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Wer sind die Eltern von Friedrich Laurent? Am Tag des Mauerfalls wurde der Neugeborene in Wien weggelegt. 28 Jahre später verlobt er sich mit der Tochter der Polizistin Nyoko Humer. Nyoko und die Keystone Cops rollen den Findelkindfall wieder auf. Der Vater wird schnell identifiziert. Frank Pottersfeld war ein erfolgreicher Schachspieler aus der DDR, der in Wien ermordet wurde. Der Fall konnte nicht geklärt werden. Warum hatten die DDR-Behörden so große Angst vor dem Schachbuch "Benoni - Schlachten auf dem Damenflügel"? Als die Keystone Cops ein Exemplar des Buches aufstöbern, entdecken sie neue schreckliche Fakten über Friedrichs Eltern ...
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Seitenzahl: 356
Veröffentlichungsjahr: 2020
HERMANN MOSER
***
BENONI
© 2020 Hermann Moser
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-15355-4
Hardcover:
978-3-347-15356-1
e-Book:
978-3-347-15357-8
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Phönix-Schwingen
Dynamiden (Geheime Anziehungskräfte)
Mephistos Höllenrufe
Schwert und Leier
Dämonen
Banditen
Geschichten aus dem Wienerwald
An der schönen, blauen Donau
Radetzkymarsch
Phönix-Schwingen
Donnerstag, 9. November 1989
Wie sieht ein Mann aus, der in Kürze Geschichte macht? Müde. Lustlos. In Ost-Berlin hielt Günter Schabowski, Sekretär des ZK der SED für Informationswesen, eine Pressekonferenz. Seit beinahe einer Stunde quälte er sich vor einem blassgrünen Vorhang durch seine Phrasen. Gähnen im Publikum. „… Und deshalb … äh … haben wir uns dazu entschlossen, heute … äh … eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht … äh …, über Grenzübergangspunkte der DDR … äh … auszureisen.“
Damit hatte nach einer langweiligen Stunde niemand mehr gerechnet. Hatte er gerade die Öffnung der Grenze versprochen? Der Berliner Mauer? Das konnte nicht stimmen.
Im Saal machte sich Unruhe breit. Schabowski wurde nervös. Er versuchte, die Kontrolle über sich selbst und die Veranstaltung zu behalten, und stotterte sich durch verschiedene Passagen aus dem dicken Zettelstoß vor sich. Niemand kannte sich aus, am allerwenigsten Schabowski.
Ein Journalist stellte die wichtigste Frage. „Wann tritt das in Kraft?“ Schabowski blätterte wieder. „Das tritt nach meiner Kenntnis … äh … ist das sofort, unverzüglich …“ Weiteres Blättern. Er fand noch einen Text zum Vorlesen. Die Journalisten begannen zu raunen. „Sie haben nur BRD gesagt, gilt das auch für West-Berlin?“
Das Stammeln des Informationssekretärs wurde immer unverständlicher.
Noch einmal die Frage nach Berlin. Schabowski sah aus, als ob er sich am liebsten hinter einer Mauer verstecken würde. „Also …“ Er suchte verzweifelt nach einer Information in seinem Zettelstoß. „… doch, doch.“ Er las vor. „Die ständige Ausreise kann über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD beziehungsweise zu Berlin-West erfolgen.“
Die Unruhe wurde nur noch vom Unglauben der Journalisten im Zaum gehalten. Schabowski verlor völlig den Faden. Die ersten Journalisten machten sich auf den Weg, um die spektakuläre Meldung weiter zu geben. Andere versuchten noch, die Nachricht zu begreifen.
Seit Monaten zog eine Flüchtlingswelle durch Europa, aus der Deutschen Demokratischen Republik über die Tschechoslowakei, Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik Deutschland. Die Angst reiste mit. Niemand wusste, wo der Einfluss des allmächtigen und allwissenden Ministeriums für Staatssicherheit endete. War der Nachbar ein Spitzel? Diese Frage hatte die Menschen ihr Leben lang begleitet und sie ließ sie auch auf der Flucht nicht allein. Manche tauchten unter.
Während Günther Schabowski mit einer tollpatschigen Pressekonferenz in Berlin die Mauer zum Einsturz brachte, erblickte in einer geheimen Flüchtlingsunterkunft in Wien ein Kind das düstere Licht des Kellers. Stephanie Kleindienst, Flüchtlingshelferin und Krankenschwester, legte den schreienden Neugeborenen seiner Mutter in die Arme. Die nahm ihn etwas ungeschickt. „Niemand darf erfahren, wo das Kind herkommt. Sonst wird es mächtige Feinde haben“, flüsterte sie zu der Helferin.
Eine halbe Stunde später schlich Stephanie Kleindienst mit dem Baby durch die Gänge im Keller des Krankenhauses Rudolfstiftung in Wien. In der Nacht befand sich hier niemand. Nur die Notbeleuchtung war eingeschaltet. Als Krankenschwester kannte sie sich in den Räumen auch bei düsterem Licht aus. Sie ging in das Bettwäschelager und gab mehrere Polster in einen Wäschewagen. Kleindienst bettete das schreiende Baby auf die Polster. Nun musste sie schleunigst ihren Dienst beginnen und hetzte in ihre Station.
Ihre Kollegin Olivia Pasch erwartete sie zornig. „Da bist du ja endlich! Drei Stunden Verspätung! Wo warst du? Warum hast du dich nicht gemeldet?“
„Entschuldigung! Ich bin aufgehalten worden. Ist die Oberschwester sehr böse?“
„Unsere Chefin hat sich freigenommen, weil sie aus Ostdeutschland kommt. Sie ist wahrscheinlich schon auf dem Weg nach Berlin, um die Maueröffnung zu feiern. Ich habe allein Dienst schieben müssen. Was war bei dir los? Hast du dich wieder um deine Flüchtlinge gekümmert?“
„Nein, ich musste zu meiner Mutter. Sie ist krank.“
„Hier auf der Station sind 30 Menschen krank. Ich bin von einer Glocke zur nächsten gehetzt“, murrte Pasch.
„Entschuldige bitte! Wenn du willst, kannst du früher gehen. Die Oberschwester wird es heute wohl nicht merken. Mir fällt gerade ein, dass ich bei meiner letzten Schicht zum Holen der Bettwäsche eingeteilt war. Ich habe es vergessen, hoffentlich hat es noch niemand bemerkt. Ich gehe sie schnell holen.“
Kleindienst wartete nicht auf eine Antwort und lief zum Aufzug. Kaum war sie weg, läutete die nächste Glocke. Eine Viertelstunde musste Pasch sich wieder allein um die Patienten kümmern, bis sie einen Anruf aus der Säuglingsstation bekam. Am Telefon war Stephanie Kleindienst und erzählte ihr, dass sie in der Wäschekammer einen Neugeborenen entdeckt hatte.
