Bad to the Bone - Josie Charles - E-Book
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Bad to the Bone E-Book

Josie Charles

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Beschreibung

Liebe oder Hass, Leidenschaft oder Rache – was wird am Ende siegen?
Band eins der fesselnden Dark Romance Reihe von Josie Charles

Als Jess in ihre Heimatstadt Detroit zurückkehrt, ist nichts mehr wie zuvor. Verachtet von ihrer großen Liebe East trifft sie auf Dane, der ihr den Weg zurück in ihre alte Gang, die „Black Bones“, ermöglicht. Von jetzt auf gleich findet sich Jess in einem erbitterten Kampf der beiden Erzfeinde wieder, bei dem nicht nur ihr Herz in Gefahr gerät. Denn auch East hat noch eine Rechnung mit ihr offen …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Bad to the Bone – Zerrissen.

Alle Bände der Black Bones Kingdom-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Weitere Titel dieser Reihe
Bad to the Blood (ISBN: 9783987784477)
Born to be Bad (ISBN: 9783987784521)

Erste Leser:innenstimmen
„Ein intensiver Romantic Suspense Roman, der mit viel Action und Emotionen glänzt.“
„Mit dem Auftakt der Black Bones Kingdom-Reihe hat die Autorin eine mitreißende Dark Romance geschaffen, die Lust auf weitere Bände macht.“
„Eine Achterbahnfahrt der Gefühle: Liebe, Hass und Rache wechseln sich ab und halten die Leser bis zur letzten Seite in Atem.“
„Dieser leidenschaftliche Liebesroman um eine Gang in Detroit zeigt, dass man manchmal gezwungen ist, sich seinen Ängsten zu stellen und für das einzustehen, was einem wichtig ist.“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 376

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Über dieses E-Book

Als Jess in ihre Heimatstadt Detroit zurückkehrt, ist nichts mehr wie zuvor. Verachtet von ihrer großen Liebe East trifft sie auf Dane, der ihr den Weg zurück in ihre alte Gang, die „Black Bones“, ermöglicht. Von jetzt auf gleich findet sich Jess in einem erbitterten Kampf der beiden Erzfeinde wieder, bei dem nicht nur ihr Herz in Gefahr gerät. Denn auch East hat noch eine Rechnung mit ihr offen …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Bad to the Bone – Zerrissen.

Alle Bände der Black Bones Kingdom-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Juni 2023

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-448-4 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-449-1

Copyright © 2018, Josie Charles 2018 Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2018 bei Josie Charles 2018 erschienenen Titels Bad to the Bone – Zerissen (ISBN: 1980661367).

Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shuttestock.com: © Tartila, © Viorel Sima stock.adobe.com: © VigoStudio elements.envate.com: © FreezeronMedia, © PixelSquid360 Korrektorat: Stephanie Schilling

E-Book-Version 25.04.2024, 10:36:35.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Bad to the Bone

Triggerwarnung

In der gesamten Black Bones Kingdom-Reihe finden sich verschiedene Themen, die unter Umständen triggern können.

In diesem Buch sind es unter anderem Alkohol- und Drogenmissbrauch, Betrug, Tod und Gewalt (auch in Familien).

Diese Liste erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bitte achtet auf euch und eure Gefühle.

Prolog

‚Here without you‘

Hudson Mills, Michigan

Elf Monate zuvor

Jess

Ich beiße in den glänzend roten Apfel. Das Fruchtfleisch zerplatzt zwischen meinen Zähnen und ich sauge gierig den Saft ein.

Wer hätte gedacht, dass ein Apfel so gut schmecken kann?

Nervös sehe ich hinter mich, dann beiße ich nochmal zu. Es wäre klüger, das Obst mitzunehmen und es in Ruhe heimlich im Bett zu essen, aber ich kann mich nicht beherrschen.

Ich muss einfach nur schnell machen. Ein drittes Mal beiße ich ab, kaue hastig und der klebrige Saft läuft mir übers Kinn. Ich überlege, ob man das Kerngehäuse mitessen kann. Ein Apfelbaum im Bauch wird mir davon wohl kaum wachsen, wie Mom immer behauptet hat. Aber wenn ich morgen früh mit Magenschmerzen antrete, werden die Aufseher –

»Aldridge! Bist du hier?«

Ich reagiere sofort, lasse mich zu Boden fallen und krieche unter die Arbeitsfläche der großen Küche, in die Aussparung, wo sich die Mülleimer befinden.

Von dort aus lausche ich und höre schwere Schritte auf dem Fliesenboden. »Jessica Aldridge! Ich schwöre bei Gott, wenn ich dich erwische, Mädchen …«

Verflucht. Das ist Aufseher Morton, ein ehemaliger Navy Seal mit drahtigen Muskeln und kurzgeschorenem rotem Haar. Er macht meistens die Nachtwache, immer allein, da das Camp nicht sehr groß und zudem mit Stacheldraht umzäunt ist. Sein Kontrollgang hätte allerdings erst um zwei stattfinden dürfen. Dann wäre ich längst zurück in der Baracke gewesen, wo meine Mitinsassinnen, erschöpft von dem harten Arbeitstag, tief und fest schlafen.

Warum musste er ausgerechnet heute früher dran sein?

»Aldridge!« Seine Schritte nähern sich, wenn auch langsam. Er scheint sich sicher zu sein, dass ich hier irgendwo bin, denn seine Stimme ist zu einem vorfreudigen Singsang geworden.

Scheiße. Das ist das Schlimmste an der Besserungsanstalt, in der ich mich befinde, dem sogenannten Bootcamp: Wir Insassinnen werden rund um die Uhr überwacht, aber niemand überwacht die Wärter.

Ich ziehe die Beine so weit an, wie es geht, rutsche zwischen den Mülleimern an die Wand und versuche, flach und lautlos zu atmen.

Den halb aufgegessenen Apfel halte ich mit beiden Händen fest und muss mich trotz allem beherrschen, um nicht nochmal hineinzubeißen. Weil ich vor dem Mittagessen versucht habe, das Handy eines Wärters zu stehlen, musste ich bis zum Abendappell die Baracken putzen und danach direkt ins Bett. Dadurch habe ich zwei Mahlzeiten verpasst und bin so hungrig, dass es mir beim Duft des Apfels fast egal ist, ob ich erwischt werde.

»Aldridge …« Wieder dieser Singsang. Und dazu erkenne ich jetzt den Kegel einer Taschenlampe, der über die Edelstahlschränke tanzt. »Komm freiwillig raus und wir vergessen die Sache!«

Lügner.

Mit klopfendem Herzen beobachte ich, wie Mortons Stiefel dem Lichtkegel in mein Sichtfeld folgen. Ohne das geringste bisschen Eile schreitet er an den Küchenschränken entlang, kommt näher, noch näher, und bleibt dann genau vor dem Arbeitstisch stehen, unter dem ich hocke. So ein Mist.

Ich halte die Luft an und beobachte, wie das Licht über den Boden wandert, zuerst weiter weg, dann leuchtet Morton den Bereich direkt unter sich ab. Dort glänzen ein paar frische Tropfen Apfelsaft auf dem Boden.

