Besser als Sex ist besserer Sex - Theresa Bäuerlein - E-Book

Besser als Sex ist besserer Sex E-Book

Theresa Bäuerlein

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  • Herausgeber: Heyne
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Ein Paar, das auslotet, was und wie Sex eigentlich sein kann

Lange Liebesbeziehungen haben einen Preis, den jeder kennt – die Leidenschaft geht verloren. Vertrautheit ersetzt Herzklopfen, das Bett wird zur Kuschelzone. Aber muss das wirklich sein? Dieses Paar wagt das Experiment: Ein Jahr lang probieren sie aus, was die Sexratgeber hergeben, lassen sich von Fremden und Freunden beraten und spüren ihren Beziehungsmustern nach. Und tatsächlich: Das Feuer lässt sich wieder entfachen – aber ganz anders, als sie es erwartet hatten.

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Seitenzahl: 238

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Lange Liebesbeziehungen haben einen Preis, den jeder kennt – die Leidenschaft geht verloren. Vertrautheit ersetzt Herzklopfen, das Bett wird zur Kuschelzone. Aber muss das wirklich sein? Dieses Paar wagt das Experiment: Ein Jahr lang probieren sie aus, was die Sexratgeber hergeben, lassen sich von Fremden und Freunden beraten und spüren ihren Beziehungsmustern nach. Und tatsächlich: Das Feuer lässt sich wieder entfachen – aber ganz anders, als sie es erwartet hatten.

© Regina Tokarczyk

Theresa Bäuerlein, geboren 1980, arbeitet als Journalistin u.a. für Neon oder die Süddeutsche Zeitung. Sie ist Autorin von zwei Romanen und zwei Sachbüchern.

Tom Eckert, geboren 1984, ist Coach für Persönlichkeitsbildung und Meditationslehrer. Er ist in Israel geboren und aufgewachsen und lebt seit 2012 in Deutschland. Das Paar wohnt in Berlin.

Theresa Bäuerlein

Tom Eckert

Besser als Sex

ist besserer Sex

Ein Paar. Ein Jahr. Ein Experiment.

Wilhelm Heyne Verlag

München

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Originalausgabe 04/2016

Copyright © 2016 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Ute Daenschel, Berlin

Umschlaggestaltung: yellowfarm GmbH, S. Freischem, unter Verwendung eines Fotos von: © Jerome Ferraro/Getty Images

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN: 978-3-641-14514-9V001

www.heyne.de

Vorwort

Als wir Freunden und Bekannten sagten, dass wir ein Buch über Sex schreiben würden, fielen die Reaktionen einerseits sehr unterschiedlich aus, andererseits sehr ähnlich. Man könnte sagen: Niemand reagierte entspannt. Die einen waren neugierig und aufgedreht und fanden es toll. Sie schlugen Themen und Protagonisten vor und wollten ganz genau wissen, ob die These des Buchs dem entsprach, was sie selbst zu dem Thema dachten. Andere reagierten befremdet, belustigt und manchmal auch ablehnend. »Es gibt doch schon so viele Bücher darüber. Warum macht ihr das?«, fragten sie mit gerunzelter Stirn, »Sex sells, oder was?«

Niemand hätte sich so verhalten, wenn wir ein Buch übers Balkongärtnern geschrieben hätten oder auch über Beziehungen. Sex ist einfach kein normales Thema. Egal, wie offen und locker wir tun und wie viel wir schon darüber wissen: Die angeblich natürlichste Sache der Welt fühlt sich verdächtig oft ziemlich unnatürlich an. Auch für uns. Das war einer der Gründe dafür, dass wir dieses Buch schreiben wollten.

Der andere hatte mit uns zu tun, mit unseren Fragen und Sehnsüchten, die manchmal sehr diffus waren, aber viel mit persönlichem Glück und gegenseitiger Liebe zu tun hatten – mit dem Wunsch nach einer erfüllten Beziehung und einem Leben, das den Geschmack des Abenteuers behält. Seit vier Jahren sind wir ein Paar und im Laufe der Zeit ist unsere Leidenschaft ein bisschen müde geworden. Das wollten wir ändern. Nicht mehr und nicht weniger. Dabei wollten wir keine wissenschaftliche Abhandlung schreiben, sondern einen Selbstversuch starten. Ein Jahr lang nahmen wir uns Zeit.

