es wäre das Beste …«

»Mum, du hättest es mir sagen müssen.«

»Und was hätte das gebracht? Du heiratest Nathan, es hat also keinen Sinn, Jack bei seinem hoffnungslosen Plan zu ermutigen. Er hat dich schon immer gemocht, Tessa, und ich hatte Angst, dass so etwas wie jetzt passieren könnte, dass er hereinstürmen und versuchen würde, dir alles zu verderben.« Sie senkt die Stimme, möglicherweise weil sie sich bewusst wird, dass inzwischen alle zuhören. »Um was ging es überhaupt? Ist Jack vollkommen verrückt geworden?«

»Ich weiß es nicht«, jammere ich. Nathan hat mir erst vor ein paar Wochen ein nagelneues Auto gekauft – warum sollte er sich dermaßen in Unkosten stürzen, wenn er jemanden nebenher hätte? Andererseits, warum sollte Jack sich so etwas ausdenken? Ihm ist doch gewiss klar, dass er sich mit seinem Angriff auf Nathan bei mir nicht gerade beliebt macht.

»Mach dir deshalb keine Sorgen, Schatz. Eines Tages werden wir uns lachend daran erinnern.« Mum tätschelt mir den Rücken. »Ich muss zurück zu Großtantchen Marion – sie hat sich bereits über den Brandy hergemacht.« Sie zögert. »Soll ich sie fragen, ob …«

»Nein danke«, sage ich eilig. Ich brauche nichts zu trinken; ich muss einen klaren Kopf behalten. Ich hebe meinen Brautstrauß auf, den Katie auf den Stufen vor dem Altar abgelegt hat, und als meine Mum zurück zu den Kirchenbänken geht, kommen Katie und Nathan zu mir, um mich zu trösten.

»Jack ist eifersüchtig«, sagt Katie, während Nathan den Arm um mich legt, sodass seine Hand auf meiner Taille ruht. »Deshalb macht er das. Es ist sein letzter verzweifelter Versuch, dich davon abzuhalten, Nathan zu heiraten.«

Ich schüttele den Kopf. »Das ist zu abgefahren, zu extrem. Das sieht Jack überhaupt nicht ähnlich.« Er ist cool, besonnen und gut, wenn es eine Krise zu bewältigen gilt. Er ist Tierschutzbeauftragter und bei der freiwilligen Feuerwehr. Wenn er wirklich wüsste, dass Nathan fremdgeht, wäre er direkt zu mir gekommen, um es mir zu sagen, und hätte nicht bis zur Nacht vor meiner Hochzeit oder bis zur Hochzeit selbst damit gewartet.

»Ich habe ihn noch nie gemocht«, sagt Katie, »und das hier zeigt nur, dass ich recht hatte, meinen Instinkten zu vertrauen. Ich habe ihn immer für einen Stalker gehalten.« Ich spüre, wie sich meine Stirn anspannt, als sie fortfährt: »Er hat dich ständig verfolgt.«

»Dafür kriege ich ihn«, nuschelt Nathan. »Meine Nase – sie will gar nicht aufhören zu bluten.«

»Brauchst du noch mehr Taschentücher?«, jammert Katie besorgt. »Soll ich einen Arzt rufen lassen?«

»Dieses erbärmliche Exemplar von einem Mann wird einen brauchen, wenn ich ihn in die Finger kriege«, schäumt Nathan.

»Bitte, beruhige dich doch, Darling«, sage ich, doch er reagiert nicht darauf. Er geht von mir fort und starrt auf die Tür zur Sakristei, und seine Wangenmuskeln zucken vor kaum unterdrückter Wut. Mike, sein Trauzeuge, kommt und schiebt sich zwischen uns und die Sakristei.

»Er ist es nicht wert, Kumpel. Er ist bloß Kleinstadtnichts. Tessa, bring deinen Bräutigam zur Vernunft, ja?« Mike grinst. »Nur keine Hemmungen. Fang schon mal damit an, denn wenn du erst mal seinen Ring am Finger hast, wirst du bis zum Überdruss an ihm rumnörgeln.«

»Du hast ihn doch dabei, oder?« Nathans Stimme klingt dumpf und nasal.

Mike nimmt ihm die Taschentücher ab und legt einen Arm um Nathans Schulter. »Natürlich hab ich das. Beruhig dich – es wird alles gut.« Er blickt zur Sakristei. »Ah, da kommen sie ja.«

Der Vikar und mein Vater kehren zurück. Ich weiß nicht, wo Jack ist, wohin er gehen wird und ob er aus eigenem Antrieb verschwindet oder nicht, aber es ist mir egal. Ich will bloß mit der Hochzeit weitermachen, ehe ich es mir anders überlege.

