Bad Angel Kiss: Unter nachtschwarzen Schwingen - Sabine Koch - E-Book

Bad Angel Kiss: Unter nachtschwarzen Schwingen E-Book

Sabine Koch

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Beschreibung

Vier Vollmondnächte. Vier Morde. Vier unbekannte Leichen. Police-Detective Adam Quinlan - von allen nur "Quinn" genannt - ist ratlos. Wer ist dafür verantwortlich? Ein Serienkiller? Ein Ritualmörder? Nach dem vierten Mord erhält der Detective unwillkommene Hilfe durch das FBI. Der abkommandierte FBI-Agent Nolan Blake ist nicht nur arrogant und überheblich, sondern auch überaus attraktiv und weckt in Quinn mehr als nur den dringenden Wunsch, ihm den Hals umzudrehen. Doch der Mörder ist kein Mensch, und auch Nolan Blake ist nicht der, der er zu sein scheint. Quinn gerät in einen Kampf zwischen Gut und Böse ...

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Sabine Koch

Bad Angel Kiss

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2012

© the author

http://www.deadsoft.de

Cover: M. Hanke

Covermotiv: CURAphotography – fotolia.com

Bildbearbeitung: Toni Kuklik

Giraffe: Stephi – fotolia.com

1. Auflage 2012

ISBN 978-3-943678-06-2 (print)

ISBN 978-3-943678-09-3 (epub)

Prolog

17.September 1990

Fünfzehn ist Adam heute geworden. Er wäre längst kein Junge mehr, doch auch lange noch kein Mann, hat seine Mom ihm heute Morgen gesagt.

Er ist ein schlaues Kerlchen, weiß genau, dass ein Mensch einen Kopfschuss nicht überleben kann. Und sein Dad hat einen Kopfschuss abbekommen, er hat es genau gesehen. Er sieht, wie Blut und Hirn aus seinem Kopf spritzen, und wie sein Dad zusammensackt. Ohne ein Wort. Hört nur den Schuss, der ihm noch immer in den Ohren dröhnt.

Und die Schreie seiner Mom, die hört er auch. Sie schreit von dem Moment an, als der Typ einfach so die Wagentür aufreißt. Sie schreit so laut, dass man kaum verstehen kann, was der Typ von Dad will.

Sie standen an der roten Ampel und warteten. Dad riss gerade Witze und sie lachten sich fast kaputt. Dad machte tolle Witze, er hatte noch nie eine Pointe versaut.

Und dann … dann ist da auf einmal dieser Typ, Adam sieht, wie er über die Straße läuft, auf ihr Auto zu. Der Kerl reißt die Tür auf und Mom schreit erschrocken auf. Der Kerl erschießt Dad, und sie schreit so mächtig laut, dass er auch ihr in den Kopf schießt. Einfach so. Mitten ins Gesicht.

„Halt endlich deine Fresse!“, brüllt er erst, dann donnert wieder ein Schuss. Moms Gesicht ist plötzlich nicht mehr da. Dort wo eben noch ihr Schrei-Mund war, ist jetzt nichts mehr. Sie kippt gegen die Tür und es ist still.

Totenstill.

Adam sitzt hinten im Wagen. Da sitzt er immer. Gerade kommen sie aus dem Kino, es lief ‚Total Recall‘, mit Arnold Schwarzenegger. Premierenvorstellung. An seinem Geburtstag gehen sie immer erst ins Kino, jetzt sind sie auf dem Weg zu Taco Bell, Burritos essen.

Aber so wie es aussieht, wird daraus heute nichts mehr.

„Warum hast du das getan?“, fragt er den Typen, der jetzt in den Wagen hineinsieht und dann Dads Jacke durchsucht. Denkt nicht daran, dass er besser die Klappe halten, sich kleinmachen und verstecken sollte.

Der Typ zieht die Brieftasche aus der blutigen Jacke des Vaters heraus und nimmt die Dollarscheine an sich. Als er die Stimme des Jungen hört, zuckt er zusammen, so, als hätte er sich furchtbar erschrocken. „Fuck!“, flucht er laut. „Fuck. Fuck! Fuck!“

Der Mörder sieht ihn an, über Dads Schulter hinweg. Das wechselnde Licht der Ampel fällt in den Wagen. Taucht alles in unwirkliche Farben.

Er sieht eigentlich ganz normal aus, denkt Adam, gar nicht wie ein Mörder. „Du siehst gar nicht wie ein Mörder aus“, sagt er zu ihm. Da zuckt der Mann wieder zusammen, hebt die Hand, in der er immer noch den Revolver hält.

Als das Innere des Autos in rotes Licht getaucht wird, treffen sich die Blicke des Jungen und die des Mörders. Der Revolver hebt sich, er hört das Klicken des Hahns. Ein Schuss ertönt. Adam spürt den Schlag, und es fegt ihn in die Ecke des Wagens. Mit der Hand tastet er nach seiner Brust, fühlt, wie es nass und klebrig aus ihm herausrinnt. Um ihn herum wird es dunkel, das Licht der Ampel verblasst.

„Werde ich jetzt sterben?“, fragt er noch leise, dann verstummt er.

Eins

Sommer 2010

Nolan hockte auf der schmalen Sockelkante, die sich einmal ganz um das Dach des vierzig Stockwerke hohen Princeton-Towers herumzog und starrte wie blind in die Häuserschlucht hinunter.

Es war die Stunde, in der die Stadt noch nicht vollständig schlief, aber auch noch nicht ganz erwacht war. Winzige Lichtpunkte der Laternen säumten die Straßen. Die Scheinwerfer und Rückleuchten der wenigen Fahrzeuge, die unterwegs waren, wirkten von hier oben wie weiß-rote Perlen, die durch die Nacht rollten. In einigen Gebäuden brannte schon Licht, bereiteten sich Menschen auf einen neuen Tag vor.

Würde er die Augen schließen, und sich konzentrieren, könnte er ihre Gedanken lesen, ihren Träumen lauschen, sie dabei beobachten, wie sie liebten, lachten. Glücklich waren. Oder traurig. Einsam. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

„He, Ged, ich melde mich ab. Nur für einen Moment, in Ordnung?“ Nolan versuchte, den Schmerz, den er empfand, aus seiner Stimme herauszuhalten. Aber es gelang nicht ganz.

Okay. Mach das. Gönn dir eine Pause. Ich weiß, es war schlimm, schlimmer als sonst. Du kannst deinen Bericht später abgeben.

Nolan konnte die Besorgnis in Gedeons Stimme hören. Doch der Administrator der Union Guards versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Dafür war er ihm dankbar.

„Danke, Ged.“

Er rieb sich müde durch das Gesicht, erhob sich, legte den Kopf weit in den Nacken und sah nach oben in den Himmel. Diese Nacht war eine schöne silberklare Vollmondnacht gewesen, die jetzt langsam in den Morgen überging.

Inzwischen war der Mond verblasst, wirkte der fahle Himmel wie ein Stück ausgeblichener blauer Samt, auf dem nur noch vereinzelte Diamantensplitter funkelten.

Eigentlich ein schöner Anblick.

Aber das kleine Mädchen, das er gerade hinüber begleiten musste, würde diese Sterne so nie mehr sehen können. Nolan seufzte gequält, als er an den letzten Auftrag zurückdachte, den er vor nicht einmal zehn Minuten beendet hatte.

Ein Scheißjob.

Drei Jahre alt durfte sie werden. Nur drei. Blonde Löckchen, ein scheues Lächeln. Sie war so eine Süße gewesen.

Bis ihr ewig betrunkener Stiefvater meinte, ihr eine Lektion erteilen zu müssen. Weil sie nicht mehr schlafen wollte. Nach ihrer Mommy quengelte. Weswegen er sich das Erstbeste schnappte, um damit auf sie einzuprügeln. Den Gürtel, die Fäuste, einen Baseballschläger …

Gnadenlos.

Nolan schloss die Augen. Versuchte, das entsetzliche Geräusch auszublenden, das entstand, wenn diese Gegenstände auf zarte Kinderknochen trafen. Doch es gelang nicht. Zu oft hatte er es mit ansehen müssen, zu tief hatte es sich in ihm festgesetzt.

