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Prostitution und Doppelmoral. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Doch was, wenn die Sexarbeiterinnen ihren Dienst verweigern? Emma, die Hauptfigur dieser Geschichte, durchlebt die ganze Bandbreite des horizontalen Gewerbes. Auf ihrer gefährlichen Reise erfährt sie viel über ihre Mitmenschen, aber auch über sich selbst. Im packenden Finale eröffnen sich für sie und ihre Mitstreiterinnen neue Wege. Von der Politik enttäuscht, nehmen sie ihr Recht selber in die Hand.
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Seitenzahl: 214
Veröffentlichungsjahr: 2016
Matthias GoglerAufstand der Huren
Prostitution und Doppelmoral. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Doch was, wenn die Sexarbeiterinnen ihren Dienst verweigern?
Emma, die Hauptfigur dieser Geschichte, durchlebt die ganze Bandbreite des horizontalen Gewerbes. Auf ihrer gefährlichen Reise erfährt sie viel über ihre Mitmenschen, aber auch über sich selbst. Im packenden Finale eröffnen sich für sie und ihre Mitstreiterinnen neue Wege. Von der Politik enttäuscht, nehmen sie ihr Recht selber in die Hand.
Matthias Gogler ist Jahrgang 1967 und wohnt mit Frau und Hund in der Nähe von Stuttgart. Nach zwei autobiografischen Büchern hat er zunächst mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht. Der vorliegende Roman ist sein drittes Buch aus dem Genre Krimi und Thriller.
Roman
Matthias Gogler
© 2016 Matthias Gogler
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7345-6585-4
Hardcover:
978-3-7345-6586-1
e-Book:
978-3-7345-6587-8
www.mgogler.de
coverbild: pixabay.com
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Wenn ich in dem vorliegendem Buch mehrfach das Wort Huren für die Prostituierten verwendet habe, so hat dies nicht im mindesten mit irgend einer Form von Geringschätzung zu tun. Ganz im Gegenteil. Ich hege großen Respekt für das Durchhaltevermögen, das die Sexarbeiterinnen tagtäglich aufbringen müssen.
Häufig nennen sie sich selber Huren und das ganz selbstbewusst und auf ihre Würde bedacht.
Der Roman beschreibt einen kleinen, möglichst wirklichkeitsgetreuen Ausschnitt über das Leben der Frauen im horizontalen Gewerbe, welches in den unterschiedlichsten Facetten daherkommt.
Alle Protagonisten, die in dieser Geschichte mitspielen, entspringen meiner Fantasie. Übereinstimmungen mit real existierenden Personen wären rein zufällig.
Den Hurenverband Kassandra gibt es in dieser Form ebenfalls nur in meinem Buch.
Matthias Gogler
„Du darfst den Penisring nur über sein schlaffes Ding ziehen! Wenn er schon steif ist, passt das Teil nicht mehr!“ Laura Singer, die sich beruflich Emma nannte, sah ihre Kollegin ernst und konzentriert an.
Bettina Carnelli, kurz Tina, nahm den Ring in die Hand und zog amüsiert die Augenbrauen hoch. „Wozu soll das Ding gut sein? Ich habe von solchen Ringen gehört, aber mein Ex-Mann stand nicht auf Spielzeug im Bett.“
Emma nahm das Teil wieder an sich. Ihre neue Kollegin hatte wirklich noch viel zu lernen. Sie war nicht sicher, ob die Entscheidung, eine gänzlich Unerfahrene und noch dazu ältere Frau einzustellen, richtig gewesen war. „Das Ding, wie du es nennst, dient zur Stimulation und verlängert das Vorspiel“, klärte Emma die Kollegin auf.
„Es ist auch ein Schmuckelement. Vor allem dieser hier, aus edlem Metall.“
Tina entging nicht der schroffe Unterton, deshalb gab sie sich betont leutselig. „Nur über seinen Schwanz, ja? Nicht über die Eier. Richtig?“
„Genau, zumindest was dieses Modell betrifft. Und was deinen Ex angeht, Sexspielzeuge wirst du hier noch eine Menge kennen lernen.“
Mit hier war das kleine Wohnungsbordell in München Schwabing gemeint. Emma hatte vor sieben Jahren die Dreizimmerwohnung im Hinterhof eines Mehrfamilienhauses in der Körnerstraße angemietet. Der Vermieter hatte diese Wohnung seit jeher nur Prostituierten überlassen. Da ihm das ganze Haus gehörte, hatte er keine Beschwerden der anderen Bewohner zu befürchten.
