Aufmerksamkeit - Jon Christoph Berndt - E-Book

Aufmerksamkeit E-Book

Jon Christoph Berndt

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Beschreibung

Aufmerksamkeit zu bekommen ist ein Grundbedürfnis. Sie steht für Wertschätzung, die man braucht wie die Luft zum Atmen. Im Zeitalter von Internet und Social Media, Multitasking und Dauerhetze wird sie aber spürbar seltener – und damit kostbarer. Vor allem im Gespräch von Angesicht zu Angesicht gilt: Nur wer Aufmerksamkeit schenkt, darf sie auch erwarten. Anhand scharfsinniger Beobachtungen in markanten Unternehmen und im Alltag sensibilisiert Jon Christoph Berndt uns für das Thema, das immer elementarer wird. Und zeigt auf, wie wir vom neuen Umgang mit der Aufmerksamkeit profitieren – privat, geschäftlich und gesellschaftlich. Was ist besonders? Jon Christoph Berndt beschreibt Aufmerksamkeit als unterschätzten und vernachlässigten, dabei aber ganz entscheidenden Erfolgsfaktor.

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Das Buch

Aufmerksamkeit zu bekommen ist ein Grundbedürfnis wie Essen, Trinken und Geborgenheit. Doch sie geht mehr und mehr verloren und wird dadurch immer kostbarer. Im Social-Media-Zirkus sind wir alle nicht mehr nur Empfänger, sondern auch Sender von Botschaften: Jeder will gesehen und beachtet werden. Dazu kommen Multitasking und Dauerhektik. Das führt dazu, dass alle nur noch durcheinander reden – und niemand mehr zuhört. Dabei darf nur derjenige Aufmerksamkeit erwarten, der sie anderen auch schenkt. Anhand scharfsinniger Beobachtungen sensibilisiert Jon Christoph Berndt uns für diesen Faktor, der im gesellschaftlichen Miteinander immer entscheidender wird. Und zeigt auf, wie wir alle vom neuen Umgang mit der Aufmerksamkeit profitieren – privat, geschäftlich und gesellschaftlich. Er beschreibt sie als unterschätzten und vernachlässigten, dabei aber ganz entscheidenden Erfolgstreiber. Aufmerksamkeit gezielt zu investieren heißt, Aufmerksamkeit geplant zu bekommen.

Der Autor

Jon Christoph Berndt ist Spezialist für Profilierung und Vermarktungserfolg. Mit der brandamazing Managementberatung verschafft er Unternehmen und Menschen mehr Aufmerksamkeit. Er ist gefragter Vortragsredner, Gesprächspartner für TV, Presse und Radio, Autor zahlreicher Bücher und Dozent an der Universität St. Gallen. Jon Christoph Berndt lebt und arbeitet in München.www.brandamazing.comwww.jonchristophberndt.com

Jon Christoph Berndt

Aufmerksamkeit

Warum wir sie so oft vermissen und wie wir kriegen was wir wollen

In Zusammenarbeit mit Christine Koller

Econ

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ISBN 978-3-8437-1499-0

© 2017 © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Lektorat: Gerd König Covergestaltung: Brian Barth, Berlin

E-Book: L42 AG, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Inhalt
Umschlag
Das Buch/Der Autor
Titelseite
Impressum
Zugetextet
Immer nur senden, senden, senden
Typologie der Nicht-Zuhörer
Seht Mich An! Ich Bin ein Star!
Mit der Herde Unterwegs
Meckern, Lästern, Provozieren
Zum Mitnehmen
Die Härteste Währung der Welt
Fokussierung: Wer zuhört, wird vorn sein
Aufmerksamkeit gezielt schenken
Den Kampf um Beachtung gewinnen, ohne zu kämpfen
Zum Mitnehmen
Wie Aufmerksamkeit Schenken und Bekommen Gelingt
Empathisch sein und kollaborierend zuhören
Sich selbst wieder wahrnehmen
Viel sagen, ohne viel zu sagen
Echtes Interesse zeigen
Driverseat statt opferrolle
Der Mut zum Nein
Die Kunst der gepflegten Provokation
Zum Mitnehmen
Zum Schluss Geht’s ums Sich-Verkaufen
Die Human Brand Entwickeln
Starke Prominente Beispiele
Zum Mitnehmen
Anhang
Aufmerksamkeits-Detektor: Bin ich ein guter Zuhörer?
Leitfragen für den vertiefenden Diskurs
Anmerkungen
Literatur
Feedback an den Verlag
Empfehlungen

ZUGETEXTET

Beim Mittagessen mit einem Bekannten erzähle ich davon, dass ich demnächst zu einem Kunden nach London reisen werde. Ich habe den Namen der Stadt kaum ausgesprochen, da will er auch: erzählen. Mit der bloßen Erwähnung meiner Reise habe ich ihn – sozusagen als Stichwortgeber in diesem Gespräch – daran erinnert, dass er unlängst auch unterwegs war. In Asien und in Spanien – und eben auch in London. Von ihm kommen jetzt Sätze wie: »London, toll, ich muss übermorgen nach Istanbul.«; »Ihr solltet un-be-dingt in Spitalfields essen gehen, ins Hawksmoor, das Essen dort ist der Hammer. Und da müsst ihr das Sirloin-Steak essen.«; »Wo wohnst du? Ich wohne immer im Haymarket.« Und immer so weiter. Er doziert darüber, wo er sonst überall in London war, was er alles über die Stadt weiß und was er erlebt und erfahren hat. Es war meine Vorlage, und jetzt hat er sich das Gespräch unter den Nagel gerissen. Er hört nicht hin und sendet nur. Aus dem angedachten Dialog, der macht ein Mittagessen schließlich aus, ist ein Monolog geworden. Dieser Gesprächsgrabscher wird zum Salbader. Er ist schön in Fahrt und ohne Zeitdruck, kramt aus seinem reichen Lebenserfahrungsschatz so einiges zum Thema hervor. Eine Frage stellen? Auch mal zuhören? Lieber nicht. Ich frage mich mehr und mehr, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme. Und wer wohl die Rechnung übernehmen wird.

