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Carsten Krause macht eine bahnbrechende Erfindung in Sachen Beton. Sie ermöglicht es, Bebautes auf einfachste Weise wieder in Natur zurück zu verwandeln. Alle Welt ist nun hinter Carsten her, um an die Erfindung heranzukommen. Leider interessieren sich aber auch dubiose Geschäftsleute, korrupte Politiker, gefährliche Gangster sowie virulente Chaoten und Aktivisten für diese Erfindung. Selbst seine Familie und gute Freunde geraten zunehmend unter Druck. So verwandelt sich die einzigartige Erfindung in einen Albtraum, der seinen Höhepunkt in der skurrilen Entführung von Carstens Frau Sybille findet. In diesem Roman mit spannenden kriminalistischen Aspekten geht es darum, wie sogenannte gutgemeinte, geniale Erfindungen das Verhältnis des Menschen zur Natur beeinträchtigen und letztlich mehr zerstören, als aufbauen.
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Seitenzahl: 385
Veröffentlichungsjahr: 2020
Roland Platte
B'tong
ein Umweltroman
Band 1
© 2020 Roland Platte
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-05548-3
Hardcover:
978-3-347-05549-0
e-Book:
978-3-347-05550-6
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„Böden zählen zu den kostbarsten Güternder Menschheit. Sie ermöglichen esPflanzen, Tieren und Menschen auf derErdoberfläche zu leben.“(Europäische Bodencharta 1972)
PROLOG
Eine endlose, zähe Masse, erstarrt zu festem Material, rau, hart, undurchdringlich. Kilometerweit hat es sich in unser Dasein hineingefressen. Setzt ständig neue Grenzen. Vernichtet ohne Pardon alles Leben, wälzt sich über ganze Landschaften hinweg. Wie ein Tier mit tausend Tentakel dringt es durch die Städte, in die Wälder, ins Wasser, über Flüsse, Seen und Meere hinweg, verkrallt sich in den Boden, lässt nicht mehr locker, erstickt den letzten Atem, den warnenden Schrei, um alles hemmungslos platt zu walzen, was Leben heißt.
Es liebäugelt mit modernster Architektur, scheint ihr zu dienen und dient nur sich selbst. Immer weiter fortschreitend, beinahe lautlos schiebt es sich vorwärts, immer weiter, immer weiter. Dieses Ungeheuer mit schroffer, auch rissiger Oberfläche versteckt sich hinter Glas, Spiegeln, Putz, lugt aber immer wieder hervor, um neue Wege der Verbreitung zu finden. Zwei-, drei- oder mehrere hundert Meter hohe Gebäude erheben sich mühelos und stolz in die Himmel der Megapolen, die, hungrig nach diesem Stoff, ihn feiern, ihn huldigen, sich ihm hingeben, wie einem Retter der Menschheit.
Grandiose Bauten täuschen Gesetz- und Grenzenlosigkeit vor, scheinen den Menschen die Macht über die Naturgebote verliehen zu haben. Er hat sich in unsere Herzen geschlichen, um dort alles Organische zu lähmen, hat das Blut ersetzt durch Wasser aus schmutzigen Pfützen, die Seele durch eisige Zugluft, das regelmäßige Pochen durchs Stottern ohnmächtiger Presslufthammer.
1.
Der alte, grau-blaue 2CV prescht durch den Dünensand, das Stoffdach nach hinten zusammengerollt und festgezurrt, genauso wie das bei den 'Enten' früher üblich war. Der frische Küstenwind sticht Carsten ins Gesicht. Er schaut in den Rückspiegel und sieht seine beiden Kinder auf der Rückbank sitzen. Ungeduldig, aber auch ein bisschen müde schauen sie auf den weißen Sand, der sich zu hohen Dünen aufgeschichtet hat.
Endlich sind sie am Parkplatz angelangt. Carsten zieht mit einem Ruck die Handbremse und stellt den Motor ab. Er reibt sich die Augen und genießt einen Augenblick die Ruhe, nur unterbrochen von dem wilden Geschrei der Möwen und den am Strand aufklatschenden Wellen.
Sie waren heute früh gegen 5 losgefahren und jetzt ist es 8. Eine Stunde länger als geplant. Egal!
Er schwingt sich mit einem Ruck aus dem Auto und öffnet den Kindern die Wagentüren.
- Los geht's, ihr Langschläfer.
- Wir haben doch gar nicht geschlafen!
Seine ältere Tochter Jana weiß mit 12 einfach alles besser. Er antwortet nicht darauf.
- Kommt jetzt raus, wenn ihr am Strand spielen wollt, lange bleiben wir nicht.
- Warum sind wir denn dann überhaupt ans Meer gefahren?
- Ich will hierbleiben, am Meer! Ich will hier spielen.
- Es ist kalt und Hunger habe ich auch.
Carsten packt eine alte Tasche, stopft noch einen Ball hinein und beugt sich dann zum Vordersitz, auf dem ein braunes Fläschchen liegt. Er nimmt es mit Vorsicht an sich, knallt die Wagentüre zu und marschiert los, gefolgt von den beiden Kindern.
Am Strand angekommen, blickt Carsten um sich. Weit und breit kein Mensch zu sehen. Nur seine Kinder, die ihre Schuhe ausgezogen haben und auf das Meer zulaufen.
Es ist Flut, aber bis zu den Dünen ist das Wasser noch nicht aufgelaufen. Und am Rand der Dünen befindet sich das Ziel seiner Fahrt, ein graugrüner Bunker aus dem zweiten Weltkrieg, der, von starken Flutwellen wohl immer wieder angegriffen, nun leicht schräg abgekippt, völlig absurd im Dünensand steht.
- Hey Kinder, passt auf, geht nicht zu weit ins Wasser!
Den Kindern ist das Meer ohnehin zu kalt, zu unruhig und auch zu grau.
Es ist nicht gerade ein schöner, warmer Sommertag mit einem idyllischen, blauen Meer in sanfter Sommerbrise. Es ist ein kühler Herbsttag mit scharfem Wind, der die grauen Wolken am Himmel wie nichts zerreißt und das Wasser beinahe schwarz erscheinen lässt mit weißlichem Glanz.
Carsten ist das aber egal, er ist nicht des Meereswassers und der Wellen wegen hier, der Bunker ist sein Ziel.
- Bleibt ihr am Strand? Ich gehe mal eben hoch zu dem Bunker. Passt aber auf, ja? Ich lass' die Tasche hier, wir treffen uns hier wieder.
Er lässt die Tasche in den Sand fallen und marschiert los.
Er ist froh, dass die Kinder jetzt nicht mitkommen. Was er am Bunker vorhat, ist erst mal nur seine Sache.
Carsten lächelt selbstsicher, er weiß eigentlich schon, dass es klappen wird. Aber er hat sich vorgenommen, dieses Experiment en grandeur nature zu machen. Das Bild hat ihn seit einiger Zeit verfolgt: er hier am Strand, am Bunker, mit der braunen Flasche… Am Bunker ankommen, steigt er aufs Dach und schaut nochmal zurück zu den Kindern. Beruhigt sieht er, dass diese jetzt auf die Tasche zulaufen, vielleicht weil ihnen kalt ist oder weil sie mit dem Ball spielen wollen oder weil sie Hunger haben. Er ist aber auch deswegen beruhigt, weil keine weitere Menschenseele zu sehen ist.
