Banana Bottom - Claude McKay - E-Book

Banana Bottom E-Book

Claude McKay

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Beschreibung

Der Harlem Renaissance-Klassiker erstmals auf Deutsch! Banana Bottom, um 1910: Bita Plant ist kaum wiederzuerkennen, als sie nach Jamaika zurückkehrt – in England ist die junge Schwarze zur vollendeten britischen Lady erzogen worden. Reverend Malcolm Craig und seine Frau Priscilla, Bitas weiße Zieheltern, die ihr die Ausbildung ermöglicht haben, sind hochzufrieden – und der perfekte Bräutigam für Bita steht auch schon bereit. Gemeinsam soll das junge Paar in die Fußstapfen der Craigs treten und später einmal die Leitung der Mission übernehmen. Doch Bita fühlt sich magisch angezogen von der karibischen Kultur und ihren leidenschaftlichen, lebensfrohen Menschen. Hin und her gerissen zwischen ihren jamaikanischen Wurzeln und der elitären Welt der Weißen kämpft sie um ihre Identität und darum, ihren eigenen Weg im Leben zu finden. »Ich wollte nie jemand anderes sein als ich selbst.« Bita Plant, Banana Bottom

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Claude McKay

Banana Bottom

Roman

Aus dem Amerikanischen vonHeddi Feilhauer

ebersbach & simon

In Gedenken an Pâcjo

Diese Geschichte spielt im Jamaika des frühen 20. Jahrhunderts und wie in meinen anderen Romanen sind alle Personen frei erfunden – mit Ausnahme vielleicht von Squire Gensir.

Claude McKay

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Anmerkungen der Übersetzerin

Kapitel 1

Jener Sonntag, an dem Bita Plant die Colored Choristers in der blumengeschmückten Aula auf dem alten Klavier begleitete, war der sensationellste in Jubilees Geschichte.

Bitas Rückkehr bescherte den Bewohnern der kleinen Kreisstadt Jubilee und des Bergdorfs Banana Bottom eine höchst ereignisreiche Woche. Sie war das einzige einheimische, schwarze Mädchen, von dem man jemals gehört oder das man gar persönlich gekannt hatte, das im Ausland erzogen worden war. Wahrscheinlich war sie sogar das einzige auf der ganzen Insel. Bita hatte eine Erziehung in England genossen – im Mutterland, wie es von der Presse und den Amtsträgern stets genannt wurde!

Nach gut sieben Jahren sorgfältiger Ausbildung war Bita heimgekehrt. In all den Jahren hatte sie ihr Zuhause und ihre Familie nicht gesehen. Und jetzt saß sie da, eine richtige junge Lady, in einem langen, eleganten Kleid und mit stilvoller Frisur.

Das Pfarrerehepaar Malcolm und Priscilla Craig hatte für alles Sorge getragen. Sie hatten Bita wie ihr eigenes Kind behandelt, ja, sogar an Kindes statt angenommen. Und das Ergebnis war beeindruckend. Alle, die noch das Bild der burschikosen Fünfzehnjährigen vor Augen hatten, wie sie Jubilee im einfachen, kurzen Kleid und mit Bändern in den Zöpfen verlassen hatte, waren voll des Lobes angesichts dieser dunklen Schönheit, die nun zurückgekehrt war.

Belle Black, Dirigentin und Erster Sopran, und ihr Chor zeigten sich allerdings in keiner Weise eingeschüchtert von der höheren Bildung, die Bita jahrelang genossen hatte. Sie hatten sich sogar vorgenommen, sie auf den Prüfstand zu stellen. Also begann Belle Black, stolz und hoch aufgerichtet, ihren Chor vom Anfang bis zum Ende der Kantate in einen regelrechten Wettlauf mit dem Klavier zu führen, ungeachtet aller Tempi oder Taktnotierungen. Bita konnte Schritt halten, obgleich sie die Noten nur einmal kurz durchgegangen war und nicht mit dem Chor geübt hatte. Sie war erst am Samstag zuvor angekommen. Aber es handelte sich um ein relativ einfaches Arrangement.

Die Sängerinnen und Sänger waren begeistert. Ihre exzellenten Stimmen hatten einen guten Ruf in der Gegend, auf den sie sehr stolz waren. Und als das Stück beendet war, umringten sie Bita und gratulierten ihr.

»Du hast hervorragend gespielt!«

»Die perfekte Begleitung!«

»Willkommen in Jubilee!«

»Willkommen zu Hause!«

Diesen Test hatte Bita schon einmal bestanden.

Dann geleitete ihr Vater Jordan Plant sie von einem Grüppchen zum nächsten und sie schüttelte Hände und umarmte Leute aus Jubilee und auch einige aus ihrem Heimatdorf Banana Bottom, die in die Stadt gekommen waren, um sie und die Kantate zu hören.

Bita war ein Mädchen mit Vergangenheit. Sie war noch keine dreizehn gewesen, als sie vergewaltigt worden war. Von Crazy Bow Adair.

