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Beschreibung

Man kann nicht alles wissen! Das ist jedoch noch lange kein Grund, beschränkt durch die Welt zu gehen. Denn es gibt viele Fragen, deren Antworten zu wissen sich lohnt: Was z. B. verrät der Mittelfinger einer Frau über ihr Sexleben? Und wie viel muss man verdienen, damit man glücklich ist? Warum lohnt es sich, auf sein Bauchgefühl zu vertrauen? Diese und weitere Fragen beantworten Wissenschaftler in der Sendung «Die Profis» auf radioeins (rbb). Das Buch versammelt die besten Beiträge aus Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften: Wie lernen Medizinstudenten von Dr. House? Warum flüstert man Liebesgeständnisse besser ins linke Ohr? Was wäre geschehen, hätte Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen? Wie definiert man Zeit? Erweitern Sie Ihren Horizont mit den «Profis» – Aha-Effekte und Unterhaltung garantiert.

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Seitenzahl: 335

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Die Profis (Hg.)

Beschränkt ist der große Bruder von blöd

Klüger werden leichtgemacht

Ausgewählt und zusammengestellt von Frank Bruder

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Am roten Teppich1. Bier holen für die Wissenschaft – eine Einführung2. Fröhliche Forschung – Kurioses aus den LaborenWale versenkenGemeinschaftlich trägeVerrückt sind immer nur die anderenDie Mysterien des AlltagsForschung auf Toiletten und in StriplokalenEin Preis für kuriose wissenschaftliche ForschungenIn welches Ohr flüstert es sich am besten?Tetris ist mehr als bloßer ZeitvertreibGetanzte ThesenElfenforschung3. Warum Klatsch und Tratsch wichtig sind – Verständnisvolle WissenschaftWortlos kommunizierenSind Lügen besser als ihr Ruf?Namhafte VerbrecherNamen bestimmen unser SchicksalDie Welt ist ein DorfEinsamkeit steckt an4. Gesundes Know-how – Körperbetonte ErkenntnisseWer nicht krank ist, muss noch lange nicht gesund seinDie Macht der Gedanken – Warum Homöopathie nicht wirktDer Nocebo-EffektGenießen Sie Ihre HalluzinationIndianer leiden wenigerDie heilende Kraft des SingensLernen von Dr. HousePfusch an ProminentenUnser saftiges InneresDr. «Feel-Good»5. Liebe und Lust – Sex unter LaborbedingungenWissenschaft der UmarmungenFremdgehen für die ForschungSensible StellenRätsel FrauWenn Sex auf den Punkt kommtWenn aus Lust Leid wird – SexsuchtLiebesgedichte für den Traktor6. Bewegte Forschung – Methodisch zu HöchstleistungenSportliche FarbenlehreNehmt Rücksicht auf die KleinenPsychologische KriegsführungMythen im SportFußballprofis im TestlaborDie Grenzen der RekordjagdDie unpatriotischen Deutschen7. Tierisch kreativ – Sex im TierreichSex macht starkWie beim MenschenVortäuschung sexueller TatsachenDer heimliche GeliebteWie man auch als Feigling zum Stich kommtDie Farbe der LiebeProstitution und Pornographie unter AffenGrenzenlose SexualitätDie Liebe zu Tieren8. Das kriminelle Leben – Verbrechen im VisierDas BöseKehrtwende zum Guten?Männer sind SchweineGibt es ein Selbstmörder-Gen?Wiederholungen verhindernDer Feind am ArbeitsplatzHafterfahrungen, die unter die Haut gehenVon Profilern und anderen KrimimythenWagner im SektionssaalKannibalismus in Deutschland9. Über den Verstand hinaus – Religion, Glaube, ÜbersinnlichesDie Vermessung des GlaubensReligiöser FundamentalismusDie GottesfrageKann der Glaube Schmerzen lindern?Wo sitzt der Glaube im Gehirn?Religion als EvolutionsvorteilGott und die Tierwelt10. Perspektiven der Zeit – Die Geschichte mit der GeschichteDer Mensch und seine katastrophale GeschichteDurch Überfluss und Rausch zur KulturEin 3000 Jahre alter FallDas Grab des HerodesAlles nur geklautDie archivierten Penisse des VatikansNachbarn im KonfliktGeh zum Henker – er könnte dir helfen!Vergessene Persönlichkeiten der WeltgeschichteWas wäre geschehen, wenn …?11. Der Regent, den niemand versteht – Die Wissenschaft vom GeldDer Homo oeconomicusFairness rechnet sichGeld macht glücklich – aber nur verhältnismäßigGeld macht süchtigDas Kommunismus-GenLangfinger sind erfolgreicherProminente Chefs schadenBelohnung macht faulGeld muss fließen12. Das Genie in uns – Die Erforschung unseres GehirnsDas Genie sitzt zwischen unseren OhrenDas Genie anschaltenDas geniale BauchgefühlZur Genialität fehlt Ihnen lediglich die ÜbungTrainieren Sie Ihr Gedächtnis!13. Wie die Welt beschaffen ist – Große Fragen, kurz beantwortetWas ist ein Molekül?Was ist Antimaterie?Was ist Entropie?Was besagt die Chaostheorie?Was ist ein Quantensprung?Weißt du, wie viel Sterne stehen?Was besagt die Relativitätstheorie?Was ist Zeit?Was ist ein mathematischer Beweis?Was ist Schnee?Was sind Farben?Was ist Photosynthese?Was ist Osmose?14. Danksagung
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Am roten Teppich

Vorwort von Jörg Thadeusz

Samstagmorgen um neun stehe ich gern am roten Teppich. Ich weiß, sie werden kommen. Die Stars. Echte Prominente. Die natürlich wissen, dass sich dieser Begriff aus dem Lateinischen ableitet. Prominentia, das Hervorragende. Schließlich mussten die allermeisten Stars der radioeins-Sendung «Die Profis» auch Latein lernen. Unsere Stars sind Wissenschaftler. Jeder möglichen Disziplin.

Während des Aufeinandertreffens mit ihnen verbindet mich viel mit einem Teenager-Mädchen, das einen Schmusesänger ankreischt. Auch ich lasse meiner Bewunderung freien Lauf. Allerdings nicht für die Art, wie mein Star Sonnenbrillen trägt, afrikanische Kinder adoptiert oder wie er Küssen findet.

Wenn meine Stars über das Küssen reden, dann haben sie die Bakterienmenge im Speichel ausgezählt und womöglich eine immunstärkende Wirkung herausgefunden. Oder sie wissen, warum sich das menschliche Küssen gar nicht so sehr vom Schnäbeln der Vögel unterscheidet. Oder gerade doch.

Zum Glück darf ich mehr als nur mit einem Autogrammbuch winken. Ich darf fragen. Was meine Moderatorenkollegen und ich zusammengefragt haben, steht in diesem Buch.

