Benjamin Franklins Leben: Die Autobiografie - Benjamin Franklin - E-Book

Benjamin Franklins Leben: Die Autobiografie E-Book

Benjamin Franklin

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Beschreibung

Dieses eBook: "Benjamin Franklins Leben: Die Autobiografie" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Benjamin Franklins Leben ist die Autobiografie von ihm selbst beschrieben. Am Anfang steht ein langer Brief an seinen Sohn William, den damaligen Gouverneur von New Jersey. Die Autobiographie war gleichwohl von Beginn an für ein breiteres Publikum bestimmt. Franklins Ziel war es, seinen eigenen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen zu einer wohlhabenden und geachteten Persönlichkeit darzustellen. Damit verband er den Wunsch, dass andere seinem Vorbild nacheifern sollten. Benjamin Franklin, (1706-1790) war ein nordamerikanischer Drucker, Verleger, Schriftsteller, Naturwissenschaftler, Erfinder und Staatsmann. Geboren als Sohn eines Seifen- und Kerzenmachers, machte Franklin zunächst eine Karriere als Drucker, bevor er sich im Alter von 42 Jahren aus dem Geschäftsleben zurückzog und in die Politik ging. Sein sozialer Aufstieg galt - befördert durch seine in zahlreichen Auflagen gedruckte Autobiographie - über lange Zeit hinweg als ein Musterbeispiel dafür, wie man sich aus eigener Kraft und Disziplin emporarbeiten kann. Als einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten beteiligte er sich am Entwurf der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten und war einer ihrer Unterzeichner. Während der Amerikanischen Revolution vertrat er die Vereinigten Staaten als Diplomat in Frankreich und handelte sowohl den Allianzvertrag mit den Franzosen als auch den Frieden von Paris aus, der den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg beendete. Auch machte er wissenschaftliche Entdeckungen, unter anderem erfand er - neben anderen - den Blitzableiter.

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Benjamin Franklin

Benjamin Franklins Leben: Die Autobiografie

Übersetzer: Karl Müller

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-1293-7

Inhaltsverzeichnis

Benjamin Franklins Leben, von ihm selbst beschrieben
Brief von Herrn Abel Jams, mit Notizen über mein Leben.(in Paris empfangen).
Brief von Herrn Benjamin Vaughan.
Fortsetzung der Schilderung meines Lebens
Inhalts-Übersicht.

Benjamin Franklins Leben, von ihm selbst beschrieben

Inhaltsverzeichnis

Deutsch von Dr. Karl Müller.

Leipzig.
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.

Twyford, bei dem Bischof von St. Asaph, 1771. Twyford war der Landsitz des Bischofs Shipley, welchem Franklin sehr befreundet war. D. H.

Mein lieber Sohn!

Ich habe mir stets ein Vergnügen daraus gemacht, irgend welche kleine Anekdoten über meine Vorfahren zu sammeln. Du wirst dich noch der Erkundigungen erinnern, welche ich unter meinen noch lebenden Verwandten anstellte, als du mit mir in England warst, und der Reise, welche ich zu diesem Zwecke unternahm. Da ich mir einbilde, es dürfte für dich in gleicher Weise angenehm sein, meine Lebensumstände kennen zu lernen, von denen dir manche noch unbekannt geblieben sind, und da ich den Genuß der ununterbrochenen Muße einer Woche in meiner gegenwärtigen ländlichen Zurückgezogenheit erwarte, so setze ich mich nieder, um sie für dich aufzuzeichnen.

Hierzu veranlassen mich noch einige andere Beweggründe. Da ich aus der Armut und Dunkelheit, worin ich geboren und aufgewachsen bin, zu einer gewissen Wohlhabenheit und einigem Ruf in der Welt mich aufgeschwungen und meinen bisherigen Lebensweg mit einem nicht unbedeutenden Erfolge zurückgelegt habe, so werden meine Nachkommen vielleicht begierig sein, die von mir angewandten Mittel kennen zu lernen, welche mir, unter Gottes Segen, so viel Gedeihen brachten, zumal sie einige derselben für ihre eigene Lage passend und darum der Nachahmung würdig erachten dürften.

Jenes Glück hat mich, wenn ich darüber nachdachte, schon manchmal zu der Äußerung veranlaßt, daß, wenn es in meine Wahl gegeben wäre, ich gar keinen Anstand nähme, dasselbe Leben wiederholt noch einmal von vorn anzufangen, wobei ich nur das Vorrecht beanspruchen würde, welches Schriftstellern bei einer zweiten Auflage zusteht: nämlich einige Druckfehler der ersten zu verbessern. Auch möchte ich, neben Berichtigung der Fehler, noch einige leidige Zufälle und Begebenheiten desselben mit anderen, günstigeren vertauschen. Allein selbst wenn mir dies verwehrt wäre, würde ich noch immer das Anerbieten annehmen. Weil nun aber eine solche Wiederholung nicht zu erwarten ist, so scheint wohl nichts dem abermaligen Durchleben unsres Daseins so nahe zu kommen, als die Erinnerung an dieses Leben selbst und die schriftliche Aufzeichnung desselben, um diese Erinnerung so dauerhaft wie möglich zu machen. Damit werde ich überdies dem, bei alten Männern so natürlichen Hange mich hingeben, von sich und ihren früheren Thaten zu reden, und meiner Neigung ganz unbeschränkt folgen können, ohne deshalb denen langweilig zu werden, welche aus Achtung vor meinem Alter sich verpflichtet halten möchten, mir zuzuhören, da es ja jedem freistehen wird, mich je nach Belieben zu lesen oder nicht. Endlich aber – ich will es nur lieber gleich gestehen, da mir doch niemand das Gegenteil glauben würde – werde ich bei dieser Arbeit vielleicht meine Eitelkeit zum guten Teil befriedigen. Ich habe nämlich kaum je die einleitende Redensart gehört oder gelesen: »Ich darf wohl ohne Eitelkeit behaupten,« ohne daß nicht sogleich irgend ein charakteristisches Zeichen von Eitelkeit gefolgt wäre. Die meisten Menschen hassen die Eitelkeit an anderen, so sehr sie auch selbst damit behaftet sein mögen; allein ich gönne ihr gern Spielraum, wo immer ich ihr begegne, in der Überzeugung, daß sie oft für ihren Besitzer und auch für andere im Bereich seines Wirkungskreises gutes erzielt. Es wäre daher in vielen Fällen gar nicht so unvernünftig, wenn ein Mensch dem lieben Gott für seine Eitelkeit ebenso sehr danken würde, wie für die übrigen Behaglichkeiten des Lebens.

