Bertolt Brecht - Reinhold Jaretzky - E-Book

Bertolt Brecht E-Book

Reinhold Jaretzky

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Beschreibung

Rowohlt E-Book Monographie Bertolt Brecht fasziniert weiterhin als wandlungsfähiges Genie und Autor unverwüstlicher Theaterstücke. Ins Blickfeld rücken aber immer mehr der mit sich selbst und seinem Umfeld experimentierende Antibürger Brecht, der sprachgewaltige Lyriker und der radikaldemokratische Medientheoretiker. In dieser kurzen Biographie erfährt der Leser alles Wichtige über Leben und Werk des großen Dichters. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

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Reinhold Jaretzky

Bertolt Brecht

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

«Mein Name ist eine Marke»Kindheit und Jugend eines SonderlingsRevolution und frühes ErwachsenseinDie frühen Dramen: «Baal» und «Trommeln»Zwischen München und BerlinMetropole BerlinFrühe LyrikVon «Mann ist Mann» bis zur «Dreigroschenoper»«Mahagonny» und private TurbulenzenExperimente und neue Medien«Die heilige Johanna» und «Die Mutter»Der Weg ins Exil: Von Prag nach SkovsbostrandLyrik des ExilsDas Problem der FormFlucht durch SkandinavienStalinDie großen Dramen des ExilsAmerikaRückkehr nach EuropaDas Berliner EnsembleLetzte WerkeBrechthausse und BrechtbaisseZeittafelZeugnisseBibliographieBibliographien, HandbücherWerkeBiographischesUntersuchungen zum WerkNamenregisterDanksagung
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«Mein Name ist eine Marke»