Ich fluche lautlos.

Und dann taucht auch schon Mortons feistes Gesicht vor mir auf. Er macht ein triumphierendes Geräusch, umklammert meinen Fußknöchel und zerrt mich mit einem Ruck unter dem Tisch hervor. »Hab ich dich!«

Sofort erwacht mein Kampfgeist. Ich lasse den Apfel los und versuche, auf alle Viere zu kommen. Doch Morton hält immer noch meinen Fuß fest. Ich höre ihn etwas sagen, irgendwas mit »Ratten in meiner Küche«, dann ziept etwas an meinem Bein und im nächsten Moment krampfen sich all meine Muskeln schmerzhaft zusammen.

Meine Arme geben nach, ich schlage mit dem Gesicht auf dem Boden auf. Mein Körper zuckt und ich kann nicht atmen.

Dann ist es vorbei, Morton lässt mich los und ich schnappe nach Luft.

Der Aufseher geht um mich herum, hockt sich vor mich und sieht feixend auf mich herab. »Hast du gedacht, mir wäre nicht klar, dass du dich heute Nacht rausschleichst? Glaub mir, ich kenne Ratten wie dich. Ihr denkt, ihr könnt durch die Welt marschieren und euch einfach nehmen, was euch zusteht.« Mit spitzen Fingern klaubt er den Apfel vom Boden auf und hält ihn mir hin. »Aber du musst lernen, dass das nicht stimmt. Man muss für alles im Leben bezahlen, Aldridge!«

Damit wirft er mir das Obst ins Gesicht. Feucht klatscht es gegen meine Wange, ich kneife die Augen zu und beiße wütend die Zähne aufeinander.

Wie gerne würde ich diesem Sadisten meine Faust in die Weichteile rammen und ihm zeigen, wer hier am Ende bezahlen muss. Aber das wäre nicht klug. Denn er hat den Elektroschocker und zögert nicht, ihn zu benutzen, wie er gerade bewiesen hat.

»Weißt du was, Aldridge?« Morton steht auf und geht um mich herum. »Ich finde es wirklich schade …« Etwas rumpelt. »… dass du bei deinem kleinen Ausflug so ein Chaos angerichtet hast. Jetzt wirst du hier leider saubermachen müssen.«

Einen kurzen Augenblick frage ich mich, wovon er redet, denn die Küche ist blitzsauber. Dann poltert es erneut und im nächsten Moment ergießt sich der Inhalt einer der Mülltonnen über meinen Rücken. Irgendetwas fällt in meinen Nacken, Schälabfälle und Essensreste regnen auf die Fliesen.

»Das nächste Mal«, fährt Morton fort und kickt den zweiten Mülleimer um, »bleibst du wohl besser in deinem Bett liegen und wartest bis zum Frühstück. Jetzt beeil dich und dann zurück in die Baracke. In einer Stunde kontrolliere ich, ob du schläfst.«

Damit lässt er mich allein. Ich richte mich auf und sehe mir das Chaos um mich herum an.

Keine Ahnung, ob ich vor Wut oder von dem Elektroschock zittere, aber als ich aufstehe, muss ich mich erstmal am Schrank abstützen.

Ich wische mir die klebrigen Apfelreste aus dem Gesicht, dann mache ich mich widerwillig an die Arbeit.

Keine Ahnung, wie ich hier weitere elf Monate überstehen soll.

East

Die schwarze Landschaft jenseits der Interstate fliegt an mir vorbei, die Musik ist voll aufgedreht und aus den Lautsprechern dröhnt Slipknot.

Ich grinse in mich hinein, während ich den Mustang über die Autobahn jage, weil ich es kaum erwarten kann, Jessica wiederzusehen.

Viel zu oft kam es mir während der letzten drei Monate vor, als wäre sie tot. Erinnerungen an die Nacht ihrer Verhaftung fluten mein Hirn. Der altbekannte Zorn flammt in mir auf, lässt mir das Grinsen im Gesicht gefrieren und mich das Lenkrad fester umklammern.

Am Abend war sie noch bei mir gewesen, ich fuhr sie nach Hause und wir küssten uns hier in meinem Wagen. Und am nächsten Morgen war sie fort, einfach verschwunden aus meinem Leben. Es fühlte sich an wie kalter Entzug. Wenn ich ehrlich bin, tut es das immer noch. Aber damit ist heute Nacht Schluss. Sie wird wieder bei mir sein und das ist das Einzige, was für mich zählt.

Ich muss mich zwingen, das Gaspedal nicht voll durchzutreten, während ich nach Hudson Mills fahre. Ärger mit den Cops kann ich jetzt nicht gebrauchen, denn ich habe keine Ahnung, was ich tue, wenn ein Bulle versucht, mich noch länger von Jess fernzuhalten.

Drei Monate. 91 Tage.

Es wird Zeit, diesen Dreck zu beenden.

Als das Ortseingangsschild von Hudson Mills am Fahrbahnrand auftaucht, regle ich die Musik herunter und werde langsamer. Das Camp befindet sich in den Wäldern hinter der Ortschaft, ich war in den vergangenen Wochen mehrfach dort, um alles auszukundschaften. Ich kenne jeden der Wärter, jede einzelne Personalakte. Ihre Gewohnheiten, ihre Rituale, sogar die Ängste, über die sie sich in irgendwelchen Internetforen ausheulen, in die ich normalerweise keinen Fuß setzen würde.

Heute Nacht ist Wärter Morton am Drücker, ein Veteran, der mal drei Tage bei vollkommener Dunkelheit in einer Höhle in Afghanistan eingeschlossen war.

Mach dich auf was gefasst, Arschloch.

Ich durchquere den Ort und schalte nach gut zwei Meilen die Scheinwerfer ab.

Ein paar Meter noch, bis die Straße endet und das Tor zur Hudson Mills Special Alternative Incarceration Facility vor mir auftauchen wird. Ich trete auf die Bremse, fahre rechts ran und parke den Wagen, um das letzte Stück zu Fuß zu gehen.

Kein unnötiges Risiko, denn ich habe nur diese eine Chance. Sobald die da drinnen kapieren, dass jemand kommt, um Jess zu befreien, stecken sie sie wahrscheinlich in Isolationshaft oder verlegen sie in einen richtigen Knast.

So leise es geht, mache ich die Wagentür hinter mir zu und lausche. Absolute Stille. Noch nicht einmal Grillen oder das Rauschen vom Wind in den Bäumen. Das Einzige, was ich höre, ist mein sich langsam beschleunigender Puls.

Cool bleiben.

Ein paar Minuten noch, dann hat dieser Scheiß ein Ende.

Ich taste meine Taschen nach meinem Handy ab, ziehe mir die Kapuze über den Kopf und setze mich in Bewegung.

Zeit für den Blackout.