Es kann also losgehen. Endlich ist der große Moment gekommen. Er zieht die braune Flasche aus seiner Jackentasche, öffnet behutsam, beinahe liebevoll den Drehverschluss und kippt vorsichtig einen guten Teil der farblosen Flüssigkeit auf die raue Schale des Bunkers.
Nach einer Weile fängt die Oberfläche an sich zu bewegen, wird schwammig und beginnt schließlich seitlich weg zufließen in einer Art trüben, sandigen Flüssigkeit. Ermutigt von dem ersten Erfolg, kippt Carsten den Rest der Flasche auf die gleiche Stelle. Ein Teil des Betons löst sich auf, fließt schließlich durch das entstandene Loch direkt ins Innere des Bunkers ab, bis eine handgroße Lücke entstanden ist, die zwei verrostete Stahlstreben wie greifende Finger blank gelegt hat.
Carsten grinst stolz und schraubt mechanisch die leere Flasche wieder zu.
- Hallo, klingt es plötzlich aus dem Bunker.
- Hallo, schallt es aus dem neu geschaffenen Loch.
Carsten fährt erschrocken zusammen, lacht dann aber wieder, als er erkennt, dass seine Kinder sich herangeschlichen haben und jetzt aus dem Bunker, durch das neu geschaffene Loch, zu ihm hinaufschauen.
- Was machst du da, Papa?
- Ich mache gar nichts, ich bringe Licht ins Dunkel, lacht Carsten, indem er vom Bunker springt. Und jetzt werde ich euch fangen, wenn ihr da nicht sofort wieder rauskommt.
Vor Vergnügen quietschend, laufen die Kinder aus dem Bunker, der jetzt durch einen Strahl der Morgensonne hell erleuchtet ist, außen wie innen.
2.
- Morgen werde ich kündigen.
Carsten blickt stolz in das Gesicht seiner Frau. Sie schaut ihn eine Weile sprachlos an.
- Wieso das denn?
- Ich hab's geschafft. Ich HABE ES geschafft.
Er packt sie an den Hüften und bringt sie dazu ein paar Tanzschritte zu vollziehen. Die kleine Küche bietet jedoch nicht viel Raum und so lässt er es wieder sein. Er schaut ihr tief in ihre blassgrünen Augen.
- Ich hab's geschafft!
- Was hast du geschafft?
- Na das, woran ich schon seit Wochen arbeite. Mensch, stell dich doch nicht so an. Deine Begriffsstutzigkeit grenzt ja schon an Beleidigung gegenüber meiner Erfindung.
- Du arbeitest doch an so vielen Projekten gleichzeitig. Woher soll ich denn wissen, welches jetzt gerade geklappt hat?
- Ok, beginnt er mit beherrschter, leiser Stimme. Demonstrativ schaut er sich um, als ob er fremdes Mithören vermeiden wolle:
- Ich habe den Betonverflüssiger erfunden!
Er schaut sie erwartungsvoll an.
- Und wozu soll das gut sein?
Enttäuscht über so wenig Verständnis und Begeisterung für seine Erfindung, lässt er sie los, geht zum Küchenschrank, holt zwei Weingläser und eine Weinflasche heraus und schenkt sich und Sybille jeweils ein Glas Rotwein ein.
- Jetzt pass mal auf! Wie lange hat es gedauert, bis sie den Palazzo di Prozzo abgerissen hatten?
- Palazzo di Prozzo? Was ist oder was war denn das?
- Das war der Palast der Republik, in Berlin … in der DDR!
- Aha! Hat man den so genannt? Tja, weiß nicht, vielleicht 6 Monate oder so. Der war doch recht groß.
- Über ein ganzes Jahr hat das gedauert. Und mit meinem Betonverflüssiger wäre das in einer Woche gegangen. Draufkippen und das ganze Gebäude verwandelt sich in eine flüssige Masse, die langsam von oben nach unten abfließt.
- Wow!
- Na endlich, jetzt hast auch du es verstanden. Er reicht ihr ein Glas. Können wir jetzt darauf anstoßen? Auch wenn ich bescheiden bleibe, ehrlich, aber ich glaube, dass diese Erfindung die Welt verändern wird.
Er lässt mit seinem Glas ihres erklingen, beginnt dann genüsslich
den Wein zu kosten.
- Gehört die Erfindung denn dir?
Fast hätte Carsten sich verschluckt, abrupt stellt er das Glas auf den
Tisch.
- Die schönsten Momente kannst du einem ja versauen. "Gehört die Erfindung denn dir?" äfft er sie nach. Natürlich gehört sie mir, ich habe sie ja schließlich erfunden!!
- Ok, das hast du doch aber im Rahmen deiner Arbeit als Ingenieur in deiner Firma erfunden, oder nicht?
- Eigentlich nicht. Nein, eigentlich überhaupt nicht, gar nicht. Wirklich nicht. Ich habe an etwas ganz anderem gearbeitet und dabei habe ich das dann, sagen wir mal, zufällig entdeckt.
- Und woran hast du gearbeitet?
- Sag mal, wird das jetzt ein Verhör? Du hättest wirklich Rechtsanwalt werden sollen. Mensch, ich mach doch auch nicht so ein Theater, wenn du eine neue Melodie komponierst oder so was.
- Ja stimmt, aber ich auch nicht…
- Was soll das denn jetzt heißen? Mensch, Sybille, was soll das alles denn jetzt? Ich freue mich, weil ich eine tolle Erfindung gemacht habe und du laberst hier rum und redest alles runter. Wie sagt Jana dazu? Total uncool! Genau, völlig UNCOOL!
Sybille nimmt nachdenklich einen Schluck aus dem Weinglas.
- Ok, du hast ja recht… aber das mit dem Kündigen, das hat mir eben Angst gemacht. Du bekommst doch ein faires Gehalt, Wovon sollen wir denn leben, wenn du bei den Betonwerken kündigst? Von meinem 600€ Halbtagslehrerjob etwa?
Carsten schüttet sich den Rest des Weines in den Mund.
- "Faires Gehalt… hahaaa." Jetzt hatte ich doch fast gedacht, du hättest alles verstanden, aber nein, gar nichts hast du kapiert.
- Dann erklär's mir doch bitte.
- Dieser verdammte Betonverflüssiger ist DIE Erfindung des Jahrhunderts. Es gibt den Erfinder des Zements, dann den des Spannbetons. Und ich habe das Mittel gefunden, mit dem man das alles wieder problemlos vernichten kann. Und damit werde ich ganz, ganz dick Geld machen, verstehst du's jetzt? Wenn das vermarktet wird, dann werden wir dermaßen reich, dass …. dass… alles nur noch COOOOL ist.
Carsten entfährt das Wort "Cool" schon beinahe als verzweifelter Schrei. Sybille scheint das aber nicht zu bemerken.
- Ok, aber was ist, wenn die Erfindung nun doch nicht dir gehört?
3.
Carsten hat genervt das Haus verlassen und ist zu seiner Firma gefahren.
Da es Sonntag ist, sind alle Arbeitsplätze verlassen, seine Schritte verhallen, als er die Gänge bis zu seinem Labor abläuft.