Dabei sollte das Buch vor allem das Ziel erreichen, das wir auch mit der Radiosendung verfolgen: Sie sollen gut unterhalten sein. Gute Unterhaltung ist nach meinem Verständnis überraschend, vor allem aber immer lehrreich.

Ich habe in den vergangenen elf Jahren bei den «Profis» eine Menge gelernt: Warum ‹Beamen› möglich ist, sobald sich Menschen auf 1500 Grad erhitzen und in ihre kleinsten Einzelteile zerlegen lassen. Wie Spinnen geschlechtlich verkehren und warum das kaum romantisch zu besingen ist.

Ich habe gelernt, wie wenig lustig es eigentlich ist, mit mathematischer Unkenntnis zu kokettieren. Mit Zahlen nichts anfangen zu können, ist vor allem schade. Daraus folgt eine noch allgemeinere Erkenntnis: Blöd zu sein ist vor allem blöd.

radioeins räumt seit mehr als einem Jahrzehnt den Samstagvormittag für die «Profis» frei. Wissenschaft gedeiht am besten in Freiheit. Gutes Radio auch.

Mit der Raffinesse, mit der er dieses Buch für Sie zusammengestellt hat, gestaltet Frank Bruder seit Jahren die «Profis» im Radio. Als stiller Enthusiast. Als Bewunderer von Wissen, als Staunender, wenn Geist funkelt. Wenn ich den Eindruck habe, am Samstagvormittag an einer großen Geistesgala beteiligt zu sein, ist das vor allem auch Frank Bruders Verdienst. Denn er ist auch in der Lage gewesen, andere Redakteure zu inspirieren. Die werfen sich jede Woche ins Zeug, als wären alle 120 000 Hörer persönlich anwesend.

Die unangenehme Erkenntnis nach elf Jahren «Profis» ist auch: Wer als Ignorant durch die Welt geht, kann ein marodes Bildungssystem für seine erschütternden Lücken verantwortlich machen. Letztlich findet sich die verantwortliche Nase, an die gefasst werden muss, aber im eigenen Gesicht.

Journalisten betasten sich ungern selbst, wenn sie Fehler suchen. Es ist aber nichts anderes als ein hochmütiges journalistisches Vorurteil, Wissenschaftler seien keine guten Interviewpartner, weil sie sich unverständlich ausdrücken. Ich erinnere mich an einen Astrophysiker, mit dem ich durch ein Schwarzes Loch reiste. Der Mann sprach so verführerisch einfach, dass ich für einen Moment glaubte, ich sei mindestens nah dran, ein solches Loch berechnen zu können. Viele Wissenschaftler sind großzügige Schenker. Was sie sich in Stunden in Bibliotheken und Laboren aneignen mussten, stellen sie appetitlich verpackt den Hörerinnen und Hörern von radioeins am Samstag auf den Frühstückstisch.

Man muss sie einfach nur fragen. Mehr nicht.

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1. Bier holen für die Wissenschaft – eine Einführung

Ein Kühlschrank ist alles, was Sie brauchen, um den Unterschied zwischen Theologie, Esoterik und Wissenschaft zu begreifen. Darauf gekommen ist der Kabarettist und Physiker Vince Ebert, der in seinem Programm «Denken lohnt sich» erklärte, wie Wissenschaftler denken und wie sie vorgehen:

«Wissenschaftliches Denken ist letztlich nichts anderes als eine Methode zur Überprüfung von Vermutungen. Wenn ich also zum Beispiel vermute, dass sich im Kühlschrank Bier befindet, und nachsehe, dann betreibe ich im Prinzip schon eine Vorform von Wissenschaft. Das ist bereits ein großer Unterschied zur Theologie, in der Vermutungen, Hypothesen, nicht überprüft werden. Wenn ich lediglich sage: ‹Im Kühlschrank ist Bier›, und es dabei bewenden lasse, bin ich Theologe. Wenn ich nachsehe, bin ich Wissenschaftler. Wenn ich im Kühlschrank nachschaue, nichts finde und dennoch behaupte, im Kühlschrank sei Bier, bin ich Esoteriker. Ob sich denken wirklich lohnt, ist natürlich Ansichtssache. Es gibt zum Beispiel viele Lebewesen, Mikroorganismen wie Viren und Bakterien, die nicht gerade für ihre Geistesblitze bekannt sind, aber sich über Jahrmillionen in der Evolution behauptet haben. Wenn man sich andererseits überlegt, was wir mit diesem etwa 1,4 Kilogramm schweren und glibberigen Klumpen, unserem Gehirn, alles angestellt haben, dann sind da schon ein paar schöne Dinge dabei: Penicillin, Antibabypille, Handys mit über hundert verschiedenen Funktionen und viele andere Erfindungen, die wir zwar nicht wirklich alle brauchen, aber heute als selbstverständlich annehmen, obwohl sie das keineswegs sind, sondern Ergebnisse von Leuten, die sich irgendwann einmal sagten, dass sich das Denken lohnt.»

Diese Aussage bestätigen sicher alle, die an diesem Buch mitgewirkt haben. Es verdankt seine Entstehung zahllosen Interviews, die in den vergangenen Jahren in der populärwissenschaftlichen Sendung «Die Profis» auf radioeins, einem Hörfunkprogramm des rbb, mit Wissenschaftlern, Forschern, Technikern, Experten und Journalisten aus nahezu allen Bereichen und Disziplinen geführt wurden. Viele der im Folgenden nachzulesenden Erkenntnisse wurden von diesen «Profis» selbst erforscht, manche Wissenschaftler bereiteten das Wissen ihres Arbeitsgebietes aber auch einfach nur selbstlos und im Sinne wahrer Aufklärer für ein breites Publikum so auf, dass man davon auch ohne langes Studium profitieren kann.

Das Buch folgt dieser Vorgabe der «Profis». Zur Vertiefung der einzelnen Themen finden Sie jeweils Hinweise zu den Büchern, die in aller Regel auch Grundlage und Anlass der hier wiedergegebenen und für die Schriftform leicht veränderten Interviews waren.

Eine Sonderrolle nimmt der Kriminalbiologe Mark Benecke ein, der jeden Samstag in seiner festen Kolumne bei den «Profis» nicht nur über sein eigenes Forschungsgebiet berichtet, sondern auch über die neuesten Studien aus aller Welt und daher häufiger im Buch erscheint als andere.

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2. Fröhliche Forschung – Kurioses aus den Laboren

«Auf unserem Gebiet gibt es eigentlich nichts Kurioses.» Diesen Satz hörte der Journalist Reto Schneider immer wieder, als er um das Jahr 2000 damit begann, bei Wissenschaftlern nachzufragen, ob sie ihm Experimente nennen könnten, die skurril, kurios oder gar verrückt anmuten. Schneider recherchierte für seine Kolumne «Das Experiment» im NZZ Folio und hatte bereits selbst einige Schätze aus der skurrilen Abteilung der Wissenschaftsgeschichte gehoben.

