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Stephan Henderson ist schon während seines Studiums ein erfolgreicher Erfinder. Aus kleinsten Anfängen gründet er seine Pumpenfabrik. Sein Freund aus Kindertagen und neuer Gesellschafter drängt ihn eiskalt aus der Firma. Kurz darauf wird die Sekretärin Viviana Nelle erstochen. Es folgen weitere Morde, die scheinbar bis in die Kreise zweier verfeindeter Banden in Hamburg reichen. Die Ermittler Ried und Schuhmacher stehen nicht nur vor einem, sondern gleich mehreren Rätseln. Der Mörder verfolgt offenbar einen perfiden Plan.
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Seitenzahl: 206
Veröffentlichungsjahr: 2018
Fred M. Sorge
IMPRESSUM
Augenfreunde
von Fred M. Sorge
© 2018 Fred M. Sorge
Alle Rechte vorbehalten.
Autor: Fred. M. Sorge
Umschlaggestaltung und -motiv: Manfred Hahn, Gießen unter Verwendung von Motiven von Fotolia.com
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN:
Paperback
978-3-7469-3415-0
e-book:
978-3-7469-2546-2
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Augenfreunde, falsche Freunde(Italienisches Sprichwort)
Ich danke meiner Frau, ohne deren Verständnis und Unterstützung dieses Buch nicht entstanden wäre.
Es war einer jener Tage, nach denen der Altweibersommer benannt ist – ein Herbstmorgen an der lettischen Ostseeküste.
Stephan Henderson öffnete die Dachluke seines Wohnmobils, das er nur wenige Meter vom Strand entfernt in den Dünen abgestellt hatte, klappte das Fenster im Küchenbereich auf und startete den Oldiesender des Internetradios mit den Swingmelodien.
Nachdem er geduscht hatte, betrachtete er sich im Spiegel. Er konnte mit dem, was er darin sah, zufrieden sein. Mit fast 35 Jahren hatte er ein sehr ansprechendes und angenehmes Äußeres. Eins fünfundachtzig groß, muskulös, gut proportioniert. Sein dunkelbraunes Haar harmonierte gut mit den graublauen Augen.
Man merkte seiner Statur an, dass er seit seiner Jugend intensiven Sport getrieben hatte. Als Ruderer in der Universitätsmannschaft hatte er es sogar zu Ruhm und Ehre gebracht, wenn auch nur in bescheidenem Maße.
Sein Gesicht strahlte Charme und Heiterkeit aus. Oval geschnitten, klassisch, fast aristokratisch. Der Aufbau und die Linien der Augenbrauen, der Nase, Wangen und Lippen wirkten sehr harmonisch.
Nachdem er in Jogginghose, T-Shirt und Badelatschen geschlüpft war, bereitete er sich einen Kaffee zu.
Mit dem köstlich duftenden Kaffeepott in der Hand öffnete er die Tür des Wohnmobils und trat über die ausgeklappte Treppe ins Freie.
Mit der linken Hand angelte er nach dem Stuhl, der seit dem Vorabend neben der Tür am Wohn-mobil lehnte, klappte ihn einhändig auf und ließ sich darauf nieder. Dann schlürfte er den ersten Schluck Kaffee.
Das Essen am Vorabend war exzellent gewesen. Er war am Strand spazieren gegangen und hatte nur wenige hundert Meter weiter westlich ein Strandlokal gefunden; mit einer sehr freundlichen Bedienung und einem, dem Essen nach, sehr guten Koch.
Sein Blick wanderte zu dem kleinen Birkenwäldchen, das sich östlich seines Standplatzes ausbreitete. Die herbstlich gefärbten Blätter sahen aus, als seien sie in pures Gold getaucht. Dahinter ging gerade die Sonne auf und schien alles, was ihre Strahlen erreichte, in der klaren Luft in ein Meer überwältigender Farben zu verwandeln.
Stephan überlegte, ob er seinen Stuhl drehen solle, damit er über die spiegelglatte Ostsee schauen konnte. Die See war heute ausgesprochen ruhig. Nur sehr leise schwappten in regelmäßigen Abständen kleine Wellen an den Strand.
Stephan schaute zufrieden lächelnd auf die Möwen, die hier und da geschäftig im feuchten Sand umhertippelten und suchend pickten, um Muscheln und kleine Tiere zu sammeln.
