BASTARDS - J. S. Wonda - E-Book
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BASTARDS E-Book

J. S. Wonda

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Beschreibung

Der aufstrebende FBI-Agent Landon Mulvaney hat vor langer Zeit einen Plan geschmiedet, um sich an den Carpenters zu rächen. Der einfachste Weg zu diesem Ziel führt über Jade, die einzige Tochter der elitären Familie. Auf einer der vielen glamourösen Partys New Yorks versucht er die junge Studentin zu verführen. Doch er ist nicht der Einzige, der Jade für sich gewinnen will. Das It-Girl der Upper East Side wird noch am selben Abend entführt. Wer ist der mysteriöse Fremde? Ist die Mafia selbst hinter ihr her? Schnell zieht sich das Netz der Intrigen enger um Jade und sie verliert gleich an zwei Männer ihr Herz. Aber wer von den beiden will ihren Untergang? Und wer wird sie retten? JADE Der Familienname Carpenter steht in New York für ein reiches, elitäres und verdammt herzloses Elternhaus. Insofern kann ich meiner Mutter keinen Vorwurf machen, dass sie mich nicht wie ihre eigene Tochter behandelt. Und sie kann mir keinen Vorwurf machen, dass ich neben meinem Alibi-Studium an der NYU mit Kokain deale. Das hätte ewig so weiterlaufen können, wäre mir nicht dieser schrecklich attraktive FBI-Schnösel Landon Mulvaney vor die Füße gerannt. Er kennt mein Geheimnis. Und dann rettet er mich auch noch vor meinem nicht minder interessanten Entführer. Aber ehrlich? Das hat ihn nicht in meiner Gunst aufsteigen lassen. Schließlich muss ich wissen, warum ausgerechnet die Mafia Interesse an mir zeigt. Ihr wollt spielen? Dann macht euch aufs Verlieren gefasst! Dieses Buch endet in sich abgeschlossen. Bitte das Vorwort beachten.

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BASTARDS

J. S. WONDA

BASTARDS

Copyright: J. S. Wonda, 2018, Deutschland

Neuauflage 2023

ehemals BROTHERS: Spiel um Rache

Bildmaterial: Shutterstock.com, freepik.com

Gute Fee: Iris Gierga

Korrektorat: Claudia Matheis

Zweitkorrektur: Veronika Schlotmann-Thiessen

Alle Rechte vorbehalten.

Jane S. Wonda

Am Himmelkamp 10

30890 Barsinghausen

www.facebook.com/janeswonda

Instagram: @janes_wonda

TikTok: @janes.wonda

www.wondaversum.de/shop

INHALT

Soundtrack

Vorwort

Jade

SMS

Jade

SMS

Caleb

Landon

SMS

Jade

SMS

Jade

Caleb

Jade

SMS

Jade

Landon

Jade

SMS

Jade

SMS

Caleb

Jade

Landon

Jade

Jade

SMS

Caleb

Jade

Caleb

Landon

Jade

Caleb

Jade

Jade

Jade

Landon

Jade

SMS

Jade

SMS

Caleb

Landon

Jade

SMS

Landon

Jade

SMS

Jade

Landon

Jade

SMS

Jade

SMS

Jade

Jade

Caleb

Landon

Jade

Jade

Jade

Caleb

Landon

Jade

Jade

Caleb

Jade

Jade

SMS

Landon

Jade

Landon

Caleb

Landon

Jade

Epilog

SMS

Die Geschichte von Jade, Landon und Caleb geht in Sisters weiter …

Nachwort

DANKSAGUNG

SOUNDTRACK

Havana

Camila Cabello, Young Thug

(Nummer 1 Inspirationshit)

By You

Noraa

(Nummer 2 Schreibhit)

Almost Like This

Andrew Applepie

(Nummer 3 Hit)

Die vollständige Playlist gibt es auf Spotify.

Vielen Dank an die Musiker und Künstler.

Für alle, die New York lieben.

Für alle, die Havana lieben.

Für alle, die lieben.

Und für alle, die lieben, wen sie wollen.

VORWORT

Wenn du dieses Buch liest, könnte es dir passieren, dass du an Grenzen gerätst, die das Genre so mit sich bringt. Dabei rede ich nicht von Sex. Nicht von Blut. Nicht von Thrill. Ich rede davon, dass du gleich eine Welt betrittst, die frei von Vorurteilen ist, auch wenn einige Vorurteile sicherlich nicht verkehrt wären. Zum Beispiel behaupten viele Menschen, es sei eher nicht geil, mit Drogen zu dealen oder sich auf Bad Boys (in Mehrzahl) einzulassen. Wenn du merkst, dass deine Grenze bereits auf den ersten Seiten überschritten wird, schlag das Buch schnell zu und rufe dreimal laut: »Ich bleibe bei meinen braven Büchern!«, damit die Wörter aufhören, ihren Sog auf dich auszuüben. Niemand wird dich in diesem Buch nach einem Safeword fragen, also solltest du lieber gehen, bevor es zu spät ist.

Denn irgendwann ist es zu spät.

Immer.

JADE

In meine Handtasche passten 80 Tütchen Kokain. 

Jedes Tütchen kostete 100 Dollar. 

Eine einfache Rechnung genügte, um zu erfahren, wie viel ihr Inhalt wert war. 

Beim Packen meines abendlichen Accessoires fragte ich mich häufiger, wozu ich eine Handtasche mitnehmen sollte, wenn ich sie nicht randvoll mit Kokain füllen würde. Womit füllte eine Frau sonst eine winzige paillettenbestickte 2000-Dollar-Clutch? Wozu trug sie das Täschchen den gesamten Abend durch die Gegend, machte damit gestellte Fotos vor der Boulevard-Presse, klammerte sich daran beim Smalltalk fest und schleppte es mit aufs Klo? 

Ich brauchte für eine Party zwei Dinge, die ich auch an anderen Orten unterbringen könnte, wenn ich nicht sowieso eine Dolce-Clutch dabeihätte: meinen kirschfarbenen Lippenstift, ein Kondom oder zu gewissen Zeiten im Monat einen Tampon. 

That’s it, Baby. Bleib mir mit all deinem Girly-Make-up-Scheiß und deiner diamantenverzierten Powerbank vom Hals. Ich nahm nicht einmal ein Handy mit. Wenn ich arbeitete, konnte ich keine Ablenkung gebrauchen. 

Außerdem entstand das Social Media  erst dort, wo ich mich aufhielt  – wozu über mich posten, wenn es doch zig andere Leute um mich herum taten? Ich gehörte als Carpenter-Tochter zur Rich-and-Famous-Sparte New Yorks und war nicht nur bei den Türstehern der angesagtesten Clubs beliebt. Es gab viele Frauen, die um meine Freundschaft buhlten, und noch mehr Junggesellen, die es auf den Reichtum meiner Familie abgesehen hatten. Meine Rettung aus dieser Oberflächlichkeit: Sex, Drugs and Black Music. Ich suchte den Namen des sexy Typen nicht erst auf Facebook, bevor ich ihn vögelte, und es kam vor, dass man mich beim Sex filmte. 

Aber, hey! Who cares? Das war nun mal die einzige Möglichkeit, der Langeweile in den oberen Stockwerken der Upper East Side zu entfliehen. 

Mach dein Leben so interessant, dass du gar nicht erst einen Selfie-Stick brauchst, um fotografiert zu werden. 

Mit einem sanften Klick schloss sich die hübsche Dolce-Clutch und ich betrachtete mich zusammen mit meinem tütchenbepackten Heiligtum im Spiegel. 

Ich war verdammt hübsch. 

Anstatt wie die meisten meiner ›Freundinnen‹ zu hungern, trieb ich Sport, weshalb mein Körper wohldefiniert war. Und eine wohlgesonnene Göttin hatte vor meiner Geburt entschieden, dass meine Augen mandelförmig, meine Lippen geschwungen und meine Brüste voll sein sollten, während meine Taille sich perfekt in einer weichen Hüfte ergießen würde. 

Zusammen mit dem roten Versace-Kleid, das nicht zu viel zeigte und nicht zu viel verbarg, gab ich die perfekte Sexbombe ab. Die halbe Upper East Side wollte mit mir schlafen, daran hatte ich mich längst gewöhnt. 

Ich strich ein letztes Mal meine Haare glatt, sodass sie in geradliniger Perfektion über meine Schultern fielen, und verließ das Bad. Meine Laune sank, sobald mein Spiegelbild nicht mehr die einzige Person mit mir im Raum war  – denn es gehörte zu meinem Leben, mein Innerstes zu verbergen, und soweit ich mich zurückerinnern konnte, war das Badezimmer mein einziger Zufluchtsort zu mir selbst gewesen. Sogar in meinem Schlafzimmer wuselte das Hausmädchen herum, weil sie den Hinweis einer geschlossenen Tür verkannte, und außerhalb meiner drei Räume im oberen Teil des Penthouses verhielt ich mich sowieso wie ein ganz anderer Mensch. 

Mein Lächeln hatte sich längst in meine Lippen gebrannt, meine stets damenhafte Haltung war perfekt einstudiert und mein Tonfall glich der einer italienischen Primadonna während einer ihrer Arien. 

Ich war durch und durch darauf trainiert, in der High Society zu überleben. 

In den Wolkenkratzern New Yorks überlebte man nur auf diese Art. 

Als ich nach dem Geländer griff und meinen eleganten Treppenabgang nach unten begann, atmete ich ein letztes Mal tief durch. Der Abend würde lang werden und ich musste erfolgreich sein, denn jeden Dollar, den ich verdiente, hatte ich auch dringend nötig. Schwarzes Geld war zurzeit mein einziges Ticket in ein bisschen Freiheit. 

Auf der mittleren Treppenstufe hielt ich abrupt inne. In unserem Eingangsfoyer wartete ein Mann. Einer dieser Lackaffen im Anzug. Er betrachtete das abstrakte Gemälde von Michael Goldberg, als würde er in dem Sammelsurium aus Farbklecksen mehr erkennen als die Verarsche all der grandiosen Künstler des vorherigen Jahrhunderts. 