Das war für ihn das Schlimmste.

Zusehen zu müssen, wie das letzte Quäntchen Leben aus den zerbrechlichen Körpern wich. Zuhören zu müssen, wie sie leise in sich hineinwimmerten, weil sie zum Schreien keine Kraft mehr hatten. Nach Mommy oder Daddy weinten, nicht verstanden, warum der Mensch, den sie liebten, dem sie vertrauten, ihnen so wehtat.

Und er? Er war machtlos dagegen.

Durfte die Schuldigen nicht strafen. Den Unschuldigen nicht helfen. Nein. Er musste abwarten, bereitstehen, bis es vorbei war. Um dann die Seelen der Toten hinüber zu begleiten.

Nolan trat noch dichter an die Kante heran. Die nackten Zehen stießen ins Leere. Wind war jetzt, gegen Morgen, aufgekommen, der starke Luftzug riss an ihm. Doch das störte ihn nicht. Im Gegenteil.

Er breitete seine Schwingen weit aus und überließ sie dem warmen Nachtwind, der an ihnen zerrte. Er stand nur so da, und ließ sich seine Wut, all seine düsteren Empfindungen aus den Gedanken pusten.

Als der durchlittene Schmerz und die Trauer um das Kind sich auflösten, zog er sich in den Schutz des Gartens zurück, der sich zwischen den Dachaufbauten befand. Die Zweige der kleinen Lorbeerbäume und Oleandersträucher, die hier oben in großen Terrakottakübeln standen, bewegten sich sachte im Wind. Die Wände der Aufbauten fingen die manchmal rauen Böen ab, und wandelten sie in ein laues Lüftchen.

Die Spitzen der weit geöffneten Schwingen streiften den Boden, während er barfuß durch das taufeuchte Gras lief. Ein kleiner japanischer Wasserbrunnen murmelte leise vor sich hin, ein Geräusch, das ihm immer wieder half, sich von allem Ballast zu befreien.

Vor einem blühenden Busch blieb er stehen, und bot seine Flügel dem Sommerwind dar. Die warme, nach Jasmin duftende Brise zauste nun fast zärtlich durch die seidigen Federn hindurch, ließ sie leise rascheln, als sie sanft aneinander rieben.

Er schloss die Augen und tauchte hinab in eine Erinnerung. Eine menschliche Hand, die eines Schutzbefohlenen, berührte seine Schwinge, hielt sich daran fest, vertrauensvoll, schutzsuchend.

Genau wie diese Sommerbrise so fühlte sie sich an, jene Berührung.

Nolan nahm auf der kleinen steinernen Bank Platz, die inmitten einer üppig blühenden Rabatte stand. Der süße Duft nach Rosen und Lavendel hüllte ihn ein.

Niemals würde er diese Begegnung vergessen können – wie auch. Doch es war eine heimliche Erinnerung, eine, die er sich nur dann und wann gönnen durfte.

Das, was geschehen war, musste ein Geheimnis bleiben. Um jeden Preis. Wenn der Erzengel davon erfuhr – an die furchtbaren Konsequenzen mochte er nicht denken. Allein Gedeon wusste davon, aber das auch nur, weil der damals seinen Arsch hatte retten müssen. Und Gedeon würde schweigen.

Ein Kitzeln zwischen seinen Schulterblättern rief ihn aus seinen Gedanken. Gedeon nahm Kontakt auf.

„Warte.“

Schnell erhob er sich und eilte zur Dachkante zurück. Der Garten war sein ganz persönliches Refugium. Wer ihn angelegt hatte, wusste Nolan nicht. Lange hatte er das verwilderte Kleinod beobachtet, doch niemand hatte sich um diese Anlage gekümmert. Und so hatte er das übernommen und alles wieder in Ordnung gebracht. Nun diente ihm dieses kleine Paradies zum Kraft tanken und um seine Seele zu reinigen.

Und hier, in seinem Garten Eden, wollte er nichts von Anweisungen hören, die ihn, einen Engel der Union Guards, betrafen.

„Ein neuer Auftrag?“

Nicht für dich, für Marjan. Eine alte Dame, sie stirbt im Kreise ihrer Angehörigen. Wollte nur wissen, ob du wieder einsatzbereit bist.

„Ja. Es kann weiter gehen. Danke, Ged.“

Jetzt hieß es warten, bis Gedeon ihm eine neue Aufgabe übertrug. Eine, in der Gewalt eine Rolle spielte. Fast beneidete er Marjan, denn der durfte sich um die natürlichen Todesfälle kümmern.

Erneut hockte er sich auf die Kante und sah über die Häuserschluchten hinweg. Gleich würde die Sonne ganz aufgehen. Im Osten ließ ein flammend rotes, immer breiter werdendes Band den neuen Tag schon erahnen. Es würde ein schöner, warmer Sommertag werden, der die Menschen allerdings nicht davon abhalten würde, sich umzubringen. Nichts konnte sie davon abhalten.

Erneut kribbelte es. Der neue Auftrag. „Gedeon, wo muss ich hin?“

Schnell. Drei Blocks von dir aus, nach Süden, der Belvedere-Park. Beeil dich!

Schon bei Gedeons ersten aufgeregten Worten hatte Nolan sich in die Luft erhoben und flog eilig in die angegebene Richtung davon. Unter ihm war noch nicht sehr viel Verkehr, vereinzelte Autos brausten durch die Straßen. Eine U-Bahn kam kreischend aus dem Tunnel, um hinter einer Kurve zu verschwinden. Ein paar Krähen schlossen sich krächzend seinem Flug an, entschieden sich aber, zum Fluss zu fliegen, der sich dunkel und geheimnisvoll durch die Stadt schlängelte.

„Um was handelt es sich? Du bist ja ganz aufgebracht.“

Ich weiß es nicht, das Signal tauchte wie aus dem Nichts auf. Die Signatur ist mir völlig fremd. Eigentlich sind es sogar zwei!Gedeon schrie fast. Mach schneller, einer der beiden verschwindet schon.

„In welche Richtung? Wohin verschwindet er?“ Während er den Park aus der Luft erblickte, achtete er auf alles, das sich dort unten bewegte. Doch es war nichts zu sehen.

Auch der Administrator hatte es bemerkt. Ich weiß es nicht!Was es auch war, es ist weg.

Nolan hatte das Dach eines der an den Park angrenzenden Häuser erreicht und landete geräuschlos im Schatten einer Wartungshütte für die Aufzugschächte. Er lauschte. Außer dem Brummen des Aufzugs hinter ihm und dem stärker werdenden Verkehrsrauschen war nichts zu hören.

Gar nichts. Und das war ungewöhnlich.

Und?

„Niemand da. Ich bin zu spät. Es ist komisch, es gibt keine Ratten, keine streunenden Hunde, kein anderes Lebewesen da unten. Das ist unnormal. Und es gefällt mir nicht.“

Kannst du jemanden ausmachen? Ich sehe noch immer einen Punkt auf meinem Schirm. Unter dir. Er regt sich nicht.

Nolan breitete die Flügel aus und trat über den Mauerabschluss, um einen Wimpernschlag später lautlos auf dem Rasen unter ihm zu landen. Eine einsam flackernde Lampe stand am Rande der Rasenfläche, sollte für Licht sorgen. Gut, dass Nolan nicht darauf angewiesen war. Im Dunkeln konnte er exzellent sehen, aber jetzt war die Sonne schon fast aufgegangen.

Schnell sah er sich um. Von der Rasenfläche, auf der er stand, führten einige Wege sternförmig in die äußeren Bereiche des alten Parks. Unter den hohen alten Bäumen war nichts auszumachen.

Aber beim Denkmal des Stadtgründers. Vor den Stufen, die zur Gedenktafel hinaufführten, lag etwas.

Auf den ersten Blick hätte man es für eine Teppichrolle halten können, doch Nolan wusste genau, dass es keine war. Es war ein menschlicher Körper. Um ihn herum war nur schwarzer Schatten, die Aura erloschen. Nolan fluchte unterdrückt. Dann rief er Gedeon.