Es war das erste Mal seit einem viertel Jahr, dass er zufrieden lächeln konnte. Das erste Mal, seit ihn sein Geschäftspartner mit diesem miesen Trick aus seiner Firma gedrängt hatte. Er dachte daran, wie alles gekommen war …
Stephan hatte seinen Jugendfreund Thomas M. Bergmann nach etlichen Jahren auf einem Klassentreffen wiedergetroffen. Er hatte ihn zunächst gar nicht erkannt. Das war nicht mehr der drahtige Typ, den Stephan in Erinnerung hatte.
Tönnes, wie sein Spitzname immer noch lautete, war polternd und großspurig aufgetreten. Bei der Vorstellungsrunde hielt er eine Rede, in der er sich mit seinen Reisen und seiner wichtigen Position in einem Pharmakonzern brüstete.
Schon während ihrer Schulzeit hatten sie sich gegenseitig unterstützt, gemeinsam gelernt und voneinander abgeschrieben. Sie hatten sich gemeinsam gewehrt, waren füreinander eingestanden, hatten Dummheiten zusammen ausgeheckt und gemeinsam die Strafen dafür kassiert.
Dann verloren sie sich aus den Augen. Stephan studierte Maschinenbau, Tönnes wurde Diplom-Kaufmann.
Schon als Student hatte Stephan eine, nach Aussage seines Professors bahnbrechende Idee für eine Vakuum-Pumpe, die er sich in einem längeren Verfahren patentieren ließ.
Es war jedoch unmöglich, Unternehmen zu finden, die das Patent nutzen wollten. Niemand erkannte Chancen und Vorteile der Entdeckung.
Er machte sich also selbstständig. Sein Firmensitz war die Garage seines Vaters. Dort baute er Pumpen und war sein eigener Arbeiter, Ingenieur und Verkäufer. Und er kassierte hunderte Absagen, lernte jede Menge Desinteresse, Ausreden und Rausschmisse kennen.
Dann bekam er eine einzige Chance, bei einem Wasserversorger zwei Pumpen einzubauen. Das waren der Beginn des Erfolgs und der Durchbruch.
Die ersten Mitarbeiter wurden eingestellt. Die Garage wurde schließlich zu klein. Sie bauten Vakuum-Pumpen nur auf Bestellung, und nur so viele, wie Geld für Material vorhanden war.
Es lief hervorragend. Fast schon nebenbei schrieb Stephan seine Diplomarbeit und hatte einen hervorragenden Abschluss in der Tasche.
Der Kundenkreis erweiterte sich rasant. Schon bald musste er die Firma wieder erweitern. Es war Zeit, die Rechtsform seines Unternehmens zu ändern. Er gründete die Henderson-Vacu-TEC GmbH.
*
Ja, Tönnes war noch immer an seinen Gesten und der unverwechselbaren Mimik zu erkennen. Aber sein übertriebenes, aufgeblasenes Gehabe war geradezu unangenehm. In der Jugend war Stephan wohl sehr viel weniger kritisch gewesen.
Nach dem Abendessen zogen sich die alten Cliquen zum Austausch in kleinere Kreise zurück.
Stephan und Tönnes lachten, tranken und erinnerten sich an gemeinsame Streiche, Feten und Freunde. Der Alkohol floss reichlich, und schließlich war es so, als hätten sie sich nie aus den Augen verloren. Dann sprach Stephan von seinen Patenten, seinen Produkten und der Firma. Auch, dass er expandieren müsse.
Tönnes berichtete, dass er im Controlling arbeite und zukünftig weltweit unterwegs sei.
Er verdiene blendend. Geld sei kein Problem. Eher beiläufig erwähnt er, dass er sich an einer Firma für Naturkosmetik beteiligt habe. Man habe Geld für die Sanierung benötigt. Die sei zwar nicht erfolgreich gewesen, er habe aber einen dicken Gewinn mitgenommen. Den wolle er nun investieren.
Sie vereinbarten, in Kontakt zu bleiben.
Bereits zwei Wochen nach dem Klassentreffen erhielt Stephan eine Mail. Tönnes schrieb, er habe schon mal Erkundigungen über Stephans Firma eingeholt und könne sich sehr gut vorstellen, als Teilhaber einzusteigen.