Ich weiß auch was, will auch mal, bin es auch wert, gehört zu werden! Das Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen, ist der Antrieb der Gesprächsgrabscher. Es drängt die Menschen auf die Bühne, immer und überall. Der Drang wird immer stärker, beim klassischen Zwiegespräch von Angesicht zu Angesicht wie im Internet. Bei den Kollegen und beim Chef spürt man es, der beste Freund und der Lebenspartner tun es, Mutter und Vater ebenso. Allesamt Saboteure des echten Gesprächs!

Vor diesem Phänomen ist niemand sicher: nicht zuhören, nicht empfangen wollen, lieber senden, auf allen Kanälen, 24/7, always on. Wenn man nicht aufpasst, mutiert der Saboteur zum Polypen: Äußerst intensiv saugt er sich an einem fest. Seine Saugnäpfe haben gefühlt sogar Widerhaken wie sonst nur der Kalmar, ein Meeresbewohner, der damit seine Beute festhält und sich einverleibt. Für seine Opfer gibt es kein Entrinnen. Deshalb wird man auch den Gesprächspolypen besonders schwer wieder los. Auf Vernissagen und Empfängen ist er die wahre Pest. Hier tritt er in Rudeln auf, immer auf Ausschau nach Beute. Er geriert sich als Verbalerotiker, als rhetorischer Exhibitionist, und zieht seine Tour de Raison kompromisslos durch – von der Antike bis zur Gegenwart, A bis Z, Flensburg bis Garmisch, süß bis salzig, London bis Dubai. Um ihn abzuschütteln, braucht es Überwindung und Raffinesse, Chuzpe und sogar Taktlosigkeit. Gelingt es nicht, lässt er sein Opfer zu später Stunde emotional vollkommen leergesaugt zurück.

Das nervt. Auch die Ratschläger verrichten ihr Werk ungebeten, überall und ohne Anlass: »Du solltest unbedingt den großen Mixer von Kitchen Aid kaufen, macht 2 PS Spitze, der ist mit Abstand der beste für Smoothies, wir haben den in Hammerschlag!«; »Nach Venedig fahrt bitte nur Mitte November, machen wir auch so, da habt ihr keine Japaner und weniger Kreuzfahrtschiffe und die Biennale ganz für euch allein!«; »Beim Hatha-Yoga musst du echt aufpassen, da gibt's schreckliche Studien, ich sag nur Blutgerinnsel!« Ratschläge können auch Schläge sein.

Eine weitere Gattung der Gesprächspolypen, die Bewerter, sind ebenfalls überall aktiv: »London, was für ein Moloch, hoffentlich kriegst du Schmerzensgeld.«; »Kannst du so gut Englisch?«; »Wieso musst du da hin, sind die Berater da wegen dem Brexit alle schon getürmt?« Dabei möchte man beim Mittagessen nur ein bisschen Small Talk, vielleicht ein paar Informationen geben und bekommen, eine gute Zeit verbringen. Doch statt der leichtfüßigen Konversation hackt jemand auf der anderen Seite des Tisches ungebremst auf London rum, ohne Rücksicht darauf, dass ich da noch hinmuss. Er surft die Welle, die ich ausgelöst habe, mit seinen eigenen Geschichten. Hilfe!

WER ZUHÖRT, VERLIERT Es gibt etliche Formen und Definitionen von Aufmerksamkeit. Außerhalb von Wissenschaft und Forschung ist es sinnvoll, unter diesem Schlagwort drei Fähigkeiten zu unterscheiden:

×an einer Sache dranzubleiben und sich nicht ablenken zu lassen, auch verstanden als Konzentration

×trotz ablenkender Impulse nicht abzuschweifen, auch bezeichnet als selektive Aufmerksamkeit

×schnell und höchst konzentriert zwischen verschiedenen Aufgaben hin- und herschalten zu können; auch Multitasking oder alternierende Aufmerksamkeit genannt.

Eng verwandt mit diesen Fähigkeiten ist eine ganz andere: das Zuhören. Sie legt sich über alle Aufmerksamkeitsformen. Neben den Fähigkeiten des Hinsehens und des kognitiven Verarbeitens von Informationen sorgt das Zuhören dafür, dass Aufmerksamkeit überhaupt geschenkt und erregt werden kann. Wer allerdings nur hört, aber nicht hinhört und schon gar nicht zuhört, kann nicht aufmerksam sein. Er hört nichts Wesentliches. Auf der anderen Seite kann jemand, der unaufmerksam ist, nicht erwarten, Aufmerksamkeit zu bekommen. Er hat es nicht nur nicht verdient. Vielmehr wird es ihm in unserer schnelllebigen Zeit, die reich ist an Reizen, schlicht nicht gelingen. Nur demjenigen, der weiß, wer und wie andere sind, wie sie denken und fühlen und was sie wollen, gelingt, was Erfolg verspricht: eine Information zu formulieren und zu kommunizieren, die andere empfangen, verarbeiten und bewerten können. Im besten Fall befinden sie sie für ausreichend relevant und setzen sich näher damit auseinander. Es ist im Grunde so einfach – und doch so komplex und kompliziert im Alltag.

