Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften - Edith Stein - E-Book

Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften E-Book

Edith Stein

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Beschreibung

Dieses eBook: "Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Dieses Zusammen verschiedenartiger Erlebnisse in einer Momentphase ist die ursprünglichste und erste Art der Verbindung von Erlebnissen (während bei dem Werden von Erlebnissen aus kontinuierlich ineinander überfließenden Phasen die Rede von Verbindung noch gar keinen Sinn hat): Es ist das, was der Rede von "Berührungs-Assoziation" phänomenal zugrunde liegt. Denn es ist ohne weiteres verständlich, daß das, was zusammen entsprang oder überhaupt in einem Moment zusammen war, auch zusammen in die Vergangenheit rückt und in allen besprochenen Wandlungen seines Seins (dem Sterben, dem Versinken und dem Wiederauftauchen) einen "Komplex" bildet; verständlich ist es also auch, daß alle Erlebnisse dieses Komplexes mit "geweckt" werden, wenn man sich eines davon "ins Gedächtnis zurückruft" – ein Phänomen, das übrigens für ein ohne alle "Aktivität" in einer Richtung verlaufendes Bewußtsein, wie wir es bisher annahmen, noch nicht in Betracht kommt." Edith Stein (1891-1942), war eine deutsche Philosophin und Frauenrechtlerin jüdischer Herkunft, die 1922 durch die Taufe in die katholische Kirche aufgenommen und 1933 Unbeschuhte Karmelitin wurde.

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Edith Stein

Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften

e-artnow, 2017 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-273-0097-6
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. Abhandlung Psychische Kausalität
Einleitung
Anmerkung
I. Kausalität im Bereich der reinen Erlebnisse
§ 1. Ursprünglicher und konstituierter Bewußtseinsstrom
§ 2. Erlebnisgattungen und Einheit des Stromes
§ 3. Berührungs-Assoziation
§ 4. Kausale Bedingtheit der Erlebnisse
II. Psychische Realität und Kausalität
§ 1. Bewußtsein und Psychisches
§ 2. Der psychische Mechanismus
§ 3. Kausalgesetze und Determination des Psychischen
III. Geistiges Leben und Motivation
§ 1. Motivation als Grundgesetzlichkeit des geistigen Lebens
§ 2. Motivation im Bereich der Kenntnisnahmen; die »Zuwendung«
§ 3. Stellungnahmen, ihre Annahme und Ablehnung
§ 4. Freie Akte
IV. Trieb und Streben
§ 1. Strebungen und Stellungnahmen
§ 2. Die Struktur der Triebe
§ 3. Motivation des Strebens
§ 4. Streben und Wollen
V. Ineinandergreifen von Kausalität und Motivation
§ 1. Kausale Bedingtheit von Akten
§ 2. Beeinflussung des psychischen Mechanismus durch Erlebnisgehalte
§ 3. Zusammenwirken von Kausalität und Motivation; sinnliche und geistige Lebenskraft
§ 4. Kausalität und Willenswirkung
§ 5. Das Problem der Determination
Schluß
Anhang
I. Über die Möglichkeit einer Deduktion der psychischen Kategorien aus der Idee einer exakten Psychologie
II. Münsterbergs Versuch der Begründung einer exakten Psychologie
II. Abhandlung: Individuum und Gemeinschaft
Einleitung
I. Der Erlebnisstrom der Gemeinschaft
§ 1. Die Struktur des Gemeinschaftserlebnisses
§ 2. Elemente des Erlebnisstroms
§ 3. Die Verknüpfung der Erlebnisse im Strom
II. Gemeinschaft als Realität, ihre ontische Struktur
§ 1. Die Gemeinschaft als Analogon einer individuellen Persönlichkeit
§ 2. Die Lebenskraft der Gemeinschaft und ihre Quellen
§ 3. Psychische Fähigkeiten und Charakter der Gemeinschaft
§ 4. Das Fundierungsverhältnis von Individuum und Gemeinschaft
Schlußbetrachtung: Die prinzipielle Scheidung von psychischem und geistigem Sein, Psychologie und Geisteswissenschaften

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Die folgenden Untersuchungen stellen es sich zur Aufgabe, von verschiedenen Seiten her in das Wesen der psychischen Realität und des Geistes einzudringen und daraus die Grundlage für eine sachgemäße Abgrenzung von Psychologie und Geisteswissenschaften zu gewinnen. Die Probleme, deren Lösung hier angestrebt wird, sind bereits in meiner Dissertation Zum Problem der Einfühlung aufgetaucht. Im Zusammenhang der Analyse der Erfahrung von fremder Subjektivität sah ich mich genötigt, die Struktur der menschlichen Persönlichkeit in ihren Grundzügen zu skizzieren, ohne in diesem Rahmen eine vertiefte Untersuchung der komplizierten Fragen dieses Problemkreises in Angriff nehmen zu können. Die erste der beiden folgenden Untersuchungen unternimmt es nun, die doppelte Grundgesetzlichkeit, die in einem psychischen Subjekt von sinnlich-geistigem Wesen zusammenwirkt – Kausalität und Motivation – klar herauszuarbeiten. Die zweite Untersuchung erweitert die Betrachtung vom isolierten psychischen Individuum auf die überindividuellen Realitäten und sucht dadurch weitere Einblicke in die Struktur des geistigen Kosmos zu erzielen. Die Schlußbetrachtung wertet die Ergebnisse der beiden Untersuchungen für die entsprechenden wissenschaftstheoretischen Probleme aus.

Es bleibt mir noch übrig, ein paar Worte zur Aufklärung über das Verhältnis meiner Untersuchungen zur Gedankenarbeit E. Husserls zu sagen. Ich bin Herrn Professor Husserl fast zwei Jahre lang bei der Vorbereitung großer Publikationen behilflich gewesen, und in dieser Zeit haben mir alle seine Manuskripte aus den letzten Jahrzehnten zur Verfügung gestanden (darunter auch solche, die sich mit dem Thema der Psychologie und der Geisteswissenschaften beschäftigen). Es ist selbstverständlich, daß von den Anregungen, die ich auf diesem Wege und in vielen Gesprächen empfing, maßgebende Einflüsse auf meine eigenen Arbeiten ausgegangen sind. In welchem Umfange das der Fall gewesen ist, das vermag ich heute selbst nicht mehr zu kontrollieren. Im einzelnen Belege durch Zitate zu geben, war mir nicht möglich, einmal, weil es sich um ungedrucktes Material handelt, dann aber auch, weil ich mir sehr oft nicht darüber klar war, ob ich etwas als eigenes Forschungsergebnis anzusehen hätte oder als innere Aneignung übernommener Gedankenmotive.

I. Abhandlung Psychische Kausalität

Einleitung

Inhaltsverzeichnis

Eine fast unübersehbare Literatur liegt bereits vor, die sich mit dem Thema der psychischen Kausalität beschäftigt. Begreiflicherweise, da mit diesem Problem höchste philosophische Fragen – metaphysische und erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretische – verknüpft sind.

In dem alten Streit zwischen Determinismus und Indeterminismus taucht die Frage auf, ob das menschliche Seelenleben – ganz oder doch einem Teil seines Bestandes nach – dem großen Kausalzusammenhang der Natur eingeordnet ist. Das Problem wird allerdings nicht immer so gestellt. Mancherlei und recht Verschiedenes geht unter den Titeln »Freiheit« und »Notwendigkeit« durcheinander: Bald handelt es sich um die Abhängigkeit des Willens von der theoretischen Vernunft, bald um die Abhängigkeit des menschlichen vom göttlichen Willen, bald um die allgemeine Kausalgesetzlichkeit. In der neueren Literatur jedoch dreht es sich im wesentlichen um die letzte Frage. Freilich ist auch diese keineswegs eindeutig. Einmal betrifft sie das Problem, so wie wir es hier stellten, die Einordnung des Psychischen in den einen Zusammenhang der Natur: Dann tritt sofort in den Mittelpunkt die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Psychischem und Physischem, und zwar zumeist in der historischen Form der Auseinandersetzung zwischen psychophysischem Parallelismus und Wechselwirkungstheorie. Daneben und meist im Zusammenhang mit dieser Streitfrage wird das andere Problem erörtert, ob vielleicht das Psychische seinen eigenen, der Gesetzlichkeit der physischen Natur analogen Notwendigkeitszusammenhang hat. Im Sinne der alten Psychologie sind es dann die Assoziationsprinzipien, die als Naturgesetze aufgefaßt werden; in neuerer Zeit hört man öfters die Motivation als »Kausalität des Psychischen« bezeichnen (dies besonders, wo es sich um die Frage der »Notwendigkeit« des historischen Geschehens handelt). Ohne Zweifel ist in den vielen Untersuchungen, die diesen Problemen gewidmet wurden, vieles Wertvolle herausgestellt worden. Wenn wir in den folgenden Betrachtungen trotzdem nicht an diese Untersuchungen anknüpfen, sondern ganz von vorn beginnen und einen neuen Zugang suchen, so hat das seine guten Gründe. Eine systematische Klärung der psychischen Kausalität ist ausgeschlossen, solange man nicht wenigstens einige Klarheit darüber hat, was das »Psychische« und was »Kausalität« ist. Daran fehlt es aber in der vorliegenden Literatur noch völlig.