Als er von Meeresbiologen die erwähnte Standardantwort erhielt und nur zwei Tage später auf eine Studie stieß, die beschrieb, wie ein Ozeanograph im Dienste der Wissenschaft Walkadaver versenkte, ahnte Schneider, dass er sich an die Falschen wendete. Wissenschaftler sind zwar von Natur aus neugierig, aber offenbar nur selten in der Lage zu beurteilen, welche ihrer Forschungsanstrengungen Außenstehende mitunter ein wenig merkwürdig finden könnten. Also machte er sich selbst auf die Suche und versammelte seine Funde in «Das Buch der verrückten Experimente»[1].

Wale versenken

Craig Smith von der Universität von Hawaii hatte erstmals 1983 versucht, einen Wal in 2000 Meter Tiefe zu befördern. Er wollte herausfinden, was dort mit dem organischen Material passiert. Da sich nach dem Tod im Inneren des Wals Gärgase bildeten, trieb der Kadaver immer wieder auf. Ein Sturm beendete schließlich das Experiment, Smith musste zurück an Land, der Walkadaver wählte die andere Richtung. 1988 gelang es Smith zwar endlich, einen Wal auf den Meeresboden zu überführen, allerdings konnte er anschließend kein U-Boot auftreiben, um das verwesende Tier dort auch zu untersuchen. Doch wie ein wahrer Held gab Smith nicht auf. 1992 versuchte er es erneut, und 700 Kilogramm Schrott Beschwerung sorgten dafür, dass das Tier in eine Tiefe von 1920 Meter sank. Mitglieder aus seiner Crew feuerten zudem mit Pistolen auf den sinkenden Kadaver. Reto Schneider zitiert Smith dazu mit den Worten: «Das hilft zwar nichts, aber es gibt ihnen das Gefühl, Teil des Projekts zu sein. Es ist ein sehr amerikanisches Verhalten.»

Abermals hatte Smith Probleme, ein U-Boot aufzutreiben. Diesmal fehlte das Geld. Erst 1995 gelang es ihm, eine Expedition zu finanzieren und «seinen» Wal am Meeresgrund aufzusuchen. Zu diesem Zeitpunkt war von dem Tier nur noch das Skelett übrig. Bei späteren Experimenten konnte Smith beobachten, dass in den ersten sechs Monaten große Aasfresser wie Schleimaale und Schlafhaie den Kadaver zersetzten. Muscheln, Würmer und Schnecken machten sich dann über den Rest her. Smith berechnete, dass ein toter Wal rund 80 Jahre lang anderen Tieren Nahrung bietet. Die Walkadaver leisten also einen bedeutenden Beitrag zum Ökosystem der Tiefsee. So verrückt Smiths Experimente auf den ersten Blick auch aussehen, ihr Erkenntniswert ist doch alles andere als banal.

Gemeinschaftlich träge

«Dass ich ein Experiment in meinem Buch als verrückt bezeichne, heißt noch lange nicht, dass es unbedeutend ist», so Schneider. «Ich beschreibe in meinem Buch sehr wichtige Experimente, vor allem aus der Psychologie. Dort wird zum Beispiel eine wichtige Erkenntnis mit dem Schlagwort ‹Verantwortungsdiffusion› bezeichnet. Dahinter verbirgt sich folgender Effekt: Wenn Sie in Not geraten, weil Sie zum Beispiel beim Schwimmen in einem See zu ertrinken drohen, steht es besser um Sie, wenn nur wenige Leute am Ufer stehen. Wenn nur eine Person Sie sieht, fühlt sie sich gedrängt, Ihnen zu helfen. Befinden sich dort hingegen zehn Leute, denkt jeder für sich: ‹Der andere wird das schon machen.›

Das Experiment dazu haben sich zwei amerikanische Sozialpsychologen ausgedacht. John Darley und Bibb Latané lasen in der New York Times einen Artikel, demzufolge achtunddreißig achtbare und gesetzestreue Bürger in Queens untätig einem Mord auf offener Straße zugeschaut hatten. Darley und Latané konnten nicht glauben, dass all diese Zeugen überdurchschnittlich schlechte Menschen waren. Ihre Vermutung war vielmehr, dass die große Zahl der Anwesenden für die kollektive Tatenlosigkeit verantwortlich war. Um diese These zu überprüfen, baten sie Probanden unter dem Vorwand in einen Raum, dort einen Fragebogen auszufüllen. In diesen Raum wurde durch eine Lüftung Rauch eingeblasen, sodass die Menschen glauben mussten, es würde brennen. Befand sich dort nur eine Person, stürzte sie sofort nach draußen und warnte andere vor der Gefahr. Waren die Versuchspersonen zu dritt, warteten sie meist einfach ab, teilweise so lange, bis sie den Fragebogen vor ihren eigenen Augen nicht mehr sehen konnten. Jeder dachte, der andere werde schon eingreifen. Es gab also auch ein Definitionsproblem: ‹Wenn die anderen nichts tun, wissen sie vielleicht mehr als ich. Es handelt sich vermutlich gar nicht um einen Notfall.›»

 

Das 1970 veröffentlichte Experiment gilt als eines der bedeutendsten der Sozialpsychologie. Wie sich im Nachhinein allerdings herausstellte, verdankt es seinen Ursprung den ungenauen Recherchen des Journalisten, der damals über den Vorfall in Queens berichtete. Denn die meisten Zeugen des Mordes hatten gar nichts gesehen, manche zwar etwas gehört, die Geräusche aber für den Streit eines Paares gehalten. Und einer der Zeugen hatte sogar die Polizei alarmiert. Darley empfiehlt übrigens Menschen in Notsituationen, einzelne Personen aus der Gruppe der Umstehenden direkt anzusprechen und um Hilfe zu bitten. So könne die Diffusion der Verantwortung aufgebrochen werden. Ebenfalls hilfreich ist das Wissen um das Experiment von Darley und Latané: Menschen, die es kennen, helfen doppelt so häufig wie die anderen.