Sie trafen sich kurz zwischen zwei Auslandseinsätzen von Tönnes am Flughafen. Erstaunlicherweise brachte der schon sehr klare Vorschläge mit.
Die Bewertung der Firma schien sachlich und fair. Die Beteiligung sollte bei fünfzig Prozent drei Millionen betragen. Die einzige Forderung war, dass die persönlichen Patente von Stephan auf die neue Firma übertragen werden müssten.
Nach zwei weiteren Gesprächen vereinbarten sie einen Notartermin und gründeten die gemeinsame Gesellschaft. Stephan brachte seine komplette Firma und persönlich seine Patente ein. Der neue Teilhaber Tönnes zahlte die vereinbarte Finanzeinlage und wurde zweiter Geschäftsführer.
Sie teilten sich die Geschäftsführung gleichberechtigt. Die Zuständigkeiten waren getrennt. Tönnes war für Verwaltung und den Verkauf zuständig, Stephan Entwicklung und Produktion.
Es war beiden klar, dass unterschiedliche Meinungen bei der vereinbarten Anteilsverteilung von je 50% die Firma durchaus lähmen könnten.
Um dem vorzubeugen, hatten sie eine entsprechend sichere Regelung im Gesellschaftervertrag getroffen.
Derjenige von ihnen, der einen für den Fortbestand der Firma wichtigen Antrag einbrachte, sollte bei einer Ablehnung ein Sonderkündigungsrecht haben.
Das konnte wahlweise das eigene Ausscheiden aus dem Unternehmen mit einer Abfindung oder das Angebot einer Abfindung für den anderen Gesellschafter bedeuten.
Als Tönnes in die Firma eintrat, kam er jedoch nicht allein. Er brachte seine Sekretärin Viviana Nelle und einen gewissen Manuel Karlowski als persönlichen Assistenten mit.
Im weiteren Verlauf ihrer geschäftlichen Verbindung ergänzten sich Stephan und Tönnes hervorragend. Nur die Sekretärin und dieser Assistent störten. Viviana Nelle war Ihrem Chef ergeben und hielt ihm mit allen Mitteln den Rücken frei, log sogar für ihn.
Stephan blieb keineswegs verborgen, dass Tönnes und Viviana ein Verhältnis hatten. Sie bemühten sich zwar, es geheim zu halten, was ihnen aber immer weniger gelang.
Wenn Tönnes Viviana versehentlich duzte, entschuldigte er sich verdächtig schnell.
Der Nutzen der Sekretärin für die Firma war für Stephan ja noch nachzuvollziehen.
Karlowski hingegen war der Chauffeur und eher das Faktotum seines Chefs, dazu der Mann fürs Grobe. Er war Tönnes’ Schatten, fuhr ihn zu Auswärtsterminen und kassierte regelmäßig die Punkte, wenn dieser wieder einmal zu schnell gefahren war. Darüber hinaus betätigte er sich als Hausmeister in Tönnes Haus.
Stephan gefiel nicht, dass Karlowski auf der Lohnliste der Firma stand. Da aber sonst alles glatt lief, schwieg er. Er sah in Tönnes seinen Freund und akzeptierte dessen Entscheidung.
Die internationalen Erfahrungen von Tönnes brachten neue Kontakte, große Kunden und optimale Abschlüsse. Stephan konnte sich auf die Entwicklung neuer Produkte konzentrieren. Die Verwaltung war sowieso nicht sein Ding. Das alles machte Tönnes viel besser. Stephan vertraute ihm blind.
Aufgrund ihrer verschiedenen Zuständigkeitsbereiche sahen sie sich manchmal tagelang nicht. Deshalb trafen sie sich zum regelmäßigen Austausch dienstags und freitags zur Happy Hour, um alles Wichtige zu besprechen. Regelmäßig fuhr Karlowski seinen Chef zu diesen Treffen, setzte sich aber stets an einen anderen Tisch.
Aus diesen geschäftlichen Treffen außerhalb der Firma ergaben sich schließlich noch mehr gemeinsame Aktivitäten während ihrer Freizeit.
Eines Tages schlug Tönnes vor, dass Stephan mit ihm die Jägerprüfung machen solle. Wichtige Entscheidungsträger potenzieller Kunden würden sich in einem exklusiven Jägerkreis treffen. Um mitreden zu können, sei es wichtig, selbst zu jagen. Sonst sei man als Jagdgast in die Riege der Treiber degradiert und könne nicht mitreden.