Mit gemischten Gefühlen betrachtet er seinen Experimentiertisch, auf dem unzählige Reagenzgläser, Kolben, Röhrchen zu einer unübersichtlichen Anlage aufgebaut sind, zusammengehalten von einem komplexen Stahlgestänge aus Halterungen und Schraubzangen. Hier und da ein Bunsenbrenner oder eine Mischanlage.
Dazwischen entdeckt er den kleinen Betonwürfel, auf dem er immer wieder aufs Neue mittels einer Pipette Tropfen verschiedener Lösungen geleert hatte, bis es endlich geklappt hat. Der Beweis für den Durchbruch ist das kleine Loch in dem Klötzchen.
Er nimmt den Würfel in die Hand, betrachtet ihn lächelnd, hebt ihn vors Auge und schaut durch das Loch aus dem Fenster in den Firmenpark.
Wieso kann Sybille sich nie für etwas begeistern? Hat sie denn überhaupt kein Feuer im Hintern? Warum ist sie bloß immer eine + - 0 Frau? Immer ruhig, immer verhalten, immer abwartend, immer ausgeglichen.
Er holt einen Glaskolben aus einem Schrank und füllt diesen bis zu einem Messstrich mit einer goldbraunen Lösung aus einer mit einem Totenkopf versehenen Flasche.
Nervig! Ok, er muss sich ja eingestehen, dass es genau diese Ruhe war, diese ruhige, ausgeglichene Erscheinung, die ihn anfangs an ihr so fasziniert hatte. Damals war sie neu in die 12.Klasse gekommen. Madonnenhaft schön war sie gewesen, mit langen, sehr langen blonden, strähnigen Haaren und einem ruhigen, fast ein bisschen streng wirkenden Blick, der noch verstärkt wurde durch die schmalen farblosen Lippen. Die meisten Jungs aus der Klasse hatten sich daher nicht so richtig an sie herangetraut oder in ihrer Anwesenheit nur irgendwelches dummes Zeugs gefaselt. Sogar die Mädchen hielten einen gewissen Abstand zu ihr, auch wenn man nicht sagen kann, dass Sybille nicht aufgenommen wurde in die Klassengemeinschaft. Sie hatte es sofort geschafft zur Klassensprecherin gewählt zu werden, und das nach nur einem Monat als neue Schülerin.
Carsten hatte damals gleich gesehen, dass sie intelligent war, und das liebte er an ihr von Anfang an. Ihre ruhige Art und ihre einsichtsvolle Anmut, was auch immer er darunter verstand. Als begabter und scharfsinniger Draufgänger hatte er es geschafft, sie "rumzukriegen", wie das damals hieß. Wohl hatte auch sie ein Faible für 'seine’ Intelligenz gehabt. Er hatte sie dann voll begehrt, hatte heftig um sie geworben, bis er sie endlich soweit hatte. Aber sie, was hatte sie eigentlich damals empfunden? Er wusste es damals schon nicht und weiß auch bis heute diese Frage nicht zu beantworten.
Carsten gibt sich einen Ruck und öffnet den Kühlschrank, holt einen Eiswürfel heraus und lässt ihn in den Glaskolben fallen.
Was er nie verstanden hat, ist, dass sie dann Musik studieren musste. Musik! Er hatte gedacht, dass sie etwas zusammen studieren würden. Chemie wie er, oder auch zu Physik wäre er bereit gewesen, oder Biochemie. Aber Musik?
Er hat nichts gegen Musik, in seinem Labor plärrt ja den ganzen Tag ein Radio mit einem Musiksender ohne Nachrichten.
Erst als sie schon fast ein halbes Jahr zusammen waren, hatte er rein zufällig auf einer Geburtstagsparty entdeckt, dass sie sich am Klavier gar nicht schlecht anstellte. Sie hatte in jazziger Improvisationstechnik ein Geburtstagsständchen hingelegt, das von allen Anwesenden laut beklatscht worden war. 'Stille Wasser sind tief, hatte er sich eingestehen müssen, gemischt mit der Vorahnung, dass sie vielleicht noch mehr Geheimnisse in sich trug. Und eines davon kam dann, als sie zum Studieren zusammen in eine WG zogen. Eines Morgens wurde er von hohen, luftigen Tönen geweckt. Er war laut schimpfend auf gesprungen und musste feststellen, dass Sybille am offenen Fenster stand und den frühen Septembermorgen mit einem frischen Lied auf der Querflöte begrüßte.
Aber warum nur kann sie n i e aus sich rauskommen?
In den 14 Jahren ihres Zusammenlebens war sie immer ruhig geblieben, mit ihm, mit den Kindern, wohl in der Schule, in der sie arbeitete, immer, sogar dann und gerade dann, wenn er einen Koller hat und sich über etwas tierisch aufregt, bleibt ihr Blick ruhig auf ihn gerichtet, beinahe ausdruckslos, abwartend. Es macht ihn wahnsinnig.
Und nun hat er DIE Erfindung des Jahrhunderts gemacht, und sie bleibt stoisch. Nicht zu fassen.
Carsten schwenkt den Eiswürfel in dem Glaskolben, hebt schließlich das Glas, setzt es an und nimmt einen tiefen Schluck von der goldbraunen Flüssigkeit. Genüsslich seufzend, lässt er sich in seinen Bürostuhl fallen.
Aber nun geht es ja darum, wichtige Schritte in die Wege zu leiten. Und dazu muss er jetzt allein sein. Deswegen ist er an diesem Sonntagmorgen ins Labor gefahren: um zu überlegen, mit einem guten Whiskey im Gaumen.
Ohne Kinderlärm, ohne Spielsachen im Wohnzimmer, aber vor allem ohne den stillen Blick seiner Frau.
4.
Die Kinder kommen laut schreiend an den Wohnzimmertisch gelaufen, wo Sybille konzentriert die Notendiktate ihrer Musikschüler korrigiert.
- Mama, Mama, Jako will mit den echten Holzkegeln spielen, aber dafür ist er doch noch zu klein.
- Das ist gar nicht wahr. Ich bin nicht zu klein. Ich bin fast genauso groß wie du, du coole Kuh.
- Siehst du, du bist doch zu klein. Das heißt gar nicht "coole" Kuh, wenn, dann heißt das "uncoole Kuh". Aber erstens sagt man das so nicht, sondern man sagt "dumme Kuh" und außerdem bin ich gar keine dumme Kuh. Aber du, du bist ein ganz kleiner, ganz dummer und ganz hässlicher Esel!
Sybille schaut von ihrer Arbeit auf und betrachtet ihre Kinder, die jetzt um den Tisch herumlaufen, die stichelnde Schwester vorneweg, verfolgt von ihrem aufgebrachten Bruder. Keines ihrer Kinder ist nach ihr gekommen. Bei beiden hat sich wohl das männliche Saatgut Carstens durchgesetzt. Heißblütig, geradlinig, unmittelbar. Eigentlich schade. Niemand ist so wie sie. Wenigstens nicht in ihrem Bekanntenkreis. Auch nicht unter ihren Freunden und soweit sie zurückdenken kann, hat sie in ihrem Leben eigentlich nie jemand getroffen, der so ist, wie sie selbst.