Verrückt sind immer nur die anderen

Ergänzend zu seinen Büchern hat Reto Schneider eine Internetseite eingerichtet, auf der man sich zahlreiche Filme zu den Experimenten ansehen kann. Schneider bat die Besucher von www.verrueckteexperimente.de und der englischen Schwesterseite www.weirdexperiments.com, das ihrer Meinung nach verrückteste Experiment aller Zeiten zu wählen. Auf Platz eins dieser Liste landete «Die drei Christusse von Ypsilanti» aus dem Jahr 1959, das auch Schneider als sein persönliches Lieblingsexperiment nennt: «Durchgeführt wurde es vom amerikanischen Psychologen Milton Rokeach in der psychiatrischen Klinik Ypsilanti in der Nähe von Detroit. Rokeach untersuchte, was passiert, wenn er drei Psychotiker zusammenbringt, die alle drei glauben, sie seien Jesus. Rokeach hoffte, dass er sie so vielleicht heilen könnte. Aber wenn er sie fragte, ob sie immer noch glauben, dass sie Jesus seien, obwohl doch zwei weitere Personen dasselbe behaupteten, dann hatten sie logische Erklärungen dafür parat. Einer sagte: ‹Sie sind nicht wirklich am Leben. Maschinen in ihnen sprechen. Nimm die Maschinen raus, und sie werden nicht mehr sprechen.› Der Zweite glaubte, die beiden anderen wollten nur Jesus sein, um Prestige zu gewinnen. Und der Dritte erklärte mit entwaffnender Logik, die beiden anderen könnten nicht Jesus sein, da sie schließlich in einer psychiatrischen Anstalt lebten. In einer seiner Gesprächssitzungen las Rokeach den drei ‹Christussen› einen Artikel aus der Lokalzeitung vor, der von dem Experiment handelte. Auf die Frage, was sie von den drei Personen hielten, erhielt er die klare Antwort: ‹Die sind verrückt.›»

Zwei Jahre lang versuchte Rokeach vergeblich, die drei Männer dazu zu bringen, sich damit auseinanderzusetzen, dass sie nicht alle drei Jesus Christus sein konnten. Im August 1961 gab er auf. Die drei Männer weigerten sich, um ihre Identität mit den anderen zu streiten, und zogen es vor, zu sein, für wen sie sich hielten.

Die Mysterien des Alltags

Auch wenn die drei Christusse aus Ypsilanti uns verrückt erscheinen mögen, in einem Punkt zumindest gibt die jüngere Forschung ihnen recht: So zufällig uns unsere Eigennamen auch gegeben werden, nehmen sie offenbar doch Einfluss auf unser Leben. Diese Erkenntnis verdanken wir u.a. der Wissenschaft der Quirkologie. Der Journalist Joseph Scheppach erklärt, worum es in diesem noch jungen Forschungszweig geht: «Quirkologie leitet sich von dem englischen Wort ‹quirky› ab, das schrullig bedeutet. Man könnte also auch von ‹Schrullologie› sprechen. Hierbei handelt es sich um eine wissenschaftliche Disziplin, in der die erstaunlichsten Aspekte des Alltags und des menschlichen Verhaltens erforscht werden. Mit Hilfe der Quirkologie werden psychologische Vorgänge untersucht, die sich hinter unserem alltäglichen Verhalten verbergen. Ihr Begründer ist Richard Wiseman, der Leiter des Forschungszentrums der Psychologischen Fakultät an der Hertfordshire University in Großbritannien.[2] Wiseman – ein sehr aufgeweckter, glatzköpfiger Brite – hat seine professionelle Karriere als Zauberkünstler begonnen, bevor er sein Psychologiestudium aufnahm und sich mit der Quirkologie beschäftigte. Er untersuchte Wissenschaftsfelder, die bisher eher stiefmütterlich behandelt wurden, wie zum Beispiel den Einfluss von Namen auf ihre Träger. Wiseman analysierte dafür Unterlagen von Volkszählungen und entdeckte, dass bestimmte Vornamen in den Bundesstaaten der USA überrepräsentiert sind. So wohnen zum Beispiel sehr viele Florences in Florida. Diese Häufung hatte nichts damit zu tun, dass Eltern ihre Kinder zuweilen nach ihren Geburtsorten benennen. Wiseman konnte nachweisen, dass die Menschen tatsächlich von den Wohnorten angezogen wurden, deren Namen ihren eigenen ähnelten. Weiterhin hat er untersucht, ob Menschen häufiger einen anderen Menschen heiraten, dessen Vorname mit dem gleichen Buchstaben beginnt wie der eigene, ob Philipps also Frauen mit Namen wie Phyllis oder Pheline bevorzugen. Zu diesem Zweck hat er Tausende von Heiratsurkunden durchforstet und tatsächlich verblüffende Gesetzmäßigkeiten festgestellt. Die Zahl der Paare, bei denen der Familienname beider Partner mit dem gleichen Buchstaben beginnt, ist tatsächlich signifikant höher, als man das allein aufgrund des Zufallsprinzips erwarten kann.»

Richard Wiseman sieht die Quirkologie als eine Teildisziplin der Verhaltensforschung und betreibt sie mit vollem Ernst. Seine Studien sind daher solide angelegt und werden statistisch sauber ausgewertet. Als Begründer des Forschungsgebiets, gewissermaßen als seinen geistigen Urahn, nennt Wiseman den viktorianischen Wissenschaftler Sir Francis Galton. Um zu ermitteln, wie langweilig die Vorlesungen seiner Kollegen waren, zählte Galton beispielsweise, wie oft Zuhörer während des Vortrags herumzappelten. Keine Angst anzuecken hatte Galton offenbar auch, als er sich an die Erstellung einer Schönheitskarte Großbritanniens machte. Mit einem Zählapparat in der Tasche ging er dafür durch die Hauptstraßen der großen Städte und hielt fest, ob die Vorübergehenden gut, mittelmäßig oder schlecht aussahen. Für Aberdeen fiel die Statistik vernichtend aus, London dagegen war für Galton eine Augenweide.

Forschung auf Toiletten und in Striplokalen

Ganz ins Galtons Tradition scheut auch Wiseman keine Mühen, um Dinge zu untersuchen, für die sich vor ihm noch kein Forscher Zeit genommen hat.

Bereits die Studienorte von Wiseman sind ungewöhnlich, wie Joseph Scheppach ausführt: «Er hat sich zum Beispiel auf öffentlichen Toiletten herumgetrieben. Dort gelangte er zu der Erkenntnis, dass Trinkgelder reichlicher klimpern, wenn der Kunde unter Beobachtung steht. Das wusste zwar jede Klofrau schon vor Wiseman, aber erst seit seiner Studie ist auch bekannt, dass sie gar nicht persönlich neben dem Münzenteller sitzen muss. Es genügt, ein Blatt Papier hinzulegen, das mit einem stilisierten Augenpaar bemalt ist – und schon steigen die Einnahmen.»

