Bella Ciao - Diether Dehm - E-Book

Bella Ciao E-Book

Diether Dehm

4,9

Beschreibung

Dies ist die Geschichte des unbekannten Dichters eines weltbekannten Liedes. Sie handelt von der Freundschaft zweier Jungen, die auseinanderbricht, als beide, von der Suche nach Gerechtigkeit getrieben, entgegengesetzte Wege einschlagen: der eine, Attila, geht zu den Schwarzhemden und lässt sich bedenkenlos auf die faschistischen Ideen ein; der andere, Renzo, schlägt sich auf die Seite der Partisanen im Ossola-Tal, vereint zwar mit ihnen im Kampf gegen die Faschisten, aber misstrauisch beäugt wegen seiner Auffassungen darüber, wie es weitergehen soll in Italien nach dem Sieg. Im tödlichen Kampf treffen Renzo und Attila aufeinander. Italien wird blutig befreit. Von den Opfern, die der Kampf forderte, erzählt auch Renzos Lied "Bella Ciao".

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Impressum

2., durchges. Auflage

ISBN eBook 978-3-360-50082-3

ISBN Print 978-3-360-02191-5

© 2015 (2007) Das Neue Berlin, Berlin

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin, unter Verwendung einer Illustration von Andreas Töpfer

Die Bücher des Verlags Das Neue Berlin

erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

Diether Dehm

Bella ciao

Roman

Das Neue Berlin

Prolog

Meine Großeltern hatten in den Sechzigern ein kleines Häuslein an einen Berghang im italienischen Tessin gebaut. Sieben Jahre lang fuhr ich zu ihnen, wie es die Semesterferien hergaben. Der Weg dorthin führte durch die Schweiz, von Basel an Luzern vorbei und, weil der Gotthardtunnel damals noch nicht eröffnet war, über den Bernardinopass, »runter an den Lago«, wie wir Frankfurter Verwandten den Alterssitz meiner Großeltern nannten. Dort wartete ein Kellerzimmer auf mich, mit einer Kommode und zwei, drei Klappbetten möbliert, in dem sonst nur größere Spinnen und kleinere Skorpione ­hausten.

Das Schwarzwälder Fachwerkhaus, von einem sardischen Baumeister an den steilen Tessiner Berghang des Dorfes San Bartolomeo geklebt, hatte ich im Sommer 1967 zum ersten Mal gesehen.

Diesmal war ich mit zwei Kommilitonen unterwegs, runter an den Lago.

Das Haus meiner Großeltern lag genau einen Kilometer hinter der italienischen Grenze. Meine Großmutter stand auf dem Balkon. Ist Liebe Wartenlassen? Nein, Liebe ist Warten. Und sie stand da schon stundenlang. Und keck fuhr ich vor, großstadtmännisch die Autotür hinter mir zuschlagend, Herzungen im Halbdunkel der beleuchteten Palme huldvoll entgegennehmend.

Unsere Abenteuerlust trieb uns am ersten Abend im Tessin das Seeufer entlang. Ich fuhr mit meinen Freunden Andi Wader und Sascha Schiffer in die grillendurchzirpte italienische Nacht. Die größte auf der Karte des Lago Maggiore erkennbare Kleinstadt ist Verbánia. Deren Lichterschein entpuppte sich als Promenade, wo wir gegen zehn Uhr nachts einparkten und uns unter die Leute mischten.

Was wir sahen, war wie aus einer andern Zeit. Da hingen zwar ein paar Luftmatratzen zu dreißigtausend Lire an der Hauswand, dann aber Korbflaschen mit Wein, Metzger- und Gemüsezeug, unbeleuchtet und grob angeschnitten hinter der Scheibe. Und dann ein Straßencafé, karg bestuhlt, mit sieben Tischen, ein paar Barhockern, über den Tischen weiße, schmucklose Decken, darauf Körbchen mit Weißbrot, Salz- und Käsestangen. Die Hälfte der Tische war besetzt.

Andi sagte dem Kellner wie selbstverständlich »Uno litro Frascati«, während sein Daumen die Eins deutete, ein Versuch in südländisch.

