Baccara Weihnachten Band 3 - Janice Maynard - E-Book
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Baccara Weihnachten Band 3 E-Book

Janice Maynard

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Beschreibung

WEIHNACHTEN IM BETT DES MILLIARDÄRS von Janice Maynard
Was macht Emma an Weihnachten in Silver Glen? Obwohl zehn Jahre und eine bittere Trennung hinter ihnen liegen, flammt bei Aidan Kavanagh die alte Leidenschaft auf. Bald gibt Emma sich seinen Zärtlichkeiten bereitwillig hin, dabei wollte sie damals einen anderen heiraten …

VERLIEBT, VERFÜHRT – VERZAUBERT VON DIR von BARBARA DUNLOP
Kristy Mahoney schwebt wie auf Wolken! Sie hat sich unsterblich in den Milliardär Jack Osland verliebt – und nimmt seinen Heiratsantrag glücklich an. Doch nach der Blitzhochzeit erwacht Kristy jäh aus ihren Träumen. Jack soll sie mit jemandem verwechselt haben!

IM BETT MIT MEINEM ERZRIVALEN von CATHERINE MANN
Ruhige Weihnachtstage? Nicht für Rowan. Erst verirrt sich seine Erzrivalin Mari in sein Hotelzimmer, dann entdecken sie auch noch ein ausgesetztes Baby! Um das Kind will sich der Milliardär gern kümmern – aber nur gemeinsam mit Mari, die ihn insgeheim schon lange reizt …

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Seitenzahl: 578

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Janice Maynard, Barbara Dunlop, Catherine Mann

BACCARA WEIHNACHTEN BAND 3

IMPRESSUM

BACCARA WEIHNACHTEN erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage in der Reihe BACCARA WEIHNACHTEN, Band 3 09/2022

© 2014 by Janice Maynard Originaltitel: „Christmas in the Billionaire’s Bed“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Ute Augstein Deutsche Erstausgabe 2016 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1953

© 2007 by Barbara Dunlop Originaltitel: „The Billionaire Who Bought Christmas“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Roswitha Enright Deutsche Erstausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1536

© 2013 by Catherine Mann Originaltitel: „Yuletide Baby Surprise“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Nicola Kind Deutsche Erstausgabe 2014 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe COLLECTION BACCARA, Band 347

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751508032

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Weihnachten im Bett des Milliardärs

1. KAPITEL

Mrs. Maeve Kavanagh sowie Mr. und Mrs. W. H. Larin laden hiermit herzlich am Samstag, den 20. Dezember zu den Feierlichkeiten anlässlich der Hochzeit ihrer Kinder Dylan Edward und Mia Elaina ein. Die Trauung findet in der Kapelle in Silver Glen statt.

Aidan Kavanagh starrte auf die cremefarbene Karte. Bewundernd schüttelte er den Kopf. Das musste man seiner Mutter lassen – dieses Mal hatte sie ihn wirklich schachmatt gesetzt. Sie wusste genau, dass Aidan das Städtchen Silver Glen im Bundesstaat North Carolina zur Weihnachtszeit mied wie der Teufel das Weihwasser. Doch Maeve spekulierte offenbar darauf, dass Aidan niemals die Hochzeit seines Bruders verpassen würde.

Vor Kurzem hatte bereits sein ältester Bruder Liam geheiratet. Die Hochzeit war ein großes gesellschaftliches Ereignis in Zoes Elternhaus in Connecticut gewesen – für Aidan ein Katzensprung von New York aus. Dieses Mal hatte er leider nicht so viel Glück.

Dabei liebte er Silver Glen – allerdings nur außerhalb der Weihnachtszeit. Damit verbanden sich zu viele dunkle Erinnerungen für Aidan. Stattdessen besuchte er seine große und liebenswerte Familie zu anderen Gelegenheiten: Ostern, Muttertag, Unabhängigkeitstag – und natürlich im Oktober, wenn die Herbstfärbung der Bäume in den Bergen einfach zauberhaft war.

Aber Dezember? Nein. In den letzten zehn Jahren war er nur ein einziges Mal zu dieser Jahreszeit dort gewesen, und das auch nur, weil einer seiner Brüder im Krankenhaus gelegen hatte. Sowohl seine Mutter als auch seine Geschwister hatten ihn behandelt wie ein rohes Ei. Alle waren sich zu sehr des Unglückes bewusst, das immer noch auf Aidan lastete. Er hatte sein Bestes gegeben, so zu tun, als wäre alles in Ordnung – als ob es ihm gelungen wäre, mit seinem Leben weiterzumachen.

Bedauerlicherweise hatte sich niemand von seiner aufgesetzten Weihnachtsfröhlichkeit täuschen lassen – Aidan selbst am wenigsten. Die traurige Wahrheit blieb nun einmal, dass er den Dezember schrecklich fand. Dabei ging es ihm ansonsten wirklich ausgezeichnet. Sein Leben lief bestens, und Aidan hielt sich für einen glücklichen Menschen. Dennoch trug er eine Schuld mit sich herum, von der nicht einmal seine Familie etwas wusste.

Er warf die verstörende Einladung auf den Tisch, stand auf und streckte sich. Von seinem Bürofenster aus hatte er freie Sicht auf den Hudson River, von der Freiheitsstatue bis hin zur George Washington Bridge. Aidan liebte New York City. Es pulsierte vor Leben, und selbst nachts um drei konnte man Bagel mit Räucherlachs kaufen, ohne dabei irgendwie aufzufallen. Am meisten liebte er jedoch die Anonymität. Niemand kümmerte sich darum, woher er kam oder was er vorhatte. In New York hatte Aidan endlich wieder das Gefühl, frei atmen zu können.

In Silver Glen hatte er eine äußerst idyllische Kindheit verlebt – zumindest bis zum Tod seines Vaters, der gestorben war, als Aidan noch ein Teenager gewesen war. Und die bezaubernde Stadt in den Bergen würde auch immer seine Heimat bleiben. Doch als Aidans Welt mit einundzwanzig plötzlich in Trümmern gelegen hatte, ertrug er den Gedanken nichts länger, dass in einer Kleinstadt jeder alle Geheimnisse des anderen kannte.

Seine Rettung war der Umzug nach New York gewesen. Mit dem Geld seiner Familie als Startkapital hatte er ein äußerst erfolgreiches Immobiliengeschäft gegründet. Mit seiner charmanten Art verhalf er den Reichen und Schönen zu ihren neuen Traumwohnungen in Manhattan.

Der Signalton seines Handys erinnerte ihn an einen Termin, der gleich anstand. Er setzte sich und nahm einen Füller in die Hand. Nachdenklich drehte er den schweren Goldzylinder zwischen den Fingern hin und her. Auf der ledernen Schreibunterlage lag noch immer unscheinbar die Einladung. Er las sie ein zweites Mal, doch das ungute Gefühl in der Magengegend wollte einfach nicht verschwinden.

Der 20. Dezember. Das bedeutete, er würde mindestens am Wochenende vorher anreisen müssen, weil seine Mutter bestimmt eine Reihe gesellschaftlicher Veranstaltungen vor der Hochzeit geplant hatte. Anschließend würde er wohl oder übel bis zum 25. Dezember dableiben müssen, um mit seiner Familie Weihnachten zu feiern. Das bedeutete fast zwei volle Wochen – aus seiner Sicht beinahe eine Ewigkeit.

Er sah auf den Terminplaner. Im Dezember gab es noch nicht viele Einträge. Nicht einen einzigen, um ehrlich zu sein. Niemand suchte ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit nach einer neuen Immobilie. Aidans Klienten waren viel zu sehr damit beschäftigt, exklusive Partys zu geben, Zeit mit ihren verwöhnten Kindern zu verbringen und Reisen an tropische Urlaubsorte zu planen. Das wiederum bedeutete unglücklicherweise, dass Aidan tun und lassen konnte, was er wollte.

Oder – wie in seinem Fall – was er eben nicht wollte.

Einen Augenblick lang musste er an die Vergangenheit denken und sah die beiden jungen Frauen vor sich, die in seinem Leben eine Rolle gespielt hatten. Beide schön und bezaubernd, lebensfroh und humorvoll. Und beide hatte er verloren.

Wieder einmal verspürte er das vertraute Gefühl, eine Mischung aus Schuld und Bedauern darüber, dass er nie bekommen würde, wonach er sich sehnte. Absolution. Eine Frau und eine eigene Familie.

Wenn er Weihnachten in Silver Glen verbrachte, würde er sich Erinnerungen stellen müssen, die er lieber mied, obwohl es im Grunde gar nicht möglich war. Sie begleiteten ihn überallhin. Das wirklich Schmerzhafte daran, nach Hause zurückzukehren, war, dass andere Menschen seine Erinnerungen teilten. Und dieses Mitleid seiner Familie gefährdete seinen mühsam errichteten emotionalen Schutzschirm.

Er wollte sich nicht von ihrer Liebe heilen lassen. Das hatte er nicht verdient. Außerdem wünschte er sich, überhaupt nichts fühlen zu müssen. Aber seine Familie kannte seine wunden Punkte und durchschaute seine gespielte Gleichgültigkeit.

Aidan Kavanagh war ein charmanter Mann, der sich nur dafür interessierte, lukrative Geschäfte abzuschließen. Sein wahres Ich schirmte er sorgfältig vor allen anderen Menschen ab, um sie von sich fernzuhalten. Drei Mal hatte er in seinem Leben geliebt und diese Liebe auch wieder verloren und war jetzt ein für alle Mal fertig mit Gefühlen.