Sicher gibt es bereits viele Bücher über Sex. Sehr viele. Bei Amazon erhält man rund 71.000 Treffer. Man könnte also mit Recht vermuten, dass dort für jeden etwas dabei sein müsste, dass das Thema rundum abgedeckt sei. Wir selbst haben einen recht stattlichen Anteil dieser Titel gelesen. Und natürlich sind, neben viel Quatsch, großartige Werke dabei: von Foucaults Sexualität und Wahrheit über fremdartige, aber faszinierende taoistische Ratgeber von Mantak Chia bis zu liebevoll gemachten und großartig illustrierten Bänden wie Suzie Godsons Das Buch vom Sex. Aber eine Antwort auf unsere Fragen konnten wir darin nicht finden. Die Autoren der Werke, die wir lasen, nahmen immer die Expertenperspektive ein, eine distanzierte, analytische Vogelperspektive. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber wir hatten das Gefühl, dass dabei etwas unter den Tisch fiel: Der Blick der Menschen, die keine Experten sind und mit denen wir uns identifizieren konnten. Ganz normale Paare, die genauso hilflos, klug, stümperhaft und elegant mit den erotischen Fragezeichen in ihrer Beziehung umgingen wie wir. Denn egal, wie gut die Empfehlungen sind, die Ratgeber anbieten, ihnen haftet immer etwas Unpersönliches an. Sie sind genau so distanziert und makellos wie die Fotos, mit denen Magazine ihre Sex-Tipps iustrieren. Niemand ist wirklich wie die Frauen und Männer, die sich auf diesen Bildern verspielt und verrucht durch weiße Laken wälzen. Noch nicht einmal die Personen auf den Bildern selbst sind so. Sie spielen eine Rolle. Danach gehen sie nach Hause, wo ihr Partner wahrscheinlich vor einem Bildschirm sitzt, und stellen sich die gleichen Fragen wie wir. Fragen, die Sex-Ratgeber nicht beantworten können. Vielleicht war der Wunsch nach einem Buch über diese wirklichen Menschen sogar der wichtigste Grund, dem Lektüreberg ein weiteres hinzuzufügen. Ein Buch über ein ganz normales Paar.

Natürlich kann man fragen, was es bringen soll, die persönliche Geschichte eines einzelnen Paares nachzulesen. Die Antwort ist einfach: Menschen sind unterschiedlich, aber die Themen, mit denen sie es im Bett zu tun bekommen, sind immer wieder die gleichen. Das haben wir während unserer Recherche und in Gesprächen wieder und wieder festgestellt. Darin liegt ein gewisser Trost: Denn egal, was Medien uns über Sex erzählen und darüber, wie er eigentlich sein müsste – wir haben damit alle mehr oder weniger die gleichen Probleme. Mit anderen Worten: Du bist nicht allein.

Dass wir selbst ein Buch über Sex schreiben wollten, heißt nicht, dass wir extrem lockere oder mutige Menschen wären. Wir waren sehr aufgeregt, als wir dieses Projekt begannen, und wir hatten auch ein bisschen Angst. Denn es war klar, dass dieses Buch uns unter die Haut gehen würde. Wir würden unsere eigene Beziehung zu einem Experiment machen, einem Selbstversuch, dessen Ergebnis wir nicht kannten. Wir wussten nicht, ob unser Unterfangen, die Erotik unserer Beziehung vor dem auf lange Sicht scheinbar unvermeidlichen Dornröschenschlaf zu retten, überhaupt eine Chance hatte. Und wenn nicht – was würden wir dann tun?

Nur eines wollen wir an dieser Stelle schon sagen: Nichts ist so gelaufen, wie wir uns das am Anfang vorgestellt haben.

1

Es ist zu viel verlangt, es zu vergessen. Diese Momente, in denen zwischen uns noch nichts selbstverständlich war und jede Berührung ein riesiges Privileg: Seine Hand auf meiner, wie unsere Haut dabei elektrisch zu summen begann. So war das am Anfang mit uns, so geht es bestimmt allen verliebten Paaren, auch wenn sie denken, dass noch niemand so etwas gefühlt haben kann. Sex hat dann nichts dem uninspirierten Geschubber zu tun, das jeder schon einmal erlebt hat, sondern er ist ein Naturereignis. Wie strömender, nicht endender Regen, oder wie eine Sonnenfinsternis. Das hatten wir einmal, Tom und ich. Und jetzt?