Das Etablissement war die Arbeitsstätte der beiden. Privat wohnte Emma in Dachau und Tina in Freising.
Sie standen in einem der drei Zimmer des Bordells. Es war ihr gemeinsamer Aufenthaltsraum der zugleich als Wohnzimmer, Umkleide und Rückzugsort diente. Hier befand sich der große Doppelschrank, in dem sie ihre vielfältigen Kleider, Dessous sowie zwei Miniröcke aus Leder und einen Latex Body aufbewahrten. Letzterer war eine Maßanfertigung für Laura „Emma“ Singer. Der Preis war mit knapp dreihundert Euro selbst für diese Branche unverschämt teuer und sie trug ihn nur für Stammkunden. Eben jene, die Sonderwünsche äußerten und bereit waren, dafür zu zahlen.
Weiterhin ruhte in der Mitte des Raumes ein großer Esstisch auf dem die Notebooks von Emma und Tina standen. In der Ecke flimmerte auf einem niedrigen TV-Rack der Flachbildfernseher. Meistens lief er den gesamten Tag.
Im Vergleich zu den beiden Arbeitszimmern, in dem die Gäste je nach ihrem Benehmen verwöhnt, behandelt oder abgefertigt wurden, war der Aufenthaltsraum schlicht und funktional eingerichtet. Lediglich eine Plastikpflanze mittlerer Größe fristete ihr Dasein neben der Tür.
Die Regel lautete, dass Freier diesen Raum niemals betreten durften. Er befand am hinteren Ende des Flurs und direkt von diesem gingen die Gästezimmer ab. Gegenüber des Aufenthaltsraumes befand sich die kleine Küche sowie das Bad, welches die Männer zum Duschen vor dem Sex benutzen mussten.
Emma bestand auf diesem minimalen Akt der Wertschätzung und nur zweimal waren bisher Freier wieder gegangen. Im angetrunkenen Zustand hatten diese jegliche Scham verloren und sie gierten nach sofortiger Befriedigung ohne Sauberkeit. Emma war konsequent geblieben und hatte lieber auf das Geld verzichtet. Einem nach Schweiß und anderen Ausdünstungen riechenden Mann zu bedienen war unter ihrer Würde. Sie hoffte sehr, auch Tina, ihre neue Kollegin, in diesem Sinne einlernen zu können.
Nun betraten beide das Liebeszimmer, dass von der linken Seite des Flurs abzweigte. Grundsätzlich war es egal, wer wo arbeitete, doch Emma bevorzugte diesen Raum, da er größer war.
Der Freier, oder Kunde, wie Emma immer wieder gegenüber Tina betonte, lag vollkommen nackt auf dem Rücken in der Mitte des zwei Meter breiten Doppelbettes. Der Schlafplatz beziehungsweise die Spielwiese war mit einem durchgehenden, rotem Laken bezogen. Zu Emmas Verdruss waren die Ölflecken beim letzten Waschen wieder nicht heraus gegangen. Ein Problem, dass seit langem nach einer Lösung verlangte.
In der Mitte des Bettes war das Badehandtuch ausgebreitet. Es wurde im Gegensatz zum Laken nach jedem Freier gewechselt und stach in kräftigem Lila hervor. Emma legte eine CD in die Stereoanlage und aus dem Hintergrund ertönte leise Breathe Again von Sara Bareilles.
Sie besaß ein umfangreiches Repertoire an Musik, allesamt weibliche Künstlerinnen. Schnell hatte sie bei ihrer Arbeit im horizontalen Gewerbe herausgefunden, dass ihre Kunden keine anderen Männer im Zimmer duldeten, weder physisch noch aus der Konserve.
Für eine Moment schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, sie könne Tina finanziell an der CD-Sammlung beteiligen, aber das hatte noch Zeit. Zunächst galt es den bereits erhaltenen Lohn an dem Gast abzuarbeiten.