Der Kausalbegriff hat sich noch heute nicht von dem Schlage erholt, den ihm Humes vernichtende Kritik versetzte (trotz des skeptischen Widersinns in seiner Methode, die auf Grund einer kausalen Betrachtung den Kausalbegriff auflöst). Der Geist der Humeschen Kritik ist in allen modernen Behandlungen des Problems durchzuspüren – trotz Kant und der »endgültigen Lösung«, die man ihm zuzuschreiben pflegt. Und das ist gar kein Wunder. Denn was Hume suchte und schließlich als unauffindbar zu erweisen glaubte – das Phänomen der Kausalität –, das hat auch Kant nicht aufgezeigt. Er teilt vielmehr offenbar in diesem Punkte Humes Ansicht und folgert aus der Unaufweisbarkeit der Kausalität, die er anerkennt, die Notwendigkeit, die Untersuchung auf einem ganz anderen Boden fortzuführen. Er deduziert Kausalität als eine der Bedingungen der Möglichkeit einer exakten Naturwissenschaft, er zeigt, daß Natur im Sinne der Naturwissenschaft ohne Kausalität nicht denkbar ist. Das ist ein unanfechtbares Ergebnis, aber es ist keine Erledigung des Kausalproblems und keine befriedigende Antwort auf Humes Frage. Hume kann nur auf seinem eigenen Boden überwunden werden oder richtiger: auf dem Boden, auf dem er seine Betrachtung durchzuführen suchte, den er selbst aber nicht genügend methodisch zu sichern vermochte. Er geht aus von der Natur, wie sie sich den Augen des naiven Betrachters darbietet: In dieser Natur gibt es eine ursächliche Verknüpfung, eine notwendige Abfolge des Geschehens. Welcher Art das Bewußtsein von dieser Verknüpfung und ob es ein vernünftiges ist, möchte er untersuchen. Und nur eine voreilige Theorie über die Natur des Bewußtseins und speziell der Erfahrung hindert ihn daran, die aufweisbaren Zusammenhänge zu finden, die er sucht, und verführt ihn am Ende dazu, die Phänomene wegzudeuten, von denen er ausgegangen ist und ohne die seine ganze Fragestellung unverständlich wäre. Auf diese Frage, die doch ohne Zweifel ein echtes Erkenntnisproblem aufweist, vermag eine Betrachtung wie die Kantische, der es nur um eine »natura formaliter spectata« zu tun ist, keine Antwort zu geben. Sie kümmert sich nicht um die Phänomene, und die Kausalität, die sie deduziert, ist eine Form, die eine mannigfache Ausfüllung zuläßt; sie besagt nur eine notwendige Verknüpfung in der Zeit; welcher Art aber diese Verknüpfung ist, das kann uns eine »transzendentale Deduktion« in Kants Sinne nicht lehren. Dazu bedarf es einer Methode der Analyse und Beschreibung der Phänomene, d. h. der Objekte in der ganzen Fülle und Konkretion, in der sie sich uns darbieten, und des ihnen entsprechenden Bewußtseins. Nichts anders als diese Methode, auf die die recht verstandene Humesche Problemstellung hindrängt, ist Husserls Phänomenologie, deren Richtlinien in den Ideen zu einer reinen Phänomenologie und Phänomenologischen Philosophie niedergelegt sind. Nur auf dem Boden der Phänomenologie scheint mir demnach eine fruchtbare Behandlung auch der psychischen Kausalität möglich zu sein. Es wäre natürlich eine große Erleichterung, wenn wir uns bei dieser Betrachtung auf eine vorliegende phänomenologische Analyse der Kausalität im Bereich der materiellen Natur stützen könnten. Grundlegende Erörterungen darüber enthält der unveröffentlichte II. Teil der Ideen; ferner liegt uns eine ebenfalls noch nicht veröffentlichte Arbeit von Erika Gothe über Humes Behandlung des Kausalproblems vor. An diese Grundlagen knüpfen wir an, wo wir genötigt sind, die materielle Kausalität für unsere Untersuchung in Betracht zu ziehen.

Der zweite Grund, der uns von einer Anknüpfung an irgendwelche nichtphänomenologische Untersuchungen absehen läßt, ist die herrschende Unklarheit über den Begriff des Psychischen. Zwar setzt sich jedes Lehrbuch der Psychologie in einem einleitenden Kapitel mit diesem Begriff auseinander, und in den letzten Jahrzehnten sind hoch bedeutsame Werke seiner Klärung gewidmet worden (ich denke etwa an Brentano, Münsterberg, Natorp). Aber fast alle diese Bemühungen leiden an einem Grundfehler: an der Verwechslung von Bewußtsein und Psychischem. Erst wenn man diese Scheidung reinlich herausgearbeitet hat – und das war ein entscheidender Schritt bei der Ausbildung der phänomenologischen Methode –, kann man richtig auswerten, was in jenen früheren Werken an wertvollen Ergebnissen zutage gefördert worden ist.

Auf der verlangten Scheidung von Bewußtsein und Psychischem nämlich beruht die Abgrenzung von Phänomenologie und Psychologie, die Husserl in den Ideen und schon vorher in seinem Logos-Artikel über »Philosophie als strenge Wissenschaft« durchführte. Psychologie im Sinne dieser Abgrenzung und zugleich im Sinne der Psychologen, die sie naiv betreiben und keine erkenntniskritischen Betrachtungen über ihr Verfahren anstellen, ist eine »natürliche« oder »dogmatische« Wissenschaft, theoretische Erforschung bestimmter Gegenstände, die wir in »der Welt« vorfinden, in unserer Welt, in der wir leben und deren Existenz erstes Dogma und selbstverständlichste ungeprüfte Voraussetzung aller unserer Betrachtungen ist. In dieser Welt begegnen uns neben materiellen Dingen und lebenden Organismen auch Menschen und Tiere, die außer dem, was sie mit Dingen und bloßen Lebewesen gemein haben, noch gewisse Eigentümlichkeiten zeigen, die sie allein auszeichnen. Die Gesamtheit dieser Eigentümlichkeiten nennen wir das Psychische, und seine Erforschung ist Aufgabe der Psychologie.

Die Welt aber, auf der in natürlicher Einstellung unser Blick ruht, mit allem, was darinnen ist, ist Korrelat unseres Bewußtseins – so lehrt die reflektierende Betrachtung. Jedem Gegenstand und jeder Gattung von Gegenständen entsprechen bestimmt geartete Bewußtseinszusammenhänge. Und umgekehrt: wenn bestimmt geartete Bewußtseinszusammenhänge ablaufen, so muß mit Notwendigkeit dem Subjekt dieses Bewußtseinslebens eine bestimmt geartete Gegenständlichkeit erscheinen. Das besagt die Lehre von der »Konstitution der Gegenstände im Bewußtsein«. Eine ideale Gesetzlichkeit regelt die Zusammenhänge von konstituierendem Bewußtsein und konstituierten Gegenständen. Die Erforschung dieser Gesetzlichkeit ist die Aufgabe der reinen transzendentalen Phänomenologie: Sie hat zum Gegenstande das Bewußtsein mit allen seinen Korrelaten. In die Reihe dieser Korrelate gehört u. a. auch das Psychische, das den Gegenstand der Psychologie bildet. Es ist wie die ganze natürliche Welt in geregelten Bewußtseinszusammenhängen konstituiert.

Unter dem Mangel an Klarheit über den Begriff des Psychischen müssen natürlich auch die Erörterungen über die psychische Kausalität leiden, und wir könnten nichts daraus verwenden, ohne es vorher einer kritischen Prüfung zu unterziehen, um festzustellen, in welche Sphäre es gehört. Stattdessen ziehen wir es vor, unmittelbar an die Sachen selbst heranzugehen, und zwar wollen wir mit einer Betrachtung des Bewußtseins beginnen und zunächst sehen, ob wir hier so etwas wie Kausalität aufweisen können.

Einleitend müssen wir noch folgendes vorausschicken: Die natürliche Welt, die als Ausgangspunkt diente, um das Forschungsgebiet der Phänomenologie zu gewinnen, erschöpft nicht die Gesamtheit der Bewußtseinskorrelate. Die reflektierende Betrachtung erschließt uns neue Schichten von konstituierten Objekten niederer Stufe (»Noemata« in der Sprache der Ideen): So werden wir z. B. von dem Ding der Natur, das eines und dasselbe ist für alle erfahrenden Individuen, zurückgeführt auf das Ding, wie es sich dem jeweilig erfahrenden Individuum darstellt; von dem vollen materiellen Ding können wir das »Phantom« ablösen, die sinnlich erfüllte Raumgestalt ohne real-kausale Eigenschaften, davon wiederum das bloße »Sehding«, das rein visuell konstituiert ist. Diesem entsprechen mannigfaltige »Abschattungen« je nach der Stellung des betrachtenden Subjekts, und zwar stellt sich jede sichtbare Qualität – Farbe, Gestalt usw. – in Abschattungen dar. Schließlich finden wir als unterste Schicht von Bewußtseinskorrelaten die Empfindungsdaten, die noch nicht als Beschaffenheiten eines dinglichen Trägers aufgefaßt sind. Allen diesen »noematischen« Mannigfaltigkeiten entsprechen »noetische«: das eigentliche Bewußtseinsleben. Das Bewußtsein betätigt sich (»Betätigung« in einem sehr weiten Sinne verstanden) auf jeder Stufe in verschiedener Weise, und dank diesen Bewußtseinstätigkeiten werden die noematischen Einheiten niederer Stufe zu Mannigfaltigkeiten, in denen sich die Einheiten höherer Stufe konstituieren. Gehen wir immer weiter zurück, so kommen wir schließlich auf ein letztes konstituierendes Bewußtsein, das sich nicht an konstituierten Einheiten betätigt: den ursprünglichen Bewußtseins- oder Erlebnisstrom. Mit ihm wollen wir unsere Betrachtungen beginnen.

Anmerkung

Inhaltsverzeichnis

Wir sind in unserer Fassung des Bewußtseinsbegriffs hier etwas von der Darstellung der Ideen abgewichen. Diese war im wesentlichen an der Welt der natürlichen Einstellung orientiert und faßte als Bewußtsein alle Mannigfaltigkeiten zusammen, die diese Einheit konstituieren: die noetischen wie die noematischen. Wenn wir jetzt das Bewußtsein im Sinne des Noetischen von den Korrelaten aller Stufen abscheiden, so erscheint uns dies durch Husserls eigene Untersuchungen über das ursprüngliche Zeitbewußtsein erforderlich zu werden und wir hoffen darin seine Zustimmung zu finden.