„Ged? Ich habe ihn. Er ist kalt. Ist er ein Verlorener?“

Scheint so, denn heute ist kein anderer in diesem Bezirk tätig gewesen, nur du. Nicht mal einer von den verflixten Schutzengeln treibt sich da rum. Alexxiel hat ihre Truppen wohl nicht im Griff!

„Und ich habe ihm auch nicht beigestanden“, antwortete Nolan düster, ohne auf Gedeons Vorwürfe weiter einzugehen. Er hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte. Gedeon wusste immer, wen es als Nächstes erwischte, und schickte seine Guards zu den für sie bestimmten Seelen.

Beschreib ihn. Wie sieht er aus?

Nolan trat dicht heran und hockte sich neben den Toten. Vorsichtig untersuchte er ihn. Der Mann war schon mindestens drei Stunden tot. Behutsam tastete er den Körper ab, und sah unter die scheinbar unversehrte Kleidung. Was er fand, ließ ihn frösteln.

„Er ist jung, vollständig bekleidet, am Hals hat er eine riesige Schnittwunde. Und er ist vor seinem Tod schlimm zugerichtet worden. Die Haut von Brustkorb und Bauch ist fein säuberlich in Streifen geschnitten.“

Doch das war nicht alles. Nolan beugte sich dicht an die Kehle des Mannes herunter. Unter dem Geruch von Kupfer war noch etwas anderes. Es kam ihm vage bekannt vor. Leicht süßlich, mit einem Hauch von Orchideen. Er schnüffelte, doch so sehr er auch nachdachte, er konnte sich nicht erinnern. Doch eines konnte er mit ziemlicher Sicherheit sagen.

„Gedeon, der Mann wurde nicht von seinesgleichen getötet. Hier war etwas anderes am Werk.“

Heilige Scheiße!Der kräftige Fluch, den Gedeon losließ, erstaunte ihn. Wie bei den anderen. Verflucht, was geht hier vor sich?

Noch andere? Das ließ Nolan aufhorchen. Wieso wusste er nichts davon?

„Was heißt hier wie die anderen? Gibt es noch mehr Verlorene?“

Hoffentlich nicht, denn das war ganz übel. Starb ein Mensch, egal ob gewaltsam oder natürlich, und niemand der Guards war anwesend, um seine Seele in Empfang zu nehmen, dann war sie verloren, wurde zur leichten Beute für die Dämonen. Sie fingen die herumirrenden Seelen ein, und schafften sie hinunter zu Luzifer, der sich dann ihrer annahm. Natürlich nicht im positiven Sinne.

„Sag mir sofort, was hier los ist, gibt es noch mehr?“

Gedeon schwieg, dann antwortete er zögerlich. Ja. Insgesamt sind es jetzt vier. Und du kannst davon nichts wissen, weil es eine Ermittlung der Guardian ist.

„Die Guardian ermitteln? Also wissen die schon, wer der Mörder war?“

Keine Ahnung! Sie ziehen Erkundigungen ein, aber du kennst doch diese Typen. Sie lassen sich nicht in ihre Karten schauen.

Allerdings kannte Nolan diese Truppe.

Waren die Todesengel die Elitetruppe, so waren die Guardian die Special Forces des Himmels. Harte Burschen, die sich um die Einhaltung der himmlischen Gesetze kümmerten. Vorrangig achteten sie darauf, dass Nachtgeschöpfe, Dämonen und all die anderen höllischen Kreaturen keinen Unfug trieben. Erwischten sie jemanden dabei, wie er etwas Verbotenes tat – wie zum Beispiel rituelle Morde zu begehen – dann straften sie schnell und ohne lange zu fragen. Sie unterstanden Michael, der ihnen aber meist freie Hand ließ.

Was sagt dir dein Bauchgefühl?,wollte Gedeon jetzt von ihm wissen. Kannst du vielleicht erkennen, wer es war?

„Du meinst, ob ich diese Handschrift erkenne?“ Nolan überlegte kurz. „Tut mir leid, so spontan nicht. Ich denke, da müsste man in den Archiven forschen.“ In der Zentrale gab es so etwas wie einen Erkennungsdienst für nichtmenschliche Kreaturen und ihre Verbrechen.

Das kannst du später tun. Bleib so lange, bis er gefunden wird. Ihm wird es nichts mehr nützen, seine Seele ist uns durch die Lappen gegangen. Nun ja. Ich sage jemandem von Calebs Leuten Bescheid. Bis später.

„Okay, bis später.“ Nolan blieb neben dem Leichnam stehen. Dann rief er noch einmal nach Gedeon. „Hör mal. Kannst du es irgendwie drehen, dass ich bei der Aufklärung der Morde dabei sein kann?“

Wie meinst du das? Willst du zu den Guardian? Die werden dich nicht lassen.

„Nein, ich meine, ich will der Polizei helfen. Schleus mich da ein.“

Wenn es ihm gelänge, diesen Fall vor den Guardian zu lösen, dann konnte er damit vielleicht beweisen, was in ihm steckte. Dann stiegen seine Chancen vielleicht, selber einer von ihnen zu werden. Seit knapp fünfhundert Jahren war er bei den Union Guards, es wurde Zeit, sich zu verändern.

Zwei

„Was habt ihr für mich?“ Ich beugte mich über die Beine der Leiche, die da auf dem Rasen auf mich wartete, und schon als ich sie ansah, hatte ich die Schnauze voll.

Schon wieder einer. Der Vierte.

Männlich. Das konnte ich an seinen Schuhen erkennen. Schicke Ledertreter, das Paar nicht unter hundert Dollar. Jung, das sagte mir mein Instinkt. Blond? Darauf wollte ich Haus und Hof wetten, und diese Wette hätte ich locker gewonnen. Die Streifencops hätten nicht ausdrücklich nach mir verlangt, wenn es anders gewesen wäre.

Der Oberkörper des Toten war unter einer Plane verschwunden, die Cops hatten ihn damit zugedeckt. Ich zog mich wieder zurück, überließ das Feld der Spurensicherung.

Letzte Nacht war Vollmond gewesen. Sämtliche Cops befanden sich in erhöhter Alarmbereitschaft. Alle irgendwie verfügbaren Streifen, fast jeder Detective war letzte Nacht unterwegs gewesen. Auch im Park.

Erfolglos, wie sich zeigte.

Müde wischte ich mir den Schweiß aus dem Gesicht. Ich war ebenfalls die ganze Nacht auf Achse gewesen. Und hatte noch keinen Kaffee, kein Frühstück, nicht mal frische Klamotten. „Hat jemand etwas gesehen? Wer hat ihn überhaupt gefunden?“

Der Streifenpolizist zeigte auf eine zerlumpte Gestalt, die sich mit Müh und Not an einem zerbeulten Einkaufswagen festhielt, der vor Gerümpel überzuquellen schien. Von hier konnte ich einen schwarzen Plastiksack, Kopf und Arme einer Schaufensterpuppe und einen kleinen zusammengerollten Teppich erkennen. Mich schauderte, als ich daran dachte, was sich noch alles in dem Wagen befinden konnte. Tote Ratten. Waffen. Tonnen von gammeligen Lebensmitteln.

Einmal hatten wir ein Kleinkind in so einem Wagen gefunden. Es lachte fröhlich und kaute auf einer kopflosen Gummiente herum.

Während ich mich zu der Gestalt mit dem Einkaufswagen hinüberbegab, sah ich kurz auf meine Uhr. Halb acht, morgens. Es war Dienstag, der siebenundzwanzigste Juli, und mir fiel ein, dass Greg heute Abend ausgehen wollte. Happy Night im Mojo-Club. Dort gab es Blues vom Feinsten.

Eher halbherzig hatte ich ihm versprochen, mitzugehen. Denn genau genommen hatte ich im Moment überhaupt keine Zeit, es gab noch drei weitere John Does, um die ich mich dringend kümmern musste. Schließlich war ich der zuständige Detective und Freizeit war schon fast ein Fremdwort.