Da ich nun gerade von Dank gegen Gott spreche, so will ich auch in aller Demut anerkennen, daß ich das erwähnte Glück meines vergangenen Lebens seiner gütigen Vorsehung verdanke, welche mir die Mittel in die Hand gab, deren ich mich dann bediente, und welche ihnen Erfolg verlieh. Mein Glaube in diesem Punkte veranlaßt mich zu hoffen – wenn ich mich auch nicht darauf verlassen darf –, daß sich dieselbe Güte auch noch ferner an mir bewähren werde, indem sie entweder die Dauer meines Glücks bis an das Ende meines Lebens verlängert, oder mich mit Kraft erfüllt, traurige Unfälle zu tragen, die auch mich, so gut wie andere, treffen können. Die Gestaltung meines künftigen Schicksals ist nur dem bekannt, in dessen Hand unser Geschick ruht, und der auch selbst unsere Leiden zu unserm Heile zu lenken vermag.

Die Aufzeichnungen eines meiner Oheime, der wie ich gern Nachrichten über unsere Familie sammelte, sind mir zu Händen gekommen und haben mir mehrere Einzelnheiten über unsere Vorfahren geliefert. Aus diesen Notizen erfuhr ich, daß, wählend einer Zeit von mindestens dreihundert Jahren, die Familie in demselben Dorfe (Ecton in Northamptonshire) auf einem Freigute von ungefähr dreißig Ackern lebte. Wie lange schon vor jener Zeit sie dort gewohnt hatten, konnte mein Oheim nicht in Erfahrung bringen; wahrscheinlich aber noch vor dem Aufkommen der Zunamens wo sie den Namen Franklin annahmen, mit welchem früher eine besondere Standesklasse belegt wurde. Dieser kleine Grundbesitz würde für ihren Lebensunterhalt nicht ausgereicht haben, wenn sie nicht nebenher das Gewerbe eines Grobschmieds getrieben hätten, welches bis zu meines Oheims Zeit in der Familie blieb, indem immer her älteste Sohn für dieses Gewerbe erzogen wurde, ein Brauch, welchen auch sowohl er wie mein Vater für ihre ältesten Söhne beibehielten. Bei meinen Nachforschungen in den Kirchenbüchern zu Ecton fand ich eine Nachricht über ihre Geburten, Heiraten und Todesfälle erst vom Jahre 1555 an, da in jenem Sprengel vor diesem Zeitpunkte keine Kirchenbücher gehalten worden waren. Aus diesen Kirchenbüchern erfuhr ich, daß ich der jüngste Sohn des jüngsten Sohnes seit fünf Generationen rückwärts war. Mein Großvater, Thomas, im Jahre 1598 geboren, lebte in Ecton, bis er zum ferneren Betriebe seines Handwerks zu alt war, und zog dann nach Banbury in Oxfordshire, woselbst sein Sohn John, bei dem mein Vater seine Lehrzeit durchmachte, als Färber wohnte. Bei seinem Tode ward er hier begraben; im Jahre 1758 haben wir sein Grabmal gesehen. Sein ältester Sohn Thomas wohnte in dem Stammhause zu Ecton und vererbte es mit dem dazu gehörigen Lande seiner einzigen Tochter, welche es, unter Zustimmung ihres Gatten Fisher aus Wellingborough, später an Isted, den gegenwärtigen Eigentümer, verkaufte. Mein Großvater hatte vier Söhne, welche das Mannesalter erreichten, nämlich: Thomas, John, Benjamin und Josias. Ich will dir über sie Auskunft geben, soviel ich bei dieser Entfernung von meinen Papieren kann, in welchen du genauere Nachweisung finden wirst, falls sie nicht während meiner Abwesenheit verloren gegangen sind.

Thomas erlernte bei seinem Vater das Handwerk eines Grobschmieds; da er aber einen recht gesunden, natürlichen Verstand hatte, so sorgte für seine geistige Ausbildung ein Herr, Namens Palmer, der zu jener Zeit der vornehmste Bewohner des Dorfes war, und auch alle meine Oheime zur Pflege ihrer Geisteskräfte ermunterte. Auf diese Weise erwarb Thomas sich Tüchtigkeit für die Geschäfte eines Notars, wurde bald eine wichtige Person in Dorfangelegenheiten und gehörte zu den Hauptleitern jedes öffentlichen Unternehmens, sowohl in Bezug auf die Grafschaft, wie auf das Städtchen Northampton. Es wurden uns in Ecton viele merkwürdige Züge von ihm erzählt. Im Gennsse der Achtung und Gunst des Lord Halifax starb er am 6. Januar 1702 – genau vier Jahre vor meiner Geburt. Die Schilderung seines Lebens und Charakters, welche mehrere bejahrte Einwohner des Dorfes uns entwarfen, überraschte dich, wie ich mich entsinne, wegen ihrer Übereinstimmung mit dem, was du über mich selbst wußtest, so daß du sagtest: »Wäre er gerade an demselben Tage gestorben, wo du geboren wurdest, so könnte man an eine Seelenwanderung glauben.«

John erlernte, soviel ich weiß, das Geschäft eines Wollfärbers. Benjamin erlernte in London die Seidenfärberei. Er war ein geistig begabter Mann, dessen ich mich noch wohl entsinne; denn während meiner Kindheit kam er zu meinem Vater nach Boston und lebte mehrere Jahre in unserm Hause. Er erreichte ein hohes Alter. Sein Enkel, Samuel Franklin, lebt noch jetzt in Boston. In seinem Nachlaß fanden sich zwei Quartbände Gedichte im Manuskript, kleine, an seine Freunde gerichtete Gelegenheitsstücke. Er hatte eine Geschwindschrift erfunden, die er mich lehrte; da ich aber nie Gebrauch davon machte, so habe ich sie wieder vergessen. Ich wurde nach diesem Oheim getauft, zwischen welchem und meinem Vater ein besonders inniges Verhältnis bestand. Er war sehr fromm, ein eifriger Zuhörer der besten Prediger, deren Vorträge er zu seinem Vergnügen nach der von ihm erfundenen, schnellern Methode niederschrieb und auf diese Weise in verschiedenen Bänden sammelte. Auch mit der Politik beschäftigte er sich sehr gern – vielleicht zu viel für seine Verhältnisse. Erst unlängst fand ich in London eine von ihm angelegte Sammlung der vorzüglichsten über die Staatsereignisse von 1641 bis 1717 erschienenen Flugschriften. Wie sich aus der Zahlenfolge ergiebt, fehlen mehrere Bände, aber es sind doch noch acht Folianten und vierundzwanzig Quart- und Oktavbände vorhanden. Die Sammlung war in die Hände eines Antiquars gekommen, der mich kannte, weil er mir mehrere Bücher verkauft hatte, und sie mir zeigte. Wahrscheinlich hatte sie mein Oheim vor seiner Abreise nach Amerika, vor ungefähr fünfzig Jahren, zurückgelassen. Am Rande finden sich viele Bemerkungen von seiner Hand.