Der junge Mann betrat die literarische Bühne als Unverwechselbarer. Seine Erkennungszeichen waren «jene ewige Mütze, die in der Unterwelt üblich war, auf seinem Kopf, nach vorn geschoben, eine Jacke aus schäbigem Leder und eine enorme Zigarre»[1]. Er bevorzugte ungepflegt wirkende Kleidung und liebte zerbeulte Cordhosen, dazu kamen der Dreitagebart und ein stets wahrnehmbarer Körpergeruch. Magische Wirkung bescheinigten Zeitgenossen auch der Physiologie des spindeldürren Dichters: der «asketische Schädel», das in die Stirn gekämmte kurzgeschnittene Haar, das an die Büsten römischer Kaiser erinnert, die Adlernase, «der schmallippige Mund», die «dunklen Knopfaugen».[2] Brechts Aussehen war Teil eines Images, das er kontrollierte und lenkte und das er jenseits, ja gegen die noch vorherrschende Rolle des Dichters als weltabgewandter Poet und bürgerlicher Feingeist entwarf: Als Proletarier und konservativer Anarchist[3] sah er sich, aus Seide ließ er sich die mausgrauen Arbeiteranzüge anfertigen und aus Titan die den billigen Kassengestellen nachempfundene Brille. Im Zentrum dieser rätselhaften Selbstinszenierung steht der Mensch Brecht. Ein «wunderliches Gemisch aus Zartheit und Rücksichtslosigkeit, von Plumpheit und Eleganz, von wüstem Geschrei und empfindlicher Musikalität»[4], so beschrieb ihn Lion Feuchtwanger. Brecht litt früh unter seiner Hässlichkeit, doch er bäumte sich stärker noch dagegen auf, schlug aus seinem Trotz Kapital, triumphierte in seinem Tagebuch: […] ich laufe wieder auf dem Randstein, schneide Grimassen, pfeife auf die Wirkung, grinse, daß man die faulen Zähne sieht. So bin ich, freut euch! Häßlich, frech, neugeboren […].[5] Sein Habitus und Auftritt stützten sich auf ein ausgeprägtes und unerschütterliches Selbstbewusstsein, das allen politischen und gesellschaftlichen Widrigkeiten standhielt. Schon der achtzehnjährige Brecht wusste, er könne Theaterstücke schreiben, bessere als Hebbel, wildere als Wedekind[6]. Erfolg überraschte ihn nicht, er forderte ihn ein. Mitten in der Brecht-Mode der zwanziger Jahre ist er überzeugt, daß die Brechthausse ebenso auf einem Mißverständnis beruht wie die Brechtbaisse, die ihr folgen wird. In der Zwischenzeit liege er ziemlich ruhig in der Horizontalen, rauche und verhalte [sich] ruhig.[7] Fotografien aus jener Zeit belegen seine Selbstinszenierung: der Dandy mit Lederjacke, der Literaturrebell zusammen mit dem Boxer Paul Samson-Körner, der Dichter mit seinem Team von Freunden und Mitarbeitern. Letztere ist eine Aufnahme für die Zeitschrift «Uhu», deren kalkulierte Wirkung Brecht so beschreibt: Ich selber arbeite fast alles mit anderen zusammen, ließ also den Fotografen zu einer Zeit kommen, wo ich das Zimmer voll hatte, wenn auch nicht gerade zum Arbeiten. Dabei hätten sie sich entschlossen, so zu tun, als wüßten wir, daß wir fotografiert werden.[8] Nicht der authentische Eindruck zählt, sondern die Präsentation eines neuen Typs von Autor, der die Höhenluft der Ästheten eingetauscht hat gegen die komplexe Praxis der Kunstproduktion: von der Textwerkstatt, in der kreative Kollektive Vorlagen, Ideen, Geschichten er- und verarbeiten, über die Propagierung und stetige Weiterentwicklung einer literarästhetischen und dramaturgischen Programmatik bis hin zu einem Management, das in Produktion und Marketing eingreift. Mein Name ist eine Marke, und wer diese Marke benutzt, muß dafür bezahlen![9], verkündet er. Seine Markenwaren waren seine Texte, ob beleidigende Kritiken, anzügliche Songs oder wüste Dramen, denen er Originalität zu verleihen verstand und deren ungewöhnlichen sprachlichen Ton er etwa im Fall von Dickicht nach folgender Rezeptur erreichte: Ich stellte Wortmischungen zusammen wie scharfe Getränke, ganze Szenen in sinnlich empfindbaren Wörtern bestimmter Stofflichkeit und Farbe. Kirschkern, Revolver, Hosentasche, Papiergott: Mischungen von der Art.[10] Zielte das Theater seit jeher auf Emotionen, dann beharrte Brecht auf Kälte und Objektivität, denn das Gefühl ist Privatsache und borniert[11]. Mit dieser Maxime eroberte er auch das Terrain der Liebeslyrik, deren verbrauchter Stilkunst er mit trockenem Realismus seinen Brecht’schen Ton entgegenstellte. Ob im Lied von der verderbten Unschuld beim Wäschefalten oder im Sonett über einen durchschnittlichen Beischlaf: Er etablierte darin einen ebenso unpathetischen wie antirhetorischen Ton, der aufhorchen ließ. Waren seine Texte Markenartikel, so mussten sie sich gegen andere Markenartikel eintauschen lassen. Dieser Logik folgend bat Brechts Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann 1926 die großen Autofirmen zunächst erfolglos, dem Dichter ein Reklameauto zur Verfügung zu stellen. Zwei Jahre später gelang dann der Tausch des Brecht-Gedichtes Singende Steyrwägen gegen ein nagelneues Steyr-Automobil. Als das Auto vier Monate später durch einen Unfall zum Totalschaden wurde, rekonstruierte der nur leicht verletzte Dichter das Unfallgeschehen in der Zeitschrift «Uhu» in Wort und Bild, lobte den Hersteller für die Robustheit seiner Fahrzeuge und publizierte auf diese Weise den ersten Crash-Test der Geschichte. Steyr dankte dem Dichter die PR-Aktion mit einem fabrikneuen Auto. Es amüsierte Brecht, dass Kollegen solchen Handel als unwürdig ablehnten. Er genoss den Erfolg und scheute auch unternehmerisches Engagement nicht. Die multimediale Auswertung der Dreigroschenoper-Songs auf der Bühne, im Radio, im Film und auf Schallplatte führte bereits zu beeindruckenden Gewinnen. Es gelang Brecht darüber hinaus, den medialen Stellenwert des Dreigroschenwerks durch den «Dreigroschenprozess» zu steigern, in dem er, von großer publizistischer Aufmerksamkeit begleitet, gegen Nero-Film klagte, um den Prozess gegen eine Entschädigung von 25000 Reichsmark abzubrechen und den Vorgang literarisch zu dokumentieren. Damit hatte die Marke Brecht über Boulevard und Feuilleton hinaus auch in der Welt der Wirtschaft auf sich aufmerksam gemacht, während der Autor begann, die Mechanismen des Kapitalismus vom Standpunkt klassenkämpferischer Gegnerschaft aus zu analysieren.

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Kindheit und Jugend eines Sonderlings