Michael Goldberg war nichts gegen den Expressionismus von Kandinsky, aber das schien er nicht zu wissen. 

Die Schultern des Mannes waren breit, sein Haar kurz. Etwas verriet mir, dass er nicht die Begleitung meiner Mutter war, denn er wirkte wesentlich jünger als sie. 

Mist. Sie hatte letztens Andeutungen gemacht, sie wolle mir jemanden vorstellen. Seit wann machte sie ihre Drohungen wahr? Und warum ausgerechnet heute Abend? Ausgerechnet dann, wenn ich nur noch knapp bei Kasse war? 

Ich gaffte ihn einen Moment zu lange an, denn unser Gast erwischte mich beinahe dabei. Im letzten Moment richtete ich mich wieder auf und ging die Treppe weiter hinunter, als wäre nichts gewesen, während er sich wendig herumdrehte. 

Sein blasiertes Lächeln hasste ich schon jetzt. Er mochte attraktiv sein, aber alles, was ich sah, waren die weiß gebleachten Zähne, die perfekt gelegte Frisur und der bescheuerte Maßanzug, der dadurch, dass jeder in meiner Bekanntschaft einen trug, nicht mehr besonders wirkte. Dieser Typ war einer dieser geldgierigen Schwanzlutscher, die ihr Leben damit verbrachten, morgens an die Wall Street zu fahren, um Millionen zu spekulieren, und abends wieder nach Hause zu fahren. Die Wochenenden verbrachten sie in den Hamptons, Weihnachten in Florida. 

Sie würden von Mummy und Daddy mehr erben, als eine amerikanische Großfamilie in dreihundert Jahren verdient, und sie wussten es. 

Sie wussten, wie unfassbar geil und begehrenswert sie waren. Und dieser Typ lächelte mich auf dieselbe unerträgliche Bonzen-Art an, wie jeder andere, der dachte, ich, die einzige Tochter im wohlhabenden Hause Carpenter, wäre darauf aus, einen von ihnen zu heiraten. 

Ich lächelte zurück. 

»Jade?« Meine Mutter erschien im Durchgang zum Essbereich. Ihr Abendkleid schimmerte in einem kühlen Blau und ihre blonden Locken steckten in einem kunstvollen Dutt. »Landon wird uns heute Abend zur Party begleiten. Habe ich euch bereits vorgestellt?« 

Meine Mom: das gerissenste Verbrecher jagende Biest dieser Stadt. 

Ihr Faible: so zu tun, als bestünde ihr Alltag lediglich aus Wattewolken-Basteleien und Do-it-yourself-Erlebnistherapie. 

Ihr Geheimnis: genau das in ihrer Freizeit zu tun. Rotary Club, Kinder-für-Arme, Geschenke nach Afrika schicken, all das war total ihr Ding, während sie den Tag über mit einer Waffe herumstolzierte und allen Agenten unter sich zeigte, wie wenig Herz sie besaß. 

Mein Problem: Wir hassten uns abgrundtief. Wobei sie vermutlich glaubte, ich wisse nichts davon. 

»Nein, das hast du noch nicht getan«, gab ich zuckersüß zurück. »Und falls doch, tut es mir leid, wenn ich es vergessen haben sollte.« Mein Gehirn kotzte regelmäßig, wenn ich den Mund im Beisein meiner Familie öffnete. 

»Nicht schlimm«, unterbrach sie mich schnell. »Landon, meine Tochter Jade. Jade, Landon Mulvaney. Einer der aufstrebendsten Agenten, die ich während der letzten Jahre begleiten durfte. Ich hatte dir von ihm erzählt und dass er heute Abend  …« 

Ich blendete ihr Gerede aus. 

Landon Mulvaney streckte mir die Hand entgegen und ich schwor mir bei Gott, sie so bald wie möglich zu waschen, als ich nach ihr griff. Sein Händedruck war fest und seine Augen leuchteten unheimlich intensiv, aber all das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nun einmal ein Lackaffe der oberen Zehntausend war und auch noch versuchte, in der beschissensten Vereinigung Amerikas  –  dem FBI  –  Fuß zu fassen. 

Das war definitiv ebenso schlimm wie ein Job an der Wall Street. FBI, Banken, Politik  … Es ging immer nur darum, den Status quo am Laufen zu halten und niemals etwas zu verändern. Schon gar nicht zum Positiven. Damit brauchte mir auch dieser Landon nicht kommen, dessen Lächeln immer schlimmer und bekloppter wurde. 

Vermutlich übten wir uns beide darin, besonders förmlich und glatt zu sein. Er, weil er seine Vorgesetzte beeindrucken musste, ich, weil diese Vorgesetzte meine Mutter war. 

»… schon einmal vor. Ich fahre gemeinsam mit deinem Großvater, Liebes.« Dass meine Mutter mich ›Liebes‹ nannte, war eine besondere Farce, und es brachte mich dazu, wieder hinzuhören. »Du hast doch nichts dagegen, oder?« 

Ich schüttelte den Kopf. Ein paar Minuten alleine mit dem Kerl? Das gibt mir die Möglichkeit, ihm klarzumachen, wie der Hase läuft. 

Er hielt mir den Arm hin und zwang mich so, mich bei ihm einzuhaken. 

»Ich freue mich, dich kennenzulernen, Jade«, sagte er charmant und führte mich zum Fahrstuhl. 

Ich musste ihm zugestehen, dass er gut roch, was damit zusammenhängen mochte, dass er kein Parfum trug  – oder aber nur im homöopathischen Maße. 

»Ich freue mich auch so sehr«, sagte ich und verdrehte die Augen, als er den Fahrstuhlknopf betätigte, sodass er es nicht mitbekam. 

»Das sehe ich«, sagte er so leise, dass ich nicht sicher war, ob ich mich verhört hatte. Aber sein ironisches Lächeln verriet ihn. 

Hatte er meine Fassade so leicht durchschaut? 

»Ich freue mich wirklich«, wiederholte ich und ließ es so klingen, als hätte ich keinen Schimmer, warum er so dämlich lächelte. Naiv und gutgläubig: mein Bild nach außen. 

»Dann wird das wohl ein sehr interessanter Abend werden.« Der Schalk, der seine Augen umspielte, verschwand nicht. Fuck. Wieso war er so ganz anders, als ich ihn auf den ersten Blick eingeschätzt hatte? Hinter seiner geschniegelten, gut gebauten Fassade schien er mehr zu verbergen. Was war es? Ich untersuchte seine Augen, die gräulich schimmerten, und sah so lange hinein, bis er sich räusperte. 

Die Fahrstuhltüren standen längst offen. 

»Ach, Jade?« Meine Mutter rief mich zurück und nun verbarg ich ein Augenrollen nicht. »Kommst du bitte noch einmal in die Küche?« 

»Natürlich.« Ich verdrückte eine Träne bei dem Gedanken, Landon weiter warten zu lassen, und machte kehrt. Ich liebte es, wenn meine Mutter mich zurückrief und so tat, als hätte sie Einfluss auf mein Verhalten. Zu wissen, dass sie sich an mir den Mund fusselig redete, gab mir das nötige Gefühl von Macht. 

Macht, die ich brauchte, um es hier auszuhalten. So lange jedenfalls, bis es mir möglich war, woanders neu zu beginnen. 

»Du siehst wunderschön aus.« Susan Carpenter alias meine Mutter ließ sich zu einer seltenen Gefühlsregung herab, als sie mich in der Küche empfing. In ihren Augen war so etwas wie Wärme zu erkennen. 

»Danke, Mom.« 

»Nein, ich meine das ernst. Du wirkst sehr  …« 

Komm schon. 

»Damenhaft und angemessen.« 

Ah, richtig. Immer angemessen. Wie wenig damenhaft der Inhalt meiner Handtasche war, würde sie nie erfahren. 

»Ich bin stolz auf dich.« 

Oh, wie mich das freut. 

»Dieser Landon ist ein hübscher Kerl, oder? Ich will dir nur etwas Mut machen. Ich glaube, er hat ein Auge auf dich geworfen.« 

Er kennt mich seit zwei Minuten. 

»Er hat schon mehrmals versucht, in deine Nähe zu gelangen  …« 

Wird vermutlich nichts mit dem Vermögen meiner Familie zu tun haben. 

»Aber er war dabei so diskret, dass ich es als fehlendes Interesse interpretiert habe. Als ich ihn für heute Abend eingeladen habe  …« 

Oder mit der Position meiner Mutter. 

»… hat ihn das sehr gefreut. Weißt du, dass wir zufällig darauf kamen, dass ihr in derselben französischen Stadt einen Schüleraustausch gemacht habt?« 

Nein! Was für ein Zufall! 

»Vielleicht könnt ihr euch darüber ja unterhalten.« 

»Ich kann mich kaum an Frankreich erinnern.« 

Sie zwinkerte. Oh Mann. »Eine gute Gelegenheit, die Erinnerungen aufzufrischen.« 

Spätestens jetzt wurde es peinlich. »Danke, Mom. Ich bin seit der Grundschule aufgeklärt.« 

»So meinte ich das doch nicht!« 

»Wie denn?«, fragte ich freundlich. 

»Ich wollte  … ich meinte doch nur  …« 

Sie will mich verkuppeln. Darum ging es ihr. Sie wollte mich loswerden. Ihr hatte es schon nicht in den Kram gepasst, dass ich nach meinem abgebrochenen Studium aus Boston zurückgekommen war. Und jetzt studierte ich mit vierundzwanzig Jahren in New York noch immer ambitionslos vor mich hin. Dabei befand ich mich im perfekten Alter, um eine großartige Karriere zu starten oder eine glamouröse Hochzeit zu feiern. Da meine Mutter und mein Großvater nicht mehr glaubten, eine steile Karriere würde für mich in Frage kommen, drängten sie auf eine Heirat. Ich sollte die Familienehre retten, da ich selbst ein uneheliches Kind war. Es sollte viele kleine Carpenter-Kinder geben, die ich alle gebären würde, damit der Familienstrang nicht mit mir endete und ausstarb. 