Unsere schlichte Familie bekannte sich früh zur reformierten Lehre und beharrte während der Regierung der Königin Marie treu dabei, obschon sie wegen ihres Eifers gegen das Papsttum gefährdet war. Sie besaßen eine englische Bibel, und um diese desto sicherer zu verbergen, gerieten sie auf den Einfall, sie offen, mit über die Blätter gespannten Bindfäden, auf den Deckel eines Klappstuhls zu befestigen. Wollte nun mein Großvater seiner Familie vorlesen, so legte er den Deckel des Klappstuhles verkehrt auf seine Knie und wendete so die Blätter um, welche auf beiden Seiten von den Bindfäden niedergehalten wurden. Eins der Kinder war an die Thür gestellt, um sogleich Nachricht zu geben, wenn es den Apparitor (einen Beamten des geistlichen Gerichtes) kommen sähe; dann wurde der Deckel mit der wie zuvor darunter versteckten Bibel wieder an seinen Platz gelegt. Ich erfuhr diese Anekdote von Oheim Benjamin. Die ganze Familie bewahrte ihre Anhänglichkeit an die anglikanische Kirche bis etwa gegen Ende der Regierung Karls II., wo gewisse, als Nonkonformisten abgesetzte Geistliche Konventikel in Northamptonshire hielten, denen Benjamin und Josias sich anschlossen und denen sie fortwährend zugethan blieben. Die übrige Familie verharrte bei der bischöflichen Kirche.

Josias, mein Vater, hatte jung geheiratet und ungefähr ums Jahr 1682 seine Gattin und drei Kinder mit sich nach Neu-England gebracht. Da die Konventikel in der alten Heimat verboten waren und häufig gestört wurden, so waren mehrere angesehene Männer seiner Bekanntschaft veranlaßt worden, nach Neu-England zu übersiedeln, und hatten ihn bewogen, sie dorthin zu begleiten, wo sie sich ihrer Religionsübung unbeanstandet hingeben zu dürfen hofften.

Mein Vater hatte von derselben Frau noch vier Kinder, die in Amerika geboren wurden, und weitere zehn von einer zweiten Frau, zusammen also siebzehn Kinder. Ich weiß noch recht gut, daß wir unserer dreizehn zusammen bei Tische saßen, die alle ein reifes Alter erreichten und heirateten. Ich war der jüngste Sohn und das vorletzte Kind und wurde zu Boston in Neu-England geboren. Meine Mutter, die zweite Frau, war Abiah Folger, Tochter des Peter Folger, eines der ersten Ansiedler in Neu-England, dessen Cotton Mather, in seiner Kirchengeschichte jener Provinz, als eines frommen wohlunterrichteten Engländers«, wenn ich mich der Worte recht entsinne, ehrend gedenkt. Wie mir erzählt wurde, schrieb er eine Menge kleiner Aufsätze, doch scheint nur einer gedruckt worden zu sein, der mir vor vielen Jahren zu Gesicht kam. Er erschien im Jahre 1675, in den kunstlosen Reimen jener Zeiten und Menschen geschrieben, war an die damals am Staatsruder stehenden Männer gerichtet und verwandte sich zu Gunsten der Gewissensfreiheit, der Wiedertäufer, Quäker und anderer Sektierer, welche Verfolgungen erduldeten. Diesen Verfolgungen schreibt er die Kriege mit den Eingebornen und andere Drangsale zu, welche das Land drückten, indem er sie als so viele Gerichte Gottes zur Züchtigung für so böse Thaten ansteht und die Regierung zum Widerruf solcher hartherzigen Gesetze ermahnt. Das Gedicht erschien mir mit männlicher Freimütigkeit und einer ansprechenden Einfalt geschrieben. Ich entsinne mich noch der sechs Endstrophen, habe aber die Wortfolge der beiden ersten von ihnen vergessen. Der Sinn war, daß sein Tadel aus Wohlwollen entspringe und daß er deshalb als der Verfasser bekannt zu sein wünsche, denn, sagt er –

Zu Sherburne Eine Stadt auf der Insel Nantucket. wohn' ich jetzt und schreibe. Daß ich stets euer wahrer Freund, Der's ganz und gar nicht böse meint. Mit Namen Peter Folger bleibe.

Meine älteren Brüder kamen alle zu verschiedenen Handwerkern in die Lehre. Ich selbst wurde mit acht Jahren in eine lateinische Schule geschickt, da mein Vater mich als einen zehnten von seinen Söhnen für den Dienst der Kirche bestimmte. Die Schnelligkeit, mit der ich lesen lernte (was sehr frühe gewesen sein muß, da ich mich gar nicht mehr der Zeit erinnere, wo ich nicht lesen konnte), und die Ansicht seiner Freunde, daß ich sicher eines Tages ein sehr gelehrter Mann werden würde, bestärkten ihn in seinem Plane. Auch Oheim Benjamin gab seinen Beifall zu dieser Absicht und versprach mir alle seine Bände mit nachgeschriebenen Predigten, wenn ich mich bemühen wollte, diese zu lernen. Ich blieb indessen kaum ein Jahr in der lateinischen Schule, obschon ich in dieser Zeit allmählich aus der Mitte meiner Jahresklasse an die Spitze derselben mich aufgeschwungen hatte und dann in die nächstobere vorrückte, um mit dieser am Ende des Jahres in die dritte zu treten. Allein mein Vater änderte inzwischen, wegen der großen Kosten einer gelehrten Erziehung, die er bei seiner zahlreichen Familie kaum erschwingen konnte, und bei dem ärmlichen Lebensunterhalt, welchen manche Männer von gelehrter Erziehung später fanden – Gründe, die er in meinem Beisein öfters gegen seine Freunde äußerte, – seinen ursprünglichen Plan, nahm mich aus der lateinischen Schule fort und schickte mich in eine Schreib- und Rechenschule, die Herr George Brownell hielt, ein geschickter Lehrer, der seinem Berufe mit Erfolg vorstand, weil er sich einer liebreichen und ermutigenden Methode bediente. Unter ihm lernte ich bald eine vortreffliche Hand schreiben, im Rechnen aber wollte es mir durchaus nicht gelingen und ich machte keine Fortschritte darin. In einem Alter von zehn Jahren wurde ich von meinem Vater wieder nach Hause genommen, um ihm in seinem Geschäft, nämlich beim Seifensieden und Lichterziehen, zur Hand zu gehen. Dieses Gewerbe hatte er zwar nicht eigentlich gelernt, aber bei seiner Ankunft in Neu-England ergriffen, weil er gewahrte, daß er mit seinem eigentlichen Berufe, der Färberei, seine Familie nicht ernähren könne. Demgemäß wurde ich zum Schneiden der Dochte, Füllen der Gußformen, zur Bedienung des Ladens, zu Geschäftsausgängen u. s. w. verwendet.

