Auf Messers Schneide: Wegners letzte Fälle - Thomas Herzberg - E-Book

Auf Messers Schneide: Wegners letzte Fälle E-Book

Thomas Herzberg

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Beschreibung

In der Hamburger Mordkommission dreht sich das Personalkarussell. Anja hat sich nach Bremen abgesetzt und Platz für einen neuen Kollegen gemacht: Jan Kießling. Während ein ohnehin genervter Detlef Busch versucht, dem die lästige Ablage aufzuhalsen, beschäftigt sich Wegner mit Urlaubsplänen. Schließlich verwöhnt ein ungewohnt warmer Juni die schöne Hansestadt und selbst die Mörder scheinen frei zu machen. Doch es kommt ganz anders: Aus purer Hilfsbereitschaft unterläuft Wegner sein bisher schwerster Fehler. Als kurz darauf nicht nur Anjas Leben in Gefahr ist, steht das Schicksal aller Beteiligten auf Messers Schneide … (Jeder Wegner-Fall ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Es kann jedoch nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ...;)
Lektorat/Korrektorat: Michael Lohmann
 
Aus der Reihe Wegners erste Fälle:

  • »Eisiger Tod« (Teil 1)
  • »Feuerprobe« (Teil 2)
  • »Blinde Wut« (Teil 3)
  • »Auge um Auge« (Teil 4)
  • »Das Böse« (Teil 5)
  • »Alte Sünden« (Teil 6)
  • »Vergeltung« (Teil 7)
  • »Martin« (Teil 8)
  • »Der Kiez« (Teil 9)
  • »Die Schatzkiste« (Teil 10)
Aus der Reihe Wegner & Hauser (Hamburg: Mord)
  • »Mausetot« (Teil 1)
  • »Psycho« (Teil 2)
Aus der Reihe Wegners schwerste Fälle:
  • »Der Hurenkiller« (Teil 1)
  • »Der Hurenkiller – das Morden geht weiter …« (Teil 2)
  • »Franz G. - Thriller« (Teil 3)
  • »Blutige Rache« (Teil 4)
  • »ErbRache« (Teil 5)
  • »Blutiger Kiez« (Teil 6)
  • »Mörderisches Verlangen« (Teil 7)
  • »Tödliche Gier« (Teil 8)
  • »Auftrag: Mord« (Teil 9)
  • »Ruhe in Frieden« (Teil 10)
Aus der Reihe Wegners letzte Fälle:
  • »Kaltes Herz« (Teil 1)
  • »Skrupellos« (Teil 2)
  • »Kaltblütig« (Teil 3)
  • »Ende gut, alles gut« (Teil 4)
  • »Mord: Inklusive« (Teil 5)
  • »Mörder gesucht« (Teil 6)
  • »Auf Messers Schneide« (Teil 7)
  • »Herr Müller« (Teil 8)
Aus der Reihe "Hannah Lambert ermittelt":
  • »Ausgerechnet Sylt« (1)
  • »Eiskaltes Sylt« (2)
  • »Mörderisches Sylt« (3)
  • »Stürmisches Sylt« (4)
  • »Schneeweißes Sylt« (5)
  • »Gieriges Sylt« (6)
  • »Turbulentes Sylt« (7)
Aus der Reihe "Zwischen Mord und Ostsee":
  • »Nasses Grab« (1)
  • »Grünes Grab« (2)
Weitere Titel aus der Reihe Auftrag: Mord!:
  • »Der Schlitzer« (Teil 1)
  • »Deutscher Herbst« (Teil 2)
  • »Silvana« (Teil 3)
Unter meinem Pseudonym „Thore Holmberg“:
  • »Marthas Rache« (Schweden-Thriller)
  • »XIII« (Thriller)
Weitere Titel:
  • »Zwischen Schutt und Asche« (Nachkrieg: Hamburg in Trümmern 1)
  • »Zwischen Leben und Tod« (Nachkrieg: Hamburg in Trümmern 2)
  • »E.S.K.E.: Blutrausch« (Serienstart E.S.K.E.)
  • »E.S.K.E.: Wiener Blut« (Teil 2 - E.S.K.E.)
  • »Ansonsten lächelt nur der Tod«
Noch mehr Bücher, aktuelle Informationen und einen Newsletter-Service findet ihr auf meiner Homepage

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ähnliche


Thomas Herzberg

Auf Messers Schneide: Wegners letzte Fälle

Hamburg Krimi

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Titel

 

Auf Messers Schneide

Wegners letzte Fälle

von Thomas Herzberg

 

Alle Rechte vorbehalten

Fassung: 1.0

 

Cover: Titel: CL. / photocase.de; Hamburg Skyline: pixelliebe/stock.adobe.com

Covergestaltung (oder Umschlaggestaltung): Marius Gosch, www.ibgosch.de

 

 

Die Geschichte ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und/oder realen Handlungen oder Schauplätzen sind rein zufällig. Sämtliche Äußerungen, insbesondere in Teilen der wörtlichen Rede, dienen lediglich der glaubhaften und realistischen Darstellung des Geschehens. Ich verurteile jegliche Art von politischem oder sonstigem Extremismus, der Gewalt verherrlicht, zu selbiger auffordert oder auch nur dazu ermuntert!

 

Ein großes Dankeschön geht an:

Michael Lohmann (Lektorat, Korrektorat: worttaten.de)

Nicolas (für seine Hilfe bei Konzept und Entstehung)

meine lieben Testleserinnen Birgit, Lia und Dagmar

 

 

 

Inhalt

 

In der Hamburger Mordkommission dreht sich das Personalkarussell. Anja hat sich nach Bremen abgesetzt und Platz für einen neuen Kollegen gemacht: Jan Kießling. Während ein ohnehin genervter Detlef Busch versucht, dem die lästige Ablage aufzuhalsen, beschäftigt sich Wegner mit Urlaubsplänen. Schließlich verwöhnt ein ungewohnt warmer Juni die schöne Hansestadt und selbst die Mörder scheinen frei zu machen. Doch es kommt ganz anders: Aus purer Hilfsbereitschaft unterläuft Wegner sein bisher schwerster Fehler. Als kurz darauf nicht nur Anjas Leben in Gefahr ist, steht es um das Schicksal aller Beteiligten auf Messers Schneide …

 

 

»Auf Messers Schneide« ist Teil 7 der Serie »Wegners letzte Fälle«

(Jeder Wegner-Fall ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Es kann jedoch nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ...;)

 

Lektorat/Korrektorat: Michael Lohmann - worttaten.de

 

Weitere Informationen und Bücher findet Ihr auf meiner Homepage:

 

ThomasHerzberg.de

 

Thomas Herzberg auf Facebook

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

 

»Wo kommt denn das Auto plötzlich her?«

»Ist ’ne längere Geschichte, Cheffe!« Detlef Busch hatte am Straßenrand nur kurz auf Wegner warten müssen und dabei nicht mal das Automatikgetriebe auf P geschaltet. Noch bevor die Beifahrertür ins Schloss gefallen war, nahm er den Fuß von der Bremse und trat das Gaspedal voll durch. Die beinahe sechshundert Pferdestärken des Mercedes SL63 AMG katapultierten den Wagen regelrecht nach vorne.