Was treibt einen wohlbehüteten Knaben aus bürgerlichem Milieu in einer bayerischen Provinzstadt dazu, in die Rolle eines aufsässigen, zynischen Dichters zu flüchten und den bürgerlichen Konventionen den Kampf anzusagen? Diese Frage drängt sich auf angesichts einer familiären Kindheit, die kaum getrübt erscheint. Der Vater Berthold Friedrich Brecht ist kaufmännischer Angestellter der Haindl’schen Papierfabrik, als Berthold Brecht am 10. Februar 1898 in Augsburg zur Welt kommt. Er ist ein sozialer Aufsteiger, der, aus einfachen Verhältnissen stammend und nur mit einem Volksschulabschluss in der Tasche, bald schon zum Prokuristen und schließlich zum leitenden Direktor des Unternehmens befördert wird. Brecht verlebt seine Kindheit und Jugend in einer Sechs-Zimmer-Wohnung der Haindl’schen Stiftungshäuser für Betriebsangehörige am Rande der Stadt. Einen ernsthaften Vater-Sohn-Konflikt gibt es nicht. Der Sohn bewundert den Vater, auch dessen Karriere, die er später in einer Ode folgendermaßen besingt: Vorausschauend und kühn kämpft er sich vorwärts. / Alles verdankt er sich selbst; nichts ward ihm geschenkt.[12] Brecht wächst auf in familiärem Einverständnis. Der soziale Stolz ist unverkennbar, wenn er später in einer autobiographischen Notiz vermerkt, er sei geboren als Sohn eines Fabrikdirektors[13]. Tatsächlich bekleidete der Vater diese Position erst neunzehn Jahre nach Brechts Geburt. Auch dessen konservative Grundhaltung – die «Schwäbische Volkszeitung» aus Augsburg zählt ihn zu den Direktoren, die «den Betriebsräten besonders feindlich»[14] gegenüberständen – stört die familiäre Harmonie nicht. Zu Hause lässt Berthold Friedrich Brecht die denkbar größte Toleranz walten. Zwar verfügt er über keinerlei musische Bildung, im Hause Brecht gibt es nur wenige Bücher, doch der Sohn darf seine künstlerischen Neigungen ungehindert ausleben. Im Elternhaus steht ihm dafür der «Zwinger», eine sturmfreie Dachkammer, zur Verfügung, wo er sich mit literarisch interessierten Schulkameraden trifft und mit ihnen ungezügelt feiert. Die Unterstützung des Sohnes, für den der Vater sich im Stillen einen bürgerlichen Beruf ersehnt, geht so weit, dass er eine Sekretärin anweisen wird, das für seine Zeit durchaus anstößige Drama Baal in Reinschrift zu tippen. Die rebellische Subkultur Brechts entfaltete sich somit eher im Schutze des Familienoberhaupts als in der Konfrontation mit ihm. Auch die Mutter Sophie Brecht, die sich mit ihrer Freude an Gesang und populärer Poesie ein wenig näher an den künstlerischen Interessen Brechts wähnen darf, ist allenfalls auf den guten Ruf in der Nachbarschaft bedacht, der durch Allüren und auch verbale Eskapaden des Sohnes in Gefahr gerät: Meine Mutter sagt jeden Tag: Es ist ein Jammer / Wenn ein erwachsener Mensch so ist / Und so etwas sagt, wo ein anderer Mensch nicht an so etwas denkt […].[15] Ihrer Anerkennung, ja ihres Stolzes war Brecht sich stets sicher.

Auch die Schule liefert keinen Hinweis darauf, was den privilegierten Prokuristensohn Brecht in die antibürgerliche Aufsässigkeit treibt. Eher unauffällig durchläuft er die evangelische Schule, findet gar Gefallen am Bibelunterricht. Jahre später schwärmt er in seinem Tagebuch: Sie ist unvergleichlich schön, stark, aber ein böses Buch. Sie ist so böse, daß man selber böse und hart wird, und weiß, daß das Leben nicht ungerecht, sondern gerecht ist, und daß das nicht angenehm ist, sondern fürchterlich.[16] Und noch später antwortet er auf die Frage nach seinem stärksten Bucheindruck: Sie werden lachen: die Bibel.[17]1908 wechselt er zum Augsburger Königlich Bayerischen Realgymnasium, das er artig, ruhig, mit besonderer Begabung für den Schulaufsatz absolviert. Als 1914 der Krieg beginnt, herrscht im Hause Brecht deutschnationale Kriegsbegeisterung. Und Sohn Berthold, der inzwischen Beiträge für die «Augsburger Neuesten Nachrichten» publiziert, stimmt freudig ein in den Lobgesang auf den Kaiser: Steil. Treu. Unbeugsam. Stolz. Gerad. / König des Lands / Immanuel Kants.[18] Die äußeren Voraussetzungen also deuteten auf eine konformistische Karriere.