Doch nun, im Angesicht einer weiteren Leiche, verspürte ich plötzlich großes Verlangen danach, das alles für ein, zwei Stunden hinter mir zu lassen. Einfach nur die Gegenwart lebendiger Menschen spüren, einfach nur etwas ganz Banales tun. Wie in einer Bar einen Drink nehmen. Oder Steve Baker lauschen, einem begnadeten Bluesharp-Spieler, der heute mit der Blues Culture Band in der Stadt war.

Ich seufzte lautlos und schüttelte die verlockenden Gedanken ab. Nein, Greg würde alleine losziehen müssen. Wieder einmal.

Als ich der abgerissenen Gestalt näher kam, erkannte ich, dass es sich um eine alte Bekannte handelte. Ihr Name war Mary Jane. Ob sie wirklich so hieß, wusste ich nicht. Alle nannten sie so.

Sie war klein und hutzelig, ihre schokoladenbraune Haut glänzte vor Schweiß. Es war Sommer, wir hatten heute Morgen schon ungefähr dreiundzwanzig Grad im Schatten und sie trug eine dicke grüne Wollmütze, einen grauen, völlig verdreckten Kunstpelzmantel und zwei Stiefel, die nicht zusammenpassten. Einer hatte einen hohen Absatz, deswegen hinkte sie hinter ihrem Wagen her. Sie behauptete immer, was sie am Leibe trug, könne man ihr nicht klauen.

Viel wusste ich nicht von ihr, nur, dass sie nicht ihr ganzes Leben auf der Straße verbracht hatte. In ihrer Stimme und ihrem Ausdruck klang gute Bildung durch. Ich schätzte sie auf Mitte sechzig. Sie selber hielt sich mit Informationen über sich bedeckt.

„Officer, holen Sie der Lady bitte eine Flasche Wasser“, bat ich den Streifenpolizisten, der neben uns stand. Mary Jane sah aus, als bräuchte sie dringend einen Schluck. Die Hitze und der unvermutete Anblick einer Leiche schienen ihr zu zusetzen.

Der Officer lief über den Rasen zu seinem Streifenwagen zurück. Sein Kollege, der in der Zwischenzeit rings um den Fundort alles abgesperrt hatte, wies unterdessen den Coroner und das Spurensicherungsteam ein, das nun auch endlich eingetroffen war.

Mit dem Spurenermittler hatte ich schon des Öfteren zu tun gehabt.

Sein Name war Paul Newman, was oft Gelächter und Spott nach sich zog. Im Gegensatz zu dem echten Paul Newman war unser Paul nämlich klein, rundlich und hatte grau meliertes, krauses Haar. Wir nickten uns kurz zu, ich würde später mit ihm reden. Doch was er zu sagen hatte, wusste ich jetzt schon.

Der Cop kehrte mit dem Gewünschten zurück. „Hier bitte.“ Er überreichte Mary Jane die kleine Flasche.

„Was, ich soll aus der Flasche trinken?“ Sie funkelte den jungen Cop entrüstet an. „Ich bin eine Dame. Auch wenn ich auf der Straße lebe, ich bin eine Dame! Und trinke niemals aus einer Flasche!“ Aus den Tiefen des Einkaufswagens förderte sie einen zerbeulten Emaillebecher zutage und hielt ihn mir hin. Da ich wusste, was sich gehört, nahm ich ihr die Flasche ab und goss etwas Wasser in den Becher.

„Du bist ein guter Junge, Adam Quinlan“. Sie lächelte mich an. Ich erwiderte ihr Lächeln. „Mary Jane, Sie haben uns angerufen. Erzählen Sie mir, was Sie wissen.“

Die Alte trank einen Schluck und zuckte mit den Achseln. „Ich war auf der Suche. Du weißt schon, suchte nach Dingen, mit denen ich mein Heim verschönern kann.“ Mary Janes Heim war unter der alten Willow-Brigde, unten am Fluss. Schon seit Jahren lebte sie dort. Sommer wie Winter. Hatte sich dort so etwas wie ein winziges Wohnzimmer zusammengetragen. Es gab sogar einen zerschlissenen Fernsehsessel, den sie Gott weiß woher hatte.

Sie deutete in Richtung Parkausgang.

„Dahinten, das alte Hotel, da hab ich mal einen Lampenschirm gefunden. Er war noch ganz brauchbar, hat nur einen kleinen Riss … Ich dachte, vielleicht ist wieder was da.“ Sie trank noch einen Schluck und schüttelte sich. „Ich geh immer durch den Park, ist schön hier.“ Mary Jane warf mir einen traurigen Blick zu. „Der arme Mann, so zugerichtet. Ist Nummer vier, richtig?“

„Hmm.“ Ich nickte. „Mary Jane haben Sie oder einer Ihrer Kollegen irgendetwas gesehen, oder aufgeschnappt? Jemanden, der nicht hierhergehört, ein Auto, irgendetwas?“

Sie überlegte. Viel Hoffnung hatte ich nicht. In den anderen Fällen hatte auch keiner etwas wahrgenommen. Die Leichen tauchten einfach so auf. Wie aus dem Nichts.

Die alte Dame schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Junge. Bei dieser Hitze ist kaum einer unterwegs. Sind alle am Fluss, schlafen da. Dort ist es kühler. Der Wind, du weißt schon.“ Sie meinte ihre Kumpels, die anderen Obdachlosen. „Ich kam so gegen halb sieben. Etwas früher. Hab sie sofort gesehen, die Beine, mein ich. Dachte zuerst, es seien Beine für Lilly.“ Sie deutete auf ihren Wagen. „Die Schaufensterpuppe, sie braucht noch Beine.“ Sie stopfte den leeren Becher zurück in den Wagen. „Als ich den Rest daran sah, wusste ich Bescheid. Hab 911 aus dem Supermarkt angerufen. Der Manager hat mich gelassen, als ich ihm sagte, was ich gefunden habe. Der wurde ganz grün.“

Ich machte fleißig Notizen. Mit dem Manager musste ich noch reden, vielleicht war der Tote ein Kunde.

„Mehr weiß ich nicht. Kann ich jetzt gehen? Ich bin mit Elsie unter der Brücke verabredet. Wir wollen rüber, zur Mall. Shoppen.“ Mary Jane war stolz. Shoppen war ihr Ausdruck für Betteln.

Ich kramte einen Fünfer aus der Hosentasche und steckte ihn zwischen den Müllsack und den Kopf der Schaufensterpuppe. „Ja, Mary Jane, gehen Sie nur. Wenn ich noch Fragen habe, weiß ich, wo ich Sie finden kann.“

Mary Jane klammerte sich an ihrem Wagen fest und hinkte langsam über den Rasen davon.

Für einen Moment sah ich ihr noch nach. Dann warf ich einen sehnsüchtigen Blick zum blauen Himmel hinauf. Der Tag versprach schön zu werden, lud dazu ein, spazieren zu gehen, Eis zu essen, zu flirten.

Nicht dazu, sich mit einer Leiche beschäftigen zu müssen.

Ich sah mir das Gelände an, auf dem der Tote Nummer vier auf mich wartete.

Auf der Treppe vor mir lag ein nicht mehr ganz so frischer Kranz. Die Stufen führten zur Gedenktafel hinauf, die zu Ehren der Stadtgründung dort angebracht worden war. Vor ein paar Tagen erst hatten Bürgermeister und Stadtrat den dreihundertsechsundzwanzigsten Gründungstag der Stadt mit jeder Menge Reden, Paraden und allem Brimborium gefeiert. Mein Captain war auch eingeladen gewesen, und musste wegen der ungeklärten Morde eine Menge Schelte einstecken. Inoffiziell. Hinter den Kulissen.