Das Eigenartige ist, das sie lange Zeit gar nicht wusste, wer sie war. Erst als sie im Gymnasium in ein Alter kam, in dem Jugendliche sich gegenseitig bewusst beobachten, miteinander kommunizieren, sich öffnen, da hatte man ihr gesagt, dass sie so ziemlich das eigenartigste Mädchen sei, das jemals auf diese Schule gegangen sei: Ein übergroßes Paar Augen, verbunden mit einem übergroßen Gehirn, das Ganze serviert mit einer Überdosis an Introvertiertheit.
- Mama!
Jana und Jako sind inzwischen stehengeblieben und rütteln ihre Mutter wach. Sie mögen es nicht, wenn Sybille 'steckenbleibt'. So nennen es die Kinder, wenn sie tagträumt oder auch einfach nur Löcher in die Luft schaut. Meistens hören sie dann von ganz allein zu streiten auf. Jana hat sogar einmal Carsten gebeichtet, dass Sie Angst habe, dass Mama eines Tages ganz 'steckenbleiben' würde. Hoffentlich bleibe ich eines Tages nicht wirklich stecken, seufzt Sybille.
- Jaaaa, was ist denn? Ihr wisst doch, dass ich zu tun habe. Bis morgen muss ich diese Arbeiten korrigiert haben. Wollt ihr nicht noch ein bisschen im Garten spielen?
- Nö. Wir haben Hunger. Wann kommt denn Papa wieder nach Hause? Habt ihr euch gestritten?
- Nein, ihr wisst doch, dass wir uns nie streiten.
- Ja, du nicht, aber Papa.
- Ja, dann streitet eben Papa alleine.
- Mama, kann man denn alleine streiten?
- Schluss jetzt, ihr spielt noch eine halbe Stunde und um 7 gibt es dann Abendessen, mit oder ohne Papa. Essen können wir ja alleine, oder nicht?
Sybille vertieft sich wieder in ihre Korrekturarbeit und muss sich wiederholt über einen Schüler ärgern, der sonst immer gute Arbeit geleistet hat. Einer ihrer Lieblingsschüler an der Musikschule. Sie liebt Schüler wie diesen, wenn diese nicht (nur) von einer ewig eintönigen Intuition getrieben werden, die zumeist nichts anderes als eine verzerrte Reproduktion der letzten Hits hervorbringt, sondern wenn Schüler Musik mit Intelligenz betrachten, und vielleicht sogar mit mathematischem Verständnis. Sie ist ohnehin der Ansicht, dass Musik mehr mit Mathematik als mit Intuition, Sinnlichkeit oder Gefühl zu tun hat. Oder anders ausgedrückt, wenn die mathematische Grundstruktur einer Komposition stimmt, dann kann das zuweilen Hochgefühle verursachen.
Plötzlich muss sie stocken. Der Schüler hat zwischen zwei Noten eine Art dicke Gurke gezeichnet. Oder sollte es einen Penis darstellen? Sie hält das Notenheft unter die Lampe. Eine zufällige Strichkombination oder ein männliches Geschlechtsteil? Zufall oder Provokation? Provokation oder ungezügeltes Verlangen eines jugendlichen Pubertierenden? Hat es im Unterricht irgendwelche Anzeichen, Vorläufer eines solchen Verhaltens gegeben?
Sie versucht sich die letzte Unterrichtsstunde zu vergegenwärtigen, kann sich aber an keinen auch noch so unscheinbaren Vorfall oder Blick oder sonst etwas erinnern. Ohne eine Entscheidung zu treffen, legt sie die Notenhefte beiseite und ruft Jana und Jako zum Abendessen in die Küche.
5.
Carsten läutet die große Schiffsglocke, die über dem meerblauen Gartenzaun hängt. Er bewegt den wuchtigen Klöppel schon eine ganze Weile hin und her. Der Klang gefällt ihm, hat ihm schon immer gefallen, seitdem er Andros kennengelernt hat. Andros ist – auch wenn in Deutschland aufgewachsen - griechischer Herkunft, daher das viele Blau in Garten und Haus: der Zaun, die Haustür, die Schlagläden. Wobei Carsten sich nicht sicher ist, ob Andros jemals Griechenland zu Augen bekommen hat.
Carsten gefällt es auch, mit dem Glockenläuten den Nachbarn von Andros ein wenig auf den Wecker zu fallen. Er fühlt sich wieder obenauf, er hat in seinem Labor am Schreibtisch eine Strategie ausgebrütet und ist sich jetzt sicher, den richtigen Plan für sein weiteres Vorgehen zu besitzen. Und diesen Plan will er sich von Andros absegnen lassen, da ja von Sybille eine Zusage anscheinend nicht zu erwarten ist. Und Andros ist ja Künstler, oder Philosoph, Carsten weiß es eigentlich gar nicht richtig. Manchmal sieht er Andros an einer Skulptur arbeiten, manchmal schreibt dieser aus Carstens Sicht unverständliche Artikel in irgendwelchen philosophischen oder literarischen Fachzeitschriften. Also ist er Schriftsteller, denkt sich Carsten. Im Grunde genommen ist es ihm eigentlich egal.
Andros besitzt auf jeden Fall die notwendige geistige Höhe, die Reichweite seiner Erfindung nachvollziehen zu können. Und das macht Andros zu einem richtigen Freund. Außerdem hat er ja Andros noch gar nichts von seiner bahnbrechenden Schöpfung erzählt. Am liebsten hätte er es in die ganze Welt hinausposaunt: "Ich, Carsten Krause, habe den Betonverflüssiger erfunden!" Aber jetzt muss er sich erst einmal an seinen Plan halten, und der sagt ihm, vorsichtig mit seiner neuen Erfindung und der Formel umzugehen. Am besten ist es wohl, dass es so wenig Leute wie möglich wissen, bis er den notwendigen Rückhalt, die erforderliche Finanzierung gefunden hat.
Endlich geht die – blaue - Haustür auf und es erscheint ein ungefähr 45-jähriger Mann mit schwarzgrauen zotteligen Haaren und mit einem schwarzgrauen zotteligen Bart. Er erblickt Carsten und schiebt sich und seinen fülligen Bauch aus der Haustür hinaus.
- Carsten, was soll denn dieses Gebimmel, hab' schon genug Ärger mit den Nachbarn.
- Andros, komm lass mich endlich rein, ich hoffe, du bist mal ausnahmsweise alleine.
Mit einem großen, altmodischen Schlüssel öffnet ihm Andros das Gartentor.
- Ich bin fast immer allein, das weißt du doch. Du bist ja aufgedreht, was ist denn los? Nicht mal am Sonntag hat man seine Ruhe.
Andros' Haus ähnelt im Grunde genommen eher einer größeren Gartenlaube eines Schrebergartens oder einem kleinen schwedischen Häuschen, nicht von der roten, sondern von der blass gelben Sorte mit viel Blau. Das Ganze umgeben von einem kleinen verwachsenen Garten, mit unzähligen Büschen und Sträuchern, aus denen hier und da eigenartig geformte Skulpturen hervorschauen. An das Häuschen angebaut, eine kleine Terrasse aus Holz mit zwei alten Ikea Stühlen und einem noch älteren Nierentischchen.
- Setz dich doch. Ein Bier?
Carsten, viel zu aufgedreht, läuft auf der Holzterrasse umher, bleibt endlich am Geländer stehen, die wärmende Abendsonne im Rücken.
- Hast du vielleicht 'ne Flasche Schampus? Es gibt was zu feiern, ganz groß zu feiern.
