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Beschreibung

Jana fällt aus allen Wolken, als sich ihre heimliche Jugendliebe Julian nach fünfzehn Jahren Funkstille unerwartet bei ihr meldet. Seit damals empfindet sie große Wut auf ihn, da er ihr Vertrauen missbraucht hatte. Und erst vor Kurzem hat ihr Exfreund Georg dafür gesorgt, dass Jana von den Männern endgültig enttäuscht ist. Ob Julian sich eine zweite Chance trotz seines Fehltritts von damals verdient hat? Und wieso taucht plötzlich Georg wieder auf? Wie wird sich Jana entscheiden – Herz oder Kopf? Eine Geschichte über den Kampf zwischen Vertrauen und Vernunft, über Enttäuschungen und Freundschaft – und über die wahre Liebe.

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Auf Umwegen ins Herz

Sarah Saxx

www.sarahsaxx.com

Inhalt

Content Note

Prolog

1. Die Nachricht

2. Erinnerungsstücke

3. Oh mein Gott!

4. Der Kraftprotz und mein K. o.

5. Too hot!

6. Achterbahn

7. Wer hat an der Uhr gedreht …?

8. Das Geständnis

9. Lena

10. Das Glück der Erde …

11. Kuscheln, knutschen und Kill Bill

12. Was will frau mehr?

13. Was zum Teufel …?

14. Single?

15. Freier Fall

16. Neuanfang

17. Julian!

Danksagung

Kennst du schon …

Kennst du schon …

Kennst du schon …

Freu dich auf …

Mehr Sarah Saxx

Über Sarah Saxx

Copyright © 2013, Sarah Saxx

Alle Rechte Vorbehalten.

Eine Kopie oder anderweitige Verwendung ist nur mit schriftlicher Genehmigung von Seiten des Autors gestattet.

Lektorat: Kornelia Schwaben-Beicht, www.abc-lektorat.de

Verwendete Fotos: © deviantART / © Vallentin Vassileff - Fotolia.com

Taschenbuch: 978-3-8370-7813-8

www.sarahsaxx.com

Über das Buch

Jana fällt aus allen Wolken, als sich ihre heimliche Jugendliebe Julian nach fünfzehn Jahren Funkstille unerwartet bei ihr meldet.

Seit damals empfindet sie große Wut auf ihn, da er ihr Vertrauen missbraucht hatte. Und erst vor Kurzem hat ihr Exfreund Georg dafür gesorgt, dass Jana von den Männern endgültig enttäuscht ist.

Ob Julian sich eine zweite Chance trotz seines Fehltritts von damals verdient hat? Und wieso taucht plötzlich Georg wieder auf? Wie wird sich Jana entscheiden – Herz oder Kopf?

Eine Geschichte über den Kampf zwischen Vertrauen und Vernunft, über Enttäuschungen und Freundschaft – und über die wahre Liebe.

Content Note

Dieses Buch behandelt unter anderem folgende Themen:

Mobbing, Betrug, Fremdgehen, sexuelle Belästigung, Tod, Verlust, Trauer, Übergriffes Verhalten

Für Ann und Em, meine beiden Engel auf Erden.

Prolog

WIE GEWONNEN,

SO ZERRONNEN

Sabine Lautner:

Hallo, Jana!

Wir kennen uns nicht persönlich, aber ich habe eine Frage zu dem Foto vom „Ball an Bord“, auf dem Du markiert wurdest.

Auch wenn Dir meine Frage jetzt sehr eigenartig vorkommt, aber heißt der Mann an Deiner Seite zufällig Georg? Wenn nicht, dann tut es mir leid, dass ich Dich belästigt habe. Wenn aber doch, dann bitte ich Dich, mir kurz zu antworten.

Diese Facebook-Nachricht irritierte mich. Sabine Lautner kannte ich nicht. Wieso interessierte sich diese fremde Frau für ihn? Und woher kannte sie seinen Namen?

Jana Sommer:

Hallo, Sabine!

Ja, auf dem Foto bin ich mit meinem Freund Georg zu sehen. Wieso fragst Du? Woher kennst Du ihn?

Sabine Lautner:

Nur um sicherzugehen: Würdest Du bitte folgenden Link anklicken und mir sagen, ob der Mann, den Du auf dem Foto siehst, derselbe ist, mit dem Du auf dem Ball warst?

Als ich diese Zeilen las, wurde mir speiübel, und ich war mir sicher, die Weihnachtskekse waren nicht der Grund dafür. Ich starrte auf die Nachricht und war heillos überfordert. Den Mut, dem Link zu folgen, brachte ich nicht auf. Als ich ihr antwortete, zitterten meine Hände.

Jana Sommer:

Was soll denn das werden? Wer bist Du und was willst Du von mir?

Sabine Lautner:

Bitte, sieh Dir das Foto an. Ich weiß, es ist viel verlangt, immer­hin kennst Du mich nicht. Aber bitte, schau es Dir an, dann erst kann ich Dir alles erklären.

Was blieb mir also anderes übrig. Ich würde nicht schlauer werden, wenn ich versuchte, den Facebook-Link mit meinem Blick zu hypnotisieren. Also klickte ich darauf und schloss die Augen. Ich rechnete mit allem. Aber nicht mit dem, was mich auf diesem Bild erwartete.