Wegner, der gegen die Rückenlehne aus edlem Leder gepresst wurde, schaffte es mit Mühe und Not, sich anzuschnallen. Die äußere physikalische Gewalt ließ sogar seine Stimme gequält klingen. »Haben Sie was Neues von Anja gehört – irgendwas?«

Busch schüttelte nur energisch den Kopf, was wohl auch daran lag, dass er hauptsächlich damit beschäftigt war, diese Rakete auf vier Rädern unter Kontrolle zu halten. Kurz zuvor war er mit Vollgas und ohne zu blinken, von der Wandsbeker Chaussee auf die Brauhausstraße abgebogen. Es war Abend, auf den ansonsten hoffnungslos verstopften Straßen Hamburgs herrschte erfreulicherweise nur noch wenig Verkehr.

»Die Ampel ist rot!«, brüllte Wegner, schließlich steuerte Busch mit Vollgas darauf zu.

Im nächsten Moment war es, als würde ein Panzer abbremsen. Der Mercedes stand beinahe, Buschs Kopf flog nach links, dann nach rechts. Einen halben Atemzug später ging es mit Vollgas über die Kreuzung in Richtung Hamburger Nordwesten.

Wegner schimpfte weiter: »Wir helfen Anja nicht, wenn wir nicht mal in Langenhorn ankommen! Haben Sie verstanden?«

Busch gab keine Antwort. Er musste das Tempo drosseln, weil auch an der nächsten Kreuzung sämtliche Ampeln auf Rot standen. Ein weiterer Versuch, die einfach zu überfahren, hätte ebenso gut im Chaos enden können, also mit einem Unfall. Deshalb nutzte Busch die Gelegenheit, um seinem Chef einen vernichtenden Blick zuzuwerfen.

»Was ist?«, fragte der unverändert grimmig.

»Wenn Anja was passiert, sind Sie schuld daran«, fauchte Busch. »Nur Sie, niemand sonst!«

Jeder der Wegner kannte, hätte in diesem Moment mindestens mit Gegenwehr gerechnet, wenn nicht sogar mit einer verbalen Breitseite oder einem körperlichen Verweis in Form einer ausgewachsenen Beule. Doch der Hauptkommissar schwieg und faltete die Hände im Schoß. Ein klares Schuldeingeständnis.

Vor der nächsten Kreuzung war gleich wieder eine neue Vollbremsung erforderlich. Im Armaturenbrett leuchteten nacheinander sämtliche Lampen auf. Ohne technische Hilfsmittel wäre Busch sicherlich einem VW Bus, der unverschämterweise auf sein Vorfahrtsrecht bestand, in die Seite gekracht.

»Tot sind wir niemandem mehr ’ne Hilfe«, moserte Wegner weiter. »Wir wissen ja nicht mal, was uns in Langenhorn erwartet und ob wir ...«

»Haben Sie einen anderen Hinweis?«, unterbrach Busch seinen Chef wütend. »Haben Ihre sagenhaften Kontakte zur Abwechslung irgendwas Brauchbares ergeben?«

»Jetzt machen Sie mal halblang! Sie haben wohl vergessen, wer hier ...«

»Das ist mir scheißegal!« Busch warf einen weiteren vernichtenden Blick zur Seite. Aktuell war er im Schneckentempo auf der Fuhlsbüttler Straße unterwegs. »Sie haben uns das eingebrockt! Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt für Kompetenzgerangel.«

»Wenn die Kerle Anja was angetan haben, dann mach ich die ganze Bande kalt.« Wegners Stimme war eine Mischung aus Wut und Traurigkeit. »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue … die Schweine lass ich büßen!«

Busch hielt zum ersten Mal brav vor einer roten Ampel. Ein Zeichen dafür, dass er sich ein wenig beruhigt hatte. »Was ist eigentlich mit den Leichen von letzter Nacht?«

»Was soll denn mit denen sein?« Wegner brachte ein müdes Grinsen zustande. »Machen Sie sich keine Hoffnungen: Die erweckt niemand zu neuem Leben.«

»Haben Sie schon ’ne Idee, wie wir jemandem das Blutbad halbwegs glaubhaft verkaufen?« Busch zögerte einen Moment. »Falls nicht, war das wahrscheinlich für uns alle der letzte Husarenritt.«

»Darüber mache ich mir Gedanken, wenn Anja in Sicherheit ist.«

»Und wenn …?«

»Darüber will ich mir überhaupt keine Gedanken machen!«

Nachdem die Ampel auf Grün umgesprungen war, gab Busch erneut Vollgas und überholte sämtliche Autos, die ihm auf dieser lebensmüden Reise nach Langenhorn im Weg waren. Als das Handy seines Chefs klingelte, ging er vom Gas. »Ist das …?«

Wegner schaute aufs Display und nickte. Er nahm das Gespräch sofort an. »Hast du die Adresse?« Das Resultat war ein Kopfschütteln. »Was machst du denn die ganze Zeit, verdammt?« Ein weiteres Kopfschütteln, das immer müder wurde und am Ende nur noch Verzweiflung signalisierte. Auch Wegners Abschied klang wie eine Kapitulation. »Das kannst du vergessen, Heino! Deine Leute lassen wir dieses Mal lieber aus dem Spiel – die haben letzte Nacht schon genug Mist gebaut.«

»Also bleibt uns nur die Adresse in Langenhorn«, stellte Busch ebenso resigniert fest, nachdem das Telefonat beendet war. »Und wenn wir dort nichts erreichen, dann haben wir ...«

»... immer noch ein paar andere Eisen im Feuer«, fuhr Wegner mit energischer Stimme dazwischen. »Und Sie können mir eines glauben: Ich bin bereit, alles zu tun, um Anja zu finden.«

Busch schaute ängstlich zur Seite. »Wirklich alles?«

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Nur das Hochleistungstriebwerk sorgte für brummende Musik.