Jess

Ich verlasse den Küchentrakt und trete auf den Hof, der durch zwei große Flutscheinwerfer taghell erleuchtet ist. Am liebsten würde ich duschen. Der widerliche Müllgestank hängt mir in der Nase und mit Sicherheit auch in meinen Klamotten. Aber ich habe klare Anweisungen und will nicht, dass mich Morton mit seinem Elektroschocker unter der Dusche besucht, deshalb gehe ich lieber direkt ins Bett.

Ich verscheuche ein paar Mücken, die versuchen sich auf mir niederzulassen, während ich den leeren Platz überquere.

Und dann wird es plötzlich dunkel.

Abrupt bleibe ich stehen, während die Finsternis mich einhüllt. Nicht nur die Flutlichter sind erloschen. Langsam drehe ich mich um mich selbst und stelle fest, dass auch die Neonröhren über den Eingängen der Baracken aus sind, genau wie die schummrige Schreibtischlampe im Büro der Nachtwache.

Für einen Moment fühlt es sich an, als wäre ich blind. Dann beginnen sich meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen und ich kann die schwarzen Umrisse der Gebäude ausmachen.

Was hat das zu bedeuten? Ist das ein Stromausfall?

Meine Gedanken beginnen sich selbstständig zu machen. Sagen wir, der Strom ist tatsächlich ausgefallen … Dann funktioniert auch der Elektrozaun nicht mehr und ich könnte ihn mühelos überwinden. Ich könnte loslaufen, runter in den Ort, dort ein Auto knacken und noch heute Nacht wieder bei East sein.

Ich stelle mir vor, wie ich mich in seine Wohnung schleiche, wie ich diese bescheuerten Bootcamp-Mokassins abstreife, mich aus dem stinkenden Overall schäle und mich zu ihm unter die Decke kuschle. Mich ganz dicht an seine warme Haut schmiege.

Langsam wende ich mich dem Tor zu, das sich etwa 50 Meter von mir entfernt befindet.

Es könnte so einfach sein …

Doch noch ehe ich eine Entscheidung treffen kann, geschieht erneut etwas Unerwartetes: Das Tor beginnt sich zu öffnen.

Fasziniert beobachte ich, wie die dicken Gitterstäbe zur Seite gleiten. In meinen Beinen kribbelt es und mein Herz zieht sich zusammen.

Das ist meine Chance.

Ohne mir darüber klar zu werden, was ich hier eigentlich tue, laufe ich los und bin mit einem Satz draußen, noch ehe das Tor komplett offen ist.

Dann höre ich jemanden lachen. Ich fahre herum, sehe mich hastig um – und entdecke eine Gestalt, die an einem Zaunpfeiler lehnt. Hochgewachsen, in einer Lederjacke, die sich über seine breiten Schultern spannt. Die lässig hochgeschobenen Ärmel enthüllen seine tätowierten Arme, eine Kapuze verbirgt sein Gesicht. Aber das macht nichts. Ich muss es nicht sehen, um ihn zu erkennen.

»East«, keuche ich.

»Was hast du vor?«, fragt er belustigt. »Willst du den ganzen Weg bis nach Detroit rennen?« Damit stößt er sich von dem Pfeiler ab und kommt auf mich zu.

Ich blicke ihm entgegen, völlig fassungslos, doch insgeheim habe ich gewusst, dass er kommen würde. Ich bin die Frau, die er liebt.

»Denn falls nicht«, sagt er und bleibt dicht vor mir stehen, »hätte ich eine Mitfahrgelegenheit für dich.«

Eine Sekunde lang starre ich seine vertrauten Züge an. Den stets leicht zornigen Schwung seiner Brauen, seine scharf geschnittenen Wangen, das siegessichere Lächeln auf seinen Lippen.

Dann schlinge ich die Arme um ihn, so heftig, dass meine Muskeln schmerzen, und flüstere: »Du bist hier.«

East hält mich fest, drückt mir seine warmen Lippen auf die Stirn. »Was hast du gedacht? Dass ich dich mir wegnehmen lasse?«

Ich sehe zu ihm auf und schüttle den Kopf. Ich weiß nicht, was ich dachte und es spielt auch keine Rolle. »Du bist vollkommen verrückt«, sage ich.

East gibt mir keine Antwort, zumindest nicht in Worten. Stattdessen zwinkert er mir zu, dann hebt er mein Kinn an und küsst mich.

Ich öffne den Mund und genieße, wie seine Zunge mich erobert. Zum zweiten Mal in dieser Nacht drohen meine Knie nachzugeben. Zum zweiten Mal jagen elektrische Stöße durch meinen Körper. Ich kralle die Finger in das Leder seiner Jacke und würde am liebsten dafür sorgen, dass dieser Kuss nie mehr endet.

East ist mein Freund seit zweieinhalb Jahren. Wir haben mehr zusammen durchgemacht als die meisten anderen in einem ganzen Leben. Er ist alles für mich. Aber uns läuft die Zeit davon. Fast gewaltsam löse ich meine Lippen von seinen, schließe die Augen und lehne meine Stirn an seine.

»Was hast du mit Morton gemacht?«, flüstere ich.

»Ihn in seine persönliche Hölle geschickt«, brummt East und mir jagt ein Schauer über den Rücken.

Ich liebe seine Kompromisslosigkeit.

»Wie hast du das Tor aufbekommen?«

»Hab letzte Woche ein Aggregat zwischengeschaltet.«

Ich lache ungläubig. »Du warst schon mal hier?«

»Dutzende Male. Ich war die ganze Zeit bei dir, Baby.«

Ich blicke auf, lege meine Hände auf seine kratzigen Wangen und küsse ihn ein weiteres Mal.

»Wir müssen los«, sagt er dann.

Ich sehe ihm in die Augen, er erwidert meinen Blick eindringlich.

»Ich hab meinen Wagen frisch hochgetunt auf 800 PS. Wir fahren abseits der Interstate und sind in einer halben Stunde zurück in Detroit. Dort holen wir Casper ab und dann verschwinden wir. Ich hab genug Geld auf ein Offshore-Konto eingezahlt, um …«

Der Rest seiner Worte verschwimmt.

Ich glaube, es ist die Tatsache, dass er meinen Bruder erwähnt, die die erste Euphorie verklingen und mich wieder klar denken lässt.

»Warte«, höre ich mich murmeln.

»Ich weiß, was du sagen willst, aber deswegen musst du dir keine Gedanken machen. Milo hat uns falsche Papiere erstellt, mit denen wir es problemlos über die kanadische Grenze schaffen, und von da …«

»East. Hör auf.« Ich packe seine Oberarme und bin drauf und dran ihn zu schütteln, damit er mir nicht länger von einer Zukunft erzählt, die es so nicht geben kann.

Fragend blickt East mich an.

Ich schüttle den Kopf und realisiere endlich, wie verrückt das hier ist. Wie verrückt ich mich gerade verhalte. Das plötzliche Öffnen des Tors hat mich einen Augenblick lang in Begeisterung versetzt. Aber ich darf ihr nicht nachgeben.

»Was ist?«, will East wissen und mustert mich mit zusammengezogenen Brauen.