Hinter der Rasenfläche schlossen sich kleine bewaldete Flächen an, sie wechselten sich mit Büschen und Blumenrabatten ab. Der älteste Baum der Stadt, vom Stadtgründer höchstpersönlich angepflanzt, stand in der Mitte der Rasenfläche, ungefähr fünfzig Yards von meinem Standpunkt entfernt. Zwischen all den Beeten, Wäldchen und Lichtungen führten schmale verschlungene Wege hindurch. Sitzecken und Parkbänke im Schatten der Bäume sorgten für angenehme Aufenthalte, es gab einen kleinen Spielplatz, und sogar eine Bühne, auf der jetzt im Sommer Konzerte stattfanden.

Ich konzentrierte mich darauf, wie der Tote hier hergekommen sein könnte, denn die Stelle vor dem Denkmal war nicht der Tatort. An diesem Ort war er nicht gestorben, nur entsorgt worden. Der Park selber war durch hohe Backsteinmauern abgeschlossen und konnte nur durch jeweils eine schmiedeeiserne Pforte am vorderen und hinteren Ende betreten werden.

Die Pforten im Zaun waren groß genug, um einen kleinen Transporter hindurch zu lassen. Jemand hätte ohne Weiteres in den Park hineinfahren und den Toten abladen können. Man hätte ihn auch zu Fuß abladen können.

Ich sah mir den Weg rings um den Rasen an. Zum Teil bestand er aus Pflastersteinen und bröckeligem Asphalt. Es hatte schon wochenlang nicht mehr geregnet. Es würde kaum verwertbare Spuren geben.

Ein paar Männer in grünen Latzhosen und Shirts standen etwas weiter entfernt neben Rasenmähern und Schubkarren, es waren die Gärtner des Parks. Sie wurden gerade von den Cops befragt.

Mein Blick schweifte an den Häusern hoch, die in unmittelbarer Nachtbarschaft des Parks lagen. Die Klientel, die dort wohnte, war gutbürgerlich, ging meist geregelter Arbeit nach und hatte nicht oft mit der Polizei zu tun. Ein ordentliches Viertel. Ob irgendjemand von dort aus etwas gesehen haben konnte? Und wenn ja, würde er mir auch davon erzählen?

Ich winkte einen Cop zu mir. „He, Officer, ziehen Sie los, nehmen Sie ein paar Ihrer Kollegen mit. Gehen Sie von Haus zu Haus und sprechen Sie mit jedem, der da wohnt oder arbeitet. Besonders interessieren mich die Häuser, deren Fenster zum Park zeigen. Sie wissen schon. Das Übliche.“

Die Cops wussten und verschwanden, und ich wandte mich Newman zu. Der untersuchte gerade die Umgebung des Toten mit UV-Licht.

„Sag mir, dass ihr was gefunden habt. Irgendeine Spur!“ Vier tote Männer. Mein Captain saß mir im Nacken. Die Zeitungen und Fernsehsender saßen ihm im Nacken, ganz zu schweigen vom Commissioner, vom Bürgermeister …

„Ich kann dir sagen, was wir nicht haben. Wir haben keinen Ausweis. Keinen einzigen Hinweis. Nichts, außer dem Üblichen.“

Das Übliche. Der Modus Operandi. Das, was die toten Männer miteinander verband, sie zu Opfern von ein und demselben Täter machte.

„Wie lange ist er schon tot?“ Mit dieser Frage wandte ich mich an Keith Conelly, den Gerichtsmediziner, der ebenfalls um die Leiche herum kroch. Conelly hasste dieses Nachfragen zu so einem frühen Zeitpunkt. Trotzdem musste ich es wissen. „Ungefähr geschätzt reicht mir schon.“

„Puh, ich würde mal ganz vorsichtig schätzen. Also noch nicht so lange, so sechs bis acht Stunden etwa. Unter Vorbehalt natürlich.“

Ich rechnete kurz nach. Zum Zeitpunkt, als der Mann den Tod fand, hatte ich mir gerade die Innenstadt vorgeknöpft, in der Hoffnung, dort auf den Vollmond-Killer zu treffen. „Kann ich ihn sehen?“

Keith gab seinem Assistenten ein Zeichen, der hob die Plane, mit der die Leiche bedeckt war, an. Ich unterdrückte ein Seufzen, ging in die Hocke und betrachtete den Toten.

Seine goldblonden kurzen Locken waren zerzaust, sein glattes Gesicht bleich, zu einer entsetzten, angstvollen Fratze erstarrt. Die Augen weit aufgerissen, sah er aus, als hätte er unvorstellbares Grauen erleben müssen. Es waren verhältnismäßig wenige Blutspuren zu sehen, dafür, dass seine Kehle aufklaffte, wie ein aufgeschnittenes Brötchen.

Der Coroner ergriff mit zwei Fingern den Saum des hellen Pullis und hob ihn etwas an. „Willst du den Rest auch noch sehen?“, fragte er schon fast gleichgültig.

„Lass man.“ Ich schüttelte nur den Kopf und erhob mich. Was sich darunter befand, brauchte ich mir nicht ansehen, ich wusste auch so, was er mir zeigen wollte. Üble Schnittverletzungen auf der gesamten Brust.

Hämmernde Kopfschmerzen begannen, mein Hirn zu traktieren.

Dieser Mensch war nicht einfach nur tot. Sondern brutal gefoltert und ermordet von einer Bestie in Menschengestalt.

Und ich – ich kannte das Opfer.

***

„Der Tote heißt Eric Meyers.“ Müde ließ ich mich auf den Stuhl vor Moores Schreibtisch sinken und rieb mir die brennenden Augen. Mein Captain, der eben noch zwischen Aktenbergen, zerknautschten und halb vollen Kaffeebechern nach einem Bericht gesucht hatte, sah verwundert auf. Seine Augen waren rot unterlaufen, sein schütterer Haarkranz struppig und auf dem Hemd prangten Kaffeeflecke. Er schien eine genauso schlaflose Nacht wie ich gehabt zu haben. In einem der Becher entdeckte ich eine kalte, ölig-trübe Pfütze und stürzte sie herunter.

Mein Magen protestierte, doch es war besser als gar nichts.

„Wie, Sie kennen den Toten? Woher?“ Langsam kam etwas Leben in den Captain.

Bevor ich antworten konnte, musste ich mich erst einmal sammeln. Ich rief mir Eric ins Gedächtnis zurück, so, wie ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Fröhlich, etwas aufgedreht, weil er mir die Liebe seines Lebens vorstellen wollte. Ich glaube, sie hieß Bonnie. Auf der Speicherkarte meines Handys mussten noch einige Bilder von dem letzten Abend in der kleinen lauschigen Bar sein.

„Sein Name ist Eric. Eric Meyers. Er war Reporter in Richmond, Indiana. Wissen Sie noch, wie ich im März dort auf der Fortbildung war? Meyers wollte einen Bericht darüber schreiben, so habe ich ihn kennengelernt. Er war ein netter, aufstrebender junger Reporter, der es noch weit hätte bringen können.“ Ich schwieg, spielte mit dem leeren Pappbecher in meiner Hand.

Verdammt.

Ich hatte schon unzählige Tote gesehen.

Männer. Frauen. Kinder. Doch nichts nimmt einen mehr mit, als wenn man jemanden so da liegen sieht, denn man kennt. Das lässt den Abstand, den man braucht, um einen Fall zu lösen, drastisch einschrumpfen. Ob man will oder nicht, es wird eine persönliche Sache.

Zwischen dir und dem Mörder.

„Wenn Sie den Toten kannten, erleichtert es das Ganze.“

Bevor ich noch verstand, was er damit meinte, griff er nach dem Hörer und drückte einen Knopf am Telefon. „Schicken Sie ihn rein“, bellte er nur. Dann wandte er sich wieder an mich. „Ich habe eine Neuigkeit. Ob sie gut oder schlecht ist, überlasse ich Ihnen.“

Durch die geöffneten Jalousien, die das Büro gegen den Publikumsverkehr abschirmen sollten, sah ich, wie sich ein geschniegelter Typ aus der Besucherecke erhob und auf den Glaskasten, in dem Moores Büro untergebracht war, zu schlenderte.

Sein hellgrauer Sommeranzug saß perfekt, die lakritzschwarzen Haare glänzten im Licht der alten Neonröhren, sein Gang war energiegeladen und federnd – das Wort FBI-Agent war ihm fett auf die Stirn tätowiert.