»Vielleicht sollten wir doch lieber Verstärkung rufen«, schlug Busch vor, als er auf die nächste rote Ampel zurollte. Links und rechts warteten andere Autos, es stand also keine kurzfristige Ausweichroute zur Verfügung. »Diese Kerle haben bewiesen, dass sie vor nichts zurückschrecken.«

Wegner donnerte mit der Faust vor sich aufs Armaturenbrett. »Wenn wir auf unsere schießwütigen Kollegen warten, überlebt Anja die Sache wahrscheinlich nicht und alles war umsonst!«

Busch drehte sich ein weiteres Mal zur Seite. Seine Miene sah nicht ängstlich, aber unheilvoll aus. »Wir sind keine Cowboys, Cheffe. Und wir fahren nicht zum Schießstand, sondern …«

Wegners Hand schoss empor. »Geben Sie Ihrem neuen Pferd die Sporen und halten Sie die Klappe. Wir regeln das auf unsere Weise. Und was wir dabei am wenigsten gebrauchen können, sind Zeugen.«

 

1

Dreieinhalb Tage zuvor

»Gibt’s was Neues?« Wegner hatte an diesem Vormittag nicht mal ganz seinen Schreibtisch erreicht, da präsentierte er grinsend seine persönliche Devise für den restlichen Tag. »Nur damit Sie’s wissen: Auf alles, was Routine ist, hab ich keinen Bock. Also machen Sie sich bloß keine Hoffnungen, dass ich Ihnen bei der Ablage helfe.«

Detlef Buschs Blick wanderte zu einem Papierstapel, der mit jedem Tag wuchs. Das eigentliche Fach für die Ablage hatte schon seit Wochen wegen Überfüllung geschlossen. Links und rechts davon türmten sich weitere Berge, die täglich neue Gipfel markierten.

»Kaffee, Cheffe?«

Wegner hatte mittlerweile hinter seinem Schreibtisch Stellung bezogen und war in erster Linie mit der ›Hamburger Morgenpost‹ beschäftigt. »Lenken Sie bloß nicht vom Thema ab. Irgendwann ersticken wir hier in Papier und man findet unsere Leichen zwischen alten Fallakten und Bestellformularen.«

Busch zuckte nur mit den Schultern. Er war auf dem Weg zur Kaffeemaschine. Vielleicht schaffte es ja eine Überdosis Koffein, seinen Chef ein wenig milder zu stimmen.

Aber der nahm mit einem tiefen Atemzug schon wieder neuen Anlauf und tippte dabei wütend auf seiner Zeitung herum. »Stellen Sie sich mal vor, das würden wir uns erlauben.«

Busch wusste nicht mal, worum es ging und schaute entsprechend ratlos. Außerdem hätte der Kaffeevollautomat ohnehin jede Nachfrage verschluckt.

Wegners Gesicht leuchtete vor Wut und es machte den Anschein, als wollte er die Zeitung vor sich mit dem Zeigefinger durchbohren. »Dieselaffäre, Datenschutz, Zinsmanipulationen – ich kann die Scheiße nicht mehr sehen. Man sollte die ganze Bagage einbuchten, damit sie bei Wasser und Brot über ihren Bockmist nachdenken kann.«

»Sie waren wohl lange nicht mehr in einem unserer Gefängnisse«, erwiderte Detlef Busch leise kichernd. Er näherte sich seinem Chef auf vorsichtigen Sohlen, aber mit einem koffeinhaltigen Friedensangebot. »Ich hätte übrigens auch ein Franzbrötchen dazu. Wie wär’s, Erhabener?«

»Hören Sie auf zu labern. Her damit!«

Nachdem Wegners Mundwerk zu tun hatte, nutzte Busch die Gelegenheit, um eilig ein paar Fakten loszuwerden: »Es kommt mir vor, als würden auch die Mörder Urlaub machen. Aber ich hab hier noch immer die Sache mit der alten Frau ...«

»Wie alt war die noch?«, erkundigte sich Wegner schmatzend.

»Letzten Monat sechsundneunzig geworden.« Busch grinste gequält. »Ihr Enkelsohn hat Anzeige gegen unbekannt erstattet, weil er sich nicht vorstellen kann, dass seine Oma einfach so ...«

»Der hat doch für ’ne Obduktion gesorgt«, unterbrach Wegner. »Was ist denn dabei rausgekommen?«

Busch nahm die Akte zur Hand und wedelte damit. »Edelgard Schramm ist friedlich entschlummert. Laut Untersuchung ist ihr Herz im Schlaf einfach stehen geblieben. So was kommt wohl vor ...«

»... und ich wünsche es jedem alten Menschen, wenn’s so weit ist.«

»Ich auch, aber das hilft mir nicht mit dem Enkel«, protestierte Busch mit gequälter Miene.

»Was sagt der denn zu dem Untersuchungsergebnis? Glaubt er immer noch an Mord und will ...?«

»Ich sorge erst mal dafür, dass er das Ergebnis so schnell wie möglich bekommt«, erklärte Busch schwer atmend. »Und danach stelle ich mich auch tot. Vielleicht hilft das.«

»Was haben wir sonst noch?« Wegner war aufgestanden und hatte sich vor dem Kalender aufgebaut. »Wenn die Mörder tatsächlich Urlaub machen, wird es höchste Zeit, dass ich meinen endlich einreiche.«

»Aber nicht im Juli, Cheffe! Da will ich ...«

»... die Ablage erledigen«, vervollständigte Wegner mit oberlehrerhafter Stimme. Passend dazu hatte er sich einen roten Filzstift geschnappt, um damit den kompletten Juli für sich zu reservieren. »Wenn hier in Hamburg schon mal gutes Wetter herrscht, dann will ich auch was davon haben.«

»Da wäre auch noch immer die Geschichte mit der Gartenlaube in Duvenstedt«, fuhr Busch widerwillig fort, weil jeder Protest in Sachen Urlaub ohnehin keinen Sinn gemacht hätte. »Nachdem unsere Kollegen dort oben alles versaut haben, liegt der Fall hier bei mir rum.«

Wegner hatte sich vom Kalender weggedreht und lächelte seltsam. »Keine Angst: Wir teilen uns den Juli. Aber bis morgen will ich wissen, welche Hälfte Sie haben wollen. Ist das klar?«

Busch nickte zufrieden. »Für mich sieht die Geschichte wie ein ganz normaler Unglücksfall aus. Da brennt ’ne Gartenlaube ab und mit der zusammen ein brandneuer BMW – war übrigens ein Leihwagen.«