Diese Beschäftigung gefiel mir nicht, wogegen ich eine starke Vorliebe für das Seeleben hegte; mein Vater wollte aber hiervon nichts wissen. Die Nähe des Wassers gab mir indes häufige Gelegenheit, mich oft darauf und hinein zu wagen, und bald verstand ich zu schwimmen und ein Boot zu führen. Wenn ich mit anderen Knaben fuhr, so wurde gewöhnlich mir das Steuerruder anvertraut, namentlich in schwierigen Fällen, wie ich denn auch bei allen übrigen Unternehmungen fast immer der Anführer der Schar war, die ich nicht selten in Verlegenheit brachte. Ich will hiervon ein Beispiel mitteilen, welches einen frühentwickelten Hang zu öffentlichen Unternehmungen zeigt, obschon derselbe damals nicht richtig geleitet war.

Der Mühlteich wurde an der einen Seite durch einen Salzsumpf begrenzt, an dessen Rande wir bei hohem Wasser uns aufstellten, um Ellritzen zu fangen. Durch vieles Getrampel hatten wir ihn zu einer Kotlache gemacht. Mein Vorschlag ging deshalb dahin, hier eine Werfte zu erbauen, auf welcher wir stehen konnten, wobei ich meinen Gefährten einen großen Haufen Steine zeigte, die zum Bau eines Hauses in der Nähe des Sumpfes bestimmt waren und vortrefflich für unsern Zweck paßten. Demgemäß versammelte ich, nachdem sich die Werkleute am Abend entfernt hatten, eine Anzahl meiner Spielgenossen. Da wir fleißig wie die Ameisen waren, indem oft mehrere von uns mit vereinten Kräften einen Stein wegschleppten, so trugen wir sie denn alle fort und erbauten unsre kleine Werfte. Die Arbeiter erstaunten, als sie am Morgen ihre Steine nicht fanden, die wir eben für unsern Damm verbraucht hatten. Man forschte nach den Erbauern dieses Werkes; wir wurden entdeckt, man beklagte sich, und gar mancher von uns wurde von seinen Eltern streng gestraft. Obschon ich hartnäckig die Nützlichkeit des Baues verteidigte, so überzeugte mich mein Vater doch endlich, daß nichts nützlich sein könne, was nicht rechtlich sei.

Du wirst vielleicht begierig sein, auch Einiges über die Person und den Charakter meines Vaters zu erfahren. Er besaß eine vortreffliche Leibesbeschaffenheit, war von mittlerer Gestalt, aber wohl und kräftig gebaut; er war sehr begabt, konnte hübsch zeichnen, verstand ein wenig Musik und hatte eine helle, volltönende Stimme, so daß es viel Vergnügen gewährte, ihm zuzuhören, wenn er zu seiner Violine einen Psalm oder ein Lied sang, wie er wohl öfter Abends nach beendigtem Tagewerke zu thun pflegte. Auch war er ein mechanisches Talent und verstand bei Gelegenheit, die Werkzeuge einer Menge von Handwerken zu führen. Aber vor allem zeichnete er sich durch gesunde Auffassung und gediegenes Urteil in Verstandssachen sowohl im öffentlichen, wie im Privatleben, aus. Zwar gab er sich mit ersterm nicht eigentlich ab, weil seine zahlreiche Familie und sein geringes Vermögen ihn streng an sein Gewerbe fesselten; aber ich entsinne mich recht wohl, wie die Angesehenen des Ortes häufig zu ihm kamen und seine Meinung über Angelegenheiten der Stadt oder Kirche, zu der er sich bekannte, einholten, und auf seinen Rat und sein Urteil großen Wert legten. Ebenso pflegten Einzelne ihn über ihre Privatangelegenheiten zu Rate zu ziehen, und oft wurde er zum Schiedsrichter zwischen den streitenden Parteien erwählt. Bei Tische sah er gern so häufig als möglich einige Freunde oder gebildete Nachbarn bei sich, mit denen eine vernünftige Unterhaltung möglich war, und war immer bemüht, nützliche oder interessante Dinge zur Sprache zu bringen, woran der Geist seiner Kinder sich bereichern könnte. Auf diese Weise lenkte er schon früh unsere Aufmerksamkeit auf alles, was im Leben der Menschen gerecht, verständig und heilbringend ist. Nie sprach er von den Gerichten auf dem Tische, ob sie gut oder schlecht bereitet, von angenehmem oder unangenehmem Geschmacke, stark gewürzt oder nicht, dieser oder jener Speise ähnlicher Art vorzuziehen oder nachzusetzen seien. Auf diese Weise wurde ich seit meiner frühesten Kindheit an eine gänzliche Gleichgültigkeit gegen solche Dinge gewöhnt und kümmerte mich nie im geringsten darum, was für Essen vor mir stehe, und selbst jetzt noch wende ich diesem Punkte so wenig Beachtung zu, daß es mir schwer werden dürfte, wenige Stunden nach dem Essen anzugeben, woraus meine Mahlzeit bestanden habe. Dies kam mir auf Reisen sehr zu statten, wo meine Gefährten bisweilen über die mangelhafte Befriedigung ihres zartern, weit besser gepflegten Gaumens und Geschmacks sehr unglücklich waren.

Meine Mutter erfreute sich gleicherweise einer vortrefflichen Gesundheit. Sie stillte alle ihre zehn Kinder selbst, und ich hörte weder meinen Vater noch sie je über eine andere Krankheit als die klagen, an welcher sie, wem Vater mit 89, meine Mutter mit 85 Jahren, starben. Beide liegen in Boston begraben, wo ich vor einigen Jahren über ihrem Grabe einen marmornen Denkstein mit folgender Inschrift errichten ließ:

Hier ruhenJosias Franklin undAbiah seine Gattin.

Sie lebten innig und einträchtiglich zusammen fünfundfünfzig Jahre und ernährten ohne Vermögen, ohne gewinnbringendes Gewerbe anständig eine zahlreiche Familie und erzogen mit gesegnetem Erfolge dreizehn Kinder und sieben Enkel. Laß, Leser, dieses Beispiel dich ermutigen, den Pflichten deines Berufes fleißig nachzukommen und der Vorsehung zu vertrauen. Er war ein frommer und weiser Mann, Sie ein kluges und tugendsames Weib. Im Gefühle kindlicher Pflichtschuldigkeit Weiht diesen Stein ihrem Gedächtnisse Ihr jüngster Sohn B. F.

