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Susanne Fröhlich

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Beschreibung

ZURÜCK AUF LOS! Single sein ist gar nicht so toll. Also los, denkt sich Andrea, die sich nach über 16 Ehejahren von Christoph getrennt hat. Vielleicht muss doch ein neuer Mann her. Und ein paar Kandidaten gibt es ja auch schon! Aber Andrea ist ganz aus der Übung – wie ging das noch mal mit dem Daten? Mit viel Humor, Witz und Fingerspitzengefühl begleitet Susanne Fröhlich Andrea Schnidt in die Welt des Flirtens und stellt dabei fest: Meistens kommt es doch ganz anders als man denkt!

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Susanne Fröhlich

Aufgebügelt

Roman

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Inhalt

I hate writing, I [...]12345Danksagung

I hate writing, I love having written.

Dorothy Parker

 

Für all meine Freundinnen –

Ihr macht mein Leben richtig schön!

1

»Moin, Andrea! Hör ma, des is mer jetzt irschendwie peinlich, aber isch muss dich ema was frage«, begrüßt mich Rudi in meiner Küche.

Seit Christoph ausgezogen ist, gehört das tägliche gemeinsame Frühstück zu unseren festen Ritualen. Kaum sind die Kinder aus dem Haus, setzen wir uns noch mal hin und versuchen, so einigermaßen entspannt in den Alltag zu starten.

»Du weißt doch, du kannst mich fragen, was immer du willst!«, antworte ich und schmiere mir eine hauchdünne Schicht Nutella aufs Brot.

Ich liebe Nutella und vor allem Nutella mit Butter drunter. Das ist der Nachteil an unserem morgendlichen Meeting. Früher habe ich ganz aufs Frühstück verzichtet und so wenigstens die Kalorien am Morgen eingespart.

»Also des is, wie schon gesacht, also irschendwie unangenehm, aber isch weiß net, wen isch sonst frache könnt!«, startet mein Schwiegervater einen erneuten Anlauf. Das ist typisch für Rudi, er macht gerne ein riesiges Bohei um jedes Thema.

»Frag halt!«, sage ich und schmiere mir schon die nächste Scheibe Toast.

Wer um alles in der Welt hat bloß das Toastbrot erfunden? Man isst und isst und isst und hat trotzdem das Gefühl, gar nichts gegessen zu haben.

»Rudi, ab morgen essen wir Vollkornbrot oder Müsli mit Obst«, entscheide ich, denn wenn das so weitergeht, hat mein Körper bald auch die Konsistenz eines Toastbrots, weiß und wabbelig, und sollte ich ihn tatsächlich doch noch mal zum Einsatz bringen – ein sehr heikles Thema, nebenbei bemerkt –, wäre mir das extrem unangenehm.

»Eier mit Speck wärn mir liebä, aber von mir aus auch Müsli. Körner solle ja gut sein. Isch muss misch ja fit halte! Grad jetzt. Aber zurück zu dem annern Thema. Also, Andrea, es geht dadrum … Ach, isch sachs jetzt einfach emal grad heraus: Hast du schon ema was mit Handschelle gemacht?«

Habe ich das jetzt richtig verstanden? Handschellen? Mein Schwiegervater, der Vater meines Ex, fragt mich nach Handschellen?

»Rudi, hast du gerade Handschellen gesagt?«, frage ich zur Sicherheit noch mal nach und habe so auch einen kleinen Moment, um meine Fassung wiederzuerlangen.

Mein Schwiegervater hat einen knallroten Kopf, kann mir nicht in die Augen schauen, aber er nickt eindeutig.

»Ja hab isch! Handschelle!«, platzt es aus ihm heraus.

Ich ahne, was er meint, will es aber doch noch mal genau wissen: »Das hat aber jetzt nichts mit Polizei, Verhaftung oder Ähnlichem zu tun, oder?«, stammle ich, um ein wenig Zeit zu gewinnen. Natürlich ist mir völlig klar, dass Rudi keineswegs irgendwas in dieser Richtung meint. Wir kennen uns ja schon ein bisschen länger, und wenn ich eine kriminelle Ader hätte und schon mal verhaftet worden wäre, wüsste er das längst.

»Nee. Handschellen und … Na ja, also beim Sex halt!«, erklärt er mir.

Mittlerweile ist Rudis Kopf so knallrot, dass ich schon Angst um seinen Blutdruck bekomme. Nicht dass der mir hier beim Frühstück einen Schlaganfall kriegt! In meinem Kopf beginnen sich unangenehme Bilder zu tummeln: Mein Schwiegervater an die Heizung gekettet und bis auf die Handschellen splitterfasernackt. Oder an die Bettpfosten. Eventuell auch Hände auf dem Rücken. Ich versuche, sofort diese scheußlichen Gedanken zu verdrängen.

Rudi interpretiert mein Schweigen anders: »Isch hab’s dir doch gesacht, es is peinlisch, aber wen soll isch dann sonst frage?«

Ja, es ist peinlich, aber es ist noch mehr als das. Mein Schwiegervater in den Siebzigern fragt mich nach Handschellen, und ich im besten Endvierziger-Alter habe seit Jahren weder mit noch ohne Handschellen irgendwas getrieben, was im weitesten Sinne mit Sex zu tun hat. Um ganz ehrlich zu sein, in den letzten vier Jahren meiner Beziehung lief auch nicht viel. Ich bin also fast fünf Jahre raus aus dem aktiven Geschehen – jedenfalls in dieser Hinsicht.

»Bist du jetzt sauer, Andrea?«, unterbricht Rudi meine Gedanken und macht sein Hau-mich-nicht-ich-habe-es-doch-nicht-so-gemeint-Gesicht.

Natürlich bin ich nicht sauer. Wieso auch? Eher maßlos erstaunt. Wie kommt Rudi bloß auf eine solche Idee? Gehört das etwa mittlerweile zum Sex-Basisprogramm? Kann sich in ein paar Jahren so viel verändert haben? Gab’s so was früher nicht doch eher nur in ganz bestimmten Kreisen? Abteilung Sadomaso? Fetisch und Co?

»Was willst du denn mit Handschellen? Man kommt doch auch ohne im Bett ganz gut zurecht!«, frage ich vorsichtig.