In Silver Glen hingegen, besonders während der Feiertage, würde er wieder er selbst sein müssen – der junge Mann, der Spaß am Leben gehabt und mit naiver Unschuld nach dem Glück gegriffen hatte. Im Schoß seiner Familie würde er dazu gezwungen sein, sich seinen verletzlichen Seiten zu stellen.

Konnte er das wagen, ohne dabei auf der Strecke zu bleiben?

Wie verführerisch erschien ihm mit einem Mal die herrliche Anonymität der großen Stadt, die einen wie ein schützender Schild umgab und vor Schmerzen bewahrte. Natürlich liebte Aidan seine Familie aus ganzem Herzen, aber darüber hinaus hatte er nichts zu bieten. Liebe bedeutete nun einmal Schmerz, und wie hieß es so schön? Gebranntes Kind scheut das Feuer.

Vorsichtig lehnte Emma Braithwaite sich auf der antiquierten Trittleiter vor, um ins Schaufenster ihres Geschäftes greifen zu können, das sie gerade liebevoll dekorierte. Sie zupfte noch ein Stück Dekostoff zurecht, als auf der Straße eine Frau vor dem Fenster stehenblieb und ihr zuwinkte. Unwillkürlich musste Emma lächeln, als sie durch die Beschriftung der Schaufensterscheibe, auf der in goldenen Lettern Silver Memories stand, Maeve Kavanagh erkannte. Sie war nicht nur das Oberhaupt ihrer Familie, sondern auch Mutter von sieben sexy, verführerisch männlichen Söhnen, allesamt künftige Erben des beträchtlichen Familienvermögens.

Die Vorfahren von Maeves Ehemann hatten einst eine Silbermine in den Bergen entdeckt und Silver Glen zu einem florierenden Städtchen gemacht. Ein dunkles Kapitel in der Familiengeschichte kam, als Reggie Kavanagh, Maeves Mann, plötzlich wie besessen von der Idee war, diese Mine wiederzufinden. Eines Tages brach er zu einem Ausflug in die Berge auf, von dem aus er nie wiederkehrte.

Doch das gehörte schon längst der Vergangenheit an. Mittlerweile war Maeve eine energiegeladene Dame in ihren Sechzigern, die ihre Familie fest in der Hand hatte und außerdem erfolgreich das Luxushotel Silver Beeches Lodge leitete.

Die Türklingel ertönte, als Maeve das Geschäft betrat. Die ältere Frau trug ihr kastanienbraunes Haar, das nur von wenigen silbernen Strähnen durchzogen war, zu einer modischen Frisur hochgesteckt.

Rasch kletterte Emma von der Leiter und strich ihren Rock glatt.

Maeve schwenkte einen cremefarbenen Umschlag. „Ich weiß, dass die Etikette vorsieht, Ihnen das mit der Post zuzuschicken, aber ich konnte einfach nicht mehr warten. Hier. Nehmen Sie schon.“

Lächelnd kam Emma ihrer Aufforderung nach, und nachdem sie die Karte gelesen hatte, verstand sie, warum Maeve so aufgeregt war. „Noch eine Hochzeit?“

Maeve nickte zufrieden. „Und dieses Mal findet die Trauung auch hier in Silver Glen statt. Das Ganze ist ein bisschen kurzfristig, aber erst seit Kurzem wissen wir, dass am Tag nach Weihnachten die kleine Cora offiziell Dylans anerkannte Adoptivtochter sein wird. Deswegen wollen er und Mia bis dahin verheiratet sein.“

„Ich fühle mich geehrt, dass Sie mich einladen“, sagte Emma und steckte die Karte zurück in den Umschlag.

Vor einigen Wochen hatte sie Mia in dem Coffeeshop um die Ecke vom Silver Memories kennengelernt und sich seitdem mit ihr angefreundet.

„Ach“, entgegnete Maeve. „Sie gehören doch quasi zur Familie. Mia lobt Sie immer in den höchsten Tönen, und ich bin wirklich froh, dass ich Sie die letzten Monate kennenlernen durfte.“

Kurz nachdem Emma ihr Geschäft eröffnet hatte, hatte Maeve bei ihr ein paar außergewöhnliche Tische für eine Lounge in der Silver Beeches Lodge erworben. Dank Maeves begeisterter Mundpropaganda lief das Silver Memories seitdem außerordentlich gut.

Silver Glen war eine kleine, beschauliche Stadt, die sich zu einem wahren Touristenmagneten entwickelt hatte. Nicht nur wohlhabende Naturliebhaber, sondern auch Filmstars waren dem ruhigen Zauber des Bergstädtchens verfallen.

„Mia hat mir erzählt, dass Sie dieses Jahr über Weihnachten nicht zurück nach England fahren. Stimmt das?“, fragte Maeve.

„Ja, meine Mutter möchte mit ein paar Freundinnen die griechischen Inseln besuchen. Ich habe sie daher im September für zwei Wochen besucht. Ich bin nur froh, dass sie so gut über den Verlust meines Vaters hinwegkommt.“

„Dann möchte ich, dass Sie die Feiertage mit uns feiern“, sagte Maeve. „Mia würde sich auch sehr darüber freuen, wo ihre Eltern doch nur für die Hochzeit selbst kommen können. Was halten Sie davon?“

Emma wusste nicht, was sie daraufhin erwidern sollte. Es machte ihr eigentlich nichts aus, allein zu sein und ungestört vor sich hinträumen zu können. Außerdem war sie kein Mitglied der Familie und befürchtete, dass den Kavanaghs die Gegenwart einer Fremden unangenehm sein könnte.

„Ha!“ Triumphierend hielt Maeve eine Silberrassel und einen dazu passenden kleinen Becher aus den Fünfzigern hoch. „Wusste ich doch, dass ich die bei Ihnen gesehen habe!“, meinte sie. „Eine alte Collegefreundin von mir wird zum ersten Mal Großmutter. Das ist das perfekte Geschenk.“

Während Emma die beiden Gegenstände abkassierte, fragte sie sich, wie groß die Hochzeit wohl ausfallen würde. Und dann kam ihr ein anderer Gedanke, und plötzlich beschleunigte sich ihr Herzschlag.

„Können denn alle aus Ihrer Familie so kurzfristig zur Hochzeit kommen?“ Bisher hatte sie Maeve noch nicht gestanden, einen ihrer sieben Söhne ziemlich gut zu kennen.

„Das hoffe ich.“ Maeve wirkte ein wenig bedrückt. „Mein dritter Sohn, Aidan, lebt in New York. Wir sehen ihn nicht besonders oft. Und außerdem …“

Sie verstummte, und an ihrem Gesichtsausdruck erkannte Emma, dass die ältere Frau an etwas Unangenehmes dachte.

„Was denn?“, erkundigte sie sich neugierig.

„Vor einigen Jahren hatte Aidan an Weihnachten ein furchtbares Erlebnis“, verriet Maeve ihr. „Deswegen kommt er eigentlich nie zu den Feiertagen im Dezember nach Silver Glen.“

„Auch nicht für diese Hochzeit?“

„Wir hoffen sehr, dass er sich dazu durchringen kann, aber man kann nie wissen …“

Was würde Aidan wohl denken, wenn er ausgerechnet Emma im Kreise seiner Familie antraf? Seit zehn Jahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Als sie im Spätsommer nach Silver Glen gekommen war, hatte sie eigentlich mit ihm sprechen und einen Schlussstrich unter ihre schmerzhaften Erfahrungen setzen wollen. Damals hatte sie ihm sehr wehgetan, und dafür hatte sie sich entschuldigen wollen. Doch dann hatte sie feststellen müssen, dass Aidan längst nicht mehr in seiner Geburtsstadt lebte.

Es war durchaus möglich, dass Aidan überhaupt nicht mehr an früher dachte und Emma nicht mehr als eine unbedeutenden Fußnote in seinem Leben war. So, wie Maeve ihn beschrieb, schien er in der Zwischenzeit ein völlig anderer Mensch geworden zu sein.

Letzten Endes war es der Charme von Silver Glen, der Emma überzeugt hatte, in der Kleinstadt sesshaft zu werden. Trotzdem hoffte sie, sich bei Aidan entschuldigen zu können. Vielleicht würde sie dann endlich wieder Frieden für ihre Seele finden können.

Am liebsten hätte sie Maeve über Aidan ausgefragt, aber sie wusste, dass das äußerst unhöflich gewesen wäre. „Bestimmt ist ihm klar, wie viel allen diese Hochzeit bedeutet.“

Maeve hatte sich wieder gefasst. „Sie haben mir immer noch keine Antwort gegeben“, sagte sie vorwurfsvoll. „Ich muss Sie warnen, dass ich mich nur mit einer Zusage zufriedengebe.“

„Dann nehme ich Ihre Einladung von Herzen gerne an.“

„Wunderbar, meine Liebe. Ich muss gestehen, dass ich Ihrem herrlichen britischen Akzent stundenlang zuhören könnte.“

„Ich würde ja sagen, dass Sie diejenige mit dem Akzent sind“, entgegnete Emma. „Sie und der Rest von Silver Glen. Ich komme einfach nicht dahinter, wie Sie das machen.“

Lachend ging Maeve zur Tür. „Machen Sie sich nichts vor, Emma. Sie sind eine blaublütige Engländerin und hätten sich locker diesen Prinzen da schnappen können, wenn Kate nicht schneller gewesen wäre.“

Nachdem Maeve gegangen war, spürte Emma, wie aufgewühlt sie wegen der Neuigkeiten war. Natürlich hatte sie gewusst, dass früher oder später dieser Tag kommen würde. Aidan wäre früher oder später wieder hierher zurückgekehrt – wenn nicht zu Weihnachten, dann eben im Frühjahr. Der Gedanke an ein Wiedersehen erschreckte und erfreute sie gleichermaßen. Natürlich wusste sie, dass es für sie beide keine zweite Chance gab, dafür war viel zu viel Zeit verstrichen. Zweifellos hatte er sich in der Zwischenzeit verändert, bestimmt auch durch die Tragödie, von der Maeve gesprochen hatte. Doch auf jeden Fall wollte Emma loswerden, was ihr auf der Seele lag. Sie würde schon dafür sorgen, dass Aidan ihr zuhörte. Er musste einfach wissen, dass sie unsterblich in ihn verliebt gewesen und beinahe daran zerbrochen war, als er damals die Uni verlassen hatte.