Jetzt ist ein später Sommernachmittag, an dem mitten in Berlin eine merkwürdige Stille herrscht. Der schwüle Tag ist nach stundenlangem Zaudern endlich in Blitz und Donner explodiert, und die Luft danach fühlt sich frisch und kühl an. Tom und ich sitzen auf einer Holzbank vor einem Café und betrachten die letzten Regentropfen. Wir haben gerade festgestellt, dass es zwei Wochen her ist, seit wir das letzte Mal miteinander geschlafen haben. Und wir haben es nicht eilig damit, das zu ändern. Das ist soweit keine große Neuigkeit. Wir sind jetzt seit bald fünf Jahren zusammen, und dass wir mittlerweile auch länger die Finger voneinander lassen können, ist das Normalste der Welt. Anders wäre es auch kaum auszuhalten. Wenn Menschen verliebt sind, passiert etwas in ihren Gehirnen, das Forscher mit einem Kokain-Rausch verglichen haben. Die typischen Symptome sind ähnlich: hemmungsloses Verlangen, eingeschränktes Urteilsvermögen, Konzentrationsprobleme, Euphorie, irrationale Ängste… Verliebtheit kann Monate oder sogar Jahre dauern, aber sie endet. Sie ist, glauben Anthropologen, von der Natur dazu vorgesehen, dass zwei Menschen stark und lange genug voneinander angezogen sind, um Nachwuchs zu bekommen und ihn aus dem Gröbsten herauszubringen. Länger müssten wir im Prinzip nicht zusammenbleiben. Trotzdem gibt es eine nächste Phase: Wenn die Verliebtheit nachlässt, setzt die Bindung ein, die, wie der Rausch vorher auch, hormonell gesteuert ist. Das Feuer brennt etwas runter und was bleibt, ist ein gutes, stetiges Glühen. Ein warmes Wir. Aus dem Begehren entwickelt sich Intimität, Herzwärme ersetzt Herzklopfen. Der erste Gedanke, den man beim Anblick des Partners hat, ist dann nicht mehr: »Wir müssen sofort ein Bett oder wenigstens ein leidlich tarnendes Gestrüpp finden«, sondern eher etwas wie: »Schön, dass du da bist. Lass uns bei einem Glas Wein über das Tagesgeschehen sinnieren.«

Wir sind nach dieser Entdeckung über unser Bettverhalten trotzdem in Schweigen verfallen. Ich weiß nicht, was Tom in diesem Moment denkt – er rührt einen großen Löffel Zucker in seinen Kaffee und guckt die Straße hinunter. Ich jedenfalls bin mir sehr klar darüber, dass ich unzufrieden bin. So hätte das nicht laufen sollen, nicht mit ihm. Natürlich habe ich auch in früheren Beziehungen schon erfahren, dass Zeit eine fatale Wirkung auf Leidenschaft hat. Beide verrinnen gemeinsam. Aber bei Tom war ich entgegen alle Vernunft (siehe Rausch-Symptomatik oben) ganz sicher, dass es anders sein würde. Er würde der Mann sein, den ich immer begehren würde, auch dann noch, wenn er irgendwann die Haut einer alten Mandarine hätte. Stattdessen hatten wir uns eben versichert, dass wir unseren Sex mochten.

Hier ein paar andere Dinge, die ich mag: Buttercroissants. Tulpen. Zugfahrten mit dem Eurocity. Dinge zu mögen heißt, dass man sie nicht besonders vermissen würde, wenn sie nicht da wären. Der Gedanke ist erschreckend. Andererseits muss man ehrlich sagen: Von verzehrender Leidenschaft oder totalem Hinschmelzen kann bei uns einfach nicht mehr die Rede sein. Dabei haben Leidenschaft und totales Hinschmelzen bei näherer Betrachtung doch sehr viel für sich. Mehr als das, an das wir uns nach den vier Jahren unseres Zusammenseins vielleicht noch erinnern können.