An meinen Abschweifungen bald hier bald dorthin bemerke ich übrigens, daß ich selbst alt werde. Ich pflegte sonst methodischer zu schreiben; aber für den häuslichen Kreis kleidet man sich ja nicht so sorgfältig, wie für einen öffentlichen Ball; daher vielleicht meine Nachlässigkeit.

Jedoch zur Sache: Ich blieb auf diese Weise in meines Vaters Geschäft zwei Jahre, d. h. bis ich zwölf Jahr alt war. Da mein Bruder John, welcher die Seifensiederei erlernt, meinen Vater verlassen, sich verheiratet und in Rhode-Island ein eigenes Geschäft begründet hatte, so war ich allem Anschein nach dazu bestimmt, seine Stelle einzunehmen und ein Talglichtzieher zu werden. Weil aber mein Widerwille gegen dies Geschäft fortdauerte, so fürchtete mein Vater, daß, wenn er nicht einen mir angenehmeren Beruf fände, ich eines Tages auf und davon und zur See gehen könnte, wie, zu seinem größten Kummer, mein Bruder Josias gethan hatte. Deshalb nahm er mich öfter mit, um Maurern, Böttchern, Kupferschmieden, Tischlern und anderen Handwerkern bei der Arbeit zuzusehen, um meine Neigungen zu beobachten und sie an eine Beschäftigung zu fesseln, die mich im Lande zurückhielte. Es hat mir seither auch immer großes Vergnügen gemacht, geschickte Werkleute ihr Gerät handhaben zu sehen. Auch habe ich manchen Nutzen daraus gezogen und wenigstens dabei so viel gelernt, daß ich in meinem Hause allerlei kleine Arbeiten selbst zu verrichten vermochte, wenn ich gerade keinen Handwerker bekommen konnte, und daß ich die kleinen Apparate für meine Versuche machen kann, während die Absicht zur Anstellung des Experiments in meinem Geist noch frisch und warm ist.

Mein Vater entschied sich endlich, daß ich Messerschmied werden sollte. Ich wurde einige Zeit auf Probe zu meinem Vetter Samuel gegeben, dem Sohne meines Oheims Benjamin, der dies Gewerbe in London erlernt und sich in Boston niedergelassen hatte. Aber das Lehrgeld, welches er für mich von meinem Vater verlangte, stand diesem nicht an, weshalb ich wieder ins Haus genommen wurde.

Von frühester Zeit hatte ich leidenschaftlich gern gelesen, und das bißchen Geld, welches ich erhielt, in Büchern angelegt. Da mir »Des Pilgers Erdenwallen« The Pilgrims Progress, das bekannte asketische Erbauungsbuch von John Bunyan. D. H. besonders gefiel, so bestand meine erste Büchersammlung aus Bunyans Werken in einzelnen kleinen Bänden. Diese verkaufte ich später wieder, um R. Burtons geschichtliche Sammlungen kaufen zu können, welche aus kleinen billigen Bändchen, etwa vierzig bis fünfzig an der Zahl, bestanden. Meines Vaters kleine Bibliothek enthielt vorzüglich praktische und polemische Theologie. Den größten Teil hatte ich durchgelesen. Ich habe es seitdem oft bedauert, daß in der Zeit, wo ich einen so heftigen Durst nach Kenntnissen empfand, mir nicht ausgewähltere Bücher in die Hände fielen, da es schon beschlossen war, daß ich nicht Geistlicher werden sollte. Unter meines Vaters Büchern befanden sich auch Plutarchs Lebensbeschreibungen, in denen ich fortwährend las, und noch immer halte ich die Zeit für gut angewandt, welche ich damit zubrachte. Auch fand ich ein Werk von de Foe: »Versuch über Projekte« und ein anderes von Dr. Mather unter dem Titel: »Versuche über rechtliches Handeln«, welche mir vielleicht einen Hang zum Nachdenken gaben, der einen Einfluß auf einige der Hauptereignisse meines spätern Lebens hatte.

Meine Vorliebe für Bücher bestimmte meinen Vater endlich, einen Buchdrucker aus mir zu machen, obgleich er schon einen seiner Söhne (James) in diesem Geschäfte hatte. Mein Bruder war im Jahre 1717 mit einer Presse und Typen aus England zurückgekehrt, um in Boston eine Druckerei zu errichten. Dies Gewerbe gefiel mir bei weitem besser als das meines Vaters, obschon ich noch immer eine Vorliebe für die See hegte. Um den möglichen Folgen dieser Neigung vorzubeugen, konnte mein Vater es gar nicht abwarten, mich bei meinem Bruder untergebracht zu sehen. Einige Zeit weigerte ich mich, endlich aber ließ ich mich überreden und unterzeichnete den Lehrbrief, als ich erst zwölf Jahre alt war. Es wurde ausgemacht, daß ich bis zum einundzwanzigsten Jahre in die Lehre gehen und nur im letzten Jahre den Lohn eines Arbeiters erhalten sollte. In kurzer Zeit machte ich große Fortschritte in diesem Geschäfte und wurde sehr brauchbar für meinen Bruder. Jetzt hatte ich Zutritt zu besseren Büchern. Eine Bekanntschaft mit Buchhändler-Lehrlingen machte es mir möglich, dann und wann einen Band zu borgen, den ich gewissenhaft bald und rein zurückgab. Oft verbrachte ich den größten Teil der Nacht lesend in meinem Zimmer, wenn mir ein Buch am Abend geliehen ward, welches am andern Morgen zurückgeliefert werden mußte, damit es nicht vermißt oder gesucht werden möchte. Nach einiger Zeit erregte ich die Aufmerksamkeit des Mr. Mathews Adams, eines hochbegabten Handelsmanns, der eine schöne Büchersammlung besaß und oft in die Druckerei kam. Er lud mich ein, seine Bücher zu besehen und war so gütig, mir einige, welche ich gern lesen wollte, zu leihen. Damals ergriff mich eine seltsame Leidenschaft für die Dichtkunst, und ich verfaßte mehrere kleinere Sachen. Mein Bruder glaubte dabei seine Rechnung finden zu können und ermunterte und veranlaßte mich, zwei Balladen zu schreiben. Die eine schilderte unter dem Titel: »Die Leuchtturm-Tragödie« den Wellentod des Kapitän Worthilake und seiner beiden Töchter, die andere war ein Seemannslied auf die Gefangennehmung des bekannten Piraten Teach oder Blackbeard (Schwarzbart). Es waren, was den Stil anlangt, jämmerliche Verse, wahrhafte Gassenhauer; als sie aber gedruckt waren, sandte mich mein Bruder in der Stadt herum, um sie zu verkaufen. Die erste hatte ungeheuren Absatz, weil der Vorfall noch neu war und viel Aufsehen erregte. Dies schmeichelte meiner Eitelkeit; aber mein Vater wußte meinen Jubel durch Verspottung meiner Erzeugnisse und die Bemerkung zu dämpfen, daß Versemacher meist Bettler seien. Auf diese Weise entging ich dem Unglück, ein sehr schlechter Dichter zu werden. Da aber meine Gabe, in Prosa zu schreiben, im Laufe meines Lebens mir so sehr zu statten gekommen ist und hauptsächlich mein Emporkommen beförderte, so will ich berichten, durch welche Mittel ich in meiner Lage die schwache Fertigkeit erwarb, welche ich vielleicht hierin besitze.