Wegner hatte sich an Buschs Seite gesellt und wirkte wenigstens halbwegs interessiert. »Wissen wir schon, wem die Hütte gehört hat und woher der Leihwagen kommt?«

»Da warte ich drauf. Ich hab das Gefühl, sämtliche Kollegen sind bereits im Urlaub.« Busch grinste verschmitzt. »Bis dahin hab ich den unbekannten Toten übrigens Mister X getauft. Klingt irgendwie geheimnisvoll. Oder?«

»Waren Sie mit dem Problem schon mal beim Arzt?«

»Das Einzige was wir bis jetzt haben, sind etliche Handy-Videos im Internet«, erklärte Busch kopfschüttelnd weiter. »Die Szene, in der der Mietwagen neben der Laube explodiert, hat schon ’ne halbe Million Klicks.«

»Das ist wieder typisch! Statt zu helfen, versucht jeder, auch noch das letzte widerliche Detail zu filmen. Nur, um es hinterher in Ihrem bekloppten Internet sichtbar zu machen.«

»Wieso ist das denn plötzlich mein Internet?«, empörte sich Busch.

Wegner winkte grinsend ab. »Auf jeden Fall steht fest: Das ist Ihr Fall, Kollege Übermut!«

»Mein Fall?« Busch wirkte regelrecht fassungslos. »Darf ich fragen, was Sie vorhaben?«

Wegner gähnte herzhaft und leerte seinen Kaffeebecher im Stehen mit zwei großen Schlucken. »Ich muss mal meine Rita anrufen. Wir sind zum Mittag in der Stadt verabredet. Sie will irgendwas Wichtiges mit mir besprechen. Keine Ahnung, was plötzlich so dringend ist, dass es nicht mal bis heute Abend Zeit hat.«

»Heißt das, ich soll hier alles alleine machen und ...?«

»Sie nerven doch ständig und wollen mehr Verantwortung. Jetzt ist es so weit – und wieder nicht richtig. Was Ihre Beförderung zum Oberkommissar angeht, sehe ich langsam schwarz, Kollege.«

Busch schwieg und schob die Akten auf seinem Schreibtisch hin und her.

Doch Wegner war mit seiner persönlichen Abrechnung längst noch nicht fertig: »Hier jeden Tag die große Lippe riskieren, aber wenn’s wirklich mal ernst wird, am besten hinter Vati verstecken. Außerdem ...« Er schnappte sich einen Stapel Bewerbungsmappen und schleuderte den quer über die Schreibtische. Das Ergebnis blieb bunt verstreut vor Busch liegen. »… suchen Sie sich endlich einen Nachfolger für Anja aus. Es gibt tatsächlich ein paar Verrückte, die freiwillig zur Mordkommission wollen. Kann man sich gar nicht vorstellen.«

»Was heißt denn Nachfolger? Haben Sie die Frauen aussortiert, weil ...?«

»Natürlich! Oder glauben Sie etwa, ich will hier den nächsten Rosenkrieg miterleben und tagelang zwei Paar Händchen halten?«

»Da war eine Bewerberin dabei, die ganz ...«

»Es wird ein Kerl oder wir bleiben zu zweit!« Wegners Gesicht leuchtete rot und das lag sicher nicht nur an seinem generell hohen Blutdruck. »Haben wir uns verstanden, Casanova?«

Busch nickte widerwillig und langte nach dem Telefonhörer. Bevor er wählte, hatte er jedoch eine Frage, denn sein Chef stand schon mehr oder weniger abmarschbereit vor ihm. »Sehen wir uns heute noch oder planen Eure Hoheit wieder gemeinsam mit der Gräfin Überstunden abzufeiern?«

»Ich plane höchstens, einen Auftragsmörder anzuheuern.«

»Für mich?« Busch wählte und winkte seinem Chef übertrieben ausladend zum Abschied. »Schönen Feierabend ... und beste Grüße an die liebe Frau Graf.«

2

»Da ist ja einer mal wieder auf den letzten Drücker unterwegs«, stellte Rita Graf lachend fest. Gerade erst war Wegner ihr gegenüber auf den Stuhl gefallen und keuchte noch wie eine alte Dampflok. »Geht’s? Oder soll ich lieber einen Arzt rufen?«

»Sehr witzig!« Wegner stöhnte und wischte sich den Schweiß nacheinander an beiden Hemdsärmeln ab. »Ich hab es in Hamburg Mitte Juni noch nie so heiß erlebt.« Er schaute sich kurz um und lächelte verschmitzt. Seine Rita und er hatten sich in einem Straßencafé auf der Mönckebergstraße getroffen. Dort war um die Mittagszeit die Hölle los. Einen passenden Kommentar hatte er auch parat: »Es ist zwar heiß, aber wenigstens werden dadurch die Röcke immer kürzer.«

»Bei deinem Gesundheitszustand sollte ich dir lieber Scheuklappen verpassen«, erwiderte Rita Graf lachend. »Zwei zu lange Beine könnten in deinem Fall schon reichen, um aus mir ’ne Witwe zu machen.«

Wegners Augenbrauen wanderten nach oben. Er hatte sich gerade erst weiteren Schweiß mit einer dünnen Papierserviette von der Stirn gewischt, ein paar weiße Fetzen waren an Ort und Stelle verblieben. »Hab ich irgendwas versäumt? Seit wann sind wir verheiratet?«

»Hast du überhaupt schon mal drüber nachgedacht?«

»Über lange Beine?« Wegner lachte. »Über die denk ich den ganzen Tag nach.«

Rita Graf schüttelte den Kopf und schnappte sich die Speisekarte. »Eigentlich wäre mir eher nach was Deftigem.«

Wegner verfolgte mit Blicken zwei hochgewachsene Blondinen, die in ihrem Aufzug auf jeden Laufsteg in Mailand oder Paris gepasst hätten.

»Hallo!« Seine Freundin wedelte mit der Karte vor seinem Gesicht. »Hörst du mir überhaupt zu? Wenn du es so nötig hast, dann lauf doch hinterher.«

»Nach was Deftigem ist dir also«, wiederholte Wegner milde lächelnd und erhielt zumindest ein zaghaftes Nicken als Lohn. »Hast du am Telefon nicht gesagt, du wolltest was unheimlich Dringendes mit mir besprechen – dazu am liebsten Eis und Cappuccino?«

»Ich bin eine Frau, da ändert sich manches Detail spontan.«

»Was du nicht sagst.« Auch Wegner hatte sich eine Karte geschnappt und blätterte lustlos darin herum. »Wir könnten uns auch ein Fischbrötchen holen und uns damit an den Landungsbrücken hinhocken – den dicken Pötten hinterherschauen. Was meinst du?«

»Heißt das, du könntest auch ’ne Weile auf kurze Röcke verzichten?«

Wegner wollte schon antworten, aber sein Handy hielt ihn davon ab.