Außerdem gab es nur eine Entschuldigung in der Upper Class, nicht erfolgreich zu sein und einen Doktortitel zu erreichen: Kinder. 

»Wir werden bestimmt einen tollen Abend haben«, rettete ich sie aus ihrem Gestammel und drehte mich wieder um. 

»Jade, warte.« 

Was denn noch?! 

»Dein Großvater wünscht sich, dass du sie heute Abend trägst.« Ihre immer so unnahbar wirkende Maske bekam Risse, als sie mir ein Schmuckkästchen zuschob. »Sie ist von deiner Großmutter.« 

Ich öffnete es und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass dieses Geschenk für mich wertlos war. In dem Schmuckkästchen befand sich eine Perlenkette. Sie war vermutlich irre teuer und man sah es ihr absolut nicht an. Allerdings kam sie von Grandma, was ihre Wertigkeit für mich hob, auch wenn ich ihre persönlicheren Geschenke viel mehr wertschätzte. Selbstgemachtes, Briefe voller Herzlichkeit oder Dinge, die man auch auf dem Flohmarkt bekam. Alles das war so viel schöner, so viel rührender als eine Perlenkette von Tiffany. 

»Heute Abend?«, fragte ich und ein Kloß entstand in meinem Hals bei dem Gedanken an Grandma. Vielleicht hätte sie die Kette gerne selbst getragen. 

»Sie soll eines der versteigerten Objekte heute Abend werden. Du würdest sie also den Abend über präsentieren.« Oh, wie ich es liebe, teuren Schmuck durch die Gegend zu tragen mit dem Wissen, es diene einem guten Zweck. Meine Mutter lächelte vorsichtig. »Komm her, ich werde sie dir umlegen.« 

Als könnte ich ›Nein‹ sagen  … Ohne mir den inneren Unwillen anmerken zu lassen, drehte ich mich um und hob meine Haare an. 

Ihre dünnen Finger berührten meine Haut, als sie den Verschluss zuknipste. Sie berührte mich so selten, dass damit immer eine körperliche Reaktion einherging. 

Ich verstand sehr wohl, was sie gegen mich hatte: Vor fünfundzwanzig Jahren wurde sie von einem unbekannten Asiaten schwanger, der daraufhin für immer verschwand, und musste es meinem Großvater und der gesamten New Yorker Gesellschaft erklären. Ich hatte mit meiner reinen Existenz ihr Leben zerstört. Ihre Karriere hatte wegen der Mutterschaft für Jahre stagniert und ihr guter Carpenter-Ruf war dahin. 

Mir wäre es lieber gewesen, sie hätte mich zur Adoption freigegeben, statt mich mein Leben lang so zu behandeln, als wäre ich ein Störfaktor. Auf den Gedanken kam sie leider nicht. 

Schade. 

»Sie sieht gut aus«, sagte sie und betrachtete meinen Hals. 

»Danke, Mom.« 

Ich schenkte ihr ein kraftvolles Lächeln, griff nach meiner Handtasche und verließ die Küche. Mein Lächeln starb, sobald ich ihr den Rücken zugekehrt hatte.

Ich, 19:02 

Das wird leicht. 

Gil-Boy, 19:02 

Why? 

Ich, 19:02 

Weil ich es sage, Gilly. Jade Carpenter ist ein kleines, naives Püppchen, das nicht einmal meine Anspielungen versteht. Ich könnte sie noch hier und gleich im Fahrstuhl ficken. 

Gil-Boy, 19:02 

;-) Natürlich. 

Ich, 19:02 

Dumm fickt  … 

Gil-Boy, 19:03 

Warum simst du mir und tust es nicht? Das steht dir gar nicht, Junge ;-) 

Ich, 19:03 

Sie spricht mit ihrer Mutter. 

Gil-Boy, 19:03 

Warum wohnt sie noch zu Hause? 

Ich, 19:03 

Das werde ich herausfinden. Aber warum sollte sie dieses Schloss von einem Penthouse verlassen wollen? 

Gil-Boy, 19:03 

Mir fallen viele Gründe ein. 

Ich, 19:04 

Du bist ja auch ein kleiner Gangster und sie ist Jade Carpenter. 

Gil-Boy, 19:04 

Gil-Boy, 19:05 

Sie studiert nicht. Mich interessiert brennend, warum. 

Ich, 19:05 

Was macht sie sonst? 

Gil-Boy, 19:05 

Frag sie! Ich will es wissen. 

Ich, 19:05 

Sicher, dass du den Job nicht übernehmen willst, Gil-Boy? 

Gil-Boy, 19:05

Das haben wir durch. Mir würde sie niemals vertrauen. 

Wenn sie wirklich so oberflächlich ist, wie du behauptest, ist sie nichts für mich. Viel Spaß beim langweiligsten Fick deines Lebens. 

Ich, 19:06 

Selbst wenn sie das sein sollte  – langweilig  – ist sie ziemlich scharf. Der Anblick wird reichen. 

Gil-Boy, 19:06 

Wer bist du? Warum sitzt am anderen Ende dieser Leitung so ein oberflächlicher Wichser? 

Ich, 19:07 

…… 

Gil-Boy, 19:07 

Ernst gemeinte Frage. 

Ich, 19:08 

Vergiss es einfach. Warum halte ich dich überhaupt auf dem Laufenden? Sie kommt zurück. 

Gil-Boy, 19:08 

Weil ich in den verdammten Startlöchern für Plan B stehe? Ich weiß noch, wie laut du rumgeheult hast, weil du dir so unsicher warst. 

Ich, 19:08 

jaja 

Gil-Boy, 19:08 

Was ist, wenn sie doch ne Lesbe ist 

Gil-Boy, 19:09 

Was ist, wenn sie mich nicht mag 

Was ist, wenn sie Jungfrau  … 

Was ist, wenn ich es nicht schaffe, sie von mir zu überzeugen  … 

Ich, 19:09 

fick dich. 

Gil-Boy, 19:09 

JADE

Landon schob sein Smartphone zurück in die Hosentasche, als ich ihn erreichte. Sicherlich hatte er irgendeinen wichtigen Kram zu beantworten. Jemand wie er, der so jung bereits so weit aufgestiegen war, dass er von meiner Mutter zu einer Charity-Abendveranstaltung eingeladen wurde, arbeitete bestimmt rund um die Uhr. 

»Miss Carpenter«, sagte er mit einem ekelhaften Lächeln und trat aus der Lichtschranke, um mich durchzulassen. 

Ihm fiel nicht auf, dass mein Outfit um eine Perlenkette bereichert worden war, aber auch er war schließlich nur ein Mann. 

»Mr. Mulvaney«, nickte ich knapp und stellte mich in die rechte Ecke, sodass er den Knopf fürs Erdgeschoss betätigen musste. »Was ist das für ein Name? Mulvaney?« 

»Der Name meines Vaters«, sagte er und sein Lächeln verlor für einen Moment an Stärke. Oh, da ist also einer empfindlich. Ob sein Vater ihm als Kind immer gesagt hat, dass er es nie zu etwas bringen wird, und er es deshalb allen beweisen muss? »Noch nie gehört?«, fragte er. 

Keine Ahnung?! »Gerade zum ersten Mal.« 

Ob Mister Daddy-Komplex eine Waffe trug? 

»Ist nicht gerade selten«, ergänzte Landon. »Ein Arbeiter-Name aus Kanada.« 

»Na, dann kann ich ihn wohl nicht kennen«, sagte ich, als sich die Türen schlossen. Wofür hielt er mich? Als bestünde mein Umgang ausschließlich aus millionenschweren Arschlöchern. 

Wobei  … 

Mit meiner ironischen Antwort schien er nicht gerechnet zu haben. Seine perfekt gestutzten Augenbrauen hoben sich leicht. »Ich verstehe diese Anspielung nicht ganz  …« 

Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Die nächsten zehn Sekunden gehören mir. »Du verstehst meine Anspielungen nicht?« Ich trat auf ihn zu, ließ eine Hand über sein angegossenes Hemd wandern, über die Bauchmuskeln darunter, hin zu seinem Schwanz. »Vielleicht muss ich deutlicher werden?«, fragte ich rauchig. 

Für eine Sekunde blitzte Verlangen in seinem Blick auf, dann begann er vor Schmerz zu schreien. 

»Hör zu, du riesiger Scheißer von einem verschissenen FBI-Agenten. Was auch immer du glaubst, heute Abend hier zu tun, du wirst dich konsequent eine halbe Meile von mir entfernt aufhalten, sonst wird dich meine Mutter bei der nächsten Gelegenheit feuern. Lass dir eine gute Begründung einfallen, warum du bedauerlicherweise nicht in unserer Nähe verweilst. Vielleicht vögelst du auch einfach eine der Kellnerinnen dort und machst dich zum Affen. Mir egal. Aber glaub mir, du willst nicht, dass ich meiner Mutter erzähle, dass du mich gevögelt hast  – obwohl ich es nicht wollte und verzweifelt versucht habe, mich aus deinem viel zu starken Griff zu befreien. Verstehen wir uns, Mulvaney?« 

»Fuuck«, stöhnte er, als ich meine Finger noch etwas fester um seinen Sack schloss. 

»Ein einfaches ›Ja‹ genügt.« 

»Verdammte Scheiße.« Er versuchte meine Arme herunterzudrücken, was dazu führte, dass ich seine kleinen Eier beinahe zerquetschte. »Ja, verdammt!«, heulte er. 

Ich ließ ihn zufrieden los. 