Damals war er für ein Auslandssemester nach Oxford gekommen und vor einem Pub mit Emma zusammengestoßen. Lachend hatte sie damals ihre Bücher und Unterlagen wieder aufgehoben, und Aidan hatte sie zum Abendessen eingeladen. Und der Rest war Geschichte, wie man so schön sagte.

Es tat weh, sich wieder daran zu erinnern. Ob er noch aussah wie damals? Würde er denken, dass sie sich verändert hatte?

Und überhaupt – was wollte sie Aidan Kavanagh sagen, wenn sie ihn endlich wiedersah?

2. KAPITEL

Aidan hielt den Wagen vor dem imposanten Gerichtsgebäude an. Es war schon vor Stunden dunkel geworden – ein untrüglicher Hinweis darauf, dass der kürzeste Tag des Jahres unmittelbar bevorstand. Die umliegenden Häuser erstrahlten im Glanz feierlicher Weihnachtsbeleuchtung.

Obwohl Aidan auch in New York City überall mit Weihnachtsdekorationen konfrontiert wurde, hatte dieser Anblick etwas Verstörendes. Als ob es erst gestern gewesen wäre, erinnerte er sich klar und deutlich an Danielles Begeisterung, als er sie das erste Mal mit nach Silver Glen genommen hatte, um Weihnachten mit ihm und seiner Familie zu feiern. Der Anblick der weihnachtlich geschmückten Stadt und des Neuschnees hatten sie in Entzücken versetzt.

Wenigstens waren dieses Jahr die Straßen frei. Unwillkürlich musste er an die ausgelassene Schneeballschlacht denken, die er sich damals mit Danielle geliefert hatte. Sie hatte es verstanden, das Leben stets so intensiv und fröhlich zu leben wie ein Kind.

Überrascht stellte er fest, dass er wenigstens ein paar schöne Erinnerungen an ihre letzten gemeinsamen Tage hatte.

Er sah auf die Armbanduhr und stellte fest, dass er weiter musste. Obwohl Dylan und Mia ihn eingeladen hatten, bei ihnen zu wohnen, bevorzugte er die Abgeschiedenheit eines Hotelzimmers im Silver Beeches Lodge. Dann störte er wenigstens niemanden, wenn er nicht schlafen konnte.

Liam und seine Frau Zoe bewohnten zurzeit noch eine Suite im Familienhotel, während sie auf die Fertigstellung ihres Traumhauses warteten. Bestimmt würde sein älterer Bruder kein Auge zumachen, bevor Aidan nicht wohlbehalten eintraf. Als Aidan ihm mitgeteilt hatte, dass er mit dem Auto fahren würde, hatte sein Bruder ihn gefragt, warum er die Mühe auf sich nahm und nicht einfach flog wie jeder normale Mensch.

Das fragte Aidan sich inzwischen selbst. Eigentlich hatte er sich während der langen Autofahrt auf die bevorstehende Tortur vorbereiten wollen. Nun, vielleicht war das ein bisschen melodramatisch – schließlich besuchte er Silver Glen seit damals nicht zum ersten Mal. Weihnachten war er bisher jedoch nur einmal hier gewesen, und das auch nur, weil sein Bruder im Krankenhaus gelegen hatte. Hastig hatte er ihm damals ein paar Geschenke und einen Weihnachtskuchen überreicht, um anschließend umgehend die Flucht zurück nach New York zu ergreifen.

Doch dieses Mal würde er nicht so leicht davonkommen. Maeve hatte ihn bereits vorgewarnt, dass seine Anwesenheit bei verschiedenen Feierlichkeiten erwartet wurde. Sie sah ihren drittgeborenen Sohn selten genug, und da sie ihn jetzt endlich in ihrer Nähe wusste, würde sie ihn so leicht nicht wieder gehen lassen.

Aidan legte den Gang ein und fuhr langsam weiter. Beinahe erwartete er, von einem Cop angehalten zu werden, der ihn nach dem Grund für seine nächtliche Spritztour fragte. Es sah hier immer noch so aus wie bei seinem letzten Besuch.

Er fuhr Aidan an Silver Glens einzigem Kino vorbei, das den Namen Silver Screen trug. In den fünfziger Jahren hatte jemand die Idee gehabt, alle Geschäftsnamen der Stadt mit dem Zusatz Silver zu versehen – eine geniale Marketingstrategie, wie Aidan fand. Überhaupt liebte er diese kleine Stadt, die über zwanzig Jahre lang seine Heimat gewesen war, aus ganzem Herzen und freute sich, dass sie wirtschaftlich so gut wuchs und gedieh.

Als er ein letztes Mal wendete, um in die schmale Straße in Richtung des Berghotels einzubiegen, fiel sein Blick auf ein ihm bisher unbekanntes Geschäft mit dem Namen Silver Memories, der Auslage im Schaufenster nach offensichtlich ein Antiquitätengeschäft. Früher hatte sich dort eine Sattlerei befunden. Seltsam, dachte Aidan, dass mir das bei meinem letzten Besuch zu Thanksgiving gar nicht aufgefallen ist. Aber da war er ja auch nur vierundzwanzig Stunden in der Stadt gewesen.

Kurz darauf fuhr er die Bergstraße hinauf zum Luxusressort seiner Familie und parkte vor dem Silver Beeches Lodge. Nachdem er seine Reisetasche genommen und den Wagenschlüssel einem leicht verschlafen wirkenden Pagen überreicht hatte, schickte er seinem Bruder Liam eine kurze SMS.

Bin angekommen. Gehe ins Bett, alter Mann. Wir sehen uns morgen.

Nachdem er bei dem adrett gekleideten Empfangschef eingecheckt hatte, betrat er wenige Minuten später sein dunkles, ruhiges und angenehm frisch duftendes Zimmer im obersten Stockwerk.

Rasch schlüpfte er aus seinen Schuhen, schloss sein Smartphone an das Ladekabel an und ließ sich erschöpft bäuchlings aufs Bett fallen, wild entschlossen, erst dann wieder aufzustehen, wenn jemand ihn dazu zwang.

Emma sah kurz zu ihrer Kundin hinüber, einer älteren Dame, die ihr gelegentlich ein paar Dinge zum Kauf anbot, um ihre Rente ein wenig aufzustocken. Im Augenblick schien sie jedoch zufrieden damit zu sein, die Auslagen im Silver Memories zu bewundern, weswegen Emma sich wieder dem Bildschirm ihres Laptops zuwandte.

Sie hatte die Seite eines Onlineshops einer Londoner Designerboutique geöffnet und war einfach nicht in der Lage, sich zwischen zwei Kleidern zu entscheiden. Kurz entschlossen legte sie beide in den Warenkorb und bestellte sie mit dem Expressversand. Wenn sie Aidan gegenübertrat, musste sie gewappnet sein. Emma war in der Upperclass aufgewachsen und mit der Etikette der High Society vertraut. Deswegen machte sie sich keine Sorgen wegen der Begegnung mit der wohlhabenden Familie Kavanagh. Der Gedanke an das Wiedersehen mit Aidan hingegen ließ ihr Herz schneller schlagen.

Die Frau verließ das Geschäft schließlich, ohne auch nur eine Kleinigkeit erworben zu haben, wie Emma seufzend zur Kenntnis nahm. Würde er noch leben, wäre ihr Vater entsetzt darüber gewesen, dass seine Tochter so etwas Gewöhnliches wie einen Einzelhandel betrieb. Schließlich waren alle Braithwaites – zumindest die männlichen – Rechtsanwälte, Geistliche oder Ärzte. Die Frauen der Familie pflegten sich die Zeit mit Teegesellschaften und Treibjagden zu vertreiben, während sie ihren Nachwuchs von Kindermädchen erziehen ließen. Emma war acht Jahre alt gewesen, als sie begriff, dass ihre geliebte Baba nicht mit ihr verwandt war.

Die bittersüßen Erinnerungen abschüttelnd, bereitete Emma sich darauf vor, das Geschäft zu schließen. In der Weihnachtszeit war nach sechzehn Uhr kaum etwas los, weswegen Emma im Dezember den Antiquitätenladen selten länger offen hielt.

Durch die Schaufensterscheibe beobachtete sie, wie die Menschen im Schneegestöber über die Straße hasteten. Am liebsten wäre sie gleich in ihr behagliches Apartment hinaufgegangen, aber leider hatte sie keine Milch mehr im Haus – und Tee ohne Milch war aus ihrer Sicht einfach nicht denkbar.