Es gab in der Stadt noch einen jungen Bücherwurm, einen gewissen John Collins, mit dem ich vertrauten Umgang hatte. Wir disputierten häufig mit einander und waren auch so versessen, uns gegenseitig etwas zu beweisen, daß uns nichts lieber war wie ein Wortkampf. Diese Neigung zum Streit hat aber, wie ich nur im Vorbeigehen bemerken will, das Gefährliche, in eine schlimme Gewohnheit auszuarten, und macht oft die Gesellschaft eines Mannes unerträglich, weil sie den Widerspruchsgeist notwendig zur andern Natur macht. Abgerechnet die Bitterkeit und den Hader, welchen sie in das Gespräch bringt, erzeugt sie auch oft Abneigung, ja Haß unter Personen, zwischen denen Freundschaft durchaus nötig ist. Ich hatte sie in meines Vaters Hause durch das Lesen religiöser Streitschriften angenommen. Seitdem habe ich bemerkt, daß Männer von Verstand selten auf diesen Abweg geraten – Rechtsgelehrte, Studenten und Leute jeden Standes, die in Edingburgh erzogen wurden, ausgenommen.

Collins und ich gerieten eines Tages in einen Streit über die Zweckmäßigkeit der Erziehung des weiblichen Geschlechts in den Wissenschaften und über dessen Befähigung für das Studium. Collins war der Ansicht, die höhere Bildung passe nicht für das weibliche Geschlecht, und dieses sei ihm auch von Natur aus nicht gewachsen. Ich ergriff die Gegenpartei, vielleicht nur aus Lust am Streite. Die Natur hatte ihm größere Rednergabe verliehen; die Worte strömten in Massen von seinen Lippen, und oft hielt ich mich mehr durch seine Zungenfertigkeit als die Kraft seiner Beweise für geschlagen. Als wir von einander schieden, ohne uns in der Sache geeinigt zu haben, und da wir uns eine Zeit lang nicht sprechen konnten, brachte ich meine Gedanken zu Papier, fertigte eine saubere Abschrift und schickte sie ihm. Er antwortete, und ich replizierte. Wir hatten jeder drei oder vier Briefe geschrieben, als meinem Vater zufällig meine Papiere zu Gesicht kamen, und er sie las. Ohne sich auf den Streit selbst einzulassen, nahm er die Gelegenheit wahr, über meine Schreibweise mit mir zu reden. Er bemerkte, daß ich zwar in Rechtschreibung und richtiger Interpunktion, die ich meinem Berufe verdankte, meinem Gegner überlegen sei, aber ihm in der Zierlichkeit des Ausdruckes, in der Darstellung und Klarheit weit nachstehe. Er überzeugte mich davon durch mehrere Beispiele. Ich erkannte die Wahrheit seiner Bemerkungen, wandte mehr Sorgfalt auf die Sprache und entschloß mich zu möglichster Anstrengung, um meinen Stil zu verbessern.

Etwa um diese Zeit fiel mir ein einzelner Band des »Spektator« in die Hände. Es war der dritte. Ich hatte dies Werk noch nie gesehen, kaufte den Band, las ihn mehrmals und war ganz entzückt davon. Ich hielt den Stil für ausgezeichnet und wünschte mir nur die Fähigkeit, ihn nachahmen zu können. In dieser Absicht wählte ich einige Aufsätze aus, brachte den Sinn jeder Periode in einen kurzen Auszug, legte das Ganze einige Tage beiseite, versuchte dann, ohne einen Blick in das Buch zu werfen, die Aufsätze in ihrer ursprünglichen Abfassung wieder herzustellen, kurz, jeden Gedanken, wie er sich im Original befand, wiederzugeben, indem ich die geeignetsten Worte gebrauchte, welche mir einfielen. Nachher verglich ich meinen Spektator mit dem wirklichen, fand einige Fehler, die ich verbesserte, erkannte aber auch, daß es mir, um mich des Ausdrucks zu bedienen, an einem Vorrat von Wörtern, so wie an der Fertigkeit, mich ihrer zu entsinnen und sie zu gebrauchen, mangelte, in deren Besitz ich nach meiner Ansicht damals längst gewesen sein würde, wenn ich fortgefahren hätte, Verse zu machen. Das beständige Bedürfnis von Wörtern derselben Bedeutung indessen, wegen des Versmaßes von verschiedener Länge, oder wegen des Reimes von verschiedenem Klange, hätte mich gezwungen, eine Menge Synonyma zu suchen und ihrer Herr zu werden. In dieser Erwägung wählte ich einige Erzählungen aus dem Spektator, schrieb sie in Verse um, und nach Verlauf einiger Zeit übertrug ich sie, wenn sie meinem Gedächtnis genugsam entschwunden waren, wieder in Prosa.

Bisweilen warf ich auch wohl alle meine Auszüge durch einander und versuchte dann einige Wochen später, sie wieder in die gehörige Ordnung zu bringen, ehe ich an die Bildung der vollen Sätze und die Abfassung der Aufsätze ging. Dies sollte mich Methode in Anordnung meiner Gedanken lehren. Verglich ich später meine Arbeit mit dem Original, so entdeckte und verbesserte ich manche Fehler; aber bisweilen genoß ich auch die Befriedigung, mir einzubilden, ich sei in gewissen untergeordneten Einzelnheiten so glücklich gewesen, Methode oder Ausdruck zu verbessern, und dies ermutigte mich zu der Hoffnung, daß ich es mit der Zeit noch zu einem guten Stil im Englischen bringen würde, der das Hauptziel meines Ehrgeizes war. Die Zeit, welche ich diesen Übungen und dem Lesen zuwandte, war der Abend nach geendigtem Tagewerke, der Morgen, ehe dieses begann, und der Sonntag, wenn ich in der Druckerei allein sein konnte. Ich wich nämlich dem gewöhnlichen Besuch des öffentlichen Gottesdienstes soviel als möglich aus, welchen mein Vater von mir verlangte, so lange ich noch unter seiner Obhut war, und den ich in Wirklichkeit noch immer für eine Pflicht hielt, obschon ich, wie es mich bedünken wollte, nicht die Zeit zu seiner Ausübung erübrigen konnte.