- Na, endlich mal jemand, der nicht rumjammert. Gratuliere!
Andros verschwindet wieder in seinem Häuschen und erscheint nach einer Weile mit einer Flasche Champagner in der Hand.
- Hier, zwar nicht kalt, aber immerhin frisch, du weißt ja, einen Kühlschrank hab' ich nicht.
Er entfernt sorgsam die Aluminiumkappe samt Drahtgeflecht vom Hals der Flasche und versucht den Korken zu ziehen. Ungeduldig entreißt ihm Carsten ihm die Flasche.
- Doch nicht so umständlich! Das muss zack zack gehen!
Er schüttelt die Flasche, ruckelt heftig an dem Korken, bis dieser im großen Bogen in den Garten fliegt, gefolgt von der zischenden, sprudelnden Flüssigkeit.
Lachend richtet Carsten die Flasche auf sein Gesicht, um den Strahl in seinen Mund zu lenken.
- Sag mal, hast du sie nicht mehr alle? Das ist eine echt gute Flasche und du schüttest die Hälfte in den Garten, und die andere in deinen Kragen. Mann! Jetzt musst du mir aber einen verdammt guten Grund für eine solche Aktion nennen, sonst gibt's Ärger, das sag' ich dir.
Carsten lässt von der Flasche ab und reicht sie Andros.
- Ok, ich werde dich nicht länger auf die Folter spannen. Also, ich habe dir doch erzählt, woran ich letztlich gearbeitet habe. Nein? Sicher nicht? OK, also die ganze Geschichte fängt so an: Wir haben Kunden, die wollen mit Beton komplizierte Formen erzeugen. Und da gibt es manchmal das Problem, dass die Betonmasse nicht bis in die letzte Ecke der Verschalung gelangt, trotz des Vibrators.
- Kenne das Problem, hab' das manchmal auch, allerdings nicht mit Beton, sondern mit Wachs, wenn ich meine Skulpturen gieße.
- Naja, Beton ist schon etwas anderes als Wachs… Und da sollte ich von meiner Firma aus ein Mittel finden, das den Beton bei Anmischung flüssiger gestaltet, ohne dass er seine Härte verliert. Damit man ihn dann über mehrere Meter hinweg bis ans Ende einer Verschalung pumpen kann, er sich dort ordentlich verteilt, ausbreitet und genau in der Form hart wird, die vom Architekten, beziehungsweise vom Ingenieur gefordert wird. Ohne Löcher, ohne Risse, ohne Beanstandungen.
- Ok, ist ja sehr interessant. Und das hast du geschafft?
- Nein, nicht ganz, nur den 1.Teil.
- Und darauf bist du jetzt stolz? Auf halbe Arbeit?
- Wenn du wüsstest. Ich habe ein Mittel erfunden, mit dem man Beton verflüssigen kann!
- Beton ist doch immer erst flüssig und wird dann fest.
- Ja richtig, aber mit meinem Betonverflüssiger wird er wieder flüssig, auch wenn er schon mal hart war!
- Verstehe, Andros überlegt eine Weile. Und jetzt liegt dir die Welt zu Füßen?
- Na klar! Stell dir mal vor, ich hab's eben schon versucht, Sybille zu erklären: du hast ein altes hässliches Gebäude aus den 70iger Jahren, meinen Betonverflüssiger drauf und was bleibt übrig? Sand, Kieselsteine, und die rostige Stahlstruktur, die man abschweißen kann. Alte Hochhäuser, die niemand mehr haben will. Betonverflüssiger, zack und weg damit.Man braucht keine Sprengungen mehr, monatelanges Abbauen mit Presslufthammer, keine Gefahren, nichts mehr von alle dem. Einfach irre.
- Irre!
- Und bis jetzt musste ich mich immer schämen, bei den Betonwerken zu arbeiten, einer Zementfirma, die dazu beiträgt, unsere schönsten Landschaften platt zu walzen, Häusermeere zu errichten, alles Leben zu zerstören in diesem Land, auf unserer Erde. Und das in der Forschungsabteilung, damit sie alles noch besser, noch schneller und noch effizienter zubetonieren können.
- Naja, hat dir ja auch ganz schön was eingebracht bis jetzt.
- Hält sich stark in Grenzen, aber damit ist jetzt Schluss. Endlich habe ich einen Weg gefunden, auf der richtigen Seite zu stehen. Auf der Seite, wo dieser heillose Beton abgebaut wird.
- Du willst also die Erfindung für dich behalten und bei den Betonwerken kündigen.
- Woher weißt du das? Hat dich Sybille angerufen?
- Nein, aber das hast du doch gerade gesagt. Wenigstens kann man das deinen Worten entnehmen.
Carstens Freude steigert sich noch bei so viel Verständnis seitens Andros.
- Du hast es kapiert. Aber ich werde nicht nur den elenden Beton bekämpfen können, ich werde darüber hinaus auch noch steinreich werden!
- … und dir dann selbst ein Betonhaus bauen…
- Haha, sehr lustig. Nein, aus seltenem exotischem Holz, das ich speziell aus Brasilien kommen lasse, nachdem sie dort einen ganzen Urwald abgeholzt haben. Andros, ich bin doch nicht blöde. Komm, jetzt lass uns einen darauf trinken. Er nimmt die Champagnerflasche, setzt an und trinkt einen kräftigen Schluck, dann reicht er die Flasche Andros weiter, der es ihm gleichtut. Anschließend erhebt sich Andros und stellt sich ans Geländer, um im Garten auf seine Skulpturen zu blicken.
- Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass es keine einzige Erfindung geschafft hat, nur Positives zu bewirken? Dass eigentlich der Effekt eines Großteils von Erfindungen nach hinten losgegangen ist?
- Wie meinst du das?
- Na, wie ich es sage: Die meisten menschlichen Erfindungen bringen letztlich nur Ärger und Verdammnis.
- Na, du bist ja heute richtig gut drauf.
- Nein, mir geht es gut, glaub mir, ich bin ganz normal. Aber jetzt schau doch mal: die Erfindung des Kraftwagens: Zuerst alles super, dann unzählige Unfallopfer, endlose Straßennetze, Krach, Lärm, Gestank, kurz, das Auto hat uns die schlimmste Umweltkatastrophe überhaupt gebracht. Oder bleiben wir bei deinem Job: Beton! Beton hat eine Baugeschwindigkeit in die Wege gebracht, die nicht mehr zu bremsen ist. Die Erfindung ist so umwerfend, dass sie sich quasi verselbstständigt hat.
- Ja, aber genau dagegen kann ja mein Betonverflüssiger vorgehen. Er ist das Wundermittel!
- Denkst du?
- Ja klar!
- Weißt du, wer den Bauwahnsinn, den Betonwahnsinn überhaupt nur stoppen kann?
- Wer?
- Der Mensch! Aber solange der ein primitives egoistisches Gehirn hat, solange wird er alles machen, um eine ihm fremde Umwelt mit allen vorhandenen, möglichen Mitteln in seine Umwelt zu verwandeln. Und seine Umwelt ist eine andere als eine lebensfähige Umwelt.
- Ich kenne dich gar nicht so. Sonst hörst du immer fein zu und gibst interessante Ratschläge. Jetzt, wo ich einmal in meinem Leben etwas Interessantes erfunden habe und der Gesellschaft einen wertvollen Dienst erweisen könnte, kommst du mit so einer Weltuntergangs-Philosophie.