Doch er reagierte schnell. Ehe ich mich versah, hatte sich sein verzerrter Gesichtsausdruck gewandelt und sein Körper mich gegen die Wand gedrängt. Wir kämpften kurz und hart. Seine Hand landete an meinem Hals, er würgte mich, und es gefiel mir, wie stark und männlich er plötzlich wirkte. 

Aber leider vergaß er, dass ich wusste, wie und wo FBI-Agenten zu entwaffnen waren. Während er meinen Körper in Beschlag nahm und ich schmerzhaft gegen die Fahrstuhlwand gedrückt wurde, griff ich an seinen Rücken und zog seine Waffe. 

Er legte seine Hand um meinen Hals, ich drückte ihm die Mündung seiner Pistole in die Leiste. 

Seine Augen verrieten, dass er auch damit bei einer äußerlich solch zarten, liebreizenden Person wie mir nicht gerechnet hatte. 

»Anfängerfehler«, sagte ich schmeichelnd. 

Seine Hand um meinen Hals löste sich. »Ja, denn die Munition befindet sich in der Nähe der Gegend, die du gerade noch zwischen deinen süßen Fingern hattest.« 

»Flirtest du mit mir?«, fragte ich lasziv. 

»Ich sage dir nur, dass die Pistole nicht geladen ist. Also was machen wir jetzt, Jade Carpenter? Wir scheinen ziemlich in der Zwickmühle zu stecken, denn du glaubst, die Macht zu haben, mich feuern zu lassen.« 

»Die habe ich, Wichser.« 

»Ja, die hast du vielleicht.« 

Wir fixierten uns. 

»Du glaubst«, sagte ich gelangweilt, »irgendeinen Scheiß in der Hinterhand zu haben, aber das hast du nicht.« 

»Wirklich nicht?«, fragte er lächelnd. All sein oberflächliches Gehabe war verschwunden. Er ließ mich ebenso schnell los, wie er mich gepackt hatte. 

Seine Hand legte sich um mein Handgelenk und ich hatte nur eine Möglichkeit, bevor ich mich wie ein dummes Huhn entwaffnen ließ  – ich drückte ab. 

Leider hatte das Arschloch recht gehabt und die Scheißwaffe war nicht geladen. Er entriss sie mir. 

Von dem Schock, ihn beinahe erschossen zu haben, musste auch ich mich für einen Augenblick erholen. 

Dieser eine Augenblick genügte, dass er zurücktreten und den Fahrstuhl anhalten konnte. 

Es rüttelte stark und ich verlor beinahe das Gleichgewicht. 

Landon war vorbereitet. Mit festem Stand griff er sich in die Hosentasche, die Waffe in seiner anderen Hand. Ich schluckte. 

Zügig hatte er das Magazin in den Schacht geschoben und durchgeladen. 

Wenn er nicht wahnsinnig war, würde er mich nicht erschießen  – er käme aus diesem Fahrstuhl niemals ungesehen heraus. 

Aber dennoch. Wie hatte ich es zulassen können, dass er das Blatt wendete? 

»Ich wollte nur einen schönen Abend mit deiner Familie verbringen, Jade«, erklärte er süffisant. 

Ich schnaubte. »Wer’s glaubt.« 

»Aber eigentlich will ich schon eine ganze Weile befördert werden. Also wieso drehen wir den Spieß nicht um und du sorgst dafür, dass das geschehen wird?« 

»Du hast nichts gegen mich in der Hand außer deiner mickrigen Schwanzverlängerung in Form einer Waffe.« 

Er lachte laut. 

»Die du auch bitter nötig hast!«, log ich. 

Meine Beleidigung beeindruckte ihn nicht. Er wusste, dass er gut bestückt war. Das hatte ich leider zuvor erfühlen müssen. Wie ich Männer hasste, die mit einem großen Schwanz ausgestattet waren  – sie hatten keine Minderwertigkeitskomplexe und man konnte sie nicht so leicht treffen. 

Außer vielleicht mit ihrem Daddy. 

»Warum rufst du deinen Dad nicht an, vielleicht kann er dir ein paar Tipps zur Karriereleiter geben? Als Arbeiter hat er es ja sicher weit gebracht, wer hätte dir sonst das Studium finanziert?« 

Volltreffer. Seine Miene verzerrte sich zu einer wütenden Grimasse. »Du bist ’ne kleine Bitch und glaubst, niemand würde das bemerken.« 

»Als ich eben über dein Armani-Hemd gestreichelt habe, hat dich die Vorstellung, mich zu ficken, noch ziemlich erregt.« 

»Ja, die Vorstellung, dich in deinen vorlauten Mund zu ficken, erregt mich auch jetzt noch.« 

»Uuuh, da spielt jemand die Diskriminierungskarte aus.« 

»Du glaubst, ich hätte nichts gegen dich in der Hand? Wie ist es damit, dass ich weiß, was du wirklich tagsüber tust?« 

Mein Blut gefror. Er kann unmöglich von den Drogen wissen. 

»Dass du gar nicht so ordentlich studierst, wie du es vorgibst?« 

»Ich werde dir niemals helfen«, spie ich ihm entgegen. »Egal, was du zu wissen glaubst.« 

»Okay, kein Problem.« Er lächelte blasiert und steckte die Waffe zurück an seinen Rücken. »Ich habe deine Hilfe bisher auch nicht gebraucht. Du wirst noch früh genug darauf zurückkommen und von mir etwas wollen.« 

»Natürlich«, sagte ich spöttisch. 

Er setzte den Fahrstuhl wieder in Gang. »Sei es meine Verschwiegenheit in Bezug auf deine Geheimnisse«, er kann unmöglich von den Drogen wissen!, »oder meine außerordentlich gute Bestückung.« 

Verdammte Scheiße, war der Typ aufgeblasen! »Woher weißt du davon?«, fragte ich forsch. 

Er lächelte noch breiter. Aus ihm würde ich ohne weitere Recherche nichts herausbekommen  – verdammt, ich sah ihn heute zum ersten Mal und er wusste Dinge über mich, die ich nicht einmal meinem Tagebuch anvertraute  – zugegeben, ich schrieb auch wirklich selten hinein. 

»Dann sag mir wenigstens, warum du auch nur eine Sekunde glaubst, ich würde jemals einen zweiten Gedanken an deinen Schwanz verschwenden!«, forderte ich. 

Er kam näher. Sein Atem traf meine Haut und sein Geruch stieg mir penetrant in die Nase. »Da war der zweite Gedanke schon«, sagte er leise. »Deine Sexgeschichten kann man bei Instagram nachlesen, man muss dir nicht einmal folgen.« 

»Du suchst mich auf Instagram? Andere Hobbys sind dir wohl fremd?« 

Er lachte amüsiert. »Glaub doch, was du willst. Ich werde mich jedenfalls nicht eine Fußlänge von deiner Mutter und dir fortbewegen. Mein Leben besteht nämlich in der Tat nicht nur aus Hobbys.« 

»Das nächste Mal töte ich dich wirklich«, zischte ich. Er hatte es geschafft, dass ich ihn nach kürzester Zeit hasste. 

»Ja, Jade«, sagte er leise. »Damit zu rechnen, erschossen zu werden, gehört zu meinem Job. Und ich bin tatsächlich sehr gut darin ausgebildet worden, es zu vermeiden.«

Ich, 19:20 

Äää  … 

Gil-Boy, 19:22 

Ist sie doch ein umoperierter Mann? 

Ich, 19:22 

So ähnlich. 

Gil-Boy, 19:22 

Hmm, möchte nicht in deiner Haut stecken. ;-) 

Gil-Boy, 19:25 

Halten wir am Plan fest? 

CALEB

Ich brach meine zweite Schachtel Zigaretten an diesem Abend an. Auf dem Bürgersteig glitzerte vereinzelt Eis. Die Straßen waren bis auf ein paar wenige Taxis leer. Niemand begab sich freiwillig raus in die Kälte. 

Ich beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Diego in einer dunklen Seitengasse einen Inder zusammenschlug, der versucht hatte, sich unserer eisernen Hand zu entziehen. 

Wäre ich der Inder, hätte ich zwar auch keinen Bock, Schutzgeld abzudrücken, aber wäre ich der Inder, wüsste ich, dass ich keine Wahl besaß. 

Der Rauch floss durch meine Lungen. 

Warum rebellierten Menschen, wenn es doch so sinnlos war? 

Hätte irgendeines unserer Schafe jemals Erfolg gehabt, wären wir nicht, wer wir waren. Als von dem Mann nur noch ein wimmerndes Häufchen Elend übrig war, summte das erlösende Telefon in meiner Jeans. 

Nicht, dass ich Diego hätte aufhalten können  – nach außen hin feuerte ich ihn an  – aber das Handy war mein Fenster in eine bessere Realität. Ich ging den Plan im Kopf noch einmal durch, las die Nachrichten und warf die halb aufgerauchte Kippe in den Rinnstein. Sirenengeheul in der Ferne verriet, dass Diegos Aggressionstherapie nicht unbemerkt geblieben war. Irgendjemand in dieser gottverlassenen Gegend schien sich zu Zivilcourage herabgelassen zu haben. 

Ich setzte mich in den Wagen und startete den Motor. Als Diego zustieg, stank seine blutüberströmte Faust nach Eisen. 

»Avanti, wir können«, sagte er und schlug die Tür zu, als hätte er ein Paket abgeliefert und würde darauf warten, zur nächsten Adresse gebracht zu werden. 

Ich setzte den Transporter in Bewegung. Keine Pakete. Der Wagen war bis auf ein paar Werkzeuge, die sich als Waffen eigneten, und ein paar Bündel Bargeld leer. 

Als ich nach rechts auf die Interstate Richtung Manhattan einbog, richtete sich Diego in seinem Sitz auf. »Wir ziehen das wirklich durch, Mann?«, fragte er murrend. 

Am liebsten hätte ich ihm eine reingeschlagen, weil er einerseits kein Problem damit hatte, Menschen zu quälen, sich aber vor echten Jobs fürchtete. 