1Die Nachricht

Knapp fünf Monate später, Ende April:

Erschöpft fiel ich auf mein Sofa. Arme und Beine streckte ich von mir und streifte die Schuhe von den Füßen. Der Arbeitstag war wieder sehr anstrengend gewesen. Ich war erleichtert, ihn endlich überstanden zu haben und mich nun zu Hause entspannen zu können. Ich beschloss, einen guten Wein aufzumachen und mir ein heißes Schaumbad zu gönnen.

Ich stemmte mich aus dem Sofa hoch und schaltete auf dem Weg zur Küche meine Stereoanlage an. Leise summte ich mit, während ich einen eiskalten Chardonnay entkorkte und den Wein einschenkte.

Im Badezimmer ließ ich das Wasser ein und gab reichlich Schaumbad hinein. Gedämmtes Licht und ein paar Teelichter rundeten das wohlig-entspannende Ambiente ab. Es dauerte nicht lange und der Raum war erfüllt von heißem Dampf, der nach Rosen duftete. Die Musik konnte ich auch von hier gut hören, weil ich die Tür nur angelehnt hatte.

Die Müdigkeit steckte fest in meinen Knochen, und ich konnte es kaum erwarten, ins heiße Nass zu tauchen. Das Weinglas stellte ich auf den Wannenrand ab, bevor ich vorsichtig in die Wanne stieg. Entspannt schloss ich die Augen und ließ mich von der ruhigen Musik der 1960er und 1970er Jahre berieseln, die ich so sehr liebte. Sie versetzte mich in eine Friede-Freude-Eierkuchen-Traumwelt. Und das war genau das, was ich im Moment auch brauchte.

Meine Augenlider wurden schwer. Ich konnte ein herzhaftes Gähnen nicht unterdrücken und musste lächeln. Wie schön, dass Freitag war und ich nun zwei Tage Zeit hatte, mich von der stressigen Arbeitswoche zu erholen.

Ein „Pling“ ließ mich hochschrecken. Das Wasser war kühl geworden, die Musik zu Ende und die Teelichter erloschen. Mein Wein­glas stand noch immer unberührt dort, wo ich es abgestellt hatte. Leicht benommen von meinem Nickerchen versuchte ich, dieses Geräusch zuzuordnen.

Das flauschige Badetuch um mich gewickelt, stieg ich aus dem Wasser. Vorsichtig, um nicht auszurutschen, ging ich zum Lichtschalter. Das plötzlich helle Licht blendete meine Augen. Wie lange ich wohl geschlafen hatte? Ich ließ das Wasser aus der Wanne und probierte einen Schluck Wein, der aber viel zu warm geworden war. Als ich das Glas in die Küche tragen wollte, fiel mein Blick auf mein Smartphone. Es blinkte, offensichtlich war eine Facebook-Nachricht eingegangen.

Ich nahm es mit und setzte mich auf einen Barhocker in der Küche. Dann öffnete ich die Message.

Julian König:

Hallo, liebe Jana!

Womöglich bist Du gar nicht die, die ich suche. Warst Du zufällig Mitte der 90er Jahre in der Jugendgruppe „Boot“? Falls ja, wäre es super, wenn wir wieder in Kontakt kämen.

Liebe Grüße, Julian König

Was sollte das jetzt? Ich las die Nachricht ein zweites Mal, spürte, wie mein Herz wie wild zu klopfen begann, und war deshalb noch verwirrter als beim ersten Lesen. Dann sah ich, dass dieser Julian noch online war. Als hätte ich mir die Finger verbrannt, legte ich mein Smartphone sofort auf den Küchentresen. Ich hielt mein Badetuch fest, so, als ob er durch mein Handy sehen könnte, dass ich bis auf den Frotteestoff nackt war.

Mein Herzschlag wollte sich nicht beruhigen, und zu allem Überfluss schoss mir noch die Hitze ins Gesicht. Ich ärgerte mich über meine kindische Reaktion, immerhin war es doch nur eine ganz normale Nachricht auf Facebook.

Ich atmete ein, straffte die Schultern und beschloss, mir zuerst etwas anzuziehen, bevor ich die Nachricht noch einmal lesen, geschweige denn darauf antworten würde. Falls ich das überhaupt machen würde.

Keine fünf Minuten später saß ich mit meinem Laptop auf der Couch, das Weinglas, nachgefüllt mit eisgekühltem Chardonnay, stand neben mir auf dem Beistelltisch. Ich las die Nachricht erneut und klickte anschließend auf den Namen.

Sein Profilfoto war nicht sehr aussagekräftig. Eine grüne Wiese im Vordergrund, im Hintergrund die Silhouette eines Mannes. Mehr wurde mir nicht verraten, denn alle anderen Bilder, Beiträge und Informationen – falls überhaupt vorhanden – waren für Nicht-Freunde blockiert. Ich zögerte. Zum zweiten Mal in sechs Monaten verfluchte ich das Social Network und seine Möglich­keiten, Menschen zu verknüpfen. Andererseits wollte ich nur zu gerne in seinem Profil stöbern und mehr über ihn erfahren, bevor ich ihm antwortete. Herausfinden, ob Julian König wirklich der Julian war.