»Ich kann nicht abhauen. Ich kann nicht …« Ich lasse ihn los und mache einen Schritt zurück. Als ich weiterspreche, klingt meine Stimme klarer und fester. »Wie stellst du dir das denn vor?«

»Hab ich dir doch gerade erklärt«, erwidert er, noch gelassen.

»Und wie soll das laufen? Cas ist 12. Er muss in die Schule. Er braucht einen geregelten Tagesablauf. Ich kann mit ihm doch kein Leben auf der Flucht führen!«

East schüttelt den Kopf. »Das tun wir auch nicht. Wir fangen neu an. Dein Bruder kann auf eine andere Schule gehen, unter neuem Namen und –«

»Und niemand wird nach uns suchen?«, frage ich heiser. »Das glaubst du doch selbst nicht.«

Ich spüre, wie Tränen in meinen Augen brennen und blinzle sie hastig weg. Ich sollte nicht enttäuscht sein. Ihn zu sehen, wenn es auch nur für ein paar Minuten war, war besser als alles, was ich mir von dieser Nacht erhofft hatte.

So können wir uns wenigstens vernünftig verabschieden – etwas, das bei meiner Festnahme nicht möglich war.

»Tut mir leid, aber ich muss das hier durchziehen«, sage ich leise und will East noch einen letzten Kuss geben.

Aber er packt mich ganz unvermittelt an den Schultern und schiebt mich ein Stück von sich, sodass er mich ansehen kann. »Was ist mir dir?«, fährt er mich an. »Haben sie dich schon so weit?«

»Ich weiß nicht, was du meinst«, gebe ich stumpf zurück.

»Du weißt so gut wie ich, was der Sinn von solchen Camps ist! Die brechen euren Willen und bauen euch so wieder zusammen, wie sie es gerne hätten! Willst du das, Jess? Ein verdammter Zombie werden?«

Ich muss mich zwingen, seinem stechenden Blick standzuhalten. »Es geht um Cas, glaub mir. Wenn es nur wir beide wären, würde ich …«

»Seit wann«, unterbricht er mich zornig, »vertraust du mir nicht mehr?«

Wie kann er mir sowas unterstellen?

Ich schlucke hart. »Ich vertraue dir.«

»Nein, das tust du nicht, sonst würdest du dich jetzt nicht so verflucht dämlich anstellen!«

Schnell sehe ich mich um, als er die Stimme erhebt, doch im Camp ist immer noch alles ruhig. Ich wende mich East zu, lege ihm erneut die Hände ins Gesicht, diesmal sanfter. »Sei nicht so ein Idiot. Ich liebe dich und ich werde wieder bei dir sein. In elf Monaten.«

East starrt mich einen Moment lang nur an. Sein Blick ist so durchdringend, dass ich davon Kopfschmerzen bekomme. Dann lässt er mich los und löst beinahe angewidert meine Finger von sich. »Du liebst mich, ja?«

»Das habe ich doch eben gesagt.«

»Du hast auch mal gesagt, dass uns nichts auf der Welt trennen kann, Jess. Erinnerst du dich daran? Wo du hingehst, gehe auch ich hin. So wie ich das sehe, bin ich der Einzige, der sich an deine großen Worte hält!«

Ich halte Easts Blick stand, auch wenn es nicht leicht ist. Er schafft mühelos, was zwei Monate U-Haft, vier Wochen Bootcamp, Sklavenarbeit, Geschrei und Hunger nicht geschafft haben. Zum ersten Mal spüre ich pure, brennende Verzweiflung in mir aufsteigen.

»Lass uns jetzt bitte nicht streiten«, sage ich eindringlich. »Ich brauche dich, East. Ich brauche die Gewissheit, dass du da sein wirst, wenn ich rauskomme. Warte auf mich. Elf Monate. Das packen wir doch.«

East schüttelt den Kopf. Seine ganze Haltung hat sich verändert, ist feindselig geworden. »Nein, Jess. Spar dir das. Wenn du das mit uns so ernst meinst, wie du immer getan hast, wirst du jetzt in meinen Wagen steigen und mit mir kommen. Wenn nicht, kannst du zur Hölle fahren. Du verdammte Heuchlerin.«

Seine Worte treffen mich so hart wie eine Ohrfeige. Er ist eher verletzt als wütend, das höre ich an seiner Stimme, aber das ändert nichts an der Erkenntnis, die mich gleich darauf trifft wie ein weiterer Schlag. Er meint das ernst.

Ich sehe ihn an und sein zorniger Blick verschwimmt vor meinen Augen. Jetzt kann ich die Tränen nicht länger zurückhalten.

»Sei kein Arschloch«, presse ich hervor.

East starrt mich weiter an, fassungslos, als wäre ihm gerade klargeworden, dass er nicht Jess, sondern eine Fremde vor sich hat. »Letzte Chance«, sagt er und seine Stimme klingt kaum weniger brüchig als meine.

Dann wischt er über das Display seines Smartphones und ein Geräusch hinter mir verrät mir, was seine Worte bedeuten.

Das Tor hat sich zu schließen begonnen.

Nein. Ich kann das nicht tun. Auch nicht, wenn er versucht, mich zu zwingen.

Meine Beine setzen sich in Bewegung und fühlen sich im ersten Moment so schwer an, als würden Betonklötze daran hängen. Dann jedoch sprinte ich los und schaffe es gerade noch, mich zwischen den Torhälften hindurchzuschieben, ehe sie sich in der Mitte treffen. Ich komme stolpernd zum Stehen, drehe mich nochmal um, will East noch irgendetwas sagen, das ihn dazu bringt, seine Meinung zu ändern.

Doch er ist schon verschwunden.

Im nächsten Augenblick gehen die Lichter wieder an. Ich bleibe auf dem Hof stehen und starre raus auf den Vorplatz. In mir tobt ein Chaos aus Entsetzen, Trauer und Zorn.

Irgendwer ruft meinen Namen, doch ich rühre mich nicht. Stattdessen lausche ich auf den Motor, der irgendwo in der Dunkelheit der Wälder aufbrüllt, dann leiser wird und langsam verstummt.

Eines steht fest: Ab jetzt bin ich auf mich allein gestellt.

Kapitel 1

‚Hometown Glory‘

Detroit, Michigan

Heute

Jess

14630 Riverside Boulevard. Der fünfte Wohnwagen in der zweiten Reihe vom Fluss aus gesehen gehört uns. Gestrichen in einem blassen Rot, durch das überall der Rost bricht. Ich bin in dieser Wohnwagensiedlung aufgewachsen und habe sie immer gehasst. Die Enge, den Schmutz, den modrigen Geruch. Doch als Kind kann man sich nicht aussuchen, wo man lebt und man sucht sich auch nicht aus, ob sein Vater ein Versager ist.

Die Tür ist zu, mein Dad und mein Bruder sind nirgends zu sehen. Auch sonst ist keiner hier, um mich in Empfang zu nehmen. Alles wirkt wie ausgestorben, nur der leichte Nieselregen sorgt dafür, dass sich in dieser leblosen Kulisse etwas bewegt.