Ich blieb ruhig. »Jap.« 

»Unter der Nase des Bosses vorbei?«, fragte er. 

»Es heißt ›an der Nase vorbei‹ und nein, er vertraut mir.« 

»Si, er vertraut dir scheißenblind. Aber da gibt’s doch nix zu holen.« 

»Doch.« 

»No, nicht genug für das Risiko.« 

»Du darfst im Auto bleiben, während ich mit Luis und Nicholson den Laden ausräume.« 

»Vergiss es. Nicholson ist wie eine verfickte Amsel, der gibt nix wieder her, wenn es glänzt und wertvoll ist.« 

»Du meinst eine Elster, und hör auf rumzuheulen, als wärest du nicht mehr als eine dreckige Pussy. Überprüf die Munition.«

»Das ist ein riesiger Fehler«, grummelte er, als er nach hinten griff. »Nur weil wir ein paar Securitys einschleusen konnten, heißt das nicht, dass wir save sind.« 

»Sagen wir, es wird nicht so leicht, wie Sunil zu Brei zu schlagen. Aber du packst das schon.« 

»Willste  mich beleidigen, Cal?« 

»Niemals.« 

»Ich hasse deine Sprüche.« 

Wir fuhren in einen Stau. Und ich hasste es, mit Diego Zeit zu verbringen. Sobald ich die Gelegenheit dazu bekam, würde ich ihm sein dummes Grinsen aus dem Gesicht schießen und die Faust, mit der er so viele Leute malträtiert hatte, abschneiden und kochen. 

Ich lächelte bei dem Gedanken daran. Die einzige Freude, die mir geblieben war; mir vorzustellen, wie ich sie alle verriet.

LANDON

Der kleinen Schlampe war es tatsächlich gelungen, sich aus dem Staub zu machen. Egal, wie häufig ich den Raum scannte, sie blieb spurlos verschwunden. Ich hatte nur eine Sekunde dem Gouverneur die Hand geschüttelt, eine Sekunde Unachtsamkeit, und das kleine Biest war weg. 

Wenn sie nicht so unerträglich wichtig für uns wäre, hätte ich sie gerne sich selbst und der Partygesellschaft überlassen. In mir brodelte es, seitdem sie es gewagt hatte, mich herauszufordern, und die Vorstellung, wie ich ihr zehnfach das an Schmerzen zurückgab, was sie in mir erzeugt hatte, beflügelte mein schwarzes Herz. 

Ich könnte sie wimmernd vor mir haben und sie dann langsam immer und immer wieder in ihre süße Mundhöhle  … 

Es brachte mir nichts, mir harten Sex auszumalen, der in meiner Fantasie nicht nur ein wenig einer Vergewaltigung glich. Ich musste sie finden und tun, was auch immer nötig war, um sie von mir zu überzeugen. 

Die Party war gut besucht. Gediegen, unterhaltsam, eine friedliche Stimmung. Ich schlängelte mich durch die teuren Abendkleider, Champagnergläser und Anzugträger hindurch, bis ich bei den zweiten Gästetoiletten angekommen war. Mrs. Carpenter ließ sich leicht vertrösten, als ich ihr erklärte, nach wem ich suchen wollte. 

So kühl und unberechenbar sie ihren Job ausführte; sie schien eine weiche Seite zu haben und mir vollkommen zu vertrauen. 

Warum? Wieso eigentlich gerade mir? 

Die Tür zum Badezimmer war abgeschlossen. Ich erinnerte mich daran, dass dahinter ein Vorraum lag und es ein längliches, innengelegenes Seitenfenster gab, um diesem mehr Eleganz zu verleihen. Ich umrundete das Raum-Karree und stellte mich möglichst unauffällig neben eine mannshohe Bananenstaude, die mit ihren ausladenden Blättern dieses Fenster verbarg. Ich musste eines davon zur Seite schieben, damit ich in den Raum hineinspähen konnte, und was ich sah, übertraf meine Vorstellungen vollkommen. 

Jade Carpenter saß auf einer der zwei Kommoden, die den Vorraum zum Badezimmer schmückten. Ihre Brüste waren nach oben gerutscht, sodass sie nur noch halb vom Kleid verdeckt wurden, ihre Beine nackt. 

Sie saß breitbeinig da, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen, und ließ sich von einem Fremden lecken. 

Es mochte einer der Bediensteten sein, denn er trug einen schlichten schwarzen Anzug wie die Kellner, aber natürlich bestand die Möglichkeit, dass es ihr Freund oder einer der anderen Gäste war. 

Auf jeden Fall wusste sie, was sie da tat. Oder viel mehr, was sie wollte, das man mit ihr tat. 

Ihre Haut glühte rötlich, ihre Frisur war leicht zerzaust. Das kräftige Rot ihrer Lippen und Fingernägel vollendete sich mit dem verruchten Kleid zu einem Bild purer Erotik. 

Sie stöhnte. 

Ich konnte sie nicht hören, aber man sah es ihr an. Sie stöhnte und ließ sich in den Himmel lecken, während ich hier draußen herumgerannt war, um sie zu finden. 

Frustriert massierte ich meine Schläfen. Es stand außer Frage, dass ich keinerlei Verlangen danach hatte, ebenfalls vor ihr in die Knie zu gehen, aber ihr Anblick im Gesamten, das wilde Ausleben ihrer Lust, konnte nicht spurlos an mir vorbeigehen. 

Sie war sexy. 

Und sie wusste es. 

Zudem hatte ich nun den ultimativen Beweis vor mir, dass sie sicher keine Jungfrau oder Lesbe war und sie Erfahrungen hatte, von denen die meisten Frauen nur träumten. 

Ich griff nach einem Glas Champagner, das gerade zufällig an mir vorbeigetragen wurde, und leerte es in einem Zug. 

Als ich zurücksah, begegnete mir Jades Blick. Sie erkannte mich und grinste plötzlich. Dieser Blick hatte es in sich. Wie vorhin im Fahrstuhl war er voller Feuer und Provokation. 

Sie hob ihre rechte Hand und streichelte sich damit über ihr Dekolleté, bis sie sich fest in eine ihrer Titten griff. Sie warf den Kopf zurück, ohne mich aus den Augen zu lassen, und massierte sich. Die andere Hand nutzte sie dafür, den Typen unter sich zu führen. 

Ihre Show galt mir. Als hätte sie nur darauf gewartet, dass ich sie fand und beobachtete  – vielleicht war das sogar ihr Plan bei dieser Sache gewesen. 

Ich ließ das Blatt der Pflanze zurückfallen und suchte in der Umgebung nach einem spitzen Gegenstand. Die Frauen trugen Haarklammern, aber es dürfte schwierig werden, an eine zu gelangen. Mir sprang die Handtasche einer Ehefrau entgegen, die sich an ihren Politiker-Gatten gekettet hatte. Ich passte den Moment ab, als ein Kellner sich durch die Menge schob, sorgte dafür, dass er dicht an der Frau vorbeiging, indem ich ihm den Weg abschnitt, und wartete, bis er außer Hörweite war, bevor ich selbst auf sie zuging. 

»Entschuldigen Sie«, ich drückte die Tasche der Frau zu, »aber ich würde Ihnen empfehlen, Ihre Handtasche zu schließen. Einer der Servicekräfte scheint einen Blick darauf geworfen zu haben, ich beobachte ihn schon eine Weile.« 

»Sind Sie sicher?«, fragte sie mich verblüfft und zog ihre Tasche an sich. »Und dabei hofft man doch, man könne sich hier frei bewegen.« 

»Vielleicht nicht ganz so frei, Ma’am.« Ich verbeugte mich entschuldigend und trat höflich zurück. Die Brosche hatte ich leicht entfernen können. Damit bewaffnet machte ich mich an dem Türschloss zum Gästebadezimmer zu schaffen und behielt gleichzeitig die Umgebung im Auge. Befände ich mich unter Kollegen, wäre ich vorsichtiger gewesen, aber die einzige andere Agentin in diesem Raum war Mrs. Carpenter selbst, die sich gerade mit dem Rücken zu mir gewandt unterhielt. 

Nach ein paar Sekunden hatte ich das Schloss geöffnet. Ich verschwand hinter der Tür und ließ die Brosche in eine Vase fallen, die in der Nähe stand. 

Jades Stöhnen stoppte abrupt, als sie das Schließen der Tür hörte. »Fuck.« 

Ich lächelte kurz. 

Sie stieß den anderen Kerl von sich. »Geh!« 

»Was?!«, sagte dieser überrascht und richtete sich langsam auf. 

»Es war toll mit dir, aber wir wurden gestört. Ich rufe dich an.« 

»Willst du mich verarschen?«, fragte er ungemütlich. 

»Nein! Ja! Ja.« 

»Schlampe«, stieß er hervor und griff nach etwas, das neben Jades nackten Schenkeln auf der Kommode lag. Als er mich bemerkte, gefror seine Miene. Was auch immer er sich zusammenrechnete, es brachte ihn dazu, mir einen tödlichen Blick zuzuwerfen und zu verschwinden. 

Wieder überraschte Jade mich. Warum ließ sie es zu, dass wir allein waren? 

Kaum hatte der Typ den Raum verlassen, schloss ich hinter ihm ab. 

