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Bente Wackernagel ist alles andere als ein sympathischer Mensch; als sein geistiger Vater ist es mir direkt peinlich, hier schon von seiner oberlehrerhaften Selbstgefälligkeit und manischen Rechthaberei zu berichten. Aber vielleicht ist Ihnen auch schon mal ein solch schwer verträglicher Zeitgenosse begegnet und Sie können hier erleben, wie Bentes Ecken und Kanten vom Leben rundgeschliffen werden. Eingebettet ist der Wandel meines Bente in den historisch belegten Kliffabgang in Lohme im Jahr 2005.
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Seitenzahl: 90
Veröffentlichungsjahr: 2025
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1. Vorwort: Cave canem!
2. Warum denn nicht?
3. Sybille hilft tatkräftig
4. Roswitha sucht Halt
5. Bente gibt nicht auf
6. Calypso auf Reede
7. Bente schöpft Verdacht
8. Edel sei der Mensch
9. Plötzlicher Abgang
10. Einer zahlt immer
11. Ein grünes Finale
12. Liste der von demselben Autor (Pseudonym) bereits erschienenen Bücher
Luftansicht von Lohme vor 2005
Wenn Bente Wackernagel gefragt worden wäre, was er von Kindern hielte, wäre er empört gewesen, weil er allein schon aus der Frage die böswillige Unterstellung herauszuhören vermeinte, er sei nicht kinderlieb. Dieser Herr Wak- kernagel war ein äußerst schwieriger Zeitgenosse: grundsätzlich hielt er alle Mitmenschen im Vergleich mit ihm für unfähig und dumm; automatisch hielt er sich natürlich allen überlegen. Ehe ich es vergesse, von kleinen Kindern hielt Herr Wackernagel nichts, wenn es denn nicht seine eigenen gewesen wären; in allen Lebenssituationen, die in irgendeiner Weise mit finanzielle Kosten zu seinen Ungunsten verbunden waren, faselte er völlig empathielos etwas von einer miserablen Kosten-Nutzen-Relation und lehnte damit seine Beteiligung strikt ab, war also im Grunde genommen überaus knausrig. Kein Wunder, daß er mit über 50 Jahren immer noch solo durchs Leben dümpelte. Seine wenigen Bekanntschaften scheiterten an seiner manischen Knausrigkeit; keine der Frauen hielt es auf Dauer mit ihm und seinen herrischen Allüren aus. Herr Wackernagel war – ohne sich dessen bewußt zu sein – sozusagen „aus der Zeit gefallen“; die demütigen Lieschen, die ihren alleinigen Lebensinhalt in der devoten Bedienung ihres Paschas gesehen hätten, weil er sich herabgelassen hatte, sie zu ehelichen, gab es nicht mehr. Das bedrückte Herrn Wak- kernagel keineswegs, lebte er doch immer noch in demselben Zimmer seit seiner Kindheit bei seinen Eltern mit dem einzigen Unterschied, daß er das Haus in Lohme10 inzwischen dem ehemaligen Eigentümer abgekauft und damit sein Verbleiben in dem gewohnten Umfeld auf Dauer gleichsam „konserviert“ hatte.
Selbstverständlich gehörte Herr Wackernagel keiner Glaubensgemeinschaft an; auch hier waren der etwaige Mitgliedsbeitrag und die fällige Kirchensteuer die primären Gründe für seine Ablehnung. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich behaupte, daß er sich keinerlei weltanschaulichen Gedanken machte; wurde er diesbezüglich durch Fragen in die Enge getrieben, bezeichnete er sich selbstgefällig als Edelkommunist; angesichts seines Lebensstils und seiner finanziellen Raffgier und Knausrigkeit war dies ein mehr als nur ideologischer Knallbonbon. Hatte Herr Wackernagel doch die krankhafte Manie, an den Wochenenden immer wieder zum Schloßhotel Ranzow am Waldrand des Jasmund zu pilgern und sich im Angesicht dieses außerordentlich gepflegten Anwesens und der dort geforderten Preise in eine seltsame Haßliebe zu versteigen. In seinen Augen war dieses Schloßhotel und seine Kundschaft der Inbegriff der reichen Klasse, gegen die es zu rebellieren galt; der gesellschaftliche Protest des Herrn Wackernagel indes beschränkte sich darauf, seinen Neid zu pflegen und wieder nach Lohme zurückzukehren, wo in seinem Haus seine Mutter mit dem Mittagessen auf ihren 50jährigen Sohn wartete. So hatte für diesen Salonrevolutionär bislang Alles seine Ordnung.
Sein Beruf – der Vertrieb von Solaranlagen kombiniert mit hybriden Heizanlagen – erforderte eine große Flexibilität von ihm, etwas, was „neudeutsch“ ausgedrückt, nicht zu seinen Kernkompentenzen gehörte. Da ihm seine Firma in Rostock keinen Dienstwagen stellen wollte, hatte er sich per Internet kostengünstig ein Motorrad ersteigert, das er als notwendiges Hilfsmittel für die Ausübung seines Berufs in der jährlichen Abrechnung beim Finanzamt anzugeben gedachte. In diesem Sinne war ihm auch kein Weg zu weit; konnte er doch so seine beruflich bedingten gefahrenen Kilometer finanziell anrechenbar in sein Fahrtenbuch eintragen. Er genoß es, unter Einhaltung der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit in der Mitte der Fahrbahn an der Spitze von Wagenkolonnen über die Straßen von Rügen zu donnern. Die Paradestrecke zur Erlangung dieses Hochgefühls war die Bundesstraße nach Stralsund, insbesondere der Abschnitt der Hochbrücke über den Strelasund. Bente fühlte sich wohl, wenn er sich im Recht glaubte; es lag ihm überhaupt nicht, auch „nur einen Zoll nachzugeben“; es konnte dann passieren, daß er mit sehr spitzfindigen Argumenten seine Position um jeden Preis zu halten suchte.