Aber seien wir mal ehrlich, wer sollte es sonst sein? Seine Hinweise waren unmissverständlich. Es hatte Mitte der 1990er Jahre schätzungsweise nur eine Jugendgruppe namens „Boot“ in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz gegeben, zu der ein gewisser Julian König gehörte.

Es störte mich, dass ich vorerst an keine weiteren Infos kommen­ konnte. Zumindest ein Foto wäre hilfreich gewesen. Doch ich konnte nachvollziehen, dass er sämtliche Informationen verborgen hielt. Immerhin hatte auch ich (seit letztem Dezember – haha!) mein Profil so gestaltet, dass niemand, ohne vorherige Freigabe durch mich, mehr über mich herausfand.

Doch eigentlich wusste ich tausendprozentig, wer hinter der Nachricht steckte. Mit Julian hatte ich ein – wie soll ich es nennen?­ … Intermezzo –, das ich mit ziemlicher Sicherheit mein Leben lang nicht vergessen würde.

Diese schlimme Erinnerung war wahrscheinlich auch die Ursache, wieso mein Herz so wild pochte. Ich fühlte mich überrumpelt und wollte ihm am liebsten nicht zurückschreiben. Andererseits, wenn ich es nicht tat, würde ich mich bis an mein Lebensende fragen, wieso der Kerl mich ausfindig gemacht und angeschrieben hatte.

Also trank ich noch einen großen Schluck, bevor ich meine leicht sarkastische Antwort tippte.

Jana Sommer:

Hallo, Julian!

Ich würde sagen, heute ist Dein Glückstag – ich bin die, die Du suchst.

Grüße, Jana

Ich atmete tief ein, hielt die Luft an, schloss die Augen und klickte auf „Senden“. Nervös wischte ich meine Handflächen an meiner Jogginghose ab.

Erst als ich nach einer gefühlten halben Ewigkeit die Augen öffnete, stieß ich den Atem geräuschvoll wieder aus. Er war off­line, also musste ich mich noch gedulden. Entspannt lehnte ich mich etwas zurück und checkte noch schnell meine E-Mails, bevor ich den Fernseher anschalten wollte. Ich hatte zwar nicht wirklich Lust auf einen Film, wollte mich aber berieseln lassen, und dann, falls ich nicht schon auf der Couch einschlief, zeitig ins Bett gehen.

Die beiden Nachrichten ließen mir jedoch keine Ruhe, und ich musste sie noch einmal kurz überfliegen. Hatte ich zu schroff geantwortet? Immerhin war es lange her, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten, und wir waren jung … und dumm. Er zumindest. Nein, er war ein Arschloch gewesen. Aber gesendet ist gesendet, und ich konnte die Nachricht weder zurückholen noch löschen.

Gesehen, 20:03.

Wie versteinert saß ich da, starrte auf die Nachrichtenbox. Ein leises „Pling“ durchbrach die Stille. Mein Herz raste wild in meiner Brust. Ich starrte auf den Text.

Julian König:

Liebe Jana,

super, dass ich Dich endlich gefunden habe – freut mich! Wie gehts Dir so, was hast Du aus Dir gemacht?

Liebe Grüße, Julian

Eigentlich wollte ich den Laptop ja zuklappen, doch seine Zeilen ließen mich zögern. Denn mal abgesehen davon, dass er mir keinen Hinweis gab, wieso er mich gesucht hatte – hatte er mich endlich gefunden. Endlich? Das klang nach einer langen, schwierigen, mit Hindernissen übersäten Suche.

Was, verdammt noch mal, wollte der Kerl von mir? Verarschte er mich wieder? Dachte er, ich wäre immer noch so ein leichtes Opfer, über das man sich lustig machen kann? Wann war es denn endlich genug?

Genervt seufzte ich. Was sollte ich ihm antworten – jetzt, nachdem er so was schrieb? Wollte er wirklich etwas über mich erfahren, interessierte ich ihn als Person? Oder brauchte er nur wieder einen Punchingball? Ich zweifelte stark daran, dass er es ehrlich meinte, immerhin kannte ich ihn lange genug und hatte so meine Erfahrung mit ihm gemacht. Auch, wenn das letzte Mal mehr als zehn Jahre her war. Wobei … es wäre interessant zu wissen, wie lange er tatsächlich nach mir gesucht hatte. Und warum.

Ich verfluchte die Männerwelt. Und meine Naivität. Doch diesmal würde ich mich nicht wieder verarschen lassen. Diesmal würde ich die Kontrolle behalten und selbst entscheiden, wann wer vom Pferd fällt.

Zögernd trommelte ich mit meinen Fingern auf der Tastatur herum. Dann begann ich zu schreiben:

Jana Sommer:

Mir geht es sehr gut. Ich frage mich aber, wieso Du auf der Suche nach mir warst, und, was noch wichtiger ist, was Du Dir jetzt von mir erwartest.

Kaum hatte ich die Nachricht verschickt, tauchte auch schon am linken unteren Rand ein kleines Pop-up auf – seine Freund­schaftsanfrage. Meine linke Augenbraue wanderte nach oben, und, hätte Julian mich so sehen können, hätte er gewusst, was ich davon hielt, dass er mit mir „befreundet“ sein wollte.