Eigentlich wissen wir, dass nur so herum ein Schuh draus wird, ein echtes Gespräch. Dennoch verstärkt sich bei immer mehr Menschen der Eindruck, dass heute keiner dem anderen mehr richtig zuhört. Ein Großteil der »Gespräche« besteht aus Nicht-zuhören und Aneinander-Vorbeireden. Es ist so nervig wie frustrierend, vor allem dann, wenn man nur schnell eine Information weitergeben oder bekommen will. Ausnahmsweise mal ohne Kommentar oder weitere Erläuterungen, geht das? Vor allem sollen alle Beteiligten gleich verstehen, wie das Gesagte gemeint ist. Das Einmaleins jeder normalen Unterhaltung, sollte man meinen. Doch all das ist nicht mehr selbstverständlich. Die Gesprächsgrabscherei führt so weit, dass besonders Hörenswertes extra angekündigt wird: »Pass mal auf …«; »Jetzt hör mir mal zu …«; »Achtung, jetzt kommt's: …« Erwin Pelzig, die Bühnenfigur des fränkischen Kabarettisten Frank-Markus Barwasser, treibt das Ankündigungsgetrommel vor jeder wichtigsten Information aller Zeiten auf die Spitze: »Aufgemerkt!«

Was tun, wenn der Sender sich dennoch nicht verstanden fühlt? Oft meint er dann, das würde sich ändern, wenn er das immer selbe Argument wiederholt. Oft. Dann folgt die mantrahafte Verstärkung durch Wiederholung, um sich als Vertreter einer ganz anderen Spezies endlich Gehör zu verschaffen: als Einhämmerer. Es kann doch zum Verrecken nicht sein, dass der andere das nicht kapiert! Doch dieser andere schaltet dann erst recht auf Durchzug. Was jetzt noch kommt, geht zum einen Ohr rein, ist in der Mitte egal und geht zum rechten Ohr wieder raus. Für den Empfänger kommt das Gesagte zum falschen Zeitpunkt, es ist zu rabiat, zu wenig charismatisch, energie- und kraftlos oder schlicht banal. In solchen Momenten wäre es besser, viel zu sagen, ohne viel zu sagen. Die großdeutige Gesprächspause, wie etwa Helmut Schmidt sie meisterlich beherrschte, tut not.

Wir sind Schauspieler inmitten einer Groteske. Jeder schwadroniert so fröhlich wie unreflektiert neben den anderen her. Und alle arbeiten sich an den Themen ab, die in ihrem Kopf gerade ganz oben sind und jetzt sofort, ganz dringend rausmüssen. Wie bei einem eigenartigen Gesellschaftsspiel, bei dem jeder alles darf, nur nicht auf die anderen eingehen. Für alle von 9 bis 99. »L'art pour l'art« sagen die Franzosen zu so etwas – Quatschen um des Quatschens willen. Es genügt sich selbst und dient keinem näheren Zweck. Es tut einfach nur gut, sich ein bisschen abzulenken und die eigene Lebendigkeit zu spüren. Das ist ein schöner Ausgleich zur Denkarbeit am Computer und den ganzen Telefonkonferenzen. Einfach drauflos smalltalken, gerne wild und unersättlich, ohne einander wahrzunehmen, zu verstehen und wirklich auszutauschen. Wer so miteinander spricht, profitiert nicht über den Moment hinaus. Genau das ist allerdings der Urzweck von Kommunikation: sich etwas geben, einander bereichern, Bleibendes hinterlassen.

Wir erleben es daheim und bei der Arbeit, an der Käsetheke im Supermarkt und im Internet. Der Trend ist keiner mehr, längst ist er vergesellschaftet. Früher gab es ihn vor allem bei Paaren, diesen Tanz der kultivierten Unaufmerksamkeit. Dort mündet er schon immer in den einen Satz: »Nie hörst du mir zu!«

Unterhalten sich zwei Männer. Sagt der eine: »Du, ich kann nicht mehr.«

»Was ist los?«, fragt der andere.

»Meine Frau redet und redet.«

»Was redet sie denn?«

»Das sagt sie nicht.«

Im Büro spielen wir Bullshit-Bingo, wenn Meeting ist. Bevor es losgeht, teilt ein Witzbold Blätter mit den üblichen Hohlphrasen aus: »meeten«, »zeitnah delivern«, »leveragen« und solche Sachen. »Treffen«, »schnell liefern« und »ausgleichen« als deutschsprachige Alternativen sind eben keine Alternativen. Was man hört, wird angekreuzt, und wer als Erster eine Reihe voll hat, ruft »Bingo!« und gewinnt die Runde. Das Palavern ist ein grandioser Zeitvertreib, sonst müsste man ja arbeiten, und die Kekse schmecken auch. Wer genehmigt sich die meiste Sendezeit? Jetzt schlägt die Stunde des besten Verkäufers seiner selbst. Er schnappt sich das Stichwort des Tages und legt los. »Wow«, sagt man sich, angetan von seiner Show, »was der draufhat! Und wie der sich für uns ins Zeug legt und vor Begeisterung fast platzt!« Aber dann, in der heimlichen Auswertung nach dem Meeting, wird die Welt schnell wieder nüchtern: »Der lullt uns ein!«; »Wir fühlen uns geblendet!«; »Der ist wie ein Heizdeckenverkäufer!« Ungeachtet dessen besteht immer die Gefahr, dass man sich von der Schaumschlägerei zu etwas hinreißen lässt, das man gar nicht will.