- Hm.
- Aber ich lass mich davon nicht unterkriegen, hörst du? Ich weiß jetzt, was ich machen muss. Und auch, wenn ich nur ein kleiner Goliath bin, ich werde es allen zeigen. Hoch lebe der Betonverflüssiger!!!
- David, Carsten, David!
- Was?
6.
Als Carsten nach Hause kommt, sind sämtliche Lichter erloschen. Nur ein fahler Mondschein lässt die Fenster in blindem Glanz erleuchten.
Er zieht sich im Wohnzimmer Kleidung und Schuhe aus, geht leise die Treppe hoch bis zur Kinderzimmertür. Er hört eine Weile Jakos und Janas regelmäßigen Atem, lächelt und geht weiter auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer.
Die Gardine ist halb zugezogen, das bleiche Mondlicht fällt aufs Bett. Plötzlich fährt er zusammen. Genau im Lichtschein sitzt Sybille im Bett und schaut ihn mit großen, schwarzen Augen an.
- Sybille?
- Ja?
- Bist du wach?
- Ja, das siehst du doch.
- Mensch hast du mich erschreckt.
- Warum denn das?
- Weil du so komisch da liegst, äh, sitzt, halb wach, halb im Schlaf.
- Ich bin nicht halb im Schlaf, ich bin ganz wach. Ich habe dich ins Haus kommen hören, du hast versucht, leise zu sein. Sehr liebenswert von dir, dich im Wohnzimmer auszuziehen, aber das hast du nicht wegen mir, sondern eher wegen deines schlechten Gewissens gemacht.
- Ach Sybille! Wieso das denn. Du übertreibst.
- Ich übertreibe? Ich bin übrigens so wach, dass ich bis hier riechen kann, dass du einiges getrunken hast, einiges zu viel.
- Sei doch nicht so streng, heute musste ich feiern!
- Und deshalb bist du abgehauen? Hättest du das nicht mit uns machen können, mit mir?
- Hatte ich ja versucht, aber du wolltest ja nichts begreifen. Aber wenn du willst, …
Carsten schlüpft unter die Bettdecke und robbt sich an sie heran.
- …können wir das jetzt nachholen.
- Carsten …
- Ja?
- Dein Atem …
- Was ist mit meinem Atem?
- Er stinkt! Vielleicht solltest du erst mal deine Zähne putzen gehen.
- Ach Sybille! Das ist jetzt überhaupt nicht romantisch.
- Ja, aber dein Atem auch nicht. Was hast du eigentlich getrunken?
- Naja, zuerst Sekt, dann ein oder zwei Gläser Ouzo.
- Aha, bei Andros, hab' ich mir's doch gedacht. Und dazu dann diesen schrecklichen Knoblauchquark.
- Tsatsiki.
- Meinetwegen. Aber jetzt geht der Tsatsiki ins Bad und macht ein bisschen Mundhygiene. Los geht's!
Schweren Herzens steht Carsten auf und müht sich ins Bad. Er schaut sich eine Weile im Spiegel an, während er mit der Bürste mechanisch die Links-Rechts, Rechts-Links Bewegungen ausführt. Blondes Haar, blaue Augen, richtig attraktiv, denkt sich Carsten, um die Augen die ersten paar Fältchen, die seinem Gesicht den notwendigen Erfahrungsanstrich verleihen.
- Woher hast du eigentlich gewusst, dass ich bei Andros war.
- ---
- Du hast das gar nicht gewusst, du hast das erraten, nachdem ich "Ouzo" gesagt habe.
- ---
- Sybille?
Er spuckt hastig den Zahnpasta Schaum ins Becken, trocknet sich den Mund und eilt zurück ins Zimmer.
- Sybille?
- ---
Sybille liegt auf dem Rücken, ihre offenen Augen glänzen dunkel im weißen Mondlicht, ihr schlichtes Nachthemd lässt den Blick frei auf ihre schmalen Schultern und nackten Arme, die leblos am Oberköper entlang führen. Ihr Brustkorb mit ihren kleinen Brüstchen hebt und senkt sich regelmäßig. Sie schläft.
- Scheiße! zischt Carsten, er weiß aus Erfahrung, dass jetzt nichts mehr zu holen ist.
Er überlegt, es fällt ihm nicht mehr ein. Wann hatten Sie zum letzten Mal etwas miteinander gehabt? Es ist lange her, und soweit er sich erinnern kann, ist es immer sie gewesen, die ihn zurückgewiesen hat. Und jetzt hat sie ihn wieder reingelegt. Sie ist eingeschlafen, während sie ihn zum Zähneputzen geschickt hat. Wenn er jetzt nur mit ihr reden könnte. Wenn er überhaupt nur mit ihr reden könnte! Sie hat immer ein Argument parat, das ihn lahmlegt, oder ein Wort, gegen das er nicht ankommt. Wenn er seine Meinung sagt oder argumentiert, dann fühlt er sich beobachtet wie von einem Lehrer. Er wird immer kleiner, je mehr sie ihn mit ihren großen Augen anschaut. Er legt sich neben sie und sieht sie eine Weile an, schaut dann aber aus dem offenen Fenster in die helle Nacht hinaus. Er muss an seine Kindheit denken, an das Märchen mit Rübezahl. Dieser sollte erst die Rüben auf einem Feld zählen, bevor er die geraubte Prinzessin vernaschen durfte. Wenigstens lautete so das Versprechen der Prinzessin. Nur hatte er sich ein paar Mal vertan und so musste er wieder und wieder die Rüben zählen, 10, 11, 12, 13 … und … Prinzessin… Brunnen…
7.
Nachdem die Kinder das Haus verlassen haben und auch Carsten mit seinem 2CV davongerattert ist, sitzt Sybille am Küchentisch und betrachtet die leeren Teller, die Tassen, den Brotkorb, die Zuckerdose. Wo noch vor fünf Minuten Leben und Treiben geherrscht hat, herrscht jetzt einsame Ruhe über dem Küchentisch. Nur in den Dingen, in den Gegenständen steckt noch der Tumult der Kinder, die Stimmer ihres Mannes, als ob diese sich dort hinein verkrochen hätten und jederzeit wieder mit Lärm und Krach hervortreten könnten.
Warum war sie denn gestern eingeschlafen? Sie kann es sich nicht erklären. Ok, sie hatte ihn weggeschickt zum Zähneputzen. Aber das hilft bei Tsatsiki sowieso nichts. Außerdem hätte sie seinem Atem auch entgehen können. Das kann man irgendwie einrichten. Also nur ein Vorwand, um ihn loszuwerden? Allerdings war sie dann auch richtig eingeschlafen. Sie konnte sich auf jeden Fall nicht an sein Wiederkommen erinnern. War sie also nur einfach müde gewesen? Sie versucht sich Carsten vorzustellen, wie er mit blitzenden Zähnen aus dem Bad wiederkommt und sie schlafend vorfindet. Sie muss grinsen und schaut von Carstens Kaffeetasse weg aus dem Fenster ins Weite. Plötzlich bekommt sie einen Schrecken, der ihr das Grinsen aus dem Gesicht wischt. Sie rechnet nach, aber es stimmt. Es ist jetzt schon länger als ein Jahr her, dass Carsten und sie miteinander Sex hatten! Plötzlich findet sie sich selbst ungeheuerlich. Sie weiß, dass Carsten Sex liebt, wie die meisten Männer.