Je länger ich ihn ansah, umso weniger konnte ich ihn leiden.

Er blieb in der Tür stehen, schaute mich an, und zog die rechte Augenbraue hoch. Na Freundchen, mach Platz, hier kommt die Elite!

Moore übernahm die Vorstellung. „Agent Nolan Blake, das ist Detective Quinlan. Er bearbeitet den Vollmond-Fall.“

Das ‚bis jetzt‘ schwang lautlos durch den Raum.

„Nicht sehr erfolgreich, wie mir scheint.“ Blake trat herein und lächelte überheblich.

Ich zerdrückte den Pappbecher in meiner Hand und wünschte, es wäre Blakes Hals. „Ihr FBI-Fuzzis könnt das natürlich viel besser, richtig?“

Ich wusste, dass vier ungeklärte Morde in vier Monaten nicht gerade von meiner Leistung zeugten. Doch was sollte ich machen? Die Spurensicherung und der Gerichtsmediziner hatten gar nichts, aber auch nicht den allerkleinsten Hinweis gefunden, der uns weiterbrachte. Gut, Newman fand ein fremdes Haar an dem dritten John Doe, doch bislang hatte davon noch keine aussagefähige DNA bestimmt werden können. Das Verfahren dazu war kompliziert und langwierig. Und teuer.

Hinzu kam, dass niemand die Männer zu vermissen schien. In keiner der bekannten Datenbanken gab es einen Treffer. Es war, als hätte der Himmel beschlossen, die Toten, von denen drei noch immer namenlos waren, einfach so aus dem Nichts in meine Stadt fallen zu lassen. Und es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass selbst das FBI mit all seinen modernen Errungenschaften genauso wenig herausgefunden hätte, wie wir.

Das alles lag mir schon auf der Zunge, doch ein nervöser Blick meines Captains hielt mich auf.

„Quinlan, äh … die da oben haben entschieden, den Fall an das FBI abzugeben, denn wie Sie wissen, es sind bald Wahlen und der Bürgermeister … Deswegen.“ Er zuckte verlegen mit der Schulter und versuchte wenigstens betroffen auszusehen.

Doch ich wusste es besser. Es war, weil ich nicht weiterkam, nach vier Monaten immer noch keinen Täter präsentieren konnte. Aber das sagte mein Captain mir nicht.

Jedenfalls nicht mit Worten.

Nein. Mr. FBI-Fuzzi bekam meinen Fall.

„Super, Chef, danke für das Vertrauen“, schnauzte ich los, ich hatte nicht vor, mir schweigend den Fall entziehen zu lassen. „Jetzt, da es endlich einen Fortschritt gibt, wir endlich eine winzige Spur vorweisen können, da mischt sich dieser Streber da ein. Jetzt, da wir einen der Toten identifizieren können, kann selbst ein Blinder mit Krückstock Ergebnisse erzielen.“ Ich sprang auf, warf Moore, der beschwichtigend die Hand erhoben hatte, einen wütenden Blick zu und stürmte aus dem Büro.

„Ich fahr nach Hause“, rief ich meiner Partnerin Tennessee Jaspers zu, die an unserem Schreibtisch saß und Krimskrams in einen Karton packte. Tennessee war groß, schlank, brünett und hatte vor einem halben Jahr geheiratet. Ich war zu der Feier eingeladen gewesen, und hatte ihre riesige Familie kennengelernt. Ihr Vater war ein echter Hallodri, ich wusste, dass er all seinen Töchtern Namen von Bundesstaaten, und seinen Söhnen Namen von Städten gegeben hatte. Seine Souvenirs, so hatte er seine Kinder genannt, als ich mich während des Empfangs mit ihm unterhielt. Ich mochte den Alten, er war ein charmanter Rumtreiber, der spannende Geschichten erzählen konnte.

„Was? He, nicht so schnell, warte!“ Als ich an ihr vorüberschoss, sprang sie auf und lief mir nach. Auf halber Strecke zum Aufzug holte sie mich ein. „Warte. Ich muss mit dir reden.“

Ohne sie anzusehen, hämmerte ich auf dem Liftknopf herum. Er kam dadurch nicht schneller, doch da ich mir vorstellte, der Knopf sei die geschniegelte Visage von diesem Blake, fühlte ich mich schon etwas besser.

„Was willst du? Wo warst du eigentlich heute Morgen?“

Tennessee war nicht am Tatort eingetrudelt, obwohl ich ihr gleich Bescheid gegeben hatte. „Und warum räumst du deinen Schreibtisch leer?“ Misstrauisch beäugte ich sie. „Den Schreibtisch räumt man nur aus zwei Gründen leer. Man hat gekündigt. Oder man ist tot.“

Tot war sie nicht. Hatte sie gekündigt?

„Quinn. Ich … ich wollte es dir schon lange sagen.“ Nervös leckte sie mit der Zunge über ihre Lippe. Ich spürte, wie sich etwas in mir zusammenzog. Wieder ein Partner, der nicht mit mir arbeiten wollte? In Gedanken ging ich schnell alle Vorfälle durch. Nein, ich hatte mir nichts zuschulden kommen lassen. Jedenfalls nicht ihr gegenüber.

„Ich … ich bin schwanger. Und deswegen lass ich mich in die Verwaltung versetzen. Vorübergehend.“ Tennessees Nervosität wich trotz des Geständnisses nicht. Im Gegenteil. Sie sah mich nicht an, kaute auf ihrer Unterlippe herum. Eindeutig ein schlechtes Gewissen.

„Tennie! Das sind doch gute Neuigkeiten!“ Ich war erleichtert. Schwanger! Das erklärte so einiges. Es erklärte die mysteriösen Anfälle von spontaner Übelkeit, die mich zwangen, innerhalb von Sekundenbruchteilen eine Toilette zu finden. Es erklärte auch die ständigen Hungerattacken, die es verlangten, an jeder Pizzabude haltzumachen, an der wir vorbeikamen. „Du musst kein schlechtes Gewissen haben. So wie ich Moore kenne, wird er mir einen neuen Partner zuteilen.“

Sobald es einen gab. Der mit mir klarkam. Mit dem ich klarkam.

„Irgendeinen Deppen wird es schon geben, der mit mir arbeiten muss, mach dir keine Sorgen.“ Ich gab mich zuversichtlicher, als ich mich fühlte.

Tennie seufzte leise. „Es tut mir …“ Sie brach ab, ich sah, wie sie mit großen Augen auf etwas starrte, das hinter meinem Rücken aufgetaucht sein musste.

„Es gibt schon einen Deppen“, hörte ich es gefährlich leise hinter mir. Langsam drehte ich mich herum – und da stand Blake.

Er stand dicht hinter mir, so dicht, dass ich den würzigen Geruch seines unaufdringlichen Aftershaves riechen konnte. So dicht, dass ich die klirrende Kälte in seinen schon unnatürlich blauen Augen blitzen sah.

Mein erster Impuls war, zurückzutreten. Doch den unterdrückte ich schnell. Das kam ja gar nicht infrage! Ich trat noch einen Schritt auf ihn zu, sodass meine ausgelatschten Sneakers fast auf seinen schicken Tretern standen. Jetzt klebte ich so nah an ihm, dass unsere Körper sich berühren würden, wenn ich mich ein Stück vorlehnte.

Auch er wich nicht zurück. Stand nur so da, eingehüllt in die Art Aura, die Arroganz und Überheblichkeit so mit sich bringen.

Über seine Schulter hinweg sah ich einige Kollegen auf dem Flur stehen. Da war Ballard, der immer in denselben abgewetzten Polyesteranzügen auftauchte, und King, der oft nach Fusel roch und das mit billigem Rasierwasser zu überdecken versuchte. Ich sah auch das hämische Grinsen in ihren Gesichtern. Ha, ha, das hast du nun von deiner großen Fresse!