I. Kausalität im Bereich der reinen Erlebnisse

Inhaltsverzeichnis

§ 1. Ursprünglicher und konstituierter Bewußtseinsstrom

Inhaltsverzeichnis

Der ursprüngliche Bewußtseinsstrom ist ein reines Werden, das Erleben strömt dahin, in stetiger Erzeugung reiht sich neues an, ohne daß man fragen könnte, »wodurch« das Werdende erzeugt (= verursacht) werde. An keiner Stelle des Stromes ist das Hervorgehen einer Phase aus der anderen als ein »Bewirktwerden« aufzufassen; eine strömt aus der anderen hervor und das ursprüngliche »Woher« liegt im Dunkeln. Indem die Phasen ineinanderströmen, entsteht keine Reihe abgesetzter Phasen, sondern eben ein einziger stetig wachsender Strom. Darum hätte es auch keinen Sinn, nach einer »Verknüpfung« der Phasen zu fragen, Verknüpfung braucht es nur bei Gliedern einer Kette, aber nicht bei einem ungeteilten und unteilbaren Kontinuum.

Wie kommt man nun dazu, von Erlebnissen »im« Strom und von einer Verbindung oder Verknüpfung dieser Erlebnisse zu sprechen? Bevor wir an die Beantwortung dieser Frage herangehen können, müssen wir dieses eigentümliche Gebilde, den kontinuierlichen Strom, und die Art des Werdens, die hier vorliegt, noch etwas näher betrachten. Wir haben nicht ein Ablösen der Phasen durch einander derart, daß mit dem Werden der neuen die alte jeweils vergeht, ins Nichts versinkt: Wäre das der Fall, so hätten wir nur immer je eine Phase, und es erwüchse kein einheitlicher Strom. Es ist auch nicht so, daß das jeweils Erzeugte im Werden starr wird und nun als dauerndes Sein tot, starr und unverändert verharrt, während immer Neues wird und sich ansetzt (wie etwa beim Erzeugen einer Linie). Es ist von beidem etwas und ist doch keines von beiden.

Es gibt zunächst ein »lebendiges« Verharren des »Abgeflossenen«, während Neues sich erzeugt, so daß eine Phase des Stromes eben Werdendes und schon Gewesenes, aber noch Lebendiges (das als solches, als noch Lebendiges erlebt wird, also von dem »jetzt« eben ins Leben Tretenden durch einen Index der Vergangenheit sich abhebt) zugleich enthält. Indem im Erleben Abgelaufenes, noch Lebendiges mit neu Entstehendem verwächst, bilden sich Erlebniseinheiten. Eine solche Einheit ist abgeschlossen, sobald sich ihr keine neuen Phasen mehr anfügen.

Es gibt sodann ein »Sterben« des Erzeugten, das kein völliges Versinken ist; das Abgelaufene in seiner Lebendigkeit ist dahin, aber ein mehr oder minder leeres Bewußtsein davon bleibt zurück; und indem das abgelaufene Erleben in solcher Modifikation erhalten bleibt und das neue sich ihm anreiht, erwächst die Einheit eines Erlebnisstromes: ein konstituierter Strom, der sich aber mit dem ursprünglich zeugenden, dem letzt-konstituierenden deckt. Dieser konstituierte Strom erfüllt die phänomenologische Zeit, in der sich im Nacheinander Erlebnis an Erlebnis anschließt. Außer dem »Nacheinander« ist aber das »Zugleich« in der Erlebniszeit zu beachten. Jeder Augenblick ist mehrfach erfüllt: Wir haben in der Momentanphase neben eben ins Leben Tretendem und noch Lebendigem Totes, Abgestorbenes.

Solange ein Erlebnis noch lebendig ist, zeugt es sich fort, werden ihm ständig neue Phasen angefügt, wenn es auch durch ein anderes, später einsetzendes in den Hintergrund gedrängt sein mag. Das »Abgelaufensein« dagegen bedeutet, daß das Erlebnis abgeschlossen ist und keine weitere Bereicherung mehr erfährt. Es ist allerdings möglich, daß in der Einheit eines Erlebnisses abgelaufene Phasen durch Vermittlung einer lebendigen Dauerstrecke mit neu sich anschließenden verwachsen: So kann ein Ton noch fort klingen, wenn der Beginn des Tönens nur noch leer bewußt ist, aber ein noch lebendig gebliebenes Tönen muß die Kontinuität vermitteln; und sobald sich keine neue Phasen mehr anschließen, ist der Ton verklungen.

Es ist schließlich möglich, daß das Tote versinkt, im Strom zurückgelassen wird. »Es wird im Strom zurückgelassen« – es ist also nicht völlig nichts geworden, sondern hat noch eine Art der Existenz; es verharrt an seiner Stelle im konstituierten Strome, wenn auch hinter der lebendigen Strömung zurückbleibend, und es besteht die Möglichkeit, daß wieder einmal »darauf zurückgegriffen« wird. (Eben in solchem Zurückgreifen – in einer »Vergegenwärtigung« – wird es als nach seinem Tode im Strom verblieben bewußt.)

§ 2. Erlebnisgattungen und Einheit des Stromes

Inhaltsverzeichnis

In unseren letzten Beschreibungen mußten wir schon ständig von etwas sprechen, das weder bloße Phase im Strom, noch der gesamte Strom selbst ist: von Einheiten im Strome, die in einer Phase neu einsetzen, sich weiter fortsetzen, während ihr abgelaufener Teil lebendig bleibt, schließlich ein Ende erreichen, aber nach diesem Abschluß sich forterhalten. Nichts anderes als diese Einheiten, die im stetigen Fluß innerhalb einer bestimmten Dauer entstehen, sind die Erlebnisse, die wir in der gewöhnlichen Rede so nennen und mit denen es auch – allerdings in geänderter Auffassungsweise – die Psychologie zu tun hat. Diese Erlebnisse nun (auch das liegt schon in den bisherigen Ausführungen beschlossen) laufen nicht einfach nacheinander ab, sondern es ist eine Mehrheit gleichzeitiger oder nach Teilstrecken ihrer Dauer sich deckender Erlebnisse möglich (und erfahrungsgemäß immer vorhanden). Ein Ton (als reines Empfindungsdatum genommen, nicht als gegenständlicher Ton) hebt an, während zugleich ein Farbendatum im Sehfeld auftaucht, beide bleiben (nach allen ihren Momenten gleich oder auch sich verändernd) eine Weile, aber die Farbenempfindung dauert länger, sie verharrt noch, wenn der Ton bereits abgeklungen ist. Mitten in der Dauer der beiden Daten, in einer Phase ihrer Kontinuität, begann ein Wohlbehagen mich zu durchströmen, es steigerte sich während seiner Dauer zu einer gewissen Höhe und verbleibt nun in dieser eine ganze Zeit bestehen, es ist noch vorhanden, wenn Farbe und Ton längst ins Reich der Vergangenheit versunken sind.

Wir werfen nun die Frage auf, wie die verschieden gearteten Erlebnisse, von denen wir sprachen, zueinander stehen, was sie scheidet und doch wieder zur Einheit eines Stromes verbindet. Wir erkennen, daß die Erlebnisse sich nach scharf getrennten Gattungen sondern: Farbenempfindung, Tonempfindung, sinnliches »Befinden« usw. Innerhalb einer Gattung gibt es Übergänge von einem Datum zum anderen (abgesehen von den Schwankungen innerhalb eines und desselben Datums, etwa der Zu- und Abnahme an Intensität), und zwar kontinuierliche oder nicht kontinuierliche Übergänge: Ein Ton kann stetig in einen anderen übergehen in einem kontinuierlichen Änderungsverlauf, in dem er ständig wechselnde Qualitäten durchläuft, oder er kann sprunghaft wechseln; ebenso kann Rot stetig in Blau übergehen, ein Wohlbehagen in Mißbehagen. Aber wesensmäßig ausgeschlossen ist ein Übergang aus einer Gattung in die andere, niemals kann ein Ton in eine Farbe, eine Farbe in Schmerz oder Lust sich wandeln; es gibt hier keinerlei vermittelnde Qualitäten.

Was nun die einzelnen Erlebnisgattungen selbst anbetrifft, so gibt es solche, die in einem Bewußtsein, wenn überhaupt, dann stetig vertreten sind, die Daten einer solchen Gattung bilden ein kontinuierliches »Feld«. Es ist wohl ein Bewußtsein ohne »Gehörsfeld«, ein Bewußtsein, in dem keinerlei Töne auftreten, denkbar. Aber es ist nicht denkbar, daß ein Gehörsfeld, das eine Zeitlang von Tönen erfüllt war, plötzlich aufhört. Wohl verstanden: es ist nicht nötig, daß das Gehörsfeld stetig mit Tönen erfüllt sei; ein Tönen kann in Stille übergehen, und nicht bloß in ein Minimum von Tönen, sondern in absolute Stille. Aber auch Stille ist eine Ausfüllung des Gehörsfeldes, es ist nun leer, aber eben leer von Tönen und nicht etwa von Farben oder sonst etwas; es ist leer, aber nicht verschwunden. Das gilt auch für die andern besprochenen Erlebnisgattungen. Immer »befinde« ich mich z. B. »irgendwie«, und auch der Indifferenzzustand, in dem mir weder wohl noch übel ist, ist ein ganz bestimmter Zustand und nicht etwa ein »Nichtbefinden«.

Von der »Leere« eines Feldes ist der Fall zu unterscheiden, wo ich mich aus einer Sinnessphäre »zurückgezogen« habe, so daß sie gar nicht mehr »für mich vorhanden« ist. Ich bin z. B. in einen Gedankengang vertieft und höre nicht, was um mich herum vorgeht. Fast könnte es so scheinen, als wäre hier die Kontinuität des Gehörsfeldes durchbrochen; in Wahrheit zeigt es auch in diesem Fall keine Lücke, oder vielmehr: Die Lücke schließt sich nachträglich, sobald ich die Tore meiner Sinne wieder öffne; das Geräusch des Teppichklopfens, das ich soeben vernehme und das mir bisher entgangen war, gibt sich mir nicht als soeben beginnend, sondern als schon vordem gewesen, wenn ich es auch jetzt erst als Teppichklopfen erfasse, während ich es vorher weder als irgend etwas auffaßte, noch überhaupt gegenständlich vor mir hatte: Als pures Sinnesdatum aber war es zuvor schon da. Ich nehme gleichsam einen Faden auf, den ich verloren hatte, und indem ich ihn wieder aufnehme, bemerke ich, daß das Feld während der Dauer, in der ich es außer acht ließ, kontinuierlich erfüllt war, wenn ich auch vielleicht die Bestimmtheit der Ausfüllung nicht für die ganze Dauer wiederherstellen kann. Und Stille ist nur eine der verschiedenen möglichen Ausfüllungen des Gehörsfeldes während der Dauer der Nichtbeachtung.