»Ach, isch bin gar net heiß auf Handschellen und so ’nen Kram, aber die Irene hat so was angedeutet, die hat da so ein Buch gelese und deshalb will se des ach ma ausprobiern!«

Mir dämmert es. Was wird Irene wohl gelesen haben? Shades of Grey wahrscheinlich. Den Mega-Bestseller, den mir meine Nachbarin Anita zum letzten Geburtstag geschenkt hat. Und weil alle wie verrückt geschwärmt haben, immer mit leicht entrücktem Gesicht und einem frivolen Grinsen, habe ich das Buch natürlich auch artig gelesen. Ich war, ehrlich gesagt, ein bisschen enttäuscht. Braves, junges Ding, Studentin – klar! – aber natürlich auch bildschön, selbstverständlich noch ohne jegliche sexuelle Erfahrung, ganz unberührt, lernt durch Zufall unglaublich reichen Milliardär kennen, der aufgrund seiner traumatischen Vergangenheit nichts mit Blümchensex (Das ist dann wohl die Bezeichnung für das, was naive Menschen wie ich so treiben) anfangen kann und sie als devote Gespielin will – nach seinen Regeln …

Es gibt ordentlich Sex, ab und an mal was auf den Po, die ein oder andere Handschelle, Tücher, Reitgerten, Vibratoren und vieles mehr. Na ja, aber umgeworfen hat es mich nicht. Und mit meinen Phantasien hat es auch eher wenig zu tun. Der Gedanke, dass mir jemand den Hintern versohlt, so dass ich am nächsten Tag kaum mehr sitzen kann, ist mit meiner Idee von Erotik irgendwie nicht kompatibel. Ich bin und bleibe spießig, obwohl bei genauem Hinsehen Shades of Grey selbst irrsinnig spießig ist. Eigentlich eine Art Märchen, denn die Geschichte wäre weitaus weniger spektakulär, wenn der Milliardär ein Klempner wäre, als Geschenk kein schickes Auto, sondern einen Strauß Blumen von der Tanke mitbringen und in einer Zweizimmerwohnung hausen würde.

»Du meinst bestimmt dieses Shades of Grey«, sage ich zu Rudi, und wieder nickt er nur.

»Sie hat es mir mitgegebe, damit isch mich in die Materie einarbeite kann, aber ma ehrlich, Andrea, so was hat die Inge nie gewollt. Bei uns war alles, na ja, halt mehr so normal. Oft, aber normal. Was mer halt so macht, gell. Isch weiß schon ma net, wo mer überhaupt Handschelle und so was kaufe kann.«

Oh, bitte, jetzt keine Details aus dem Sexleben meiner verstorbenen Schwiegermutter und Rudi. Da geht es mir wie meinen Kindern, man will sich Eltern einfach nicht beim Kamasutra vorstellen. Ich möchte weder über Stellungen noch über Frequenz diskutieren. Eltern sind irgendwie geschlechtslos und sollten das bitte auch bleiben.

»Keine Details, Rudi!«, sage ich deshalb schnell, bin aber doch ein bisschen neugierig und frage gleich nach: »Wer soll denn die Handschellen tragen, du oder deine Irene?«

 

Irene ist Rudis neue Freundin. Hätte mir jemand noch vor einem Jahr gesagt, dass Rudi mal eine Freundin haben würde, hätte ich nur gelacht. Rudi hat so wahnsinnig um seine Frau getrauert, eine neue Bindung schien völlig unvorstellbar. Aber da sieht man es mal wieder. Männer sind nun mal nicht gern allein. Doch dass ausgerechnet Rudi sich so schnell wieder verlieben würde, hätte ich nie gedacht. Davon mal abgesehen ist Rudi wirklich vieles, aber sicherlich nicht besonders attraktiv. Und auch keine irrsinnig gute Partie. Er hat eine ganz ordentliche Rente, aber keineswegs spektakulär, ist nicht gerade groß und hat kaum mehr Haare auf dem Kopf. Er ist definitiv ein liebenswürdiger und großherziger Mann, aber keiner, der auf den ersten Blick viel hermacht. Rudi hat seine Irene im Kochkurs kennengelernt und sich quasi schockverliebt. Auch sie ist, wie Rudi, verwitwet. Laut Rudi ist Irene fast wie seine Inge. Als die beiden anbändelten, war ich zugegebenermaßen ziemlich skeptisch.

Aber Rudi hat mich mit seiner Verliebtheit überzeugt. »Isch hab die Irene aanfach sehr lieb, die is e wunderbare Frau un hat en riesisches Herz! Un ma ehrlisch, so groß is die Auswahl für mich ach net mehr!«

Da ist natürlich argumentativ was dran. Als ich die beiden das erste Mal gemeinsam erlebt habe, war mir klar, was Rudi so an Irene gefällt. Sie ähnelt seiner Inge, ist klein, rundlich und lieb. Ich gönne ihm sein neu gewonnenes Liebesleben durchaus, aber irgendwie hat mich seine Verliebtheit auch enttäuscht. Ich dachte, er sei der Typ für die eine, wirklich große Liebe, die auch den Tod überdauert und keinen Raum für eine neue lässt. Ich weiß, das klingt ein wenig pathetisch, aber es hätte halt etwas Tröstliches gehabt. Dass da jemand ist, sogar ein Mann, der so unbeschreiblich stark lieben kann – das hätte mir gefallen. Rudi sieht das wesentlich pragmatischer.

»Mer kann jemand Neues lieben, ohne die alte Liebe zu verraten. Die Irene is net die Inge, des weiß isch, des seh isch, des spür isch, un es is trotzdem gut. Es tut mer gut. Isch verkümmer sonst.«

 

Um mir besser unter die Arme greifen zu können, hat Rudi kurz vor Christophs Auszug angefangen, regelmäßig einen Kochkurs der Volkshochschule zu besuchen. »Wenn de net da bist, Andrea, da kann isch den Kindern doch ebe mal was Scheenes zu esse mache!«

Eine Geste, die mich damals unglaublich angerührt hat. Rudi und ich sind ein ausgesprochen gutes Team. Wir haben uns einfach gern. Trotzdem war ich verwundert, als er beim Auszug seines Sohnes darauf beharrt hat, bei mir zu bleiben. Christoph auch. Er konnte es kaum fassen. Aber Rudi war entschlossen: »Die Andrea kann mich jetzt werklisch brauche, un wenischstens weiß isch, wohin isch gehör!« Das war für Rudis Verhältnisse eine ziemlich drastische Aussage. Christoph hat sich gefügt. Was blieb ihm auch anderes übrig. Ich glaube aber auch nicht, dass er ernsthaft mit seinem Vater allein in einer Männer-WG wohnen wollte, trotzdem war er ein bisschen beleidigt.