Crazy Bow stammte in dritter Generation von einem eigenwilligen Schotten ab, der in den 1820er-Jahren nach Jamaika ausgewandert war. Dieser Schotte kaufte einen weitläufigen Grundbesitz in den Bergen von Banana Bottom, schenkte den Sklaven die Freiheit und nahm die Schwärzeste von ihnen zur Frau. Schon bevor dieser ungewöhnliche Befreier aufgetaucht war, hatten viele Sklaven die Genehmigung erhalten, einzelne Parzellen zu bewirtschaften. Nun teilte der Schotte sein riesiges, neu erworbenes Land in viele kleine Grundstücke auf und verkaufte sie an die dort ansässigen Sklaven.

Seine schwarze Frau gebar ihm viele Kinder. Und diese bekamen wiederum viele Kinder. Seine Nachkommenschaft in Banana Bottom und den umliegenden Dörfern bestand schließlich aus mehr als zwanzig Familien und noch so einigen ungezählten, in den unterschiedlichsten Hautschattierungen von kaffeebraun bis milchkaffeefarben.

Von dem ursprünglich ausgedehnten Anwesen war nur das in die Jahre gekommene, niedrige, lang gezogene Haus, von den Bauern immer noch ›Der Herrensitz‹ genannt, mit seinen umliegenden zehn Morgen Land übrig geblieben. Der Rest war Teil des hügeligen Dorfes geworden, unter dessen Stroh- und Schindeldächern schwarze und braune Familien lebten.

Der Stammbaum des Highlanders hatte sich weit verzweigt und tiefe Wurzeln geschlagen. Seine Enkel wurden hartgesottene Bauern, einige verlässliche Handwerker, so wie der Radmacher und Küfer von Gingertown oder der Gold- und Silberschmied von Jubilee oder der Tischler, dessen fein geschnitzte Möbel sich allgemeiner Beliebtheit erfreuten.

Unter den lokalen Politikern oder Kirchenleuten waren allerdings keine Adair-Nachfahren zu finden. Der ungehobelte Ahnherr war insgeheim ein Feind solcher Wortklauber gewesen und dieser Vorbehalt lebte in seinen Nachkommen weiter.

Auf der Insel war immer noch jener Schlag von Weißen zu finden, die dem Glauben anhingen, dass die Emanzipationsproklamation eine Vermischung von grundverschiedenen Mentalitäten und Gruppen sei und somit eine schlechte Sache. Als Inbegriff dieser Dekadenz und Degeneration sahen sie das Dorf Banana Bottom mit seinen verschiedenartigen Abkömmlingen des ursprünglichen Großgrundbesitzers an.

Crazy Bow war das jüngste Kind einer großen Geschwisterschar aus jenem Teil des Adair-Clans, der noch in dem vor sich hin bröckelnden ›Herrensitz‹ wohnte. Er war ein frühreifer Junge und der erste Adair mit intellektuellen Neigungen. Der Dorflehrer ermutigte Crazy Bows Eltern, ihm eine weiterführende Schule zu ermöglichen. Er konnte sich den Jungen gut auf einem Verwaltungsposten vorstellen oder auch, dass er sich einmal im öffentlichen Leben der Insel hervortun würde.

Neben seiner frühreifen Altklugheit verfügte Crazy Bow über die äußere Voraussetzung, die in dem exotischen Gemisch von Ethnien der Westindischen Inseln unabdingbar war für die Aussicht auf eine der wenigen Positionen mit bescheidenem Einfluss. Während bei den meisten seiner Verwandten ein dunkelbrauner Teint vorherrschte, hatte der seine den Farbton einer reifen Banane. Und diese Tatsache, gepaart mit ein wenig Intelligenz und Zielstrebigkeit, würde ihm einen der bequemen Posten sichern können, die den Hellhäutigen des Öfteren zufielen.

Dem lag die Tatsache zugrunde, dass die Inselkolonie aus drei sozialen und politischen Hauptgruppen bestand. Die Nachkommen der Sklaven stellten drei Viertel der Bevölkerung, sie wurden als schwarz oder dunkelbraun klassifiziert. Ein weiteres Fünftel, deren Vorfahren Europäer und Sklaven gewesen waren, gehörten in die colored oder hellbraune Gruppe. Der Rest setzte sich zur einen Hälfte aus Indern und Chinesen zusammen und zur anderen aus Europäern. Die Grenzen waren allerdings fließend: In der dunkelbraunen Gruppe gab es auch indische oder chinesische sowie europäische Vorfahren, was man zumeist an den Haaren, der Gesichtsform oder der Nase erkennen konnte, wobei die schwarzafrikanischen Merkmale eindeutig das Aussehen dieser Gruppe dominierten. In der Gruppe der Hellhäutigen wiederum wies der eine Teil noch sudanesische Züge auf, während der andere nahezu völlig in der weißen Gruppe aufgegangen war. Die sozialen Strukturierungen jedoch folgten einer sehr feinen Trennung, wobei die hellhäutige Gruppe zwischen der großen schwarzen Masse und der kleinen weißen, regierungsbildenden Schicht stand, die alle wichtigen Posten in Wirtschaft und Verwaltung innehatte.