Home Sweet Home, denke ich ironisch und neben mir seufzt Mrs Malcolm, meine Anwältin.

»Ich hatte letzte Woche angerufen und Bescheid gesagt, dass du heute kommst.«

»War es nach Mittag? Dann war er zu besoffen, um es sich zu merken.«

Mrs Malcolm sieht mich an und runzelt die Stirn, vermutlich über die Verachtung in meiner Stimme.

»Jess, ich weiß, das ist nicht ideal. Aber das Gericht hat deinen Vater nun mal als deinen gesetzlichen Vormund für die nächsten zwölf Monate eingesetzt und daran können wir nichts ändern.«

Ich nicke stumm, um ihr zu signalisieren, dass ich ihre Worte zur Kenntnis genommen habe. Aber das ändert nichts daran, wie scheiße ich die ganze Situation finde. Ich bin 21. Das ist das Alter, in dem man spätestens bei seinen Eltern auszieht und in die Welt hinaus geht. Zuerst wollte man mich in eine betreute WG schicken, aber dann hätte ich meinen kleinen Bruder erst in einem Jahr wiedergesehen. Deshalb habe ich schweren Herzens darum gebeten, hier wieder einziehen zu dürfen. So bin ich wenigstens in Caspers Nähe.

»Ich klopfe an und sehe nach, ob er da ist«, sagt sie resigniert, setzt sich in Bewegung und steigt die hölzernen Stufen zur Tür des Wohnwagens so vorsichtig hinauf, als würde sie befürchten, dass sie jeden Moment unter ihrem Gewicht zusammenbrechen.

Ich kann es ihr nicht verübeln. Seit ich weg war, hat sich offenbar niemand mehr darum geschert, den Trailer instand zu halten. Die Fenster sind blind vor Schmutz, die Camping-Stühle neben dem Eingang verwittert. Der Sonnenschirm liegt mit abgeknickten Speichen auf dem Rasen.

»Sie müssen sich keine Mühe machen«, sage ich, als auf Mrs Malcolms Klopfen hin niemand reagiert. »Machen Sie das Ding einfach hier draußen scharf und ich warte, bis jemand nach Hause kommt. Das bisschen Regen stört mich nicht.«

Ehrlich gesagt wäre es mir sogar lieber, wenn meine Anwältin und mein Dad sich nicht nochmal begegnen, denn schon bei meiner Verhandlung hat er mich bis auf die Knochen blamiert, weil er zu spät und im Unterhemd aufgetaucht ist.

Doch das Schicksal scheint beschlossen zu haben, mir nochmal zusätzlich auf die Nerven zu gehen. Denn schließlich sind im Inneren des Wohnwagens doch noch Schritte zu hören, dann öffnet sich die Tür, und da steht er.

Mein Vater, der große Ted Aldridge.

Früher war er mal Boxer und genau wie jemand, der mal Boxer war, sieht er auch aus. Seine Nase ist ein plattes Dreieck in seinem aufgedunsenen Gesicht, seine Stirn ist wulstig von zu vielen Platzwunden, die nicht richtig versorgt wurden. Sein graues Haar hat er schmierig nach hinten gekämmt und sein untersetzter Körper steckt auch heute in einem gelblich verfärbten Unterhemd.

Einen Moment lang mustert er Mrs Malcolm, als wäre sie eine Zeugin Jehovas. Dann erblickt er mich und sein Gesicht hellt sich auf. »Meine Kleine!« Mit ein paar schnellen, watschelnden Schritten schiebt er sich an meiner Anwältin vorbei, kommt zu mir nach unten und drückt mich an seinen massigen Körper.

»Hey«, erwidere ich und klopfe ihm auf die Schulter.

Unser Verhältnis ist nicht so toll, wie er gerade tut.

Das weiß er, das weiß ich. Nur dass ich es nicht für nötig halte, irgendwem etwas vorzumachen.

»Lass dich ansehen!« Dad mustert mich von oben bis unten. »Ist das zu glauben? Hätte nicht gedacht, dass ich dich in einem Stück wiederbekomme!«

»Ich war im Bootcamp, nicht im Schlachthaus«, gebe ich zurück.

Dad lacht schallend und deutet auf mich, als hätte ich den Witz des Jahrtausends gerissen. Ich halte die Luft an, um seine Fahne nicht riechen zu müssen. Dann scheint auch er endlich den Regen zu bemerken.

»Komm rein, kommt beide rein! Ihr holt euch ja den Tod!« Er stampft zurück in den Trailer und Mrs Malcom sieht mich mitfühlend an, ehe sie ihm folgt.

Ich blicke mich nochmal um. Immer noch kein Mensch zu sehen, dabei hätte ich zumindest mit meiner besten Freundin Raquel gerechnet. Aber andererseits: Woher hätte sie wissen sollen, wann ich komme?

»Jess? Legen wir los, ich habe noch andere Termine.«

Ich seufze und löse mich vom Anblick des verwaisten Parks.

Dann betrete ich den Wohnwagen.

Jess

»Die Fußfessel ist wasserdicht und stoßfest. Sie lässt sich nicht ohne Gewalt öffnen. In dem Band befindet sich ein Draht, der sofort Alarm schlägt, wenn es beschädigt wird. Der Sender teilt uns 24 Stunden am Tag mit, wo du dich aufhältst. Entfernst du dich aus dem erlaubten Radius, der den Wohnwagen sowie einen Umkreis von zehn Metern umfasst, wird auf der Stelle ein Streifenwagen losgeschickt. Ein einziger Verstoß reicht, um dich ins Gefängnis zu bringen. Hast du verstanden, Jessica?«

»Ja, Mrs Malcolm.«

»Der Richter will sehen, dass du dich mittlerweile an Regeln halten kannst – mit der Verlockung der Freiheit direkt vor deiner Nase. Im Grunde genommen ist das hier also ein Test. Aber wenn ich du wäre, würde ich versuchen, es als Chance zu sehen. Beweis dem Gericht, dass du ein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft sein kannst. Kriegst du das hin?«

Ich nicke, auch wenn ich mir die dämliche Fessel am liebsten gleich wieder vom Bein reißen würde. Dass ich jetzt für die nächsten 12 Monate hier sitzen und die Füße stillhalten soll, fühlt sich an wie ein schlechter Scherz. Doch die Alternative zu einem Jahr Fußfessel sind 2 Jahre Knast, also habe ich noch Glück gehabt. Für das, was ich getan habe – ein führendes Investment-Unternehmen um eine Millionensumme erleichtern – hätte ich auch eine deutlich härtere Strafe bekommen können.

Mrs Malcolm mustert mich noch einen Moment prüfend, dann steht sie auf. Ich ziehe das Bein an und betrachte die Fessel genauer. Der Sender ist dick und total auffällig. In meinen DocMartens könnte ich ihn vielleicht verstecken, wenn ich sie offenlasse, aber …

Moment, Jess. Wozu willst du den Sender verstecken? Du wirst nur hier sein, wo ohnehin jeder weiß, dass du die Fessel trägst.