Das leuchtete Stephan ein, auch wenn es nicht sein Ding war, zu jagen und zu schießen. Sie bereiteten sich auf die theoretische und praktische Prüfung vor und legten sie gemeinsam ab.
Bei den Jagden, zu denen Tönnes ihn schleppte, war Stephan jedoch meistens der Pechvogel. Er bekam kaum Wild vor die Flinte und wenn er einmal schoss, traf er nicht.
Die nächste Aktivität, die Tönnes für unverzichtbar hielt, war ein Golfkurs. Zu Beginn trafen sie sich jedes Wochenende. Schließlich hatte Stephan keine Lust mehr, Karlowski als dauerndes Anhängsel und als Tönnes´ Caddy zu ertragen.
Ihm wurden diese Hobbys mehr und mehr zuwider und er reduzierte sie auf ein Minimum.
Ein paar Monate, nachdem er sich mit Tönnes zusammengetan hatte, ergab sich für Stephan die Möglichkeit, als private Investition ein Gewerbegrundstück mit Bürogebäude, zehn Garagen und einer großen Kraftfahrzeughalle zu ersteigern.
Das Bürogebäude und die Garagen standen leer. Es musste umgebaut werden. Die Halle aber war sofort nutzbar.
Er vermietete sie an Erwin Lendel, einem wuseligen KFZ-Meister, der seine langjährige Berufspraxis noch in Sibirien erworben hatte.
Sie trennten einen Teil der Halle ab, den Stephan selbst nutze. Mit Lendels Beratung bauten sie dort eine Hebebühne ein und statteten sie mit Werkzeug ausgestattet.
Hier wollte Stephan seinen Traum von einem fachgerecht restaurierten Oldtimer verwirklichen.
Nach einigem Suchen fand er sein Traumobjekt.
Es war es Wert, restauriert zu werden: Einen der ersten Karman Ghia, der je gebaut worden war.
Das Fahrzeug war zwar im Originalzustand, aber der Zahn der Zeit hatte massiv daran genagt. Die totale Zerlegung des Fahrzeuges war nötig. Der Neuaufbau der Karosserie würde die meiste Arbeit in Anspruch nehmen.
Eine solche Komplettrestaurierung hätte sich Stephan ohne Lendels Unterstützung nie zugetraut und in Angriff genommen.
Tönnes hatte ein halbes Jahr vor seinem Einstieg in Stephans Firma im Rahmen einer internen Revision des Pharmakonzerns den Auftrag erhalten, die schwedische Tochterfirma zu prüfen.
Damals hatte er die Absicht, im Konzern die Karriereleiter zu erklimmen. Entsprechend scharf führte er die Inspektion durch. Er stellte fest, dass der Jahresfinanzplan der Tochterfirma überschritten worden war. Die Umsatzzahlen sahen sehr gut aus. Der Gewinn war wesentlich höher als das Budget. Aber auch die Kosten waren höher, als in der Jahresplanung ausgewiesen.
In den Vorjahren hätte Tönnes derartige Abweichungen positiv dargestellt, was sie letztendlich ja auch waren.
Diesmal ging er anders vor. Er verwies darauf, dass es finanzielle Ungereimtheiten in der Firma geben würde, beschrieb aber nicht näher, welche das sein würden.
Aufgrund seines gewählten Begriffes geriet der Geschäftsführer der schwedischen Tochter massiv unter Druck. Die Situation wurde zudem unabsichtlich durch Tönnes weiter verschärft.
Als er nach Hause fliegen wollte, traf Tönnes am Flughafen in Stockholm zufällig einen bekannten Journalisten der Wirtschaftszeitung. Sie tauschten sich über das Woher und Wohin aus. Er sprach von der Prüfung in der Tochterfirma; und davon, dass nicht alles glatt gelaufen sei und es finanzielle Ungereimtheiten gäbe. Das erste Mal könne er wohl keinen positiven Bericht abgeben.
Danach hatten sie sich generell über Etatüberziehungen und den damit einhergehenden möglichen finanziellen Problemen – im schlimmsten Fall bis zur Insolvenz – unterhalten und ausgetauscht.