Crazy Bow war der Erste seines Clans, der nach der Dorfschule von Banana Bottom auf ein Privatinstitut für Jungen nach Jubilee geschickt wurde. Ein beachtlicher Aufwand für einen Bauernjungen, aber der Bananen- und Zuckerrohranbau, die Schweine und Ziegen sicherten seiner Familie ein gutes Einkommen und außerdem betrieb sie den Dorfladen. Die ganze Verwandtschaft war stolz auf Crazy Bow und stattete ihn angemessen aus.

Im ersten Jahr war er ein glänzender Student, diszipliniert und auf die Arbeit konzentriert. Aber danach kam er vom rechten Weg ab und nichts konnte ihn zurückbringen. Schon als Junge war die Musik Crazy Bows Leidenschaft gewesen. Er schnitzte Flöten aus Bambus und erfreute das Dorf immer wieder mit neuen Liedern. Er war ein wahres Imitationswunder, konnte jede Melodie sofort wiederholen und übertraf mitunter sogar den ursprünglichen Interpreten. Was immer er an Instrumenten bei den Bauern des Hügellands fand – ob Geige, Banjo oder Gitarre –, er konnte auf allem spielen. Was ihn jedoch in seiner neuen Schule restlos faszinierte, war das Klavier, dessen Beherrschung er sich dort selbst aneignete. Alles andere war vergessen, der Mathematikunterricht, die Aufsätze und auch seine Ambitionen auf eine Beamtenlaufbahn. Jeder Zuspruch des Direktors war vergebens, der Junge konnte sich einfach nicht mehr zum Lernen aufraffen. Und so musste er nach einigen Monaten nach Hause zurückkehren.

In seinem Bergdorf und der ganzen Umgebung fand er kein Klavier, also blieb er bei der Geige. Er besaß keine eigene, aber spielte auf jeder, die er zu fassen bekam, und die Besitzer überließen ihm ihre Instrumente nur allzu gern. Er beherrschte alle Arten von Musik, ob festliche oder Kirchenlieder, kleine klassische Stücke oder Tanzmusik. Das Dorf akzeptierte diesen harmlosen, verrückten »Fiedelbogen« und alle nannten ihn nur Crazy Bow.

Auch seine unkonventionellen Auftritte wurden toleriert. Ohne Ankündigung steckte er seinen Kopf durch jede Tür, aus der interessante Musik drang, wie das Orgelspiel der kultivierteren Dorfbewohner oder die Chorproben in der Aula, zu deren regelmäßigem Besuch sich Crazy Bow jedoch nicht überreden ließ. Er tauchte einfach auf, setzte sich an die Orgel und unterbrach die Probe mit neuen Chorälen oder auch Tanzweisen. Doch niemand erhob Einwände, alle lauschten sie hingerissen. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit erschien er nur bei den Tea-Meetings, auf denen das Landvolk vom Abend bis in den frühen Morgen sang, das Tanzbein schwang, trank und sich amüsierte. Da nahm Crazy Bow die Einladungen zu zahllosen Gläsern Orangenwein an und schmeichelte seiner Fiedel die wildesten Sequenzen ab, denen die Tänzer mit ekstatischen Bewegungen folgten. Oft geschah es, dass er auf dem Höhepunkt des Treibens plötzlich die Geige niederlegte und verschwand und niemand vermochte ihn aufzuhalten.

Bitas und Crazy Bows Familien waren Nachbarn. Ihr Urgroßvater mütterlicherseits hatte als Erster fünf Morgen von dem Banana Bottom-Land gekauft, sobald es parzelliert und angeboten worden war. Beide Anwesen, das der Plants und des ›Herrensitzes‹, lagen etwas erhöht und erstreckten sich in einem parallelen Bogen bis hinunter zum Cane River, den dort dichte Büschel von Guinea Gras unter den Mangobäumen säumten und wo die Äste der Rosenapfelbäume von Kletterpflanzen überwuchert bis in den Fluss hinunterragten.

Bita hatte als Kind viele Freiheiten genossen und auf ihren Streifzügen durch die Natur eine jungenhafte Unbekümmertheit entwickelt. Sie war ein Siebenmonatskind gewesen und ihre Mutter war bei der Geburt gestorben. Im Dorf sagte man in solchen Fällen, das Kind habe die Mutter getötet, wenn es selbst überlebte. Bita war ein schwächliches Baby und wurde umsorgt und verhätschelt, sowohl vom Vater als auch von ihrer Tante Naomi, die den Platz ihrer Schwester einnahm und auch bald Bitas Stiefmutter wurde. Nachdem sie das fragile Kleinkindalter hinter sich gelassen hatte, wuchs Bita zu einem bemerkenswert starken, selbstständigen Mädchen heran. Sie kletterte auf dem Land ihres Vaters auf alle Mango-, Breiapfel- oder Sternapfelbäume und pflückte die Früchte, sie konnte schwimmen und ohne Sattel reiten.

Crazy Bow kam häufig herüber zu den Plants und blieb auch manchmal zum Essen und wenn er bei Laune war, nahm er die Geige von der Wand. Sein Spiel rührte Jordan Plant mitunter zu Tränen – Tränen der Erinnerung an die Zeit, als er jung und ausgelassen selbst bei Tea-Meetings aufgespielt hatte. Das war lange vor seinem Leben als gesetztes Mitglied des Kirchenvorstands gewesen.