Also kuschelte sie sich in ihren dicken himbeerfarbenen Wollmantel, schlang sich einen schwarzen Wollschal um den Kopf, steckte sich Schlüssel und Portemonnaie in die Tasche und wagte sich ins Freie.

Zitternd stand sie kurz darauf eine Straße weiter vor einer Ampel und wartete ungeduldig darauf, dass die Fußgänger endlich Grün bekamen. Nachdem das Signal kam, ging sie zügig los. Den silberfarbenen Wagen, der bei Rot über die Kreuzung fuhr, bemerkte sie erst, als es bereits zu spät war.

Hastig versuchte sie noch, einen Schritt zurück zu machen, aber der rücksichtslose Autofahrer streifte dennoch ihre Hüfte, sodass sie durch die Luft zurück auf den unbarmherzig harten Asphalt des Bürgersteigs geschleudert wurde.

Ungeachtet der aufgeregten Menschen, die sich um sie herum versammelten, versuchte sie erst einmal herauszufinden, was ihr alles wehtat, und es gelang ihr schließlich, sich aufzusetzen. Sie zitterte immer noch am ganzen Leib, als ein Mann neben ihr in die Hocke ging. Trotz der kalten Luft nahm sie seinen warmen, männlichen und seltsam vertrauten Duft wahr.

„Nicht bewegen“, befahl er mit sanfter Stimme und stützte sie an den Schultern ab.

Gerade noch rechtzeitig, wie Emma feststellte, denn auf einmal begann die Welt um sie herum zu verschwimmen. Sirenengeheul erklang in der Ferne.

Kurz darauf wurde sie trotz ihres schwachen Protests auf eine Trage gelegt, und sie bemerkte wie betäubt das Blut an einem ihrer Beine. Die Rettungssanitäter verloren keine Zeit, und ehe Emma sich versah, hatten sie das Krankenhaus erreicht und sie wurde in ein Behandlungszimmer geschoben. Das Schwindelgefühl wurde immer schlimmer, und sie begann sich zu fragen, ob sie möglicherweise ernsthaft verletzt war.

Eine Krankenschwester überprüfte gerade ihre Vitalfunktionen, als eine männliche Stimme erklang. „Wie geht es ihr?“ Sie erkannte die Stimme ihres Helfers.

„Sie ist bei Bewusstsein, aber wir müssen sie röntgen.“

„Es geht mir gut“, stieß Emma hervor, ohne die Augen zu öffnen. Die Schwester war wieder gegangen, trotzdem spürte Emma, dass der fremde Mann immer noch in ihrer Nähe war. Mit einem Mal fühlte sie sich sicher und geborgen, und es kam ihr beinahe so vor, als ob er auf sie aufpassen würde.

„Nicht schlafen“, wies er sie an. „Ich nehme Ihnen erstmal diesen verdammten Schal ab.“

Jetzt erst bemerkte sie, dass sie immer noch den schwarzen Wollschal trug, der verrutscht war und einen Teil ihres Gesichts verdeckte. Sie spürte, wie der Mann ihn behutsam entfernte – und dann tief Luft holte. „Was zum Teufel … Emma?“

Mühsam stützte sie sich auf einem Ellenbogen ab und richtete sich ein Stück auf, um ihren geheimnisvollen Retter anzusehen. Oh, mein Gott! dachte sie, als sie ihn erkannte. „Aidan? Ich hab dich nicht gleich erkannt … Danke für deine Hilfe. Ich bin sicher, dass alles in Ordnung ist. Du kannst jetzt wirklich gehen.“ Obwohl sie sich darum bemühte, völlig ruhig zu klingen, bemerkte sie, wie sie zu zittern begann.

Fassungslos sah er sie an. „Was machst du hier?“

Tapfer schluckte sie die Tränen herunter, die ihr in die Augen stiegen. So hatte sie sich ihr Wiedersehen nun wirklich nicht vorgestellt. Schwer schluckte sie. „Ich lebe hier“, entgegnete sie leise.

„Soll das etwa ein schlechter Witz sein?“, fragte er wütend und klang beinahe ein wenig panisch.

All das wurde ihr plötzlich ein wenig zu viel. Aufstöhnend ließ sie sich auf die Liege fallen. Dann wurde es dunkel um sie herum …

Beinahe fluchtartig verließ Aidan das Krankenhaus. Sein Herz schlug ihm nahezu bis zum Hals, und seine Hände fühlten sich mit einem Mal eiskalt an. Natürlich konnte das auch am Wetter liegen und daran, dass er seine Handschuhe im Auto liegen gelassen hatte … Emma war hier. Und Danielle nicht. Emma. Im Stillen wiederholte er ihren Namen und sah immer noch den wissenden Ausdruck in ihren enzianblauen Augen vor sich, als sie ihn eben gesehen hatte. Diese Augen kannte er zu gut. Ebenso die porzellanfarbene Haut, die perfekt geschwungenen, sinnlichen Lippen, die aristokratische Form ihres wunderschönen Gesichts und das schulterlange, seidenweiche blonde Haar.

Emma …

Grundgütiger.

Vermutlich war das Rauschen in seinen Ohren nur auf den Winterwind zurückzuführen, sein Blutdruck hingegen hatte gefährlich hohe Werte angenommen. Er war völlig aufgelöst und hatte keine Kontrolle über seine Gefühle. Und das ihm, der alles daransetzte, niemandem zu zeigen, dass er überhaupt welche besaß.

Beinahe hatte er selbst daran geglaubt. Doch diese Zufallsbegegnung auf der Straße hatte seine Fassade zum Einstürzen gebracht, und er hatte den Eindruck, den rasenden Schmerz in seinem Inneren nicht mehr aushalten zu können.

Dabei war Emma diejenige, die im Krankenhaus lag.

Er war nicht verpflichtet, zu ihr zurückzukehren. Schließlich hatte er getan, was er konnte, und jetzt befand sie sich in den Händen von Profis, die ihr halfen.

Als er seinen Wagen erreicht hatte, blieb er stehen und schlug mit einer Faust so fest auf die Motorhaube, dass seine Finger schmerzten. Ihm war klar gewesen, dass seine Heimkehr nach Silver Glen zur Weihnachtszeit zeigen würde, wie sehr er sich von der Vergangenheit erholt hatte. Doch nie wäre er auf den Gedanken gekommen, ausgerechnet Emma Braithwaite zu begegnen. Sollte sie nicht in England sein, glücklich verheiratet mit diesem eingebildeten Grafen, Mutter von nicht minder eingebildeten Bälgern, die alle wie kleine Harry Potters sprachen und Kleidung im Landhausstil trugen?

Verdammt noch mal!

Was würde geschehen, wenn er einfach so ging, ohne eine Erklärung zu verlangen? Würde er sich weismachen können, die letzten beiden Stunden nur geträumt zu haben? Dass sie lediglich ein Albtraum gewesen waren?

Ein weiterer Krankenwagen fuhr mit schrillem Sirenengeheul vor das Krankenhaus und riss Aidan aus seinen Gedanken. Eben gerade hatte er Emma einfach so bewusstlos zurückgelassen. Sicher, er hatte vorher einer Krankenschwester Bescheid gegeben, doch dann hatte er Hals über Kopf die Flucht ergriffen. Was würden seine Brüder von ihm denken, wenn sie ihn jetzt so sehen könnten?

Die Kavanaghs waren keine Feiglinge – das konnte man sich auch gar nicht leisten, wenn man mit sechs Brüdern aufwuchs. Da lernte man, sich körperlich und geistig zu behaupten. Außerdem hatte Maeve Kavanagh ihren Söhnen beigebracht, Verantwortung zu übernehmen und sich stets ehrenhaft zu verhalten. Lediglich ein totaler Schwächling würde eine Frau allein im Krankenhaus zurücklassen.

Leise fluchend atmete er die eisige Winterluft ein. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Was für schreckliche Sünden hatte er begangen, um so ein mieses Karma zu verdienen?

Die Minuten vergingen, und Menschen betraten und verließen das Krankenhaus. Die Belegschaft wurde von den Kollegen der Nachtschicht abgewechselt und fuhr nach Hause. Besorgt wirkende Besucher eilten in das Gebäude. Doch Aidan nahm kaum etwas von all dem wahr.

Zu seiner Schande musste er feststellen, dass er sich davor fürchtete, wieder zu Emma zu gehen. Was, wenn sie schlimm verletzt war, wenn sie genau in diesem Moment ins Koma fiel?

Klar und deutlich erinnerte er sich daran, wie er damals in diesem Krankenhaus unruhig die Gänge auf und ab geschritten war, als Danielle mit dem Tod gerungen hatte. Obwohl es eine Ewigkeit her war, kam es ihm vor, als wäre es erst gestern geschehen. Und nun schien sich alles zu wiederholen.

Doch das würde er nicht zulassen! Nicht, wenn er es vermeiden konnte. Es spielte keine Rolle, weswegen Emma nach Silver Glen gekommen war. Er würde dafür sorgen, dass es ihr gut ging. Und dann würde er gehen. So wie er es schon vor zehn Jahren hatte tun müssen.

3. KAPITEL

Stöhnend bewegte Emma eine Schulter. „Mein Kopf tut so weh“, flüsterte sie und öffnete die Augen. Die Welt um sie herum schien sich immer noch zu bewegen. Seltsamerweise musste sie an den kunstvoll gefertigten Wandteppich denken, der früher in ihrem Kinderzimmer gehangen hatte.