»Da kann wohl jemand nicht ohne sein Kindermädchen«, kommentierte Rita Graf lachend. »Schöne Grüße an Busch.«

»Was ist denn?«, knurrte Wegner ins Telefon.

»Ähm ... Cheffe?«

»Ähm ... ja, verdammt!«

»Die Sache mit unserem Unbekannten – Mister X – das war wohl doch kein Unfall.«

Wegner lachte. Auf der anderen Tischseite schüttelte seine Freundin den Kopf. »Sagen Sie mir auch, wer für den neuen Blödsinn verantwortlich ist? Oder hatten Sie ’ne Vision und wollten die mit mir teilen, weil ansonsten niemand zuhört?«

»Doktor Schmude hat gerade angerufen«, fuhr Busch unbeirrt fort. »Der zweite toxikologische Bericht zeigt Auffälligkeiten.«

»Jetzt noch mal auf Deutsch, bitte!«

»Es ist eigentlich ganz einfach, Cheffe: So wie’s aussieht, wurde unser Mister X vergiftet – bevor die Gartenlaube abgebrannt ist.«

»Womit?«

»Da warte ich noch auf das Gutachten. Sie kennen doch Schmude: Der verrät am Telefon nie was, bevor er sich nicht hundertprozentig sicher ist.«

»Dann warten Sie weiter!« Wegner schnaubte künstlich. »Und rufen Sie mich erst wieder an, wenn das Ergebnis feststeht – ich bin nicht im Dienst.«

»Willst du das wirklich durchziehen?«, erkundigte sich Rita Graf, nachdem das Telefonat beendet war. »Dich nach und nach aus der Mordkommission verabschieden und vielleicht mal ein ganz normales Leben ausprobieren?«

»Das hatten wir doch besprochen«, erwiderte Wegner. Ihm war anzuhören, dass er innerlich auf der Bremse stand. »Wenn nicht jetzt, wann dann?«

Seine Rita hätte eigentlich jubeln müssen, stattdessen verfinsterte sich ihr Gesicht noch weiter.

Wegner hatte den Braten gerochen: »Was ist? Du hast doch immer gesagt, dass ich kürzertreten soll.« Er schüttelte den Kopf. »Außerdem wolltest du irgendwas Wichtiges mit mir besprechen. Am Telefon klang das ja beinahe nach einem Staatsgeheimnis.«

»Ich hab dir doch von Berlin erzählt ...«, flüsterte Rita Graf.

»Vom Posten im Finanzministerium – den du abgesagt hast, ja.«

»Die haben letzten Freitag noch mal angefragt. Nachdem sich unser oberster Chef hier aus Hamburg an die Spree verabschiedet hat, sucht man dort wohl nach ein paar hochrangigen Beamten, deren Gesichter er wenigstens kennt.«

»Und? Legt er gesteigerten Wert auf dein hübsches Exemplar oder was soll das bedeuten?«

»Es ist die Chance, Manfred!«

»Chance, wofür?«

»Zwei weitere Schritte auf der Karriereleiter zu machen. Ich wäre hinterher Staatssekretärin. Kannst du dir das vorstellen?«

»Glückwunsch!« Wegners hatte sich zur Hälfte weggedreht. Dieses Mal galt seine Aufmerksamkeit jedoch nicht langbeinigen Blondinen, sondern einer französischen Bulldogge, die jemand vor einem Coffeeshop nicht weit entfernt angeleint hatte. Der Hund sang ein klägliches Lied, das durch die ganze Einkaufsstraße hallte.

»Hörst du mir überhaupt zu?«, erkundigte sich Rita Graf. Der Ton ihrer Stimme hatte sich drastisch verändert. »Wenn wir zusammen nach Berlin gehen würden und vorher heiraten ... danach hättest du ausgesorgt und könntest dich zur Abwechslung vielleicht mal deinen Hobbys widmen.«

»Welchen Hobbys?«

Wegners Freundin wirkte ratlos. »Auf jeden Fall ist es eine Chance – für uns beide.«

»Es ist deine Chance!«, betonte Wegner Silbe für Silbe. Er hatte sich wieder umgedreht und nahm Rita Graf direkt ins Visier. Dazu zeigte er über die Schulter, wo das Jaulen der Bulldogge sogar noch anschwoll. »Glaubst du, ich dackel dir brav hinterher und mache in Berlin das graumelierte Schoßhündchen?«

»Darum geht es doch gar nicht!«

»Und worum geht es dann?«

»Um unsere Zukunft.« Rita Graf war anzusehen, wie sie verzweifelt nach Argumenten suchte. »Ich habe mich für dich entschieden – ganz bewusst. Aber ich darf doch hoffentlich auch erwarten, dass du dich für mich entscheidest und vielleicht auch mal deine eigenen Interessen ein bisschen in den Hintergrund ...«

Wegner fuhr dazwischen: »Du bist doch jetzt schon mehr mit deiner Arbeit beschäftigt als mit mir.«

»Danke, gleichfalls!«

Nach diesem letzten Schlagabtausch herrschte eine Weile Schweigen. Der Kellner trat an den Tisch und sorgte für Ablenkung: »Was darf ich Ihnen bringen?«, erkundigte sich der junge Mann, schon jetzt mittelmäßig genervt.

»Mir ist auch nach was Herzhaftem«, erklärte Wegner und klatschte dazu die Speisekarte vor sich auf den Tisch. »Haben Sie Fischbrötchen?«

Der Keller zeigte wortlos auf das Schild über dem Eiscafé. Sein missmutiges Gesicht sollte wohl bedeuten, dass er auf weitere Erklärungen bewusst verzichten wollte. Sein Blick wanderte zu Rita Graf, aber die beschränkte sich auf müdes Kopfschütteln.

Also fuhr Wegner fort. Der war kurz zuvor aufgestanden und stützte sich auf dem Tisch ab, der dadurch in Schräglage geriet. »Wenn Sie keine Fischbrötchen haben, dann lassen Sie’s gut sein.« Er fischte einen Fünfeuroschein aus der Hosentasche, der in der Hemdtasche des verdutzten Kellners landete. »Nichts für ungut und … trotzdem danke.«

3

Nach der Mittagspause saß Detlef Busch hinter seinem Schreibtisch und schob nicht nur Akten hin und her, sondern auch gehörigen Frust. Dabei ging es ausnahmsweise mal nicht um Wegner. Vielmehr tat sich nach der Trennung von Anja erneut ein klaffendes Loch in seinem Privatleben auf. Und das – wie sonst auch – nur mit mehr Arbeit zu füllen, würde auf Dauer vermutlich nicht gutgehen. Wegners neues Gehabe kam ihm ebenfalls seltsam vor. Das Letzte, was Busch sich vorstellen konnte, war, sich mit einem neuen Chef anfreunden zu müssen. Wegner hatte seine Marotten, klar. Aber insgesamt sorgte das für einen Dienstalltag, von dem die meisten anderen Polizisten nur träumen konnten.