Vor Jahren hatte er meine Freundschaft mit Füßen getreten. Nun war der Zug für ihn abgefahren. Okay, dass ich ihn seit unserer ersten Begegnung vor sechzehn Jahren angehimmelt hatte, war kein Geheimnis. Ich war aber auch nicht die Einzige. Er hatte regelrecht in den Blicken der Mädchen gebadet und es offensicht­lich auch genossen.

Seine Freundschaftsanfrage beschäftigte mich nun aber doch. Ich ließ den Mauszeiger darüber kreisen, und unterdrückte Wut stieg in mir auf. Was bildete sich dieser Idiot eigentlich ein? Dachte er wirklich, nach allem, was vorgefallen war, er könnte mir einfach eine Nachricht auf Facebook schicken und alles wäre vergeben und vergessen? Ich schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf. Gerade wollte ich die Anfrage ablehnen, als wieder eine Mitteilung einging:

Julian König:

Das hör ich gern!

Also … Jana, ich war damals ein Idiot, was mir sehr leidtut. Ich will es wiedergutmachen, und es wäre toll, wenn Du mir diese Chance gibst. Ich weiß, es ist schon ewig her – trotzdem hoffe ich, dass es noch nicht zu spät ist für eine Entschuldigung.

Verdammt, was sollte das denn? Ich war sprachlos, damit hatte ich nicht gerechnet. Er wollte sich bei mir entschuldigen? War das jetzt wieder seine Masche, mit der er Leute verarschte? Saß er mit seinen Kumpeln vor dem Computer und lachte sich gerade kaputt? Unsicher wischte ich mit der Handfläche etwas Staub vom Bildschirm.

Aber was, wenn er es wirklich ernst meinte? Immerhin hatte er geschnallt, dass er sich in der Vergangenheit nicht korrekt verhalten hatte. Und er war ein Mann … Wenn er „nur“ fünfzehn Jahre brauchte, um mich um Verzeihung zu bitten – worüber wollte ich mich beschweren? Ha!

Mal davon abgesehen, wieso kam er erst jetzt, so viele Jahre später, darauf, dass er sich wie der letzte Idiot verhalten hatte? Und was hatte er davon, wenn er sich entschuldigte? So schuldbewusst und … nett … hatte ich ihn zuletzt nicht in Erinnerung, und ich bezweifelte, dass er sich so sehr geändert haben konnte. Was erwartete er von mir? Dass ich sage ,Kein Problem, ist schon vergessen und vergeben. Komm, lass uns ein Bier trinken gehen?’ Da verwechselte er mich offensichtlich mit seinen Kumpeln.

Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen, und strich mit meinen Fingern die kleine Furche zwischen den Brauen wieder glatt. Dass ich wegen Julian jetzt auch noch Falten bekäme, fehlte mir noch.

Die Freundschaftsanfrage ignorierte ich bewusst, aber ich konn­te nicht anders. Auf seine Nachricht musste ich ihm einfach antworten:

Jana Sommer:

Ich hab ja keine Ahnung, in welchen Film ich da eben geraten bin, aber ich bin mir sicher, dass wir uns nichts zu sagen haben. Weder bezüglich unserer Vergangenheit noch zum Jetzt … Und eine Zukunft mit uns wird es ebenfalls nicht geben. Leb Wohl!

Nachdem ich meinem Ärger so ordentlich Luft gemacht hatte, fühlte ich mich schon um einiges besser. Verrückte Männerwelt! Kaum, dass ich die Nachricht geschickt hatte, klappte ich meinen Laptop zu. Ich wollte gar nicht wissen, ob er meinen Wutausbruch gelesen hatte, geschweige denn, was er darauf antworten würde – falls er das überhaupt noch tat. Zur Sicherheit schaltete ich auch mein Smartphone ab.

Nachdenklich nippte ich am Wein. Seine Nachrichten ließen mir aber keine Ruhe. Es war, als hätte ein anderer Mensch die Zeilen geschrieben, nicht der Julian König, den ich gekannt hatte. Er hatte seine Opfer vor seinen Freunden so lange verspottet und aufgezogen, bis man weder ein noch aus gewusst hatte. Seine männlichen Opfer fingen meistens aus lauter Verzweiflung eine Schlägerei an (was in Anbetracht der Tatsache, dass Julian niemals ohne seine Kumpanen unterwegs war, sehr aussichtslos war), und die Mädchen hatten regelmäßig weinend das Weite gesucht.

Trotz meiner Wut auf ihn spürte ich die Herzlichkeit in seinen Worten und die große Freude, mich endlich gefunden zu haben, sodass ich jetzt total verunsichert war. Doch ich wollte nicht wieder auf seine Masche reinfallen. Noch einmal wird mir so etwas nicht passieren. Nicht nach Georg, diesem Mistkerl. Gut, der war mit Sicherheit ein erstklassiger Schauspieler, doch wer garantierte mir, dass es nicht noch mehr von dieser Gattung gab?

Eigentlich schade, was aus Julian geworden war. Als ich ihm das erste Mal begegnete, war er zwar kein Einzelgänger, aber er hielt sich ruhig im Hintergrund. Er ließ anderen Jungs den Vortritt und war eher ein stiller Beobachter, ähnlich wie ich. Irgendwann wurde er zum Anführer der Gruppe, und sein Selbst­bewusstsein schien sich überdimensional vergrößert zu haben. Als wäre er süchtig nach der Anerkennung durch seine Freunde, drängte er sich regelmäßig in den Mittelpunkt, und irgendwann steigerte sich seine Arroganz so weit, dass ich, sofern es möglich war, jedes Zusammentreffen mit ihm mied.