In der Säuglingsstation herrschte Hochbetrieb. Das Gerücht über ein Findelkind war schneller als ein Notarzt durch das Krankenhaus geeilt. Ein Kinderarzt untersuchte das Baby. „Der Bub ist vor wenigen Stunden zur Welt gekommen“, diagnostizierte der Doktor. „Es war jemand mit medizinischen Kenntnissen dabei, die Abnabelung ist professionell durchgeführt worden. Er ist kerngesund. Was soll ich für einen Namen in das Formular eintragen? Die Behörde folgt bei der Namensgebung von Findelkindern gerne den Vorschlägen des Finders. Stephanie, wie soll der Bub heißen?“
„An diesem Tag unbedingt Friedrich, und Michael nach dem Mann, der diese Entwicklung ermöglicht hat.“
„Und der Nachname?“
„Nennen wir ihn Einheit.“
„Friedrich Michael Einheit. Stephanie, willst du ihn nehmen? Er braucht jetzt menschliche Wärme. Morgen früh informieren wir das Jugendamt.“
„Hallo Friedrich! Was hast du für einen holprigen Start ins Leben gemacht? So ein süßer Bub!“
Die Bilder gingen um die Welt. Antifaschistischer Schutzwall, Mauerschützen und Todeszone waren innerhalb weniger Stunden Geschichte und wurden zur Partyzone. Die Mauer war fast zu kurz, um all den Menschen Platz zu bieten, die nun darauf kletterten. Dicht gedrängt standen sie, sangen und feierten.
Dynamiden (Geheime Anziehungskräfte)
Donnerstag, 9. November 2017
Im Hinterzimmer des Wiener Innenstadt-Lokals Hexenküche trafen sich ausnahmsweise keine Politiker oder Prominente. Der Wirt Ferdinand Laurent, ein kräftiger Hüne, dessen Glatze von einem buschigen Schnauzer kontrastiert wurde, hatte es für die Feier des 28. Geburtstages seines Sohnes Friedrich Michael reserviert. Alle Gäste waren schon da, nur der Jubilar fehlte. Friedrichs Lebensgefährtin Sayo Binder blickte laufend unruhig auf ihre Uhr. Ihre Mutter Nyoko Humer setzte sich zu ihr. „Was ist mit Friedrich los? Hast du etwas von ihm gehört?“
„Sei bitte nicht so ungeduldig. Ich mache mir so schon genug Sorgen.“
„Ich habe mich schon gewundert, dass du ihn zu der Feier überreden konntest. Hat er kalte Füße bekommen?“
„Nein. Auch wenn er nicht gerne im Mittelpunkt steht, ist er zu höflich, um eine ganze Geburtstagsgesellschaft sitzen zu lassen“, entgegnete Sayo kopfschüttelnd. „Außerdem haben wir eine kleine Überraschung für euch. Die will er sicher nicht versäumen.“
„Du machst es spannend. Um den Mittelpunkt muss er sich nicht sorgen. Wenn ein neun Monate altes Kind im Raum ist, stehen alle anderen im Schatten.“
Sayos kleiner Sohn Benjamin saß am Boden und lachte. Nyokos Mann Christian zauberte einen Plüschhasen aus einem Zylinder. Der Bub gab ihn zurück in den Hut und das Stofftier verschwand wieder. Der Wirt servierte Getränke. „Kannst du nicht meinen Sohn aus diesem Hut zaubern? Ich habe die Reservierung eines Ministers für diese Feier storniert und jetzt kommt Friedrich nicht“, donnerte der Mann mit dem Götterdämmerungsbass. Christian holte einen Hund aus der Kopfbedeckung. „Das ist er offensichtlich nicht. Es kann der Karriere des Ministers nicht schaden. Einem Regierungsmitglied kostete ein Geschäft in diesem Raum das Amt.“
Laurent brummte und ging zu Sayo. „Die Gäste schauen hungrig aus. Sollen wir nicht wenigstens mit der Suppe beginnen? Ich mag es nicht, wenn in meinem Gasthaus keiner etwas isst.“
„Ihr macht mich alle fertig! Ich kann nichts essen, wenn ich nicht weiß, wo Friedrich ist. Bitte verschont mich!“
Nyoko versuchte, abzulenken. „Ferdinand, ich sehe, du hast ein neues Bild gemalt.“ Die Aquarelle des Wirtes zierten die Wände der Hexenküche. Er malte im altmodischen Stil und hatte dabei eine Vorliebe für historische Wiener Gemeindebauten. Sein neuestes Werk zeigte den Karl-Marx-Hof in voller Länge. Das Panorama-Bild erstreckte sich beinahe über die ganze Wand.
Endlich kam Friedrich. Die Festgäste stimmten sofort „Happy Birthday“ an. Der Gefeierte freute sich nicht. Sein Gesicht war noch blasser als sonst. Sayo lief zu ihm, küsste ihn. „Was ist los mit dir?“
Friedrich löste sich aus ihrer Umarmung und ging zu seinem Vater. „Warum hast du mir nichts gesagt?“
Der Wirt erriet sofort, was sein Sohn herausgefunden hatte, und setzte sich. „Das ist schwer zu erklären.“
„Warum hast du mir nie etwas gesagt?“
„Ich und deine Mutter … wir wollten es dir natürlich mitteilen. Dann ist sie gestorben und es hat sich nie wieder ein geeigneter Zeitpunkt ergeben.“
Sayo ahnte, worauf das hinauslief, denn sie wusste, welchen Amtsweg Friedrich an diesem Tag geplant hatte. Erfahrungsgemäß waren Familiengespräche zwischen dem stillen Grübler und dem Brummbären ohne weibliche Hilfe nicht zielführend. Die beiden waren zu verschieden. Sie ging dazwischen. „Schatz, sag mir bitte, was dich bedrückt. Was hätte dir dein Vater sagen sollen?“
„Mein Vater … du weißt doch, dass ich heute wegen des Geburts-Registerauszugs beim Magistrat war …“
Dieses Dokument brauchte man nur bei einer Gelegenheit. Nyoko kapierte es sofort und sprang auf: „Ihr wollt heiraten! Das ist doch schön! Lass dich umarmen, Schwiegersohn. Warum machst du jetzt so ein Gesicht? Man könnte als Mutter der Braut beinahe beleidigt sein.“
„Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich habe erfahren, dass ich bei meiner Geburt Friedrich Michael Einheit hieß und meine Eltern unbekannt sind. Ich bin ein Findelkind.“
Christian horchte auf. „Du bist das Einheitsfindelkind? Ich kann mich noch erinnern, sogar in der Schweiz brachten sie die Geschichte in den Nachrichten. Ich gratuliere zur Verlobung!“
Friedrich schien den Glückwunsch gar nicht zu bemerken. Sayo drehte sich zur Seite und schnäuzte sich. Nyoko nahm Friedrichs Hand. „Ich weiß, wer du bist, nämlich der Mann, der meine Tochter glücklich macht. Wir sind froh und stolz, dass du nun endgültig Teil unserer Familie wirst. Und wir verdanken dir unseren kleinen Sonnenschein.“ Sie nahm Benjamin aus Christians Armen und gab ihn seinem Vater. „Dieses Lachen ist die Zukunft. Lass dich nicht von der Vergangenheit runterziehen.“ Der Bub klammerte sich an seinen Vater. „Papa!“