Der Fünfunddreißigjährige streckte sich in freudiger Erwartung auf dem purpurfarbenen Handtuch aus. Er hatte zuvor eingewilligt, dass Tina „hospitieren“ dürfe. Es war Tinas zweiter Tag im Wohnungsbordell. Gestern erhielt sie ausschließlich Informationen und beobachtete den Ablauf. Heute sollte sie sowohl zuschauen, als auch gegebenenfalls schon selber Hand anlegen. Morgen würde dann die Arbeit für sie beginnen. Emma hatte sie darüber aufgeklärt, dass die Freier häufig telefonisch ihre Termine checken würden. Kamen sie spontan vorbei, so hatten sie sich beide vorzustellen und der Gast durfte sich eine Dame aussuchen.
Beide Frauen hatten klassischen, roten Lippenstift aufgetragen. Die Augen wurden mit Eyeliner und Lidschatten hervorgehoben.
Inzwischen waren alle Beteiligten nackt. Emma legte mit geübten Fingern den Penisring an, bevor er nicht mehr passen würde, denn der Anblick der zwei Unbekleideten Frauen zeigte bereits Wirkung bei dem Kunden.
Tina legte sich einfach daneben und sah zunächst zu. Emma holte noch eine Rolle Haushaltstücher sowie Babyöl und ein Kondom, dann begann sie ihren Kunden langsam die Oberschenkel hinauf zu streicheln.
Der Kunde hieß Jürgen und besuchte sie einmal im Monat und das seit zwei Jahren. Sie Wusste nur so viel, dass er in einer Software Firma arbeitete und angeblich nicht verheiratet war.
Was die Freier ihr erzählten war nicht selten frei erfunden, doch das störte sie nicht. All zu lange Unterredungen mied sie sowieso. Ganz im Gegensatz zu Tina, die zu Emmas Entsetzen doch inzwischen tatsächlich mit ihrem Kunden plauderte. Obendrein nichts Erotisches, sondern vollkommen belangloses Zeug.
Ihr Gast hatte allerdings lediglich die halbe Stunde für achtzig Euro gebucht, also konnte Emma nach wenigen Minuten bereits zur Sache kommen.
Sie verwendete etwas Gleitgel für ihre Vagina und streckte dabei ihren Unterleib dem Freier entgegen. Sie wusste, dass dieser Anblick seine Wirkung nicht verfehlen würde. Während Tina jetzt den Oberkörper des Mannes kraulte, streifte sie ihm das Kondom über, bestieg ihn und rieb ihren Unterleib langsam und rhythmisch.
Die Stellung behielt sie bei und beschleunigte ihre kreisenden Bewegungen mit der Hüfte.
Als der Freier zu stöhnen begann und sie spürte, es geht auf das Ende zu, stöhnte Emma mit ihm. Das Schauspiel gefiel allen Männern und manch einer gab sich der Illusion hin, hier eine Frau tatsächlich zum Höhepunkt gebracht zu haben.
Tina betrachtete neugierig das Gesicht des Kunden, was diesen nicht zu stören schien. Als er dann auf dem Höhepunkt einige Grunzlaute von sich gab, konnte sie ein Kichern nicht unterdrücken. Ein Wink von Emma genügte jedoch und sie reichte ihm die Schachtel mit den Papierhandtüchern. Emma zog mit kundigem Griff das Kondom vom erschlafften Glied und streifte den Penisring wieder hinunter. Jürgen fand es gut, wenn sie das übernahm. Er ließ sich überhaupt gern bedienen und bevorzugte einen passiven Part. Die Reste seines Spermas durfte er sich allerdings selber abwischen.
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„Das war's schon?“ Tina konnte es nicht fassen. Sie waren in den Aufenthaltsraum gegangen, solange ihr Gast sich ankleidete. Emma streifte sich ihr Negligee über und Tina schlüpfte in das kurze gelbe Minikleid. Auf Unterwäsche verzichteten beide.
„Was hast du denn gedacht?“, fragte Emma zurück.
„Aber er hat doch eine halbe Stunde gebucht.“ Sie hatte erst zwei Kunden erlebt. Der Erste, ein älterer Herr, der am Mittag eine Ganzkörpermassage gebucht hatte, konnte seine Zeit voll auskosten.