Es gibt zwei typische Haltungen gegenüber der Leidenschaft: Romantiker glauben, dass eine Liebe vorbei sei, wenn die Leidenschaft erschlafft. Sie trennen sich, wenn sie merken, dass ihr Puls beim Anblick ihres Partners nicht mehr zu rasen beginnt, und suchen nach einem neuen Geliebten, dem einen, diesmal hoffentlich richtigen. Den man daran erkennt, dass man nie genug von ihm bekommen kann, inklusive seines Körpers. Realisten hingegen finden flammende Gefühle eher verdächtig und glauben, dass Liebe sich beweist, indem sie dauert. Leidenschaft spielt in diesem Modell keine wichtige Rolle. Im Gegenteil: Sie hindert Menschen daran, das Wirkliche zu sehen. Wir kommen demnach in der Realität und damit in einer wirklichen Liebe an, wenn wir aufhören, unseren Partner zu idealisieren. Weil wir ihn dann so sehen, wie er ist, inklusive seiner Fehler. Aus dieser Perspektive schließen »echte«, also dauerhafte Liebe und brennende Leidenschaft einander aus.

Die Realisten, scheint mir, sind in der Mehrheit. Man weiß doch, dass jede längere Beziehung Kompromisse machen muss, man lächelt über die Verblendeten, die von ihren Berggipfeln nie runterkommen wollen.

Ich weiß nicht, woran es liegt – vielleicht nur daran, dass die Sonne gerade ein bisschen dramatisch hinter den Wolken auftaucht und ihre Glut auf Tom wirft, der neben mir sitzt (und – das wirkt der dramatischen Atmosphäre etwas entgegen – unter seinen Fingernägeln puhlt). Aber ich will mich nicht damit zufrieden geben, dass die Sicht der »Realisten« wahr sein soll. Ich spüre eine Sehnsucht, wie ich sie lange nicht mehr hatte. Danach, wieder dieses Begehren zu fühlen, das der Lyriker W.H. Auden einen »unerträglichen, neuronalen Juckreiz« genannt hat. Ich will mich nicht damit zufrieden geben, leidenschaftsarm neben meinem Geliebten vor mich hin zu altern. Wir sind doch die gleichen Menschen, die sich vor ein paar Jahren in totaler Hingabe geküsst haben. Das kann doch nicht einfach für immer vorbei sein!

Tom wischt ein paar Krümel vom Tisch. Dabei fallen mir seine Hände auf, die ich schon länger nicht mehr angesehen hatte, obwohl sie schlank und wirklich wohlgeformt sind, viel schöner als meine. Hände, ideal zum Klavierspielen, Gitarre spielen und auch zum Zupfen anderer Dinge. Zum ersten Mal seit Langem nehme ich Toms Körper nicht mehr als etwas Altbekanntes hin. Ich glaube, etwas zu spüren, das nichts mit der Vertrautheit zu tun hat, die uns verbindet. Eine Fremdheit, roh und ungefiltert. Es ist schön, und es tut weh.

»Wie viele Paare kennst du, die sich getrennt haben, weil der Sex nicht oder nicht gut genug war?«, spreche ich das, was weh tut, aus.

Er braucht einen Moment, um zu antworten. »Viele. Viel zu viele. Man fragt, woran es lag und die Leute zählen alle möglichen Gründe auf, aber oft heißt es dann am Ende: Wir waren einfach nur noch wie Bruder und Schwester.«

»Das ist doch verrückt«, sagte ich. »Und dann heißt es immer, man habe eben nicht zusammengepasst. Vielleicht hat man aber überall hervorragend zusammengepasst, nur im Bett lief nichts mehr. Es kann doch nicht sein, dass man davor einfach kapituliert.«

Tom sieht mich an und nickt. »Ich würde gerne mal in einen Wald fahren und dich einfach verschlingen. Wieso tun wir das nicht?«

Ich nehme einen Schluck von der Rhabarberschorle und ziehe seinen Vorschlag in Erwägung. »Weil es komisch wäre? Weil wir – ein Bett zu Hause haben?«

»Schade«, sagt Tom.

»Ja.«

Am Nachbartisch faltet ein junger Mann mit einer schiefen Frisur eine Wolldecke auseinander und legt sie um seine Freundin. Sachte, als würde er eine kostbare Porzellanfigur einwickeln. Sie lehnt sich an ihn. Vor ihnen auf dem Tisch stehen ein Schachbrett und eine Teekanne mit welken, nassen, grünen Blättern. Als ihre Blicke sich treffen, meine ich fast, die Luft zwischen ihnen flimmern zu sehen wie an einem heißen Tag. Die meinen auch, dass es ewig so weitergeht, denke ich.