Friedrich hatte Tränen in den Augen. „Ohne Vergangenheit hängt die Zukunft irgendwie in der Luft. Ihr seid doch im Bundeskriminalamt für ungewöhnliche Fälle zuständig. Dürft ihr auch alte Kindesweglegungen untersuchen?“
Nyoko atmete tief durch. „Nach 28 Jahren wird es schwierig sein, noch irgendetwas zu finden.“
Christians Vorliebe für Außergewöhnliches war geweckt. „Nichts ist unmöglich. Ich hätte eine Idee. Wir nehmen eine DNA-Probe von Friedrich und machen einen Verwandtschaftsabgleich mit der Datenbank. Eltern, die ihre Kinder weglegen, kommen meistens nicht aus den stabilsten Verhältnissen. Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass wir etwas finden.“
„Christian, das sind sensible Daten! Die können wir nicht für unsere privaten Zwecke missbrauchen.“
„Du wirst immer unflexibler, seit du unsere Chefin bist. Wir werden eine Begründung finden. Die Kindesweglegung ist ein ungeklärter Fall. Bitte, bitte, bitte, liebe Chefin! Eine Geburt zu ermitteln wäre einmal etwas anderes als die ewigen Morde.“
„Christian, wie soll ich das Ernst erklären?“
„Den Herrn Oberst hast du noch immer um den Finger gewickelt. Morgen hast du deinen wöchentlichen Karate-Kampf mit ihm. Du könntest mit einer kleinen Schwächeperiode seine Stimmung heben.“
Der ansonsten sehr redselige Wirt Ferdinand Laurent war lange still gesessen. Nun horchte er auf. „Du kämpfst mit deinem Chef?“
Christian übernahm die Antwort. „Ernst ist ein leidenschaftlicher Wetter und sorgt sich immer um die Fitness seiner Abteilungsleiter. Er kämpft jeden Freitagmorgen gegen Nyoko. Wenn er länger als zehn Sekunden steht, muss Nyoko das Mittagessen bezahlen, ansonsten er. Meine geliebte Frau hat noch nie gezahlt. Ich könnte mir vorstellen, dass sich das morgen ändert.“
Nyoko wusste nur zu gut, dass Christian, wenn er einmal Feuer und Flamme für etwas war, so lange nervte, bis er das Gewünschte bekam. So hatte der Charlie Chaplin-Fan auch „Keystone Cops“ als Abteilungsnamen durchgesetzt. Die Verantwortlichen hatten gedacht, dass es Internationalität signalisierte und zu spät die wahre Bedeutung erkannt. Seither hieß die Elite-Abteilung des österreichischen Bundeskriminalamts wie eine turbulente Komikertruppe aus der goldenen Stummfilmzeit.
Christian hakte nach. „Wir haben noch bei jeder Vorschrift eine Hintertür gefunden, durch die man bequem schreiten kann.“
„Na gut, probieren wir es. Nach dem Kampf habe ich mit ihm eine Besprechung. Du wirst mich begleiten und die Hintertür öffnen. Jetzt wollen wir endlich auf den Geburtstag und die Verlobung anstoßen.“
Freitag, 10. November 2017
Christian wartete vor dem Büro von Oberst Ernst Stockhammer auf die beiden Karate-Kämpfer und feilte an seiner Argumentation. Als er Nyoko und Ernst kommen sah, bezweifelte Christian, dass seine Frau die besprochene Strategie umgesetzt hatte. „Ernst, was hat Nyoko mit dir angestellt? Ich bin jetzt über ein Jahr mit ihr verheiratet, aber ein blaues Auge hatte ich noch nie.“
„Das war es wert!“, rief der Polizeioffizier stolz. „Ich habe es geschafft! 14 Sekunden! Nur bin ich dann etwas unaufmerksam geworden und genau in den Gegenangriff gelaufen. Das wird das beste Mittagessen meiner Berufslaufbahn. Was habt ihr auf dem Herzen, dass ihr mich zu zweit bearbeiten wollt?“
Sie gingen ins Büro und setzten sich. Nyoko richtete sich einen abgerutschten Träger ihres ärmellosen Shirts, setzte eine professionelle Mine auf und öffnete ihren Laptop. „Wir haben eine interessante Anfrage bekommen. Kannst du dich noch an die Geschichte des Einheitsfindelkindes erinnern? Der junge Mann hat erst jetzt erfahren, dass er ein adoptiertes Findelkind ist und uns gebeten, ihm bei der Suche nach seinen leiblichen Eltern zu helfen. Wir möchten den Fall übernehmen.“
Der Oberst hielt sich eine kalte Kompresse auf das Auge. „Einheitsfindelkind? Das war vor 28 Jahren. Habt ihr nichts Wichtigeres zu tun? Wie heißt denn der Mann?“
„Friedrich Michael Laurent.“
„Ist das nicht der Freund deiner Tochter?“
„Seit gestern der Verlobte.“
„Gratuliere! Aber sei mir nicht böse, eine Privatermittlung kann ich euch wirklich nicht gestatten. Ich habe so schon ständig Probleme, weil ihr mehr Narrenfreiheit als jeder andere Beamte in diesem Land genießt.“
Christian fand es an der Zeit, den Oberst von einer zweiten Seite zu bearbeiten. „Wir sind als Keystone Cops auch für Fälle von besonderem öffentlichen Interesse zuständig. Der Minister würde uns anfordern, wenn jemand einem Prominenten in den Garten pinkelt. Friedrich ist einer der besten Schachspieler Wiens, man könnte ihn doch als bekannte Persönlichkeit betrachten. Seine Geburt hat auch etwas Aufsehen erregt. Die damalige Untersuchung der Kindesweglegung war nicht erfolgreich, also ist der Fall noch offen. Wir machen nichts Privates, sondern nehmen einen Cold Case von besonderem Interesse wieder auf.“
Ernst Stockhammer holte verzweifelt tief Luft. „Deine Chefin hat dich anscheinend als Experten für Hintertüren mitgenommen. Fehlt nur noch, dass sie mir die 14 Sekunden geschenkt hat, um mich gnädig zu stimmen. Zur Strafe verlegen wir das Mittagessen von der Kantine in das Gasthaus nebenan. Wir können das trotzdem nicht machen.“ Er stockte kurz nachdenklich. „Hast du gesagt, dass Friedrich ein talentierter Schachspieler ist?“
„Er feiert einen Turniersieg nach dem anderen.“
„Ich nehme an, dass ihr schon eine DNA-Probe genommen habt.“
Christian nahm das Röhrchen aus seiner Sakkotasche und zeigte es Ernst.
Der Oberst dachte kurz nach. „Schaut euch die Geschichte an. Sagt mir sofort, wenn ihr etwas gefunden habt, und erzählt bitte niemandem, dass es euer zukünftiger Schwiegersohn ist.“
Die übrigen Keystone Cops saßen im Büro auf der gemütlichen Eckcouch, die als Besprechungsbereich diente, und warteten auf Nyoko und Christian.