„Die halbe Stunde hätte er auch haben können“, entgegnete Emma ungerührt, „ist doch nicht meine Schuld, wenn er so unter Druck stand.“
„Aber verprellt man nicht so seine Kunden?“
„Nicht deswegen. Der kommt doch schließlich auch schon seit Jahren, oder?“
„Hm.“ Tina befriedigte die Antwort nicht, aber letztlich war sie hier die Auszubildende, wenn man es so nennen wollte.
Emma stupste ihre Kollegin an. „Komm, wir sagen Tschüss zu Jürgen.“
Unmittelbar vor der Zimmertür stoppte Tina. „Geld zurück. Gibt es das manchmal?“
Emma lachte. „Mensch, du musst wirklich noch viel lernen. Wir sind hier nicht im Kaufhaus. Umtausch ausgeschlossen!“
„Und hinterher Duschen?“
Emma zuckte mit den Schultern. „Nur wenn der Gast es ausdrücklich verlangt. Kostet schließlich unsere Zeit. Aber vorher ist Pflicht!“
„Klar.“
Tina kicherte urplötzlich los.
„Was ist?“
„Der hat eine richtig krumme Nudel gehabt. Ich meine im ausgefahrenen Zustand, trotz dieses Ringes.“
„Und erst die Rasur an den Eiern!“
„Wenigstens waren sie noch dran.“
Emma prustete vor Lachen. Nachdem sie sich beruhigt hatte, meinte sie. „Was ich schon alles gesehen habe. Ich sollte Fotos machen und einen Bildband veröffentlichen.“
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Der Freier, der von dem kleinen Dialog nichts mitbekommen hatte, verabschiedete sich freundlich aber flink, fast ein wenig verschämt. Emma verriet der Neuen weitere Details. „Manche buchen zwei oder drei Gänge. Nur die allerwenigsten schaffen das auch.“
„Du meinst, die Augen sind größer als der Bauch?“
„So ungefähr. Und auch in diesem Fall gewähren wir keine Rückerstattung.“
Tina dachte darüber nach. „Hast du deswegen schon mal Ärger bekommen?“
„Ein paar Mal gab es nervige Diskussionen, aber die meisten denken, wir hätten Zuhälter und verhalten sich entsprechend zurückhaltend.“
„Zum Glück haben wir keinen Loddel oder Aufpasser.“
„Nein“, pflichtete Emma ihr bei, „nur einen gierigen Vermieter.“
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Das Zimmer war schnell wieder in Ordnung gebracht. Tina breitete ein neues Handtuch auf dem Bett aus und Emma lüftete kurz durch. Dann kontrollierten sie, ob ausreichend Kondome bereit lagen, der Handtuchspender gut gefüllt war und die Schale mit den Süßigkeiten griffbereit stand.
„Das haben wir zwar erst heute morgen gemacht, aber ich habe mir angewöhnt, es nach jedem Kunden zu kontrollieren. Wäre blöd, mitten drin Kondome zu holen oder was auch immer.“
Tina nickte. „Verstehe“, dann drehte sie sich im Zimmer um, „Hast du das Appartement selber eingerichtet? Die
Bilder und das alles?“
„Als ich vor fünf Jahren hier angefangen habe waren wir zu viert, wir arbeiteten im Schichtdienst sozusagen.“
„Verrückt.“
„Wohl wahr“, pflichtete Emma ihr bei, „die drei anderen, alle stammten aus Ungarn, sind inzwischen wieder in ihrer Heimat. Was die dort machen weiß ich nicht. Vielleicht sind sie auch noch im horizontalen Gewerbe irgendwo tätig. In den letzten Monaten habe ich die Zimmer nach und nach dann ein wenig aufgehübscht.“
Tina schmunzelte bei diesem Wort, dass ihre Mutter gern verwendete. Wenn die wüsste, ging es ihr durch den Kopf. „Du bist jetzt hier die Chefin.“
Emma winkte ab. „Ich sehe uns als Unternehmerin.“
Sie wies auf die beiden Aktbilder. „Die habe ich billig auf einem Flohmarkt erstanden. Und der Rest, na ja du siehst ja selber, rot ist die dominierende Farbe.“
„Logisch, was auch sonst.“
Die Zimmer warenmit Bildern und Wandvorhängen ausgestattet. Zwei schlichte Kommoden und ein kleiner Tisch füllten den Raum, den die Kundschaft nur bei schummriger Beleuchtung zu sehen bekam.