Buschs Blick streifte erneut die aktuellen Berge der Ablage. Aber das löste nicht etwa Tatendrang aus. Stattdessen lehnte er sich gähnend in seinen Stuhl zurück. In seinem Bauch rumorten anderthalb panierte Schnitzel, Wurzelgemüse und Kartoffeln um die Wette – höchste Zeit also für ein möglichst ausgedehntes Nickerchen.

Doch er hatte kaum die Augen geschlossen, da klopfte es gegen die Tür.

Die öffnete sich Stück für Stück und machte irgendwann Platz für ein freundliches Gesicht. »Bin ich hier richtig in der Mordkommission?«

»Was steht denn draußen dran?«, erkundigte sich Busch mit neuem Gähnen.

Der Kopf verschwand für einen Moment und kehrte wieder zurück. »Mordkommission!«

»Dann sind Sie hier wohl richtig«, sagte Busch und lachte dazu kurz auf. »Immer rein in die gute Stube.«

Zu dem Kopf gehörte ein schlanker, hochgewachsener Mann von höchstens Mitte zwanzig. Dessen Haare waren auf seltsame Weise nach vorne gekämmt, sein Anzug erinnerte an eine bevorstehende Konfirmation.

Busch hatte sich derweil den Stapel Bewerbungsmappen geschnappt und wedelte bereits mit einer davon. »Lassen Sie mich raten: Sie sind Jan Kießling, richtig?« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir sind erst um zwei verabredet, Kollege – und wir haben es gerade erst zehn nach eins!«

Der junge Polizist stand wie bestellt und nicht abgeholt mitten im Büro. Er zuckte mit den Schultern und lächelte verlegen, dabei geriet seine Frisur in Bewegung. »Mit den U-Bahnen hat es ausnahmsweise wie am Schnürchen geklappt, deshalb bin ich ein bisschen früher dran. Ich wollte nicht lange in der Kantine hocken und lieber gleich ...«

»Ist schon gut!« Busch zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Danach überflog er den Inhalt einer Personalakte, der nur aus ein paar Blättern bestand. »Sie sind zweiundzwanzig. Gutes Alter, um sich die erste feste Dienststelle zu suchen.«

»Sie können ruhig Jan sagen«, erklärte der junge Beamte ein wenig unbeholfen.

Buschs Hand fuhr nach vorne. »Dann bin ich ab sofort Detlef. Und keine Angst: Ich bin nicht ...«

»Schon gut!« Jan musste sich ein Lachen verkneifen. Er wollte gleich fortfahren.

Aber Busch kam ihm zuvor: »Hast du dich denn ein bisschen über unseren Haufen hier schlaugemacht? Ich meine, vor deiner Bewerbung?«

»Klar!«

»Da bin ich aber mal neugierig, was dabei rausgekommen ist.« Busch lehnte sich erneut in seinen Stuhl zurück und grinste zufrieden. »Fang einfach an. Was erzählt man sich da draußen denn so über die Helden der Hamburger Mordkommission?«

Jans Gesicht machte klar, dass ihn diese Frage auf dem falschen Fuß erwischte. Er sah plötzlich aus, als wäre ihm am ehesten nach spontaner Flucht zumute. Doch irgendwann kündigte ein schwerer Atemzug den Weg nach vorne an: »Die meisten reden über Wegner«, war das erste knappe Statement.

»Für dich immer noch Herr Wegner!«

»Er soll ein ziemlicher ...«

»... Kotzbrocken sein?«, vollendete Busch, weil es nicht weiterging.

»So ähnlich.« Jan haderte noch immer sichtlich mit sich selbst. Aber er hatte offensichtlich neuen Mut gefasst und fuhr mit vorsichtigem Grinsen fort: »Das ist noch eine von den harmloseren Bezeichnungen.«

Busch erlöste den jungen Kollegen mit einer Handbewegung von weiterer Erklärungsnot. Schließlich hatte er eine ganz andere, viel wichtigere Frage: »Was erzählt man sich da draußen denn über mich?«

Jan entglitten schon wieder sämtliche Gesichtszüge. »Wie ist denn dein Nachname, wenn ich fragen darf?«

»Busch ... Detlef Busch!«

Die Antwort ließ noch einen Moment auf sich warten und erklang dann auch nur im Flüsterton: »Nichts.«

»Wie jetzt: nichts?«

»Ich hab von Herrn Wegner viel gehört und von einer ...« Jan machte eine kurze Pause, wühlte offensichtlich angestrengt in seinem Gedächtnis. »... gewissen Anja.« Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich, dass die allein mit ihrem Vorbau Tote zum Leben erwecken kann – zumindest unten rum.«

Buschs Mund stand offen. Er wollte gerade reagieren, als Wegner hereinplatzte.

Jan sprang auf und machte zwei halbe Schritte zurück, bis der Schreibtisch ihn ausbremste.

Aber Wegner reagierte gar nicht auf den Besucher, sondern marschierte mit Weltuntergangsmiene in Richtung Kaffeetresen.

»Hatte gar nicht mehr mit Ihnen gerechnet, Cheffe.«

Jan drehte sich zu Busch um und setzte ein fragendes Gesicht auf. »Cheffe?«

Wegner hatte bereits den Knopf für einen doppelten Koffein-Schock namens Espresso gefunden. Die Maschine war mit dem Mahlen der Bohnen beschäftigt und hätte ohnehin jede Antwort übertönt.

»Setz dich erst mal wieder hin«, zischte Busch in Jans Richtung. »Und über die Sache mit Anja reden wir noch, Freundchen!«

Wegner wirbelte herum und peilte die beiden an. »Seid ihr die Fensterputzer?«

»Sehr witzig, Cheffe!« Busch erhob sich träge. »Das ist Jan Kießling, der erste Bewerber für heute.«

»Erinnert mich ein bisschen an Sie«, witzelte Wegner auf dem Weg zu seinem Schreibtisch. »Brille, ängstlicher Blick ... fehlen nur noch haufenweise überflüssige Fragen und blöde Sprüche. Bald hocken hier zwei von Ihrer Sorte. Glauben Sie mir: Dann bin ich schneller weg, als Sie gucken können.«

Busch schirmte seinen Mund mit der Hand ab und lehnte sich zu Jan hinunter, der auf seinem Stuhl immer mehr in sich zusammensank. »Keine Angst: Bis jetzt ist das alles ganz normal ... Standard.«

»Was haben Sie denn vorher gemacht?«, erkundigte sich Wegner und fiel dabei in seinen Stuhl zurück.