Wie Reto Schneiders Sammlung verrückter Experimente zeigt, ist Wiseman nicht der einzige Wissenschaftler, der in den Augen anderer eher abwegige Forschungsfelder beackert. Geoffrey Miller, Joshua Tyber und Brent Jordan führte ihr Forscherdrang sogar in amerikanische Striplokale. Miller, Professor für Psychologie an der Universität New Mexico, und seine Kollegen wussten aus früheren Forschungen, dass Männer Frauen dann am attraktivsten finden, wenn diese ihren Eisprung haben, also in den Tagen, an denen die Frauen am fruchtbarsten sind. Um dies außerhalb von Laborbedingungen zu überprüfen, suchten Miller und seine Kollegen Tabledance-Lokale auf. Dort tanzen die Stripperinnen sehr nah vor den Männern. Der einzig erlaubte Kontakt zwischen Gast und Tänzerin ist das Zustecken von Geldscheinen. Und genau diese Menge der eingenommenen Trinkgelder interessierte die Forscher, war und ist sie doch eine verlässliche Größe dafür, wie attraktiv die Männer die jeweilige Frau finden. Im Durchschnitt verdiente eine der 18 befragten Tabledancerinnen 250US-Dollar in einer fünfstündigen Schicht. Hatten sie ihren Eisprung, erhöhte sich diese Summe auf 350–400US-Dollar. Für diese Forschung erhielten Miller und seine Kollegen 2008 den Ig-Nobelpreis in der Kategorie «Wirtschaft». In einem Interview sagte Miller damals, er habe gehört, dass einige der Tabledancerinnen ihre Schichten seither auf die Tage ihres Eisprungs legen.

Ein Preis für kuriose wissenschaftliche Forschungen

Der Ig-Nobelpreis wird seit 1991 mit dem Ziel verliehen, «das Ungewöhnliche zu feiern, den Einfallsreichtum zu ehren und das Interesse der Menschen an Wissenschaft, Medizin und Technik anzuspornen»[3]. Der Name des Preises spielt natürlich auf Alfred Nobel und die nach ihm benannte Auszeichnung an sowie auf das englische Wort «ignoble», das mit «gemein», «unwürdig», «unedel» oder «unehrenhaft» übersetzt werden kann. Seit die Wissenschaftszeitschrift Nature über den «Anti-Nobelpreis» schrieb, er ehre Forschung, «über die man zuerst lacht und dann nachdenkt», ist dies auch das Motto der jährlich im Oktober stattfindenden Preisvergabe in der Universität von Harvard. Einer der ersten Preisträger war Erich von Däniken. Er erhielt die Auszeichnung in der Kategorie «Literatur» für seine Erklärung, wie die menschliche Zivilisation durch Astronauten aus dem Weltraum beeinflusst wurde. Im gleichen Jahr erhielt auch Edward Teller den Preis in der Kategorie «Frieden». Der Vater der Wasserstoffbombe wurde damit für seinen lebenslangen Einsatz geehrt, die Bedeutung des Wortes «Frieden» zu verändern.

Hier einige weitere Beispiele für Forschungen, die das Ig-Nobelpreis-Komitee für preiswürdig hielt:

«Übertragung von Gonorrhöe durch Gummipuppen», Bericht von Ellen Kleist aus Nuuk und Harald Moi aus Oslo (1996, Kategorie «Volksgesundheit»).

«Auswirkung von Ale, Knoblauch und saurer Sahne auf den Appetit von Blutegeln», Studie von Anders Barheim und Hogne Sandvik aus Bergen (1996, Kategorie «Biologie»).

Carl J. Charnetski, Francis X. Brennan und James F. Harrison für die Erkenntnis, dass das Hören von Fahrstuhlmusik die Bildung von Immunglobulin A anregt und so möglicherweise Erkältungen vorbeugt (1997, Kategorie «Medizin»).

«Hühnerrupfen als Maß für Windgeschwindigkeit in Tornados», Bericht von Bernard Vonnegut (1997, Kategorie «Meteorologie»).

Len Fisher aus Bristol für die Berechnung der optimalen Art, einen Keks zu tunken (1999, Kategorie «Physik»).

George und Charlotte Blonsky aus New York und San José für die Entwicklung eines Geräts zur Geburtshilfe, bei dem die Frau auf einen runden Tisch geschnallt wird, der dann mit hoher Geschwindigkeit rotiert (1999, Kategorie «Apparatemedizin»).

«Asymmetrie der Hoden beim Menschen und bei antiken Skulpturen», ausgewogener Bericht von Chris McManus von der Universität London (2002, Kategorie «Medizin»).

Entwicklung von «Murphys Gesetz» – «Wenn es zwei oder mehr Wege gibt, etwas zu tun, und einer der Wege zu einer Katastrophe führt, dann wird jemand genau diesen Weg einschlagen» – durch John Paul Stapp, Edward A. Murphy und George Nichols (2003, Kategorie «Ingenieurswissenschaft», als rückwirkende Ehrung der 1949 entstandenen Erkenntnis «Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen». Die drei Preisträger arbeiteten 1949 an einem offenbar fehlerfreudigen Raketenschlittenprogramm der US Air Force).

«Die einzigartig simple Persönlichkeit von Politikern», Bericht von Gian Vittorio Caprara und Claudio Babaranelli aus Rom sowie Philip Zimbardo von der Stanford University (2003, Kategorie «Psychologie»).

«Hühner bevorzugen schöne Menschen», Bericht von Stefano Ghirlanda, Liselotte Jansson und Magnus Enquist aus Stockholm (2003, Kategorie «Interdisziplinäre Forschung»).

Jilian Clarke für seine «5-Sekunden-Regel», die besagt, dass man Dinge, die keine 5 Sekunden auf dem Boden gelegen haben, noch essen kann (2004, Kategorie «Volksgesundheit»).

Donald J. und Frank J. Smith für die Patentierung des «Comb over», einer Technik, mit der sich eine Halbglatze durch das verbliebene Resthaar kaschieren lässt (2004, Kategorie «Technik»).

Ivan R. Schwab, Davis und Philip R. A. May für ihre Studie, warum Spechte keine Kopfschmerzen bekommen. Es gibt mehrere Gründe: Das Gehirn der Spechte ist von wenig Gehirnflüssigkeit umgeben, sitzt relativ fest und wird daher nicht gegen die Schädeldecke geschleudert. Außerdem hilft der Knochenaufbau: Der Schnabel ist gerade und verläuft in der Verlängerung unter dem Gehirn. Die Energie beim Schlagen wird daher nicht ans Gehirn abgegeben, sondern abgelenkt. Diese Ablenkung wird verstärkt durch biegsame Knochenelemente und starke Muskeln, die den Schädel umgeben. Diese Muskeln werden kurz vor dem Schlag so angespannt, dass sie wie Stoßdämpfer wirken. Außerdem schließt der Specht unmittelbar vor dem Aufprall die Augen, damit sie nicht herausfallen (2006, Kategorie «Ornithologie»).