 

Seit ziemlich genau einem Jahr lebt Christoph nun in der früheren Wohnung von Rudi und Inge. Die ersten Wochen hat er tatsächlich in seinem alten Kinderzimmer verbracht. Mittlerweile hat er sich aber neu eingerichtet. Das weiß ich alles nur aus zweiter Hand, von meinen Kindern. Ich selbst habe wenig Lust, die Wohnung zu betreten. Warum auch? Schließlich bin ich nicht mehr zuständig. Weder fürs Putzen noch für die Deko. Für gar nichts mehr. Das alles ging sehr viel schneller, als ich mir hätte vorstellen können. An sich war der Auszug auch nur als Übergang gedacht, als Bedenkzeit sozusagen – wir wollten mal sehen, wie es sich entwickelt. Trennung zur Klärung. Aber auch befristet gedachte Arrangements können sich zeitlich verselbständigen. Christoph hat am Anfang noch ab und an davon gesprochen, was wir ändern könnten, wie unser Leben wieder in die Bahn kommen könnte. Sein Ausdruck: »In die Bahn.«

Warum gerade in die Bahn, habe ich nur gedacht, genau die hat mich doch immer gestört: die Bahn! Bahn klingt eingefahren, und genau das war es auch, was mich verrückt gemacht hat – diese Gleichförmigkeit, dieses Berechenbare und dadurch auch so unsagbar Langweilige. Nach gut drei Monaten war auch das Zurück-in-die-Bahn-Thema erledigt. Die neue Bahn, das Alleinleben ohne spürbare Verpflichtungen und vor allem auch ohne mich, schienen Christoph zu gefallen. »Lass uns abwarten!«, hat er entschieden.

Nur worauf warten? Auf eine Eingebung, einen plötzlichen Hormoneinschuss oder auf die große Rückbesinnung? Seitdem ist mein Herz irgendwie leer. Nicht, wie man immer sagt, schwer, aber leer. Das fühlt sich fast schlimmer an. In mir rührt sich so gar nichts.

 

Dabei war ich zu Anfang noch recht optimistisch. Sprüche wie: »Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine neue«, erschienen mir geradezu wegweisend. Vor allem, weil ich kurz vor unserer Trennung Herrn Reimer kennengelernt habe. Bastian, den Fußballtrainer meines Sohnes. Den großen, gutaussehenden Bastian, der mir so tatkräftig zur Seite gestanden hat, als es meinem Sohn schlechtging. Der mir ziemlich unverhohlen seine Zuneigung zeigte. Der an meiner Seite war, als es Christoph, mein Mann, hätte sein müssen. Bastian, mein Hoffnungsschimmer am Horizont.

 

»Ja, Andrea, hat’s dir jetzt die Sprache verschlache, soll ich misch an jemand anneren wende? Es tut mer leid, wenn isch irschendwie indiskret war«, reißt Rudi mich aus meinen Erinnerungen.

»Nein, ist schon okay, also, es macht mir nichts aus. Ich war nur kurz ganz woanders mit meinen Gedanken, aber was das Thema angeht … Also, auf dem Gebiet hab ich leider keine Ahnung, oder zum Glück keine Ahnung«, antworte ich, während ich mir mechanisch einen weiteren Toast mit Nutella schmiere. Ab morgen wird dieses Haus eine toastbrotfreie Zone sein, heute kommt es dann auf eine Scheibe mehr oder weniger auch nicht mehr an. Es ist wirklich erstaunlich, mit wie wenigen Bissen man so eine Toastbrotscheibe verschlingen kann. Man könnte sie sich auch direkt mit der Nutella-Butter-Seite auf den Bauch oder wahlweise auf die Hüften drücken. Bei der Konsistenz würde sie wahrscheinlich mit dem Bauchspeck verschmelzen oder verwachsen. Dabei hatte ich in den ersten vier Monaten nach Christophs Auszug herrlich abgenommen. Einfach so, ohne Diät. Als würde ich eine Hülle abwerfen, Ballast. Aber der verdammte Speck ist sehr anhänglich. Wo er sich mal wohl gefühlt hat, will er wieder hin – und bei mir scheint es besonders schön zu sein. Momentan bin ich wieder kräftig am Aufspecken.

»Es tut mir leid, Rudi, da kann ich dir echt nicht helfen, mit diesem Handschellenkram. Probier es einfach aus, und dann, wenn du magst, erzählst du mir davon, damit ich mal was lerne! Und mal ehrlich, du musst doch auch nichts machen, was du nicht willst«, gebe ich mir Mühe, meinen Schwiegervater zu beruhigen. Er nickt, und nach und nach nimmt sein Kopf wieder eine normale Farbe an.

 

Ich habe heute frei – na ja, soweit man einen normalen Tag mit zwei Kindern und einem Haushalt als frei bezeichnen kann.

»Soll isch heut für uns kochen?«, fragt mich Rudi.

Seit er seinen Kochkurs besucht hat, betätigt er sich gerne in der Küche, und zu meinem Erstaunen kann der Mann, der früher kaum ein Frühstücksei kochen konnte, die dollsten Gerichte zubereiten. Man sieht: Lernfähig sind selbst Männer – und das sogar noch in hohem Alter.

»Vielleischt könntest de mer im Geschezug mein gutes Hemd uffbüscheln, des is so angeknittert, aber noch zu gut zum Wasche!«

Aufbügeln! Was für ein antiquierter Ausdruck. Ich gehöre auch mal aufgebügelt, schießt es mir durch den Kopf, aber ich verspreche Rudi, mich um sein Hemd zu kümmern.

Wir sind heute Nachmittag eingeladen. Die ganze Familie. Also das, was an Kernfamilie davon übrig ist. Die Kinder und ich. Auch Rudi darf mit. Von Bastian. Genauer gesagt, von Bastians Eltern.