Der Tatort-Analyst Klaus Zimmermann, der mit seinen rötlichen abstehenden Haaren wie ein Clown aussah und diesen Eindruck mit einer Fliege und einem knallroten Sakko verstärkte, blätterte in einem Oldtimer-Magazin. Er sah auf die Uhr. „Wieso will sie eigentlich eine Morgenbesprechung machen, wenn sie doch immer zu spät kommt?“
Johann Sturmaier improvisierte auf seiner Kontragitarre. Das ursprünglich schwarze T-Shirt des Fünfzigjährigen war ähnlich wie die zusammengebundenen Haare in einen ausgewaschenen Grauton übergegangen, nur der buschige Schnauzer und der kleine Kinnbart im Stil von Frank Zappa waren noch schwarz. „Heute hat sie Christian zu Ernst mitgenommen. Ich bin gespannt, was die beiden wieder aushecken.“
Der Jüngste, Paul Falke, saß in seinem Rollstuhl, tippte auf seinem Laptop, und sagte nichts.
Johann schrieb ein paar Noten auf und versah sie mit der Überschrift „Warteschleifen-Polka“, als Nyoko und Christian kamen. Christian, der auch im Winter sommerliche Anzüge bevorzugte, hängte sein Leinensakko an den Haken, während seine Frau ihre Pistole und die Handschellen vom Gürtel ihrer engen Jeans nahm. Sie setzte sich und eröffnete die Besprechung. „Hallo zusammen! Heute sind wir das erste Mal seit einer Woche wieder vollzählig, nachdem Christian wieder einmal bei der Soko J’arrive mitarbeiten musste, weil der Kletterer seine Fahne auf den Turm des Stephansdoms gehängt hat. Willst du unseren Kollegen etwas darüber erzählen, bevor wir zu unserem neuen Fall kommen?“
J’arrive war ein Urban Climber, der schon seit mehr als einem Jahrzehnt seine Fahne bei öffentlichen Gebäuden an Stellen, die nach menschlichem Ermessen nicht erreichbar waren, aufhängte. Christian berichtete von seinem letzten Streich auf dem Kirchturm des Wiener Wahrzeichens. „Unglaublich!“, schloss er seinen Bericht mit glänzenden Augen. „J’arrive schoss hübsche Panorama-Fotos von oben, die ein Renner im Internet sind.“
Nyoko schaute ihn streng an. „Christian, du darfst ihn nicht so bewundern! Wenn er Fans in der Soko hat, werdet ihr ihn nie finden.“
„Gib zu, dass du als Bergsteigerin diese Leistung auch anerkennst. Interessanter ist aber ein anderer Aspekt. Der Name ‚J’arrive‘ klingt für nicht sprachenkundige Menschen arabisch. Daher löst jede Aktion Terrorängste aus, obwohl es der Titel eines französischen Chansons ist. Der Innenminister verstärkt das, wenn er wütende Pressekonferenzen gibt und ihn als Terroristen bezeichnet, um strengere Gesetze zu fordern.“
„Was ist, wenn die Aktionen doch Drohungen sind? Oder das Auskundschaften von passenden Anschlagsorten? Ein Turm weckt schreckliche Erinnerungen.“
„Niemand droht länger als ein Jahrzehnt, wenn er tatsächlich etwas Schlimmes vorhat. J‘arrive zeigt uns aber, wo man die Sicherheitsvorkehrungen verbessern kann. Er kam in den Dom mit seinen wertvollen Kunstschätzen und brach in den Raum mit der Steuerung des Glockengeläutes ein. Dort befindet sich auch die Zentrale der Alarmanlage. Dabei zerstörte er nichts, nicht einmal Kratzer befinden sich an den Schlössern.“
„Wollen wir hoffen, dass du recht behältst. Männer! Es ist höchste Zeit, dass wir wieder etwas gemeinsam bearbeiten. Wir haben einen neuen Fall. Könnt ihr euch noch an die Geschichte des Einheitsfindelkindes erinnern? Das Kind ist Friedrich Michael Laurent. Er hat uns gebeten, dass wir seine Eltern ausforschen.“
Johann legte seine Gitarre zur Seite. „Sayos Freund? Ich habe gar nicht gewusst, dass er adoptiert ist.“
„Das hat er selbst erst gestern erfahren.“
Klaus spielte mit seiner Lupe, die sein ständiger Begleiter war. Falls er sie nicht benötigte, war sie ein Spielzeug, das seine Hände beschäftigte. „Wie habt ihr es geschafft, dass Ernst der Privatermittlung zustimmt?“
„Zuerst war er strikt dagegen. Als Christian erwähnt hat, dass Friedrich Schachspieler ist, hat er seine Meinung schlagartig geändert. Sein Gesichtsausdruck war eigenartig. Er vermutet irgendetwas.“
Christian überreichte Klaus das Röhrchen mit dem Wattestäbchen. Nyoko füllte ein Beweismittel-Formular aus. „Das ist Friedrichs DNA. Macht bitte einen Verwandtschaftsabgleich mit der Datenbank. Christian und Johann, ihr holt die Akten aus dem Archiv. Paul, schau dir an, was du im Internet darüber findest. Mir bleibt wieder einmal nur der Papierkram. Am Nachmittag besprechen wir die Ergebnisse.“
Nyoko hatte als Chefin ein eigenes Büro. Sie benutzte es fast nie. Meistens saß sie mit dem Laptop bei ihrer Gruppe im Gemeinschaftsbüro auf der Besprechungscouch im Schneidersitz, manchmal gar im Lotussitz. Sie unterschrieb gerade einige Formulare, als Christian und Johann nach stundenlanger Recherche aus dem Archiv zurückkamen. Sie schoben einen mit Akten voll beladenen Wagen vor sich her.
Nyoko unterzeichnete die letzten Papiere ungelesen und war froh, sich mit etwas anderem beschäftigen zu können. „So viele Akten bei einer Kindesweglegung? Das hätte ich nicht erwartet.“
Christian widerstand dem Drang, seine Frau zu küssen. Die beiden hatten einen Dienstzeit-Zölibats-Eid ablegen müssen, um in derselben Gruppe arbeiten zu dürfen. „Mit deinen Erwartungen lagst du nicht so falsch.“ Er zeigte ihr einen dünnen Schnellhefter. „Das ist der Findelkind-Akt. Der Rest gehört zu einem Fall, der damit zusammenhängen könnte. Aus der Asservatenkammer haben wir auch etwas mitgebracht.“
Nyoko nahm den Beutel, den Christian ihr reichte. „Ist das die Strampelhose von Friedrich? Nein, wie süß! Schaut euch die Akten an, ich muss wieder einmal zu einer langweiligen Besprechung.“
Als Nyoko von der Abteilungsleiter-Konferenz zurückkam, verband Paul seinen Laptop mit dem großen Bildschirm, der an einer Wand des Büros hing. Er hatte mit Bauplänen aus dem Jahr 1989 ein 3D-Modell des Krankenhauses Rudolfstiftung programmiert, dazu die Bewegungen der Menschen laut den Zeugenaussagen. Jene Nacht erwachte in der virtuellen Realität zu neuem Leben. Sogar einen Keystone Cops-Avatar hatte er programmiert. Der näherte sich dem siebzehnstöckigen Hochhaus aus der Luft, landete auf dem Hubschrauberlandeplatz und fuhr mit dem Aufzug in die chirurgische Abteilung im sechsten Stock. Paul war bei seinen Modellen immer etwas detailverliebt.