Howard Stapleton für die Erfindung eines «Mosquito» genannten Geräts, das hochfrequente Töne aussendet, die nur für Jugendliche, nicht aber für Erwachsene über 25 hörbar sind. Erstmals zum Einsatz kam der «Mosquito» vor einem kleinen Laden in Wales. Stapletons Tochter war dort zuvor von einer Gruppe Jugendlicher belästigt worden, die immer vor dem Geschäft herumgelungert hatten. Der «Mosquito» machte dem Treffpunkt ein Ende, indem er einen hochfrequenten, nervigen Piepton aussendete, den nur die Jugendlichen wahrnahmen. Mittlerweile wird die Technik aber auch für Klingeltöne eingesetzt, die Schüler hören können, nicht aber ihre Lehrer (2006, Kategorie «Frieden»).

«Beendigung von unbehandelbarem Schluckauf durch rektale Fingermassage», Bericht von Francis M. Fesmire sowie Majed Odeh, Harry Bassan und Arie Oliven, für ihre Fallstudie, die unter dem gleichen Titel erschien (2006, Kategorie «Medizin»).

Nachweis, dass Malaria übertragende weibliche Moskitos von Limburger Käse in gleicher Weise angezogen werden wie vom Geruch menschlicher Füße, erbracht durch Bart Knols und Ruurd de Jong (2006, Kategorie «Biologie»).

Ratten können manchmal nicht unterscheiden, ob jemand Japanisch oder Niederländisch rückwärtsspricht, bahnbrechende Erkenntnis von Juan Manuel Toro, Josep B. Trobalon und Núria Sebastián-Gallés (2007, Kategorie «Linguistik»).

Forschung an der «Schwulenbombe» durch das Air Force Wright Laboratory in Ohio, die aus kampfbereiten Soldaten sexsüchtige Homosexuelle machen soll, die sich gegenseitig so unwiderstehlich finden, dass sie zwanghaft übereinander herfallen (2007, Kategorie «Frieden»).

Diamanten können aus Flüssigkeit hergestellt werden, insbesondere aus Tequila, bewiesen durch Javier Morales, Miguel Apatiga und Victor M. Castano aus Mexiko (2009, Kategorie «Chemie»).

Als Mitglied des Ig-Nobelpreis-Komitees berichtet Mark Benecke häufig in seiner Kolumne bei den «Profis» über kuriose Forschungen, denn er ist auch Mitherausgeber der AIR (Annals of Improbable Research), die an der Harvard-Universität (USA) die jährliche Verleihung des Ig-Nobelpreises veranstaltet.[4] Auch wenn es sich dabei nicht immer um künftige Preisträger eines Ig-Nobelpreises handelt, unterhaltsam und gleichzeitig informativ sind diese Studien immer, wie zum Beispiel die Antwort auf die Frage:

In welches Ohr flüstert es sich am besten?

Psychologen wissen schon seit längerem, dass unser Gehirn in zwei verschiedene Hälften geteilt ist, die miteinander verbunden sind. Die sogenannte hemisphärische Asymmetrie beschreibt den Umstand, dass die beiden Gehirnhälften nicht identisch sind, woraus sich wiederum unterschiedliche Fähigkeiten ableiten. Irgendwann hat man sich der Frage zugewandt, was eigentlich passiert, wenn man zum Beispiel ins rechte Ohr spricht. Die Verarbeitung erfolgt dann primär in der linken Gehirnhälfte – also über Kreuz. Umgekehrt gilt: Spricht man ins linke Ohr, wird das primär in der rechten Hälfte verarbeitet. Und das wiederum führt zu unterschiedlichen Reaktionen, weil die Gehirnhälften verschieden sind.

1993 fragten sich einige Forscher, ob Lügen besser erkannt werden, je nachdem, über welches Ohr sie wahrgenommen werden. Zu diesem Zweck wurden 40 Studentinnen und Studenten Sätze vorgelesen, von denen sie nicht wussten, ob sie gelogen waren oder nicht. Die Testpersonen bekamen die Aussage «Dieses Foto gefällt mir» vom Band vorgespielt. Dabei wussten sie nicht, ob diejenigen, die diese Aussage getroffen hatten, ein besonders hässliches oder ein besonders schönes Foto vor sich hatten – sie sollten sich bei ihrer Einschätzung allein auf den Tonfall verlassen.

Frauen und Männer erkannten die Lügen gleich gut bzw. gleich schlecht, je nach Standpunkt. Wurde die Lüge «Dieses Foto gefällt mir» jedoch von einer Frau vorgebracht, fiel den Probanden die Entscheidung schwerer. Mit anderen Worten: Die Lügen von Frauen waren grundsätzlich weniger leicht zu entlarven.

Am besten wurden jene Lügen erkannt, die vom linken Ohr wahrgenommen wurden. Wir erkennen die Lügen also offenbar durch die Emotionalität, mit der sie vorgetragen werden. Emotionalität ist eher in der rechten Gehirnhälfte zu verorten. Menschen, deren rechte Gehirnhälfte geschädigt wurde, etwa durch einen Unfall oder durch eine Verletzung, nehmen Aussagen meist viel zu wörtlich, ohne auf ihren emotionalen Kontext zu achten.

Es wurden weitere Experimente entwickelt: So bat man zum Beispiel professionelle Sprecher, Worte, die einen emotionalen Gehalt haben, völlig neutral vorzulesen. Dabei wurde, quasi als Nebenerkenntnis, festgestellt, dass kein Wort weniger emotionale Regionen im Gehirn anspricht als «vakant». Zu den emotionalen Wörtern gehören dagegen natürlich «Liebe», «Hass», «Freude» und so weiter. Mit diesen Wörtern wurden erneut Lügen gebildet, die die Probanden erkennen sollten. Sie schafften es auch diesmal nicht. Das Gehirn kann aber erkennen, welchen emotionalen Wert etwas hat, auch dann, wenn es neutral ausgesprochen wird. Wird es ins linke Ohr hineingesprochen, dann kann die rechte Gehirnhälfte, die bei der Emotionsverarbeitung klar im Vorteil ist, das leichter erkennen.

Der eigentliche Twist bei der Sache ist, dass sich das Gehirn die Dinge unterschiedlich merkt. Worte, die emotional wahr oder neutral ausgesprochen werden, aber einen emotionalen Inhalt haben, merkt man sich am besten, wenn sie einem ins linke Ohr gesagt werden. Liebesgeflüster, besser gesagt: wahres Liebesgeflüster, sollte man daher ins linke Ohr sprechen. Alles, was sachlich ist, wie Gebrauchsanleitungen, Fachartikel oder mathematische Lehrsätze, sollte man entsprechend ins rechte Ohr sprechen, weil es dann in der linken Gehirnhälfte verarbeitet wird, wo es sozusagen hingehört.

Das gilt allerdings in erster Linie für Dinge, die man sich langfristig merken soll – oder von denen man will, dass andere sie im Gedächtnis behalten. Überspitzt gesagt, ist es bei einer kurzzeitigen Affäre egal, in welches Ohr Zärtliches gesäuselt wird, während man bei einer lebenslangen Liebe bevorzugt das linke Ohr beflüstern sollte.