Emma schloss das Fenster, durch das die warme Septembersonne schien. Ein bisschen Wehmut erfasste sie stets, wenn sie draußen die Sonne sah und sie hier drin ihre Zeit verbringen musste. Tina hingegen war es egal. Sie war viele Monate arbeitslos gewesen und hatte zuvor in einem Briefzentrum bei der Post gearbeitet. Dort gab es weder Tageslicht noch eine anständige Bezahlung.
„Was du mir bei unserem ersten Treffen nicht gesagt hast.“
„Bei deinem Vorstellungsgespräch?“, frotzelte Emma.
Tina spielte mit: „Bei meinem Vorstellungsgespräch auf die Firmenanzeige Nette Kollegin gesucht.“
„Hattest du gleich geahnt, worum es ging?“, wollte Emma wissen.
„Tja, Kleinanzeigen in der Rubrik Erotik im Wochenanzeiger deuten nicht unbedingt auf eine Softwarespezialistin hin.“
Emma schmunzelte. „Okay, aber was liest du auch Erotik Anzeigen?“
„Ich bin geschieden und hatte Lust auf menschliche Nähe.“
„Auf Sex“, korrigierte Emma.
„Meinetwegen auf Sex.“
„Den bekommst du hier zur Genüge.“
Das Thema war in gewisser Hinsicht heikel, doch Tina fragte gerade heraus: „Hast du trotz des Jobs noch manchmal Appetit auf Sex? Du hast erwähnt, du hättest einen Freund?“
„Freund ist zu viel gesagt, unsere Verbindung ist eher lose. Und ja, Leidenschaft und Sex kann ich nach wie vor genießen.“
„Also keine Verachtung für die Männer insgesamt?“
Das war nicht gerade Emmas Lieblingsthema, doch sie antwortete wahrheitsgemäß. „Ich habe Lukas während meines ersten Jobs kennen gelernt. Bevor ich hierher kam, habe ich zwei Jahre in einem schlecht geführten Puff in Frankfurt gearbeitet. Luke hat im Getränkeladen nebenan gejobbt. Hin und wieder habe ich bei ihm eingekauft. Er hat wohl geahnt, dass ich in dem Rotlicht Schuppen nebenan arbeite. Später hat er mir gestanden, dass er sofort in mich verknallt war.“
„Und? Klingt nach Pretty Woman.“
Emma verdrehte die Augen. „Lichtjahre davon entfernt, glaube mir. Jedenfalls hat es beinahe ein Jahr gedauert, bis Luke zu mir auf's Zimmer kam. Er hat bezahlt, bekam seinen Spaß und mich in den folgenden Wochen noch zweimal besucht. Eines Tages stand er dann nach meinem Feierabend vor der Tür und hat mich abgepasst.“
„Hattest du keine Angst, er könnte ein Stalker sein?“
Emma schüttelte den Kopf. „Dafür bekommt man in diesem Gewerbe recht schnell einen Blick. Wir sind ein paarmal miteinander ausgegangen, dann waren wir so etwas wie ein Paar. Luke bekommt seitdem hin und wieder einen Fick umsonst und ich habe jemanden, zu dem ich gehen kann, wenn ich reden oder etwas unternehmen will.“
Tina hatte die schlechten Zeiten mit ihrem Ex-Mann nicht vergessen, doch was Emma erzählte ließ sie frösteln.
„Liebst du ihn?“, fragte sie ganz direkt.
Emma dachte ernsthaft über die Frage nach, dann drehte sie wie zur Entschuldigung die Handflächen nach Außen. „Er ist süß und ein paar Jahre jünger als ich.“
Tina gab sich damit zufrieden. Sie kannten sich noch nicht lange genug, als dass sie hätte weiter bohren können.
Für einen Moment schwiegen beide, dann zupfte Emma ihre Kollegin am Kleid. „Komm, wir trinken einen Kaffee, dann gebe ich dir noch ein paar Tipps für den Job.“
-
Sie saßen am Tisch, jede einen dampfenden Kaffeepott vor sich stehen.