Wie Crazy Bow spielen konnte! Für jeden anderen Geiger in und um Banana Bottom war er nur »Der Meister« und für diejenigen, die gelegentlich in der Stadt klassische Musik hörten, war er ein absoluter Virtuose, der Musiklehrer der Schule sah in ihm einen colored Paganini. Und Reverend Malcolm Craig, der ganz im Sinne seiner Familientradition stets bemüht war, die Leistungen der Einheimischen hervorzuheben, nannte ihn zwar einen irrwitzigen, sündigen Trinker, aber dennoch auch einen begnadeten Musiker. Darüber lachten die Landleute nur, sie hielten ihren tollkühnen Fiedler aus den Bergen nicht für begnadet, denn so etwas gab es nur im Ausland. Selbst dem Gouverneur war seine Größe nur durch sein Amt verliehen, in dem er, wie die Inselbewohner wussten, die wahre Größe eines anderen repräsentierte, nämlich die des Königs. Und der residierte in einem fernen Land, umgeben von anderen Personen von erhabener Größe, von denen wohl niemand auf einer kleinen Inselkolonie leben könnte.

Bita lauschte Crazy Bows Spiel oft gemeinsam mit ihrem Vater. Manche Kinder im Dorf hatten Angst vor ihm, nicht so Bita. Sie traf ihn hin und wieder, wenn sie am Fluss Mangos pflückte, und nachdem sie einmal in den Süßgraswiesen getobt und sich gebalgt hatten, waren sie richtige Freunde geworden, die zu Hause oder sonntags am Flussufer vertraut miteinander umgingen.

Inzwischen war Crazy Bow fünfundzwanzig und Bita zwölfeinhalb und weder Jordan noch Naomi Plant oder sonst jemand dachte sich bei dieser Freundschaft etwas. Crazy Bow war nur ein harmloser Spinner, dem niemand etwas Abartiges zutraute. Er genoss zudem einen großen Vertrauensbonus als Nachkomme des legendären, schweigsamen Schotten, der sich über alle Traditionen hinweggesetzt, mit seiner großartigen Geste Banana Bottom gegründet und zu einem der ersten unabhängigen schwarzen Dörfer gemacht hatte. Alle wären stolz auf Crazy Bow gewesen, hätte er es bei den Büchern ausgehalten und dann eine Stelle im öffentlichen Dienst übernommen.

Eines Sonntagnachmittags tobten Bita und Crazy Bow wieder im hohen Gras am Fluss, als Bita auf seiner Brust landete und ihren Kopf an seinem Gesicht rieb. Er stand so abrupt auf und schubste sie weg, dass sie ein Stück die Böschung hinunterrollte.

Crazy Bow griff nach seiner Geige und begann im Schatten des herabhängenden Guavenbaumes ein Stück zu spielen, das nach Tea-Meeting-Art schließlich in ein Liebeslied überging. Auf allen Vieren kroch Bita zurück und lauschte ihm verzückt. Als er geendet hatte, kletterte sie wieder auf ihn und begann, sein Gesicht zu küssen. Crazy Bow versuchte sie abzuschütteln, aber Bita hielt ihn leidenschaftlich umschlungen. Da konnte er der Versuchung nicht länger widerstehen, verlor jegliche Kontrolle, und es war passiert.

Am frühen Abend wollte Anty Nommy (wie Bitas Stiefmutter und Tante Naomi allgemein liebevoll genannt wurde) mit Bita zum Einkaufen gehen, als ihr auffiel, dass sie nicht wie sonst herumsprang, sondern vielmehr watschelte, als habe sie Schmerzen. Sie sah sich die Sache genauer an und fand Blut in Bitas Unterwäsche.

Anty Nommy hatte die Folgen von Bitas erster sexueller Erfahrung entdeckt und rief voller Panik aus: »Und das noch vor der Zeit!«

Da Jordan Plant mit dem Pferdewagen unterwegs war zu einem weiter entfernten Markt, lief Anty Nommy zu Schwester Phibby Patroll, die als geübte Hebamme das Geschehene bestätigte und der Bita gestand, dass Crazy Bow derjenige gewesen war.

Schwester Phibby Patroll gehörte zum Delgado-Clan aus der Umgebung von Banana Bottom und war neben ihrer Tüchtigkeit bekannt dafür, dass sie alles wusste und nichts für sich behalten konnte. Sie rühmte sich, eine Schwangerschaft schon vor der betroffenen Frau zu erkennen, und sie hatte schon manch einem Baby einen anderen als den offiziellen Vater zugeordnet. Als Jordan Plant schließlich nach Hause kam, war die Deflorierung seiner Tochter bereits überall das Tagesgespräch. Er hätte die Sache am liebsten vertuscht, aber dazu war es zu spät. Crazy Bow wurde verhaftet, verurteilt und in eine Institution eingewiesen.

Der Stolz und die Freude des Pastorenpaars Malcolm und Priscilla Craig über Bita als gelungenes Ergebnis ihrer guten Absichten war unverhohlen groß. Nach der Choralkantate gaben sie einen Empfang auf der Veranda des Missionshauses, die von Jamaikas immergrüner und blühender Pflanzenfülle wie Wunderstrauch, wilder Banane und Tannia beschattet wurde, und vom Garten her schickten Lobelien, Hibiskus, Glockenblumen und Heckenkirsche ihren intensiven Duft herüber.