Mangelnde Aufmerksamkeit hat viele Facetten und äußert sich durch noch mehr Symptome: Wie den treffsicher am Ziel vorbeiquatschenden Dampfplauderer gibt es diejenigen, die das Ziel nicht einmal kennen. Sie wollen es auch gar nicht wissen. Wofür sie antreten, ist ihnen gleich. Aber sie spüren, gegen wen sie antreten. Jetzt muss alles raus, müssen alle Register gezogen werden! Solche Totalverweigerer, was Wachsamkeit, Achtung und Respekt angeht, kennen wir alle. Für sie ist im Geschäftsleben der Kunde bloß eine Nummer. Solche Leute machen das Verkaufen kompliziert, mühselig und langwierig. Lieber soll es mit der werten Kundschaft schnell gehen. »Anhauen – umhauen – abhauen«, sagen Verkaufstrainer dazu. Dafür machen die Unüberzeugbaren ihre Scheuklappen dicht, geben Auskunft knapp bis barsch und pflegen den sozialistischen Weg des geschäftlichen Miteinanders: verteilen statt umwerben, streng nach dem Zeitpunkt des Eingangs der Kaufandrohung. Das geht so lange gut, bis es nicht mehr geht. Dieser Tag ist nah, immer, und dann geht mit der Zeit, wer betreffs Kundenwertschätzung, -verständnis und -umgarnung nicht mit der Zeit geht.

ECHTE BEZIEHUNGEN BRAUCHEN ECHTEN DIALOG Meg Whitman, früher Boss von Ebay und heute diejenige, die Hewlett Packard zukunftsfest macht, spricht aus, was zählt: »Wir müssen unseren Kunden zuhören und Lösungen für sie finden. Wir können Leistungen anbieten und sie mit anderen Partnern zusammenbringen. Dort liegt unsere Stärke.« Zuhören ist die Schlüsselkompetenz der Zukunft. Sie ist die erste Perle einer Kette, deren weitere Perlen – Nachdenken → Wissen → Vergleichen → Beurteilen → Hinterfragen – zum Edelstein im Amulett führen: der Erkenntnis. Werden alle Perlen von allen an der Kommunikation Beteiligten berücksichtigt, führt das zur besten gemeinsamen Lösung. Dann gehen alle mit gutem Gefühl auseinander, und die Ergebnisse bringen jeden Einzelnen auf seine Art voran. Fühlt sich unser Gegenüber verstanden, gelingt es uns überhaupt erst, eine Beziehung und damit Vertrauen zu ihm aufzubauen. Dafür will er, was wir auch wollen: wahrgenommen, gehört und verstanden werden.

Das geht mit der Besinnung auf bewährte Tugenden: Die Art, wie die Großeltern und deren Großeltern miteinander kommuniziert haben, ist zeitlos gut. Und Gutes bleibt, wie in der Mode. Auch das Internet und besonders die sozialen Medien können so genutzt werden, dass all die schönen neuen Möglichkeiten der Kommunikation einer zeitgemäß entgegengebrachten Aufmerksamkeit dienen. Erst sie sorgt wieder für ein fruchtbares gesellschaftliches Miteinander, das inzwischen vielerorts zu wünschen übriglässt. Das gilt es zu stärken. Gleichzeitig gilt es, dagegen anzugehen, was unter dem Deckmantel der Anonymität im Internet grassiert: Verleumdung und Denunziation. All das einfach rauszulassen, was man sich ohne Maske und mit vollem Namen in der richtigen Welt nicht zu sagen traut. Die Digitalisierung gibt uns die so kraft- wie machtvolle Gelegenheit, auch als Sender aktiv zu sein, wo wir es früher nicht konnten. Zuvor gab es die Tagesschau, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und eine übersichtliche Auswahl an Sachbüchern streng ausgewählter Autoren. Diese Sender hatten es geschafft, dass alle ihnen zuhörten – auch weil sie mussten und es nicht jedem vergönnt war, ebenfalls ein Buch zu schreiben. Für die eigene Äußerung und Erwiderung gab es nur den Leserbrief und für sehr wenige die Möglichkeit, Journalist zu werden.

In Erinnerung an diese Zustände müssen wir das, was sich uns heute an Möglichkeiten bietet, endlich schätzen lernen. Und die medialen Optionen für jedermann für den echten Austausch von Gedanken und Meinungen nutzen, der diese Bezeichnung auch verdient: Dialog statt einseitiger Dröhnung. Nur wenn sich Rede und Gegenrede – vor allem durch besseres Zuhören und Verstehen – wieder aufeinander beziehen, entsteht das, was die Natur damit beabsichtigt hat: leidenschaftlicher, abgewogener, kritischer Diskurs. Er ist der Anfang von allem und kommt bei den menschlichen Bedürfnissen gleich nach Essen und Trinken und dem Dach über dem Kopf. Und er ermöglicht erst das, was in der Bedürfnispyramide ebenfalls weit oben steht: wertvolle soziale Beziehungen. Dafür hat die Natur den Menschen mit Ohren und Mund, Gefühl und Verstand ausgestattet.