Und das kam so: Ich habe Bastian ab und an gesehen. Ganz harmlos. Schon allein deshalb, weil mein Sohn bei ihm in der Mannschaft kickt. Da Mark allerdings seit geraumer Zeit nicht mehr ganz so regelmäßig zum Training geht, sondern lieber ’ne Runde chillt, was nichts anderes bedeutet als rumzuliegen, haben Bastian und ich uns eher selten getroffen und dann auch nie mehr als nur ein paar nette Worte gewechselt. Aber er hat nicht lockergelassen, mir immer mal wieder eine SMS geschickt und um eine Verabredung gebeten. Vor vier Wochen habe ich ihn dann schließlich erhört. Habe endlich auf seine Dateanfrage geantwortet und zugesagt. Mir hat seine Beharrlichkeit gefallen. Und seine verständnisvolle Art. Das hat mir geschmeichelt und gutgetan.

Nach der Trennung war ich irgendwie so gar nicht in der Stimmung, direkt wieder ins Flirtgeschäft einzusteigen, und er konnte das verstehen. Du musst nichts überstürzen oder erklären, ich bin ein geduldiger Mann!, war eine seiner SMS-Antworten.

 

Im letzten Jahr ist einfach zu viel auf mich eingeprasselt. Zum einen die täglichen Anrufe meiner Mutter mit der immer gleichen Leier: »Andrea, du bist ja komplett verrückt geworden. Man wirft eine Ehe nicht einfach so weg, das wirst du bitter bereuen! Da draußen läuft viel Elend rum, aber der Christoph hat einen ordentlichen Beruf, der verdient gut, der kann euch ernähren – und jetzt machst du aus einer Laune heraus so einen Quatsch! Was tust du den Kindern an? Willst du dich jetzt etwa selbstverwirklichen?« Zum andern die wohlgemeinten Ratschläge von all meinen Freundinnen, die zunächst ganz anders klangen, bei genauem Hinhören aber genau dasselbe meinten wie meine Mutter: »Toll, dass du so mutig bist, aber ich hätte mich das nie getraut! Aber man muss auch bedenken: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, denn es ist wahrscheinlicher, von einem Tiger gefressen zu werden, als wieder einen Mann zu finden. Der Christoph ist doch eigentlich kein schlechter Mann – er hat dich doch nicht geschlagen! Und Sex wird überbewertet. Na ja, es gilt doch der alte Spruch: In guten wie in schlechten Tagen. Jede lange Beziehung hat mal eine Durststrecke. In unserem Alter allein sein … Wer weiß, ob da jemals noch was kommt? Die guten Männer sind ja alle weg. Ich bewundere dich, aber ich kann nicht gut allein sein. Früher oder später kommt man doch immer an den Punkt … Die große Leidenschaft kann man halt nicht mehr erwarten. Mir würde diese Sicherheit fehlen …«

 

Alles in allem war das, was ich da zu hören bekommen habe, nicht wirklich ermutigend. Auf einen Nenner gebracht, lautete die Botschaft: Man darf die Truppe nicht unerlaubt verlassen. Selbst schuld, wenn man es doch tut – dann muss man halt mit den unerfreulichen Konsequenzen leben. Dabei hätte ich ein wenig Zuspruch gut brauchen können. Es ist ja nicht so, dass ich selbst hundertprozentig glücklich mit meiner Entscheidung war – oder bin. Ich bin zutiefst verunsichert, und es gibt Tage, an denen ich am liebsten sofort bei Christoph anrufen und ihn bitten möchte, zurückzukommen. Schon damit wieder alles seine Ordnung hat und ich mich nicht ständig fragen muss, ob meine Entscheidung nicht doch vorschnell, naiv und unbedacht war. Was habe ich schließlich auch erwartet? Wir waren nun mal kein frisch verliebtes Paar mehr. Die Zeit hinterlässt halt ihre Spuren. Die Leidenschaft macht die Flatter, und an ihre Stelle rücken andere Dinge. Aber Sicherheit? Wäre da ein Bausparvertrag nicht die bessere Lösung? Ich will Liebe, keine Sicherheit. Als Beigabe gerne, aber doch nicht als Hauptsache.

Und dummerweise weiß ich auch nicht, ob er überhaupt zurückkommen würde. Ich frage ihn gar nicht erst, schließlich ahne ich insgeheim sogar, dass er es nicht tun würde. Warum auch? Für ihn scheint es prima zu laufen. Das macht die Sache für mich nicht besser, eher im Gegenteil. Dass er, nachdem er erst so entsetzt schien, sich so schnell mit der »Situation« arrangiert hat, ist frustrierend. Ich hätte mir mehr Kampfgeist gewünscht, überhaupt den Willen, mich zurückzuerobern – aber nach nur knapp einem Monat war Christoph scheinbar zufriedener als zuvor.

 

Und jetzt ist da auch noch Sarah Marie. Sarah Marie ist die Neue meines Mannes. Christoph hat seit gut eineinhalb Monaten eine Freundin. Ich habe sie selbst erst einmal gesehen – von weitem –, aber die Kinder finden sie hübsch. Sehr hübsch sogar.

»Das hat mit uns nichts zu tun!«, hat mir Christoph nur knapp erklärt, als ich ihn auf Sarah Marie angesprochen habe. Eine wirklich ausgesprochen saublöde Behauptung. Mit wem denn sonst? Hat er kurzzeitig vergessen, dass er mit mir verheiratet ist? Als ich ihn daran erinnert habe, hat er nur mit den Schultern gezuckt. »Du wolltest die Trennung, Andrea. Jetzt musst du auch mit den Konsequenzen leben!«

Ich war fassungslos, schließlich wollte ich die vorübergehende Trennung nur, damit wir uns über unsere Situation klar werden. Uns neu positionieren, überlegen, was wir ändern könnten oder sollten.

»So was kommt von so was!«, hat meine Mutter meinen Wutausbruch am Telefon kommentiert. »Das war doch klar, dass ein Mann wie Christoph ganz schnell was Neues findet. So einen Mann lassen die meisten eben nicht laufen.«

»Danke, Mama!«, habe ich gesagt, mich vor noch größerer Wut gefragt, ob man auch Mütter zur Adoption freigeben kann, und aufgelegt. Man könnte meinen, sie sei Christophs Mutter. Mein Vater hat sich zu all den Entwicklungen noch gar nicht geäußert. Wahrscheinlich sieht er alles genauso wie meine Mutter, aber sollte er tatsächlich anders denken, würde er sich hüten, das im Beisein meiner Mutter auszusprechen. Risikoabwägung ist etwas, was er im Laufe seiner Ehe gelernt hat.