Als ich ungefähr sechzehn Jahre alt war, fiel mir ein Werk von Tryon in die Hände, in welchem er die Pflanzennahrung empfiehlt. Ich beschloß, mich derselben ebenfalls zu bedienen. Mein Bruder war unverheiratet, hatte keinen eigenen Haushalt, sondern speiste mit seinen Lehrlingen bei einer nahebei wohnenden Familie. Meine Weigerung, Fleischspeisen zu essen, wurde unpassend gefunden, und ich oft wegen meiner Sonderbarkeit ausgescholten. Ich merkte mir die Art und Weise, wie Tryon einige seiner Gerichte bereitete, namentlich wie Kartoffeln und Reis gekocht und zu Schnellpudding gebacken wurden. Dann erklärte ich meinem Bruder, wenn er das halbe Wochengeld, welches er für meine Beköstigung zahle, mir geben wollte, so würde ich versuchen, mich selbst zu speisen. Er nahm mein Anerbieten sofort an, und ich wurde bald gewahr, daß ich von dem, was er mir gab, noch die Hälfte zurücklegen konnte. Dadurch erlangte ich einen Grundstock zum Ankauf von Büchern, abgesehen von einem andern Vorteil, der mir aus diesem Verfahren erwuchs. Wenn mein Bruder und die Arbeiter die Druckerei verließen, um zu Tisch zu gehen, so blieb ich zu Hause. Nachdem ich mein einfaches Mahl verzehrt hatte, welches häufig nur aus einem Zwieback oder einer Brotschnitte und einigen Trauben, oder einem Obstkuchen vom Pastetenbäcker nebst einem Glase Wasser bestand, konnte ich die übrige Zeit, bis zu ihrer Rückkehr, auf meine geistige Ausbildung verwenden, worin ich um so größere Fortschritte machte, als mein klarerer Kopf und meine raschere Auffassung eine gewöhnliche und natürliche Folge der Mäßigkeit im Essen und Trinken waren.

Damals mußte ich mich eines Tages wegen meiner Unwissenheit im Rechnen schämen, dessen Erlernung ich bei zwiefacher Gelegenheit während meiner Schuljahre versäumt hatte; ich nahm daher Cockers Rechenbuch vor und arbeitete es mit der größten Leichtigkeit durch. Auch las ich ein Buch über Schiffahrtskunde von Seller und Sturmy, und machte mich noch mit den Anfangslehren der Geometrie vertraut, welche es enthält, brachte es aber nie weit in dieser Wissenschaft. Ungefähr um dieselbe Zeit las ich Locke »Vom menschlichen Verstande« und »Die Kunst zu denken« von den Patres von Port-Royal.

Während ich auf die Verbesserung meines Stils hinarbeitete, fiel mir eine englische Grammatik in die Hände, wenn ich nicht irre von Greenwood, der zwei kurze Aufsätze über Rhetorik und Logik angehängt waren. In dem letztern fand ich das Muster einer Disputation in der Sokratischen Weise. Bald darauf verschaffte ich mir Xenophons Werk »Denkwürdigkeiten von Sokrates«, worin manche Beispiele dieser Methode sich finden. Diese Methode des Disputierens entzückte mich bis zur Begeisterung: ich eignete sie mir an, gab mein System des reinen Widerspruches und der direkten und positiven Beweisführung auf und versetzte mich statt dessen in die Stellung eines schlichten Fragers. Die Lektüre von Shaftesbury und Collins hatte mich zum Zweifler gemacht. Da ich betreffs einiger Lehren des Christentums dies schon früher war, so hielt ich die Methode des Sokrates nicht allein für die passendste für mich, sondern auch für die verwirrendste für diejenigen, gegen welche ich sie in Anwendung brachte. Ich empfand dabei bald außerordentliches Vergnügen; unausgesetzt übte ich mich darin und wußte sehr gewandt selbst mir weit an Verstand überlegene Personen zu Zugeständnissen zu bringen, deren Folgen sie nicht voraussahen. So führte ich sie in Verlegenheiten, aus denen sie sich nicht herauswinden konnten, und oft gewann ich einen Sieg, den weder mein Streitobjekt noch meine Gründe verdienten. Dieses Verfahren setzte ich mehrere Jahre fort, gab es aber später allmählich auf und behielt nur die Gewohnheit bei, mich mit bescheidenem Mißtrauen auszudrücken, und nie, wenn ich eine Behauptung aufstellte, die bestritten werden konnte, die Wörtchen » gewiß«, » unzweifelhaft«, oder diesen ähnliche zu gebrauchen, welche den Verdacht erregen konnten, ich hinge meiner Ansicht hartnäckig an. Lieber sagte ich: » ich stelle mir vor, ich vermute, oder es will mir scheinen, daß sich diese oder jene Sache aus dem und dem Grunde so und so verhalte,« oder » wenn ich recht berichtet bin, ist vielleicht der Thatbestand so.« Ich bin der Ansicht, daß mir diese Gewohnheit von außerordentlichem Nutzen war, wenn ich gelegentlich andere von meiner Ansicht überzeugen und zur Ergreifung von Maßregeln überreden wollte, welche ich an die Hand gab. Da es jedoch der Hauptzweck jeder Unterhaltung ist, zu belehren oder belehrt zu werden, zu überzeugen oder zu überreden, so möchte ich wohl, daß verständige und wohlmeinende Männer ihre Mittel, sich nützlich zu machen, dadurch nicht selber schwächten, daß sie sich in so bestimmter und absprechender Weise ausdrücken, wodurch sie fast allemal das Mißfallen der Zuhörer erregen, einzig und allein den Widerspruch wecken, und jede Absicht vereiteln, für welche die Gabe der Rede einem Menschen verliehen wurde. Mit einem Worte: Willst du belehren und trägst deine Ansicht entschieden und absprechend vor, so weckst du nur Widerspruch und vereitelst jedes aufmerksame Zuhören. Suchst du aber andernteils Belehrung und Vorteil aus den Kenntnissen anderer und drückst du dich so aus, wie wenn du deiner Ansicht starr zugethan seiest, so werden friedliche und kluge Leute, die keine Freunde vom Disputieren sind, dich ruhig bei deinen Irrtümern belassen. Wenn du einen solchen Weg einschlägst, hast du selten Hoffnung, deinen Zuhörern zu gefallen, ihr Vertrauen zu erwerben, oder diejenigen zu überzeugen, welche du gern zu deiner Ansicht hinüberziehen möchtest. Pope sagt ganz richtig: »Man muß die Menschen so belehren, wie wenn man sie nicht belehrte, und unbekannte Dinge ihnen vortragen, als seien sie nur vergessen.« Und in demselben Gedicht rät er, »wenn gleich bestimmt, doch mit anscheinender Zaghaftigkeit uns auszudrücken.« Und diesen Zeilen hätte er noch eine beifügen können, die er an einer andern Stelle, nach meiner Ansicht minder passend, mit einer andern verband: »Denn unbescheiden heißt auch unverständig sein.« Willst du wissen, warum ich sage minder passend, so muß ich die beiden Verse zusammen hersetzen: »Das unbescheidene Wort läßt sich durch nichts verzeihn: denn unbescheiden heißt auch unverständig sein.« Ist es denn nun aber Mangel an Verstand, sobald ein Mensch das Unglück hat, davon betroffen zu sein, und nicht vielmehr eine Art Entschuldigung seiner Anmaßung? Und lauteten nicht die Verse richtiger, wenn sie sagten: »Das unbescheidne Wort mag nur der Satz verzeihn: nicht recht bescheiden heißt auch nicht verständig sein.« Ich überlasse aber die Entscheidung dieses Punktes besseren Richtern, als ich bin.