Die Ankündigung der Veranstaltung mit den Colored Choristers, begleitet am Klavier von Bita Plant, hatte einen guten Teil der örtlichen Elite herbeigelockt. Da versammelten sich ein Rechtsanwalt und ein spanisch-jüdischer Geschäftsmann, der Postvorsteher und der Apotheker, der Zahnarzt und vier Vorstände von vier Konfessionsschulen mit ihren Ehefrauen auf dem weiten, holzgeschnitzten Treppenaufgang, alle festlich gekleidet und mit überschwänglich herzlichen Willkommensgrüßen für Bita auf den Lippen. Dahinter drängte das gewöhnliche Kirchenvolk herein, die Chormitglieder in bunt bedruckten Gewändern, junge Männer mit frisch gestärktem Kragen und Frauen der älteren Generation mit strahlenden Gesichtern unter ihren bunt leuchtenden Bandanas.

Dies war der Tag, an dem alle Freuden der klerikalen Karriere von Pastor Malcolm Craig und Pastorin Priscilla Craig zusammenkamen und gefeiert wurden. Mit allem gebotenen Gotteslob genossen sie demütig und überglücklich ihrer Hände Werk: Dieses afrikanischstämmige Bauernmädchen hatten sie von einem braunen Wildfang in eine anständige, kultivierte junge Lady verwandelt.

Bita war die kostbare Blüte, die ihre großartige Arbeit hervorgebracht hatte. Und es war nicht nur das Werk von Malcolm und Priscilla Craig, sondern das der Pioniere, die vor ihnen das Feld beackert hatten und deren lebendiger Atem ihr Tun immer noch durchströmte.

In jener glorreichen Epoche zwischen dem Ende des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts hatte eine Gruppe begeisterter Nonkonformisten sich aufgemacht zu dem berühmten und fruchtbaren Sklavengürtel in der Neuen Welt, um den Wilden das Wort des Herrn zu predigen. Um den Dschungelgeschöpfen das Licht zu bringen. Schnell wurde ihnen dabei klar, dass das Licht des Wortes nicht ohne Unterricht zu vermitteln war. Wobei natürlich diejenigen Leute, die ihren Profit daraus zogen, dass sie die Schwarzen im Dunkeln ließen, gegen jegliche erhellende Unterrichtung waren. Was wiederum einen Kreuzzug für Freiheit und Aufklärung für die Menschen im Dschungel nach sich zog. Dabei stürzten sich einige Nonkonformisten innerhalb Europas auf die Befürworter der religiösen und sozialen Sklavenausbeutung, andere gingen direkt hinaus, in die Arbeit vor Ort. Sie wurden allgemein Missionare genannt, bei näherer Betrachtung wird man jedoch den Unterschied zwischen den damaligen Überzeugungen ihrer besten Vertreter und den heute so genannten bemerken.

Viele der damaligen Missionare glaubten, dass sie nur in dieser Tätigkeit dem damals heftig verfochtenen Ideal der allgemeinen Menschenrechte dienen könnten. Sie kamen aus allen Schichten, von überall her. Ob aufgeklärte Sprösslinge alteingesessener Familien oder solche, die arm an Mitteln, aber reich an Überzeugung waren – alle kämpften sie Schulter an Schulter, wie die Soldaten einer Armee.

Malcolm Craig stammte von dieser Missionarslinie ab. Sein Großvater hatte die Missionsstation in Jubilee gegründet, das Zentrum, um das sich die Stadt anschließend entwickelt hatte. Er war nicht verwandt mit einem der großen, bis heute bei den Einheimischen legendären Namen, im Gegensatz zu seiner Frau, die aus einer der alten, bekannten Familien stammte, die einen berühmten Abolitionisten hervorgebracht hatte. Die Inselkolonie barg eine Vielzahl solcher Namen und die lokalen Zeitungen erforschten mitunter den Hintergrund dieser Persönlichkeiten und brachten interessante Berichte über Kreolen, die angaben, dass ihre Vorfahren in europäische Annalen von Wissenschaft, Politik, Krieg oder Gesellschaft eingegangen waren.

Am Ende stimmten alle fröhlich in die Bach-Kantate des Chors ein: Herr Gott, dich loben alle wir.

In der ersten Reihe, eingerahmt von den Diakonen und Kirchenvorstandsmitgliedern, sangen Malcolm und Priscilla Craig kräftig mit. Gelobt sei Gott für alles. Für die Kantate. Für den Chor. Für die Mission. Für die Liebe der Einheimischen zur Religion. Und für Bita.

Priscilla Craigs stets ernstes Gesicht war errötet und ein nahezu begnadetes Licht leuchtete darauf, während sie sang und – sehr zart neben ihrem kräftigen Ehemann – dabei an ihr Werk und seine Vollendung dachte.

Kapitel 2

Wozu ein Kleid aus Seide,

und goldenes Geschmeide,

denn kommt ein Prinz als Mann,

war Crazy Bow schon als Erster dran.