Die Kluft zwischen Notwendigkeiten und Realität stellt die Beteiligten – uns alle, weil wir alle das Bedürfnis haben, uns mitzuteilen und gehört zu werden – vor enorme Herausforderungen. Wir sollten ihnen nicht jeder für sich begegnen, sondern mit zeitgemäßer Kollaboration: zuhören, verstehen, gemeinsam profitieren. Das sorgt wieder für das interessierte tolerante Miteinander zum Wohle aller. Und genau das brauchen wir, vor allem auch im Hinblick auf die Herausforderungen des globalen Wettbewerbs, der multikulturellen Gesellschaft und des beschleunigten Alltags in einer Welt, in der alte Muster aufbrechen, immer mehr Gewohntes verschwindet und vielfältige Ängste vor Umwälzungen herrschen. Zahlen–Daten–Fakten und diese unverblümte knallharte Ehrlichkeit, die man im deutschsprachigen Raum als Inbegriff erfolgreicher Kommunikation ansieht, genügen hier nicht. Vielmehr braucht volkswirtschaftlicher Erfolg im Zeitalter des beständigen Wandels zu einer Weltbürgergemeinschaft neue Kompetenzen.

Der »We-Q«, eine kollektive emotionale Intelligenz zum Zweck des kollaborativen Austauschs, gehört zuvorderst dazu: Nicht länger stur beharren auf der eigenen Meinung, sondern offen sein für die Meinungen anderer und Beziehungen durch Gegenseitigkeit aufbauen. Der We-Q steht dafür, die Intelligenz vieler interaktiv zu nutzen. Dies vor dem Hintergrund, dass die Jahre des vor allem materiell geprägten Schneller, Höher, Weiter vorbei sind. Zukünftig geht es um einen menschlicheren Dialog, dem wieder an echten Beziehungen gelegen ist und der an sich selbst wächst. Denn nur so können wir der Informationsflut Herr werden, und mehr noch: sie sinnhaft für gemeinsame Ziele einsetzen.

Solcherart Begegnungen auf Augenhöhe müssen sich die Menschen und die Unternehmen stellen, die erfolgreich bleiben oder wieder erfolgreich werden wollen. Dabei wird Erfolg zusehends weniger dort gemessen, wo der Geldbeutel sitzt, und mehr dort, wo das Herz ist. Emotionalität zählt wieder, sie darf gezeigt und gelebt werden. Mit ihr und der Intelligenz der vielen lassen sich die Komplexität des Lebens und die Agilität der digitalen Gesellschaft im Zaum halten und steuern. Dafür braucht es Mitmenschen und Mitarbeiter, die verstehen wollen und können, was wichtig wird, und entsprechend angeleitet und begeistert werden. Gemeinsames verstehen und handeln anstatt mit Desinteresse oder gar institutionalisierter Provokation auf allgegenwärtigen Druck zu reagieren, bringt alle weiter. Nur wer verstanden hat und mit dem Herzen dabei ist, kann sich wirklich für etwas einsetzen. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir als Sender verstanden werden wollen und als Empfänger wirklich zu empfangen bereit sind.

Anstatt nur reflexhaft auf kommunikativen und gesellschaftlichen Druck zu reagieren, müssen wir wieder den Kern der Sache ins Auge fassen und nicht nur um des Redens willen reden. Wir müssen uns wieder fragen: Worum geht es? Wer ist der andere? Was will er? Gehe ich da mit? Welcher ist mein Beitrag zum Austausch, dessen Resultat allen etwas bringt? Weiter wird nur noch kommen, wer erst zuhört, sich dann auf den anderen genauso wie sich selbst einlässt und schließlich nutzenstiftend argumentiert und handelt. Die ersten Schritte vom Nicht-Zuhörer und Nur-Sender zum dienenden Mitglied der Gesellschaft sind Bewusstseinsschärfung und Selbstreflexion. Wer sie geht, schafft für sich die Grundlagen für gelebte und erlebte Aufmerksamkeit: Der Mensch konzentriert die Wahrnehmung auf bestimmte Reize seiner Umwelt. Dieser Filtervorgang beeinflusst sein Denken und Handeln. Aufmerksam sein ist anstrengend: Wir müssen uns auf etwas konzentrieren. Nicht selten weichen die Erkenntnisse von unserem Selbstbild und unseren Überzeugungen ab. Dann wird es herausfordernd, mit der neuen Situation umzugehen. Aufmerksamkeit bedeutet, diese Herausforderung anzunehmen. Dann wird sie zu dem, was im Zeitalter der Botschaftsdröhnung einen Mehrwert für alle schafft: das Gold unseres Jahrhunderts.

IMMER NUR SENDEN, SENDEN, SENDEN

Die Rede ist das älteste und mächtigste Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie erhöht die Sichtbarkeit. »Mit der Sprache hat sich die Evolution unserer Spezies von der biologischen Emergenz auf die Ebene der bewussten Schöpfung von Neuem verlagert«, sagt der Volkswirtschaftler und Stadtplaner Georg Franck in seinem Werk »Ökonomie der Aufmerksamkeit«1. Neues wurde also nicht mehr nur durch bloßes Sein und Miteinander geschaffen, sondern auch durch den Austausch von Empfindungen und Meinungen. Viel später schufen die Erfindungen der Schrift, des Buchdrucks und des Internets wiederum ganz neue Dimensionen für diese Form der zwischenmenschlichen Kollaboration. Lange Zeit war die Rede neben dem Kampf die stärkste Ausdrucksform, und dabei viel stärker als nonverbale Äußerungen durch Mimik und Gestik. Wer auf eine Bühne stieg, hatte sich und seine Meinung zuvor kritisch geprüft und hinterfragt. Er war entschlossen dazu, sie zu äußern, zu verbreiten und zu verteidigen. Die Bühne war nur für diejenigen, die von ihrem Anliegen überzeugt waren und solide zu argumentieren wussten.