Christian moderierte die Bilder: „Am 9.11.1989, während die ganze Welt die Nachrichten aus Berlin verfolgt, holt die Krankenschwester Stephanie Kleindienst um etwa 23 Uhr Bettwäsche aus dem Lager im Keller.“ Die virtuelle Kleindienst fuhr hinunter, ging durch einen langen Gang und betrat einen Raum. „Hier findet sie das Baby, also Friedrich. Die letzte Person vor Kleindienst hat diesen Raum um 21 Uhr verlassen. In diesen zwei Stunden wurde Friedrich hier abgelegt.“ Paul wechselte zu einem großen Schema des Gebäudes, ein kleines Baby zierte das Wäschelager. Christian sprach weiter. „Es gibt einen Nachtportier beim Haupteingang und einen Nachtwächter, der festgelegte Runden dreht.“ Christian zeigte die Wege. „In der Nacht ist nur der Haupteingang offen, aber das Personal hat Schlüssel für die anderen Türen und es gibt zusätzlich versperrte Personaleingänge. Paul, zeig uns bitte noch einmal die Bewegungen der Menschen.“
Die Keystone Cops beobachteten das nächtliche Treiben in der Rudolfstiftung. Patienten hielten sich in den Raucherzonen auf, Ärzte und Schwestern gingen zu ihren Stationen, Verletzte kamen in die Notfallambulanz, der Nachtwächter drehte seine Runden. Bei der Zeitmarkierung 22 Uhr 45 sprang Nyoko auf. „Stopp! Hier ist zum ersten Mal eine Lücke, wo sich jemand unbeobachtet zum Wäschelager bewegen konnte, und zwar durch diesen Eingang, für den man einen Personalschlüssel braucht. Friedrich wird abgelegt und schon ein paar Minuten später kommt Kleindienst. Man hat das Kind in ein Krankenhaus gelegt, wollte, dass es versorgt wird. Warum in einen Kellerraum, der in der Nacht kaum frequentiert wird? Das war kein Zufall. Kleindienst hat etwas damit zu tun, wir müssen sie befragen.“
Christian bat Paul, die Zeit auf 20 Uhr zurückzudrehen. „Ich glaube auch, dass sie irgendwie verwickelt ist, sie war aber nicht die Mutter. Es gibt nur zwei Probleme. Erstens: Sie war seit 20 Uhr im Dienst und niemandem ist aufgefallen, dass sie einen Säugling dabei hatte …“
Nyoko kam in Fahrt. „… dann hatte sie eben Komplizen. Was immer damals war, ist jetzt 28 Jahre her. Es wird Zeit, dass sie es uns erzählt …“
„… das führt uns zum zweiten, größeren Problem. Es befindet sich in den Aktenstößen auf dem Wagen. Ich übergebe an Johann.“
Der Angesprochene öffnete eine der Schachteln, nahm ein Foto aus einem Ordner und legte es auf den Tisch. Sie betrachteten die Frau. Eine Schusswunde in der Brust und eine in der Stirn. Johann legte zwei Beutel mit den Projektilen und einen Zeitungsausschnitt daneben. „Geiseldrama in Bank! Eine Tote!“ Es war die Ausgabe vom 1. Dezember 1989, also drei Wochen nach Friedrichs Geburt. Paul zeigte die Fotos der Überwachungskameras auf dem Bildschirm. 5-Sekunden-Takt. Schwarz-weiß. Unscharf. Zwei maskierte Männer mit Maschinengewehren stürmten die Bank. Sie bedrohten die Kunden und Angestellten. Einer schoss auf eine Geisel. Sie lag am Boden, ein Gewehr auf ihren Kopf gerichtet. Die Männer liefen hinaus.
Johann nahm das Tatort-Foto. „Das ist Stephanie Kleindienst. Der Bankräuber hat ohne Grund plötzlich auf sie gefeuert. Den ersten Schuss in die Brust hat sie überlebt. Der zweite hat aus nächster Nähe ihren Kopf getroffen, das war eine sinnlose Hinrichtung. Die Täter sind ohne Beute geflüchtet.“
Klaus betrachtete ein Projektil mit der Lupe. „9 x 19 Millimeter. Sechs Züge. Rechtsdrall.“ Er ging zum Bildschirm, betrachtete die Waffen ebenfalls durch die Lupe. Paul schüttelte den Kopf und sagte: „Ich kann zoomen“. Klaus beachtete ihn nicht. „Das sind Heckler & Koch MP5, nicht unbedingt üblich bei Banküberfällen.“
Johann nickte. „Die Ermittler haben keine anderen Überfälle gefunden, bei denen Tatablauf, Waffen und die spärlichen Täterbeschreibungen mit diesem übereinstimmen. Für die Zeugen hat es nach einem gezielten Anschlag auf Kleindienst ausgesehen. War der Banküberfall eine verdeckte Exekution? Diese These ist verworfen worden, weil das Opfer eine harmlose Krankenschwester war.“
Nyoko nahm die Strampelhose in eine Hand und ein Projektil in die andere. „Das gefällt mir nicht.“
Sie lehnte sich zurück, dachte an Friedrich und Sayo. Ein kleines Findelkind in der Rudolfstiftung. Die Finderin wenige Wochen darauf ermordet. Nyoko erinnerte sich an Ernst, der bei der Erwähnung des Schachspiels plötzlich hellhörig wurde.
„Das gefällt mir gar nicht.“
Samstag, 11. November 2017
Heinrich und Fidelio – sie nannten sich noch immer mit ihren alten IM-Namen, wenn sie sich heimlich trafen – spazierten durch den Wiener Türkenschanzpark. Im November konnte man sich hier ungestört unterhalten.
Heinrich zündete sich eine Zigarre an. „Friedrich hat herausgefunden, dass er ein Adoptivkind ist. Die Keystone Cops ermitteln jetzt in der Kindesweglegung.“
„Sind sie wirklich so gut, wie alle sagen?“, fragte Fidelio.
„Sie feiern regelmäßig spektakuläre Erfolge. Vor allem sind sie sehr kreativ und unberechenbar. Wir müssen etwas unternehmen.“
Fidelio blickte Heinrich wütend und entschlossen in die Augen. „Wir werden sie ablenken, stoppen, und wenn das nicht funktioniert, eliminieren.“
„Das Polizisten-Traumpaar wohnt übrigens gleich dort vorne ums Eck.“
„Das weiß ich doch.“
Sonntag, 12. November 2017
Im Café Steinitz - benannt nach dem großen Schachtheoretiker und ersten Weltmeister - stieg die Spannung. Das Finale der Vereinsmeisterschaft des SK Steinitz. Ingrid Pichler gegen Friedrich Michael Laurent. Friedrich war in der Regel ein sehr schneller Spieler. Diesmal kämpfte er gegen die Zeit. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Er spielte seine Lieblingseröffnung, Benoni-Indisch, gegen jene Frau, die ihm vor Jahren diese Variante beigebracht hatte.