Im Jahre 1720 oder 1721 begann mein Bruder den Druck einer neuen Zeitung. Sie war die zweite, welche in Amerika erschien, unter dem Namen » New England Courant«. Die einzige vor ihr schon vorhandene war der » Boston New Letter«. Einige seiner Freunde wollten, wie ich mich noch entsinne, ihm das Unternehmen ausreden, welches doch wohl keinen günstigen Erfolg haben würde, indem nach ihrer Ansicht eine Zeitung für ganz Amerika genug sei. In diesem Augenblick aber, 1771, erscheinen ihrer nicht weniger als fünfundzwanzig. Er brachte aber doch sein Vorhaben zur Ausführung, und ich mußte jede Nummer erst setzen und drucken helfen, dann aber die Exemplare an die Kunden austragen. Er hatte einige begabte Männer unter seinen Freunden, welche zu ihrem Vergnügen kleine Aufsätze für sein Blatt schrieben und dadurch demselben Ruf und einen vermehrten Absatz verschafften. Diese Herren kamen oft in unser Haus. Da ich der Unterhaltung und den Schilderungen von der günstigen Aufnahme ihrer Aufsätze oft zuhörte, so verspürte ich ebenfalls die Versuchung, ihrem Beispiel zu folgen. Ich war aber noch ein Knabe und fürchtete, mein Bruder werde in seinem Blatte keine Arbeit abdrucken wollen, als deren Verfasser er mich kenne; daher bemühte ich mich erfolgreich, mit verstellter Hand einen anonymen Aufsatz zu schreiben, und schob ihn Nachts unter der Thür der Druckerei hindurch, wo er am andern Morgen gefunden wurde. Mein Bruder teilte ihn seinen Freunden bei ihrem gewöhnlichen Besuche mit; sie lasen ihn, machten in meiner Gegenwart ihre Bemerkungen darüber, und ich hatte dann die große Freude zu sehen, daß er ihren Beifall erhielt und sie als Vermutungen, welche man über den Verfasser anstellte, Namen von Männern nannten, die ihres Talentes und Geistes wegen einen bedeutenden Ruf im Lande genossen. Ich glaube heutzutage, daß ich damals besonderes Glück mit meinen Richtern hatte, und daß sie vielleicht eigentlich keine so guten Kritiker waren, als sie mir damals erschienen. Hierdurch ermutigt schrieb ich jedoch noch mehrere kleine Aufsätze, die ich auf demselben Wege in die Druckerei schaffte und die gleichen Beifall fanden. Ich bewahrte so lange mein Geheimnis, bis mein geringer Vorrat von Wissen und Kenntnissen für solche Arbeiten ganz erschöpft war, worauf ich mich dann entdeckte, und die Bekannten meines Bruders mich mit etwas mehr Achtung zu behandeln begannen, und zwar in einer Weise, welche meinem Bruder nicht ganz gefiel, weil er, wahrscheinlich mit Recht, annahm, es könnte mich zu eitel machen. Und dies mochte vielleicht auch die Veranlassung zu verschiedenen Zwistigkeiten gewesen sein, welche wir um jene Zeit hatten. Obschon mein Bruder, betrachtete er sich doch als meinen Meister, und mich als seinen Lehrling, und erwartete daher von mir dieselben Dienstleistungen, wie er sie von einem andern verlangt haben würde, während ich meinte, er gehe in manchen seiner Anforderungen an mich zu weit, und ich könne von einem Bruder mehr Nachsicht erwarten. Unsere Zwistigkeiten wurden oft meinem Vater vorgelegt, und ich denke, ich hatte im allgemeinen Recht oder wußte meine Sache besser zu führen, weil die Entscheidung meist zu meinen Gunsten ausfiel. Aber mein Bruder war heftig und hatte mich oft geschlagen, was ich sehr übel nahm.

Da mir so meine Lehrlingszeit ganz lästig vorkam, sehnte ich mich fortwährend nach einer Gelegenheit sie abzukürzen, die sich endlich in ganz unerwarteter Weise darbot. Ein Artikel in unserm Blatte über irgend einen politischen Gegenstand, den ich vergessen habe, erregte das Mißfallen der gesetzgebenden Versammlung. Mein Bruder wurde eingezogen, verurteilt und erhielt einen Monat Gefängnis, weil er, wie ich vermute, den Verfasser nicht angeben wollte. Auch ich wurde verhaftet und vor dem Rat verhört, erhielt aber, obschon ich keine Auskunft gab, bloß einen Verweis und wurde damit entlassen, indem man wahrscheinlich der Ansicht war, als Lehrling müsse ich die Geheimnisse meines Herrn bewahren. Während der Haft meines Bruders, welche mich trotz unserer Privatzwistigkeiten sehr empörte, hatte ich die Leitung der Zeitung und erkühnte mich, unseren Herrschern tüchtig die Meinung zu sagen, was mein Bruder sehr freundlich aufnahm, während andere mich in einem ungünstigen Lichte als ein junges Genie mit einiger Neigung für Pasquill und Satire zu betrachten begannen. Meines Bruders Freilassung war von einem willkürlichen Befehle der Behörde begleitet, welcher James Franklin den ferneren Druck der Zeitung »The New England Courant«