In seinem beruflichen Metier – Planung und Verkauf von Solarkollektoren in Verbindung mit hybriden Heizungsanlagen – war er fachlich „sehr beschlagen“, redegewandt und überzeugend. Vermeinte Bente ernsthaftes Interesse bei seinen Kunden geweckt zu haben, so wurde er noch beredter und breitete die ganze Palette von Rabatten, steuerlichen Vergünstigungen und staatlichen Subventionen vor den Kunden aus. Bente konnte dann „im Eifer des Gefechts“ in ein kumpelhaftes Benehmen einschließlich einem eigenmächtigen Duzen verfallen. Er redete sich dann so in Rage, daß er bei eventuellen Fragen der Kunden zunächst noch nachsichtig zu Erklärungen bereit war; sollten sich die Kunden jedoch damit nicht zufrieden geben, liefen sie Gefahr, bei Bente in Ungnade zu fallen; dann konnte es passieren, daß Bente – geblendet durch seine ihm eigene Hybris – in einen leicht süffisanten Ton verfiel, was bei ihm der Ausdruck dafür war, daß er sein Gegenüber für nicht fähig hielt, ihm intellektuell zu folgen: also vulgo doof war. Das bedeutete aber keineswegs, daß Bente sein Verkaufsinteresse verlor; ganz im Gegenteil gab er eigentlich niemals auf und fuhr bei den unwilligen Kunden immer wieder auf seinem Motorrad unangemeldet vor, um erneut für seine Anlagen zu werben. Seine Verkaufsstrategie betrieb er mit einem gewissen missionarischen Eifer und konnte nicht verstehen, warum seine Mitmenschen sich so schwer taten, seiner „energetischen Heilslehre“ zu folgen, das heißt endlich die nötigen Verträge mit ihm abzuschließen und zu bezahlen. Bei seiner Firma war seine Tätigkeit geschätzt und wurde zum Jahresende mit stattlichen Boni belohnt, bei den Rüganern11 war er aber bald so bekannt „wie ein bunter Hund“. Es wird erzählt, daß mancher, der rechtzeitig Bente auf seinem Motorrad kommen sah bzw. hörte, sich „unauffindbar“ in seinem Haus zu einschloß.
Es konnte nicht ausbleiben, daß Bente auf seinen Fahrten zur potentiellen Kundschaft auf Rügen und im weiten Umfeld von Stralsund nicht nur auf glatten Teerstraßen dahinbrauste, sondern gelegentlich auch holprige Fahrwege oder mit Feldsteinen gepflasterte Nebenstras- en benutzen mußte. Vielleicht lag es daran, daß Bente unabhängig vom Untergrund stets stolz aufgereckt auf seinem Motorrad saß und so oft arg durchgerüttelt und gestaucht wurde, jedenfalls begann er eines Tages über Rückenschmerzen im Lendenbereich12 zu klagen.
Nun war Bente geradezu kindisch zimperlich, wenn es um körperliche Leiden ging, gleichgültig ob eingebildete oder tatsächliche. Deshalb fuhr er noch am gleichen Tag mit dem Linienbus nach Sassnitz und dort mit dem Ortsbus zur Praxis von Fachärztin Simone Pi- echa am Rügener Ring. Dort machte er in leicht gekrümmter Haltung und viel Gejammer soviel Eindruck, daß er als „Akutpatient“ umgehend an die Reihe kam. Zu seiner Zufriedenheit wurde er Ernst genommen, meinte er jedenfalls; seit diesem ersten Praxis-Besuch des Herrn Wak- kernagel zauberte die Nennung seines Namens ein amüsiertes Grienen auf die Gesichter der Sprechstundenhilfen. Bei der Untersuchung seines Rückens – äußerliches Betasten und eine Röntgenaufnahme des betreffenden Abschnitts vom Rückgrat – ergab sich der Befund: altersbedingte Versteifungen der Bandscheiben, ansonsten unauffällig, was eine höfliche Umschreibung für den Mangel an therapiefähi- gen Gründen darstellt. Wahrscheinlich um den Patienten zufrieden zu stellen, bekam Bente eine Muskel-entkrampfende Spritze in den Rük- ken und eine Schmerz-stillende Salbe. Bente fühlte sich Ernst genommen und wars zufrieden.
Wieder zurück in Lohme stand Bente vor dem Problem, wie er sich auf dem Rücken einreiben sollte. Mit der ihm eigenen „Kaltblütigkeit“ wurde er in dem seinem Anwesen gegenüberliegenden Diakonieheim für Suchtgefährdete mit seinem Problem vorstellig. Es hatte schon ein „gewisses Geschmäckle“, daß jemand, der sich sonst als kirchenferner Kommunist bezeichnete, sich bei Gelegenheit erdreistete, eine von der Kirche getragene Organisation aufzusuchen und Hilfe zu erwarten.
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