Während ich noch weiter mit den Gedanken in der Vergangen­heit hing, machte ich mich fertig fürs Bett. Die erste Dreiviertel­stunde des Hauptabendfilms hatte ich sowieso verpasst, und mittendrin einsteigen war etwas, das ich nicht ausstehen konn­te – selbst dann nicht, wenn ich den Film schon mal gesehen hatte. Ganz davon abgesehen, dass ich mich heute selbst auf die ­spannendste Handlung nicht hätte konzentrieren können – mir schwirrte­ ein ganz anderes Kuriosum im Kopf herum.

Lange Zeit lag ich wach und wälzte mich von einer Seite auf die andere. Erst weit nach Mitternacht fiel ich in einen unruhigen Schlaf, in dem der Teenager Julian mich mit schwingendem Lasso auf einem Pferd verfolgte, und aus seiner Pistole war jedes Mal, wenn er abdrückte, ein „Pling“ zu hören.

„Mensch, Jana, du siehst erledigt aus! Hast du gestern Nacht eine Discotour gemacht?“ Isa beäugte mich mitleidig.

„Wenn du wüsstest …“

Als ich heute Morgen einen Blick in den Spiegel geworfen hatte, hatte mich fast der Schlag getroffen. So schlecht, wie ich geschlafen hatte, sah ich auch aus. Da ich mich, wie jeden Sams­tag um halb zehn, mit meiner besten Freundin im Fitnessstudio treffen würde, brauchte ich die Augenringe nicht einmal großartig zu überschminken. Nach spätestens fünfzehn Minuten auf dem Laufband würde mir das Make-up in Bächen in den T-Shirt-Kragen laufen. Also versuchte ich es mit einer großen Tasse Kaffee und kaltem Wasser im Gesicht. Die Haare band ich mir zu einem wilden Knoten mit vielen Spangen hoch, der hoffentlich bis zum Ende des Trainings halten würde.

Während wir an der Bar auf unser Elektrolytgetränk warteten, erzählte ich Isa im Schnelldurchlauf von meiner Fassungslosigkeit vom Vorabend. Ihre Reaktion darauf war die gleiche wie meine – die Kinnlade klappte nach unten und verharrte dort für einige Sekunden.

„Was will denn dieser Idiot von dir? Was ist denn mit den Männern los? Sind jetzt alle verrückt geworden?“

„Tja, wenn ich das wüsste. Ich hab ihn das letzte Mal an meinem vierzehnten Geburtstag gesehen – mein letzter Besuch im ‚Boot’. Eine Woche zuvor war das Sommerfest.“

„Ich dachte, du hast ihn nach danach nicht mehr gesehen?“

„Naja, dieses eine Mal ließ sich leider nicht vermeiden. Ich hatte meine Geburtstagsfeier schon Wochen vorher angekündigt, und ich hab mich trotz allem sehr darauf gefreut. Ich ignorierte ihn, und das war auch nicht allzu schwer. Er hielt sich mit seinen ‚Jüngern’ am anderen Ende des Raumes auf, und ich denke, meine Blicke gaben ihm deutlich genug zu verstehen, dass er dort auch bleiben sollte.“

Sofort spürte ich wieder diese Hilflosigkeit und Wut in mir, die Scham, die ich bei seinem ‚Gag’ empfunden hatte. Würde er das heute noch einmal mit mir machen, würde ich ihn wegen sexu­eller Belästigung anzeigen, soviel stand fest. Zumindest würde ich ihm eine scheuern, um mir das letzte Bisschen Würde zu wahren.

Auch wenn ich ihm durch meine letzte Nachricht gestern unmissverständlich klargemacht hatte, dass er mir den Buckel runterrutschen konnte, wurde ich das ungute Gefühl nicht los, dass die Angelegenheit noch nicht beendet war.

Alleine die Aussicht auf eine weitere Unterhaltung mit ihm brachte mich so in Rage, dass ich am Laufband rannte wie noch nie zuvor. Isa versuchte zwar noch die ersten Minuten, auf mich einzureden, aber, als sie merkte, dass ich auf ihre Versuche, mich zu bremsen, nicht einging, joggte sie in ihrem Tempo weiter und setzte ihre Kopfhörer auf. Nur hin und wieder warf sie mir einen skeptischen Blick zu.

Isa, die ihren vollen Namen hasste wie die Pest („Ich hab mit der Twilight-Tante rein gar nichts gemeinsam! Und dieses ‚Ciao Bella‘ kann ich sowieso nicht mehr hören!“), kannte mich wahrscheinlich besser als ich mich selbst. Seit ich vor acht Jahren meinen ersten Arbeitstag in der Linzer Kunst & Partner Verlagsgesellschaft hatte, sitzt sie im Nebenbüro.

Wir liefen uns das erste Mal bei der Kaffeemaschine über den Weg. Ab dem Moment, wo ich der knapp ein Meter achtzig großen Blondine in die blauen Augen sah, wussten wir beide, dass wir ei­nander ergänzten. Wir waren zwei wandernde Seelen auf der Suche nacheinander, und in diesem Moment hatten wir uns gefunden. Sie war sozusagen meine zweite Hälfte, die ich brauchte wie die Luft zum Atmen. Würde ich auf Frauen stehen, wären wir womöglich längst ein glückliches Paar.