»Bist du bereit fortzufahren?«, fragt der Vikar mich freundlich.

Ich zupfe an den Blütenblättern der Rosen in meinem Brautstrauß: dieses Jahr, nächstes Jahr, irgendwann, niemals.

»Sollen wir noch mal von vorne anfangen?«, fragt der Vikar. »Die Entscheidung liegt bei dir, Tessa.«

»Lassen Sie uns da weitermachen, wo wir unterbrochen wurden«, sage ich ein wenig zu scharf. »Es tut mir leid. Das klang jetzt nicht so, wie es sollte.«

»Schon gut. Das war ja auch ein ziemlicher Schock für dich.«

»Ich weiß.« Wenn der Vikar doch bloß wüsste, dass es nicht der Schock ist, der mir zu schaffen macht; es sind die Zweifel, von denen ich geglaubt hatte, dass ich sie begraben hätte, und die jetzt wieder auftauchen wie die Blasen in einem Schokoladenfondue. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich Nathan begegnete, an sein dunkles Haar, die gebräunte Haut, den Siegelring, den schwarzen Audi. »Ich bin heiß«, prahlte er.

»Tessa, hör auf damit, den Brautstrauß zu ruinieren«, sagt Katie und nimmt ihn mir ein zweites Mal ab. »Ich will, dass da später noch etwas ist, was ich fangen kann.« Ihre Augen glänzen vor Tränen.

»Ach, Katie. Sei nicht traurig.«

»Bin ich gar nicht.« Sie schluckt. »Ich freue mich für dich. Hey, hör auf zu weinen.«

»Tue ich das Richtige?«, bricht es aus mir heraus.

»Dafür ist es jetzt zu spät. Auf jetzt! Steve …«, sie wendet sich an meinen Vater, »… komm her und übergib deine Tochter. Nathan, du stellst dich da hin. Mike, sieh noch mal nach, ob du auch wirklich den Ring dabeihast. Wir wollen keine weitere Panne.«

Schließlich stehe ich direkt neben Nathan und danke meiner ersten Brautjungfer innerlich für ihr Organisationstalent – oder eher für ihre herrische Art? Nathan verblutet nicht mehr, wie er behauptet hat, und der einzige Hinweis auf Jacks Schlag sind ein paar getrocknete Blutflecken auf seiner Oberlippe. Ständig drückt er meine Hand und grinst mich dabei an, als wollte er sagen: Jetzt habe ich dich. Mit jedem Mal werden meine Sinne schwächer, der Duft der frischen Blumen wird weniger klar, das Kreuz auf dem Altar weniger hell und die Farben in den Buntglasfenstern weniger glänzend.

»Nathaniel Roderick Cooper«, sagt der Vikar ohne Gefühl, »willst du die hier anwesende Tessa Gemima Wilde zur Frau nehmen? Willst du sie lieben, trösten, ehren und beschützen, willst du allen anderen entsagen und ihr treu sein, bis dass der Tod euch scheidet?«

Ich halte während der langen Pause den Atem an. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Spannung ertrage.

»Bis dass der Tod euch scheidet?«, wiederholt der Vikar, um Nathan auf die Sprünge zu helfen.

»Ja, mach ich.« Nathans Stimme ist klar und kühl.

Es heißt: »Ja, ich will.« Man sagt: »Ich will«, denke ich, während ich wieder ein- und ausatme und dabei das Gefühl habe, als würde ich ertrinken. Diese Zeremonie markiert nicht den Beginn eines neuen Lebens, sondern vielmehr das Ende.

Warum heirate ich überhaupt? Sind Nathan und ich nicht auch so glücklich, in wilder Ehe zusammenlebend? Nicht wirklich. Ich hebe den Blick zu der Gewölbedecke mit ihren Malereien. Wir hatten schreckliche Auseinandersetzungen, und dann war da diese SMS, ein Entwurf, den ich neulich auf seinem Handy entdeckte, als ich es in die Hand nahm, um es ihm zu geben. Er sagte, es wäre ein Witz gewesen, um einen seiner Kumpel aufzuziehen.

Ich wende mich ihm wieder zu. Wird er mich lieben und trösten? Er wird Liebe mit mir machen. Das ist ein Unterschied, und dieser Gedanke ist nicht gerade beruhigend. Wird er mich ehren und beschützen? Er beschützt mich und sorgt dafür, dass ich im Dunkeln nie allein unterwegs bin, aber hat das nicht vielleicht mehr mit Besitz und Kontrolle zu tun als mit echter Sorge? Und was ist mit der Treue, bis dass der Tod uns scheidet?