Selbst meine Tochter hat ein gewisses Verständnis für ihren Vater: »Er ist halt ein Mann, und du hast ihn nicht mehr gewollt!«, hat sie lapidar gesagt und dabei wie eine abgeklärte Mittfünfzigerin geklungen.

Sowieso habe ich den Eindruck, dass meine Tochter das Ganze nicht besonders interessiert. Sie ist so sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, dass für alles um sie herum kaum noch Zeit und Aufmerksamkeit bleibt. Claudia ist seit gut neun Monaten in einer festen Beziehung und steht meinem Eindruck nach kurz vor der Verlobung. Eigentlich steht sie kurz vor dem Abitur, aber das ist für sie momentan ganz offenbar komplett unwichtig.

»Ich geh eh nicht ins Ausland, und ich weiß auch nicht, ob ich später überhaupt arbeiten will!«, hat sie mir gegenüber mal so nebenbei bemerkt. Ich habe keine Ahnung, wovon sie dann später leben will – leider aber eine Idee.

Meine Tochter, bis vor kurzem noch Ehrenmitglied bei den Messies, ist spießiger, konservativer und kleinbürgerlicher geworden, als ich es je war. Und das will wirklich was heißen, denn ich bin auch nicht gerade eine Revoluzzerin! Seit sie mit Gustav Johannes liiert ist, dreht sich alles nur noch darum, Gustav Johannes und seinen Eltern, die sie inzwischen Ellen und Hans nennen darf, zu gefallen. Sie nimmt an Scrabble-Spieleabenden im Hause der von Hessges (mit der ganzen Von-und-zu-Sippe) teil, sie fährt mit ins Feriendomizil nach Südfrankreich, sie hat sich zu ihrem letzten Geburtstag Perlenohrstecker gewünscht, und wahrscheinlich betet sie jede Nacht darum, irgendwann als Fräulein Schwiegertochter am Heiligen Abend mit den von Hessges unterm Baum sitzen zu dürfen. Sie macht mir sogar Vorwürfe, dass ich sie nicht gezwungen habe, Querflöte oder Geige zu lernen. Fehlt nur noch ein Kashmere-Twinset!

Mark, mein Sohn, findet es »voll Scheiße« mit der Trennung, aber das ist auch schon alles, was er dazu zu sagen hat. Sarah Marie, übrigens gerade mal 31 Jahre alt, Christophs kleine Miezi, wie ich sie insgeheim nenne, mag er. Sie arbeitet bei Kaufhof-Sport und kann ihm günstig Turnschuhe besorgen. Mein Sohn denkt gerne praktisch – wenn er denn mal denkt. Und das scheint, ehrlich gesagt, nicht besonders oft der Fall zu sein. Meist kommt er mir ziemlich abwesend vor, so als wäre er zwar körperlich da, aber mit seinem Kopf sonst wo. Er ist mittlerweile über 1 Meter 85 groß und hat offenbar all seine Energie mit dem Wachsen aufgebraucht. Seine Hauptbeschäftigung deshalb: chillen.

Alles in allem fühle ich mich mit meinen Problemen doch ein wenig allein gelassen – das war jetzt sehr erwachsen ausgedrückt. Ich fühle mich nämlich zeitweise so richtig scheiße und könnte Sarah Marie ungespitzt in den Boden rammen, Christoph eine, oder gleich mehrere, knallen und meine Tochter durchschütteln, damit sie aus ihrem Hausmütterchentraum(a) an der Seite eines Von-und-zu wieder aufwacht. Dann würde ich meinen Sohn in seinen lethargischen Hintern treten und mich selbst am besten auch noch.

 

Aber zurück zu Herrn Reimer – Bastian. Tatsächlich bin ich also über meinen Schatten gesprungen und habe eingewilligt, ihn zum Essen zu treffen. Auch, weil Sabine, meine Freundin, der ich Bastian auf Facebook gezeigt habe, ihn echt lecker fand. Rein objektiv muss ich ihr recht geben. Bastian sieht gut aus. Aber ich war skeptisch. Jemand, der so toll ist und mich so toll findet – kann mit dem alles in Ordnung sein? Wieso will der mich, wo er doch bestimmt jede andere haben kann? Oder kann der keine andere haben? Spricht das jetzt alles für oder doch eher gegen ihn? Oder empfindet er vielleicht einfach nur Mitleid? Ich weiß, so zu denken, ist natürlich bekloppt und spricht auch nicht unbedingt für mein Selbstbewusstsein, aber trotzdem war mir das nicht geheuer. Da draußen laufen so viel tolle Frauen rum, was will der dann ausgerechnet von mir? Ich bin älter, habe Anhang und verbreite Chaos. Unter einer guten Partie versteht man jedenfalls was anderes.

 

Ein Date zu haben ist aufregend, aber in meinem Alter eben nicht nur. Gerade weil man nicht mehr die Jüngste und Unbedarfteste ist und die Aufregung sowieso schon von ganz allein kommt, erfordert es eine umfassende Vorbereitung und Planung. Man sollte ja für alle Eventualitäten gerüstet sein.

Aber was sind das für Eventualitäten? Auch das ist eine Frage, die man sich vorab stellen muss. Küssen? Wildes Knutschen? Mit oder ohne Fummeln? Trennt man das überhaupt noch so säuberlich wie früher? Noch mit zu ihm in die Wohnung? Sex? Und was davon würde mir gefallen? Wozu wäre ich eigentlich bereit? Kann ich es überhaupt noch? Was gehört inzwischen zum Standard? Kann man Sex verlernen?

All diese Fragen haben dazu geführt, dass ich fast kurzfristig abgesagt hätte. Allein der Gedanke, mal wieder Sex zu haben, also eventuell Sex zu haben … Einerseits ein wirklich schöner, erregender Gedanke, andererseits auch fast ein wenig beängstigend. Welche Ansprüche wird er stellen? Wird er Dinge tun wollen, die ich noch nie getan habe?

»Mach dich mal nicht so verrückt!«, hat meine lesbische Freundin Heike aus München das ganze Theater kommentiert. »Ein Körper ist ein Körper, er hat Öffnungen, und letztlich sind die Möglichkeiten dann doch beschränkt.«

Mal unter uns, das hat mich nicht wirklich beruhigt. Es gibt Öffnungen, also eine, um genau zu sein, die sollte nach meinem Geschmack privat bleiben, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Die nächste Frage: Darf man überhaupt am ersten Abend Sex haben? Allein diese Frage hat mich einen halben Tag lang beschäftigt.