Nicht alle Sinnesdaten haben die Eigentümlichkeit, sich zu »Feldern« zusammenzuschließen. Es gibt sicher kein Geruchs- und Geschmacksfeld analog dem Gesichts- und Gehörsfeld, und auch ob von einem Tastfeld im selben Sinne gesprochen werden kann, möchten wir dahingestellt lassen.

Betrachtet man die völlige Getrenntheit der verschiedenen »Felder«, so könnte es scheinen, als ob der einheitliche Erlebnisstrom, von dem wir anfangs sprachen, sich in eine Reihe von Teilströmen auflöste, nämlich in die Erlebniskontinua bzw. die sporadisch auftretenden Erlebnisse der einzelnen Gattungen. Das ist aber nur Schein, und die Rede von einem Strom hat ihr unantastbares Recht. Denn jede Phase im Strom hat den Charakter eines einzigen Zeugungsimpulses, von dem alles sich nährt, das in lebendigem Werden diese Phase passiert: die Erlebniseinheiten aller Gattungen, die gerade im Entstehen begriffen sind. Man kann auch sagen, der Strom ist einer, weil er einem Ich entströmt. Denn was aus der Vergangenheit in die Zukunft hineinlebt, in jedem Moment neues Leben aus sich hervorspringen fühlt und den ganzen Schweif des vergangenen mit sich trägt – das ist das Ich.

§ 3. Berührungs-Assoziation

Inhaltsverzeichnis

Dieses Zusammen verschiedenartiger Erlebnisse in einer Momentphase ist die ursprünglichste und erste Art der Verbindung von Erlebnissen (während bei dem Werden von Erlebnissen aus kontinuierlich ineinander überfließenden Phasen die Rede von Verbindung noch gar keinen Sinn hat): Es ist das, was der Rede von »Berührungs-Assoziation« phänomenal zugrunde liegt. Denn es ist ohne weiteres verständlich, daß das, was zusammen entsprang oder überhaupt in einem Moment zusammen war, auch zusammen in die Vergangenheit rückt und in allen besprochenen Wandlungen seines Seins (dem Sterben, dem Versinken und dem Wiederauftauchen) einen »Komplex« bildet; verständlich ist es also auch, daß alle Erlebnisse dieses Komplexes mit »geweckt« werden, wenn man sich eines davon »ins Gedächtnis zurückruft« – ein Phänomen, das übrigens für ein ohne alle »Aktivität« in einer Richtung verlaufendes Bewußtsein, wie wir es bisher annahmen, noch nicht in Betracht kommt.

Es ist ferner ohne weiteres ersichtlich, daß diese Komplexbildung nicht nur bei einer Berührung im »Zusammen«, sondern auch im »Nacheinander« statthat. Die Phasen, die in einem Moment im Bewußtsein vereinigt sind, sind ja nichts, was für sich besteht oder bestehen könnte, sondern sind nur innerhalb des Ganzen, das sie aufbauen, der Erlebniseinheit, es können also nicht isolierte Phasen, sondern nur die dauernden Erlebnisse, denen sie angehören, in einen Komplex eingehen. Warum nun beim Wiederauftauchen eines Erlebnisses nicht der gesamte Erlebnisstrom – der sich doch in seinem Abfluß als Einheit konstituiert – wieder abläuft, das kann an dieser Stelle nicht erörtert werden. Ebenso muß die Besprechung der anderen Arten von Assoziation, die in der Psychologie behandelt werden, für eine spätere Stelle aufgespart bleiben. Jedenfalls ist diese Art der »Assoziation« keinerlei kausales Geschehen; das Entstehen eines Komplexes ist ein reines Werden – wie das Werden eines Erlebnisses – und kein Bewirktwerden, und auch das Wachwerden des gesamten Komplexes beim Wiederauftauchen eines Teils ist kein kausales Erzeugtwerden.

§ 4. Kausale Bedingtheit der Erlebnisse

Inhaltsverzeichnis

Dieses Einswerden der zusammen auftretenden Erlebnisse, die Komplexbildung, ist aber nicht das einzige, was bei ihrem gemeinsamen Auftreten im Strom festzustellen ist. Es gibt daneben eine Art der »Beeinflussung« gleichzeitig auftretender Erlebnisse, ein Betroffenwerden in ihrem Seins-Bestande, und zwar ist es eine ganz bestimmte Erlebnisschicht, die hier als »wirkende« erscheint: Jeder Wandel in der Sphäre des »Sichbefindens«, wie wir vorhin sagten, oder der Lebensgefühle (wie wir mit Rücksicht auf die Rolle, die sie spielen, jetzt sagen wollen) bedingt einen Wandel im gesamten Ablauf des gleichzeitigen Erlebens. Wenn ich mich matt fühle, so scheint der Strom des Lebens gleichsam zu stocken, träge schleicht er dahin, und alles, was in den verschiedenen Sinnesfeldern auftritt, wird davon betroffen, die Farben sind gleichsam farblos, die Töne klanglos, und jeder »Eindruck« – jedes Datum, das dem Lebensstrom sozusagen wider Willen aufgenötigt wird – ist schmerzlich, unlustvoll, jede Farbe, jeder Ton, jede Berührung »tut weh«. Schwindet die Mattigkeit, so tritt auch in den anderen Sphären ein Wandel ein, und in dem Moment, wo sie in Frische übergeht, beginnt der Strom lebhaft zu pulsieren, hemmungslos treibt er vorwärts, und alles, was darin auftritt, trägt den Hauch der Frische und Freudigkeit. Ohne Zweifel haben wir ein Recht, dieses Phänomen als Kausalität der Erlebnissphäre in Anspruch zu nehmen, als ein Analogon der Kausalität im Reiche der physischen Natur, und zwar des Grundfalls der Kausalität (auf den die Physik alle anderen Kausalverhältnisse zurückzuführen sucht): des mechanischen Wirkens. Wie eine rollende Kugel eine andere, auf die sie stößt, in Bewegung setzt, wie die ausgelöste Bewegung in Richtung und Geschwindigkeit abhängt von der »Wucht« des Anpralls, von der Richtung und Geschwindigkeit der auslösenden Bewegung – so bestimmt der »Anstoß«, der von der Lebenssphäre ausgeht, die Art des Ablaufs des sonstigen Erlebens, und nicht nur die Qualität, sondern auch die »Stärke« der Wirkung hängt von der Ursache ab, nur daß die Stärke hier nicht mehr meßbar ist wie im Gebiet der physischen Natur. Wir unterscheiden bei der mechanischen Kausalität ein verursachendes Geschehen – die Bewegung der einen Kugel –, ein verursachtes Geschehen – die Bewegung der anderen Kugel –, und ein Ereignis, das zwischen beiden vermittelt und das wir speziell als »Ursache« bezeichnen können: daß die eine Kugel auf die andere stößt. Von der Beschaffenheit des verursachenden Geschehens hängt die Beschaffenheit der Ursache und fernerhin die des verursachten Geschehens (der »Wirkung«) ab, verursachendes und verursachtes Geschehen aber sind in ihrer Beschaffenheit bedingt durch die Eigenart der Substrate dieses Geschehens.

Bei der Erlebniskausalität haben wir die »Ursache« darin zu sehen, daß in der Lebenssphäre ein Wandel eintritt. Dem verursachenden und verursachten Geschehen entspricht das jeweilige Lebensgefühl und der Ablauf des sonstigen Erlebens. Aber während in der physischen Natur das verursachende Geschehen unabhängig von dem Ereignis auftritt, das zur Auslösung des verursachten Geschehens führt und ohne den Eintritt eines solchen Ereignisses wirkungslos verlaufen würde, ist in der Erlebnissphäre das Ereignis, das wir speziell als Ursache bezeichnen, nicht zwischengeschaltet zwischen verursachendes und verursachtes Geschehen, sondern bedingt das verursachende Geschehen, und es ist unmöglich, daß dieses »wirkungslos« verläuft. Hier haben wir also einen ersten Unterschied zwischen mechanischer und Erlebniskausalität. Darin aber stimmen beide Arten des Wirkens überein, daß die Wirkung unmöglich unterbleiben kann, wenn Ursache und verursachendes Geschehen eingetreten sind, und in dem Augenblick einsetzt, wo das der Fall ist. Und in beiden Fällen ist die Wirkung auch ihrer materiellen Beschaffenheit nach eine notwendige: So wenig man sich denken kann, daß eine Kugel, die nach unten geschleudert wird, infolge des Wurfes nach oben steigt, so wenig ist es denkbar, daß Mattigkeit den Bewußtseinsstrom »belebt«.

Es ließe sich zeigen, daß die eigentümliche »Notwendigkeit« eine Besonderheit der mechanischen Kausalzusammenhänge ist und nicht allen physischen Kausalzusammenhängen zukommt. Daß z. B. das Anstreichen einer Darmsaite von bestimmter Länge einen Ton von bestimmter Höhe hervorruft, ist durchaus nicht als Notwendigkeit einzusehen. Die Erforschung dieser Verhältnisse muß natürlich speziellen Untersuchungen über die physische Natur überlassen werden.

Dagegen stoßen wir wieder auf Unterschiede, wenn wir uns nach den Substraten des Geschehens umsehen. In der physischen Natur sind es »Dinge«, substanzielle Einheiten, die in kausalen Beziehungen stehen und für die das kausale Geschehen zugleich konstitutiv ist. Das, was dort als Ursache und Wirkung auftritt, sind Ereignisse, die sich mit Dingen zutragen, und Zuständlichkeitsänderungen von Dingen; in diesen Veränderungen »bekunden« sich die Eigenschaften, die den Seinsbestand des Dinges ausmachen, und die Kenntnis dieser Eigenschaften beschließt andererseits in sich eine Kenntnis der möglichen Wirkungen, die es ausüben und leiden kann.