Der Journalist hatte wohl seine eigenen Schlüsse daraus gezogen. In der größten Handelszeitung war kurz darauf zu lesen:
Wie aus vertraulichen Kreisen bekannt wurde, hat eine interne Revision festgestellt, dass es in der schwedischen Tochter des Pharmakonzerns wesentliche finanzielle Ungereimtheiten gibt. Vertraulichen Informationen nach, die uns vorliegen, wird der Geschäftsführer Wolfgang Mehnert ausgetauscht. Der Jahresetat in Höhe von ca. 40 Millionen wurde von ihm in einer Weise überzogen, dass mit einer Zwischenfinanzierung der laufenden Geschäfte durch die Muttergesellschaft zu rechnen ist.
Tönnes Aussage wurde zwar sehr übertrieben wieder gegeben, aber durch den Zeitungsbericht war der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft nicht mehr zu halten. Um seinen eigenen Kopf zu retten, schwieg Tönnes über seine Indiskretion.
Aus der Konzernleitung sah sich niemand verpflichtet, eine Richtigstellung zu verlangen. Im Gegenteil, sie sahen sich gezwungen, sich von Wolfgang Mehnert, dem Geschäftsführer der erfolgreichen Tochter, zu trennen.
Das war der Fachpresse einen zweiten Artikel wert. Wolfgang Mehnerts Existenz war so vernichtet, denn mit diesem beruflichen Hintergrund würde ihn niemand in einer vergleichbaren Position einstellen.
Stephan blickte auf die Einladung zu einer Treibjagd, die Tönnes auf seinem Schreibtisch hinterlassen hatte. Absender war der Unternehmensberater, Lobbyist und Waffenhändler Karl-Gerhard Mahler. Treffpunkt war der Platz vor seinem Jagdhaus, das in Größe und Ausstattung jedem DDR-Politiker oder dem wohlbetuchten Landadel zur Ehre gereicht hätte.
Der Kontakt zu Mahler bestand schon eine ganze Weile. So waren Tönnes und Stephan vor einiger Zeit von ihm auf einen Schießplatz in Brandenburg eingeladen worden. Dort hatten sie mit einem großkalibrigen Scharfschützengewehr mit Zielfernrohr und Schalldämpfer geschossen. Als Linkshänder war Stephan mit der Waffe überhaupt nicht zurechtgekommen. Er traf meist nicht einmal die Zielscheibe.
Damals hatte er herausgefunden, dass Mahler in eine Affäre um Parteispenden verwickelt war, sie aber ohne weitere Folgen überstanden.
Auch ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung hatte er ohne Schrammen hinter sich gebracht. Außerdem war gegen ihn ergebnislos wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und Exportverbote in Embargoländer ermittelt worden.
Mahler vermittelte und makelte als Lobbyist alles, was sonst ausschließlich mit Ausfuhrgenehmigungen auf legalem Weg das Land verlassen durfte.
Stephan hatte keine überhaupt keine Lust, diesem Menschen noch einmal zu begegnen. Doch Tönnes blieb hartnäckig. Stephan gab schließlich nach.
*
Klein, gedrungen, der Kopf saß ohne Hals direkt auf dem Hemdkragen, stand der Jagdherr im offenen Geländewagen, begrüßte die Gäste. Dabei fuchtelte er wie ein Feldherr mit den Armen. Er war Ende fünfzig, trug einen teuren Jagdpelz und protzte mit einem edlen Drilling, der bestimmt etliche Tausender gekostet hatte.
Stephan entdeckte unter den Eingeladenen einige Größen aus Finanzen und Wirtschaft, die er in der Presse und den Nachrichten schon mal gesehen hatte. Der exotischen Kleidung verschiedener anderer Gäste nach war Mahler offenbar international sehr gut vernetzt.
Als Stephan sich die Fahrzeugflotte ansah, mit der die Gäste gekommen waren, grinste er in sich hinein. Abgesehen von den metallisch glänzenden allradgetriebenen Edelkarossen sah er eine Armada silberner und grüner Subaru Allrad-Kombis. Fast wirkte die Aufstellung wie ein Treffen erfolgreicher Verkäufer dieser Automarke.
„Wer keine Waffe dabei hat, kann mit meinem Jagdaufseher Fischer ins Haus gehen und sich dort aus meinem Waffenschrank etwas Passendes aussuchen“, rief Mahler in die Runde.