Friedrichs Gedanken waren beim 1. Buch Mose. Rahel starb bei der Geburt ihres Sohnes, konnte aber noch den Namen „Ben-Oni“, das heißt „Kind des Schmerzes“, vorschlagen. Der Vater nannte seinen Sohn dennoch „Ben-Jamin“, „Kind des Glücks“. Warum musste er ein Ben-Oni sein?
Ein Blick auf die Schachuhr brachte ihn zurück ins Geschehen. Die Stellung war katastrophal. Er hatte einen Läufer weniger und Pichler drängte nach vorne. Eigentlich sollte er aufgeben.
Gab es da nicht doch einen Weg? Friedrichs Gedanken flogen weiter zur Jahrhundertpartie Donald Byrne gegen Bobby Fischer. Mit einigen spektakulären Opfern, als Höhepunkt die Dame, hatte der dreizehnjährige Fischer das Spiel umgedreht und den erfahrenen Meister geschlagen.
Friedrich dachte an seinen Sohn Benjamin, das Kind des Glücks. Jetzt sah er es genau. Er musste nicht den Vormarsch der Gegnerin stoppen, sondern sie in die Falle locken, und zwar möglichst schnell!
Das erste Springeropfer sah noch harmlos aus, wie ein Fehler unter Zeitdruck. Pichler nahm an. Friedrich schickte einen Turm an die ungedeckte Front. Raunen im Publikum. Pichlers Dame verließ ihre Verteidigungsstellung, um das Geschenk anzunehmen. Nun hatte Friedrichs Königin den großen Auftritt und zog heldenhaft in die Schlagrichtung eines Läufers. Pichler wurde angesichts des Vorsprungs leichtsinnig. Sie liebte es, wenn sie den Gegner demütigen konnte. Der Läufer schlug zu.
Pichler ging weiter nach vorne, aber ihr König stand nun ziemlich allein. Friedrich schlug zu und musste seinen Regenten entblößen. Doch er fuhr tief in die Reihen seiner Gegnerin und das mit atemberaubendem Tempo. Nun musste Pichler opfern, da sich eine Mattchance für Friedrich abzeichnete. Benoni führte oft zu heftigen Kämpfen auf dem Damenflügel.
Es war ein unscheinbarer Bauer aus Friedrichs Armee, dem sich nun eine freie Bahn zur Beförderung öffnete. Pichler konnte nichts dagegen tun. Die kleinste Figur wurde zur größten.
Pichler gab grundsätzlich nie auf. Nun versuchte sie verzweifelte Opfer im Stile ihres Gegners. Dafür hatte sie zu wenig Figuren. Am Ende war Pichlers König so allein, dass Friedrich sie mit einem Grundlinienmatt, wie es jeder Anfänger als erstes lernt, an die Wand spielte.
Montag, 13. November 2017
Nyoko und Christian kamen sehr spät ins Büro. Sie hatte am Vortag ein Turnier der japanischen Schachvariante Shogi in München gewonnen. Nach der Siegerehrung waren sie erst in den frühen Morgenstunden zurückgekommen. Das Büro war mit noch mehr Aktenordnern und Asservatenkartons vollgeräumt als in der vergangenen Woche.
Klaus nahm einen Beutel mit einem Reiseschach aus einer Schachtel. „Guten Morgen! Dein Strahlen sagt alles. Du bist eine Siegerin.“
„Hallo! Stimmt. Ich habe gewonnen und auch Friedrich ist der Sieger seiner Vereinsmeisterschaft. Warum sieht es hier aus wie bei einer Umsiedlung der Buchhaltung des Innenministeriums? Gibt es neue Erkenntnisse?“
„Das kann man wohl sagen. Die DNA hat tatsächlich ein Ergebnis geliefert.“
Paul schaltete den großen Bildschirm ein und zeigte ein Foto. Nyoko ging zum Monitor. „Das ist doch Garri Kasparow? Was hat die Schachlegende mit Friedrich zu tun?“
„Alle schauen immer nur auf die großen Meister, wobei ich das zumindest bei dir verstehen kann. In diesem Fall solltest du die Aufmerksamkeit auf den blassen Herrn neben dem Weltmeister richten. Der hatte an diesem Tag seine große Stunde und den damals beinahe Unbesiegbaren geschlagen.“
Nyoko betrachtete das Bild. „Diese Augen! Genau wie bei Friedrich. Willst du sagen, dass …“
„Genau! Darf ich vorstellen? Frank Pottersfeld, der Großvater deines Enkels.“
„Jetzt muss ich mich setzen.“ Sie setzte die Ankündigung um und schüttelte den Kopf. „Und ich wollte Christian den Unsinn mit der DNA-Probe für einen 28 Jahre alten Fall ausreden.“ Der Ehemann grinste breiter als seine Frau am Vortag bei der Siegerehrung. Sie schloss die Augen. „Erzählt mir von ihm.“
Paul zeigte die Wikipedia-Seite zu Frank Pottersfeld auf dem Bildschirm. „1964. Geboren in Leipzig. Bibliotheksfacharbeiter. Schachspieler. Beste Weltranglistenposition 67. 1989 Kasparow-Sieg. Lebensgefährtin Irene Kupfer. Schwanger. Turnier in Wien. Tot.“ Paul war im vergangenen Jahr in den Kopf geschossen worden und die Ärzte hatten bei der Notoperation auch noch einen Tumor entdeckt. Seither war er wegen spastischer Lähmungen an den Rollstuhl gefesselt und das Sprachzentrum ließ nur noch Satzfragmente heraus. Sein Talent auf dem Computer blieb aber unbeeinträchtigt und er konnte mit einem Sonderstatus als im Dienst verletzter Polizist weiter bei den Keystone Cops arbeiten.