Jade hatte sich nur halbherzig wieder bedeckt. »Dir gefällt es wohl, zuzusehen?« 

»Und dir gefällt es, mir etwas vorzuspielen?« 

»Ich habe nicht gespielt.« 

»Gar nicht.« 

»Na gut, ein wenig.« Sie lächelte breiter und lehnte sich an die Wand. »Und, was machen wir jetzt, Mr. ›Wie komme ich bloß an das Vermögen meiner Chefin heran? Ah, ich angle mir einfach ihre naiv-dumme Tochter!‹, hm?« 

Ich schmunzelte. Vermögen? Naiv und dumm? »Hast recht. Am Anfang dachte ich, du wärst ein hohles Dummchen.« 

Ihre Augen blitzten auf. »Ich weiß.« 

Es schien ihr zu imponieren, dass auch ich von ihrer Maskerade getäuscht worden war. Kam ich so an sie heran? Indem ich mit ihrer Maske spielte und sie entwaffnete? »So willst du eigentlich wirken? Naiv, dumm, notgeil und verdorben?« 

»Wir suchen uns die unpassendsten Gelegenheiten aus, um miteinander zu quatschen«, seufzte sie. »Weißt du auch, warum? Weil ich keinerlei Interesse daran habe, dich kennenzulernen, weshalb du gerne von mir denken magst, was du willst.« 

»Sondern? Du schickst den Kerl weg, noch bevor er dich zum Höhepunkt lecken konnte, um mit mir hier genau was zu tun?« 

Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Dich zu ärgern, weil du glauben könntest, du hättest eine Chance, in mein Innerstes zu schauen und bla, bla, bla. Was auch immer in deinem gestörten Agenten-Hirn vorgehen mag.« 

Ich lachte. »Ja, so etwas hatte ich in der Tat vor.« 

Sie fühlte sich bestätigt. »Siehst du?« Ihr Lächeln wurde schief und sie saß noch immer ermattet gegen die Wand gelehnt. »Und was möchtest du jetzt von mir, Landon? Das Klo ist eine Tür weiter.« 

Ich ging auf sie zu. Offenbar wollte sie etwas von mir, sonst würde sie sich nicht so leicht in meine Hand begeben. Oder aber ihr war langweilig und ich der interessanteste Spielpartner an diesem Abend. Was wollte ich von ihr? Aus meinem Plan, der aufstrebende FBI-Agent zu sein, der ihr die Sterne vom Himmel holte und so nebenbei herausfand, was er herausfinden musste, wurde nichts. Dieses Mädchen besaß längst alle Sterne selbst. Also was würde sie dazu bringen, mir zu vertrauen? 

Je näher ich trat, desto eher schob sich ein Gedanke in meinen Kopf, dass mich etwas störte. Etwas an ihrem Gehabe. Doch eine Falle? Oder war es nur ihr Aussehen  …? 

»Stopp.« 

Ich hielt inne. 

»Keinen Schritt weiter«, verlangte sie. 

»Sonst?« 

»Schreie ich.« 

»Gute Idee.« 

»Ich tue es wirklich.« 

»Kein Problem. Ich bleibe hier stehen und versuche herauszufinden, was dich so interessant macht.« 

Sie lachte auf. »Interessant für dich ist nur, dass ich dich ein ums andere Mal abweise.« 

»Wenn du mir einen Korb geben wolltest, hättest du es längst getan.« 

»Habe ich.« 

Ich bewegte mich wieder. Sie schrie nicht. Also war alles, was sie hervorbrachte, nur ein Bluff. »Nein«, sagte ich sanft und war nun so nah, dass ich ihr Bein berühren konnte. »Ein Korb ist definitiv etwas anderes als das hier.« Langsam glitt ich mit einem Finger ihr Bein hinauf. Ihre Haut war warm und geschmeidig glatt. Härchen stellten sich auf. Entweder fand sie es erregend oder unangenehm. Aber sie sagte kein Wort. »Wie viele Männer haben dir schon gesagt, dass du wunderschön bist?« Es mochte ein abgedroschener Anmachspruch sein, aber er funktionierte. Er funktionierte, wenn man ihn sagte, wie ich ihn sagte. Ohne mit der Wimper zu zucken oder sich unsicher zu geben. 

»Eine Menge«, raunte sie. 

»Das glaube ich nicht. Niemand hat es auch so gemeint, als er sagte, dass du wunderschön bist.« 

»Mit deinem Geschleime rettest du gar nichts.« 

Ich erreichte den Saum ihres Kleides, welches nur knapp ihren Schritt bedeckte. Für einen Moment durchzuckte mich das Verlangen, sie mir jetzt zu nehmen, aber eben das war das Gefährliche. Meine eigene Lust hatte hier nichts verloren. 

»Berühr mich doch«, forderte sie ruhig und bewegte ihre Beine leicht auseinander. »Ich kann dir ansehen, dass du mich gerne ficken würdest, auch wenn du mich längst hasst.« 

»Ich hasse dich nicht.« Hass machte einen wie Liebe abhängig. Jade hingegen war mir einfach egal. Langsam schob ich ihr Kleid beiseite. Noch immer galt mein Blick ihrer Haut und meinem Finger. Sie zitterte, je näher ich ihrer Pussy kam, und ja, verdammt, es war zu verlockend, sie zu berühren. Jade Carpenter war eine perfekte Verführerin. Wieso an meinem Plan festhalten  …? Wieso sollte ich ihr nicht hier und jetzt beweisen, wie falsch sie damit lag, mich herausfordern zu können? 

Wenn ich mit ihr fertig war, hätte sie Angst vor mir. Und ich die Genugtuung, die Macht mit sich brachte. 

»Weiter«, forderte sie leise. 

Ich sah auf. 

In ihren Augen loderte Verlangen. 

»Ich würde dich wahrscheinlich auf der Stelle fingern, wenn ich nicht Gefahr liefe, dabei den Speichel eines anderen unter meinen Nägeln wegkratzen zu müssen.« 

Sie lachte wieder. 

Ich zog ihr Kleid nach unten, sodass es bis zu ihren Knien reichte. »Du findest einen anderen.« 

Jades Iriden leuchteten schwarz und ein gefährliches Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie nach meiner Hand griff. 

Dann wusste ich nicht, was mit mir geschah. Im nächsten Moment waren wir ineinander verschlungen und ihre Lippen lagen auf meinen. 

Sie übermannte mich. 

Etwas an ihr machte es so unerträglich schwer, zu widerstehen. Ihre Zunge schmiegte sich um meine, gierte nach mehr. Ich wollte sie besitzen, einnehmen, noch enger an mich ziehen. Ihr perfekt gebauter Körper floss durch meine Hände. Ihr Arsch, ihre Titten, die blanke, glatte Haut  … Dieser Kuss war eine Explosion. Sie befeuerte mich. Wir konnten nicht genug voneinander bekommen, nicht tiefer in den anderen vordringen. Dass sie an meinen Gürtel griff, war nur die logische Konsequenz des Verlangens, das zwischen uns entstand. Ich umschloss ihren Nacken, damit sie nicht zurückweichen konnte, und küsste sie hart und fordernd. 

Immer drängender. Bis sie fliehen wollte, es aber nicht konnte, was sie wütend und erregt zugleich aufstöhnen ließ. Ich sah den Sex vor mir, den explosiven Austausch unserer gegenseitigen Abneigung und füreinander bestimmten Lust, als sie an meinen Schwanz griff, ihre zarten Finger sich um ihn schlossen und mir in diesem Moment klar wurde, was nicht mit ihr stimmte. 

So besitzergreifend, wie ich sie gerade gezwungen hatte, mich weiter zu küssen, so starr hielt ich sie jetzt von mir weg. 

»Scheiße!«, fluchte sie. »Du tust mir weh!« 

Mein Griff um ihren Hals mochte zu fest sein. Aber ich konnte es ihr nicht erlauben, wegzusehen. Ihre Iriden funkelten schwarz. Und das, obwohl die kleine Carpenter normalerweise bernsteinfarbene Augen besaß. Diese hatten mich im Fahrstuhl sofort fasziniert. »Was hast du genommen?«, fragte ich tonlos. 

»Nichts! Lass mich los!« Sie riss ihr Bein hoch, aber ich war schneller. 

Blitzschnell hatte ich mich zwischen sie gedrängt, sodass sie wehrlos auf der Kommode saß und mir nichts antun konnte, außer vielleicht ins Gesicht zu spucken. Darauf bereitete ich mich sicherheitshalber vor. »Deine Iriden sind schwärzer als der New Yorker Sternenhimmel«, raunte ich. »Also, was hast du genommen.« 

Ihre Augen verengten sich, und wenn sie zaubern könnte, träfen mich daraus Blitze. »Fick dich. Ich schreie wirklich. In eins, zwei  …« 

Ich legte ihr eine Hand auf den Mund. »Schrei. Selbst deine Mutter wird etwas dagegen haben, wenn du Drogen nimmst. Sie wird mich als Helden feiern, dass ich etwas dagegen unternommen habe.« 

Ich nahm die Hand wieder zurück. 

»Du glaubst den Bullshit auch noch, den du von dir gibst«, zischte sie. Und dennoch schrie sie nicht. 

Ich ließ sie mit einem Mal los und griff nach ihrer Handtasche, die auf der zweiten Kommode lag. 

»Tu das nicht!«, schrie sie und versuchte, mich von hinten anzugreifen. Ich wehrte sie locker ab, während ich darauf achtete, ihr keine Möglichkeit zu lassen, an meine Waffe zu gelangen. »Das ist meine Tasche und du lässt sie sofort los!« 

Ich knipste sie auf. Shit. 

»Wie wäre es, wenn ich in deinen Sachen herumwühlen würde, he? Es gibt bei allem Grenzen und das ist meine!« 

Shit. Shit. Shit. 

Ich starrte auf den Inhalt ihrer Handtasche, in der Hoffnung, das Bild würde sich doch noch wandeln. 

Jade riss mir die Clutch aus der Hand und ließ sie wieder zuschnappen. 

Ich sah sie an und verstand gar nichts mehr. Das war zu viel des Guten. Hiermit hatte ich nicht gerechnet. Okay, ich hatte mit gar nichts von alldem gerechnet, aber nun fügte sich ein Bild zu einer Realität zusammen, die es nahezu unmöglich für mich machte, ihr Vertrauen zu gewinnen. 

»Und? Gehen wir jetzt zu Mommy petzen?«, fragte sie nonchalant und richtete ihr Kleid. 

Mir fehlten die Worte. 

»Überleg es dir gut, Mr. FBI-Karriere-Suchti. Ich suche mir währenddessen Spaß auf der Party.« Ohne ein weiteres Wort schloss sie die Tür auf und verließ den Raum. 