Leider war das sterile Krankenhauszimmer nicht mit ihrem Elternhaus zu vergleichen. Irgendwer hatte ihr in der Zwischenzeit ein typisches Krankenhausgewand angelegt und die warme Bettdecke so fest über ihre Schultern gezogen, dass Emma sich unbehaglich eingeengt fühlte. Sie bewegte ihre Arme so lange, bis sie endlich über der Decke lagen.

Eine ältere Krankenschwester sah sie freundlich an und streichelte beruhigend ihre Wange. „Sie haben eine Gehirnerschütterung. Versuchen Sie, sich nicht aufzuregen. Die Schmerzmittel müssten jeden Moment wirken.“

„Wie lange bin ich bewusstlos gewesen?“ Emma hätte schwören können, dass es nur ein kleiner Moment gewesen war.

„Nicht sehr lang, aber lang genug, dass wir Sie röntgen konnten. Man hat sich wegen Ihres Beines Sorgen gemacht, aber es ist nichts gebrochen. Sie haben ein paar Stiche auf der Wange und am Schienenbein, aber das ist harmlos, wenn man bedenkt, was alles hätte passieren können.“

„Oh … gut …“ Die Schmerzmittel schienen jetzt zu wirken, denn mit einem Mal fühlte sie sich herrlich unbeschwert. Irgendetwas Wichtiges schien sich noch bemerkbar machen zu wollen, aber sie hatte keine Ahnung, um was es sich dabei handelte, und schließlich schlief sie ein.

Als sie das nächste Mal aufwachte, war ihr schrecklich übel. Eine Krankenschwester eilte ihr gerade noch rechtzeitig zu Hilfe und hielt ihr eine Schale hin. „Leider schlagen die Schmerzmittel bei einigen auf den Magen. Versuchen Sie einfach, ein bisschen zu schlafen.“ Bevor die Frau das Zimmer verließ, dämpfte sie die Beleuchtung. Leise fiel die Tür hinter ihr ins Schloss, und mit einem Mal kam Emma sich fürchterlich alleine vor. Leise begann sie zu schluchzen.

Eine warme Hand berührte zärtlich ihr Haar. „Alles ist gut, Emma. Nicht weinen. Schlaf einfach wieder.“

Obwohl ihre Lider bleischwer zu sein schienen, öffnete Emma mühsam die Augen und erkannte die Umrisse eines Mannes, der in einem Stuhl neben ihrem Bett saß. „Aidan? Ich dachte schon, ich hätte dich nur geträumt.“

Leise lachte er. „Ich fürchte, das hast du nicht.“

„Warum bist du hier?“, fragte sie schläfrig und kämpfte gegen die Müdigkeit an, die sie zu übermannen drohte.

Wieder streichelte er ihr Haar. „Das spielt keine Rolle. Du wirst wieder gesund. Schlaf jetzt.“

Als sie am nächsten Morgen erwachte, war sie wieder klarer im Kopf, fühlte sich aber so zerschlagen, als hätte sie am Abend zuvor einen Boxkampf ausgetragen. Zu ihrer großen Enttäuschung stellte sie fest, dass sich außer ihr niemand im Raum befand. Dann hatte sie Aidan wohl doch nur geträumt.

Nach dem Frühstück bekam sie Besuch von der Stationsärztin.

„Wie fühlen Sie sich?“

„So, als ob ich einen ziemlich fiesen Schlag auf den Kopf abbekommen hätte.“

Die Ärztin lächelte. „Ziemlich nahe dran. Aber ich kann Sie beruhigen. Ihre Tests kamen alle positiv zurück. Sie haben Glück gehabt. Ein paar Tage werden Sie sich noch ziemlich mies fühlen, aber ich denke, ich kann Sie heute noch entlassen. Haben Sie zuhause jemanden, der sich um Sie kümmern kann? Sie sollten sich auf jeden Fall schonen.“

Bevor Emma antworten konnte, betrat ein Mann das Zimmer. „Ich fahre sie nachher nach Hause und sorge dafür, dass sie Hilfe bekommt.“

Aidan! Es hätte sie nicht mehr überrascht, das berühmte Monster von Loch Ness an ihrem Krankenbett zu sehen. Jetzt wusste sie mit Sicherheit, dass die verführerische Erscheinung, die in der Nacht an ihrem Bett gesessen hatte, doch nicht ihren Träumen entsprungen war.

„Das ist keinesfalls nötig“, widersprach sie prompt, während sie sich insgeheim verzweifelt fragte, wen sie sonst um Hilfe bitten konnte. Bisher hatte sie in Silver Glen noch keine Freunde, die ihr in einer Krisensituation tatkräftig zur Seite stehen würden – dafür wohnte sie einfach noch nicht lang genug hier. Einzig Mia fiel ihr ein, aber die hatte mit ihrem Baby und der Hochzeit alle Hände voll zu tun.

Aidan ignorierte ihren Protest und lächelte die Ärztin charmant an. „Ich sorge dafür, dass sie Ihre Anweisungen befolgt, Doktor. Sie können sich auf mich verlassen.“

Nachdem die Ärztin gegangen war, betrachtete Emma fassungslos den Mann, der früher einmal ihr Ritter in strahlender Rüstung gewesen war. „Ich kann alles erklären“, sagte sie schließlich.

Kühl winkte Aidan ab. „Ich möchte nichts von der Vergangenheit hören oder darüber, warum du hier bist. Es interessiert mich nicht, Emma. Ich bringe dich nach Hause und schlafe nachts auf deiner Couch. Das ist alles. Nichts, was du mir sagen könntest, möchte ich hören. Verstanden?“

Entmutigt stellte sie fest, dass seine Wut in all den Jahren offenbar nicht nachgelassen hatte. Sie schien nichts anderes als eine lästige Verpflichtung für ihn zu sein, die noch nicht einmal belanglosen Small Talk wert war.

Traurig nickte sie. Es tat weh, sich das einzugestehen, aber sie konnte sich keinen Streit mit ihm leisten. Wenn Aidan ihr dabei behilflich sein konnte, aus dem Krankenhaus entlassen zu werden, dann musste sie sein abweisendes Verhalten einfach hinnehmen und eben davon absehen, ihm zu erklären, was damals wirklich geschehen war.

Inzwischen konzentrierte Aidan sich ganz auf den Fernseher, als fände er den Werbespot für Eierschneider, der dort gerade lief, höchst interessant. Sein Profil kam ihr nach wie vor vertraut vor, doch sein Körper war in all den Jahren zu dem eines Mannes geworden. Breite Schultern, kräftige Muskeln – nichts erinnerte mehr an den schlaksigen Studenten von einst.

Sein kastanienbraunes Haar war modisch geschnitten, seine teure Kleidung betonte seine männliche Ausstrahlung. An der Uni hatte er sein Haar lässig lang getragen und eine Vorliebe für eng anliegende T-Shirts und Bluejeans gehabt, die seinen flachen Bauch, die schmalen Hüften und den sexy Po hervorragend zur Geltung gebracht hatten. Mit seinem Lächeln und dem amerikanischen Akzent hatten ihm alle Mädchen auf dem Campus zu Füßen gelegen. Doch am Ende des Tages war er immer in Emmas Apartment zurückkehrt.

Hastig verdrängte sie die bittersüßen Erinnerungen. Er hatte ziemlich deutlich gemacht, dass er keine Erklärungen von ihr wünschte. Worüber konnten sie sonst reden?

Abrupt wandte er sich zu ihr um. „Ich sage der Schwester, dass sie mich benachrichtigen soll, wenn du entlassen wirst. In der Zwischenzeit habe ich noch etwas zu erledigen.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ er das Zimmer.

Am späten Nachmittag schließlich, nachdem sie eine Reihe weiterer Untersuchungen über sich hatte ergehen lassen, teilte man ihr schließlich mit, dass sie nach Hause gehen durfte. Obwohl Emma zwar keinen gesteigerten Wert auf Aidans unterkühlte Gesellschaft legte, wollte sie noch weniger im Krankenhaus bleiben, sondern sehnte sich nach der Stille ihrer Wohnung und dem Komfort ihres eigenen Bettes.

Sie war gerade aufgestanden, um ihre übel zugerichteten Sachen anzuziehen, als Aidan das Zimmer betrat und leise fluchte.

„Himmel, noch mal. Wenn du so weitermachst, fällst du noch um.“ Er nahm ihr die zerrissene Strumpfhose aus der Hand und warf sie in den Mülleimer. „Du wirst wohl mit nackten Beinen nach Hause fahren müssen“, stellte er fest. „Aber du wohnst ja nicht weit von hier, oder?“

Errötend nickte sie, während Aidan ihr beim Anziehen half, als wäre sie ein hilfloses Kind. Seine Anspannung war deutlich zu spüren, und ihr Kopf pochte vor Schmerzen, aber auf keinen Fall wollte sie diesem schroffen Fremden zeigen, wie schwach sie sich fühlte.

Die Wahrheit hing wie ein Damoklesschwert über ihnen – aber das war lächerlich. Aidan hatte nicht vor, sich ihre Version der Geschichte anzuhören, sondern hatte sich bereits ein Urteil über sie gefällt. Er glaubte fest daran, sie habe sein Vertrauen missbraucht. Zugegeben – wenn sie damals in seiner Haut gesteckt hätte, hätte sie es vielleicht auch geglaubt.

Eine Weile darauf nahm sie zitternd auf der Beifahrerseite von Aidans Sportwagen Platz. Trotz der Sitzheizung war ihr kalt.