Das hat sich radikal gewandelt. Reden, Werben und Argumentieren sorgen gepaart mit Plappern, Quasseln und Schwafeln (Chatten sowieso) für die ultimative Kakophonie des Unwichtigen. Es wird immer weniger ernsthaft und verantwortungsvoll zugehört und lieber jedes Thema x-fach durchgekaut, neu beleuchtet und neu versendet, ohne es zu durchdringen oder auch nur etwas hinzuzufügen. Das geschieht in wachsendem Umfang auf eine bisher ungekannt niveaulose, oftmals niederträchtige Weise unter dem Deckmantel der Anonymität. Es ist beinahe erstaunlich, wie das gemeinschaftliche Alltagsleben, dessen wichtige Stützen nun einmal Rede und Meinungsaustausch sind, ohrenscheinlich weiterhin so gut funktioniert. Bei genauerem Hinhören nehmen Missverständnisse und Dissonanzen nämlich durchaus zu, genauso wie der gesellschaftliche Druck. Die Menschen werden dünnhäutiger und ängstlicher und dabei gleichzeitig aggressiver und polemischer. Das liegt vor allem an der Menge an Daten und Informationen, die tagtäglich auf jeden Einzelnen einprasseln. Unter ihnen sind allein, sagt die Werbewirkungsforschung, etwa 14.000 »Beachte mich!«- und »Kauf mich!«-Botschaften.

AUFMERKSAMKEIT: EIN KNAPPES GUT Den Unternehmen geht es um die Verkaufe, den Medien um die Quote. Sie bemisst die Aufmerksamkeit, und die ist die Währung schlechthin im Geschäft um die Botschaften. Sie ist noch wichtiger als das Geld, das dort in Werbung fließt, wo man sich besondere Aufmerksamkeit verspricht. Das liegt an einer Eigenschaft der Aufmerksamkeit: Sie ist als Ressource knapp und begrenzt und kann nicht größer werden. Auch wenn jedes Jahr neue Sender und Kanäle, Websites und Druckschriften, Unternehmen und Produkte, auch Menschen dazukommen: Der Tag hat nur 24 Stunden oder 1.440 Minuten oder 86.400 Sekunden. Sie gilt es, abzüglich der Zeit für den Schlaf von etwa einem Drittel, immer wieder neu in Form von Aufmerksamkeit zu verteilen. Denn auch das ist Aufmerksamkeit: eine Zeitfrage. Wen wir dabei berücksichtigen, der erhält ein Geschenk, das kostbarer ist als Gold und Geld. Das liegt daran, dass es zumindest Geld im Prinzip unbegrenzt gibt, auch wenn viele nicht genug davon haben. Die Währung Aufmerksamkeit aber vermittelt Wertschätzung, die sich mit Geld nicht bezahlen lässt. Sie steigert die Verkäufe. Und sie verbessert die Quote, die auf der limitierten Menge an Aufmerksamkeit pro Person basiert und deshalb eben nicht unbegrenzt vermehrt werden kann.

So viele Angebote zum Hinhören, -sehen, -schauen zur selben Zeit. Es wird immer schwieriger zu entscheiden, was man zuerst beachten soll, was im Anschluss und was überhaupt nicht. Die Aufmerksamkeitsspanne beschreibt die Zeit, in der sich die Aufmerksamkeit einer Person voll auf eine Sache konzentriert. Sie ist von zwölf Sekunden im Jahr 2000 auf nur noch acht Sekunden im Jahr 2013 gesunken. Damit ist der Mensch, was dieses wesentliche Detail angeht, unter dem Niveau des Goldfischs angekommen. Der, davon geht die Forschung aus, kann durchschnittlich neun Sekunden bei einer Sache bleiben.2

Sicherlich bedarf es weiterer Spezifizierungen hinsichtlich Untersuchungsgegenstand und -design, um aus dieser Information wirklich valide Schlüsse zu ziehen. Interessant (und alles andere als verwunderlich) ist generell, dass die Aufmerksamkeitsspanne abnimmt. Dazu trägt auch bei, dass der Mensch durchschnittlich etwa 250 Mal am Tag auf sein Smartphone oder Tablet schaut und mehr als jeder Zweite zum Smartphone greift, wenn er nichts anderes zu tun hat. Das sind so erstaunliche wie erschreckende Erkenntnisse, gerade vor dem Hintergrund, dass es nach jeder Unterbrechung bis zu 15 Minuten und länger dauert, bis man sich wieder auf die unterbrochene aktuelle Tätigkeit konzentrieren kann.

Wie noch auffallen, als Firma mit einem Produkt wie als Mensch mit sich selbst? Wie den »Share of Voice« bekommen, seinen Anteil an den Kontakten mit der begehrten Zielgruppe, die man mit allen anderen Anbietern teilen muss, und an ihren Reaktionen? Die einfachen Antworten auf diese Frage sind zwangsläufig ganz schnell bunt, laut und billig: Die Ware muss raus, morgen kommt neue! Der inzwischen auch in Europa angekommene »Black Friday« – der Freitag nach Thanksgiving, der in den USA mit irrsinnigen Rabatten das Weihnachtsgeschäft einläutet – wird beim Elektrohändler Saturn gleich zur »Black Week mit exklusiven Angeboten, täglich neuen Hightech-Highlights und stündlich wechselnden Schnäppchen«. Dazu gibt es den passenden Werbedonner.