Wir haben das Kausalverhältnis als eine Verknüpfung von Erlebnissen eingeführt. Diese müssen wir nun etwas näher auf ihren Aufbau hin untersuchen, um zu sehen, ob sie vielleicht die Substrate des Kausalgeschehens sind, analog den Dingen der äußeren Natur. Bisher haben wir sie kennengelernt als Wellen des Erlebnisstroms, die anheben, sich während einer bestimmten Dauer entfalten und wieder vergehen. Für unsere jetzige Frage kommen wir damit nicht aus. Wir scheiden zunächst an jedem Erlebnis

1. einen Gehalt, der ins Bewußtsein aufgenommen wird (z. B. ein Farbendatum oder ein Wohlbehagen);

2. das Erleben dieses Gehaltes, sein Aufgenommenwerden ins Bewußtsein (das Haben der Empfindung, das Fühlen des Wohlbehagens);

3. das Bewußtsein von diesem Erleben, das es – in höherem oder niederem Grade – stets begleitet und um dessentwillen das Erleben selbst auch als Bewußtsein bezeichnet wird.

Ad zu 1 ist zu bemerken, daß es im Bereich der Erlebnisgehalte – wie die gewählten Beispiele deutlich zeigen – einen radikalen Unterschied gibt: den Unterschied ichfremder Daten (der Empfindungsdaten) und »ichlicher« (wie das Wohlbehagen es ist). Die einen stehen dem Ich gegenüber, die andern liegen auf Subjektseite. Würden wir transzendente Objekte mit in Betracht ziehen, so würden wir dort einem entsprechenden Unterschied begegnen: Es gibt solche, denen idealiter Erlebnisse mit ichfremdem Gehalt entsprechen, und andere, zu deren adäquater Erfassung ein Erlebnis mit ichlichem Gehalt gehört. Auf der einen Seite stehen »Sachen«, auf der andern z. B. Werte.

Den verschiedenen Gehalten entsprechen Unterschiede des Erlebens (das Haben der Empfindungen, das Fühlen der Ichzuständlichkeiten). Im übrigen zeigt das Erleben jeder Art Unterschiede der Spannung: Ich kann mit größerer oder geringerer Intensität einem ichfremden Gehalt zugewendet, einem ichlichen Gehalt hingegeben sein. Der ichfremde Gehalt tritt bei größerer Spannung klarer, schärfer hervor, der ichliche nimmt ausschließlicher von mir Besitz. Die Intensität des Erlebens ist natürlich nicht zu verwechseln mit der Intensität des Gehaltes. Das intensive Empfinden eines Rot braucht kein Empfinden eines intensiven Rot zu sein, die intensive Hingabe an einen Schmerz keine Hingabe an einen intensiven Schmerz. Die Spannungsunterschiede des Erlebens fallen auch nicht zusammen mit dem Gegensatz von Vordergrund- und Hintergrunderlebnissen (von in vorzüglicher, eigentlicher Weise und nebenbei vollzogenen). Das Vordergrunderlebnis erfordert zwar an sich eine höhere Spannung als das Hintergrunderlebnis, aber läßt selbst noch beliebig viele Gradabstufungen zu. Vordergrund- und Hintergrunderlebnis können nicht durch Änderung ihres Spannungsgrades ineinander übergeführt werden. Bei größerer Angespanntheit des Erlebens zeigen Vordergrund- und Hintergrunderlebnis gesteigerte Spannung, aber jedes in seiner Weise. Ähnlich wie bei hellerer Beleuchtung helle und dunkle Farben heller erscheinen, ohne daß man durch Beleuchtungsänderung am Verhältnis der spezifischen Helligkeiten etwas ändern könnte.

Den Spannungsgraden des Erlebens entsprechen Helligkeitsunterschiede des Bewußtseins. Je intensiver das Erleben, desto lichter, wacher ist das Bewußtsein von ihm. Dabei wird recht deutlich, daß dieses Bewußtsein, das wir als Komponente des Erlebnisses in Anspruch nehmen, nicht selbst ein Erlebnis, ein Akt erfassender Reflexion ist. Denn je intensiver das Erleben ist, desto »ungeteilter« pflegen wir in ihm »aufzugehen«, desto weniger gestattet es das Abspalten einer Reflexion, während das Bewußtsein, das kein Gegenständlich-haben ist, eben dann gesteigert ist. Es gibt auch eine intensive Reflexion, ein angespanntes Hinsehen auf die Erlebnisse, die in diesem Fall durchaus nicht gespannt zu sein brauchen. Sie ist dann in hohem Grade »bewußt«, wobei dieses Bewußtsein von der Reflexion nicht selbst wieder eine Reflexion ist. Wir können auf diese Verhältnisse hier nicht näher eingehen, weil sie für die Frage, die uns jetzt beschäftigt, für die Aufsuchung der Stelle im Erlebnis, an der die Kausalität angreift, nicht von Belang sind.

Es scheint, daß von den aufgezeigten Komponenten des Erlebnisses das Erleben es ist, das in erster Linie von der Beschaffenheit und den Veränderungen der Lebenssphäre betroffen wird. Seine Spannung ist gering, wenn ich matt bin, und steigt mit zunehmender Frische. Wenn wir es mit meßbaren Größen zu tun hätten, so ließe sich jeder Stufe der Lebensfrische ein bestimmter Intensitätsgrad des Erlebens zuordnen. Erst sekundär werden einerseits das Bewußtsein, andererseits die Gehalte mit betroffen. Mit steigender Frische erhöht sich die Bewußtheit des Erlebens und ebenso die Klarheit, Abgehobenheit, wir sagen geradezu die »Lebendigkeit« der Gehalte.

Hier gilt es aber vorsichtig zu sein. Wir dürfen Frische und Mattigkeit, die uns als Beispiele dienten, nicht als einzige Unterschiede der Lebenssphäre ansehen. Es scheint allerdings, daß wir es mit einem Kontinuum von Lebendigkeitsstufen zu tun haben, innerhalb dessen Frische und Mattigkeit eine ähnliche Stellung einnehmen wie Wärme und Kälte im Bereich der Temperatur und Größe und Kleinheit auf dem Gebiet der Größen. Aber es handelt sich doch nicht um eine einfache Skala mit zwei einander entgegengesetzten Eindrucksqualitäten. Es gibt außer der Frische und Mattigkeit z. B. die Zustände der Überwachheit und der Reizbarkeit, in denen die Sinne und die Empfänglichkeit für alle Eindrücke geschärft erscheinen.

Nehmen wir zunächst den Zustand der »Überwachheit« oder »Fieberhaftigkeit«, wie er sich etwa bei hoher Erregung, z. B. bei verantwortungsvoller Tätigkeit auf gefahrvollem Posten oder sonst in entscheidenden Momenten des Lebens einstellt, oder auch unter der Einwirkung von aufpeitschenden Genußmitteln wie Nikotin, Koffein u. dgl. (Auf die psychophysischen Zusammenhänge kommt es uns hier gar nicht an, wir geben die Beispiele nur als Hinweis auf die reine Bewußtseinszuständlichkeit, die wir im Auge haben.) Wenn ein solcher Zustand einsetzt, beginnt das Erleben rasch zu pulsieren, es erreicht äußerst hohe Spannungsgrade, alle Eindrücke werden mit größter Leichtigkeit aufgenommen, alle Tätigkeiten reibungslos vollzogen, das Bewußtsein ist wach und hell, die Gehalte zeigen den Glanz der vollen Lebendigkeit. Doch ist es nicht Frische, die diese Lebendigkeit hervorruft. Die Frische ist wie ein stetig fließender Born, dem starke, ruhige Erlebniswellen entströmen, die Fieberhaftigkeit ein rastloser Sprudel, der den Strom des Erlebens vorwärts treibt. Die Frische, wenn sie den Erlebnisfluß eine Weile gespeist hat, geht über in wohlige Ermattung, die den Strom stocken und gegen äußere Einflüsse sich absperren läßt. Der Fieberhaftigkeit folgt Erschöpfung, die keine wohltuende Entspannung ist, in der noch etwas von der Unrast des Fiebers nachzittert, ein schmerzhaftes Zucken, das nicht zur Ruhe kommen kann. Hier herrscht jene gesteigerte Empfindlichkeit, die wir zuvor erwähnten: Die Eindrücke gleiten nicht einfach ab, bleiben nicht stumpf wie bei der gesunden Ermattung, sie werden auch nicht leicht und freudig aufgenommen, wie bei der Frische, sondern zwingen sich dem wehrlosen Bewußtsein auf und tun ihm weh. Das Erleben pulsiert jetzt nicht rasch, sondern stockt wie bei aller Mattigkeit, aber es ist nicht verschlossen gegen Eindrücke, man kann es nicht aufnahme fähig nennen, sondern nur unfähig, sich gegen die Eindrücke zu verschließen. Die Bewußtheit dieses gleichsam zwangsweisen Erlebens ist eine hohe, unterscheidet sich aber von der des angespannten Erlebens dadurch, daß sie leicht übergeht in eine Reflexion, in ein zuschauendes Verhalten gegenüber dem, was »mit mir geschieht«. Die Erlebnisgehalte (als sich aufdrängend erlebt) sind klar und deutlich abgehoben, aber alle mit einem unlustvollen Beigeschmack behaftet, im Gegensatz zum Zustand der Frische oder der Fieberhaftigkeit. Die Farbe, die das frische Erleben als angenehm leuchtend aufnimmt, während sie das matte gleichsam verschleiert sieht, erscheint hier peinigend grell. Was dort als Berührung empfunden wird bzw. ganz abgleitet, wird hier zum peinigenden Schmerz.

In solchem Zustand werden uns evtl. Eindrücke zugänglich, deren wir sonst gar nicht habhaft werden können, und diese Bereicherung des Erlebens kann uns geradezu als eine Lebenssteigerung erscheinen und uns über den »wahren« Zustand, in dem wir uns befinden, hinwegtäuschen.

Diese Unterscheidung von »wahren« und »scheinbaren« Zuständen, die sich hier aufdrängt, nötigt uns, über die Sphäre, in der wir unsere Betrachtung bisher gehalten haben, hinauszugehen und ein ganz neues Gebiet in unseren Gesichtskreis zu ziehen.