Sie ist sich sicher, dass Carsten den Sex, den er haben möchte, auch mit ihr teilen möchte. Warum verweigert sie sich ihm also? Sie liebt ihn doch. Oder nicht? Nicht mehr? Sie ist sich sicher, dass Sie an ihrer Zuneigung zu Carsten nichts verloren hat. Die Ablehnung dem Sex gegenüber kommt ihr mehr wie ein Spiel vor. Sie schafft es immer wieder, sich dem Verlangen zu entziehen, etwas, dass Carsten nicht schafft. Er gibt sich diesem Verlangen widerstandslos hin, auch wenn er es ihr zeigen möchte, dass er widerstehen kann. Sie weiß, dass sie nur den kleinen Finger heben müsste, und er würde sofort …
Carsten! Sie muss eigentlich immer leicht lächeln, wenn sie an ihn denkt. Sie weiß selbst nicht genau warum. Er ist so völlig anders als sie. Unruhig, nervös, scheinbar sicher, im Grunde genommen völlig unsicher, manchmal denkt sie sogar, dass er ohne Konsistenz ist, dazu ist er dann aber zu intelligent, zu gebildet, gebildet, ohne aber wirklich etwas zu wissen, außer in seinem Fachgebiet natürlich. Da ist er geradezu phänomenal gut. Und das war auch der Grund, warum sie damals nicht mit ihm zusammen studieren wollte. Es hatte schon gereicht, dass sie sich ihm hingegeben hatte, jetzt aber auch noch neben ihm das Mauerblümchen spielen, dazu hatte sie keine Lust gehabt. Und so hatte sie eben Musik gewählt. Da war er out. Draußen. Da hatte sie sich eine Domäne aufgebaut, in die er nicht hineinfinden konnte.
8.
Carsten hat die Nacht über schlecht geschlafen. Zuviel Aufregung, zu viel Frust, zu viel Alkohol, zu viel, zu viel. Am Frühstückstisch hat er noch versucht, den aufmerksamen Familienvater zu spielen, sich zu zwingen, an die Kinder ein paar nette Worte zu richten, hat jedoch jedes Mal nur das fürchterliche Geräusch geschlürfter Cornflakes geerntet. Und Sybille völlig abwesend, was ihn noch fahriger hat werden lassen.
Schließlich hat er aufgegeben, sich in seinen 2CV geflüchtet und ist in sein Labor gefahren.
Eifrig baut er jetzt Reagenzgläser, Kolben und das Gestänge seiner Laboranlage ab. Es muss jetzt schnell gehen. Um die Erfindung des Betonverflüssigers für sich behalten zu können, muss er seine bisherige Arbeit verschwinden lassen und das zunächst von seiner Firma an ihn gestellte Ziel erreichen, nämlich Beton in Konstruktionen schießen zu können, die 200 Meter lang sind. So der Plan. Das heißt allerdings im Prinzip, mal auf die Schnelle eine zweite Erfindung zusammenbasteln. Denn nur dann wird er behaupten können, dass die Erfindung des Betonverflüssigers nichts mit der Firma Betonwerke AG zu tun hat und ihm alleine gehört, da er sie alleine entwickelt hat. Insofern hatte Sybille schon recht gehabt. Hätte sie nicht so nachgehakt mit ihrer Bemerkung, wäre er jetzt schon beim Chef gewesen, hätte diesem seine Kündigung auf den Schreibtisch geknallt und wäre wohl ein paar Wochen später seine Erfindung los gewesen oder spätestens dann, wenn die Betonwerke AG ihm die Vermarktung per Gericht untersagt hätte.
"Gehört die Erfindung denn dir?"
Er muss immer wieder an diesen Satz denken. Die erste Bemerkung, die Sybille in den Kopf kam, als er ihr von seiner Erfindung erzählt hat. Irre! Völlig irre! Auch wenn sie recht hat. Und der beste Beweis ist ja jetzt, seine Tätigkeit hier, die darin besteht, die Betonwerke AG hinters Licht zu führen. Aber warum muss ihre allererste Aussage immer Kritik sein?
- Herr Krause, Sie bauen ja ab!
Carsten zuckt zusammen, kann gerade noch einen schlüpfrigen Glaskolben zurückhalten, dreht sich um, um seinen Firmenchef zu begrüßen.
- Morgen, Herr Zelter, wie meinen Sie das?
- Nicht persönlich, Herr Krause, nicht persönlich. Ich meinte eigentlich nur, dass Sie dabei sind, ihre Anlage abzubauen. Wieso das denn? Haben Sie denn valide Ergebnisse erzielt? Das wäre schön.
Carsten macht einen auf bedrückt.
- Leider nein, ich dachte, ich hätte da was gefunden, hat sich aber als total unbrauchbar erwiesen.
Am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen. Warum hat er denn in den Raum gestellt, überhaupt etwas gefunden zu haben. Das könnte doch gegen ihn verwendet werden.
- Und jetzt bin ich aber auf einer anderen Spur. Wenn Sie möchten, kann ich es Ihnen schnell an der Tafel erklären.
- Ach, Herr Krause, rufen Sie mich doch, wenn Sie Konkretes in der Hand, äh im Reagenzglas oder noch besser: im Beton haben. Alles andere verstehe ich sowieso nicht. Ich bin zwar Ihr Chef, aber dennoch kein Chemiker, haha, irgendjemand muss ja hier noch einen klaren Kopf behalten, haha, oder? Meinen Sie nicht? Ach, und in dem Zusammenhang, Sie haben jetzt nur noch bis Ende der Woche Zeit, Sie wissen ja, die Konkurrenz schläft nicht, und die Italiener haben anscheinend ihr Angebot an die Schweizer Baufirma schon abgegeben. Also müssen die wohl schon etwas gefunden haben. Viel Spaß, Herr Krause, ach ja nach Ihrem Wochenende zu fragen, habe ich leider keine Zeit mehr…
Erleichtert sinkt Carsten in seinen Stuhl zurück. Was ist er nur für ein Idiot! Was hätte er denn an der Tafel gemacht? Er hat ja nicht die geringste, nicht die winzigste Ahnung, auf welche Weise er zum Ziel kommen wird. Zu sehr ist er von seinem Betonverflüssiger eingenommen. Mit einer ärgerlichen Handbewegung schiebt er die Kolben und Reagenzgläser von sich. Er wird schon etwas finden. Bis jetzt hat er immer etwas gefunden. Nur sollte er sich ein bisschen mehr zusammenreißen.
9.
Sybille räumt den Frühstücktisch auf, stellt die Tassen zusammen, die Teller, die zwischenzeitlich völlig verstummt sind. Sie hat heute 3 Unterrichtsstunden und muss sich daher zusammennehmen. Die Teenies machen ihr traditionsgemäß das Leben schwer, wie das auch schon zu ihrer Schulzeit mit Musiklehrern der Fall war. Dabei hatte sie anfangs versucht, den Unterricht so interessant und so zeitgemäß wie möglich zu gestalten. Aber die meisten Schüler halten das für Schwäche, sie stöpseln sich während des Unterrichts an ihre Ohrhörer und knallen sich ihre Ohren mit MP3- oder Streaming Musik voll. Als sie dann zuletzt versucht hat, Musiktheorie anhand von jugendlicher Popmusik einzuführen, wurde das seitens der Schüler als Anbiederungsversuch und seitens der Eltern als unseriös verurteilt. Also hat sie diesen Versuch schnellstens abgebrochen, die Ohrhörer verboten und strengen Musikunterricht durchgezogen. Seitdem scheint es besser zu werden. Manche Schüler sind sogar richtig bei der Sache.