Für die Persönlichkeitsbildung Berthold Brechts ist allerdings eine Tatsache von Bedeutung, die erst spätere Untersuchungen angemessen erforscht und bewertet haben: eine Herzneurose, unter der er von früher Jugend an bis an sein Lebensende litt. Im ersten Tagebucheintrag des Fünfzehnjährigen heißt es: Habe wieder Herzbeschwerden.[19] Einen Tag später: Wenn ich nur gesund werde.[20] Und drei Tage später notiert er erneutes starkes Herzklopfen: So stark, daß ich zu Mama ging. Es war schrecklich.[21] In einem späteren Brief an Arnolt Bronnen heißt es: […] in meinem dreizehnten Lebensjahr erzielte ich durch Verwegenheit einen nachweisbaren Herzschock […].[22] Dokumentiert sind wochenlange Kuraufenthalte des erst Zwölfjährigen. Was Brecht selbst in vorgeblicher Fachterminologie als Herzschock oder auch Herzkrampf[23] bezeichnet, ist das Erlebnis einer Neurose, die sich in Panikattacken und Todesängsten artikuliert und möglicherweise in einer symbiotischen Mutterbeziehung eine Erklärung findet. Es gehört zur Persönlichkeit Brechts, dass er sich der über ihn hereinbrechenden Angst nicht ohnmächtig unterwirft, sondern sie verdrängt und durch betonte Aktivität kompensiert. Von klein auf entwickelt Brecht eine Abwehrstrategie, die sich in «demonstrativer Großmannssucht und in Potenzphantasien»[24] manifestiert. Die Angst, so zeigt Carl Pietzcker in seiner Studie[25], soll durch erzwungene Überlegenheit besiegt werden, wofür die Tagebücher eine Fülle von Belegen liefern. So notiert der Achtzehnjährige im Oktober 1916, nachdem er sich seines literarischen Talents aufschneiderisch versichert hat: Jetzt werde ich gesünder. Der Sturm geht immer noch, aber ich lasse mich nimmer unterkriegen. Ich kommandiere mein Herz. Ich verhänge den Belagerungszustand über mein Herz.[26] Am nächsten Tag muss er zwar zynisch verbrämt eingestehen, dass die Angst nicht besiegt ist: Heute Nacht habe ich einen Herzkrampf bekommen, daß ich staunte, diesmal leistete der Teufel erstklassige Arbeit.[27] Doch gleich darauf bietet er dem Schwächeerlebnis mit erhöhter Kraftmeierei die Stirn: Ich bin schon etwas verdorben, wild und hart und herrschsüchtig. […] Wenn ein Mann richtig lebt, lebt er wie im Sturm, den Kopf in den Wolken, mit wankenden Knien, im Finstern, lachend und kämpfend, stark und schwach, oftmals besiegt und nie unterworfen.[28] Offensichtlich sucht Brecht sich in der Rolle des Haudegens, die seiner zarten, kränkelnden Natur entgegensteht, eine gesicherte Position, von der aus er seine Ängste unter Kontrolle halten und dem früh erworbenen «Urmißtrauen»[29] entgegentreten kann. Eingeübt wird so eine Haltung der Kühle und Distanz, die ihm zu einer dritten Natur werden sollte. Der junge Dichter, der sich spöttisch lächelnd über die schreibenden Zeitgenossen erhebt, auch der Augsburger Bohemien, der sich durch provokante Eskapaden eine kraftspendende, furchtabwehrende Sonderstellung schafft, unternimmt damit Versuche, sich mit einem früh erworbenen Seelenproblem zu arrangieren. In den zwanziger Jahren wird der Kritiker Julius Bab aus der reinen Beobachtung feststellen, dass «die Brechtsche Gewaltsamkeit […] zum mindesten ihrer Entstehung nach ein künstlich groß gezüchtetes Gegengift gegen sehr weiche, sehr reizbare, sehr widerstandsschwache Nerven sein»[30] dürfte. Es gibt deutliche Hinweise, dass Brecht seine Ängste auch durch das Schreiben zu bändigen suchte. Seine Skepsis gegenüber Emotionen, die sich unter anderem in seiner Ablehnung des «Illusionstheaters» artikuliert, reicht bis in seine Kindheit zurück und steht in deutlichem Zusammenhang mit der Herzphobie. So habe er schon früh Bachs «Matthäuspassion» nicht ertragen, da ich den Stupor verabscheute, in den man da verfiel, dieses wilde Koma[31]. Explizit spricht Brecht die Furcht aus, eine solche Kunst könnte meinem Herzen schaden und Gefühlsverwirrung hervorbringen.[32] Es liegt nahe, dass auch in das Konzept des epischen Theaters, das das emotionale Erlebnis in Grenzen zwingt, die fragile Persönlichkeit Brechts eingegangen ist.