Ach ja.

»Wenn du noch Fragen hast: Morgen früh kommt dein Bewährungshelfer vorbei. Mit ihm kannst du alles Weitere besprechen.« Mrs Malcolm wendet sich meinem Dad zu und steckt schnell die Hände in ihre Jackentaschen, damit sie ihm zum Abschied nicht die Hand geben muss. »Mr Aldridge, passen Sie gut auf Ihre Tochter auf.«

»Ich passe immer auf meine Kleine auf!«

»Das will ich hoffen.« Meine Anwältin nickt ihm zu, dann nimmt sie die Tür ins Visier und verschwindet so schnell, als hätten wir Hunde auf sie gehetzt. Nur dass es hier keine Hunde gibt. Kakerlaken vielleicht.

Ich sehe mich um und mein Blick bleibt an dem schmutzigen Geschirr hängen, das sich in der Spüle stapelt.

»Was guckst du so?«, fragt Dad. »Ich hatte viel um die Ohren und dein Bruder macht keinen Finger krumm.«

»Geh aus dem Weg«, sage ich und stehe auf.

Es ist Mittag. Casper wird bald nach Hause kommen. Mal sehen, ob er sich doppelt freut, wenn nicht nur seine Schwester, sondern auch ein halbwegs sauberes Zuhause auf ihn wartet.

Während Dad mich noch ein bisschen darüber volljammert, wie hart das letzte Jahr für ihn gewesen ist, mache ich mich daran, die Teller und Töpfe zu spülen.

Irgendwann verschwindet Dad in sein Schlafzimmer, um den ersten Rausch des Tages auszuschlafen. Sein Handy, ein verbeultes Smartphone der ersten Generation, lässt er dabei auf dem Sideboard liegen, das die Küche vom Essbereich trennt.

Ich blicke ihm kurz nach, schnappe mir das Telefon und trage es zur Sitzecke, so vorsichtig, als wäre es der kostbarste Schatz aller Zeiten. Ich hatte seit Monaten kein elektronisches Gerät mehr in den Fingern. Im Camp war ich von allen Kursen ausgeschlossen, die mit Computern zu tun hatten. Und als ich eben einen Blick in mein Zimmer geworfen habe, musste ich feststellen, dass die Polizei meine PCs nicht wieder hergebracht hat. Das heißt, sie wurden nicht freigegeben und verrotten nun in irgendeiner Asservatenkammer. Scheint, als hätte ich mächtig Eindruck gemacht.

Klar, die Behörden müssen davon ausgehen, dass ich Investments of the North ganz allein ausgenommen habe. Obwohl sie mich fast 24 Stunden am Stück verhört haben, habe ich dichtgehalten, meine Gang nicht verraten. East nicht verraten.

Gern geschehen, Mistkerl.

Ich wische über das verschmierte Display, säubere es mit meinem Ärmel so weit, dass ich was darauf erkennen kann und tippe Raquels Nummer ein. Ich muss ihr unbedingt sagen, dass ich zu Hause bin.

Mit klopfendem Herzen lausche ich auf das Freizeichen, das ertönt, sobald ich auf Anrufen gedrückt habe. Es klingelt ein zweites Mal. Dann ein drittes Mal.

»Komm schon«, flüstere ich.

Nervös lausche ich auf das vierte, fünfte und sechste Klingeln. Aber niemand geht ran.

Na toll. Ich beende den Anruf und überlege, ob ich es bei einem der anderen Black Bones probieren könnte. Doch schnell fällt mir auf, dass ich die Nummern der anderen Gangmitglieder nicht auswendig kenne. Das heißt, alle bis auf eine.

Doch bevor ich East anrufe, friert eher die Hölle zu.

Sauer knalle ich das Telefon auf die Tischplatte. Noch immer kann ich nicht fassen, was er getan hat. Dass er mich hängengelassen hat, als ich ihn am meisten gebraucht hätte. Ich kneife die Augen zu und massiere meine Schläfen mit den Fingern, um die Kopfschmerzen loszuwerden, die mich immer überfallen, wenn ich an ihn denke.

Als ich Schritte auf der Treppe höre, befinde ich mich plötzlich wieder im Hier und Jetzt. Ich stehe auf, die Tür öffnet sich und ich sehe mich einem Teenager gegenüber.

Er überragt mich um einen halben Kopf und an seinen Armen wölben sich erste Muskeln.

»Cas?«, frage ich ungläubig. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er noch so klein.

Der Jugendliche, zu dem mein Bruder geworden ist, starrt mich überrascht an. »Keiner hat mir gesagt, dass du heute kommst!«

Ich schüttle den Kopf. Das wundert mich gar nicht. Aber es spielt jetzt keine Rolle. Ohne ein weiteres Wort strecke ich die Arme aus und umarme meinen Bruder fest. Nach einem kurzen Zögern drückt er mich ebenfalls. Mit erstaunlich viel Kraft. Eine Wolke aus Männerdeo hüllt mich ein.

»Schön, dich zu sehen«, sage ich gerührter, als ich es von mir selbst erwartet hätte.

Dann ist aus dem Schlafzimmer Dads betrunkenes Schnarchen zu hören.

»Willkommen zu Hause, Schwesterherz«, erwidert mein kleiner Bruder.

Während meiner Abwesenheit hat er gelernt, sarkastisch zu sein.

Dane

»Tut mir leid, Süßer, aber hier ist Rauchen verboten«, schnurrt die Rothaarige von der anderen Seite der Theke.

Ich ziehe an meiner Zigarette und gebe ein höchstens halb interessiertes »Hm« von mir. Dabei starre ich weiter in ihr Dekolleté, das um einiges interessanter ist, als mich mit ihr zu unterhalten. Schwarze Spitze bedeckt ihre Brüste kaum zur Hälfte. Wenn sie sich noch ein bisschen weiter vorbeugt, kann ich ihre Nippel sehen, da bin ich mir ganz sicher.

»Ich meine es ernst. Wenn der Boss auftaucht und hier alles nach Qualm riecht, hast du ein Problem. Er meint, das schreckt die Kunden ab. Wenn sie hierher kommen, sollen sie an Sex und nicht an Lungenkrebs denken.«

Ich spüre selbst, wie ich zu schmunzeln anfange. Der Boss weiß wirklich, wo die Prioritäten der Besucher eines Tittenclubs liegen.

Das Lunaland befindet sich auf der East 8 Mile Road, wo sich Kentucky Fried Chicken mit Tankstellen und Sexclubs abwechselt. Anders als andere Läden hier auf der Straße können wir nicht mit einer Säulenauffahrt, einer Lasershow oder mit einem versilberten Vordach und einem Park-Service dienen.

Wir befinden uns im Keller eines Einkaufszentrums. Und genau das ist unser Vorteil. Das Lunaland ist von außen kaum als Erotik-Bar erkennbar. Sollte Mommy Daddy mal hier rauskommen sehen, kann er erzählen, dass er nur schnell eine Tüte Milch und ein paar Socken kaufen war. Zu uns kommen Männer, die es sich nicht leisten können, dabei gesehen zu werden, wie sie fremden Frauen auf die Brüste glotzen.