Bitas Vergewaltigung durch Crazy Bow und seine Verurteilung hatten die Musiker des Ortes zu diesem anzüglichen Liedchen inspiriert, das bald in der ganzen Gegend geträllert wurde. Es zielte nicht nur auf die Tat ab, sondern auch auf Jordan Plant. Hatte er nicht das beste Stück Land in Banana Bottom erworben und gehörte außerdem zum Kirchenvorstand? Zudem war er der beste Freund von Malcolm Craig, dessen Großvater die Mission gegründet hatte. Man war sicher, dass Plant für Bita, sein einziges Kind, eine gute Erziehung vorgesehen hatte. Nach der Dorfschule würde sie wahrscheinlich auf eine mittlere, vielleicht sogar bessere Mädchenschule geschickt werden. Und nun, noch vor ihrem dreizehnten Geburtstag, war sie in den tiefen Abgrund gestürzt, der sich zwischen dem einfachen Landleben und allen höher gesteckten Zielen aufgetan hatte.

War es nicht vielen so ergangen? Die Jugend Afrikas, fern der Heimat, erhob sich selbstständig aus den Baracken und Hütten, sie strebte vorwärts, den Blick ins Licht gerichtet, das eine weiße Hand ganz weit oben in die Höhe hielt – und dann ließ die süße Versuchung des Fleisches sie stolpern, unrühmlich abstürzen. Bestrebt, eine Laufbahn in Kirche oder Schule einzuschlagen, entsprechend ihrer bäuerlichen Herkunft, fanden sie sich unversehens in jener tiefen Grube wieder, aus der es kein Entrinnen gibt. Hübsche, dunkelhäutige Mädchen und auch begabte Jungen waren es und sie zielten auf ein Leben in der Stadt. Doch zurückgeworfen auf die Zuckerrohrfelder zogen sie schließlich ihre schwarzen Babys im Schatten der Bananenstauden auf.

Von solch bitteren Niederlagen und enttäuschten Hoffnungen hatte die arme kleine Bita allerdings nicht die leiseste Ahnung …

Schwester Phibby Patroll gelang es als Erster, den Craigs in Jubilee die Geschichte zu überbringen. Mit Banana Bottom fühlten sie sich nicht nur christlich, sondern auch persönlich verbunden, denn schließlich war es Crazy Bows Urgroßvater gewesen, der Malcolm Craigs Großvater das Land für die Missionsstation überlassen hatte. Der alte Schotte war zwar aus Prinzip gegen die Predigerei, aber die engagierte Arbeit der nonkonformistischen Pioniere auf den Westindischen Inseln rang ihm eine gewisse Bewunderungab.

Schwester Phibby hatte sich gleich auf den Weg gemacht und, da kein Markttag war, als Vorwand für ihren Besuch bei den Craigs ein Dutzend zarter Zuckerrohrspitzen mitgebracht. Auch wenn sie die Neuigkeit als gute Christin mit angemessenem Bedauern überbrachte, so schien ihr braunes Gesicht doch eine geheime Befriedigung auszudrücken, wie über eine gelungene, wenn auch etwas zu früh geschehene Tat. In Priscilla Craigs Miene spiegelte sich dagegen gefasste Besorgnis. Ihr Gesicht zeigte eine über Generationen erworbene nordische Reserviertheit, es sprach auf faszinierende Weise von christlicher Rechtschaffenheit, Enthaltsamkeit und gütiger Zuwendung.

Wenn es etwas gab, über das Priscilla Craig und ihre Mitstreiterinnen in Christus sich einig waren bei der Beurteilung von Fehlern und Tugenden der einheimischen Bevölkerung, dann war es deren mangelnde Zurückhaltung. Soweit es zivile Gesetze betraf, befolgten sie alle Regeln. Aber in moralischer Hinsicht waren sie viel zu nachlässig. Sie schienen keinen Sinn für eine höhere gesellschaftliche Existenz zu haben. Sex spielte für sie eine zu große Rolle und machte zu oft die Karriereaussichten für vielversprechende junge Leute zunichte. Denn es fehlte ihnen an der Selbstbeherrschung und Kontrolliertheit, die Menschen einer höheren, komplexeren Gesellschaftsordnung auszeichnete; sie waren offenbar nicht in der Lage einzusehen, welche Schande ihre Bastarde in einer christlichen Gemeinschaft bedeuteten.

»Das arme Kind!«, sagte Priscilla Craig.

»Ja, armes Kind«, echote Schwester Phibby. »Aber was die Leute so sagen, war sie mächtig frühreif zugange.«

»Kein Grund, sie zu missbrauchen«, entgegnete Priscilla Craig.

»Oh, die Versuchung, Missis«, seufzte Schwester Phibby, »und noch dazu is der arme Kerl verrückt im Kopp und was kann so’n Zurückgebliebner schon tun gegn so ’ne riesengroße Versuchung?«

»Zu Gott beten, natürlich, Schwester Phibby«, sagte Mrs. Craig.