»Tessa«, flüstert der Vikar mir zu. »Möchtest du, dass ich das noch einmal wiederhole?«

»Entschuldigung«, sage ich. »Ja, bitte. Ich war nicht ganz bei der Sache.«

»Es ist nicht das erste Mal, dass eine Braut bei ihrer Hochzeit von Nervosität überwältigt wird«, fährt der Vikar fort. Er räuspert sich. »Tessa Gemima Wilde, willst du den hier anwesenden Nathaniel Roderick Cooper zum Mann nehmen? Willst du ihn lieben, trösten, ehren und beschützen, willst du allen anderen entsagen und ihm treu sein, bis dass der Tod euch scheidet?«

Auf der Suche nach einer Antwort schaue ich Nathan tief in die Augen. Er kann meinen Blick nicht erwidern, und mir sinkt das Herz in die Hose und reißt all meine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit sich. Wie kann ich die nächsten zehn, zwanzig, dreißig Jahre mit diesem Mann verbringen, wenn ich ihm schon jetzt nicht vertraue?

»Tessa?«, sagt der Vikar. »Tessa, Nathan wartet auf deine Antwort …«

KAPITEL 2

Die Prinzessin und der Frosch

Jetzt oder nie. Ich blicke stur geradeaus zwischen die aufragenden Steinsäulen hinter dem Altar und werde mir der kühlen Stille im Kircheninnern bewusst, dem erwartungsvollen Schweigen der Gemeinde.

»Ich will nicht«, sage ich mit schwacher Stimme und bangem Herzen.

»Wie bitte?«, fragt der Vikar.

»Ich will nicht«, wiederhole ich. »Ich kann das nicht.« Ich nehme allen Mut, den ich noch aufbringen kann, zusammen und wende mich an meinen Bräutigam. »Nathan, ich kann dich nicht heiraten.«

»Tessa?« Seine Augen werden dunkel, das Blut weicht aus seinem Gesicht und verleiht ihm das Aussehen eines halb verhungerten Vampirs, als ihm die Konsequenzen dessen, was ich gerade gesagt habe, klar werden.

»Es tut mir so leid«, fahre ich fort, als sein Schock zu blankem Entsetzen wird und sich die Kirche mit überraschten und ungläubigen Rufen füllt.

»Tessa, Liebes?« Ich bin mir nicht sicher, ob Dad neben mich tritt, um mich zu trösten, oder ob er mich davon überzeugen will, es mir noch einmal zu überlegen. Doch ich halte das alles nicht mehr aus, all diese Liebe und Fürsorge, den ganzen Druck und die überwältigende Welle der Scham, die ich spüre, als mir das Ausmaß von Nathans Schmerz bewusst wird. Ich habe ihn enttäuscht. Ich habe alle enttäuscht, aber das ändert nichts. Ich kann meine Gefühle nicht ändern. Ich bin am Boden zerstört.

Mit heißen Tränen, die mir die Wangen hinunterlaufen, raffe ich mein Kleid und mache mich zur Flucht bereit, doch meine Brautschuhe mit ihren eleganten Absätzen und den glatten Sohlen, die jetzt matschverkrustet sind, waren nie zum Rennen gedacht, und ich muss sie ausziehen und in die Hand nehmen, ehe ich den Mittelgang hinuntersprinte, wobei ich schneller bin als Usain Bolt, während von beiden Seiten die Leute auf mich einstürmen und »Haltet sie auf!« oder »Lasst sie durch!« rufen. Ich renne weiter und taumele in den Vorraum, wo ich gegen den Chauffeur stoße, der hier heimlich eine raucht.

»Es tut mir leid. Es tut mir so leid«, keuche ich, als er versucht, mich mit einer Hand aufzuhalten.

»Das war ziemlich schnell. He, wohin wollen Sie denn?«

Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal. Ich schüttele ihn ab und renne weiter über den Friedhof an den dunklen Eiben und Grabsteinen vorbei und durch das Tor hinaus auf die Straße, wo ich den Weg den Berg hinab nehme, bis ein lähmender Krampfanfall mich dazu zwingt, mich auszuruhen. Ich lehne mit dem Rücken an der Wand am Ende eines schmiedeeisernen Zauns. Keuchend atme ich die sauerstoffhaltige Luft ein, fülle meine schmerzende Lunge und versuche, einen freien Kopf zu bekommen. Was habe ich getan?

»Tessa! Warte auf mich!« Nathan joggt heran. Wie er da so mit seitlich geneigtem Kopf vor mir steht, verzieht sich sein Gesicht wie das eines Wasserspeiers an der Kirche. »Was zum Teufel denkst du eigentlich, was du da machst?«

»Es tut mir leid, Nathan«, wiederhole ich.