Jan brachte ein halbwegs überzeugendes Grinsen zustande. »Fenster geputzt!«

»Der Bengel gefällt mir«, schwärmte Wegner. Sein nächster Blick galt Busch. »Sagen Sie den anderen ab ... wir haben ’nen neuen Schmierer.«

»Was heißt denn: Schmierer?«, erkundigte sich Jan.

Busch lieferte die Antwort: »Der Vater von Herrn Wegner war jahrelang Kapitän auf riesigen Frachtschiffen und Tankern. Deswegen unterhalten wir uns hier hauptsächlich im Seemanns-Jargon. Stört dich doch nicht ... oder?«

»Und was ist dann ein Schmierer?«, wollte Jan unverändert wissen. Sein Gesicht spiegelte schon die schlimmsten Befürchtungen wider.

»Das Mädchen für alles«, grölte Wegner lachend. »Und im Klartext bedeutet das: Viel Arbeit für wenig Heuer.«

Busch wollte noch etwas hinzufügen – vermutlich keine aufmunternden Worte –, aber sein Computer hielt ihn davon ab. »Das ist das Ergebnis der zweiten toxikologischen Untersuchung«, platzte es aus ihm heraus. Seine Augen rasten hin und her. »Und hier steht übrigens auch, dass man unseren Mister X identifiziert hat. Ich hatte denen die Info geschickt, wem die Gartenlaube gehört und die Informationen stimmen wohl überein.«

»Dann machen Sie es nicht wieder so spannend, Busch.« Wegner hatte sich sogar ein Stück nach vorne gelehnt. Ein klares Zeichen für Neugier. »Ansonsten kann unser neuer Kollege gleich Ihren Platz einnehmen. Und ich kann ihm von Anfang an verklickern, dass ich gerne auf nervige Einleitungen verzichte.«

Busch überflog völlig unbeirrt seinen Bildschirminhalt. »Sagt Ihnen der Name Holger Drillich irgendwas, Cheffe? Der hat offensichtlich ’ne schöne Strafakte.«

»Wollen Sie mich verarschen? Den Scheißkerl hab ich damals selbst eingebuchtet.«

Busch hämmerte auf seiner Tastatur herum. »Verurteilt hat man ihn seinerzeit zu zwölf Jahren Haft. Wegen Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung mit Todesfolge.«

»Und was hat er dann draußen gemacht?«, wollte Wegner wissen. »Die zwölf Jahre können doch unmöglich schon rum sein.«

Buschs Augen wanderten erneut hin und her. »Am Montagmorgen – also vor etwa zweieinhalb Tagen – wurde er vorzeitig entlassen. Nach zehn Jahren, wegen guter Führung.«

Wegners Kopf leuchtete bereits wie eine überreife Tomate. »Der ist nur mit diesem Kurzurlaub davongekommen, weil der damals verantwortliche Staatsanwalt gerade frisch von der Uni kam.« Ein energisches Kopfschütteln lieferte die erste, Wegners Mund die zweite Hälfte eines verheerenden Urteils. »Ein typischer Anfänger: Keine drei Haare am Sack, aber ’ne Schnauze, als hätte er das Pulver neu erfunden. Den Idioten hätten sie gleich mit einbuchten sollen.«

Während Busch sich mühsam ein Grinsen verkniff, sah Jan sichtlich geschockt aus. Dementsprechend klang seine Frage: »Was genau hat dieser Holger Drillich denn damals angestellt?«

»Drei Mädchen hat das Schwein auf dem Gewissen!«, brüllte Wegner, als wären seine beiden Kollegen dafür mitverantwortlich. »Das jüngste war gerade mal neun.«

»Und warum ist er damals mit diesem – wie Sie es nennen – Kurzurlaub davongekommen?«, wollte Jan wissen.

»Hab ich doch gesagt: Der Herr Oberstaatsanwalt hat die lästige Arbeit an einen Jungspund weitergereicht. Der war mit den Gedanken wohl noch bei seiner ersten Liebe vom Campus und hat alles versaut. Am Ende reichte es nur für ...« Wegner verstummte und zeigte auf Busch.

Der lieferte bereitwillig den Rest: »... zwölf Jahre, wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge.«

Nachdem ein bisschen Ruhe eingekehrt war, kam Wegner gleich mit der nächsten Frage daher. Die richtete sich an Detlef Busch. »Wie lange wissen Sie eigentlich schon, dass die Gartenlaube diesem Drillich gehört hat?«

Busch zuckte mit den Schultern »Der hat sie von seiner Mutter geerbt, als er im Knast saß.«

»Und warum erzählen Sie mir so was nicht früher?«

»Weil Sie mit Routinedingen doch nie was zu tun haben wollen, Cheffe!« Busch schüttelte den Kopf und lachte. »Vielleicht darf ich Sie erinnern, dass Sie gerade erst heute ...«

Allein Wegners wütendes Gesicht sorgte für Ruhe. Er wandte sich an Jan. »Ich kann nur hoffen, dass wenigstens Sie irgendwann mal in der Lage sind, die Spreu vom Weizen zu trennen.«

»Was heißt das genau?«, erkundigte sich der junge Kollege vorsichtig.

Busch winkte ab. »Das erklär ich dir schon! Aber erst mal musst du lernen, wie hier bei uns die Ablage funktioniert.«

4

»Hast du ’ne Ahnung, wo er geblieben sein könnte?« Frank Sievert hatte gerade erst das kleine Büro der Autowerkstatt betreten und war noch nicht mal vor dem Kundentresen angekommen, da platzte die alles entscheidende Frage erneut aus ihm heraus. »Weißt du, wo er geblieben ist? Du hast doch gesagt, du hättest da jemanden, der sich mit solchen Dingen auskennt. Einen, der ihn garantiert nicht aus den Augen verl...«

»Hab ich auch gedacht!«, fuhr Rüdiger Arndt wütend dazwischen. Dazu hob er seine ölverschmierten Hände, als wolle er sich für eine handgreifliche Auseinandersetzung wappnen. »Mein Kumpel Leo hat versprochen, morgens vor dem Gefängnis auf den Drillich zu warten, aber ...«

»... dieser Leo hat offensichtlich verpennt oder was weiß ich«, vervollständigte Frank Sievert mit höhnischer Stimme. »Vielleicht hast du’s nicht kapiert: Das war vermutlich unsere einzige Chance, das Dreckschwein zu schnappen!«

Rüdiger Arndt nickte schwerfällig. Seine ölverschmierten Hände verschwanden in den Taschen seines Overalls. Seine Rechte kehrte mit einem Päckchen filterloser Zigaretten zurück, seine Linke mit dem erforderlichen Feuerzeug. Kurz darauf verpesteten Qualmwolken das winzige Werkstattbüro, in dem es ansonsten auch nur nach Schmierfett und feuchtem Leder stank.