II. Psychische Realität und Kausalität

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§ 1. Bewußtsein und Psychisches

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Wir sprachen bisher von Lebensgefühlen und Lebenszuständen. Genau besehen bedeuten beide Ausdrücke nicht dasselbe. Die Lebenszustände bewußter Wesen pflegen sich bewußtseinsmäßig geltend zu machen, und ein solches Bewußtsein von einer Lebenszuständlichkeit, ihr Erlebtwerden, ist ein Lebensgefühl. Es ist aber auch möglich, daß Lebenszustände auftreten, ohne sich in Lebensgefühlen kundzutun. Eine Mattigkeit kann vorhanden sein (sich evtl. anderen durch mein Äußeres verraten), ohne daß ich selbst etwas davon weiß. In einem Erregungszustand oder während einer angespannten Tätigkeit, der ich ganz hingegeben bin, kommt es mir evtl. gar nicht zum Bewußtsein, wie ich mich befinde. Und erst wenn mit dem Aufhören der Anspannung ein Zustand völliger Erschöpfung eintritt – nun völlig bewußt –, merke ich, indem ich ihn mir zur Gegebenheit bringe, daß er schon vorher bestanden hat und daß jene Anspannung mich unverhältnismäßig viel gekostet hat. Eine solche Zuständlichkeit, die nicht gefühlt wird, nicht »zum Bewußtsein kommt«, darf natürlich nicht mehr als Bewußtseinszuständlichkeit, als Erlebnis, in Anspruch genommen werden. Sie ist dem Erleben gegenüber ein Transzendentes, das sich in ihm bekundet. Und wenn sie in einem Lebensgefühl zum Bewußtsein kommt, so ist dies Bewußt-werden nicht zu verwechseln mit dem Erleben eines immanenten Gehaltes oder mit dem Bewußtsein von diesem Erleben, das ihm als ein konstitutives Moment innewohnt. Wenn ich mich frisch fühle, so täusche ich mich weder über den Gehalt dieses Gefühls – den ich eben als Frische bezeichne –, noch täuscht mich mein Bewußtsein von diesem Erleben. Ich fühle unzweifelhaft, wenn ich mir dessen bewußt bin, und ich fühle Frische und nichts anderes, wenn ich eben dieses Gefühl habe. Aber es ist wohl möglich, daß ich mich frisch fühle, ohne daß der Zustand der Frische wirklich vorhanden ist; über ihn kann mich die Zukunft eines Besseren belehren. In den Lebensgefühlen als immanenten Gehalten bekunden sich – ähnlich wie in den ichfremden Daten – Beschaffenheiten einer Realität, ihre Zuständlichkeiten und Eigenschaften. Wie sich in Farbenempfindungen die Farbe eines Dinges als seine augenblickliche optische Zuständlichkeit bekundet und im Wechsel solcher Zuständlichkeiten die dauernde optische Eigenschaft, so bekundet sich im Lebensgefühl eine augenblickliche Beschaffenheit meines Ich – seine Lebenszuständlichkeit – und im Wechsel solcher Beschaffenheiten eine dauernde reale Eigenschaft: die Lebenskraft. Das Ich, das im Besitz dieser realen Eigenschaft ist, darf natürlich nicht verwechselt werden mit dem reinen Ich, dem als Ausstrahlungspunkt der reinen Erlebnisse ursprünglich erlebten. Es ist nur als Träger seiner Eigenschaften erfaßt, als eine transzendente Realität, die durch Bekundung in immanenten Daten zur Gegebenheit kommt, aber niemals selbst immanent wird. Wir werden dies reale Ich, seine Eigenschaften und Zuständlichkeiten als das Psychische bezeichnen und sehen nun, daß Bewußtsein und Psychisches grundwesentlich voneinander unterschieden sind: Bewußtsein als Reich des »bewußten« reinen Erlebens und das Psychische als ein Bereich der sich in Erlebnissen und Erlebnisgehalten bekundenden transzendenten Realität. Auf die Abgrenzung dieser Realität gegenüber der physischen und sonstigen etwa bestehenden müssen wir hier verzichten. Sie kommt für uns an dieser Stelle nur in Betracht, soweit unsere Kausalitätsuntersuchung davon betroffen wird bzw. soweit wir genötigt sind, unsere Untersuchung auf diesem neuen Boden fortzusetzen. Als das eigentlich verursachende Geschehen erscheinen uns nun nicht mehr die Lebensgefühle, sondern die sich in ihnen bekundenden Modi der Lebenskraft. Die wechselnden Lebenszuständlichkeiten bedeuten ein Mehr oder Minder an Lebenskraft, und dem entsprechen verschiedene Lebensgefühle als »Bekundungen«. Wie bei aller transzendenten Auffassung, aller Erfahrung durch Bekundung, Täuschungen möglich sind, so auch hier. Lebensgefühle, denen keine »objektive Bedeutung« zukommt, können mich über den wahren Zustand meiner Lebenskraft täuschen, ähnlich wie »rein subjektive« Daten mir – etwa im Falle der Halluzination – ein Ding erscheinen lassen, das in Wirklichkeit gar nicht existiert. Die Möglichkeit solcher Täuschungen und ihrer Aufhebung verständlich zu machen, ist Aufgabe einer erkenntniskritischen Betrachtung der inneren Wahrnehmung und darf uns hier nicht weiter beschäftigen.

Dagegen müssen wir untersuchen, ob nicht den »wahren« Ursachen, die wir hinter den Lebensgefühlen als ihren Erscheinungen entdeckten, auch wahre – d. h. psychisch-reale – Wirkungen entsprechen, als deren Erscheinung das zu gelten hat, was wir bisher als Wirkung ansahen. Nach unserer Analyse der Erlebnisse erschien uns das Erleben als der Punkt, in dem Kausalität angreift. Das war zutreffend, solange uns »Kausalität« das bestimmt geartete phänomenale Abhängigkeitsverhältnis von Lebensgefühlen und sonstigen Erlebnissen war. Nun, wo wir ein reales Substrat des Wirkens gefunden haben, kann natürlich kein reines Erlebnis bzw. kein Moment an ihm als Glied in das kausale Geschehen mit eingehen. Die Realität übt keine Wirkungen auf das reine Erleben. Aber die Erlebnisse selbst und z. T. auch ihre Gehalte sind Bekundungen realer Zuständlichkeiten und Eigenschaften wie die Lebensgefühle. In den Empfindungen – genauer gesprochen: im Haben der Empfindungen – bekundet sich die Aufnahmefähigkeit des Subjekts, und zwar zunächst als eine augenblickliche Zuständlichkeit; indem aber je nach der Eigentümlichkeit der Gehalte und ihres Erlebens eine verschiedene Aufnahmefähigkeit zur Gegebenheit kommt, erscheinen die wechselnden Zuständlichkeiten als Modi und zugleich als Bekundungen einer dauernden Eigenschaft, die in der üblichen Redeweise gleichfalls als Aufnahmefähigkeit bezeichnet wird: die dauernde Eigenschaft in wechselnder Zuständlichkeit. Und diese dauernde Eigenschaft ist es, deren wechselnde Modi von den wechselnden Lebenszuständen abhängen oder bewirkt werden. In der phänomenalen Kausalität der Erlebnissphäre bekundet sich die reale Kausalität des Psychischen. Die dauernden Eigenschaften des realen Ich oder des psychischen Individuums erscheinen als Substrate des psychischen Kausalgeschehens, das in einem geregelten Wechsel der Modi dieser Eigenschaften besteht, und zwar so, daß eine bestimmte Eigenschaft – die Lebenskraft – ausgezeichnet ist als den Modus der anderen durch ihre jeweiligen Modi bedingend und wiederum in ihren Zuständen von ihnen her bedingt. Daß der Lebenskraft Kräfte zugeführt oder entzogen werden, ist »Ursache« des psychischen Geschehens. Die »Wirkung« besteht in den Veränderungen der andern psychischen Eigenschaften. Eine direkte kausale Abhängigkeit anderer Eigenschaften voneinander, ohne Vermittlung der Lebenskraft, gibt es nicht. Die Aufnahmefähigkeit für Farben z. B. kann durch die Aufnahmefähigkeit für Töne weder gesteigert noch gemindert werden. Aber beide können miteinander gesteigert werden durch eine von beiden unabhängige Steigerung der Lebenskraft. Oder durch die Betätigung der einen kann die Lebenskraft und dadurch wiederum die andere gemindert werden.

Anscheinend unterscheidet sich die psychische Kausalität von der physischen, insofern dort die Einheit des kausalen Geschehens den Gesamtzusammenhang der materiellen Natur durchwaltet, aus dem sich einzelne Dinge als Zentren des Geschehens herausheben, während wir hier auf die physischen Zustände eines Individuums beschränkt sind, das als Substrat des kausalen Geschehens der Gesamtheit der Materie entspricht, während seine Eigenschaften sich als einzelne dinganaloge Zentren herausheben. Ob dieses Individuum einbezogen ist in den Zusammenhang der materiellen Natur und damit das psychische Kausalgeschehen sich dem physischen einordnet; ob ferner der psychische Kausalzusammenhang übergreift auf andere Individuen und die Gesamtheit alles psychischen Geschehens umspannt und in welcher Weise: Über all das können wir natürlich vor näherer Untersuchung gar nichts sagen, und es liegt vorläufig außerhalb des Kreises unserer Betrachtungen. Bisher gab sich uns die Psyche eines Individuums als eine Welt für sich wie die materielle Natur; wir konnten sie betrachten, ohne auf ihre etwaigen Beziehungen zu andern Welten Rücksicht zu nehmen, und wir haben noch bei weitem nicht erschöpft, was uns solche isolierende Betrachtung lehren kann.