»Du weinst ja.« Nathans Stimme wird sanfter. »Ach, komm her, mein Schatz.« Er breitet die Arme aus, um mich an sich zu ziehen, doch ich weiche vor ihm zurück, bis ich mich mit dem Rücken an die Wand presse und er mir vorne auf den Saum des Kleides tritt. »Du bist ja ganz durcheinander. Nimm dir ein wenig Zeit, und dann gehen wir wieder rein. Der Vikar hat gesagt, er gibt uns fünf Minuten.« Sein Tonfall wird weinerlich und bettelnd. »Du musst doch bloß ›Mach ich‹ sagen, und dann ist alles vorbei …«

»Es heißt: ›Ich will‹«, unterbreche ich ihn. »Wie oft muss ich dir das noch sagen?« Aber er hört mir gar nicht zu.

»Mein Schatz, ich will doch bloß, dass deine Träume in Erfüllung gehen. Komm wieder mit rein«, bedrängt er mich. »Lass mich dir diesen Ring an den Finger stecken, damit ich dich meine Frau nennen kann. Denk darüber nach. In weniger als vierundzwanzig Stunden sitzen wir im Flieger auf dem Weg weit weg von hier – uns erwarten Sonne, Strand und …«, ein ganz kurzes Zögern, doch es ist lang genug, »… Sand.«

»Und Sex. Du wolltest Sex sagen.« Mit einem Schuh in beiden Händen schubse ich ihn weg.

»Was hast du eigentlich? Um Himmels willen, ich habe dir ein Haus und ein Auto gekauft, und der Ring hat mich ein Vermögen gekostet. Was kannst du denn noch wollen?«

»Das sind alles materielle Dinge, und ich bin dir sehr dankbar, aber ich rede davon, glücklich sein zu wollen.«

»Du warst glücklich genug, als ich dir die Schlüssel für den Wagen gab.«

»Ich weiß, aber ein Auto hält nicht ewig.«

»Es wird lange Zeit halten, wenn du dich nur gut darum kümmerst«, sagt Nathan und erinnert mich daran, wie sehr er es hasst, wenn ich es einfach vor dem Haus abstelle, statt in die Garage zu fahren.

»Oh, es geht doch gar nicht um Autos«, sage ich gereizt. »Es geht darum, dass du dich über alles und jeden lustig machst: über mich, meine Großtante, diese ganzen Frotzeleien über meine Erwartungen …« Ich zögere und blicke ihm in die Augen. »Bloß ist das alles nicht als Witz gemeint, oder?«

»Natürlich ist es das«, sagt er, aber er weicht meinem Blick aus, und daran erkenne ich, dass er lügt. Es sollte mich nicht schockieren – er nimmt es oft nicht so genau mit der Wahrheit –, trotzdem kann ich einfach nicht glauben, dass er selbst in dem Augenblick lügt, in dem man doch erwarten sollte, dass er mir seine Seele offenbart, um mich zurückzugewinnen. Mir ist, als wäre ich grob aus dem Schlafwandeln über eine Felskuppe gerissen worden und stände nun am Rand eines Abgrunds und Nathan legte mir die Hand auf den unteren Rücken, um mich hinabzuschubsen.

»Ich gehe nicht zurück«, sage ich entschlossen. »Ich werde niemals Mrs. Cooper.«

Nathan zieht die Augenbrauen hoch. Seine Miene verdüstert sich, als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben.

»Ich gehe nicht zurück, und das ist mein voller Ernst, Nathan. Ich werde dich nicht heiraten.« Ich versuche, meine Entscheidung zu rechtfertigen, sodass er sie versteht. »Es liegt nicht allein an dir. Es liegt auch an mir.«

»Tessa, das ist absurd. Du hast diesen Tag seit Monaten geplant. Du hast mir, deinen Freunden, deiner Familie, dem Metzger, dem Bäcker – jedem Menschen – erzählt, du könntest es kaum erwarten, verheiratet zu sein.«

»Es ist schwer zu erklären, aber irgendwie habe ich mich von der Romantik des Ganzen mitreißen lassen. In all der Aufregung, die Hochzeit zu planen, die Kleider und die Blumen auszuwählen, habe ich irgendwie vergessen, worauf es wirklich ankommt.« Ich halte inne und bemerke, wie sich Nathans Brustkorb hebt und senkt und wie ihm der Schweiß auf die Stirn tritt. »Ich liebe dich, aber ich liebe dich nicht genug …«

»Machst du das aus purer Gehässigkeit, weil ich diesen ganzen Schmus nicht sagen will, diese drei kleinen Worte ›Ich liebe dich‹?«, fragt Nathan.