Nach vierzig Minuten Dauerlauf schleifte ich mich komplett erledigt unter die Dusche. Ich stellte mich unter den heißen Strahl, schloss die Augen und bewegte mich nicht mehr.

„Lust auf eine Runde shoppen?“ Isa streckte ihren Kopf von der Nebenkabine zu mir herüber, die Haare voll Shampoo, einen Nassrasierer unter ihrer Achsel.

„Ich weiß auch nicht, irgendwie bin ich überhaupt nicht in Stimmung.“

„Ach komm schon, lass dir jetzt von dem Jungen nicht den Tag vermiesen. Ich bin so froh, dass du die Geschichte mit Georg abgeschlossen hast, da brauchst du jetzt nicht wegen dem nächsten Idioten den Kopf in den Sand stecken. Lass uns Geld ausgeben“, zwinkerte sie mir zu.

Ich konnte nicht anders, ich musste grinsen.

Wenn jemand ordentlich shoppen konnte, dann Isa. Mit ihren sechsunddreißig Jahren hatte sie eine Figur wie eine Zwanzig­jährige, und dementsprechend kleidete sie sich auch. Und ihr stand der Stil wirklich fabelhaft. Dass jedes Monatsende ihr Bankkonto zu ächzen begann, kümmerte sie wenig. Wurde es mit dem Geld knapp, aß sie weniger und trank mehr Tee. Isa schwor seit Jahren auf diese „Diät“.

„Von dem Jungen? Du weißt aber schon, dass Julian heute kein Teenager mehr ist, oder?“, versuchte ich noch ein weiteres Ablenkungsmanöver.

„Klar, heute ist er kahlköpfig, mit Bierbauch und hat voll hässliche Knasttattoos.“

Die Vorstellung ließ mich lauthals lachen. „Okay, du hast gewonnen. Wo soll’s zuerst hingehen?“

Als ich mich völlig erledigt auf meine Couch fallen ließ, hatte ich ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich streifte meine Schuhe ab und streckte alle viere von mir. Zum Glück hatte ich heute Morgen meine Ballerinas angezogen – mit High Heels wäre ich mit Sicherheit gestorben. Auch wenn die Liegeposition gerade äußerst bequem war, begann ich, meine Fußsohlen fest zu massieren. Denn zusätzlich zu meinen acht Kilometern am Laufband hatten wir geschätzte zehn in der Innenstadt zurückgelegt. Morgen würde ich mit Sicherheit einen gewaltigen Muskelkater haben.

Isa versuchte mich während unseres Mittagssnacks beim Italiener zu überreden, mich mit ihr ins Nachtleben zu stürzen („Komm schon, heute ist Samstag, da muss man raus. Du kannst doch als Single nicht in deiner Wohnung versauern! Abgesehen davon musst du unbedingt das sexy Kleid ausführen, das du eben ergattert hast!“), aber ein kurzer Blick in mein finsteres Gesicht und ein leises knurrendes Gurgeln aus meiner Kehle genügten, sie davon zu überzeugen, dass das für mich heute definitiv nicht infrage kommen würde.

Jedenfalls hatte ich dank Ausdauertraining und Shoppingmarathon ausreichend Kalorien verbrannt, um mich mit der restlichen Flasche Chardonnay und einer Packung Chips zu belohnen. Das Ganze in Kombination mit der dritten Staffel meiner Lieblingsserie würde dem Tag den krönenden Abschluss verleihen.

Doch meistens kommt es anders, als man denkt, oder wie heißt es doch so schön? Ich hätte es einfach ignorieren sollen, doch das leise „Pling“ ließ meine Laune innerhalb einer Sekunde auf den Nullpunkt zurasen. Angestrengt versuchte ich, dem rhythmischen Blinken der kleinen LED keine Beachtung zu schenken. Aber es hätte ja sein können, dass mir einer meiner knapp zweihundert Facebook-Freunde eine wichtige Nachricht geschickt hatte.

Klar …

Wenn ich nur nicht von Natur aus so neugierig und ungeduldig wäre, dann hätte ich es geschafft, nicht sofort aufzuspringen und nach dem Smartphone zu greifen. Aber in der Hinsicht bin ich einfach unverbesserlich – wie ein kleines Kind, das auf das Christkind wartet.

Verärgert über mich selbst, verdrehte ich die Augen. Dann atmete ich tief durch und löste die Tastensperre.

Ich hätte nicht einmal nachsehen müssen, wer der Absender der Textnachricht war – mein Herzschlag und meine zittrigen Hände verrieten es mir, bevor ich seinen Namen las.

Julian König:

Autsch, das hat gesessen. Offensichtlich hab ich Dich weit mehr verletzt, als ich dachte. Ein Grund mehr, es wiedergutzumachen. Jana, bitte, gib mir diese letzte Chance. Ich möchte mich ent­schuldigen, während Du mir dabei in die Augen siehst, damit Du weißt, dass ich es ernst meine. Klar, ich hab jede Verachtung von Dir verdient, aber ich hab auch ein Recht darauf, dir alles zu erklären. Bitte, sag jetzt nicht Nein! Gib mir die Chance!