Mit beiden hatte ich schon mal zusammengearbeitet. Ungefähr drei Wochen lang. Dann hatten wir die Schnauze voneinander gestrichen voll. Ich bin ein Einzelgänger, Partner lenken mich nur ab, zu viele Kompromisse, die ich nicht eingehen will. Tennessee war die Einzige, die es drei Jahre mit mir ausgehalten hatte. Aber sie war auch mit fünf Brüdern aufgewachsen, sie wusste, wie sie mich zu nehmen hatte. Doch leider war sie nun schwanger. Verdammt.

„Du willst mein Partner sein?“ Ich hatte die Arme in die Hüfte gestemmt und sah ihm herausfordernd in die Augen. Früher im Heim hatte das auch immer funktioniert. Niemals weichen, wer nachgibt, hat verloren. Ich hatte das auf die harte Tour lernen müssen, und verlor nie wieder. „Ein FBI-Fuzzi lässt sich in die Sphären der normalsterblichen Detectives herab?“

„Falsch. Sie, Detective Quinlan, werden mein Partner sein.“ Dabei tippte er mir mit seinem manikürten Zeigefinger gegen die Brust. „Das ist ein gewaltiger Unterschied.“ Wieder beharkten wir uns mit herausfordernden Blicken. Wäre Moore nicht aufgetaucht, wir hätten noch Stunden so weitergemacht.

„Schluss mit diesem Machotheater, alle beide“, brüllte er mit donnernder Stimme quer über den Flur. „Sie haben einen Fall, um den Sie sich kümmern müssen!“

Es war Blake, der den ersten Schritt zurücktrat. In seinen metallisch blauen Augen tauchte ein Ausdruck auf, den ich nicht genau deuten konnte. Dann wandte er sich um und schlenderte gemächlich in das Großraumbüro zurück. Die Hände in den Taschen der gut sitzenden Hose versenkt, meinte ich, ihn leise pfeifen zu hören.

So ein Arschloch!

Ich starrte ihm hinterher, nicht sicher, ob ich dieses Duell nun tatsächlich für mich entschieden hatte. Als ich an Ballard vorbei stapfte, rempelte ich ihm den Ellenbogen in die Rippen und fauchte: „Verpiss dich!“ Mit Sicherheit hatte er den Captain auf uns gehetzt.

Captain Moore, der an der Tür seines Büros auf mich wartete, musterte mich scharf aus zusammengekniffenen Augen. Ihm war mit Sicherheit nicht entgangen, dass ich denselben Aufzug trug wie gestern Morgen. Jeans und ein verschwitztes Hemd. Und dass Bartstoppel mein Gesicht zierten, auch nicht. Er wurde etwas milder.

„Quinlan, ich brauche den Bericht über die vierte Leiche gestern auf meinem Schreibtisch, klar? Heute Mittag muss ich mit dem Bürgermeister und dem Commissioner eine Pressekonferenz geben, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn es die beiden dabei nicht auf mich abgesehen hätten, klar?“ Dann wurde sein Ton härter. „Und noch was: Ich will, dass Sie mit Agent Blake zusammenarbeiten. Das FBI gewährt uns Unterstützung, und dafür gibt er den Ton an, verstanden? Vermasseln Sie es nicht!“ Sprachs – und donnerte die Tür hinter sich zu.

„Klar Boss.“ Mit einer Miene, die vermutlich Wein in Essig wandeln konnte, machte ich mich schnurstracks auf den Weg zur Kaffeemaschine, die im hinteren Teil des Großraumbüros stand. Das Gebräu, das dort auf mich wartete, hatte die Farbe und Dichte von Motoröl, es roch auch ein wenig danach, doch für mich war es der Quell des Lebens. Kaffee!

Ich nahm einen Schluck und merkte, wie sich ein Lächeln auf mein Gesicht verirrte.

Kaffee schlürfend trat ich an meinen Schreibtisch, der vor lauter Akten, Fotos und Zetteln fast nicht zu sehen war. In vier Monaten hatte sich ein Haufen Papierkram angesammelt.

„Okay“, begann ich, während ich mich auf meinen ausgeleierten Stuhl setzte, noch einen Schluck Kaffee trank und die eingegangenen Notizen sortierte. Blake, der den zerschrammten Besucherstuhl, den ich ihm zugedacht hatte, ignorierte, sah mir mit regungsloser Miene zu.

„Also, Mister FBI. Was nun?“ Ich hatte beschlossen, mich ganz professionell zu geben. Ich musste mit ihm arbeiten? Kein Problem, no, Sir!

„Nun fahren Sie packen, um eins geht der Flieger nach Richmond. Wir sehen uns am Flughafen.“ Damit zupfte sich Blake die Manschetten seines Hemdes zurecht, warf Tennessee, die weiter ihren Kram sortierte, ein schmelzendes Lächeln zu, und verschwand.

Und wieder blieb ich zurück, irritiert, frustriert, mit dem unbestimmten Gefühl, etwas nicht richtig mitbekommen zu haben.

***

Während des Fluges studierte ich den nicht gerade sehr ergiebigen Computerausdruck über Eric Meyers. Der vorläufige Obduktionsbericht von Keith, dem Gerichtsmediziner, war mir schon per Mail zugegangen, aber ich hatte ihn noch nicht gelesen.

Mal sehen. Eric war siebenundzwanzig Jahre alt, arbeitete als fest angestellter Reporter bei der ‚Richmond Daily News‘ in der City von Richmond und als Familienangehörige wurde nur noch eine Tante namens Martha Ingram angegeben. Er war noch niemals straffällig geworden, und soweit ich wusste, befand er sich in festen Händen.

Ich las weiter.

Eric lebte in einem kleinen Kaff namens Greens Fork, ungefähr fünfzehn Meilen von Richmond entfernt. Und er war irgendwann nach dem neunzehnten Juli verschwunden, seine Tante hatte ihn vermisst gemeldet. Nicht seine Freundin. Das verblüffte mich.

Wieso war er überhaupt verschwunden? Heute war der Siebenundzwanzigste, wo war er die vergangenen Tage bis zu seinem Tod gewesen? Entführt? Was war mit seiner Freundin, mit Bonnie? Kennengelernt hatte ich sie damals nicht, irgendetwas war ihr dazwischen gekommen, was es war, daran erinnerte ich mich nicht mehr.

Nachdenklich starrte ich auf den Ausdruck.

Wieso war er verschwunden, und dann in meiner Stadt wieder aufgetaucht? Verstümmelt und ermordet. Was hatte er hier gewollt? Und wieso hatte er sich nicht bei mir gemeldet? Ich machte mir eine Notiz an den Rand, musste nachprüfen lassen, wie lang Eric schon in der Stadt gewesen war, ob er einen Wagen dabei hatte. Ob er eventuell irgendwo ein Hotelzimmer gebucht hatte.

Müde rieb ich mir die brennenden Augen, langsam verkleisterten Spinnweben mein Hirn und hinderten mich am Denken. Deswegen schob ich die Unterlagen zusammen und verstaute sie bei meinem Notebook. Dann schickte ich Greg noch eine SMS, damit der wusste, wo ich abgeblieben war.

Ich reckte mich, was machte Mr. FBI-Blake eigentlich, während ich brav meine Hausaufgaben erledigte?

Der saß drei Reihen vor mir und starrte gelangweilt aus dem Kabinenfenster. Als wir am Flughafen auf den Check-in warteten, hatte er kein Wort mit mir gesprochen. Auch jetzt, an Bord, kein einziges Wort. Nicht, dass ich darüber böse war, ich mochte ihn immer noch nicht besonders. Und nur unter schlimmster Folter hätte ich zugegeben, dass ich ihn durchaus ansehnlich fand.

Die beiden Stewardessen allerdings umschwärmten ihn wie die Motten das Licht, sie hielten ihn wohl für einen Schauspieler oder gar ein Model. Doch Blake ignorierte jeden Flirtversuch, und schließlich gaben sie es auf, ich geriet in das Fadenkreuz ihrer Aufmerksamkeit. Ich bin auch nicht gerade hässlich, und wenn ich ausgeschlafen bin, kann ich sogar ziemlich charmant sein.