Für seine dritte Natur, die er sich mit der Rolle des arroganten und kaltschnäuzigen Jungdichters auferlegt hat, schafft er sich jenseits von Schule und Familie eine eigene Subkultur. Ihr Zentrum ist die elterliche Dachkammer, wo er sich mit literarisch interessierten Schulkameraden, darunter dem späteren Bühnenbildner Caspar Neher, trifft. Brecht ist der unbestrittene Chef der Clique. Er hat «immer den Ton angeben, immer jemanden kommandieren»[33] wollen, erinnert sich ein ehemaliger Nachbarsjunge. Bereits hier im «Zwinger» entwickelt Brecht auch jene Techniken des kollektiven Arbeitens, die er zeitlebens beibehalten wird. Texte werden zur Diskussion gestellt, kritisiert, geändert. Und der Autor Brecht nimmt Anregungen auf, arbeitet fremde Texte in eigene Arbeiten ein. Nachts zieht die Gruppe mit Lampions durch die Stadt, hält nach Mädchen Ausschau und schockiert brave Augsburger Bürger. Tagsüber frisst der angehende Dichter Literatur in sich hinein. Er ist zunächst ein Allesleser, er verschlingt Schundromane seiner Zeit und die Bibel, Krimis und Karl May, dessen Rezeptionsspuren sich bis in die späteren Werke Brechts verfolgen lassen.[34] Ohne Anleitung arbeitet er sich in die Literaturgeschichte hinein; schon früh kennt er die Dramenproduktion seiner Zeit von Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind bis Bernard Shaw und August Strindberg. Er ist vertraut mit Shakespeare und Büchner, und er schätzt poetische Außenseiter, die zu Vorbildern werden, wie François Villon, Arthur Rimbaud und Paul Verlaine, deren Nähe zu Lebensrausch und Lebensgier ihm gefallen haben dürfte. Er dilettiert auch als Theoretiker mit gewagten Verallgemeinerungen, nach denen das Rezept für Kunst darin bestehe, Naturwahrheit und Idealismus zu verschmelzen[35].

Brecht beginnt seine literarische Tätigkeit als Fünfzehnjähriger mit Arbeiten, die er zum Teil in der Schülerzeitung «Die Ernte» veröffentlicht. Darunter sind böse Satiren auf seine Mitschüler, das Drama Die Bibel, eine Absage an religiöses Märtyrertum, sowie etwa achtzig vorwiegend düstere, um Tod und Einsamkeit kreisende Gedichte, die in wenigen Monaten entstehen. Mit Beginn des Krieges 1914 beliefert er die «München-Augsburger Abendzeitung» sowie die «Augsburger Neuesten Nachrichten» mit Beiträgen, in denen er aus seiner Kriegsbegeisterung keinen Hehl macht. Willig unterwirft sich der frühreife Zeitbetrachter darin politischen und auch kirchlichen Autoritäten: Wir alle, alle Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt.[36] In der eigenen Familie verschafft er sich damit Respekt, und man begegnet seinem dichterischen Talent mit Stolz. Während er den Krieg als Sturmsymphonie unserer Zeit[37] feiert, geht er, im Unterschied zu seinen Kameraden, dem militärischen Abenteuer aus dem Wege. Sein niemals objektiviertes Herzproblem bewahrt ihn bis kurz vor Kriegsende vor der Einberufung. Als Siebzehnjähriger kommen dem jungen Autor Zweifel an der kriegerischen Mission. In einem Schulaufsatz wertet er den Horaz-Vers, dass es süß und ehrenvoll sei, fürs Vaterland zu sterben, als Zweckpropaganda; die Verteidiger dieses blutigen Patriotismus bezeichnet er, und begeht dabei wissend ein Sakrileg, als Hohlköpfe[38]. Von dieser Provokation an, die fast zur Relegation führt, verabschiedet Brecht sich vom politischen Konformismus. Seine Veröffentlichungen zeichnet er von nun nicht mehr mit dem bis dahin benutzten Pseudonym Berthold Eugen, sondern mit Berthold Brecht. In diese Wende fällt auch sein Lied der Eisenbahntruppe von Fort Donald[39], das er später in die Gedichtsammlung Hauspostille aufnehmen wird und das somit als einer der frühesten Texte gelten kann, zu dem sich der Dichter bekennt.

DANKGOTTESDIENST

Siegsonntag! Es rauscht der Freude Meer –

Die Orgel braust so trunken schwer

Über der Kanzel jahrhundertgeheiligter Pracht

Glänzt golden und lacht

Ein Sonnefunkeln her.

Siegsonntag!

Viel hundert Gesichter schauen empor

Verklärt von der Freude Gold.

Viel hundert Stimmen erbrausen im Chor

Wie das stürmt und jauchzt, wie wenn es empor

Zum Himmel sich schwingen wollt.

Sieg, Sieg! Das ist’s was die Orgel rollt.

Sieg, Sieg! Das ist’s was die Sonne lacht.

Wie Völkersturm rauscht es empor mit Macht:

Sieg! Sieg und Sieg vertausendfacht

Als ob es der Himmel erstürmen wollt.

Siegsonntag!