„Hier. Leg dir die hier über die Beine“, sagte Aidan und reichte ihr eine Jacke, die auf dem Rücksitz gelegen hatte. Dann sah er eine Weile lang unentschlossen durch die Windschutzscheibe. „Ich brauche noch deine Adresse“, sagte er schließlich.

Emma spürte, wie viel Überwindung es ihn gekostet hatte, sie danach zu fragen. Leise nannte sie ihm den Straßennamen und die Hausnummer, bevor sie sich zurücklehnte und die Augen schloss. Das Innere des Wagens duftete nach Aidan, und sie überlegte, ob er sie wohl im Auto schlafen lassen würde. Im Augenblick konnte sie sich nämlich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie es bis zu ihrem Bett schaffen sollte.

„Hier?“, fragte er kurz darauf ungläubig, als er vor ihrem Geschäft parkte.

„Ich habe oben ein Apartment. Du brauchst wirklich nicht zu bleiben.“

Ihre Bemerkung ignorierend, drehte er sich zu ihr herum und durchbohrte sie förmlich mit seinem Blick. Unbehaglich wand Emma sich auf ihrem Sitz. In seinen haselnussbraunen Augen war keine Spur mehr von der ansteckenden Fröhlichkeit zu sehen, die sie von früher von ihm kannte. Um ehrlich zu sein, fiel es ihr schwer, sich vorzustellen, dass der Aidan von heute überhaupt jemals lachte.

„Korrigiere mich bitte, falls ich mich irre“, sagte er. „Aber eigentlich hatte ich immer geglaubt, dass Lady Emma Braithwaite eine reiche Erbin sei – wieso also sollte sie in den Bergen von North Carolina einen Antiquitätenladen betreiben, wenn sie in einem verdammten Schloss aufgewachsen ist?“ Während des Sprechens war er immer lauter geworden, und zum Schluss schrie er beinahe.

„Es war kein Schloss“, entgegnete sie verärgert, von seinem sarkastischen Unterton gekränkt. „Außerdem hast du gesagt, dass du keine Erklärungen von mir hören willst“, erinnerte sie ihn. „Falls es dir nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne nach oben gehen. Ich bin völlig erledigt. Wenn es dir nichts ausmacht, könntest du mir die Treppe hochhelfen? Danach kannst du gerne wieder fahren.“

Einen Augenblick lang schwieg Aidan, bevor er leise fluchend ausstieg und die Wagentür so laut zufallen ließ, dass die Scheibe neben Emma zu klappern begann. Bevor sie jedoch ihre Überraschung überwunden hatte, hatte Aidan die Beifahrertür bereits geöffnet und Emma unversehens aus dem Wagen gehoben.

Unwillkürlich zuckte sie zurück, als sie in seinen Armen lag, und ihre plötzliche Bewegung brachte ihn kurz ins Schwanken.

„Leg deine Arme um meinen Hals, Emma, oder willst du, dass ich dich fallen lasse?“, fragte er wütend.

„Bist du eigentlich immer so mürrisch?“, fragte sie gereizt. Wenn jemand schlechte Laune haben durfte, dann doch wohl sie!

„Übertreib es bloß nicht“, sagte er nur und trug sie zum Eingang zu ihrem Apartment, der sich neben der Schaufensterfront des historischen Gebäudes befand.

Emma reichte ihm den Schlüssel und fragte sich, ob es Aidan wohl gelingen würde, sie die steile, schmale Treppe nach oben zu befördern. Doch das schien kein Problem für ihn darzustellen. Mühelos trug er sie in die erste Etage, obwohl Emma mit ihren einem Meter siebzig keine besonders zierliche Frau war. Unauffällig atmete sie wie berauscht den sinnlichen männlichen Duft seines warmen Körpers ein und hätte sich am liebsten fest an ihn geschmiegt.

Nachdem sie das Apartment betreten hatten, trug Aidan Emma in ihr Schlafzimmer und setzte sie dort ab, ohne das große Bett mit dem weißen Spitzenüberwurf auch nur eines Blickes zu würdigen.

„Kannst du dich allein umziehen?“, fragte er und stützte sie an den Schultern ab. Sein fester Griff ließ seinen Widerwillen erkennen, als hätte er lieber keinen körperlichen Kontakt, aber als befürchtete er, sie könnte jeden Moment umstürzen.

„Natürlich“, sagte sie, obwohl sich ihr rechtes Bein so anfühlte, als wäre es mit einer Axt traktiert worden, und sich ein furchtbarer Schmerz in ihrem Kopf ausbreitete. Doch lieber wollte sie sterben, als Aidan davon zu erzählen. Sie war so erzogen worden, nicht aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen. Ihr Vater hatte nie sonderlich viel für so ein Drama, wie er es nannte, übrig gehabt.

Aidan sah sie an, und zum ersten Mal seit ihrem Wiedersehen glaubte sie zu erkennen, dass die Vergangenheit zwar vorüber sein mochte, jedoch nicht ganz vergessen war. Einen winzigkleinen, flüchtigen Moment meinte sie sogar, so etwas wie Zärtlichkeit in seinem Blick erkennen zu können, doch vielleicht hatte sie sich auch nur getäuscht. Er half ihr aus ihrem schmutzigen Mantel.

„Wo ist dein Schlafanzug?“

Entschlossen verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Ich hole ihn schon selbst. Mach dir in der Zwischenzeit doch einen Kaffee.“

„Du hast Kaffee?“, fragte er überrascht.

In England hatte sie alles versucht, um ihn von diesem unkultivierten Getränk loszubekommen – ihrer Meinung nach ging nichts über einen schönen, frisch gebrühten Earl Grey. „Für Gäste“, erwiderte sie steif.

Nachdem Aidan das Zimmer verlassen hatte, setzte sie sich erschöpft aufs Bett. Sie musste sich unbedingt waschen und umziehen, und auf gar keinen Fall wollte sie Aidan dabei um Hilfe bitten. Dafür war sie viel zu stolz. Außerdem war sie sich seiner Gegenwart eh schon zu sehr bewusst. Die Luft in ihrem Apartment schien förmlich von seiner Ausstrahlung zu vibrieren.

Als sie sich kurz darauf im Badezimmerspiegel sah, stöhnte sie unwillkürlich auf. Behutsam streifte sie Bluse, Rock und schließlich Slip und BH ab. Dabei bewegte sie sich so langsam wie eine alte Frau. Ihre Haut war von blauen Flecken übersät. Da sie strikte Anweisung erhalten hatte, die Nähte auf gar keinen Fall nass werden zu lassen, kam eine Dusche nicht infrage, weswegen sie sich mit einem weichen Waschlappen und etwas Lavendelseife behalf.

Sie hatte sich gerade abgetrocknet, als ihr auffiel, dass sie vergessen hatte, ein Nachthemd mit ins Bad zu nehmen. Also wickelte sie sich ihr Handtuch wie einen Sarong um den Körper, öffnete die Badezimmertür und ging ins Schlafzimmer – und ertappte Aidan dabei, wie er gerade eine Tasse mit dampfendem Tee auf ihren Nachtschrank stellte.

4. KAPITEL

Aidan verharrte in der Bewegung, und obwohl es ihm wehtat, Emma so zu sehen, zwang er sich, ihren panischen Blick völlig leidenschaftslos zu erwidern.

„Trink deinen Tee, solange er noch heiß ist“, empfahl er. „Ich schau mal, was ich uns zum Abendessen machen kann.“

Rasch verließ er das Schlafzimmer und stützte sich in der kleinen Küche mit den Händen auf dem Tisch ab. So viele Gefühle, so viele Erinnerungen …

Er holte tief Luft. Es brachte nichts, romantischen Gefühlen von damals nachzuhängen, als er sich ein Leben ohne Emma nicht hatte vorstellen können. Hastig konzentrierte er sich auf die Gegenwart und inspizierte den Inhalt von Emmas Kühlschrank. Es sah ganz danach aus, als lebte sie von Joghurt, Müsliriegeln und Käse allein. Sein Magen knurrte protestierend, doch er würde sich wohl oder übel mit einem überbackenen Käsetoast zufriedengeben müssen.

Er war gerade damit beschäftigt, etwas Butter und ein großes Stück Käse in eine Bratpfanne zu geben, als er Geräusche aus dem Schlafzimmer hörte. Sofort musste er an Emmas nahezu unbekleideten Körper denken. An ihre cremefarbene, samtige Haut. Die langen Beine. Die Farbe ihres Haares, die an den goldenen Sonnenschein eines warmen Frühlingstages erinnerte.

Mit frischem Eifer machte er sich wieder an die Arbeit. Seine Kochkünste schufen letzten Endes nicht unbedingt ein sehr ansehnliches Ergebnis, doch es würde sie zumindest sättigen.

Mit dem für Emma bestimmten Teller blieb er schließlich vor der Schlafzimmertür stehen und klopfte leise an. Bestimmt war sie inzwischen angezogen, aber er wollte kein Risiko eingehen. Als keine Antwort erklang, klopfte er ein weiteres Mal und öffnete schließlich die Tür. „Emma?“

Das Licht war immer noch an, aber Emma lag friedlich schlafend auf dem Bett, eine Hand unter die Wange geschoben wie ein kleines Kind. Die Stiche an ihrer Wange erinnerten ihn daran, wie haarscharf sie mit dem Leben davongekommen war.