Genau aus diesem Grund bin ich hier momentan Concierge.

Und da ich ebenso wenig wie der Boss will, dass die Kunden beim Reinkommen Qualm anstelle von Frauenparfum riechen und gleich rückwärts wieder rausgehen, drücke ich meine Kippe unter dem Tresen aus.

Ich lasse sie im Papierkorb verschwinden und fange mir dafür schon den zweiten vorwurfsvollen Blick von der Rothaarigen ein.

»Die musst du draußen wegwerfen, Süßer.«

»Ich wäre ein Idiot, jetzt rauszugehen«, erwidere ich und begutachte lieber nochmal ihre vollen Brüste.

Sie lacht ein perfekt einstudiertes Lachen. »Lad mich in die Private Lounge ein und du darfst sie mal anfassen.«

»Anfassen ist genauso verboten wie Rauchen.«

»Für dich würde ich eine Ausnahme machen.« Die Rothaarige drückt sich selbst einen Kuss auf den Zeigefinger und streicht mir damit über die Wange, dann steht sie auf. »Meine Pause ist vorbei. Überleg’s dir.«

Sie wirft mir ein verführerisches Lächeln zu, wendet sich ab und verschwindet mit schwingenden Hüften durch den roten Samtvorhang, der vom Eingangsbereich in den Club führt.

Ich versuche, einen Blick ins Innere zu erhaschen. Nachdem sie mich so heiß gemacht hat, hätte ich Lust auf ein bisschen nackte Haut.

Doch außer dem dicken Teppichboden, ein paar Schemen und jeder Menge Nebel kann ich nichts erkennen. Anscheinend zieht eines der Mädchen im Augenblick eine Tanzshow ab.

Gerade will ich meinen Platz hinter der Theke verlassen, um mir die Sache genauer anzusehen, als sich die Glastür erneut öffnet und sich ein Typ um die fünfzig zu uns ins Foyer schiebt, den ich auf Anhieb erkenne.

Glatze, randlose Brille und ein schmallippiges Gesicht, das aussieht, als würde er permanent in eine Zitrone beißen. Mister Larry Goldman – genau der Kerl, auf den ich gewartet habe.

Ich straffe die Schultern und setze mein freundlichstes Gesicht auf, während Goldman auf die Rezeption zukommt, seinen Spazierstock schwingend, als ob er ihn mir am liebsten direkt in die Fresse schlagen wollte.

»Mistwetter heute«, begrüßt er mich unfreundlich.

»Da gebe ich Ihnen Recht, Sir«, erwidere ich mit perfekt gespielter Unterwürfigkeit in der Stimme. Dabei strecke ich die Hand aus. »Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«

Goldman macht keine Anstalten, mir eine Antwort zu geben. Stattdessen mustert er mich von oben bis unten. »Neu hier?«

»Nein, Sir. Ich war nur die letzten vier Wochen krankgeschrieben«, erkläre ich, auch wenn das nicht der Wahrheit entspricht. Genaugenommen arbeite ich erst seit vier Tagen hier.

»Was Ansteckendes?«, will er wissen und betrachtet mich immer noch, jetzt allerdings, als wäre ich ein Exponat in einer Freakshow.

»Nein, Sir.«

Er nickt und lässt sich endlich dazu herab, seinen dämlichen Mantel auszuziehen. Ich nehme ihm den Trenchcoat ab, bedanke mich höflich und füge hinzu: »Sie wissen ja, dass ich Sie auch um Ihre Kreditkarte bitten muss.«

Weil sich ein paar frühere Kunden durch die Hintertür abgesetzt haben, ohne zu bezahlen, hat der Besitzer des Lunaland diese Praxis als Sicherheit eingeführt.

»Aber sicher.« Goldman greift in sein Portemonnaie und hält mir seine goldene AmEx hin. Ziemlich protzig für einen Mann mit seinem Job. »Schön vorsichtig damit sein.«

»Natürlich«, gebe ich gelassen zurück und würde ihm für seine Arroganz mit seiner American Express am liebsten ein schönes Glasgow Smile in die Visage ritzen, von einem bis zum anderen Ohr.

Stattdessen greife ich nach einem weichen Tuch und poliere die Karte, während ich mit einem Lächeln hinzufüge: »Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Sir.«

»Natürlich tun Sie das. Schließlich hängt Ihr Gehalt davon ab.«

Mit einer süffisanten Grimasse steuert Goldman auf den Vorhang zu. Ich lasse ihm noch 5 Sekunden Vorfreude und zücke mein Handy.

4 Sekunden …

Ich mache ein Foto seiner Karte.

3 Sekunden …

Er greift nach dem Vorhang.

2 …

Ich schalte die Kamerafunktion meines Handys ein.

1.

Goldman zieht den Vorhang auf.

»Oh, Mister Goldman?«

Verärgert blickt er über die Schulter zu mir zurück. Dann wird sein Gesichtsausdruck irritiert, als er das Smartphone in meiner Hand sieht.

»Was soll das?«

»Ich fürchte, ich muss das hier an Ihre Frau schicken.« Wie immer ist Recherche alles. Also füge ich an: »Rosalie wird sicher furchtbar enttäuscht sein, dass Sie schon wieder rückfällig geworden sind.«

Während ich rede, lasse ich die Kamera über den Lunaland-Schriftzug und die Malereien daneben schweifen. Sie zeigen ein paar unserer Mädchen in eindeutigen Posen.

Dann fange ich wieder Goldmans Gesicht ein.

»Und was würde Ihr Chef erst dazu sagen? Ein Bewährungshelfer, der sich in Rotlicht-Clubs auf der 8 Mile rumtreibt? Wenn ich mich nicht irre, arbeitet eine Ihrer Schützlinge hier. Ist es in Ordnung, dass Sie der Kleinen regelmäßig zwischen die Schenkel schauen? Gehört das zum Job dazu?«

Langsam lässt Goldman den schweren Vorhang wieder zufallen. Schlagartig dringt die Musik aus dem Club nur noch gedämpft in den Empfangsbereich.

»Was wollen Sie?«

»Ich möchte Ihnen ein bisschen Arbeit abnehmen, das ist alles.«

Goldmans Brauen ziehen sich zusammen und er presst die Lippen aufeinander. Seine Gesichtsfarbe, die während meiner Worte immer weißer geworden ist, wechselt nun in ein sattes Rot. »Was soll das heißen?«, schnaubt er.

Ich grinse ihn an und erkläre ihm, wie es laufen wird.

Jess

Der nächste Morgen beginnt neblig. Nach dem Regen gestern scheint es heute ein warmer Tag zu werden. Die Sonne lässt feinen Dunst aus den Wiesen und von dem schmalen Kanal aufsteigen, an dem unser Trailer Park liegt.