Sabine, meine Freundin, findet, dass man alles tun darf, wozu man Lust hat. »Warum auch nicht! Wir werden ja nicht jünger. Man sollte die Gelegenheit ergreifen, wenn sie sich bietet! Bald sind wir im Seniorenwohnheim, und da wird’s mit der Auswahl an lebenden Männern wirklich eng! Mit anderen Worten, Andrea, so viel Zeit bleibt nicht mehr!«

Das Internet (ja man kann sogar solche Dinge googeln und findet Hunderte von Kommentaren!) meint, man solle mindestens drei Dates abwarten. Beim dritten darf man, aber noch besser ist es, bis zum fünften Date zu warten. Sonst gilt man ganz schnell als leicht zu haben, als Schlampe, als liederliche Person. »Wer sich zu schnell hingibt, muss damit rechnen, dass der neue Partner denkt, man würde das immer so machen!«, heißt es da, und »Wem etwas an seinem Ruf liegt, der muss sich erst einmal bedeckt halten!«

Wüsste ich nicht, dass meine Mutter sich nichts aus dem Internet macht, ich wäre mir sicher, die Kommentare stammten allesamt von ihr. »Willst du gelten, mach dich selten!«, habe ich meine gesamte Jugendzeit über gehört. Vielleicht war Bastian deshalb so ausdauernd – weil ich mich so gut wie nie gemeldet habe.

»Klar, die Beute wird umso interessanter, je schwerer sie zu jagen ist!«, behauptet auch Sabine. Ich halte dieses Getue für kindisch, aber anscheinend funktioniert es so.

»Spiele haben eben ihre Regeln, und wer erfolgreich spielen will, hält sich dran!«, ist eine weitere These von Sabine.

Ich habe mit Bastian gar kein Spiel gespielt. Ich war einfach nur zu verwirrt und angeschlagen wegen der dann doch plötzlichen Trennung und musste erst mal meine Wunden lecken, bevor ich mich in neue Abenteuer stürzen konnte.

 

Am Nachmittag vor dem großen Date war ich panisch. Gute Unterwäsche anziehen? Ja oder nein? Wenn ich gute Unterwäsche anziehe, ist das ja eigentlich schon eine Art Indiz. Das bedeutet doch quasi, dass ich gewillt bin, die Unterwäsche vorzuführen, und irgendwie auch damit rechne, die Unterwäsche zu präsentieren. Aber wenn der sieht, dass ich was Schickes drunter habe, wird er denken, dass ich geplant habe, mit ihm in die Kiste zu gehen. Denken Männer so was, oder denken die über so was gar nicht nach? Gehen die davon aus, dass Frauen, wie Rudi sagt, »unnerum« immer so gestylt sind?

Unterwäsche kann mit Sicherheit zur Verhütung beitragen! Du ziehst dich bestimmt nicht gerne aus, wenn du weißt, dass du untendrunter die Bauchweghose oder einen ausgeleierten, verwaschenen Slip anhast. Allein der Gedanke! Sollte ich also prophylaktisch besser mal was Labberiges anziehen? Eine alte, gemütliche Unterhose, die mir bis zur Taille reicht?

Ich entscheide mich dann doch für etwas Nettes. Allein schon fürs Gefühl. Für mein Gefühl! Aber nichts zu Aufreizendes. Ehrlich gesagt habe ich so was auch gar nicht in meiner Schublade. Schwarz mit leichter Spitze und Push-up.

Sabine ist für Rot. »Rot ist hammersexy! Rot ist ein ganz kleines bisschen vulgär und schreit ›Nimm mich!‹« Rot schreit! Will ich schreiende Unterwäsche? Was, wenn ich auf dem Weg zum Date einen Unfall habe und meine Unterwäsche dann den Notarzt anschreit? »Nimm mich«, anstelle von »Gib mir eine Bluttransfusion!«

»Auf keinen Fall weiß oder so Sportzeug aus Baumwolle. Das wirkt so keusch und brav. Aus dem Alter sind wir raus. Das geht vielleicht noch bei Teenies«, erklärt sie mir noch.

Ich muss ihr noch ein Foto simsen, und sie nickt mein schwarzes Ensemble ab. »Schwarz geht immer! Ist nicht rot, aber besser als fleischfarben. Auch irgendwie sexy. Gut, die Hose ist bisschen groß und ein String wäre schärfer, aber es wirkt erwachsen. Ach ja, und denk an Kondome! Sicher ist sicher.«

Noch ein Punkt auf der To-do-Liste. Was ist mit Verhütung? Seit Christoph ausgezogen ist, habe ich die Pille abgesetzt. Wozu ständig irgendwelche Hormone schlucken, wenn es gar nichts zu verhüten gibt? Aber Kondome in der Handtasche? Dagegen ist schreiende Unterwäsche ja schon fast diskret.

»Sind Kondome nicht Männersache?«, frage ich bei Sabine nach.

»Na ja, theoretisch schon, aber ein Kind wäre nachher vor allem deine Sache!«, stellt sie pragmatisch und logisch fest.

Ein Kind? Darüber habe ich noch überhaupt nicht nachgedacht. O mein Gott! Das wäre eine Art Zurück-auf-Los. Alles wieder von vorne. Schlaflose Nächte, auf Lego treten, »Das ist ein Auto« sagen und das ganze Programm. Ich finde Babys süß, aber wenn ich mir vorstelle, selbst noch mal eins zu haben, wird mir ganz anders. Allein der Gedanke ist schon unangenehm. Der womöglich einzig lustige Aspekt dabei wären die Gesichter meiner Kinder, wenn sie davon erfahren würden!

Eine Schwangerschaft ist allerdings nicht gerade wahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass die Fruchtbarkeit mit dem Alter abnimmt.

»Das wäre ja quasi ein Sechser im Lotto, wenn ich noch mal schwanger würde!«

»Der Teufel ist ein Eichhörnchen!«, sagt Sabine nur. Ich habe keine Ahnung, wo dieser Spruch herkommt, er scheint ja auch nicht wirklich Sinn zu machen, aber ich verstehe sofort, was sie damit meint.

Kondome in der Handtasche sind allerdings noch offensichtlicher als rote Unterwäsche. Kondome in der Handtasche zu haben heißt: Ich weiß, was ansteht, und ich bin vorbereitet. Ich kenne mich aus. Kondome in der Handtasche bedeuten: Allzeit bereit! Nimm mich!