„Küssen akzeptieren wir nicht in diesem Gewerbe. Höchstens einen Bussi auf die Wange und auch nur bei Sympathie. Zungenküsse sind ein absolutes No-Go.“
„Wünschen das denn viele?“
„Oh ja, und sie würden auch extra dafür zahlen. Aber es ist gewissermaßen die Überschreitung einer roten Linie.“
„Verstehe ich nicht“, gab Tina zu.
„Das verlässt den Bereich des Professionellen“, versuchte es Emma zu erklären, „man begibt sich auf eine Gefühlsebene und das ist Tabu in diesem Geschäft.“
„Zuhören kann ich aber schon, wenn die Männer dafür zahlen.“
„Natürlich, aber immer mit Distanz. Häufig sind unsere Gäste keine Singles, sondern frustrierte Ehemänner. Die kommen dann zwar wegen Sex, aber eben auch, um ihren Frust abzulassen und über ihre verbockte Ehe und ihre blöden Weiber zu jammern. Wenn du da nicht aufpasst, schlüpfst du in die Rolle der Eheberaterin und der Kerl meint, er bräuchte nichts zu zahlen, da ihr ja nur gelabert habt.“
„Also, immer schön Abstand halten, zumindest was die Gefühle betrifft.“
„Exactement.“
Emma erhob sich. Mit ihrer Kaffeetasse in der Hand drehte sie sich vor dem großen Spiegel neben der Küche und betrachtete sich von allen Seiten.
„Du hast eine tolle Figur“, stellte Tina neidlos fest, „man sieht, dass du regelmäßig joggst und ins Fitness Center gehst.“
Emma freute sich innerlich über das Lob, wiegelte aber ab. „Es gibt immer Bessere und Schlechtere.“
Sie strich sich über ihre kleinen Brüste. „Früher wollte ich immer eine Körbchengröße mehr haben.“
„Heute nicht mehr?“
Emma grinste. „Heute müssen es zwei Nummern sein.“
„Denkst du an eine Brustvergrößerung?“
„Seit Jahren, aber ich habe Bammel vor der Operation. Vor allem vor der Narkose.“
„Kann ich verstehen. Ich wurde mal wegen einer Oberarmfraktur operiert. Als ich wieder aufgewacht bin, habe ich mein Bett vollgekotzt. Die Krankenschwester war unglaublich sauer.“
„Und manche wachen überhaupt nicht mehr auf. Was mir außerdem Angst macht sind die Implantate. Es gibt so viel Schrott auf dem Markt.“
Tina stellt sich zu Emma neben den Spiegel. „Viele Männer mögen kleinere Brüste.“
„Wenn man, so wie du, eine ordentliche Oberweite besitzt, ist das leicht gesagt.“
„Nein, ich meine das im Ernst. Außerdem bleiben kleinere Möpse auch im Alter noch straff und hängen nicht herunter.“
Emma war nicht überzeugt. Wieder und wieder drehte sie sich vor dem Spiegel und posierte in allen erdenklichen Körperhaltungen.
Tina sah amüsiert zu. Die zierliche, einen Meter und sechzig große Frau, mit der hellen, fast weißen Haut, den grünen Augen und der feinen Nase, steckte voller Energie. Für sie schien der Job mehr als nur Geldverdienen zu bedeuten. Vielleicht war es nicht unbedingt Berufung, aber doch so etwas wie Berufsehre, wenn es das in diesem Gewerbe denn gab.
Sie zeigte auf die glatten, bis zum Nacken reichenden Haare. „Ist das Schwarz Natur?“
„Nö, aber ich habe einen guten Friseur. Der färbt authentisch.“
Seltsamer Ausdruck für das Färben von Haaren, dachte Tina und strich sich durch ihre schulterlangen, rötlich gelockten Haare. Laut sagte sie. „Deinen Haarkünstler kannst du mir bei Gelegenheit mal zeigen. Ich färbe selber, aber ein Profi wäre nicht schlecht.“
Emma zerzauste Tinas Haar. „Ein bisschen verruchter würde dir gut stehen.“
„Pony?“
„Eine Shag Frisur oder ein Hime Cut würde deinem Typ entsprechen.“
Tina gab ihr recht. Es würde eine guten Kontrast zu ihren braunen, warmen Augen bilden. Ihr neues Alter, dass sie mit neununddreißig angab, würde wiederum fantastisch mit einer Shag Frisur korrespondieren, überlegte sie amüsiert. Wer konnte dann noch ahnen, dass sie bereits fünfundvierzig war. Außerdem steckte diese Mischung in ihr. Die Mutter deutsch und der Vater Italiener. Sie besaß eine leicht dunklen Teint, der ihr auch im Winter eine gesunde Farbe verlieh.