Sie hatte mich erwischt. Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dass ausgerechnet die Carpenter-Tochter eine mit allen Wassern gewaschene Dealerin war. 

Und überhaupt  – wer zur Hölle war in dieser Stadt ihre Quelle?

Ich, 21:20

Kokain.

Ich, 21:28

Schau auf dein Handy, Alter!

Sie ist zu 100  % anders, als wir dachten.

Ich, 21:39

Gil?

JADE

Ich könnte brüllen, weil ich mich so ärgerte. Meine unendliche Wut ließ sich kaum verbergen. Meine sonst so gut inszenierten Masken funktionierten nicht. Das war auch der Grund, weshalb mich Cicily ansprach. 

Zum ersten Mal in meinem Leben fragte sie mich vermutlich: »Ist alles in Ordnung mit dir, Jade?« 

»Mein Fisch ist heute Morgen gestorben.« Es war mir unmöglich, zu verbergen, dass ich alles andere als glücklich war, also musste eine Ausrede her. 

»Dein Fisch?«, fragte sie perplex. 

»Ein Fisch«, zischte ich. »Diese Dinger, die in Aquarien herumschwimmen und hübsch aussehen. Er hieß Ted. Ted wie Teddy und ich hatte ihn seit fünf Jahren.« 

»Können Fische so alt werden?«, fragte sie noch perplexer. 

»Ted schon!« 

Sie runzelte verwirrt die Stirn. »Ich wusste nicht mal, dass du einen Fisch hast.« 

»Tja, so erfährst du Neues.« 

»Du hast nie von ihm erzählt.« 

Ich seufzte. Am liebsten wäre es ihr, wenn ich ihr von der Farbe meines Stuhlgangs berichtete, so neugierig ist sie. »Jetzt erfährst du ja von ihm«, säuselte ich und griff nach einem weiteren Glas Champagner. Bald bin ich betrunken und bald hat Landon mich verraten und ich verliere die Grundlage meiner Existenz. 

Oder zumindest die Grundsicherung. Hatte ich jemals damit gerechnet, nicht erwischt zu werden? Wenn ich ehrlich war, wusste ich von Anfang an, dass das Dealen früher oder später auffliegen würde. Mir war es nur darum gegangen, dass es  – wenn es dann herauskam  – alle schocken würde. Vor vier Jahren, nach meiner Rückkehr nach New York und Grandmas Tod, war das erste Päckchen durch meine Hand gegangen. Seitdem bin ich zu einer bedeutenden Größe aufgestiegen und habe ein wunderbares Netz aus Geheimnissen, Intrigen und Zulieferern gesponnen. Wenn diese Bombe platzte, stünde der Gouverneur ziemlich schlecht da  – und das war auch der Grund, weshalb die Bombe niemals platzen würde  – selbst wenn sie mich auf frischer Tat ertappten. Denn mein Großvater würde es nicht zulassen, dass ich ihm seinen Ruf vermieste und er Gefahr lief, nicht wiedergewählt zu werden. 

Worum machte ich mir Sorgen? 

»Bist du mit Terrence eigentlich jetzt zusammen?« 

»Wer ist Terrence?«, fragte ich gedankenverloren. 

»Terrence!« Cicily stieß mich an. 

»Oh, der.« Mein Quickie von vorhin. »Warum zur Hölle denkst du das?« Cicily weckte zum ersten Mal an diesem Abend mein Interesse. Vor jedem, der es glauben wollte, tat ich so, als wäre sie meine beste Freundin. Dabei war sie das nur, weil sie zu meinem geschauspielerten Ich so gut passte. Cicily und ich hatten beide in der Schule versagt. Cicily und ich studierten beide überdurchschnittlich langsam. Cicily und ich waren beide vollkommen ungeeignet für intellektuellen Smalltalk. Wir wählten Trump, weil das Wort so gut klang, und hassten Baseball, weil wir die Spielregeln nicht verstanden. 

Wir waren durch und durch dämlich. 

Na ja. Sie zumindest. Was nicht hieß, dass ich sie nicht mochte. Sie tat mir sogar leid, dass ausgerechnet ich sie als Freundin auserkoren hatte. Sie verdiente jemand Besseren. Im tiefsten Innern wünschte ich ihr einen charismatischen Mann, der sie nicht wegen ihres Treuhandfonds liebte, und ihr die Welt zeigte, die nicht nur aus guten Noten und Bestenlisten bestand. Aber bis dahin musste sie ihre Zeit auf Partys damit verbringen, mit mir herumzusitzen und so zu tun, als würde uns der Klatsch und Tratsch der High Society interessieren  – wobei, Cicily interessierte sich leider wirklich dafür. 

Wie halte ich es hier aus? 

»Du hast mir doch schon von ihm erzählt. Dass er mit uns zusammen studiert und du ihn so toll findest.« 

»Terrence?!« 

Sie kniff die Augen zusammen. Ein klares Zeichen dafür, dass sie versuchte nachzudenken. »Ja  …?«, fragte sie gedehnt. 

Ich musste das letzte Mal so high gewesen sein, dass ich mich nicht erinnern konnte. Daher nippte ich nur noch an meinem Champagner. Ich konnte es mir nicht erlauben, die Kontrolle zu verlieren. »Ich bin nicht mit jedem zusammen, nur weil ich mit ihm flirte.« 

»Ihr wart im Bett!« 

»Ein Ausrutscher.« 

»Also ist er frei?« 

Ich starrte sie an. »Er ist schwarz!«, flüsterte ich. 

Ihre Wangen wurden rosig. »Ich finde ihn so unglaublich gut aussehend!« 

»Du kannst niemals  …« Ich sah mich nach Cicilys Vater um. Die New Yorker Gesellschaft versuchte, frei von rassistischem Gedankengut zu sein. Dennoch gab es zu viele, die ihr Problem mit Hautfarben verbargen, und Cicilys Vater gehörte definitiv dazu. Ich ertrug diese Leute nicht, was es wirklich schwierig für mich machte, Cicily zu Hause zu besuchen. »Ich meine, du kannst natürlich schon  …« 

»Hast du seine Nummer?«, fragte sie erpicht. 

»Klar.« Ich sagte ihr nicht, dass sie kaum eine Chance bei Terrence haben würde. Cicily wirkte mit ihrem hochgeschlossenen Kleid, den Perlenohrringen und den rosig geschminkten Wangen zu unschuldig, um für einen Mann wie Terrence interessant zu sein. Ihr erstes Mal hatte sie mit Easton. Einem Informatiker, der jetzt am MIT studierte. Mein Nacken kribbelte, als ich Cicilys Handy dafür benutzte, in meinen Facebook-Account zu gehen, um Terrences Nummer herauszufischen. Ich reichte es ihr zurück und musste mich nicht einmal umsehen, um zu wissen, wer mich beobachtete. 

Landon unterhielt sich mit dem Wahlkampfmanager und seinen zwei Söhnen. Aber selbst wenn er sprach, ruhte sein Blick auf mir. 

Die Hand locker in der Hosentasche, in der anderen einen Whiskey, füllte er diesen Raum mit seiner Präsenz, als gehörte er ihm. 

Ich dachte an seine dominante Art zurück, seinen brennenden Kuss, und daran, dass er mich verraten hatte, als er meine Tasche öffnete. Menschen, die ihre Neugier nicht im Zaum hielten und Grenzen übertraten, die andere ihnen setzten, verloren meinen Respekt. 

Ich hatte nichts dagegen, mir zeigen zu lassen, dass er körperlich überlegen war, aber es musste bei jedem Spiel ein Safeword geben und er hatte meines absichtlich ignoriert. 

Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wuchs. 

Mit einer raschen Handbewegung zeigte ich ihm den Mittelfinger, den ich ebenso schnell wieder verschwinden ließ. Seine Brauen hoben sich und ich mochte sein arschiges Lächeln, aber er hatte keine Chance bei mir. 

Niemals. 

»Und meinst du, ich kann ihn einfach anrufen?«, riss mich Cicily mit ihrer Schwärmerei aus den Gedanken. 

»Ja, ruf ihn einfach an, er wird nur leider keine Ahnung haben, wer du bist.« Ich wandte mich ihr zu, bemerkte noch in den Augenwinkeln, wie Landon sich in unsere Richtung bewegte, und sah im nächsten Moment gar nichts mehr. 

»Was zur  …« 

Einige Frauen schrien, was mich davon abhielt, zu denken, ich wäre in Ohnmacht gefallen. Hektisch suchte ich in der Dunkelheit nach Cicilys Hand und nach meiner Tasche. Als ich beides fand, fühlte ich mich sicherer. 

Irgendetwas passierte um mich herum. Handydisplays blitzten auf. Männerrufe. Wütende »Heys« und »Was soll das?!« 

»Ruft vielleicht mal jemand den Sicherheitsdienst?« 

»Stromausfall?! Das gibt’s doch nicht!« 

»Ich glaube, ich wurde beklaut!« 

»Brandon? Brandon?« 

»Aaaaaaah!« Ein ohrenbetäubender Schrei, noch mehr Hektik und eine Stimme, die alle anderen übertönte. 

»Lassen Sie ihre Handys aus! Wir sind bewaffnet!« 

Irgendwo blitzte dennoch ein kleines Licht auf, im nächsten Moment gellte ein Schuss. Scheiße. Frauen schrien, viele der Anwesenden warfen sich zu Boden. 

»Das ist nur ein kleiner Raubüberfall«, klärte uns die Stimme auf, sie klang verzerrt. »Bleiben Sie ruhig, dann wird Ihnen nichts geschehen.« 

Von wegen. Wenn sie meine Tasche klauten, hatte ich ein echtes Problem. Die Gangster mussten sich mit Nachtsichtbrillen durch den Raum bewegen. Wo war eigentlich meine Mutter? 

Ich hatte sie eine ganze Weile schon nicht mehr gesehen. 