Johann stellte sich zu den Ordnern. „Frank Pottersfeld hat im November 1989 ein Turnier in Wien gespielt und war auffallend nervös. Dann haben sich Krankheitssymptome eingestellt und er ist während einer Partie kollabiert. Aus dem Koma ist er nicht mehr erwacht und ein paar Tage danach im AKH gestorben. Es hat keinen endgültigen Befund gegeben, der Arzt im Krankenhaus hat den Verdacht auf ein unbekanntes Gift angegeben. Der Pathologe hat auch nichts gefunden. Pottersfelds Lebensgefährtin Irene Kupfer, offensichtlich Friedrichs Mutter, war auch in Wien und ist nach dem Kollaps von Pottersfeld spurlos verschwunden. Sie war damals im neunten Monat.“
Nyoko streckte den Daumen nach oben. „Männer! Souverän gelöst! Wir kennen Friedrichs Eltern. Schon haben wir einen neuen Fall. Ich will Pottersfelds Mörder fassen! Zu Kupfer stelle ich folgende These auf: Das Paar wird bedroht. Er wird vergiftet und sie taucht unter. Sie bringt das Kind zur Welt und gibt es weg, weil sie Angst vor dem Mörder hat und Friedrich schützen will. Was ist danach passiert? Entweder ist sie gefunden und auch ermordet worden, oder sie lebt irgendwo mit einer neuen Identität und traut sich noch immer nicht aus der Deckung. Was für furchterregende Feinde müssen das heute noch sein? Noch eins: Ernst hat es geahnt, als Christian Schach erwähnt hat. Der Kerl hat nichts gesagt. Ich muss meinen Vorgesetzten besser erziehen.“
Nicht ahnend, dass Nyoko gerade plante, ihm die Leviten zu lesen, betrat Ernst Stockhammer den Raum. Der Oberst war sichtlich verärgert. „Nyoko! Wir haben ein Problem. Seit ich dich zu meiner Stellvertreterin ernannt habe, obwohl du die jüngste und rangniedrigste meiner Abteilungsleiter bist, wird permanent intrigiert. Neid, Eifersucht und Unverständnis über mein Konzept, euch Narrenfreiheit zu geben, treiben immer neue Blüten. Sie beschweren sich sogar, dass du deinen Mann immer so verliebt anschaust. Die DNA-Analyse für eine private Ermittlung hat sich herumgesprochen. Jetzt wird scharf geschossen. Am liebsten würde ich alle zu einem Karate-Training mit dir verdonnern. Ich brauche dringend etwas, um die DNA zu rechtfertigen, bitte gebt mir irgendetwas.“ Er blickte um sich. „Wie sieht es denn hier aus? Ihr ermittelt den zweiten Arbeitstag eine uralte Kindesweglegung und schon ist euer Büro voll mit Akten und Beweismitteln. Findet ihr wieder einmal Zusammenhänge, die sonst keiner sieht?“
Erst jetzt sah er das Bild auf dem großen Bildschirm und starrte es mit offenem Mund an. „Also doch. Pottersfeld. Ist er der Vater?“
Der Oberst setzte sich auf die Besprechungscouch. „Nyoko, schau mich nicht so streng an. Der Gedanke an Pottersfeld ist mir schon am Freitag gekommen. Ich wollte aber sichergehen und euch nicht umsonst Flausen mit der alten Geschichte in den Kopf setzen. Ihr gebt dann ja keine Ruhe, bis ihr es gelöst habt, egal was sonst noch ansteht. Mit der DNA sollte sich das klären. Ich muss wohl nicht nachdenken, ob ich euch den Auftrag für die Wiederaufnahme des Falles gebe. Das sind noch mehr Akten, als ich erwartet hätte.“
„Wir haben nicht nur Pottersfeld ausfindig gemacht. Die Krankenschwester, die Friedrich gefunden hat, war wahrscheinlich nicht nur Finderin, sondern an der Kindesweglegung beteiligt. Sie ist ein paar Wochen später ermordet worden. Dieser Fall ist auch ungeklärt.“
„Denkt ihr, dass das alles zusammenhängt? Ihr beginnt bei einer Geburt und findet zwei Morde.“
Nun mischte sich auch Christian ein. „Ernst, im Leben hängt alles irgendwie zusammen, zum Beispiel dein blaues Auge letzte Woche mit dem Sieg eines DDR-Schachspielers gegen Kasparow vor 28 Jahren. Uns würde brennend interessieren, welche Fäden dich sonst noch mit diesem Fall verbinden.“
„Das war damals eine riesige Sonderkommission, da das Opfer ein internationaler Prominenter war. Die Ermittlungen sind sehr schleppend geführt worden. Die Welt war im Umbruch, das Herkunftsland des Opfers konnte nicht einmal mehr von einer Mauer zusammengehalten werden. Der Tote war zuletzt auch durch Regimekritik aufgefallen. Mein Eindruck war, dass man in der kritischen Situation seines Heimatlandes nicht in die Weltgeschichte eingreifen wollte. Es gab nur drei Querulanten: Euren ehemaligen Chef, mich und Wolfgang Jacobs, der damals noch Assistent am Institut für Pathologie war. Rufen wir die beiden dazu.“
Harald Ritter wurde immer noch von allen „der Chef“ genannt, selbst von Menschen, deren Vorgesetzter er nie war. Der Mann, der die Idee hatte, Leute mit außergewöhnlichen kreativen Talenten abseits des Berufes in eine Gruppe zu spannen und so den etwas chaotischen, aber sehr erfolgreichen Haufen der Keystone Cops geschaffen hatte, arbeitete jetzt in einer Stabstelle und beriet die höchsten Führungsebenen.
Ritter kam gleichzeitig mit Professor Wolfgang Jacobs, dem Institutsvorstand für Gerichtsmedizin und Schwiegervater von Klaus. Nach der Begrüßung kam Nyoko wie üblich schnell zur Sache. „Es schaut so aus, als ob ihr einiges zu berichten hättet. Eines frage ich mich schon den ganzen Tag: Pottersfeld wurde 1989 ermordet. Warum ist die DNA in der Datenbank?“
Ernst lächelte zufrieden. „Du bemerkst aber auch alles. Damals war der Chef der Jungstar in der Wiener Kriminalpolizei und noch nicht lange Gruppenleiter. Er ist wegen seiner kritischen Fragen in der Soko schnell kaltgestellt worden. Ich war noch der Anfänger für die Kopierdienste. Dabei habe ich immer mitgelesen und Harald mit Informationen versorgt. Schließlich sind wir beide aus der Sonderkommission geflogen. Harald hat mich später in seiner Gruppe aufgenommen.“
Der Chef zog an seiner kalten Pfeife. „1996 haben wir beschlossen, den Fall wiederaufzunehmen. Es gab jetzt die DNA-Analyse und Datenbanken. Außerdem war Österreich der EU beigetreten und Deutschland wiedervereinigt. Wir haben auf die internationale Zusammenarbeit gehofft. Doch dann ist Ernsts Frau ermordet worden …“
Nyoko sprang auf. „Oh mein Gott! Das war damals? Vielleicht wollte man euch vom Pottersfeld-Fall ablenken.“
Ernst verschränkte die Arme und zog die Schultern hoch, als ob ihm plötzlich kalt wäre. „Sicher nicht. Wir haben den Mörder geschnappt. Es war ein Krimineller, der uns schon öfter beschäftigt hatte. Er war 20 Jahre alt, beim Pottersfeld-Mord also gerade mal 14. Er ist allerdings wegen eines Formfehlers aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Einen Tag später hat man ihn selbst ermordet.“
Nyoko betrachtete die Aktenberge. „So sicher wäre ich mir da nicht. Er könnte ein Auftragsmörder gewesen sein und als er gefasst worden ist, haben die Männer im Hintergrund den Versager exekutiert. Ich will die Akten sehen!“