Ich weiß nicht, woran es lag. War es der Wein oder die Erschöpfung? Oder seine Worte, die ein warmes und zugleich trauriges Gefühl in mir auslösten? Ich empfand doch tatsächlich Mitleid mit ihm! Über mich selbst erstaunt, schüttelte ich den Kopf und tippte meine Antwort:

Jana Sommer:

Morgen, 15:00 Uhr im Café Au Lait. Sei pünktlich – ich warte nicht auf Dich!

Irgendwie gab es mir ein Gefühl der Überlegenheit, dass ich Ort und Zeit bestimmen konnte. Das beruhigte mich etwas. Und das Café Au Lait wählte ich, weil es mein Lieblingscafé war.

Sonntagnachmittag ist es zwar immer voll (was nicht von Nachteil war, da ich mich auf gar keinen Fall mit ihm an einem ruhigen Ort treffen wollte), doch ich fühlte mich dort wie zu Hause, was nicht nur an Marco, dem Besitzer, lag. Er war ein guter Freund von Isa und mir. Vor drei Jahren hatte meine Freundin ein kurzes Techtelmechtel mit dem großen, dunkelhaarigen Muskelpaket, doch seine Arbeitszeiten standen einer längeren Beziehung im Weg.

Auch wenn es für die beiden kein Liebesglück gab, so waren wir drei seit damals gut befreundet, trafen uns dienstags, donnerstags und samstags im Fitnessstudio und besuchten ein- bis zweimal im Jahr ein Rockkonzert miteinander. Außerdem servie­rte er die besten Erdbeer-Creme-Schnitten der Umgebung – für diese Kalorienbomben würde ich einen Mord begehen.

Und wo wir gerade bei Mordgelüsten waren …

Julian König:

Danke! Du wirst es nicht bereuen. Klar bin ich pünktlich. Ich freu mich schon auf Dich! Schönen Abend noch, bis morgen! :-)

Na, das hoffe ich doch für ihn! … Stirnrunzelnd legte ich das Smartphone auf den Tisch und lehnte mich wieder zurück. Ich konzentrierte mich krampfhaft auf den Fernseher und hoffte, dass mich Carrie und ihre drei Freundinnen von dem morgigen Treffen ablenken würden, aber meine Gedanken schweiften ständig wieder ab. Schließlich schaltete ich den Fernseher aus.

Julian ließ mir keine Ruhe. Ich griff noch einmal nach meinem Smartphone und las die Unterhaltung erneut. Dass sich dabei wieder ein warmes Gefühl in meiner Magengegend breitmachte, verwirrte mich.

Vielleicht sollte ich Marco bitten, mir den Tisch in der kleinen Nische neben der Theke zu reservieren. So würde ich das Kraftpaket zu meiner eigenen Sicherheit in unmittelbarer Nähe haben und wäre außerdem vor den Blicken der meisten Gäste geschützt, falls es zu einer kleinen Szene kommen sollte. Und auf die sollte sich Julian gefasst machen, falls er es sich nur eine Sekunde erlauben sollte, mir blöd zu kommen.

Nach einem kurzen Telefonat mit Marco war alles geklärt.

Er wird mich garantiert nicht aus den Augen lassen, und wenn er eine zusätzliche Kraft ins Café bestellen muss, um auf mich aufzupassen.

Als Nächstes beschloss ich, schon mal die Kleidung für morgen auszuwählen. Es lag mir fern, mich hübsch für Julian König zu machen, denn ich wollte absolut nicht, dass er auf mich abfahren und ich ihn dann womöglich nicht mehr los werden würde. Mein Äußeres sollte ihm signalisieren: Achtung, das ist eine selbst­bewusste, unabhängige Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht und weiß, was sie will!

Stundenlanges Styling war grundsätzlich nichts für mich. Das morgendliche Aufhübschen erledigte ich normalerweise in

zwanzig Minuten – inklusive Duschen. Ebenso rasch funktio­nierte bei mir das Shoppen: Ich arbeite mich im Schnelldurchgang von einem ans andere Ende des Geschäftes durch, lade alles, was gefällt, auf meinem angewinkelten Arm auf und suche mir dann eine Kabine. Rein, alles durchprobieren, ausselektieren, zahlen – fertig. Isa hatte dafür kein Verständnis.

Schnell hatte ich meinen Look fürs morgige Treffen gefunden: meine neue Jeans im Destroyed-Look, dazu mein sonnengelbes Baggy Shirt mit einem Print der britischen Flagge, darunter ein enges, leuchtend blaues Trägertop. Bei den Schuhen schwankte ich noch zwischen meinen schwarzen Ballerinas und den silber­grauen High Heels mit Keilabsatz, doch diese Entscheidung würde ich morgen spontan treffen.

Meine Haare würde ich offen lassen und meine Augen dezent mit etwas Mascara und Kajal in Szene setzen.