Berthold Brecht, 1914

In die Welt der Weiblichkeit, die in seinem Leben wie in seiner Lyrik eine so herausragende Stellung einnehmen wird, begibt er sich bereits als Schüler. Eigenen Angaben zufolge holt er sich die dafür nötigen Kenntnisse bei einer Prostituierten in der Augsburger Hasengasse. Dann beginnt der Reigen seiner Geliebten, der bis zu seinem Tod nicht mehr abreißen wird. Brecht verliebt sich in Käthe und Franziska, die Buchhändlerinnen, in Sofie, die Tochter der Milchfrau, ärgert sich über die Friseurstochter Rosemarie, die ihn nicht erhört, und klagt: Was sind 100 Möglichkeiten gegen eine Unmöglichkeit?[40] Später, als sie ihm zugänglich wird, verdächtigt er sie der gefährlichen Vermehrungssucht[41], während er der langjährigen Geliebten Bi, deren Regel ausgeblieben war, gesteht: Die stärksten Männer haben Angst vor kleinen Kindern.[42] Im Umgang mit ihm nahestehenden Frauen entwickelt Brecht von Beginn an ein Verhaltensmuster, das ihm von Biographen später gern als Macho-Allüre angelastet wird: Er bestimmt die Regeln des Zusammenseins, beharrt auf der Rolle des überlegenen Spielers. Man darf dieses Kontrollverhalten allerdings auch als Versuch verstehen, die eigenen Emotionen in Schach zu halten und dem Verlassenwerden, einer aus seiner Mutterbindung erwachsenen Furcht, begegnen zu können, denn: «Wer selbst weggeht, kann nicht verlassen werden.»[43] Seine Angst vor persönlicher Nähe, die sich in seinem lakonisch-kühlen Umgangston wiederfindet, hat er in einem seiner berühmtesten Gedichte zugespitzt: In meine leeren Schaukelstühle vormittags / Setze ich mir mitunter ein paar Frauen / Und ich betrachte sie sorglos und sage ihnen: / In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.[44] Sieht man von einer moralischen Qualifizierung ab, ist Brechts Verhältnis zu Frauen Teil einer auf Distanz bedachten Verhaltensstrategie, die seine Persönlichkeit durchgängig bestimmt und die sich nicht zuletzt auch in der hohen sprachlichen Artistik seines Werkes wiederfindet.

 

1917 beendet Brecht das Gymnasium mit einem kriegsbedingten «Notabitur» und schreibt sich im Oktober an der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München ein. Er betrachtet den akademischen Betrieb als Chance, sich geistig vor allem im Rahmen der philosophisch-naturwissenschaftlichen Vorlesungen zu orientieren und anregen zu lassen. Als im Frühjahr 1918 die Einberufung droht, der er sich trotz reklamiertem Herzfehler nicht mehr entziehen kann, schreibt er sich für das Medizinstudium ein. Es lockt ihn die Aussicht, im Ernstfall als Sanitäter und nicht als Frontsoldat tätig werden zu müssen, da er lieber Füße und dergleichen sammeln als verlieren[45] wolle. Tatsächlich wird er, als er im Oktober eingezogen wird, als Sanitätssoldat verpflichtet. Drei Monate verbringt er auf der «Tripperstation», einem Augsburger Reservelazarett, in dem vor allem Geschlechtskrankheiten behandelt werden. Die Fronterlebnisse der Soldaten bestärken ihn in seiner Kriegsgegnerschaft und inspirieren ihn zur Legende vom toten Soldaten, einer gespenstischen Satire auf Durchhaltefanatiker, die selbst halbverweste Soldaten wieder in den Krieg schicken möchten. Die Ballade wurde zum politischen Ärgernis in der Weimarer Republik; das Landesjugendamt Karlsruhe nahm sie zum Anlass, um gegen Brecht gerichtlich vorzugehen, die Nationalsozialisten setzten Brecht wegen dieses Gedichts bereits 1923 auf ihre schwarze Liste und begründeten damit später seine Ausbürgerung.

Nicht nur politisch, auch literarisch bezieht Brecht inzwischen kritische Positionen. Dem zeitgenössischen Theater, wie er es in Augsburg erlebt, wünscht er polemisch die Schließung aus künstlerischen Gründen[46]. Mit ausgeprägtem Überlegenheitsbewusstsein besucht er in München Übungen in Literatur- und Theaterkritik, die von Artur Kutscher, einem Fachmann für zeitgenössische Literatur, abgehalten werden. Die Universitätsveranstaltung bietet ihm die willkommene Öffentlichkeit für eine wüste Attacke gegen den Roman «Der Anfang» von Hanns Johst. Wohl nicht ohne Eifersucht auf den Erfolg dieses Dramatikers rechnet Brecht im Gewand der akademischen Einlassung vernichtend mit Johst und dessen expressionistischem Umfeld ab und kündigt kühn eine eigene Komödie an, den späteren Baal, ein Gegenprojekt zur modernen Literatur, die ihn mit Widerwillen erfüllt und der gegenüber er auftrumpft: […] ich stelle mich auf meine Füße und spucke aus und habe das Neue satt und fange mit dem Arbeiten an und dem ganz Alten, mit dem 1000mal Erprobten und mache, was ich will […].[47]