Tetris ist mehr als bloßer Zeitvertreib

1984 entwickelte der Russe Alexei Paschitnow (häufig findet man auch die englische Schreibweise Alexey Pajitnov) an der Wissenschaftsakademie in Moskau eine Art Puzzlespiel, das schließlich die Welt eroberte: Tetris. Das Prinzip des Spiels ist so simpel wie fesselnd. In ein rechteckiges Spielfeld fallen aus je vier Quadraten zusammengesetzte Figuren, die sich drehen lassen. Mal bildet die Figur eine gerade Linie, mal ist sie als eine Art Stufe angeordnet, mal als Siegertreppchen, als liegendes «L» oder als Quadrat. Sobald im Spielfeld eine Reihe lückenlos mit Quadraten gefüllt ist, verschwindet sie. Die darüberliegenden Quadrate rücken nach. Schafft es der Spieler nicht, Reihen zum Verschwinden zu bringen, ist das Spiel bald beendet. Denn von oben fallen nur so lange beständig neue Figuren ins Spielfeld, solange genügend Platz im Spielfeld für sie ist. Paschitnow erklärte die Faszination seines Spieles einmal so: «Da steckt ein psychologischer Effekt dahinter! Du erledigst ständig Aufgaben, du wirst ständig vor ein neues Problem gestellt und löst es, so gut es geht. Doch was übrig bleibt, sind nur deine Fehler. Die hässlichen Löcher auf dem Spielfeld. Also bist du stets motiviert, auch noch diese Aufgabe zu lösen!»[5]

Was genau im Gehirn passiert, wenn man Tetris spielt, haben sich Wissenschaftler unterschiedlicher Forschungseinrichtungen angesehen.

2009 schoben Forscher des Mind Research Network in Albuquerque im US-Bundesstaat New Mexico Tetris-Spieler in einen Computertomographen, um zu messen, welche Gehirnareale dabei aktiv sind. Der Clou dabei war, dass sie zwei Gruppen miteinander verglichen: Die eine Gruppe bestand aus Leuten, die angeblich noch nie Tetris gespielt hatten – zumindest durften sie die ganze Versuchszeit über nicht Tetris spielen. Die andere Gruppe bestand aus Personen, die so oft Tetris spielen durften, wie sie wollten. Weil die Testpersonen sehr jung waren, zwölf bis fünfzehn Jahre alt, beschränkte man die maximale Spielzeit auf anderthalb Stunden pro Woche. Das Ergebnis der Messungen war einerseits erstaunlich und andererseits wie erwartet. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass unser Gehirn nur aus Nerven besteht. Man kann bei diesen Nerven zwischen einer etwas helleren und einer etwas dunkleren Substanz unterscheiden. Nervenzellkörper bilden eine vorwiegend «graue Substanz», während die Nervenfasern in ihrer Gesamtheit eine «weiße Substanz» bilden. Die Nervenzellkörper, also die «graue Substanz», hatten sich durch das Tetris-Spielen vermehrt. Im Gegensatz zur nicht spielenden Kontrollgruppe wiesen die Tetris-Spieler zudem eine gesteigerte Gehirnaktivität auf. Jetzt würde man gerne ausgerufen: «Hurra, wer Tetris spielt, wird schlauer!» Ganz so einfach ist es jedoch nicht, denn gleichzeitig wurden andere Gehirnbereiche gehemmt. Und das wiederum entspricht dem, was man erwartet hatte: Wenn man etwas übt, zum Beispiel an der Werkbank, dann wird man immer besser darin, während andere Fähigkeiten und damit andere Gehirnbereiche eben vernachlässigt werden. Das ist eigentlich nicht weiter aufregend.

Emily Holmes von der University of Oxford kam nun aber auf die Idee, diesen Fakt ganz anders nutzbar zu machen: nämlich für Menschen, die einer traumatischen Erfahrung ausgesetzt waren und zum Beispiel einen Amokläufer miterlebten, Zeugen einer Naturkatastrophe, eines Zugunglücks, eines Krieges oder Opfer von sexuellem Missbrauch.

Emily Holmes teilte ihre Probanden in zwei Versuchsgruppen auf. Allen gemeinsam zeigte sie Fotos von Verkehrsunfällen, bei denen die Opfer sehr starke Verletzungen davongetragen hatten oder auch gestorben waren. Es waren Bilder aus Anzeigenkampagnen gegen Trunkenheit am Steuer, die es in vielen Ländern gibt. Danach durften diese Personen dreißig Minuten lang tun und lassen, was sie wollten. Eine der beiden Versuchsgruppen musste anschließend noch zehn Minuten lang Tetris spielen, während die andere sich selbst überlassen wurde.

Dabei zeigte sich, dass diejenigen, die Tetris spielten, weniger Probleme damit hatten, die gezeigten Schreckensbilder zu verarbeiten. Dabei spielt Folgendes eine Rolle: In einem Bereich des Gehirns, der Amygdala, auch Mandelkern genannt, werden Dinge, die auf den ersten Blick nicht weiter tragisch sind, mit früheren schlimmen Ereignissen gekoppelt. So kann zum Beispiel der Anblick eines Steines zu Schweißausbrüchen und anderen posttraumatischen Belastungssymptomen führen, wenn man in der Vergangenheit einmal verschüttet worden ist. Traumatische Erfahrungen führen deshalb häufig zu einer Generalisierung. Wenn Betroffene etwas hören, sehen, schmecken oder riechen, das im Zusammenhang mit dem eigentlichen Trauma steht, wird das ganze Gehirn von diesen Eindrücken überschwemmt und die entsprechenden Angstreaktionen ausgelöst. Es lohnt sich daher, die Speicherung des negativen Erlebnisses möglichst früh zu beeinflussen. Dafür steht allerdings nur eine sechsstündige Periode zur Verfügung, danach hat sich das Erlebte so verfestigt, dass man Umprogrammierungen und Auslöschungen nicht mehr vornehmen kann – außer mit aufwendigen Therapien.

Denkbar wäre daher, dass man zum Beispiel ein Vergewaltigungsopfer, das in der Gefahr schwebt, eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, bei der Polizei hinsetzt und allen Ernstes Tetris spielen lässt. Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass man dem Opfer vorher in aller Ruhe erklärt, was der Sinn der Sache ist und dass das Spielen wirklich dazu führen kann, die Belastungsstörung zu vermindern, weil im Gehirn der entsprechende Bereich anders programmiert wird. Problematisch daran ist, dass auch die Erinnerung des Opfers und damit der Wert einer möglichen Aussage vor Gericht verändert werden. Mal ganz abgesehen davon, dass dem Opfer einer Gewalttat wahrscheinlich erst mal nicht der Sinn danach steht, Computerspiele zu spielen.