§ 2. Der psychische Mechanismus

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Neue Abschlüsse über die phänomenalen und realen Kausalverhältnisse werden wir gewinnen, wenn wir den Bereich der Aktivität heranziehen, den wir bisher gar nicht berücksichtigt haben. Zuvor können wir aber die Analyse der Kausalität noch in dem beschränkten Kreis unserer Betrachtung nach einer wichtigen Seite hin ergänzen. Vorläufig haben wir die Lebenssphäre immer als das Bedingende genommen, von dem Rhythmus und Färbung des Erlebens abhängt. Offenbar ist das eine einseitige Betrachtung, die dem vorliegenden Verhältnis nicht voll gerecht wird. Wir haben hervorgehoben, daß die Erlebnisse aus der Lebenssphäre gespeist werden und von ihrem jeweiligen Modus abhängen. Offenbar ist es nur die Kehrseite davon, daß die Erlebnisse spürbar an der Lebenssphäre zehren und so ihrerseits einen Wandel in ihr hervorrufen. Ein jedes Erlebnis – bzw. die reale Zuständlichkeit, die es bekundet – kostet einen gewissen Aufwand an Lebenskraft; es zehrt an ihr, und indem es sie vermindert, muß es auch eine veränderte Bekundung ihres veränderten Modus herbeiführen; es ist z. B. imstande, einen Übergang von Frische in Mattigkeit hervorzurufen. Wir haben hier in der Tat eine Art »Rückwirkung«, sie bedeutet aber nichts Neues gegenüber sonstigen Kausalverhältnissen. Wenn eine rollende Kugel auf eine andere stößt und ihr eine Bewegung erteilt, so verliert sie selbst durch den Stoß etwas von der Wucht, mit der sie ihn ausübte, ihre eigene Bewegung erlahmt. Überall, wo ein Geschehen ein anderes auslöst, findet ein »Energie- Umsatz« statt, büßt das wirkende Ding zugunsten des leidenden etwas ein. Das ist eine Doppelseitigkeit, die allem Kausalgeschehen eigen ist. In unserem Fall ist etwa eine Zunahme der Lebenskraft verursachendes Geschehen, eine Steigerung der Spannung des Erlebens – bzw. der in ihm sich bekundenden psychischen Zuständlichkeit – seine Wirkung. Die stärkere Anpassung des Erlebens führt ihrerseits eine Minderung der Lebenskraft herbei: Darin besteht die Rückwirkung. Wir erkennen darin zugleich eine Ursache für weiteres Geschehen: Daß die Lebenskraft eine Minderung erfährt, das bewirkt eine Herabsetzung des Spannungsgrades für das neue Erleben. Das gesamte psychische Kausalgeschehen läßt sich auffassen als ein Umsatz von Lebenskraft in aktuelles Erleben, und als Inanspruchnahme der Lebenskraft durch aktuelles Erleben. Die Lebenskraft und ihre Modi nehmen also im Aufbau der Psyche eine ganz einzigartige Stellung ein.

Die Lebensgefühle sind nicht dem Strom der Erlebnisse einfach einzureihen, und die Lebenszuständlichkeiten nicht den psychischen Zuständen. Das zeigt sich auch darin, daß die psychischen Zustände die Kraft, welche sie aus der Lebenssphäre schöpfen, verzehren und erlöschen, wenn diese Kraft verbraucht ist (ob die Möglichkeit besteht, daß ein psychischer Zustand seine Kraft nicht ganz verbraucht, sondern noch andere davon speist, das wird noch zu erörtern sein), während das bei den Lebensgefühlen nicht der Fall ist. Ein Lebensgefühl, bzw. das Erleben einer Lebenszuständlichkeit, kostet keinen Aufwand an Kraft und würde nicht erlöschen, wenn nicht andre Erlebnisse an dieser Zuständlichkeit zehrten und sie abwandelten. Die Lebenssphäre bildet eine Unterschicht des Erlebnisstroms, den sie trägt und der aus ihr heraus geboren wird. Während in der physischen Natur Kraft nur durch das Geschehen zur Gegebenheit kommt, in das sie eingeht, wird sie hier erfaßt mittels ihrer eigenen erlebten Modi und sie wird es um so mehr, je weniger das lebende bzw. erlebende Ich den Erlebnissen der Oberschicht hingegeben ist. Ja, wir können vielleicht einen Bewußtseinstypus fingieren, der ganz auf diese Unterschicht beschränkt wäre.

Man kann die Frage aufwerfen, ob die Lebenskraft, die das psychische Leben eines Individuums speist, ein endliches Quantum ist – wenn auch keine meßbare Größe – und ob sie von dem psychischen Leben einfach aufgezehrt wird, oder ob sie sich ergänzt und, wenn das, ob aus sich selbst oder durch Zufuhr von außen. Um dies beantworten zu können, müssen wir den Kreis unserer Betrachtungen über den bisherigen Rahmen hinaus erweitern, müssen wir uns Aufklärung über die Konstitution der Erlebnisse verschaffen, die wir im Bereich der reinen Passivität nicht gewinnen können. Bevor wir dazu übergehen, wollen wir die Analogie der psychischen und physischen Kausalität noch in einem Punkte ergänzen: Wir wollen untersuchen, ob es in der Erlebnissphäre ein allgemeines Kausalgesetz gibt, etwa des Inhalts: Alles, was im Erlebnisstrom auftritt, steht unter kausalen Bedingungen (natürlich ist hier nur die Erlebniskausalität gemeint und nicht die Naturkausalität, da wir ja von einer Einbeziehung des Bewußtseins in den Naturzusammenhang noch gar nichts wissen). Darauf ist zu antworten: Es ist ein Bewußtsein denkbar, in dem keine Lebensgefühle auftreten, das in ständig gleichem Fluß und Rhythmus dahinfließt; in diesem gäbe es keine Kausalität, mit den Wandlungen der Lebenssphäre entfielen auch die Wandlungen der übrigen Erlebnisse, die wir besprochen haben; es gäbe einen Abfluß von Daten verschiedener Gattung, Qualität, Intensität und Dauer, aber nicht jene Änderungen der »Färbung« und der Spannung des Erlebens, die wir als das spezifisch kausal Bedingte erkannten. Gibt es aber in einem Strom ein »Feld« der Lebensgefühle, so ist es – wie wir aus früheren Betrachtungen wissen – kontinuierlich erfüllt und damit auch kontinuierlich wirksam. Jedes Datum im Strom hat dann seine »Lebensfärbung« und ist mit Beziehung darauf notwendig bedingt. Der Charakter des Stromes als eines stetigen Werdens ergibt dabei einen Unterschied von der physischen Natur. Während dort ein Zustand der »kausalen Ruhe« denkbar ist, in dem alle Dinge unverändert verharren, also keinerlei Veränderung und damit auch kein Wirken statthat, gibt es im Erlebnisstrom in keinem Moment Stillstand. Auch die Sphäre der Lebensgefühle ist ein stetiges Fließen, gleichgültig ob dasselbe Lebensgefühl in qualitativer Gleichheit sich fort erzeugt oder ob es stetig in ein anderes übergeht. Hier haben wir also ein ununterbrochenes Geschehen und damit auch ein ununterbrochenes Wirken.

Was den Bereich der Wirksamkeit anlangt, so gilt: Wirksam ist alles, was lebendig in die Gegenwart hineindauert, gleichgültig wie weit sein Ansatzpunkt im Strome zurückliegt. Daß eine Mehrheit verursachender Kräfte möglich ist, die zusammen erst eine bestimmte Wirkung auslösen, das werden wir erst an einer späteren Stelle verstehen lernen.

Was wir hier von den phänomenalen Kausalverhältnissen festgestellt haben, das überträgt sich auch auf das reale Wirken in der psychischen Sphäre. Was immer an psychischen Zuständen ins Dasein tritt, tut es dank den Kräften, die es der Lebenskraft entnimmt; es hat in ihr die Grundlage seiner Existenz und wird, solange es existiert, von ihr erhalten. Andere Faktoren mögen mit herangezogen werden müssen, um das Auftreten psychischer Zustände begreiflich zu machen – aber sie ersetzen den kausalen Faktor nicht. Die Abhängigkeit erscheint hier – im Gegensatz zur phänomenalen Sphäre – als eine unlösliche. Dort haben wir zwei verschiedene Reihen von Erlebnissen, deren eine in ihrer Beschaffenheit in charakteristischer Weise durch die andere bestimmt wird. Entfiele diese andere, so würde jene dieser besonderen Bestimmtheit entbehren. Das psychische Leben dagegen erscheint als eine Umsetzung der Lebenskraft und wäre gar nicht denkbar, wenn diese fortfiele. In einem Bewußtsein, das keine Lebenssphäre hätte, würden alle Wirkungsphänomene fortfallen – da es ja ein Wirken der anderen Erlebnisse ohne Vermittlung der Lebenssphäre nicht gibt –, es entfiele aber auch die Möglichkeit der Auffassung der reinen Erlebnisse als Bekundungen realer psychischer Zustände, es würde sich in einem solchen Bewußtsein kein psychisches Individuum konstituieren. Um das klar einzusehen, müssen wir das Verhältnis der psychischen Eigenschaften zur Lebenskraft näher untersuchen, das wir früher nur flüchtig berührten. In den Eigenschaften hatten wir ja die Substrate des psychischen Kausalgeschehens gefunden, und wir hatten auch schon bemerkt, daß die Lebenskraft eine Sonderstellung unter ihnen einnimmt. Die psychischen Eigenschaften im gewöhnlichen Sinne erscheinen sozusagen als verschiedene Ausflüsse der Lebenskraft. Wird sie durch eine solche Eigenschaft stark in Anspruch genommen, so bleibt für andere wenig übrig, und insofern ist eine Wirkung der Eigenschaften aufeinander durch Vermittlung der Lebenskraft festzustellen. Was heißt das aber: Inanspruchnahme der Lebenskraft durch psychische Eigenschaften? Auch von dem aktuellen psychischen Leben, den psychischen Zuständen, haben wir festgestellt, daß die Lebenskraft sich darin aufbraucht. Offenbar sind das nicht zweierlei getrennte Geschehensreihen, sondern ein einziger großer Prozeß. Das Verhältnis von aktuellen Zuständen und dauernden Eigenschaften müssen wir also mit in Betracht ziehen, um die Eigentümlichkeit des psychischen Kausalgeschehens recht zu verstehen.