Trotz Studium in München, das er nach der Entlassung aus dem Militärdienst eher halbherzig wieder aufnimmt, bleibt die Mansarde in der Augsburger Bleichstraße sein Hauptwohnsitz. Hier trifft er seine Clique, hier feiert er sich augenzwinkernd als Dichter: mit einer Lebendmaske des eigenen Kopfes an der Wand, einer aufgeschlagenen Tristan-Partitur auf einem Notenpult und einem großformatigen Porträt des syrischen Erdgottes Baal. Zur Klampfe singt er seine Lieder von ungemeiner Gemütstiefe und ungesunder Rohheit[48]. Das Lied der Galgenvögel etwa, eine Parodie auf die bürgerliche Ehe, oder das Lied an die Kavaliere der Station D, das seine Erfahrungen auf der «Tripperstation» verarbeitet und dessen Refrain lautet: Arg schon die Liebe, aber ärger noch der Tripper brennt![49] Brechts Vortragskunst, von Zeitgenossen immer wieder bewundert, versetzt die Zuhörer zunächst in der Dachstube, später in den Augsburger, Münchener und Berliner Lokalen in rätselhafte Verzückung. Brecht singt, so notierte ein Zuhörer, «mit einer hinreißenden Leidenschaft, trunken von seinen eigenen Versen […], und machte die, die ihm zuhörten, wiederum trunken […]»[50]. Carl Zuckmayer wird später von den «rauh und schneidend» vorgetragenen Liedern «völlig benommen, aufgerührt verzaubert»[51] sein. Täglich entstehen neue Texte, sie stärken Brechts dichterisches Ego, sodass er bald schon kokettierend verkündet, es könne keinen Gott geben, weil er es sonst nicht aushielte, kein Gott zu sein.

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Revolution und frühes Erwachsensein

Am 7. November 1918 endet die achthundertjährige Herrschaft des Hauses Wittelsbach in Bayern, zwei Tage später dankt der deutsche Kaiser ab. In München ruft Kurt Eisner die Republik aus, Brecht aber nimmt von der Revolution kaum Notiz. Zwar gehört er kurzzeitig dem Augsburger Arbeiter-und-Soldaten-Rat an, doch schlägt sich dieses Engagement weder in Briefen noch Tagebucheintragungen nieder. Die Familie und auch die Mehrzahl der Freunde betrauern den verlorenen Krieg und stehen der neuen politischen Ordnung fern. Dem noch unpolitischen Brecht, dessen Briefe in diesen Wochen ausschließlich von privaten Themen beherrscht werden, sind die neuen Verhältnisse gleichgültig: […] ich unterschied mich kaum von der überwältigenden Mehrheit der übrigen Soldaten, die selbstverständlich von dem Krieg genug hatten, aber nicht imstande waren, politisch zu denken.[52] Während die Revolution bei einigen Schriftstellerkollegen radikale politische Hoffnungen auslöst, konzentriert sich Brecht auf seine schriftstellerischen Projekte, dichtet, wie etwa im Himmel der Enttäuschten, gegen die aufkeimenden gesellschaftlichen Utopien und sieht die vielbeschworene Zukunft der Revolutionäre eher nüchtern, nämlich nackt und frierend zwischen dem Gestein[53]. Im Gesang des Soldaten der roten Armee warnt er gar davor, der roten, unmenschlichen Fahne hinterherzulaufen, um später mit blutbefleckten, leeren Händen[54] dazustehen. Brecht bezieht die Position des unbeteiligten, skeptischen Beobachters, der weder an das Ideal einer gewaltlosen Revolution glaubt noch den Preis einer gewaltsamen Revolution verteidigen kann. Ganz gegen den Zeitgeist traut er den revolutionären Verheißungen nicht. Auch für jenes sowjetische Gesellschaftsexperiment, dem einmal seine größte Bewunderung gelten wird, zeigt er noch wenig Interesse: Ich bin jetzt sehr gegen den Bolschewismus: Allgemeine Dienstpflicht, Lebensmittelrationierung, Kontrolle, Durchstecherei, Günstlingswirtschaft. Außerdem im günstigsten Fall: Balance, Uniformierung, Kompromiß.[55] Statt aufs Kollektiv setzt der Brecht dieser Jahre noch ganz auf den rücksichtslosen Lebensgenuss; die Maximen des realkommunistischen Reichs beleidigen seinen individuellen Anspruch auf Annehmlichkeiten: Ich danke fürs Obst und bitte um ein Auto.[56] Er bleibt unabhängiger Beobachter und lässt sich politisch auf keines der kämpfenden Lager ein. Die Revolution hinterlässt allenfalls stoffliche Spuren in seinem Werk. Überschüssige Zeit und Energie bleiben ganz dem Privatleben vorbehalten.