Sabine beruhigt mich: »Die sieht doch keiner, bei Dates gibt’s ja keine Taschenkontrolle, und wenn du sie tatsächlich brauchst, was ich für dich hoffe, dann ist der schon so auf 180, dass er sich um deinen Ruf mit Sicherheit keine Gedanken mehr macht.« Das klingt einleuchtend.

Also gut, ich kaufe Kondome, beschließe ich.

Das sagt sich so leicht, aber wenn man wie ich einen Hauch verklemmt ist, will man nicht, dass die gesamte Nachbarschaft mitbekommt, was man da einkauft. Deshalb gehe ich auch nicht in die Apotheke um die Ecke, sondern in einen Drogeriemarkt. Vor dem Kondomregal bin ich verwirrt. Nimmt man jetzt XL in der Hoffnung, in jeder Hinsicht etwas Großes geboten zu bekommen (Ich weiß natürlich, dass das angeblich keine Rolle spielt. Aber alle Frauen, die schon mal Sex hatten, müssen zugeben, dass man das zwar behauptet, es aber definitiv gelogen ist), oder verschreckt das die Männer, die eher durchschnittlich gebaut sind? Was, wenn er einen winzig kleinen hat und der sich in einem XL-Kondom quasi verirrt? Ich entscheide mich für Normal. Ohne Farbe und irgendeinen Schnickschnack wie Erdbeergeschmack oder Leuchtkraft. Dann belade ich meinen Einkaufswagen mit Conditioner, Shampoo, Wimperntusche, Tempotaschentüchern und Klopapier. In der Masse an Kram werden die Kondome nicht weiter auffallen. Während ich an der Kasse anstehe (es ist Samstag und dementsprechend voll), schaue ich mich immer wieder um, voller Panik, irgendjemanden zu treffen, den ich kenne. Natürlich muss ich genau jetzt an den alten Fernsehspot zur Aidsaufklärung denken, bei dem Hella von Sinnen an der Kasse sitzt und durch den ganzen Laden brüllt, um zu fragen, was die Kondome kosten. Ich werde behaupten, dass sie für Mark sind. Meinen Sohn. Zum Üben. Damit er vorbereitet ist, wenn es dann soweit ist. Für ein Experiment in der Schule. Oder ich tue so, als würde ich sie meiner Tochter mitbringen. Ganz die aufgeklärte und souveräne Mutti. Ich muss fast selbst lachen. Ich stelle mich so an, als wollte ich ein Maschinengewehr kaufen. Oder Heroin. Während die Kassiererin meine Waren einscannt und übers Band zieht, plaudere ich munter auf sie ein, um sie abzulenken. Sie ist völlig ungerührt. Eigentlich klar, denn warum sollte sich eine wildfremde Frau für das interessieren, was ich so einkaufe? Das nächste Mal bestelle ich die Dinger im Internet. Wenn es denn ein nächstes Mal gibt. Das tue ich mir nicht noch mal an, denke ich nur, als ich leicht schwitzig den Laden verlasse und vor der Tür auf Anita treffe. Anita, meine Nachbarin. Das war knapp! Hätte die gesehen, was ich eingekauft habe, hätte ich es auch gleich im Viertel plakatieren können.

 

Zu Hause verbringe ich dann den ganzen Nachmittag mit Körperpflege. Duschen, cremen, zupfen. Vor allem zupfen. Ich könnte einen hauptberuflichen Zupfer beschäftigen. Es ist unglaublich, wo mein Körper überall Haare wachsen lässt: am Kinn und in den Mundwinkeln. Am einfachsten wäre mit Sicherheit eine schnelle Gesichtsrasur, aber man möchte sich ja nicht stoppelig anfühlen. Ich erwische zwei lange, borstige, schwarze Haare am Kinn. Theoretisch darf man ab einem gewissen Alter – sagen wir mal jenseits der 40 – das Haus überhaupt nicht mehr ohne Pinzette verlassen. Morgens vor dem Vergrößerungsspiegel ist noch alles gut, und nur eine Stunde später, wenn man gerade im Auto sitzt, kann man im Rückspiegel schon dem Kinnhaar beim Wachsen zusehen.

»Sei froh, dass du nur Kinnhaare hast! Mir wachsen zwei lange schwarze auf der rechten Brust! Ich zupfe, sie wachsen nach, ich zupfe, sie wachsen nach, es ist wie bei ›Und ewig grüßt das Murmeltier‹«, hat mir Tamara, die Nachbarin von gegenüber, verraten.

Ein Körper jenseits der 40 bietet eine Menge Betätigungsfelder. Wer wirklich tipptopp aussehen will, dem bleibt nicht viel freie Zeit. Ist man untenrum fertig, kann man oben fast schon wieder loslegen. Man kann sich seinen eigenen Körper mühelos zum größten Hobby machen. Aber offen gesagt, kann ich mir Spannenderes vorstellen. Ständig an sich rumzuzuppeln, um dann doch zu sehen, wie alles langfristig nicht besser wird, ist ermüdend und frustrierend. Für Herrn Reimer, also Bastian, lege ich mich richtig ins Zeug. Alles, was an Generalüberholung ohne Skalpell und Botox möglich ist, wird von mir oder professionellen Fachkräften erledigt. Fußpflege, Maniküre und sogar frische Strähnchen lasse ich mir am Vortag unseres Dates machen. Ganz ehrlich – mehr geht bei mir nicht. Ich fühle mich bereit. Wofür auch immer!

 

Bastian wollte mich, ganz Gentleman, abholen. Ich habe aber behauptet, ich sei sowieso unterwegs und es wäre besser, wir würden uns gleich im Lokal treffen. Je nachdem wie es läuft, habe ich dann nämlich mein Auto dabei, und das ist wiederum die beste Prophylaxe dafür, dass ich mich nicht vor lauter Aufregung komplett betrinke. Wenn ich mich nicht betrinke, bin ich vielleicht auch nicht so hemmungslos, was bedeuten würde, dass sowohl Unterwäsche als auch Tascheninhalt mein Geheimnis bleiben und ich es schaffe, die Drei-Dates-Regel einzuhalten. Warum auch immer diese Regel erschaffen wurde, womöglich ist ja doch was dran. Und vielleicht schaffe ich es.