Christian stöhnte. „Ich wollte eine Geburt ermitteln und jetzt stehen wir vor vier Morden.“
Auch Ernst war verzweifelt. „Nyoko, bist du dir sicher, dass du dich nicht verrennst? Wo willst du den ganzen Papierkram hingeben?“
„Verrennen kann ich mich nur, wenn ich mich nicht auskenne. Ich will alles sehen. Dann prüfen wir auf Gemeinsamkeiten und entscheiden, welchen Weg wir gehen, ohne uns zu verlaufen. Johann? Warst du nicht damals auch schon beim Chef?“
„Ich war 1996 ein paar Monate suspendiert und auf Entzug. Als ich zurückgekommen bin, war der Mord an Ernsts Frau Inge bereits geklärt. Von Pottersfeld habe ich nie etwas gehört, das war wohl alles während meiner Abwesenheit.“
„Du warst ein Kollege von Ernst?“, wunderte sich Nyoko. „Warum hast du das nie erzählt?“
Johann wich ihren Blick aus. „Wenn er sich erinnert, wie ich damals war, feuert er mich sofort. Ich will diese Phase meines Lebens vergessen.“
Es wurde kurz still, bis Klaus sich an Wolfgang Jacobs wandte. „Du hast heute noch kein Wort gesagt. Man könnte glauben, dass du gar nicht der Vater meiner Frau bist. Was war denn dein Anteil in diesem verschworenen Trio?“
„Hmmm … also … eigentlich will ich das in einem Polizeigebäude nicht sagen. Außerdem muss ich euch etwas zeigen, das ich zuhause aufbewahre. Ich lade euch zum Abendessen ein. Lydia hat mich ohnehin vor Kurzem gefragt, wann ihr wieder einmal kommt. Passt euch heute 20 Uhr?“
„Wird das ein Geheimbund oder soll ich deine Tochter und Enkel mitnehmen?“
„Ihr dürft sogar früher kommen und bei der Vorbereitung helfen.“
Nyoko setzte sich wieder. „Wir bringen den Wein und den Apfelsaft für Johann. Da ich nicht gewusst habe, dass Ernst einmal für den Chef gearbeitet hat, drängt sich noch eine interessante Frage auf. Harald hat nur Kollegen mit außergewöhnlichen Hobbys oder Talenten in seine Gruppe geholt. Ernst, gibt es bei dir etwas, das wir noch nicht kennen?“
„Nyoko, selbst du musst nicht alles wissen.“
Christian bat Johann, seine Gitarre zu holen. „Ich erzähle euch eine Geschichte. Vor einigen Jahren spazierte ich durch die Stadt und sah vor einem Hotel ein Plakat. Angekündigt war der Auftritt eines italienischen Schlagersängers mit dem schönen Namen Ernesto Pianomartello. Ich fragte mich, ob das eine originelle Übersetzung von ‚Stockhammer‘ sein könnte, und ging hinein. Tatsächlich sang dort der Mann, der damals noch ein entfernter Bekannter war. Lieber Herr Oberst, oder soll ich Colonnello sagen, dein ‚Azzurro‘ ist der Beste von Wien.“
Nyoko lachte. „Christian, in einer guten Ehe gibt es keine Geheimnisse. Warum hast du mir das nicht erzählt?“
„Das war wohl in einer turbulenten Beziehungs-Phase. Damals warst du nicht meine Chefin und er nicht deiner.“
Nyoko deutete Johann, die Gitarre wieder in die Ecke zu stellen. „Bevor es zu gemütlich wird, gehen wir wieder an die Arbeit. Wir nehmen am Abend italienischen Wein mit und Johann die Gitarre. Ernst darf dann italienische Gassenhauer zum Besten geben. Jetzt aber: Christian untersucht Pottersfeld. Johann nimmt sich Ernsts Frau und ihren Mörder vor. Ich mache die Kindesweglegung und Kleindienst. Paul, du bekommst von uns die Namen aller Menschen, die in den Fällen aufgetaucht sind. Recherchiere die Biografien und suche Überschneidungen. Klaus, schau dir die Spuren von allen Tatorten an. Auf geht’s!“
Nyoko konnte nicht sofort mit ihren Aufgaben beginnen. Ernst bat sie und den Chef zu einer vertraulichen Besprechung in ihr Büro. Sie nahmen am kleinen runden Besprechungstisch Platz.
Der Oberst begann. „Nyoko, ich will die Anwesenheit deines Mentors nutzen, um eine organisatorische Frage zu besprechen. Du bist die schnellste und entscheidungsfreudigste Offizierin des BKA und dennoch schleppst du eine Angelegenheit seit mehr als einem Jahr vor dir her. Für deine offene Stelle kommen laufend Bewerbungen von den besten und erfahrensten Kriminalpolizisten. Gruppenleiter würden ihre Führungsfunktion abgeben, um ein Keystone Cop zu werden. Einige Bewerber sind schon irritiert, weil sie keine Antwort bekommen. Wir können die Position nicht ewig offenhalten, sonst wird sie uns gestrichen.“
„Es war eben noch nicht der Richtige dabei.“
„Das stimmt doch nicht! Es gab einige, von denen ich weiß, dass du sie sehr schätzt. Da ist noch etwas anderes. Reden wir offen darüber.“
Nyoko sagte nichts. Der Chef spielte mit seiner Pfeife. „Nyoko, ich denke, dass ich den Grund kenne. Die Stelle war für Paul vorgesehen, der für dich eine Art kleiner Bruder ist. Jetzt gehört er zum Sonderposten für im Dienst verletzte Polizisten. Die Ärzte haben damals gemeint, dass sich die Folgen der Kopfverletzung eventuell ganz zurückbilden könnten und du hast ihm die Stelle freigehalten. Nach einem Jahr müssen wir diese Hoffnung aber aufgeben. Es ist großartig, wie du dich um ihn kümmerst und ihn integrierst. Dass er bei Klaus wohnen darf, zeigt, dass die Keystone Cops eine Familie sind, die immer zusammenhält. Das sollte aber nicht zur Verzögerung von Personalentscheidungen führen.“
„Paul ist von einem Mörder verwundet worden, der mich als letztes Ziel hatte. Ich kann ihn doch nicht als Strafe aus der Gruppe drängen. Von welcher Kostenstelle er bezahlt wird, ist mir egal. Er ist ein vollwertiger Keystone Cop.“
Ernst fuhr sich durch die Haare. „Du hast selbst gesagt, dass sein Wert nicht von der Organisation abhängt. Ich sehe das auch so. Daher ist das Offenhalten der Stelle nicht nötig. Wenn Paul einmal genesen sollte, werden wir das entsprechend organisieren. Ich nehme nicht eine exzellente Kraft aus einem funktionierenden Team, außerdem bekommen die Keystone Cops sowieso immer, was sie wollen. Wer einen skurrilen Gruppennamen und eine DNA-Analyse für ein Familienmitglied erhält, muss sich keine Sorgen machen, irgendetwas nicht zu erreichen. Ein ruhender Pol wäre eine gute Ergänzung. Dafür gibt es zwei ideale Kandidaten. Bitte nimm einen davon oder jemand anderen, aber gib einem Kollegen die Chance, bei den Keystone Cops zur Höchstform aufzusteigen.“
Christian stammte aus einer reichen Familie mit großer Tradition. Ein Vorfahr hatte in einer Schlacht seinem Kaiser das Leben gerettet, was seine Karriere zum Feldmarschallleutnant und Ritter I. Klasse des Ordens der Eisernen Krone befördert hatte. Seine Nachfahren wurden Unternehmer, doch Christians Leben hatte ihn auf vielen Umwegen zur Polizei geführt.
In der stattlichen Familienvilla wohnten nun die Nachfahren europäischer Ritter und des japanischen Samurai-Clans Sato aus Hiroshima. Im Viergenerationen-Haus lebte neben dem Polizistenpaar auch Nyokos Mutter Misaki Binder. Für das junge Paar Sayo und Friedrich war ebenso genug Platz. Unangefochtener Mittelpunkt war der kleine Benjamin.