Das erste Friedensjahr überrascht den Einundzwanzigjährigen mit einer unerwarteten Vaterschaft. Paula Banholzer, die schwangere Geliebte, wird von ihrem Vater gezwungen, das Kind heimlich außerhalb Augsburgs zur Welt zu bringen. Frank, Brechts erster Sohn, wird nie ein familiäres Zuhause haben, man reicht ihn unter fremden Familien und entfernten Verwandten herum; als Vierundzwanzigjähriger fällt er auf Hitlers Russlandfeldzug. Schmerzhafte Ereignisse im Jahr 1920 machen Brecht klar, dass die unbeschwerte Jugend hinter ihm liegt. Er schreibt: Jetzt ist meine Mutter gestorben, gestern, auf den Abend, am 1. Mai! Man kann sie mit den Fingernägeln nicht mehr auskratzen![57] Das jahrelange Krebsleiden der Mutter hatte die Schulzeit Brechts mit Angst überschattet. Der Tod trifft ihn, der seine Emotionen strikt kontrolliert und in sich trägt, wie ein Schlag: Aber das Wichtige haben wir nicht gesagt, sondern gespart am Notwendigen.[58] Mit dem Tod der Mutter verliert er auch das vertraute Zuhause. Der Vater, der das Dichterleben seines Sohnes bis dahin mit größter Nachsicht hingenommen und auch finanziert hatte, erwartet nun vorzeigbare Erfolge eines Studiums, das Brecht inzwischen stark vernachlässigt hat. Im November 1921 wird Brecht exmatrikuliert, weil der Medizinstudent sich zu keiner Vorlesung mehr eingeschrieben hatte. Über sein angespanntes Verhältnis zum Vater notiert er: Er möchte wissen, was ich schon für die Allgemeinheit getan hätte, noch rein gar nichts. […] Er wolle jetzt einmal eine ernste Arbeit bei mir sehen. Das, was ich mit meiner Literatur getan hätte, halte er persönlich für gar nichts. Das müsse sich erst noch beweisen. Ich ging schnell hinaus. […] Ich habe noch nichts verdient.[59]

 

Der Dichter Brecht ist im Jahr 1920 trotz eines schon beachtlichen Œuvres in der Öffentlichkeit nicht präsent. Er schreibt fleißig für die Schublade, Resonanz findet er allenfalls im Freundeskreis, dem er seine Texte vorträgt und der an seinem schriftstellerischen Können keinen Zweifel hegt. Allerdings plagt den Dichter die Frage, wie er mit dem Schreiben seine und die Existenz seines Sohnes finanzieren könne. So lockt ihn die Vorstellung, mit Drehbüchern schnelles Geld zu verdienen. Sein Tagebuch dokumentiert, wie sehr er sich mit Stoffen und Projekten herumschlägt, die von seinen literarischen Interessen weit entfernt sind und die ihn tief ins Kolportagefach hineinführen. Titel wie Königskinder, Maras Tochter oder Der Brillantenfresser illustrieren die Hemmungslosigkeit, mit der sich Brecht auf triviales Terrain vorwagt. Bitter gesteht er sich ein: Ich schmiere Filme und verplempere mich.[60] Es sind erfolglose Versuche, die ihn dem ersehnten Geld nicht näher bringen. Einnahmen hat er nur durch seine Theaterkritiken, die er seit 1919 im «Volkswillen», der Tageszeitung der Augsburger Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, veröffentlicht. Brecht profiliert sich darin als ein radikal subjektiver Kritiker, der seinem Unmut über das Augsburger Provinztheater freien Lauf lässt und dabei den Skandal nicht fürchtet. Arrogant appelliert er an die Augsburger, doch mit ihrer lieben Gewohnheit, ein schlechtes Schauspiel zu haben, gelegentlich zu brechen[61]. Besucher beschweren sich über gewisse Flegeleien des ungewöhnlich jungen Kritikers: «[…] daß er während der Aufführung fortgesetzt lacht […], daß er nach jedem Bild, obwohl er dadurch 5 oder 6 Besucher zum Aufstehen veranlassen mußte, hinausging und regelmäßig zu spät wieder hereinkam»[62]. Die Theaterleitung verweigert dem Rezensenten zeitweise die Eintrittskarten, die Beleidigungsklage einer Schauspielerin setzt seiner Kritikertätigkeit schließlich ein Ende.

 

Der Schriftsteller Brecht fühlt sich inzwischen reif für die Öffentlichkeit, er muss dringend Verlage und Theater von sich überzeugen. Theater wie die Augsburger Bühne zieht er dabei nicht in Erwägung, sein Selbstverständnis verlangt nach bedeutenderen Spielstätten: Wiewohl ich erst 22 Jahre zähle, aufgewachsen in der kleinen Stadt Augsburg am Lech, notiert er,