Unter demselben Druck, noch wahrgenommen zu werden, sind etwa auch Verkaufstrainer, in ihrer Eigenwerbung durchweg »Europas führender«, ach was, »weltweit führender Verkaufstrainer«! Wer befindet eigentlich darüber? Berufsbezeichnungen auf sozialen Netzwerken oszillieren zwischen »Expert Influencer for Market Leading Game Changing SaaS Technology – Unified Communication as a Service Consultant« und, erheblich kürzer, »Ultrapreneur«. Auch gibt es den »Influencer«, das ist jemand, den Präsenz und Ansehen in den sozialen Medien für diesen Titel qualifizieren. Buchautoren preisen ihr neues Werk als »Der neue Bestseller von …«, bevor es überhaupt auf dem Markt ist. Es gab eine Zeit, da haben die Rezensenten und die Verkaufszahlen entschieden, was ein Bestseller ist und was nicht. Was früher ein Gütesiegel war, hat heute ungefähr die Differenzierungskraft eines Preisschilds im Ein-Euro-Laden.

Kann das auf Dauer funktionieren? Natürlich nicht.

Wer auf seine Kunden hört und wirklich weiß, was sie sich wünschen, braucht da nicht mitzumachen. Wer aber unsicher ist und vergessen hat, mit der Zeit zu gehen, gerät aus der Spur und braucht den Mehr-Sein-als-Schein-Hebel. Wenn sogar ein ehemals so edles wie klar positioniertes Medium wie der Spiegel auf einmal anfängt, sich zu verhalten wie der »Aale-Dieter« auf dem Hamburger Fischmarkt, ist Eindeutigkeits- und Klarheitsgefahr im Verzug. Es geht so weit, dass sich das Magazin, etliche Jahrzehnte mit dem Nimbus der gedruckten Wahrheit erschienen, in der »GMX Vorteilswelt« als Zugabe verramschen lässt. So schickt der Mailprovider seinen Usern ungebeten etwas von der Sorte »Ihr Online-Kredit mit bis zu 100 Euro Cashback! +++ DER SPIEGEL + Mini-Digicam gratis!«.

»Cashback« ist überhaupt etwas Seltsames, ebenfalls aus Amerika: Man kriegt Geld dafür zurück, dass man Geld ausgibt. In den USA bekommen Käufer eines Chevrolet Silverado, ob bar bezahlt oder auf Kredit finanziert, bei Vertragsunterzeichnung sofort 2.000 Dollar. Und in Deutschland gibt es 100 Euro für einen Onlinekredit: »Wenn das Geld grade mal nicht reicht und Sie einen Kredit benötigen, empfehlen wir den Kreditvergleich mit Check24: Sparen Sie so bis zu 2.000 Euro und kassieren Sie dazu bis zu 100 Euro Cashback! Überzeugen Sie sich außerdem 7 Wochen lang von DER SPIEGEL zum Sparpreis, und Sie bekommen eine Mini-Digitalkamera geschenkt!« Im Kontext dieses Informations-Overflows eher fragwürdiger Angebote droht der gedruckte Spiegel als ehemals wertvolle Marke unterzugehen. Sein über Jahrzehnte so konsequent aufgebautes Image wird substantiell und unwiederbringlich beschädigt. Das alles für ein paar neue Abonnenten, von denen niemand weiß, wie lange sie bei der Stange bleiben. Ihnen gegenüber stehen zahlreiche langjährige Fans, die derart vergrault ihr Abonnement kündigen und nicht wieder zurückkehren.

Der Unterhaltungselektronik-Hersteller Panasonic macht es auch. Da gibt es zuweilen für den Kauf einer Waschmaschine sofort bis zu 400 Euro bar zurück. Abgesehen davon, dass die meisten Menschen diesen Anbieter bei Waschmaschinen nicht auf dem Radar haben: Allesamt sind Unternehmen, die die beiden wichtigsten Tugenden wertschätzender Kundenkommunikation nicht beherrschen oder sie verlernt haben: aktiv zuhören und beredt schweigen.

Zu Tausenden solcher Werbebotschaften kommen Abertausende im privaten und zwischenmenschlichen Bereich. Sie prasseln persönlich und am Telefon auf uns ein, und wieder: im Netz. Besonders was online geschieht, erfährt durch die rasant fortschreitende Digitalisierung immer neue, ungeahnte Dimensionen. Buch, Brief und Fax wirken inzwischen so verstaubt wie vor 50 Jahren Federkiel und Postkutsche. Und es mag noch 20 Jahre dauern, bis wir über etwas dann so Altmodisches lachen werden wie »das Internet«, so wie wir es heute kennen. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht von einer »dreifachen Beschleunigung« unseres Lebens: dem technischen Fortschritt, dem sozialen Wandel und dem Lebenstempo. Er vergleicht den täglichen (Über-)Lebenskampf mit dem Dauerlauf auf einer nach unten führenden Rolltreppe, und für jede zu beantwortende Mail müssen wir wieder eine Stufe zurück …3 Wie bei Sisyphos, dem griechischen Sagenhelden mit dem Felsblock: immer wieder den Berg rauf. Sisyphos hatte Frevelschuld auf sich geladen, bei uns sind enorme Vielfalt, Komplexität und Beschleunigung die Treiber.