»Ich habe einen Fehler gemacht, und es tut mir leid«, fahre ich fort, ohne auf seine Frage zu antworten.

»Dann ist das dein Ernst?«

»Ja.« Ich nicke, und Nathans Miene fällt in sich zusammen, als habe er es endlich kapiert. Meine Trauer darüber, was ich ihm antue, ist grenzenlos.

»Lass uns im April heiraten, hast du gesagt. Und jetzt hast du mich ganz schön in den April geschickt. Du hast mich sauber übers Ohr gehauen. Da hättest du mich gleich umbringen können«, schluchzt er und stampft einen kleinen Kreis auf den Bürgersteig. »Du bist eine eiskalte, grausame Schlampe.«

»Nathan«, heule ich auf. »Du wirst mir am Ende dankbar sein. Du findest eine andere.« Wenn du das nicht schon hast, möchte ich hinzufügen.

Nathan strafft die Schultern und wischt sich die Augen am Ärmel ab.

»Wie konntest du mich so vor dem Altar abservieren – vor all den Leuten?«

»Ich hatte nicht vor, dich zu demütigen.« Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Ich hatte meine Zweifel, doch ich hatte nicht den Mumm, sie zu äußern, bis es dafür fast zu spät war, und ich bereue es bitterlich.

Nathan wechselt die Taktik.

»Dieser Sinneswandel liegt doch nur an diesem Trottel Jack Miller, stimmt’s? Wusstest du, dass er zurück ist? Hast du ihn dazu angestiftet?«

»Nein, nein, nein«, wiederhole ich immer wieder, während Nathan fortfährt: »Was genau bedeutet er dir?«

»Gar nichts«, sage ich. »Nicht jetzt. Du weißt, dass wir vor einiger Zeit zusammen waren. Ich habe es dir doch erzählt, weshalb fragst du? Wir waren sechzehn, siebzehn, und dann ging Jack fort aufs College, und es war aus.«

»Bist du dir da sicher, Tessa? Katie meint zu glauben, dass ihr seitdem ein bisschen mehr als nur Freunde wart. Komm schon, Tessa. Gib es zu. Es ist allgemein bekannt.«

»Wir waren Freunde«, bestätige ich verärgert, »bis ich dich kennengelernt habe.« Nathan ist verzweifelt und versucht einen vernünftigen Grund für meine Entscheidung zu finden, vielleicht nicht nur für sich selbst, sondern auch für die vielen Zuschauer, die inzwischen auf der Straße zusammengelaufen sind. Er ist der betrogene Mann und ich die Frau mit dem scharlachroten Buchstaben.

»Du hast dich hinter meinem Rücken mit ihm getroffen.«

»Wie könnte ich das? Er war die letzten Monate im Ausland.« Wie ich bereits sagte, habe ich Jack zum letzten Mal gesehen, als Nathan und ich unsere Verlobung feierten, woraufhin er einfach so verschwand, ohne auch nur eine SMS oder eine Postkarte zu schicken.

»Spiel hier nicht die Unschuldige.« Ich bemerke, wie Nathan in Richtung der Zuschauer schielt, als er diesen Satz vorträgt.

»Wenn du glaubst, ich würde so etwas tun, dann hast du eine sehr geringe Meinung von mir.« Mir wird klar, dass ich diese Tatsache schon viel früher hätte zur Sprache bringen müssen: Nathans fehlender Respekt für mich als seine Verlobte.

»Aber die richtige«, sagt Nathan und hebt die Stimme, sodass man ihn vom Dog and Duck am einen Ende der Stadt bis zu Laceys Edle Tropfen am anderen hören könnte. »Du bist eine Schlampe!«

»Das reicht jetzt«, mischt sich Katie ein, die mit Mike, Nathans Trauzeugen, gerade bei uns ankommt.

»Ganz genau«, sagt mein Dad und gesellt sich zu uns. »Du lässt meine Tochter ab sofort in Ruhe.«

»Wie kommst du auf die Idee, ich würde jetzt noch etwas von ihr wollen?« Nathan spuckt vor Zorn. »Sie hätte sowieso eine miserable Ehefrau abgegeben.«

»Wie kannst du es wagen?« Vollkommen außer mir raffe ich mein Kleid und meine Schleppe und gehe davon. Dabei stoße ich mir versehentlich die Zehen am Bürgersteig. Mein Dad trottet neben mir her.

»Lass uns im Rolls zurückfahren, Tessa.«

ENDE DER LESEPROBE