Es gibt einen gewissen Bereich von Daten – gleichartigen oder auch verschieden gearteten –, die unser Bewußtsein »mühelos« zu umspannen, d. h. gleichzeitig aufzunehmen vermag. Mühelos – das besagt: Ohne daß ein spürbarer Verbrauch an Lebenskraft statthat, ohne daß ein Wandel in der Sphäre der Lebensgefühle auftritt. Dieser Bereich ist um so enger, je intensiver die auftretenden Daten sind. Wird die Intensität größer oder wird der Bereich erweitert, so macht sich ein Wandel in der Lebenssphäre bemerkbar: Ich fühle Anstrengung oder einen Übergang von Frische zu Mattigkeit, und darin bekundet sich mir eine Abnahme der Lebenskraft. Das, worin sie sich umgesetzt hat, ist die gesteigerte Aufnahmefähigkeit, die sich in der Erweiterung des Erlebnisbereiches oder in der größeren Intensität der Erlebnisgehalte bekundet. Wären aber im Zusammenhang mit diesen Veränderungen im Bereich der Erlebnisgehalte keine Veränderungen der Lebenssphäre bemerkbar, so würde jene »Aufnahmefähigkeit« als psychische Zuständlichkeit gar nicht zur Gegebenheit kommen. Wir hätten dann nur die reinen Erlebnisse, an denen wir, wie wir es früher taten, die Gehalte von ihrem Aufgenommenwerden (oder Erlebtwerden) unterscheiden könnten. Die Aufnahmefähigkeit aber, die sich im kausalen Zusammenhang als reale Zuständlichkeit kundtut, erweist sich zugleich als Bekundung einer steigerbaren Eigenschaft, und das in folgender Weise: Wenn der Erlebnisbereich eine Erweiterung erfahren hat, die spürbare Anstrengung kostete, und nun dauernd in dieser Weite erhalten wird, so kann es sein, daß die Anstrengung schwindet, daß das Erleben sich wieder mühelos vollzieht. In diesem Wechsel in der Beeinflussung der Lebenssphäre durch das gleiche Erleben bekundet sich eine Veränderung der Aufnahmefähigkeit, bzw. es bekundet sich die Aufnahmefähigkeit als dauernde und veränderliche Eigenschaft. Je geringer der Wandel in der Lebenssphäre ist, je weniger Anstrengung das Erleben – phänomenal – kostet, desto größer ist die Aufnahmefähigkeit. In der Mühelosigkeit des Erlebens tritt zutage, daß sich die Aufnahmefähigkeit als selbständige Eigenschaft von der Lebenskraft abgespalten hat. Dieses Abspalten ist offenbar durch das aktuelle psychische Leben herbeigeführt. Das wird vielleicht deutlicher, wenn wir verschiedene, inhaltlich bestimmte Aufnahmevermögen in Betracht ziehen. Wird die Lebenskraft während einer Dauer vorwiegend für die Aufnahme von Tönen in Anspruch genommen, so vollzieht sich diese Aufnahme immer leichter und schließlich mühelos. Es hat sich durch »Übung«, durch »Gewohnheit« eine Aufnahmefähigkeit für diese bestimmten Gehalte herausgebildet, ein Teil der Lebenskraft ist gleichsam für eine Betätigung in bestimmter Richtung festgelegt worden. Wäre dagegen das Bewußtsein in gleichem Maße an Farben und Töne hingegeben, so müßte sich die Lebenskraft in verschiedener Richtung betätigen und könnte für jedes einzelne Vermögen nicht so viel hergeben, als wenn eines von beiden allein ausgebildet wird. Die »Ausbildung« der »Fähigkeit« dauert so lange, wie die Ablenkung der Lebenskraft durch das aktuelle Leben noch als Anstrengung gefühlt wird. Sie erscheint abgeschlossen, sobald die Aufnahme mühelos erfolgt. Die Fähigkeit hat sich sozusagen selbständig gemacht, und das aktuelle Leben ihres Bereiches geht nun auf ihre Rechnung, statt auf Kosten der Lebenskraft. Darin liegt schon, daß die »Geschichte« der Fähigkeit mit ihrer Loslösung nicht abgeschlossen ist. Wenn das aktuelle Leben davon zehrt, ohne daß sie einen neuen Zustrom erfährt, so braucht sie sich allmählich auf (»stumpft ab«); das bekundet sich darin, daß der Bereich bewußter Daten sich verengt; soll er sich in gleicher Weite erhalten, so kostet das wieder Anstrengung, d. h. die Lebenskraft muß wieder in Anspruch genommen werden, um den Verlust an Aufnahmefähigkeit auszugleichen. Daß die Loslösung keine völlige ist, zeigt sich auch noch auf andere Weise. Ist eine Fähigkeit zu einer gewissen Höhe gesteigert, so reicht die Lebenskraft nicht aus, um eine andere auszubilden. Wird sie nun durch das aktuelle Leben in eine neue Richtung gelenkt, so geschieht das auf Kosten der alten Fähigkeit, die im selben Maße abnimmt, wie die neue gesteigert wird. Die Psyche erscheint – solange wir nur die Sphäre der Passivität als Grundlage für unsere Kausaluntersuchung benützen – wie ein sich automatisch regulierender Mechanismus; seinem Bau nach ist er für eine Reihe verschiedener Funktionen eingerichtet, es steht ihm aber nur ein begrenztes Quantum an Betriebskraft zu, und wenn dieses der einen Funktion zugeführt wird, so schalten die übrigen von selbst aus. An der Triebkraft hängt der ganze Mechanismus. Unbildlich ausgedrückt: keine psychische Realität ohne Kausalität. Entfällt die Lebenssphäre und die von ihr ausgehende phänomenale Wirksamkeit, so besteht keine Möglichkeit der Konstitution einer Psyche mit realen Eigenschaften und Zuständen.

§ 3. Kausalgesetze und Determination des Psychischen

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Mit dem allgemeinen Kausalgesetz, das wir aufstellen können – »Alles psychische Geschehen ist kausal bedingt« –, ist über die Frage der Determination des Psychischen, die Frage, ob der jeweilige Zustand durch die Reihe der vorhergehenden eindeutig bestimmt und aus ihnen berechenbar ist, natürlich noch gar nichts entschieden. Dafür wäre zunächst zu erwägen, ob das psychische Geschehen nur kausal bedingt ist oder ob noch andere Faktoren für seinen Verlauf verantwortlich zu machen sind. Die folgenden Untersuchungen werden uns allerhand Aufschlüsse über dieses Problem gewähren. Aber auch aus dem, was wir bisher festgestellt haben, ergibt sich bereits klar, daß die psychischen Zustände nicht ihrem ganzen Gehalt nach aus kausalen Umständen herleitbar sind. Ob ich fähig bin, sinnliche Daten aufzunehmen, und mit welcher Intensität sie sich mir aufdrängen, das hängt von dem jeweiligen Stande meiner Lebenskraft ab. Aber welche Daten auftreten – ob Farben oder Töne und welche besonderen Farben –, das ist von meiner Lebenskraft unabhängig. Sollte sich dies mit Hilfe von Kausalgesetzen bestimmen lassen, so müßte gezeigt werden können, daß die Aufnahmefähigkeit für Daten verschiedener Gattung eine verschiedene ist, und darüber hinaus, daß der niedersten Differenz jeder Gattung – etwa der Farbe von bestimmter Qualität, Helligkeit und Sättigung – eine bestimmte Aufnahmefähigkeit eindeutig zugeordnet ist. Ein solches Zuordnungsgesetz ist aber weder einsichtig zu machen, noch durch irgendwelche Erfahrung zu belegen. Es ist eine leere logische Möglichkeit, neben der die andere Möglichkeit besteht, daß derselben Aufnahmefähigkeit Daten von verschiedener Gattung und Qualität entsprechen. Die Erfahrung spricht offenbar für diese zweite Möglichkeit. Aber auch wenn sich das Gesetz der eindeutigen Zuordnung von bestimmten Sinnesdaten und bestimmten Modis der Lebenskraft als gültig erweisen ließe, würde es immer nur erlauben vorherzusagen, daß bei einem gewissen bekannten Modus der Lebenskraft ein ganz bestimmtes Datum auftreten kann, nicht aber, daß es notwendig auftreten muß. Sollte das Auftreten als notwendig erwiesen werden, so müßte das betreffende Sinnesdatum dem entsprechenden Lebenszustand nicht nur eindeutig zugeordnet, sondern von der Lebenskraft in dem bestimmten Modus erzeugt sein. Die einsichtige Möglichkeit eines Bewußtseins, das derselben Daten teilhaftig wird, ohne aus einer ständig ab- und zunehmenden Lebenskraft heraus zu leben, verbietet eine solche Auffassung.

Eine andere Frage wäre die, ob diejenigen Momente des psychischen Geschehens, die unzweifelhaft kausal bedingt sind, in die sich die Lebenskraft tatsächlich umsetzt, eine »Bestimmung« zulassen: also etwa der Spannungsgrad des Erlebens. Es müßte sich dann sagen lassen: Wenn ein psychisches Subjekt in einem Augenblick seines Daseins über die und die Lebenskraft verfügt und wenn in ihm ein bestimmtes Datum auftritt, so wird sein Erleben dieses Datums den und den Spannungsgrad aufweisen. Die eindeutige Zuordnung von Lebenszustand und Ablaufweise des Erlebens steht hier fest. Die Frage der Bestimmbarkeit spitzt sich uns jetzt dahin zu, ob jeder der beiden Faktoren in sich eindeutig feststellbar ist. Wenn das der Fall ist, dann muß sich auch der eine durch den andern bestimmen lassen.

Stellen wir die Frage zunächst für die Lebenskraft: Ist die jeweilig vorhandene Lebenskraft in eindeutiger und identifizierbarer Weise festzustellen? Denken wir daran, wie in der materiellen Natur »objektive« Bestimmung statthat, so können wir auch fragen: Ist die Lebenskraft ein zahlenmäßig ausdrückbares Quantum? Offenbar ist das nicht der Fall. Die Lebensgefühle, die sie uns bekunden, sind ein qualitativ Mannigfaltiges, das sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen läßt, nicht aus gleichen Einheiten zusammengesetzt gedacht werden kann. Und dasselbe gilt von den »Leistungen« der Lebenskraft, den Spannungsgraden des Erlebens. Auch mit ihrer Hilfe kann die Lebenskraft nicht »gemessen« werden.

An Stelle der quantitativen Bestimmung könnte nun eine qualitative treten. Jedes Lebensgefühl, das uns als Bekundung der Lebenskraft dient, ist ein eigentümliches Quale, und man könnte die mannigfachen Qualitäten durch Namengebung