Frank Sievert nahm erneut Anlauf: »Hat dein Kumpel Leo vielleicht noch ’ne Idee, wo wir ihn wiederfinden können.« Die Augen des Mannes füllten sich mit Tränen. »Drillich hat meine Lütte auf dem Gewissen. Ich kann nicht ...«

»Meine auch!«, brüllte ihm der Werkstattinhaber entgegen. Spucke segelte durch die Luft. »Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätten für dieses beschissene Monster tausend Jahre Knast nicht gereicht.«

Diese verlockende Vorstellung sorgte für kurzes Schweigen auf beiden Seiten.

Es war Frank Sievert, der hektisch von Neuem anfing, weil ein Kleinwagen mit röhrendem Auspuff vor dem Büro der Werkstatt hielt. »Was ist mit deinem Leo? Hat der Möglichkeiten, um Drillich noch zu finden?«

Der Werkstattinhaber verfolgte mit den Augen eine junge Frau. Die hatte gerade erst ihren Hund aus dem Kofferraum geholt und war auf dem Weg in Richtung Büro. »Er hat mir gesagt, dass er alles versucht. Aber er meint auch, dass so was dauern kann.«

»Wie lange?«

Die Antwort war lediglich ein Schulterzucken. Aber mehr wäre ohnehin nicht möglich gewesen, denn die Bürotür schwang mit leisem Klingeln auf. In der Werkstatt ertönte eine deutlich lautere Sirene.

»Ich glaube, mein Auspuff ist hinüber«, begann die junge Frau, ohne eine Aufforderung abzuwarten. Neben ihr hechelte ein undefinierbarer Mischling, dessen funkelnde Augen signalisierten Vorfreude auf zwei neue Bekanntschaften. »Könnten Sie vielleicht ...?«

Frank Sievert hatte die Frau mit erhobener Hand gestoppt und lehnte sich ein Stück über den Tresen. Er flüsterte nur. »Erklär deinem Leo, dass er Gas geben soll. Schließlich ist er schuld daran, dass wir ...«

»Fahren Sie am besten direkt vors Tor«, sagte Rüdiger Arndt übertrieben laut. »Ich muss hier nur noch schnell was regeln, danach schau ich mir Ihr Auto an. Versprochen!«

Nachdem die Frau das Büro wieder verlassen hatte, klang die Stimme von Frank Sievert wie das Zischen einer Schlange. »Soll das etwa bedeuten, dir ist ein verdammter Auspuff wichtiger als deine Tochter?«

»Nichts ist wichtiger als meine Tochter!« Erneut segelte Spucke durch die Luft. »Aber meine Wiebke ist leider tot! Und daran ändert sich auch nichts, wenn wir den Drillich in Stücke hacken.«

***

Nachdem die Identität des Toten geklärt und über dessen viel zu milde Verurteilung alles gesagt war, holte Wegner von Neuem aus. Dafür wandte er sich direkt an Busch »Sie haben doch gesagt, dass man bei der Obduktion von diesem Holger Drillich Gift in seinem Körper gefunden hat. Wissen wir auch schon, welches?«

Busch hatte die Antwort sofort parat: »E605! Eigentlich ein Pflanzenschutzmittel, aber früher nannte man es auch ...«

»... den Schwiegermutter-Tod«, vervollständigte Wegner. »Ich hab schon Mordfälle gelöst, bei denen das Zeug im Spiel war, da haben Sie noch als Quark im Schaufenster gelegen.«

»Was meint er denn damit?«, wollte Jan wissen.

Buschs Miene verzog sich gequält, seine volle Aufmerksamkeit galt unverändert Wegner. »Ich weiß vielleicht nicht ganz so viel über das Zeug, Cheffe. Aber wenn ich richtig informiert bin, dann findet man heute noch in jedem dritten alten Schuppen ’ne halbe Büchse davon.«

Wegner nickte widerwillig. Sein Fazit war allerdings das genaue Gegenteil: »Ist doch perfekt!«

»Was soll das denn wieder heißen?« Busch sah mittelmäßig erstaunt aus, Jan beinahe fassungslos. »Wollen Sie uns an Ihrer Weisheit teilhaben lassen, Erhabener?«

Vermutlich, um einen längeren Vortrag einzuläuten, holte Wegner tief Luft. Danach klang seine Stimme wie die eines Vollstreckers. »Es wird sich kaum klären lassen, ob jemand den Drillich vergiftet hat oder ob der freiwillig abtreten wollte. Fest steht: Das Schwein ist tot ... gut so!«

»Und was heißt das genau?«, erkundigte sich Busch mit vorsichtiger Stimme.

»Was wohl?« Wegner brachte sogar ein Lachen zustande. »Sie und Ihr neuer Kollege schreiben einen ausführlichen Bericht und danach schicken Sie die Sache als vermeintlichen Suizid an die Staatsanwaltschaft. Die machen wie gewohnt ’ne hübsche Schleife drum und wir stellen fest: Manchmal kann das Leben auch gerecht sein.«

»Sie hätten Prediger werden sollen, Cheffe.«

»Kann man das überhaupt?« Jans Stimme war eine Mischung aus Bewunderung und Skepsis. »Einfach so den Deckel zuklappen – ohne weitere Ermittlungen?«

Wegners Handy klingelte und verhinderte den logischen Kommentar. Der Hauptkommissar sprang förmlich auf, wischte ungewohnt hektisch übers Display und rief »Moment« ins Telefon. Danach wandte er sich wieder an Busch, der kopfschüttelnd zu seinem Chef emporschaute. »Erklären Sie unserem neuen Kollegen mal schnell, wie bei uns der Hase läuft. Und wenn ich gleich zurückkomme, dann sollte es hier nach frischem Kaffee und irgendeinem Backwerk riechen. Verstanden?«