Während sie Tassen und Besteck in die Spülmaschine räumt, fällt ihr Carstens Erfindung ein. Betonverflüssiger. Dämlicher Name, aber an sich ja gar keine schlechte Sache. Sie denkt an die vielen Megapolen, die auf der ganzen Welt wie Pilze aus dem Boden schießen. Ohne Verstand, ohne auf die grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse zu achten, wird in einem fort Beton gegossen, um Menschen hinein zu pferchen wie Vieh.
Mit Carstens Erfindung könnte man das wohl alles wieder auf die einfachste Weise verschwinden lassen. Im Prinzip. Und die Menschen? Was macht er mit den Menschen? Carsten ist einfach ein Erfinder, ein Wissenschaftler denkt sich Sybille und klappt die Spülmaschinentür zu. Sie erinnert sich plötzlich an die beinahe geniale Idee, die Carsten zu Beginn ihres Musikstudiums hatte. Anscheinend hatte er irgendwie doch eine Brücke bauen wollen zwischen seiner Zukunft als Ingenieur und ihrem Musikerleben.
Als sie eines Abends bei einem Glas Wein zum X-ten Mal darüber diskutierten, hatte er mit dem Weinglas hellklingende Töne erzeugt, indem er mit seinem Zeigefinger langsam an den Rand entlanggefahren war und dadurch eine Schwingung entstanden war. Im Grunde genommen war es zu Beginn eine leicht genervte Geste gewesen. Aber auf einen Schlag, einer Eingebung folgend, hatte er einen Bleistift in die Hand genommen, und eine eigenartig geformte Maschine auf ein Blatt Papier geworfen. Ein gigantischer aufgespießter, gläserner Ringelwurm, aus vielen aufgeblasenen Glasscheiben bestehend, der auf der einen Seite dick und fett war, um aber von dort aus zur anderen Seite hin sich langsam zu verjüngen. Am Ende erschien wieder der Spieß, den man mittels eines Riemens samt dem ganzen Wurm um die eigene Achse drehen lassen konnte.
Sybille hatte nie verstanden, wie er das alles fertiggebracht hatte, zumal in so kurzer Zeit! Aber eine Woche später, pünktlich zu ihrem Geburtstag, stand diese Maschine, dieses Glasinstrument in ihrem Zimmer.
- Alles Liebe zu deinem Geburtstag, Liebes, hatte er ihr bei ihrem Aufwachen ins Ohr geflüstert. Ich hab' ja verstanden, dass du dein Leben mit Musik verbringen willst. Und wenn du möchtest, kannst du dich direkt ransetzen.
Sie hatte zunächst gar nicht verstanden, worum es überhaupt ging. Selbst, als sie das Instrument sah, hatte sie nicht kapiert, was das war.
- Komm, steh auf, ich zeig's dir.
Er setzte sich an das "Instrument", tauchte seine Finger in eine Schüssel mit Wasser und begann mit den Füßen, wie auf einer antiken Nähmaschine zu treten, bis der horizontale Glaswurm in eine schnelle und stete Rotation kam.
Als er dann vorsichtig mit den feuchten Fingern an die gläsernen, sich drehenden Scheiben griff, erzeugte der Glaswurm einen sanften, aber durchdringenden Klang, der sie durch und durch ergriff. Er hatte in ihr ein Gefühl von Leichtigkeit hochkommen lassen, das sie selten bis dahin erlebt hatte. Sie hatte die Augen geschlossen und die Klänge in sich aufgenommen, als ob sie zum ersten Mal in ihrem Leben Musik hörte. Carsten hatte es geschafft, sie mit seinem Glasinstrument zu verzaubern. Carsten sollte nicht aufhören. Nie. Sie hätte gewollt, dass diese Glasklänge ewig dauerten.
Und wo ist der Glaswurm jetzt? Sie weiß es nicht einmal. Vielleicht auf dem Dachboden, oder auch in der alten Scheune neben dem Haus, die voller Gerümpel steht und die sie schon seit Jahren umbauen wollen.
Als sie sich schon auf die Suche machen will, bemerkt sie plötzlich mit Schrecken, dass ihr Unterricht in nicht mal 10 Minuten beginnt. Vielleicht sollte sie doch mal etwas ernsthafter gegen diese Tagträume angehen, denkt sie während sie heftig auf die Pedale ihres etwas müden Fahrrads tritt.
10.
Carsten versucht, es sich in dem Designerstuhl bequem zu machen, ohne dass es ihm recht gelingt. Er hatte vorgehabt, nicht lange zu fackeln und gleich auf den Kern der Sache zu kommen. Nun sitzt er einem einfachen Bankangestellten gegenüber und ist im Prinzip schon sauer. Eigentlich hätte er mit dem Direktor der Filiale sprechen wollen. Seine Erfindung ist doch von so großer Dimension, dass dieser lackierte Angestellte die Reichweite seines Projekts sowieso nicht verstehen würde. Aber der Direktor hat in letzter Minute abgesagt und seine auswechselbare rechte Hand vorgeschickt. Und dem soll er jetzt sein Vorhaben unterbreiten, so der Direktor.
- Also Herr … äh Herr Krause, womit können wir Ihnen dienen?
- Tja, eigentlich bin ich mir nicht sicher, ob Sie überhaupt der richtige Gesprächspartner sind.
- Sie haben ja Herrn Gut gehört, er hat eine wichtige Besprechung in Frankfurt in der Zentrale und ist daher verhindert. Ich kann Ihnen versichern, dass ich sein vollstes Vertrauen genieße und ihn uneingeschränkt vertreten kann.
- Ok, also das ist folgendermaßen, Carsten mustert den Bankangestellten einen Moment lang. Er kann in dem Gesicht seines Gesprächspartners keine Regung feststellen, noch nicht einmal den Anflug einer Verstimmtheit darüber, dass Carsten ihn gleich zu Beginn disqualifiziert hat. Vielleicht gerade eben nur ein Mindestmaß an Interesse für das, was Carsten ihm zu offenbaren hat. Fangen wir mal so an: Nehmen wir mal an, ich besäße eine Erfindung, die die Welt verändern könnte. Inwieweit wäre die Bank daran interessiert, beziehungsweise in der Lage, mich finanziell bei der Entwicklung und Vermarktung der Erfindung zu unterstützen?
Carsten schaut dem Angestellten erwartungsvoll in die Augen.
- Auf diese Frage kann ich so nicht antworten…
- Sehen Sie, ich wusste ja, dass Sie nicht der richtige Gesprächspartner sind.
Unbeirrt durch Carstens Einwurf fährt der Angestellte fort:
- Was ich sagen will, ist, dass Ihre Frage ein bisschen vage ist. Es kommt auf die Erfindung an, auf das Ziel, auf so viele Faktoren, dass Ihre Frage, ohne Sie jetzt kränken zu wollen, ein bisschen naiv klingt.
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