Doch Emma hatte sie nicht zuletzt wegen ihres Jahrgangs eingestellt. Sie sollte gezielt den leicht mütterlich wirkenden Typ repräsentieren. Nicht wenige, vor allem ältere Gäste ständen genau darauf.
Sie fühlte sich dadurch nicht sonderlich geschmeichelt. Hielt sich aber zurück. Die Zeit wird zeigen, wen ich hier bedienen kann und will, sinnierte sie.
Sie deutete auf Emmas Bauchnabel Piercing. „Hat das beim Stechen weh getan?“
Emma schüttelte den Kopf. „Kurz gezwickt hat es, mehr aber auch nicht.“
„Und dein Tattoo?“
Emma hatte sich vor drei Jahren ein Schmetterlings Tattoo auf die rechte Schulter stechen lassen. Es war ihr Sinnbild für Freiheit und Fröhlichkeit. Im Moment verspürte sie jedoch keine Neigung noch weiter über Persönliches zu reden. „Keine großen Schmerzen“, antwortete sie knapp.
Tina betrachtete ohne Neid ihre Kollegin. Sie selber war nicht so schlank wie Emma und die zweiundzwanzig Jahre, mit der sich Emma auf der Homepage darstellte, waren glaubhaft. Ihr tatsächliches Alter von siebenundzwanzig Jahren konnte sie getrost verschweigen.
Die Türglocke riss beide aus ihren Gedanken. Der nächste Termin stand erst für den späten Nachmittag an, also musste es sich um einen spontanen Kundenbesuch handeln.
Die Hälfte der Feier kamen ohne vorherige telefonische oder Online Anmeldung. Nicht selten waren die Prostituierten dann beschäftigt und der Gast musste unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Jetzt, zur Mittagszeit, waren jedoch sowohl Emma als auch Tina frei und Emma fand, es sei an der Zeit, für den berühmten Sprung ins kalte Wasser. „Die Einarbeitungszeit ist vorbei“, erklärte sie gut gelaunt „das ist dein Kunde.“
Tina wurde augenblicklich bleich. „Du hast doch was von drei Tagen erzählt.“
„Ist nicht mehr nötig“, trällerte Emma und öffnete auch schon die Haustür.
Herein kam ein kleiner, untersetzter Mittfünfziger, der nervös von einem Bein auf's andere trat. Emma schätzte ihn als Erstbesucher ein. Vor Anspannung bekam er kein Wort heraus.
„Unsere Tina ist frei“, zwitscherte Emma und nahm den Kunden an der Hand und führte ihn in das kleinere Zimmer. Dann schnappte sie Tina und stieß sie sanft vor sich her. „Das ist exakt deine Zielgruppe. Schicke ihn in die Dusche, dann mach deinen Job und vergiss nicht: Wir duzen alle Kunden. Sprichst du einen mit Sie an, bekommt er vor Schreck einen Coitus interruptus.“
Tina war wenig begeistert. „Na prima. Vielleicht möchte ich ja auch lieber die jungen knackigen Waschbrettbäuche bedienen.“
„Von denen gibt es bei uns nicht so viele. Sobald die ihr erste Freundin haben, verschießen die ihren Samen dort.“
Tina spürte, wie ihre Knie weich wurden. Mit Emmas Humorkonnte sie jetzt gar nichts anfangen. Langsam ging sie auf das Zimmer zu.
„Und vergiss den Notruf nicht“, flüsterte ihr Emma im Vorbeigehen zu.
Tina erschrak. „Meinst du, ich brauche den?“
„Nicht bei dem Kerl, aber im Hinterkopf solltest du es immer haben.“
Tina nickte. Der kleine elektrische Schalter, der in jedem der beiden Zimmer diskret hinter dem Bett angebracht war, löste im Aufenthaltsraum ein Licht- und Tonsignal aus. Die Kollegin konnte zu Hilfe eilen, wenn sie nicht eben selbst mit einem Gast im anderen Zimmer zu Gange war.