Unschlüssig sah er auf die Uhr. Zwar hasste er es, sie zu wecken, aber es musste sein, wenn sie nachher nicht von den Schmerzen geweckt werden sollte. Er stellte den Teller auf dem Nachtschrank ab und hockte sich neben sie. Nur mühsam gelang es ihm, der Versuchung zu widerstehen, sie zu berühren.

„Emma“, sagte er leise, um sie nicht zu erschrecken.

Lächelnd öffnete sie langsam die Augen, doch dann sah sie Aidan und ihr schien wieder alles einzufallen. „Aidan. Ich habe dir doch gesagt, dass du gehen sollst. Ich schlafe bis morgen durch.“

Kopfschüttelnd zog er eine Dose mit Tabletten aus der Tasche. „Die Ärztin hat dir genügend Schmerzmittel mitgegeben. Du bist schon eine Stunde überfällig, also nimm sie besser. Und wenigstens ein paar Happen von dem Essen.“

Zögernd nahm sie ihm die Tabletten aus der Hand und spülte sie mit zwei Schlucken Tee herunter. „Du hast für mich gekocht?“, fragte sie und betrachtete erstaunt den Toast.

Peinlich berührt senkte er den Blick. Es war allgemein bekannt, dass er nicht gerade ein begnadeter Koch war. „Es ist nur ein Sandwich“, erwiderte er mürrisch. „Also freu dich nicht zu früh. Ich hole dir noch schnell ein Glas Milch. Dann kannst du bestimmt gut schlafen.“

Als er zurückkehrte, hatte Emma das Sandwich bereits halb aufgegessen. Er wartete geduldig, bis sie die Milch getrunken hatte. Das Essen schien sie sehr anzustrengen, sie war blass und ihre Hände zitterten, als sie sich wieder unter die Decke legte.

„Soll ich das Licht ausmachen?“, fragte er.

„Ja. Bitte gehe jetzt, Aidan.“

Er schaltete die Beleuchtung aus – nur im Bad ließ er das Licht brennen und die Tür einen Spalt weit offen stehen – und sah noch einmal zu seiner Patientin. „Schlaf jetzt. Morgen sieht die Welt schon besser aus.“

Der Sessel und der Ottomane in Emmas Wohnzimmer waren bequemer, als Aidan zunächst vermutet hatte. Im behaglichen Schein des Gaskamins kuschelte er sich unter eine Wolldecke und schlief tatsächlich bald ein. Seine Träume waren ein verwirrendes Durcheinander von Gegenwart und Vergangenheit, von guten und von schlechten Erinnerungen.

Mitten in der Nacht schreckte er, von einem scheppernden Geräusch geweckt, hoch und eilte ins Schlafzimmer. Emma stand barfuß im Bad, um ihre Füße herum lagen die Scherben eines Wasserglases verstreut.

„Nicht bewegen“, befahl er und hob sie auf den Arm, um sie zurück in ihr Bett zu tragen. „Warum hast du mich nicht gerufen?“, fragte er ungehalten.

„Weil es Sachen gibt, für die ich wirklich keine Zeugen brauche“, sagte sie wütend.

Sogar verletzt konnte er ihr altes Feuer in ihr erkennen. Beinahe hätte er gelächelt, doch er wusste, dass sie sich dann nur noch mehr aufgeregt hätte. Sorgfältig deckte er sie wieder zu. Immer noch fünfundvierzig Minuten, bevor sie die nächsten Schmerzmittel nehmen konnte. „Wie fühlst du dich?“

„Was denkst du denn?“, fragte sie mürrisch.

„Entschuldige, dass ich gefragt habe“, entgegnete er gespielt beleidigt und hoffte, sie durch seinen zerknirschten Gesichtsausdruck zu einem Lächeln zu bewegen.

Stattdessen drehte Emma ihm den Rücken zu. „Wenn ich aufwache, bist du besser schon fort“, empfahl sie.

Aidan beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. „Willst du, dass ich dir die Pillen bringe, wenn es so weit ist?“

„Nein.“ Sie legte einen Arm über ihr Gesicht. „Ich kann auf mich selbst aufpassen.“

Als Emma einige Stunden später im Morgengrauen aufwachte und sich vorsichtig streckte, bedauerte sie augenblicklich ihre unbedachten Worte. Aufstöhnend zuckte sie zusammen. Heute waren die Schmerzen noch schlimmer als gestern, und natürlich hatte ihr wieder einmal ihr dämlicher Stolz im Weg gestanden. So hatte sie versäumt, das Schmerzmittel rechtzeitig einzunehmen. Jetzt zahlte sie den Preis dafür.

Sie drehte sich auf den Rücken und lauschte. Kein Geräusch war zu hören, und einen Augenblick lang überlegte sie entsetzt, wie sie das Geschäft heute öffnen sollte, bis ihr einfiel, dass ja Sonntag war. Trotzdem musste sie wohl oder übel aufstehen, denn sie brauchte unbedingt eine Tablette.

Barfuß begab sie sich auf die Suche nach der kleinen Pillendose und fand im Wohnzimmer zu ihrer Überraschung Aidan vor, der tief und fest im Sessel vor dem Gaskamin schlief, die langen Beine auf dem Ottomanen ausgestreckt. Obwohl es ganz und gar nicht gemütlich aussah, wie er so dalag, schien ihm die unbequeme Körperhaltung nichts auszumachen. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig.

Seine Augen waren geschlossen, doch Emma wusste noch genau, wie sie aussahen: Die Iris waren von einem Haselnussbraun, das je nach Aidans Stimmung die Farbe änderte. Aidans dichtes Haar war zerzaust und die ersten drei Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet, sodass Emma einen Blick auf seine bloße Brust werfen konnte. Dieser vertraute Anblick machte sie traurig und eifersüchtig zugleich. Bestimmt wartete in New York eine Frau auf diesen atemberaubend schönen Mann. Emma hingegen hatte ihn schon gekannt, als er noch nicht dieser durchgestylte, erfolgreiche Geschäftsmann mit einem Herz aus Stein gewesen war.

Wenn er schlief, sah er wieder so aus wie vor zehn Jahren, als sie leidenschaftlich und unschuldig ineinander verliebt gewesen waren. Damals hatten sie keine Ahnung gehabt, dass das Leben nur selten mit einem Happy End aufwartete.

Die Emma von damals hätte sich jetzt in Aidans Arm gekuschelt und gewusst, dass sie dort jederzeit willkommen war. Wehmütig betrachtete sie den schlafenden Mann noch eine weitere Minute, bevor sie sich auf ihre Mission besann.

Auf dem Beistelltisch entdeckte sie die Pillendose, griff nach ihr und schlich ins Schlafzimmer zurück, um die Tabletten mit der restlichen Milch aus dem Glas herunterzuspülen, das Aidan ihr in der Nacht gebracht hatte. Obwohl ihr immer noch ganz schwindelig war, ging sie danach ins Bad, um sich ein wenig frisch zu machen, die Zähne zu putzen und anschließend wieder unter die Bettdecke zu schlüpfen. Sie machte sich noch nicht einmal die Mühe, auf die Uhr zu schauen. Warum auch? Wo hätte sie auch hingehen sollen?

Erleichtert atmete Aidan aus, als er hörte, wie Emma ins Schlafzimmer zurückkehrte. Es war seiner Meinung nach das Beste gewesen, so zu tun, als ob er schlief. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, wie sehr es ihn berührte, als sie ihn schweigend betrachtet hatte.

Was mochte sie wohl dabei gedacht haben? Ob sie überlegt hatte, wie sie ihm erklären sollte, weswegen sie nach all den Jahren nach Silver Glen gezogen war – nach all dem, was hinter ihnen beiden lag? Einen Zufall konnte man wohl eher ausschließen. Sie musste es also mit voller Absicht getan haben. Aber wieso?

Natürlich spielt das keine Rolle, versuchte er sich gleich darauf einzureden und hätte es beinahe selbst geglaubt.

Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, bevor er sich aufsetzte und die Schuhe anzog und sich daran zu erinnern versuchte, wie lange es her war, dass er die Nacht auf dem Sofa einer Frau verbracht hatte – vor allem alleine.

Jetzt wo Emma ihre Schmerzmittel genommen hatte, würde sie bestimmt noch einige Stunden schlafen. Die Zeit konnte er ebenso gut nutzen, um das Rezept für neue Tabletten einzulösen, das ihnen die Ärztin mitgegeben hatte, etwas zu frühstücken und anschließend ins Hotel zu fahren, um zu duschen und sich umzuziehen.

Nachdem er die ersten beiden Punkte auf seiner To-do-Liste abgearbeitet hatte, fuhr er zum Silver Beeches Lodge – und lief auf der Hintertreppe des Luxusressorts prompt seinem Bruder Liam in die Arme.

„Sieh mal an“, meinte Liam, der wie immer sorgfältig gekleidet und frisiert war. „Wen haben wir denn da?“

„Bitte, Liam, keine Witze. Ich habe so gut wie gar nicht geschlafen.“

„Ja, vor allem nicht in deinem eigenen Bett. Ich dachte, deine Freundinnen sind alle in New York.“

Im Stillen zählte Aidan langsam bis zehn, bevor er antwortete. Er wusste, dass sein Bruder sich ohne eine Erklärung nicht zufriedengeben würde. „Ich bin einer Freundin begegnet, die in Schwierigkeiten gesteckt hat. Ich habe geholfen, und das war’s. Und jetzt würde ich gern auf mein Zimmer gehen, wenn du nichts dagegen hast.“

„Du meinst nicht zufällig die junge Frau, die gestern in der Stadt angefahren worden ist?“ Liam verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich lässig gegen die Wand.