Stephan folgte drei ausländischen Gästen ins Haus. Er wählte ein Jagdgewehr mit Zielfernrohr, Kaliber 300 Magnum und fünf Schuss Magazin aus dem voluminösen gepanzerten Waffenschrank.
Das war die richtige Waffe für eine Drückjagd auf Rot- und Schwarzwild. Das große Kaliber vermied langes Leiden und man musste kein angeschossenes Wild suchen.
Wieder auf dem Sammelplatz zurück, teilte Jagdaufseher Fischer die einzelnen Gruppen ein.
Mahler hatte ihn offenbar angewiesen, dass Tönnes mit einem gewissen Josef Aichinger eine Jagdgruppe bilden sollte.
Stephan landete beim Jagdherrn, der eine der weiteren Jagdgruppen anführte.
Mahler begrüßte Stephan überschwänglich: „Schön, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Ich freue mich, dass wir uns so schnell wiedersehen. Ich schlage vor, wir werden einen Hochsitz zusammen besetzen. Dann haben wir auch noch ein paar Möglichkeiten, zu plaudern.“
Sie stiegen in Mahlers Geländewagen und fuhren zu einem Hochsitz am Waldrand. Nachdem sie den Ansitz erklommen hatten, fiel Stephans Blick auf eine Kiste, die warme Decken und den Etiketten der Flaschen nach edle Schnäpse enthielt.
Es war bestimmt noch etwas Zeit, bis die Treiber ihre Positionen eingenommen hatten und die Drückjagd begann.
Kaum dass sie saßen, bot Mahler den ersten Drink an. Stephan nahm das gefüllte Glas entgegen, sie prosteten sich zu und tranken.
„Wie ich sehe, haben Sie sich das 300-er Repetiergewehr ausgesucht. Eine gute Wahl. Demnach haben Sie nach unserem Ausflug nach Brandenburg keine schlechten Erinnerungen an das Kaliber.“
Das war ja klar, dass dieser Großkotz ihn an seine erfolglosen Schießversuche erinnern musste.
Stephan verkniff sich eine bissige Antwort. „Es ist halt ideal für Rot- und Schwarzwild.“
„Wissen Sie was? Lassen Sie uns tauschen! Hier, nehmen Sie den Drilling! Der war sein Geld wert. Ich denke, Sie kommen damit besser zurecht.“
Stephan ging auf das Angebot ein. Mahler musste etwas im Schilde führen. Warum hätte er sonst ausgerechnet ihn, der sich schon in Brandenburg so blamiert hatte, kameradschaftlich an seine Seite genommen? Die Erklärung dieser Frage ließ nicht lange auf sich warten.
„Wie hoch ist eigentlich der Exportanteil Ihrer verkauften Produkte?“
Daher wehte also der Wind. Es ging, wie sollte es auch anders sein, ums Geschäft. „Es sind rund achtundzwanzig Prozent.“
„Das ist für ein modernes Unternehmen eigentlich sehr wenig. Wo liegt denn dann das Geheimnis Ihres geschäftlichen Erfolgs?“
„Top Qualität und eine Technik, die auf eigenen Entwicklungen und Patenten beruht. Das bringt den entscheidenden Vorteil.“
Mahler strich sich über den Bart. „Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ob eine Erhöhung Ihres Exportanteils von Vorteil wäre? Dadurch sinkt die Abhängigkeit vom Inlandmarkt und das Risiko ist besser gestreut.“
„Unser aktuelles Projekt stellt einen wichtigen Entwicklungsschritt dar. Damit bekommen wir ein Produkt, das international sowie in etlichen neuen Branchen einsetzbar ist. Das wird mehr als zurzeit den Bestand des Unternehmens sichern.“
„Sie sollten dennoch vorsichtig sein. Es gibt sehr viele inkompetente und windige Berater. Vielleicht sollten wir einmal über eine Zusammenarbeit nachdenken. Ich bin gerne bereit, da meine internationalen Erfahrungen einzubringen.“
„Danke für das Angebot, ich werde es mit meinem Teilhaber besprechen.“
Mahler blickte über das Feld vor ihnen. „Waren Sie schon häufiger auf der Jagd?“
„Ja, allerdings ohne eigene Waffe. Ich müsste mir ein spezielles Gewehr bauen lassen, weil ich nur mit dem linken Auge zielen kann. Das war auch der Grund, warum ich in Brandenburg nichts getroffen habe. Den Jagdschein hab ich nur auf Bergmanns Drängen erworben. Zur allgemeinen Überraschung habe ich auch die Schießprüfung bestanden. Die Hege und die Ruhe in der Natur liegt mir mehr als die Jagd.“
„Hege und Jagd gehören schließlich zusammen. Was machen Sie sonst in Ihrer Freizeit?“
„Mein größtes Hobby sind Oldtimer. Ich zerlege gerade einen Karman Ghia von 1956 und will ihn restaurieren. Leider habe ich viel zu wenig Zeit. Zudem möchte ich ein neu erworbenes Bürogebäude in Wohnungen umbauen und habe etliche Probleme mit der Baubehörde.“
Mahler richtete sichtlich interessiert den Blick auf ihn. Etwas, das Stephan nicht deuten konnte, blitze in den braunen Augen seines Gegenübers auf „Was sind das für Probleme?“
„Das Bauamt stellt sich quer, weil das Grundstück in einem Gewerbegebiet liegt. Nach dem Bebauungsplan ist dort eine Wohnbebauung nicht erlaubt. Und deshalb ist der Umbau baurechtlich problematisch.