Jordan Plant traf Vorbereitungen, Bita zu Verwandten in die Stadt zu schicken, aber noch bevor er dazu kam, dies in die Tat umzusetzen, fuhren Malcolm und Priscilla Craig nach Banana Bottom, um mit ihm zu sprechen. Der Besuch überraschte Jordan Plant und der Vorschlag, den sie ihm unterbreiteten, versetzte ihn vollends in Erstaunen. Sie teilten ihm mit, dass sie bereit seien, Bita bei sich aufzunehmen und ihr eine gute Erziehung angedeihen zu lassen, kurz gesagt, sie an Kindes statt anzunehmen. Er, Jordan Plant, hätte natürlich jederzeit das Recht, sie nach Hause zu holen oder sie zu besuchen. Noch am selben Tag fuhr Bita in der Kutsche der Craigs als ihre Adoptivtochter mit ihnen nach Jubilee.

Es war eine Anregung von Mrs. Craig gewesen, die der Ansicht gewesen war, dass sie etwas tun müssten für Bita. Es war ihr ans Herz gegangen, dass ein Kind, noch dazu ein vielversprechendes, mit einem Schlag all seine Chancen verlieren sollte. Das ganze Geschehnis brachte sie schließlich auf die Idee, Bita als Paradebeispiel zu nutzen. Man konnte sich unschwer vorstellen, was mit diesem Stigma aus ihr werden würde; die Gegend war voll von solch kümmerlichen Mädchen, die viel zu früh schamlos zur Frau gemacht und allein gelassen worden waren. Mrs. Craig fasste den Entschluss zu demonstrieren, was aus einem von ihnen durch eine sorgfältige Erziehung werden konnte … mit Gottes Hilfe.

Und für Malcolm Craig, diese aufrichtige, herzensgute, Gott allzeit preisende Seele, war es durchaus möglich, in dem Missbrauch Bitas und ihrer Zuflucht unter sein Missionsdach sogar einen Hinweis auf Gottes unergründliche Wege zu sehen. Hier bot sich ihm die Gelegenheit, ganz zu der Familienfreundschaft zu stehen, die mit seinem Vater zwischen den Craigs und den Plants, zwischen dem weißen und dem schwarzen Mann, begonnen hatte. Diese tief empfundene Freundschaft, die zurückging auf die Zeit, als Jaban Plant, Jordans Vater, zusammen mit Reverend Angus Craig die Kaffeekrise durchgestanden hatte.

Als einheimischer Sohn Jubilees war Jaban Plant zum Agenten und Einkäufer der lokalen Produkte, vorzugsweise Kaffee, geworden; er erkundete die unzugänglichsten Wege zu den besten Bohnen und brachte sie auf Eselsrücken nach Jubilee.

Die Hauptangebotszeit für Kaffee war gewöhnlich um Weihnachten herum und dann war der Verkaufspreis am niedrigsten. Später, bis zum Frühjahr, stieg der Preis mitunter bis auf das Doppelte, aber die armen Bauern, die ihren Lebensunterhalt immer nur von Ernte zu Ernte bestritten, hatten keine andere Wahl, als ihre Produkte immer sofort in der Hochsaison zu verkaufen. Ständig beschwerten sie sich, dass die weißen Großhändler ihre Situation ausnutzten, wohl wissend, dass die Bauern ihren noch so schmalen Erlös dringend brauchten.

In einem Jahr stieg der Pfundpreis zwischen Weihnachten und dem Frühjahr von drei bis über neun Pence und die Bauern beklagten lauthals ihre nachteilige, missliche Situation. Reverend Angus Craig empfand nicht nur Mitleid mit den Farmern, sondern sann auf Veränderung, und erdachte für das Folgejahr ein neues System: Die größeren Kaffeeanbauer sollten ihre Ernte gemeinsam einlagern und zurückhalten, bis im Frühjahr der Verkaufspreis wieder anstieg.

Für Angus Craig war es ebenso selbstverständlich, sich um die praktischen Belange seiner Gemeinde zu kümmern, wie für sie zu beten, denn er fühlte so etwas wie die Verantwortung eines Patriarchen für Jubilee. War nicht aus der Kapelle aus Palmzweigen, die sein Vater inmitten der wenigen Häuschen gebaut hatte, um gemeinsam mit den Schwarzen Gott zu verehren, inzwischen ein geräumiges Steinhaus der sogenannten Free Church in einer kleinen Stadt geworden?

Seit damals, nach der Emanzipationserklärung, waren die Wesleyaner gekommen und die Presbyterianer und sogar die Anglikaner – die von den Nonkonformisten in der heißen Phase des Konflikts um die Abschaffung der Sklaverei noch als Anti-Christen tituliert worden waren.

Die Missionsgründungsstätte hatte der überzeugte Abolitionist Craig in der Freude über die Emanzipationserklärung Jubilee Free Church genannt. Sie stand unter den nonkonformistischen Ausrichtungen den Baptisten am nächsten. Aber sie war unabhängig, auch wenn es zur Zeit der Missionsgründung unter den Nonkonformisten die Bestrebungen eines Zusammenschlusses gab, und zwar gegen die Anglikanische Kirche, wegen deren mangelnder Distanzierung von der Sklaverei. Es war nicht vergessen, dass auf den riesigen Anwesen der frommen, aristokratischen Sklavenhalter viele anglikanische Kirchen gestanden hatten.