Ich suchte Cicilys Hand in der Dunkelheit, während es um uns herum immer stiller wurde. »Gib mir dein Handy!«, flüsterte ich. 

Immer mal wieder war ein erschrockener Aufschrei zu hören, während die Einbrecher durch die Menge gingen. 

Cicily atmete hektisch. »Du darfst es nicht einschalten!«, jammerte sie panisch. 

Oh Mann. Ich griff über ihre Schenkel, erfühlte ihr Smartphone, riss es ihr aus den Fingern und spürte, wie es mir im nächsten Moment aus der Hand gezogen wurde. 

Ein Stofffetzen auf meinem Mund, mein erstickter Schrei, der nicht gehört wurde. Ein Mann, der mich hochzerrte. Ein kräftiger Mann. 

Landon? 

Ich umklammerte meine Clutch und versuchte, mich zu wehren, aber der Geruch, der von dem Stoff ausging, ließ mich schlaff werden. Machtlos ließ ich mich davonziehen. Ich konnte gehen, mich aber nicht wehren. 

Dunkelheit, Schwärze. Nicht einmal das winzige Licht eines Sterns drang durch die Gardinen. Wer auch immer mich davonschleifte, er kannte sich bestens in der Etage aus. Als könne er sehen, bewegte er sich vorwärts. Zickzacklinien, weil er immer wieder jemandem auszuweichen schien. Meine Füße gaben nach. Er zerrte mich mehr, als dass ich ging. 

»Landon?«, fragte ich matt. 

Eine Tür öffnete sich, Helligkeit. Für eine Sekunde sah ich die erneut ins Licht getauchte Party vor mir, die vielen verwirrt und ängstlich am Boden kauernden Gäste, dann schloss sich eine Tür, der Lappen wurde von meinem Gesicht genommen, Klarheit kehrte zurück. 

Eine Waffe blitzte auf, grub sich in meine Leiste. 

Ein Mann mit Lederjacke, Tattoos am Handgelenk, zerrissener Jeans und Motorradmaske drückte sie mir ins Fleisch. Er roch nach Zigaretten. »Die Treppen runter«, knurrte er durch einen Stimmverzerrer, den er unter der Maske zu tragen schien. 

Es war nicht Landon. 

Dennoch starrte ich den Kerl an, als wäre seine Waffe nur eine Attrappe. 

Er schubste mich zur ersten Treppenstufe. Wir befanden uns im Treppenhaus. »Hör zu«, knurrte er, »ich verlasse dieses Gebäude mit dir oder mit deiner Leiche. Also schwing deinen Arsch die Treppen hinunter, bevor ich es mir leicht mache!« 

Meinte er das ernst? Nicht unbedingt der passende Moment, das infrage zu stellen. Also lief ich. 

Er blieb mir dicht auf den Fersen, während ich Treppenstufe um Treppenstufe nach unten nahm. 

»Schneller!«, forderte er mich mehrmals auf. 

Meine High Heels gehörten verflucht, denn ich drohte jederzeit zu fallen. Er war so dicht hinter mir, dass er mich immer dann packte, wenn ich das Gleichgewicht verlor, aber plötzlich hielt er mich ganz zurück. 

»Ruhig«, flüsterte er, sodass nicht einmal der Stimmverzerrer seine Stimme transportierte. 

Die Tür vor uns, die zum nächsten Stockwerk führte, war nur angelehnt. 

Der Fremde hielt mir eine Hand vor den Mund und schob mich vorwärts. 

»Nicht auf deine Hacken treten«, befahl er und ich spürte seine Pistole wieder in der Leiste, damit ich gehorchte. 

Er lehnte sich gegen die Wand neben der Tür, meinen Körper als Schutzschild zwischen sich und dem geöffneten Spalt. 

Mein Herz raste, aber ansonsten blieb alles still, bis eine Männerstimme zu uns drang. 

»Niemand weiß, dass ich hier bin. Einer der Jungs hat diesen verschissenen Überfall geplant.« 

Eine Antwort, die ich nicht verstand, weil sie so leise war, dass sie das Rauschen in meinen Ohren nicht übertönte. 

»Du bist hier, weil ich es so will.« … »Widersetz dich mir nicht! Ich musste mit dir sprechen. Ich konnte nicht noch länger warten.« 

Was passiert da?! Aber bevor ich genauer hinhören konnte, wurde ich von der Tür weggezerrt, nachdem mein Entführer sie geräuschlos geschlossen hatte. 

»Sei leise.« Er schubste mich zur Treppe und ich nahm die Stufen so geräuschlos wie möglich. Ohne je in einer solchen Situation gewesen zu sein, ahnte ich, dass mein Entführer sich vergessen könnte, sollte uns dieser Jemand  hören und verfolgen, und so risikofreudig war ich dann doch nicht. 

»Warum entführst du mich?«, fragte ich atemlos nach dem nächsten Stockwerk, während ich mich am Geländer festkrallte, um nicht zu fallen. 

»Lauf weiter«, war die knappe Antwort. 

»Wenn es dir ums Geld geht  –« 

»Ist eine Entführung genau das Richtige, um daran zu gelangen. Schneller.« 

»Lass mich die Schuhe ausziehen«, keuchte ich zwei Treppenabsätze später. 

»Nein.« 

»Aber  …!« Ich wollte mich zu ihm umdrehen, doch er drückte gegen meine Schulter, sodass ich weiter nach vorne laufen musste. 

Ich fasste nach dem Geländer und griff ins Leere, zu weit hatte ich mich vorgebeugt. Scheiße! Stolpernd fiel ich nach vorn, landete auf meinen Knien und Händen. Als ich wieder aufstehen wollte, knickte ich weg. 

Dann setzte der Schmerz ein. Ein höllischer Schmerz in meinem Fußgelenk. 

»Shit.« Er griff an meinen Arm. »Steh auf!« 

»Ich kann nicht!«, wimmerte ich und unterdrückte die Tränen, so gut ich konnte. 

»Steh auf!«, brüllte er. 

»Ich bin mit dem Fuß umgeknickt!« 

Die Mündung seiner Pistole landete in meinem Rücken. 

Was ist, wenn er schießt? Wenn er mein Leben jetzt und hier beendet? 

Er bewegte sich hinter mir, seine Hand legte sich um mein Fußgelenk. Was auch immer er damit machte, im nächsten Moment schrie ich unter Höllenqualen leidend auf. Diesen heftigen Schmerz hatte ich zu keiner Sekunde erwartet. 

»Verflucht.« Er drehte mich auf den Rücken. Die warme Haut seiner Hände fühlte sich rau auf meiner an. Der Schmerz versiegte so schnell, wie er gekommen war. Jetzt erinnerte nur noch ein sanftes Pochen an ihn. »Ich hab geblufft«, sagte er und blickte mir in die Augen. Seine waren grün. »Du bist mir lebendig lieber als tot. Aber wenn ich dich jetzt trage und du versuchst, mich zu linken, kann es dazu führen, dass ich die Kontrolle verliere. Und das möchtest du nicht, klar?« 

Ich nickte. 

»Denn irgendwelche anderen Idioten, die sich uns in den Weg stellen könnten, erschieße ich in jedem Fall, und du könntest dabei getroffen werden.« 

»Warum entführst du mich?«, fragte ich noch einmal. Hatte es etwas mit dem Kokain zu tun? War ich unvorsichtig geworden? Hatte meine Quelle mich verraten? 

»Das ist nichts Persönliches.« Er griff unter meine Achseln und zog mich hoch in den Stand. Dann packte er mich um meine Mitte und warf mich über seine Schulter. Mein zusätzliches Gewicht auf sich lastend rannte er die Treppen hinunter. 

»Nichts Persönliches?«, fragte ich und klammerte mich an ihm fest. Noch erschien es mir ziemlich ausweglos, fliehen zu wollen. 

»Ist ’ne alte Geschichte«, antwortete er und klang dabei so normal, als würde er gerade Billard spielen und nicht sechzig Kilo schleppen. Er war durchtrainiert. Sein gesamter Rücken bestand aus Muskeln. 

»Habe ich eine Chance, von dieser zu erfahren?« 

Er stöhnte auf und setzte mich ab, als wir im 3. Stockwerk angekommen waren. »Laberst du immer so viel, während man dich kidnappt?« 

Ich lehnte mich gegen die Wand, um meinen Fuß zu entlasten, während er sich am Schloss der Tür zu schaffen machte. »Ich werde nicht so häufig entführt.« Dabei hielt er seine Pistole in der Hand und ich befürchtete, dass es nicht leicht werden würde, ihn zu entwaffnen. »Gibst du denn auch sonst so viele Antworten?« 

Er richtete sich auf und öffnete die Tür, während er mich musterte. »Ist leichter, wenn du keine Angst vor mir hast, weshalb ich nett bin. Aber die hast du eh nicht. Geh vor, stütz dich an der Wand ab, geh zum Fenster. Wir fliehen übers Dach.« 

»Das ist selten dämlich. Bestimmt kreisen längst Hubschrauber über dem Gebäude.« 

»Geh jetzt«, knurrte er ungeduldig. 

Ich verengte missmutig die Augen und schleppte mich voran. Sobald ich durch die Tür war, kam er mir wieder nahe, legte meinen Arm um seine Schulter und stützte mich. Dadurch waren wir etwas schneller als eine Schnecke. 

»Du solltest ohne mich gehen, dann schaffst du es vielleicht zu fliehen.« 

Er lachte trocken. 

»Ernsthaft, was bringt es dir, für Jahre in den Knast zu wandern? Nimm meine Tasche. Darin befindet sich Kokain im Wert von über achttausend Dollar. Jedenfalls, wenn du jedes Päckchen überteuert verkaufst, was im Grunde nur auf der Party oben möglich ist  …« 

»Scheiße!«, fluchte er und schleuderte mich gegen die Wand. Mein Kopf schlug auf, mein Herz begann zu rasen.