„Es ist überhaupt nichts problematisch“, Mahler grinste, „wenn man die richtigen Leute kennt. Wenn Sie wollen, lasse ich mal meine Beziehungen spielen.“
Unvermittelt brach eine Sau als Vorhut einer Rotte aus dem Unterholz.
Mahler legte an, zielte kurz und schoss. Das Wildschwein brach zusammen. Er lud nach und knallte wie im Rausch vier weitere Bachen aus der Rotte ab.
Stephan wurde fast übel. Er hatte diesen gottverdammten Jagdschein nur gemacht, weil Tönnes ihm eingeredet hatte, die Jagd gehöre zum Geschäft wie das Golfen. Mit dem Golfball konnte er zwar besser umgehen, aber der Schickimicki-Flair dort lag ihm nicht.
Mahler sah ihn triumphierend an. „Jeder Schuss ein Treffer. Ich habe Sie gar nicht anlegen sehen, sonst hätte ich Ihnen gern den Vortritt gelassen.“ Er verzog die Mundwinkel, was wohl ein Lächeln darstellen sollte.
Stephan meinte, so etwas wie Verachtung in Mahlers Blick zu erkennen.
„Allzeit bereit“, rief dieser, grinste erneut maskenhaft und schenkte sich noch einmal einen Edelbrand ein.
Als die Treiber nach einer Weile mit lautem Rufen und Klappern links und rechts neben dem Hochsitz aus dem Gebüsch kamen, war es Zeit, hinunter zu steigen.
Mahler brach einen Eichenzweig ab, zog ihn durch die Schusswunde eines der Wildschweine und steckte ihn anschließend an Stephans Hut. „Zwei der Säue sind Ihre, ich trete sie Ihnen ab. Das bleibt aber unter uns.“
Stephan sah ihn verdutzt an. Das entsprach nicht den Jagdregeln. Er schwieg. Ihm war klar, was Mahler damit bezweckte: Abhängigkeit.
Zurück am Jagdhaus sah Stephan, dass auch sein Freund Tönnes einen Rehbock und ein Wildschwein erlegt hatte.
Als der den blutigen Zweig an Stephans Hut sah, grinste er. „Glückwunsch, du hast ja getroffen.“ Der Spott war nicht zu überhören.
„Lass uns später darüber reden.“
Nachdem das erlegte Wild vor dem Jagdhaus als Strecke gelegt worden war, erklang das Jagdhorn. Mit dem großen Halali wurde die Jagd offiziell beendet und das Schüsseltreiben begann.
Über dem Feuer dampfte ein großer Kessel mit einem kräftigen Eintopf. An der Ausgabe lagen zudem edle Schinken und Würste.
Bevor die Gäste ihre Teller füllten, stand Mahler auf, lobte die allgemein sehr erfolgreiche Jagd und erwähnte dabei ausdrücklich Stephan, seinen Jagdpartner. „Er hat äußerst professionell zum ersten Mal an einer Jagd teilgenommen. Dabei war ihm auch noch das Jagdglück hold. Er hat zwei Wildschweine erlegt.“
„Es waren nicht zwei, es waren fünf“, rief Fischer dazwischen.