Ich sitze auf einer der Treppen, die vom Ufer aus steil ins Wasser führen. Obwohl unser Wohnwagen nicht in der ersten Reihe liegt, reicht der Radius meiner Fußfessel bis hier. Die Grundstücke sind winzig und direkt am Kanal stehen fast alle Trailer leer. Die Feuchtigkeit hat sie schimmeln lassen. Ein paar Boote liegen unten im Wasser, die meisten sehen unbrauchbar aus. In einem davon tummeln sich Frösche. Ich beobachte sie eine Weile, doch ablenken können sie mich auch nicht. Ich bin unruhig.

Es war komisch, plötzlich wieder allein in einem Zimmer zu schlafen. Es ist auch seltsam, nicht mehr von der Sirene geweckt zu werden, und den Morgen nicht mehr mit einem Zwei-Meilen-Lauf zu beginnen.

»Hey.« Ein neonfarbenes Paar Turnschuhe erscheint auf der Treppe und ich nehme schnell meine Kaffeetasse weg, damit Cas sie nicht umtritt.

Er setzt sich neben mich und hat anstelle von Kaffee einen Energydrink dabei, um wach zu werden.

»Das Zeug ist ungesund«, sage ich. »Es macht dein Herz kaputt. Und deine Nieren.«

»Ja, ja« erwidert mein Bruder und greift in seinen Rucksack. »Für dich habe ich deshalb auch deine Hackerbrause besorgt.« Damit hält er mir eine Flasche Mountain Dew Code Red hin.

Überrascht sehe ich auf. Das war mein Lieblingsgetränk, wenn ich früher ganze Nächte vor dem PC verbracht habe. Cas wusste immer, was ich tue. Dad nicht. Wofür ich verhaftet wurde, hat er glaube ich bis heute nicht wirklich kapiert.

»Danke«, sage ich, nehme ihm die Flasche ab, drehe sie auf und lasse mir Zeit. Ich schließe die Augen und rieche erstmal an dem süßen Soda.

Cas gibt ein schnaubendes Lachen von sich. »Trinken, nicht schnupfen.«

»Im Camp gab es sowas nicht.« Ich gönne mir einen ersten kleinen Schluck. Der Kirschgeschmack ist unglaublich. Kein teurer Rotwein auf der ganzen Welt könnte besser sein.

»Das Essen war wohl auch scheiße, so wie du gestern reingehauen hast.«

Weil Dad nicht mehr aus dem Schlafzimmer gekommen ist, ist mein Bruder irgendwann mit dem Fahrrad losgefahren und hat riesige Burger für uns besorgt. Mit Chili con Carne und Extrakäse drauf, so wie ich es am liebsten mag. Vermutlich ist das seine Art, mir zu zeigen, dass er sich über meine Rückkehr freut. Geld aus der Haushaltskasse konnte er dafür nicht nehmen. Sie war leer.

»Arbeitet Dad im Moment?«, frage ich. Manchmal kommt er in einer Fabrik am Fließband unter, zumindest für ein paar Wochen. Immer so lange, bis seine Trinkerei auffällt und er rausfliegt.

»M-hm. Als Flachwichser.« Cas kramt in seinem Rucksack und ich sehe ihn fragend an.

»Habt ihr Probleme?«

»Nein, passt schon.« Er zieht eine zerknitterte Schachtel Zigaretten heraus und schiebt sich eine zwischen die Lippen.

Verärgert nehme ich sie ihm weg. »Seit wann rauchst du?«

Cas blickt verwundert zu mir herüber. »Was spielt das für ’ne Rolle?«

»Hast du vergessen, woran Mom gestorben ist? Willst du auch so enden wie sie?«

Im Blick meines Bruders erscheint Spott. Noch so ein Ausdruck, den ich früher nie an ihm gesehen habe. »Nicht jeder, der raucht, bekommt Krebs, Jess. Es stürzt ja auch nicht jeder ab, der in ein Flugzeug steigt.«

Damit will er mir die Zigarette abnehmen, aber ich werfe sie kurzerhand in den Kanal.

Ungläubig blickt Cas ihr hinterher.

»Ich will nicht, dass du rauchst.«

Wieder fixiert mein Bruder mich, urplötzlich wirkt er sauer. »Was soll das, spielst du jetzt neuerdings die Mutter?«

»Cas …«

»Ist ein bisschen komisch, wenn jemand, der frisch aus dem Bootcamp kommt und ’ne elektronische Fußfessel trägt, auf Moralapostel macht, findest du nicht?«

Ich versuche, ruhig zu bleiben. »Ich will doch nur nicht, dass du endest wie unsere Eltern. Wie keiner von ihnen. Und auch nicht …«

»Weißt du was, Jess?« Mein Bruder lässt mich nicht ausreden. »Fick dich selbst und kümmere dich um deinen eigenen Scheiß!« Ganz unvermittelt schlägt er mir die Flasche aus der Hand, sodass sie ebenfalls im Wasser landet. »Gern geschehen.« Damit schnappt er sich seinen Rucksack, steht auf und verschwindet zwischen den Wohnwagen.

Ich blicke ihm nach und atme tief durch. Am liebsten würde ich ihm hinterherlaufen und ihn fragen, was der Mist soll. Aber ich weiß, dass das nichts nützen würde.

Er ist enttäuscht von mir. Und ich kann es ihm eigentlich noch nicht mal übelnehmen.

Ich habe ihn im Stich gelassen, wenn auch nicht extra. Seit Moms Tod war ich immer seine wichtigste Bezugsperson. Das ganze letzte Jahr über hatte er niemanden. Kein Wunder, dass er wütend ist.

»Ich werde nochmal ein Auge zudrücken«, reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken.

Ich schrecke zusammen und sehe mich hastig um. Zuerst glaube ich, dass es Dad ist, dann jedoch tritt ein Typ aus den Nebelfetzen, der deutlich jünger ist als mein Vater. Und den ich im Leben noch nie gesehen habe – das ist mir gleich klar, denn jemanden wie ihn hätte ich mir gemerkt.

»Jessica Aldridge?«, fragt er mit einer dunklen, samtigen Stimme.

Ich mustere ihn misstrauisch. Er trägt eine schwarze Bomberjacke, darunter ein weißes, körperbetontes Shirt. Seine Jeans wirken teuer, sein Haar ist schwarz, kurz und ein wenig gegelt und sein gepflegter Bart ist eher fünf als drei Tage alt.

»Wer will das wissen?«, frage ich und stehe auf.

Der Fremde kommt näher, bleibt an der obersten Stufe stehen und hält mir die Hand hin. »Larry Goldman. Ihr Bewährungshelfer.«

Oh, Shit.

Der Streit mit meinem Bruder macht ja einen tollen ersten Eindruck. Er hätte das nicht mitkriegen dürfen. Wenn ich in Goldmans Augen etwas falsch mache, lande ich ganz schnell hinter Gittern.

Ich eile die Stufen hinauf und schüttle seine Hand. Ich bemühe mich um einen festen Händedruck, doch mein Anblick muss alles andere als souverän wirken: Ich trage nichts außer einem riesigen schwarzen Hoodie. So früh am Morgen hatte ich nun nicht mit meinem Bewährungshelfer gerechnet.