Ein tiefes Sicherheitsgefühl gab Tina dieser Notruf nicht gerade und das Emma sie ausgerechnet jetzt daran erinnerte, förderte ihr Unbehagen. Mit größter Willenskraft setze sie ein Lächeln auf und schritt durch die Tür,
-
Emma arbeitete die nächsten zwanzig Minuten an der Homepage ihres Wohnungsbordells, machte zwei Termine für den Nachmittag aus und rief ihren Freund an. Der Wagen brauchte neue Reifen. Er würde sich darum kümmern.
Dann kam Tina aus dem Zimmer gestürmt. Ihr Mund war fest zusammen gekniffen. Bevor Emma fragen konnte, ob alles geklappt hat, schleuderte sie ihr die Worte ins Gesicht: „Wie kann man nur so sein Geld verdienen!“
Gleichzeitig schnappe sie sich eine Zigarette und zündete sie an.
Emma ließ es ihr dieses Mal durchgehen. Als Chefin des Ladens und selber Nichtraucherin untersagte sie allen, einschließlich den Freiern das Qualmen in der Wohnung. Tina schmiss die Kippe nach zwei Zügen ins Klo.
„Was war denn nun eigentlich los?“, wollte Emma wissen. Doch bevor Bettina antworten konnte, stand der Freier im Flur. Er hatte sich in wenigen Minuten angezogen und wollte schnell raus. Auf eine Dusche hinterher verzichtete er. Wie üblich.
Emma schob Tina hinter die Tür, so dass der Gast sie nicht sehen konnte, dann gab sie dem Freier zum Abschied die Hand und den Hinweis: „Bitte das nächste Mal drinnen warten, bis dich jemand von uns holt. Wir wollen doch nicht , dass sich zwei Bekannte auf dem Flur treffen, oder?“
Der kleine Mann schaute empört auf. „Von meinen Freunden oder Verwandten würde niemand in den Puff gehen!“
Emma lächelte charmant. „Genau wie du, nicht wahr?“
-
„Er wollte in meinem Höschen kommen!“, rief Tina entsetzt, als Emma wieder zurück im Aufenthaltsraum war, „Ich sollte es an seinem Ding reiben!“
„Das kostet dreißig extra“, erwiderte Emma ungerührt. „Die hast du ihm hoffentlich abgeknöpft?“
„Verdammt, nein! Außerdem trage doch überhaupt keine keine Unterwäsche unter meinem Kleid!“
Emma verstand ihre neue Kollegin nicht. Sie hatte bei den beiden ersten Gästen heute vollkommen entspannt hospitiert und nun machte sie so einen Aufstand. „Wo liegt denn dann das Problem?“, fragte sie leicht gereizt.
Tina fingerte eine weitere Kippe aus ihrer Schachtel.
„Das ist die Letzte hier drin“, wies Emma sie zurecht, „in Zukunft qualmst du draußen.“
Tina sagte nichts dazu.
„Also, was war los?“
Tina zögerte noch eine Moment, dann sprudelte es aus ihr heraus. „Als ich dem Kerl erklärt habe, dass ich unter dem Minikleid keine Unterwäsche trage, wollte er Fußerotik.“
„Das kommt immer mal wieder vor“, warf Emma ein.
„Ich sollte es ihm tatsächlich mit den Füßen machen!“
„Kenne ich. Das geht ziemlich in die Beinmuskulatur.“
Tina lachte hysterisch auf. „Du hast ja Sorgen. Weißt du, was der Typ zum Schluss dann wollte?“
Emma schüttelte den Kopf.
„Auf meinen Füßen ejakulieren, das wollte der! Der alte Sack hat auf meine Füße gewichst!“
„So alt war der gar nicht, ich hatte schon Siebzigjährige hier.“
Tina war nicht zu bremsen. „Der Mist klebt zwischen meinen Zehen!“
„Dann wasch sie eben und mach nicht so ein Theater.“
Tina stürzte aus dem Zimmer. Emma konnte Würgegeräusche vom Bad her vernehmen. Ungerührt setzte sie eine frische Kanne Kaffee auf.