Die Free Church von Jubilee war nicht konfessionsgebunden; und obgleich sie keine strikten Aufnahmeregeln hatte und wie bei der Taufe durch Untertauchen auch andere Riten akzeptierte, gab es nur drei weitere Free Churches in der ganzen Kolonie.

Angus Craigs Vorschlag zur Lagerung des Kaffees wurde von den Einheimischen begeistert aufgenommen und unter der Kampagne ›Free Church Coffee-Pool‹ hielten alle Bauern ihre Ernte zurück. In dem Jahr entwickelte sich der Preis im Spätherbst schon besser als in den Vorjahren und die Bauern sahen jubelnd einem Rekordpreis im kommenden Frühling entgegen. Aber nach dem Winter fiel der Kaffeepreis plötzlich auf das tiefste Niveau für das westindische Produkt und erholte sich nicht mehr. Die Bauern, die schon zu Weihnachten wegen der fehlenden Einnahmen statt eines Festessens aus Schweine- oder Geflügelfleisch mit gekochten Bananen und Salzhering Vorlieb nehmen mussten, kamen immer mehr in Bedrängnis. Reverend Craig ging herum und ermutigte sie zum Durchhalten und sie vertrauten auf Gott und auf steigende Marktpreise. Aber der Preis fiel und fiel.

Einige der Einheimischen, die für die weißen Inhaber als kleine oder mittlere Angestellte in Geschäften, in Baufirmen oder im Inlandsvertrieb arbeiteten und sich deshalb denjenigen überlegen fühlten, die den Boden beackerten, machten sich nun mit ihren angeblich fundamentalen Kenntnissen über die Geschäftspraktiken in Stadt und Land wichtig. Und diese Leute verbreiteten die Geschichte, dass die Großhändler mit voller Absicht die Kaffeepreise hätten einbrechen lassen, weil sie die Bauern für ihre freche Lagerungs-Kooperation bestrafen wollten.

Die Kaffeesäcke wurden in den Stallungen der Mission aufbewahrt. Reverend Angus Craig sagte, das Beste wäre, sie weiterhin dort zu lassen, um im folgenden Jahr auf den steigenden Preis zu warten. Er nahm Hypotheken auf das Missionsanwesen auf und verteilte das Geld an die Bauern, die es am dringlichsten brauchten. Die nächste Ernte war üppig, die Sträucher bogen sich unter den roten Kaffeekirschen, und es wurden sogar noch mehr Säcke eingelagert als im Vorjahr. Aber der Preis fiel weiter zu Weihnachten und er fiel im Frühjahr sogar noch tiefer als jemals zuvor.

Schuld war der brasilianische Kaffee, der plötzlich den Weltmarkt überflutete und den westindischen Kaffee genauso verdrängte, wie es Jahre zuvor die Zuckerrüben mit dem westindischen Zuckerrohr gemacht hatten – was im Übrigen damals die Bewirtschaftung großer Plantagen unprofitabel gemacht und damit indirekt zur Befreiung der Sklaven beigetragen hatte.

Angus Craig riet schließlich zum Verkauf. Es kam ihn bitter an. Er war der Sohn des Gründers von Jubilee, also war sein Prestige, seine ererbte Position als Verfechter der Interessen der Schwarzen und als ihr wichtigster Pastor, verknüpft mit dieser unseligen Affäre.

Die Bauern fingen an zu murren. Einige Zeit vor diesen Ereignissen hatte Angus Craig seinen neuen Assistenten Jakob Brown entlassen müssen; wie es hieß aus Redlichkeitsgründen. Dieser Assistent verkörperte den neuen Missionarstypus, dem der Geist und die Arbeit der Abolitionisten fremd waren. Er kam aus einer englischen Institution für Straßenkinder und wurde in die Kolonie geschickt, als seine christliche Wohltätigkeitsausbildung beendet war.

Verstoßen aus dem baptistischen Schoß und ohne die Möglichkeit, sich bei anderen Konfessionen zu platzieren, sah Jakob Brown in eine trübe Zukunft, weil er auch bei den Einheimischen keinen Rückhalt hatte. Da kam ihm die zündende Idee, den Groll der Bauern gegen Angus Craig für sich zu nutzen. Jakob Brown stachelte das Gemurre an und verstärkte es mit seinen versteckten Anspielungen und gewisperten Andeutungen. Und schon bald hieß es unter den gutgläubigen Einheimischen, dass Angus Craig einen Deal mit den Großhändlern gemacht habe; er habe die Bauern nur zur Lagerung überredet, weil sie aus unerfindlichen Gründen Verluste machen sollten.

Das Nächste, was die erstaunten Bewohner von Jubilee von Jakob Brown sahen, war, dass er umherzog, Hymnen der Heilsarmee sang, die große Trommel dazu schlug und die Menschen einlud ihm zu folgen. Und das taten sie. Sie waren erst eine oder zwei Generationen vom Sklavendasein entfernt und sie hatten fest auf ihren Pastor vertraut, den Erben desjenigen Führers, der sich für ihre Freiheit eingesetzt hatte. Sie hatten ihm ihre spirituelle und materielle Existenz anvertraut. Er hatte sie enttäuscht. Sie hatten Verluste erlitten. Ihr Glaube an ihn war erschüttert.