Wir setzten das auf der Fahrt nach Verbánia geführte Gespräch im Café fort und kamen auf den SDS zu sprechen, unter uns der malerisch glitzernde Lago Maggiore, und wir wie in einer Lagebesprechung für die morgen beginnende Schlacht. Ich war ja so stolz, mit diesen beiden um so vieles älteren und anerkannteren Genossen, natürlich nur durch die Einbringung der Mitgift der Bettstelle, die meine Oma für die beiden in dem kleinen Haus räumen musste, auf Augenhöhe mitzureden und gesehen zu werden (falls es jemand anderes politisch Interessiertes ausgerechnet hierher in den Urlaub verschlagen haben mochte, der die beiden aus der deutschen Zeitung kannte).

»Die Zentrifuge aller Ereignisse«, referierte Wader stockend, »ist die Logik, die Hegel mit der gesellschaftlichen Totalität gefasst hatte. Darum ja, und nur darum, geht es um die dezentrale Taktik, versteht ihr? Hört hier überhaupt jemand zu …«

Ich gestattete mir die Frage, ob denn dezentralisierte Aktionen überhaupt noch eine wahrnehmbare Kraft sein könnten. Schiffer, als Schiedsrichter, warf ein: »Die Außendarstellung zentraler Kundgebungen wie der Vietnam-Kongress 67 – das ist das eine! Dezentrale Aktionen gestatten aber ein viel höheres Maß an Pragmatik, eine Art Nadelstich-Strategie … Stadtguerilla … von Che lernen … Partisanentaktik in unseren Metropolen!« Dann hob er sein Glas jovial und begann zu singen: »O Partigiano, porta mi via …«

Die zwei älteren Männer am Nebentisch lächelten uns zu, der eine, etwa einen Meter fünfundsechzig groß, untersetzt, mit weißem, vollem Haar, das ungekämmt hinter der hohen Stirn in Büschen und Rinnen zurückgestrichen lag, mochte weit über siebzig sein, hatte die Wangen breitmundig ineinandergefaltet, wie es Zahnlose tun. Er lächelte uns hinter einer Goldrandbrille zu, die auf seinem alten Gesicht komisch wirkte. Beim Stichwort Partigiano nickte er schüchtern, mehr für sich. Wader starrte den Alten an, verstand nicht, warum der ihm zunickte, fühlte sich veralbert. Er nahm mit höhnischer Handbewegung sein Glas und prostete dem Alten zu, und wir alle sangen »Questa mattina, mi sono alzato, o bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao ciao …«

Mir ist diese Szene heute noch so deutlich vor Augen, als habe sie sich letzte Woche abgespielt. Das Lachen des Alten war entwaffnend und kindlich, sodass Wader nervös mit den Lidern zuckte. Soviel Arglosigkeit war im zahnlosen Mund des Weißhaarigen und seinen wachen Augen, dass wir uns mit einem Mal alle zuprosteten.

»Tedesci?« Die Stimme des Weißhaarigen war erstaunlich hell.

Andi hatte wieder so einen Impuls: »SDS, nos … verdammt was issen wir? … nos … nos … SDS … studenti revolutionario … tedesci«, quasselte er drauflos.

Zumindest Irritation hatte er erwartet, wenn nicht sogar so etwas wie Hochachtung, hatten wir doch in Frankfurt die Lufthoheit über viele der Innenstadtkneipen. Stattdessen kam ein gänzlich unbeschwertes Gelächter vom Nebentisch. Und vielleicht wäre es dabei geblieben, wenn Andi nicht noch einmal »Revolutionario« hinterhergetönt hätte. Statt betroffen zu schweigen, kicherten die beiden Herren am Nebentisch.

»Irgendwie verstehen die kein Wort«, sagte Andi zu uns, und zu denen: »Parmigiano come Che Guevara … Che Guevara.« Schiffer lachte den Alten überfreundlich zu und bedeutete Wader: »Überfahr die doch nicht mit unseren Strategiedebatten. Das sind einfache Leute, die hier ihren Wein trinken.«

Aber Wader ließ sich nicht bremsen: »Tu conosci Che Guevara, conosci?« Sein Übereifer sprang zwischen deutschen und italienischen Sprachfetzen hin und her, um den Leuten zu erläutern, dass Bolivien in Lateinamerika liegt, Che Guevara dort den Partisanenkampf geführt hatte und wir dasselbe, was Che in der mondo tertiale wollte, in unseren Metropolen durchzuführen begännen.

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