Verblüfft starrte Aidan ihn an. „Verdammt. Und genau aus diesem Grund wohne ich nicht mehr hier. Alle haben nichts Besseres zu tun, als Tratsch zu verbreiten.“

„Die Leute haben sich halt Sorgen gemacht. Wir in Silver Glen sind wie eine große Familie.“

„Ja, das ist mir auch schon aufgefallen“, erwiderte Aidan sarkastisch.

Schlagartig verblasste das Lächeln auf Liams Gesicht. „Ich weiß, dass es schwer für dich ist, zu Weihnachten hier zu sein. Aber du musst wissen, dass wir alle froh sind, dass du gekommen bist.“

Plötzlicher Schmerz schnürte Aidan die Kehle ab und ließ ihn schweigen.

Sein Bruder kannte ihn jedoch gut genug, um sich nicht von seinem abweisenden Verhalten abschrecken zu lassen. „Ich lasse dich jetzt mal besser gehen“, sagte er mitfühlend. „Und wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann lass es mich wissen.“

5. KAPITEL

Als Aidan in Emmas Apartment zurückkehrte, waren zwei Stunden vergangen. Er hatte einen Schlüssel mitgenommen, daher trat er unbemerkt ein und legte seine Taschen auf den Tisch. Leise sah er in das Schlafzimmer und stellte beruhigt fest, dass Emma immer noch schlief. Gut. Je mehr sie sich ausruhte, desto schneller würde sie sich erholen – und desto eher würde er wieder gehen können.

Nachdem er die mitgebrachten Burger und Pommes aus dem Silver Shake Shack, das es schon in seiner Kindheit gegeben hatte, im Kühlschrank verstaut hatte, machte er es sich wieder im Wohnzimmer im Sessel bequem und checkte seine E-Mails. Nur seine Mutter hatte ihm geschrieben.

Dinner um zwanzig Uhr. Bitte komm freiwillig. Ich möchte keinen Detektiv auf dich ansetzen müssen.

Er lachte und wusste, dass sie genau das beabsichtigt hatte. Alle wollten, dass er glücklich war. Er verstand ja, dass sie sich Sorgen machten, aber es ging ihm wirklich gut. Schließlich war er hierher gekommen oder etwa nicht? Mehr konnte man nun wirklich nicht von ihm erwarten.

Der verlockende Duft der Burger hatte sich zwischenzeitlich im Apartment ausgebreitet. So wie Emma damals immer versucht hatte, Aidan zum Teetrinken zu bewegen, hatte er sie mit den Vorzügen von Junkfood bekannt gemacht. Es dauerte auch nicht lange, und Emma betrat das Wohnzimmer. Sie trug eine eng anliegende schwarze Jogginghose und einen hüftlangen Kaschmirpullover, hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz hochgebunden und Häschenschuhe über die Füße gestreift.

Zurückhaltend lächelte sie ihn an. „Hey.“

„Selber hey. Geht es dir wieder besser?“

„Überraschenderweise ja. Rieche ich etwa Essen?“

„Ja, etwas wirklich Leckeres. Ich habe es gerade in den Kühlschrank getan, aber wir können es schnell in der Mikrowelle aufwärmen. Hast du Hunger?“

Sie nickte und ging zu dem kleinen Esstisch herüber. An ihren langsamen Bewegungen erkannte Aidan, dass sie immer noch Schmerzen in ihrem Bein haben musste. Während sie sich setzte und erschöpft das Kinn auf den Händen abstützte, deckte Aidan den Tisch. „Ich habe deinen Burger mit Senf, Mayonnaise und Tomate bestellt. Ich hoffe, dass du das immer noch magst.“

„Klingt großartig.“

Sie aßen schweigend. Die Stille kam Aidan auf der einen Seite etwas verlegen, auf der anderen sehr vertraut vor. Emma hatte sich kaum verändert. Schon immer war sie wesentlich ernster gewesen als er – und vor allen Dingen gewissenhafter. Und auch äußerlich waren nur ein paar Linien um die Augen dazugekommen, sonst war sie noch dasselbe Mädchen wie damals. Unwillkürlich wurde Aidans Blick von den Rundungen ihrer Brüste und der schmalen Taille angezogen, die sich verführerisch unter dem körperbetonten Pullover abzeichneten.

Nachdem sie die Mahlzeit beendet hatten, räumte Aidan den Tisch ab. „Möchtest du vielleicht eine Weile sitzen? Ich lasse dir auch den Platz am Feuer.“

„Danke. Das wäre wirklich sehr schön.“

Wie höflich sie klingt, dachte er verärgert. Wie ein braves, guterzogenes Mädchen. Er blieb auf Distanz, als sie aufstand und im Sessel am Kamin Platz nahm. Er wollte sie nur stützen, falls sie Anzeichen von Schwindel zeigte. „Wenn du noch einen zweiten Schlüssel hast, kann ich nachher noch mal nach dir sehen, und du musst nicht aufstehen, um mir aufzumachen. Ich bin heute Abend zum Dinner verabredet, aber ich bringe dir vorher was zu essen vorbei.“

Sie nickte und sah ins Feuer, das sich auf ihrem zauberhaften Profil widerspiegelte. Aidan spürte plötzlich einen wehmütigen Schmerz in der Brust, der ihm den Atem raubte. Rasch schüttelte er dieses Gefühl ab. Auf gar keinen Fall würde er zulassen, Emma Braithwaites Bann zu verfallen und sich von ihr ein weiteres Mal an der Nase herumführen zu lassen.

Demonstrativ sah er auf seine Armbanduhr. „Kommst du heute Nachmittag allein zurecht?“

„Selbstverständlich“, sagte sie und reckte stolz das Kinn vor.

Wie eine richtige Dame von Adel, überlegte er – und es war auch durchaus möglich, dass sie tatsächlich eine war. Über die Einzelheiten ihres Lebens nach ihrem Bruch hatte er sich nie informiert, sodass im Grunde alles möglich war.

Sie deutete auf einen Tisch neben dem Fenster. „Der Ersatzschlüssel müsste dort in der obersten Schublade liegen. Ich glaube, es ist ein grünes Band daran befestigt.“

Als er den Schlüssel holte, fiel sein Blick zufällig auf ein Dokument, das ihm nur zu bekannt vorkam. „Emma?“, fragte er fassungslos.

„Ja?“

Er hielt die Karte hoch. „Kannst du mir vielleicht mal erklären, wie du an eine Einladung zur Hochzeit meines Bruders kommst?“

Innerlich stöhnte Emma auf. Konnte es denn wirklich noch schlimmer werden? Aidans Zorn war ein wenig abgeklungen, während er sich um sie gekümmert hatte – doch mit der Einladung war dieser kleine Erfolg schlagartig wieder zunichtegemacht worden.

„Ich habe sie von deiner Mutter“, erklärte sie knapp. Sollte er doch denken, was er wollte.

„Meine Mutter …“

Sie nickte. „Ich glaube, Mia hat sie darum gebeten. Mia und ich sind miteinander befreundet, seit ich hier lebe.“

„Was für ein Zufall.“

Obwohl sie sich immer noch schrecklich schwach fühlte, ärgerte sie sich über seinen Sarkasmus. „Ich habe keine Ahnung, was du damit andeuten willst, und es interessiert mich auch nicht“, sagte sie scharf. „Ich muss mich ja wohl nicht vor dir rechtfertigen. Lass den Schlüssel einfach liegen und geh. Ich komme schon allein zurecht.“

Wütend zerknüllte er die schöne Einladungskarte in einer Faust. „Du hast nichts zu essen im Haus. Ich habe gesagt, dass ich dir etwas vorbeibringe. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest. Ich habe noch andere Sachen zu erledigen.“

Lautstark fiel die Eingangstür hinter ihm ins Schloss – völlig überflüssig, wie Emma fand, denn schließlich war ihr auch so nicht entgangen, wie zornig Aidan war. Sein Pech. Sie hatte das gleiche Recht wie er, in Silver Glen zu sein. Wenn er ihr nur einmal zuhören würde, dann könnte sie ihm alles erklären. Doch allmählich drängte sich ihr der Verdacht auf, dass Aidan Kavanagh viel zu starrsinnig war, um sich anzuhören, was sie ihm zu sagen hatte.

Aidan fragte sich, ob das traumatische Erlebnis, zur Weihnachtszeit nach Silver Glen zurückzukehren, ihn allmählich den Verstand verlieren ließ. Nachdem er Emmas Apartment verlassen hatte, saß er für ein paar Minuten in seinem Auto, ohne es zu starten. Was jetzt?

Schließlich beschloss er, Dylan einen Besuch abzustatten. Vielleicht traf er dort zufälligerweise auf Mia, um ihr unauffällig ein paar Fragen zu stellen.

Wenig später stand er vor Dylans Haus, und sein Bruder öffnete ihm die Tür. „Hey, toll, dass du da bist, kleiner Bruder!“, rief er erfreut und umarmte Aidan herzlich. „Du weißt gar nicht, wie viel es mir und Mia bedeutet, dass du zu unserer Hochzeit kommst.“

„Natürlich bin ich da“, erwiderte Aidan schulterzuckend und ein wenig unangenehm berührt darüber, dass alle so einen Aufstand wegen seines Besuchs machten. „Warum sollte ich nicht kommen?“

Das Mitgefühl in Dylans Blick ließ Aidan sich verletzlich vorkommen – nicht unbedingt ein Gefühl, das er jemals anstrebte.