So jedenfalls kam ich in den Genuss von Unmengen Kaffee und der Telefonnummer der hübschen Dunkelhaarigen. Als das Flugzeug landete, schenkte sie mir zum Abschied noch ein bedeutungsvolles Lächeln, das ich nur halbherzig erwiderte, dann trennten sich unsere Wege.

Am Terminal der Autovermietung sorgte Blakes FBI-Ausweis dafür, dass er ohne Verzögerung einen Wagen bereitgestellt bekam. Ein Anflug von Neid überkam mich, denn mit meinem Ausweis hätte man mir nicht mal ein Fahrrad geliehen.

Auf dem Parkdeck, in einem schönen schattigen Eckchen, wartete eine elegante, dunkle Limousine auf uns. Bevor Blake mir noch irgendetwas anderes befehlen konnte, schmiss ich mich in den gut gepolsterten Ledersitz auf der Beifahrerseite und schloss die Augen.

Knapp fünfunddreißig Stunden war ich jetzt auf den Beinen. Ich war erledigt. Das Sandpapier unter meinen Lidern kratzte sich mit jedem Blinzeln tiefer in meine Augäpfel hinein. „Wecken Sie mich, wenn wir da sind“, murmelte ich noch, dann hatte mich der Sandmann mit einem simplen Bodycheck überwältigt. Nicht, dass ich mich groß dagegen gewehrt hätte.

***

Nolan sah zu dem schlafenden Detective hinüber. Das stoppelige Gesicht war grau vor Erschöpfung, eine seiner viel zu langen Haarsträhnen hing ihm über dem Auge. Er sah gut aus, auf eine herbe, sehr männliche Art, da war nichts Weiches mehr in diesem Gesicht. Die Sommersprossen auf der Nasenwurzel saßen noch da, sieben waren es inzwischen. Auch die winzige Narbe kam noch immer aus seiner Braue gekrochen. Es waren sogar welche hinzugekommen, eine an der Schläfe, die andere direkt unter seinem Kinn. Und seine Nase schien mindestens einmal gebrochen gewesen zu sein.

Doch nach Spuren eines Lachens suchte er vergeblich.

Im Gegenteil. Frustration und Enttäuschung hatten ihre Spuren in seinen Mundwinkeln hinterlassen.

Nolan sah wieder auf die Straße. Die Limousine glitt völlig geräuschlos durch die Hitze, doch dank getönter Scheiben und Klimaanlage war es innen angenehm temperiert. Er hatte beschlossen, direkt bis nach Greens Fork zu fahren. Bis zu dem Motel, welches ihm die Angestellte am AVIS-Schalter empfohlen hatte, waren es knapp zwanzig Meilen. Es lag etwas außerhalb der kleinen Gemeinde.

Die Gegend war ländlich, gelbe Weizenfelder wechselten sich mit riesigen Maisfeldern ab. Hin und wieder fuhren sie auch an kleinen Waldgebieten vorbei. Der Verkehr nahm zu, je näher sie Richmond kamen.

Er musste unbedingt Kontakt mit Gedeon aufnehmen, der Administrator wartete wahrscheinlich schon ganz ungeduldig auf seinen Bericht. Nolan konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. Der alte Engel herrschte wie ein Feldherr über die Zentrale, behandelte die Union Guards wie seine Truppen und hatte trotzdem immer ein offenes Ohr. Er würde den Alten vermissen, wenn er zu den Guardian wechselte. Schnell überprüfte Nolan, wie tief Quinlan wirklich schlief, in dem er in seine Gedanken eintauchte.

Der Ärmste. Er schlief so fest, dass in seinem Kopf nur weißes Rauschen herrschte. Keine Träume, keine Erinnerungen. Nichts. Nur bleischwere Erschöpfung.

„Ged? Kannst du mich hören?“

Na endlich. Das hat ja ewig gedauert! Wo bist du?

„Ich bin auf dem Weg in ein Kaff namens Greens Fork. Es liegt auf halber Strecke zwischen Richmond und New Castle, Indiana. Der Tote von heute Nacht kommt von hier.“

Okay. Hab dich wieder auf dem Schirm. Sag, haben sie dir den FBI-Agenten abgekauft? Es war schon etwas kurzfristig, um denen vom Morddezernat klar zu machen, dass das FBI den Fall übernehmen wird. Musste dir auf die Schnelle eine Legende zurechtbasteln, doch einer einfachen Überprüfung wird sie standhalten.

„Keine Sorge, ist alles gut gegangen. Allerdings …“ Nolan schwieg. Während er überlegte, wie er Gedeon die Neuigkeiten unterbreiten sollte, ordnete er sich auf der Siebenundzwanzig ein. Der Boulevard führte einmal quer durch die Stadt, vorbei an Wohngebieten, der Universität, verschiedenen Kliniken und jeder Menge Diners. Das erinnerte ihn daran, dass dieser Körper Nahrung zu sich nehmen musste.

Er fuhr unter dem Highway her, bog auf die Achtunddreißig, jetzt war es nicht mehr weit nach Greens Fork. Der Verkehr ebbte ab, und er nahm wieder Kontakt mit Gedeon auf. „Was ich dir jetzt sage, wird dir nicht gefallen.“

Oh, Oh. Wieso habe ich das Gefühl, dass jetzt etwas ganz Dickes kommt? Raus mit der Sprache. Was ist es?

„Ich bin nicht alleine hier. Jemand ist bei mir. Ein Detective vom Morddezernat. Sein Name ist … Adam Quinlan.“

In der Zentrale herrschte für mehrere Sekunden tiefstes Schweigen, hatte es Gedeon etwa die Sprache verschlagen? Das hatte es seit Jahren nicht gegeben, erinnerte sich Nolan. „Ged? Bist du noch da?“

Du wirst von da verschwinden! Sofort! Hörst du? Ich wusste gleich, dass es eine blöde Idee war, und darum werde ich dir auf keinen Fall erlauben, weiter dort herumzuschnüffeln.

Nolan konnte Gedeon direkt vor sich sehen, die wenigen flaumigen Locken durcheinander gerauft, wie er hektisch vor seinem Überwachungspult auf und ab schwebte. Sollen die Guardian sich darum kümmern! Caleb wird sowieso stinksauer, wenn er mitkriegt, dass du dich eingemischt hast.

Mit Caleb, dem Einsatzleiter der Guardian, hatte Nolan schon einige Male zu tun gehabt.

Sein Ruf war legendär, seit er sich einen Schlagabtausch mit zwei Kriegsdämonen gleichzeitig geliefert hatte. Die beiden bis an ihre hässlichen spitzen Zähne bewaffneten Dämonen hatten beschlossen, eine Festtags-Parade anlässlich des vierten Juli zu sprengen. Die Dämonen metzelten gerade das Cheerleader-Team dahin, als Caleb, der zufällig anwesend war, eingriff. Die darüber kursierenden Berichte reichten vom Angriff mit der bloßen Faust, bis hin zum Einsatz einer Panzerabwehrrakete. Doch Nolan wusste, dass Caleb ein altes Breitschwert trug, mit welchem er meisterlich umzugehen verstand. Er hatte den Dämonen kurzerhand die Köpfe abgeschlagen und dann das Chaos mithilfe seines Teams beseitigt.

„Ich werde den Fall nicht abgeben, das kommt gar nicht infrage!“, knurrte er, während er mit einem Seitenblick den schlafenden Detective streifte. „Und um Caleb mach dir keine Sorgen, mit dem werde ich schon fertig.“

Caleb ist meine geringste Sorge. Was glaubst du, wird Michael mit dir anstellen, wenn er von all dem erfährt? Noch einmal kann ich dich nicht schützen.

„Ich weiß. Doch konnte ich ahnen, dass ich Quinlan dort treffen würde? Er war schon da, als ich auf dem Dezernat auftauchte, bin ihm buchstäblich in die Arme gerannt. Hast du nicht überprüft, wer der verantwortliche Detective ist?

Nein verdammt, es blieb keine Zeit!,schrie Gedeon. Nolan zuckte zusammen.