Die Auseinandersetzung mit der Frage »Sex – ja oder nein?« bleibt dennoch meine mentale Hauptbeschäftigung. Wenn er mir so gut gefällt, wie ich es in Erinnerung habe, und wenn es zwischen uns knistert, würde ich dann mit ihm ins Bett gehen?

»Meine Güte«, hat sich Sabine aufgeregt, »mach es halt! Schon aus Prinzip. Du tust ja gerade so, als würdest du über eine Transplantation nachdenken. Du willst ihn doch nicht heiraten, entscheide spontan. Ist er sexy und du bist scharf auf ihn, dann ran, wenn nicht, lass es sein. Andererseits wäre es gut, du würdest so oder so mal wieder Sex haben, schon um dem Ganzen ein bisschen was von seiner Bedeutung zu nehmen. Es geht um Sex, Andrea. Eine Form von amüsanter Gymnastik. Menschen machen das schon ewig. Du bist nicht die Erste, und es ist nicht das erste Mal für dich, also reiß dich mal zusammen.«

Ich muss schlucken, gebe ihr aber insgeheim natürlich recht. Trotzdem kann ich nicht aufhören, darüber nachzudenken. Was, wenn er zwar sexy ist, es aber nicht knistert? Geht man mit jemandem einfach nur so in die Kiste, nur um es mal wieder zu tun? Aus Spaß, ohne einen Hauch von Verliebtheit? Nur aus Begierde? Wieso eigentlich nicht? Angeblich können Frauen das schlechter als Männer. »Frauen brauchen eine emotionale Komponente, die müssen verliebt sein. Männer können das perfekt trennen, für die ist Sex auch ohne Emotion gut!«, hat mir mal ein alter Freund erklärt.

Ich bin unsicher, ob das wirklich zutrifft. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass das eine Theorie ist, die vor allem Männern unglaublich gut gefällt. Eine Vorstellung, die ihrem Ego schmeichelt. Wenn eine Frau mit ihnen Sex hat, dann ist da ganz klar immer mehr im Spiel. Männer wollen nicht einfach nur für körperliche Befriedigung benutzt werden. Durchaus verständlich. Das geht mir tendenziell ähnlich. Ich habe mal in einem Artikel gelesen, dass selbst Puffgänger sich sehr häufig einbilden, die Prostituierten wären ein ganz klein bisschen in sie verliebt und wären gerne mit ihnen zusammen, und das Geld würde da gar keine Rolle spielen. Das zeigt deutlich, dass Männer auch nicht immer sehr realistisch sind. Ich denke, dass es heute auch für Frauen möglich ist, Sex als das zu sehen, was es eben auch sein kann: Sex. Ohne Drumherum. Ohne Liebe. Ohne Romantik. Einfach purer Sex. Noch bin ich vielleicht nicht so weit, aber ich würde es eventuell doch mal auf einen Versuch ankommen lassen. Kann sein, dass ich voll daneben liege und vielleicht wirklich der Typ Frau bin, der sich schon bei einem ersten wilden Zungenkuss unsterblich verliebt – aber das wird sich zeigen.

In der Theorie bin ich auf jeden Fall bereit. Und die Theorie wird heute in die Praxis umgesetzt werden, rede ich mir selbst gut zu. Wenn ich ihn heiß finde, werde ich ihn mir schnappen. Wahrscheinlich hat Sabine recht. Manchmal muss man einfach etwas tun, allein schon, um den Dingen ihren Schrecken zu nehmen.

Was habe ich schon zu verlieren? Moralisch bin ich auf der einigermaßen sicheren Seite: Ich bin offiziell getrennt, nicht anderweitig liiert, Bastian ist unverheiratet, hat meines Wissens nach keine Freundin, und ich bin keine fünfzehn mehr.

Ich verlasse das Haus sauber rausgeputzt mit nicht ganz sauberen Absichten. Ich werde es heute tun, wenn mir irgendwie der Sinn danach steht! Ich möchte einfach auch nicht, dass mich irgendwann der Schlag trifft und ich mich an meinen letzten Sex nicht mal mehr genau erinnern kann.

 

Wir treffen uns beim Italiener. Bastian hat mich eingeladen und dementsprechend auch das Restaurant ausgesucht. Es ist ein kleiner Italiener in Frankfurt. Ein hübsches Lokal, nicht zu schick, aber auch keine Null-achtfünfzehn-Pizzeria. Vom Ambiente her perfekt. Kein Angeberschuppen, aber auch kein Restaurant für Sparbrötchen. Ich hasse geizige Männer.

Ich komme genau sieben Minuten zu spät, obwohl ich eine eher pünktliche Person bin. Es soll ja nicht so wirken, als könnte ich es kaum abwarten, und außerdem will ich, dass er vor mir da ist.

Wow, er sieht immer noch extrem ansprechend aus! Und er strahlt mich an.

»Schön, dich endlich wiederzusehen!«, sagt er nur und umarmt mich. Fest und lange. Es fühlt sich gut an. Er riecht gut. Herb, frisch, anziehend. Ich bin froh über meine Unterwäsche!

Wir ordern beide Thunfischcarpaccio als Vorspeise, und als es darum geht, den Hauptgang zu wählen, betont Bastian mehrmals, dass er nichts Schweres will: »Das liegt einem dann zu sehr im Magen, und man ist zu gar nichts mehr fähig!« Dabei schaut er mich lange an.

Während des Essens berührt er unter dem Tisch immer mal wieder mit seinem Fuß mein Bein. Ob mit Absicht oder nicht – da bin ich mir unsicher, aber eines weiß ich genau: Es fühlt sich gut an.

Es scheint alles in eine bestimmte Richtung zu laufen, und obwohl mir das Tempo ein wenig Angst macht, bin ich doch froh. Ich erwäge sogar kurz, meinen Schuh abzustreifen und, wie man es aus etlichen Filmszenen kennt, unter dem Tisch mit meinem nackten Fuß auf Entdeckungsreise zu gehen, traue mich aber dann doch nicht. Bei all meinen bisherigen Überlegungen habe ich eine Komponente überhaupt nicht berücksichtigt: Was, wenn er gar kein Interesse hat? Das wäre allerdings schon merkwürdig, oder? Schließlich schickt man doch einer Frau nicht ständig irgendwelche SMS, wenn man nichts von ihr will. Oder vielleicht doch? Für einen Moment bin ich verunsichert, aber Bastian ist so charmant, dass ich meine Bedenken schnell wieder vergesse.