Klar, der Mann konnte doch nicht wissen, dass sie die Waffen getauscht hatten. Stephan konnte eine gewisse Schadenfreude nicht unterdrücken.
Mahlers Gesicht lief plötzlich knallrot an. Er warf Fischer einen vernichtenden Blick zu. Dann wandte er sich sehr aufgesetzt freundlich und verbindlich wieder seinen Gästen zu.
Mit einem knappen „Guten Appetit“, beendete er seine Rede, bei der Schuss gewaltig nach hinten losgegangen war. Dann stürmte er auf Fischer zu und forderte ihn auf, ihm ins Jagdhaus zu folgen.
Stephan konnte sich vorstellen, was hinter der verschlossenen Tür vor sich ging.
Nach einer Weile gesellte sich Mahler wieder einigermaßen gefasst zu der Jagdgesellschaft, während Fischer wütend, dennoch in der Haltung eines geprügelten Hunds, zu seinem Auto stapfte und davonfuhr.
„Warum so früh?“, begrüßte ihn seine Frau Karin, als Josef Aichinger nach Hause kam.
„Mahler hat wieder mal sein wahres Gesicht gezeigt. Ich konnte das Ganze nicht mehr ertragen und bin gegangen.“
„Du kennst ihn doch. Warum nimmst du immer wieder seine Einladungen an?“
„Er verfügt nun mal über die Kontakte, die für uns sehr wichtig sind.“
Karin schaute in besorgt an. „Du weißt doch, wie er mit dir umgegangen ist. Der Mann kennt keine Skrupel. Er wird auch dich erneut benutzen.“
„Das wird er nicht wagen, eher bringe ich ihn um“, erwiderte er gepresst und stapfte mit finsterem Gesicht in sein Arbeitszimmer.
Dort goss sich einen Cognac ein und setzte sich an den Schreibtisch. Karin hatte eigentlich Recht.
Mahler und er hatten viele Jahre gute Geschäfte miteinander gemacht. Er hatte in Aichingers Waffenmanufaktur als Verkäufer begonnen und war bis zum Verkaufsleiter aufgestiegen. Der Kerl war ein Naturtalent und wäre in der Lage, sogar Sand in der Wüste verkaufen.
Dann hatte Aichinger festgestellt, dass Mahler auch noch Nebengeschäfte abwickelte. Daraufhin hatten sie sich partnerschaftlich getrennt. Er hatte auf freiberuflicher Basis für ihn weitergearbeitet.
Im Laufe der Zeit hatte Mahler allerdings immer häufiger Alternativen zu Aichingers Produkten gefunden. Ihr Geschäftsvolumen hatte nach und nach immer weiter abgenommen. Mahler vertrat die Meinung, das sei alles eine Frage des Preises. Die anderen Lieferanten würden bessere Provisionen zahlen und es gäbe auch mehr Möglichkeiten für weitere Zugaben.
Ihm war klar gewesen, was mit diesen Zugaben gemeint war. Als er noch bei ihm angestellt war, hatte er sehr oft gemeint, ein bestimmtes Geschäft sei nur erfolgreich abzuschließen, wenn man für die Verantwortlichen Zugaben haben würde, was im Klartext Schmiergeld hieß.
Dann gab es eine lukrative Ausschreibung der Bundeswehr. Man benötigte dort für Auslandseinsätze neue Scharfschützengewehre. Aichinger hatte in seiner Waffenmanufaktur den gesuchten Gewehrtyp. Es war bereits bei zwei anderen NATO-Staaten im Einsatz. Die Chancen waren also gut, die Ausschreibung zu gewinnen.
Mahler, dieses Schlitzohr, hatte natürlich in Erfahrung gebracht, dass sich Aichinger an der Ausschreibung beteiligte und ihn in seinem Büro aufgesucht.
„Dir ist doch klar, dass du wesentlich bessere Chancen hättest, die Ausschreibung für dich zu entscheiden, wenn du zu Zugaben bereit wärst“. Er hatte ihn wiederholt auf das Thema angesprochen. „Ich bin bereit, sie in die richtigen Kanäle zu leiten, damit dem Auftrag für dich nichts mehr im Weg steht.“
„Und dein Preis wäre?“