Mark Benecke sieht in der Auslöschung oder Umprogrammierung bestimmter Erinnerungen aber auch einen praktischen Nutzen. «Eine Studie zeigte bereits vor Jahren, dass man sich beim Anblick von Nacktfotos erstens sehr, sehr stark konzentriert und zweitens alle kleinen Details vergisst, die im Hintergrund passieren. Wer also einen schlechten Nachmittag hatte, sollte sich am Abend einfach das Foto einer nackten Person ansehen und kann dadurch sicherstellen, dass er die Trübsal der zuletzt erlebten Stunden nicht in den nächsten Tag mitnimmt.»

Getanzte Thesen

Zu den Methoden, schlechte in gute Laune zu verwandeln, gehört sicher auch das Tanzen. Wissenschaftler sind für solche Bewegungsfreuden jedoch nicht gerade bekannt. Der Wissenschaftsjournalist John Bohannon von der Zeitschrift Science wollte dennoch wissen, ob Wissenschaftler nicht wenigstens heimlich in ihren Elfenbeintürmen das Tanzbein schwingen. Um es herauszufinden, schrieb er im Namen der Wissenschaftlervereinigung AAAS einen entsprechenden Tanzbewerb aus, den «Dance your PhD Contest» (zu Deutsch: der «Tanz-deine-Doktorarbeit-Wettbewerb»).

Den ersten Platz in der Kategorie «Post Doc» gewann 2008 die Deutsche Miriam Sach von der Universität Düsseldorf, die ihre Doktorarbeit über die «Darstellung der Hirnstrukturen bei der Bildung regulärer und irregulärer Verbformen mit der Positronen-Emissions-Tomographie: Ein Vergleich zwischen Einzel- und Gruppenanalyse» schrieb.

Es geht darum, erklärt Sach, wie regelmäßige Verben – also zum Beispiel «kochen/kochte» – und unregelmäßige Verben – zum Beispiel «singen/sang» – im Gehirn verarbeitet werden. Es gibt unterschiedliche Modelle, die unterschiedliche Verarbeitungen voraussagen. So gibt es Modelle aus der Psycholinguistik, die davon ausgehen, dass beide Verben in einem gemeinsamen System verarbeitet werden, wohingegen sogenannte dualistische Modelle davon ausgehen, dass die Verarbeitung in jeweils getrennten Regionen stattfindet. Dieses Modell diente Miriam Sach als Hypothese, die sie mit Hilfe funktioneller Bildgebungsverfahren überprüfte. Die Bilder sprechen für eine gemeinsame Verarbeitung regelmäßiger und unregelmäßiger Verben in einem gemeinsamen neuronalen Netzwerk.

Auf die Idee, ihre Arbeit vorzutanzen, kam Miriam Sach durch eine Freundin, die von dem Wettbewerb gelesen hatte. Er war wie gemacht für die Doktorandin, denn neben der Wissenschaft zählt Tanzen zu ihren Hauptinteressen. Für die Choreographie musste sie natürlich vieles weglassen. Relativ schnell kam sie aber auf die Idee, zunächst die regelmäßigen Verben darzustellen, dann die unregelmäßigen und danach das Ergebnis der Arbeit, also das gemeinsame Netzwerk für die Verarbeitung beider Verbformen in einem gemeinsamen System. Sie gliederte den Tanz in diese drei Teile und stellte die regelmäßigen Verben dabei durch simples Gehen dar. Für die unregelmäßigen Verben überlegte sie sich abwechslungsreichere Bewegungen wie Sprünge, Bodenrollen, Gleiten auf dem Boden, Handstände. «Mir war auch wichtig, diese Unregelmäßigkeit auf unterschiedlichen Ebenen zu präsentieren: einerseits durch einen Höhenunterschied, also dadurch, dass die Bewegungen sehr raumgreifend und in die Höhe gerichtet sind, andererseits aber auch geerdet werden und in den Boden hineingehen. Auch die Richtungen des Raumes, in die ich mich bewege, sind in dem Teil, in dem die unregelmäßigen Verben tänzerisch präsentiert werden, sehr vielfältig, während das Gehen nur in eine Richtung orientiert ist.» Im dritten Teil, der die Ergebnisse der Doktorarbeit, also das gemeinsame neuronale Netzwerk, repräsentiert, stellte sie beide Verbformen in gemischten Bewegungen dar und nahm zum ersten Mal symmetrische Bewegungen in die Choreographie auf, um die gemeinsame Verarbeitung beider Verbformen darzustellen. Es standen nun beide Formen nebeneinander und ergänzten sich.[6]

Elfenforschung

Ob es Wolfgang Müller gelingen würde, Skeptiker von seinem Forschungsgebiet wenigstens tanzend zu überzeugen, darf rundweg verneint werden. Das liegt sicherlich nicht an mangelndem Rhythmusgefühl, schließlich ist Wolfgang Müller auch Musiker, der es mit seiner Band Die tödliche Doris in den späten 1980er Jahren nicht nur in Westberlin zu Kultstatus brachte. Neben diversen künstlerischen Projekten beschäftigt sich Island-Fan Müller mit der Erforschung von Elfen.[7]

«Elfen sind feinstoffliche Wesen. Als Elementargeister haben sie eine besondere Eigenschaft: Wenn zehn Personen geradeaus gucken, dann sieht eventuell nur eine von diesen zehn Personen die Elfe. Sie können sich für den Menschen selbst sichtbar machen, sie überlegen aber, wem sie sich sichtbar machen wollen.» Wolfgang Müller gibt zu, dass er selbst nicht elfensichtig ist, und ob man dazu in der Lage sei oder nicht, könne man weder durch Handauflegen noch durch andere spiritistische Zeremonien erzwingen.

In Island gehören Elfen zum Leben schlichtweg dazu, es gibt sogar einen Elfenbeauftragten. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Isländer abergläubischer sind als die Deutschen – sie haben lediglich eine andere Art, mit bestimmten unerklärlichen Ereignissen umzugehen. Wolfgang Müller gibt dazu ein Beispiel: Wenn eine Straße gebaut wird und der Bagger nicht durch den Stein kommt und womöglich kaputtgeht, würde man in Deutschland davon sprechen, dass es technische Probleme gibt. In Island sagt man in einem solchen Fall, und das ist ganz ernst gemeint: Die Elfen waren mit dem Straßenbau nicht einverstanden und haben ihn verhindert.

Wolfgang Müller versuchte herauszufinden, warum eine S-Bahn in Berlin an einer bestimmten Stelle einen Schlenker macht, der völlig sinnlos ist. Die Berliner Verkehrsbetriebe hatten darauf keine Antwort. In Island, da ist er sich sicher, hätte man ihm die poetische Antwort gegeben, dass die Elfen etwas gegen den geraden Verlauf der S-Bahn einzuwenden hatten.