Nun, da ich diesen Punkt für mich erledigt hatte, legte sich meine Aufregung etwas. Nur das ungute Gefühl im Magen blieb. So, als hätte ich morgen ein Vorstellungsgespräch für eine Stelle, die ich unbedingt haben wollte, bei der ich aber schon im Vorhinein wusste, dass ich keine Chance haben würde. Bei diesem Gedanken zuckte ich zusammen. Welch ein Unsinn! Ich wollte doch keine Stelle bei ihm, keinen Platz in seinem Leben einnehmen, ich wollte lediglich das Gespräch hinter mich bringen und ihn dann ein für alle Mal aus meinem Leben streichen.

Genauso, wie ich es bei Georg geschafft hatte.

Endgültig!

Schlaflos tigerte ich in meiner Wohnung auf und ab. Der Gedanke, ihn morgen nach so langer Zeit wiederzusehen, machte mich fertig. Ständig überlegte ich, wie unser Zusammentreffen verlaufen könnte, was er mir sagen würde. Ich war fest davon überzeugt, egal, was es sein würde, meine Einstellung bliebe unverändert – er war ein hinterhältiges Arschloch.

Ein Gedanke beruhigte mich: Wahrscheinlich war er nicht mehr so anziehend wie als Teenager. Ich erinnerte mich an Isas Überlegungen zu seinem Äußeren und musste grinsen. Falls er sich wirklich die letzten Jahre hatte gehen lassen und sich zum Negativen verändert hatte, dann würde ich neben ihm umso mehr glänzen. Diese Vorstellung gab mir ein sicheres Gefühl.

Kritisch betrachtete ich mich im Spiegel. Meine Figur war zwar nicht perfekt, aber ich war ziemlich zufrieden mit meinem Äußeren. Ich hatte typische weibliche Rundungen – „Titten und Arsch“, wie mir mal ein Mann galanterweise sagte (ob das nun ein Kompliment gewesen sein sollte, das sei mal dahingestellt). Auch der restliche Körper war halbwegs herzeigbar (woran ich ja auch dreimal die Woche im Fitnessstudio arbeitete). Ich trat etwas näher an mein Spiegelbild heran. Wenn auch mein Gesicht nicht wirkte, wie aus einem Modemagazin geschnitten, so wie das von Isa, fand ich es doch hübsch. Ich fuhr mit meinen Fingern durch die stufig geschnittenen, leicht naturgewellten Haare. Mit ihrem kräftigen Braunton bildeten sie einen schönen Rahmen um mein Gesicht. Meine Haut wirkte dank gelegentlichem Solarium und Sonnenbaden nicht mehr kränklich blass wie in der Schulzeit, sondern hatte einen schönen goldenen Ton. Ich gefiel mir, und das gab mir weitere Sicherheit.

Wenn ich also davon ausging, dass er sein gutes Aussehen von früher verloren hatte … Okay, in diesem Fall würde ich ihm wahrscheinlich alleine optisch gesehen haushoch überlegen sein. Ich zwinkerte meinem Spiegelbild zu. Es würde ein Leichtes sein, ihn in Grund und Boden zu reden und ihm ein für alle Mal klar zu machen, dass er sich ab sofort von mir fernhalten sollte.

Diese Überlegung versetzte mich in einen richtigen Höhenflug, und meine Unsicherheit verflüchtigte sich wie Rauch im Wind. Ich wurde richtig euphorisch, schaltete meine Anlage ein und tanzte wild zur Musik – ich fühlte mich einfach herrlich.

Ruckartig blieb ich stehen. Mit großen Augen blickte ich mein Spiegelbild an und klatschte mir mit der Hand auf die Stirn. Ich wirbelte herum und rannte ins Wohnzimmer zurück, wo auch mein Laptop lag. Die Freundschaftsanfrage! Wenn ich die bestätige, hab ich Zugriff auf seine Bilder! Dann könnte ich mich vergewissern. Mein Herz klopfte hart gegen meinen Kehlkopf, als ich sie akzeptierte und auf sein Profil klickte.

2Erinnerungsstücke

Was für eine Enttäuschung! Hätte ich die Anfrage nicht an­genommen, wäre ich genauso schlau geblieben. Bis auf sein wenig aussagekräftiges Profilbild hatte er keine Fotos hochgeladen. Seine neunundzwanzig Freunde waren mir alle unbekannt. Laut seiner Chronik war er erst vor einigen Monaten Mitglied geworden. Er hatte in dieser Zeit nichts gepostet, nur vor knapp einem Monat gratulierten ihm einige zum Geburtstag à la „Alles Gute, alter Mann :-P“. Die Gruppen, die er geliket hatte (TV-Serien, Regisseure, Musiker …), gaben mir genauso wenig verwertbare Infos über ihn wie der Rest seines Profils. Frustriert ließ ich mich in die Kissen zurücksinken.

Zu meiner Enttäuschung gesellte sich der Ärger über mich selbst, da er jetzt ebenso mein Profil durchforsten konnte, und das war nun wirklich eine wahre Ansammlung von Informationen über mich. Unzählige Fotos von den Streifzügen gemeinsam mit Isa durch das Linzer Nachtleben. Bilder von meinem Wohnzimmer, die neue Couch, mein Kleiderschrank. Und natürlich ich in allen möglichen und unmöglichen Posen. Na toll.

Ja und? Ich gehörte nun mal zu den Menschen, die gern übers Internet ihr Leben mit der ganzen Welt teilten.

Ein kurzer Blick auf die Chatleiste verriet mir, dass Julian gerade online war.

---ENDE DER LESEPROBE---