Rosa widmet sich dem Phänomen der Resonanz und sagt, das Dilemma der modernen kapitalistischen Gesellschaft liege darin, dass sie immerzu »wachsen und innovieren, Produktion und Konsumption steigern, Optionen und Anschlusschancen vermehren« müsse; »kurz: dass sie sich beschleunigen und dynamisieren muss, um sich selbst kulturell und strukturell zu reproduzieren, um ihren formativen Status quo zu erhalten«.4 Diese »Eskalationstendenz«, so der Soziologe, verändere unser Weltverständnis. Es betreffe die Beziehung zu Raum und Zeit und zu den Menschen und den Dingen, die uns umgeben, schließlich die zu uns selbst. Er attestiert, dass eine ökologische Krise, zudem die Krise der Demokratie ebenso wie eine Psychokrise früher oder später die Folgen seien. Glaubt man diesen Weissagungen, kommt für die Zukunft erschwerend hinzu: Demjenigen, der sich seine Stellung in der Gesellschaft und seine Zukunftschancen, seinen Status und seinen Lebensstandard erhalten will, bleibt nur Mitmachen, Sitzenbleiben auf dem Karussell. Es sei denn, er gehört zu den wenigen, die ganz bewusst absteigen, sich abklemmen vom Mainstream und vom Datenstrom und sich dazu entschließen, ein ganz anderes Leben zu leben. Es gibt sie, diese Aussteiger. Von allen anderen, den »Angepassten«, werden sie mit Attributen belegt, die sich von abschätzig über anerkennend bis neidisch vielfältig interpretieren lassen: entschleunigt, alternativ und einfach anders. Sich der Eskalation zu entziehen, gilt als alternativer Lebensentwurf.

HÖREN ALLEIN REICHT NICHT Unsere Fähigkeit, den Menschen und den Dingen um uns herum unsere Aufmerksamkeit zu schenken, ist dieselbe wie vor tausend Jahren. Nur die Umstände, mit denen wir konfrontiert sind, haben sich verändert. Diese Entwicklung hält an, und sie geht immer schneller vonstatten: Mehr und mehr Themen, Ereignisse und Produkte buhlen um uns. Das wirkt sich auf unser Auswahlverhalten und die Art und Weise aus, wie tiefgründig und wie lange wir uns mit einem Sachverhalt beschäftigen und wem wir wie lange zuhören.

Jeder Mensch ist ein selektiver Wahrnehmer. Er hört oder liest ein Reizwort, für das er empfänglich ist, und geht ohne Umschweife darauf ein. Was vorher und hinterher gesagt wurde, also den Gesamtzusammenhang, blendet er dabei oft aus. Solches Verhalten verlangt den Gesprächsteilnehmern viel Geduld ab. Mit dem entsprechenden Wissen aus der Neurowissenschaft erträgt es sich besser. Wo liegt der Unterschied zwischen dem Nur-Hören und dem Zuhören? Das einfache Hören gilt als Ur-Alarmsystem des Menschen: Wo lauert Gefahr? Ist ein gefährliches Tier in der Nähe? Das komplexe Zuhören drückt sich in einer fundierten Beschäftigung mit dem Gesagten aus. Sie wird immer schwerer, weil die Überforderung immer mehr zunimmt und es immer mehr Gelegenheit zur Ablenkung gibt. Zuhören ist Hören in Verbindung mit Konzentration, Denken und Fühlen.

»Du hörst nie zu!« ist nicht mehr nur der verbreitete Vorwurf in Beziehungen, sondern längst auch im Miteinander von Freunden, Kollegen und Kunden. Überall gilt: Bequemlichkeit und Tempo schlagen Inhalt und Substanz. Am einfachsten ist es, nur zu reden, ohne lange darüber nachzudenken und auf das zuvor Gesagte näher einzugehen. Dabei liegt die wahre Bereicherung nicht in der Schlagzahl und der Lautstärke, sondern in dem Grad, in dem die kommunizierten Bedürfnisse und Wünsche erkannt und wechselseitig befriedigt werden. Kommunikation ist nicht die Fähigkeit zur Beschallung, sondern ein Mittel zum Zweck. Und unser wichtigstes dazu. Das macht sie wirkungsvoll – und auch so anspruchsvoll, wenn wir sie gezielt einsetzen wollen.

Wie viel einfacher und entspannender ist es doch, einfach draufloszulabern, alles rauszulassen, was anliegt und einem jetzt gerade einfällt! Labern gibt Menschen das gute, allerdings kurzlebige Gefühl, dazuzugehören, ein Teil der Gruppe zu sein und vor allen Dingen gesehen zu werden. Labern ist Stressabbau: sich einfach erleichtern, das übervolle Hirn ausleeren. Was für eine Wohltat! Indem Menschen sich aufplustern, inszenieren, profilieren, glauben viele zu einem gelungenen Anlass beizutragen. Ob die anderen wirklich interessiert sind und Anteil nehmen? Nebensache. Bei Google gibt es zum Suchwort »reden« etwa 70 Millionen Treffer, zum Suchwort »zuhören« nur etwa 5 Millionen. Gefühlt kommt das dem Verhältnis von Labern zu sinnhafter Kommunikation im Alltag ziemlich nahe.

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