Dann fasse ich einen Entschluss. »Hör mal«, sage ich zu Tom, »ich will das nicht einfach hinnehmen. Ich will nicht in diese Falle tappen, in der alle zu landen scheinen, und ich will auch nicht zu einem Therapeuten rennen, wenn es zu spät ist. Ich möchte dagegen rudern, gegen diese Behaglichkeit, gegen dieses Versacken. Ich liebe meine Geschwister, aber ich will nicht, dass du einer von ihnen wirst.«

Tom lächelt, ohne mich anzusehen. »Ich auch nicht«, sagt er. »Ich glaube, Sex kann großartig sein, selbst nach 40 Jahren Ehe, selbst mit 80. Und wir können das erst recht. Verdammt noch mal. Wir sind doch keine welken Senioren. Es kann nicht unser Schicksal sein, dass das Thema Sex in ein paar Jahren ganz erledigt ist. Wir müssen etwas tun.«

Es donnert noch einmal schwach in der Ferne. Tom winkt dem Kellner. »Zahlen, bitte«, ruft er.

2

Stephen A. Mitchell, einer der einflussreichsten amerikanischen Psychologen der letzten Jahrzehnte, hat in seinem brillanten Buch Can Love Last? The Fate of Romance Over Time1 zu ergründen versucht, warum Paare ihre Leidenschaft mit den Jahren verlieren. Er beschreibt ein menschliches Grunddilemma: Dass wir einerseits nach Vertrautheit und Sicherheit streben, andererseits auch Neuheit und Überraschungen brauchen. Weil dieser Konflikt schwer zu lösen ist und unser Bedürfnis nach Sicherheit letztlich oft überwiegt, unterdrücken die meisten Menschen den Wunsch nach wildem Herzklopfen zugunsten von Vertrautheit. Aber die Sehnsucht nach jenen Momenten, in denen man nicht nur mit einem anderen Menschen schläft, sondern mit ihm explodiert, bleibt da. Es gibt also einen guten Grund dafür, dass kein Thema die Ratgeberliteratur des 21. Jahrhundert mehr beschäftigt, als die Frage, ob sich dieses Paradox lösen lässt – denn das müsste der Schlüssel für eine wirklich gelungene Beziehung sein, für ein echtes »glücklich bis an ihr Lebensende«.

Neulich traf ich einen guten Freund zum Kaffeetrinken. Auf meine Frage, wie es in seiner Beziehung laufe, sagte er, seine Freundin und er seien glücklich miteinander. Bald darauf erwähnte er wie nebenbei, dass sie nur noch alle paar Monate miteinander schliefen. Er fände seine Freundin attraktiv, beteuerte er, aber er hätte einfach keine besondere Lust mehr auf sie. Fremdgehen wolle er nicht, aber so alt werden – das auch nicht. Er war gerade sechsundzwanzig geworden.

Seltsam: Heutzutage scheint es so normal, über Sex zu sprechen, Eroberungen anzudeuten, Bettgeschichten auszuwalzen. Aber wie selten hört man von der Unsicherheit, die dieses Thema in unsere Beziehungen bringt, und wie selten gibt jemand zu, dass er keinen Sex hat oder viel weniger, als er eigentlich möchte? Dabei müsste es, glaubt man den Statistiken, einem enormen Anteil der Menschen so gehen. Unsere Sexualität gehört längst nicht mehr zu den unaussprechlichen Themen, aber kein Sex – das ist ein Tabu.

»Es war, als hätte ich eine Granate auf den Tisch geworfen«, erzählt die britische Journalistin Anna Johnson über einen Abend mit Freunden, bei dem sie zu fragen gewagt hatte, ob Sex bei verheirateten Paaren überhaupt noch existiere. Den Reaktionen nach war das »genau so schlimm wie die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt«, stellte sie fest.2 Lustig, eigentlich: Diese Frage hängt über jeder längeren Beziehung, ob man verheiratet ist oder nicht. Aber alle tun lieber so, als wäre das in ihrem Fall kein Thema. Das Gegenteil ist der Fall. Zwischen dem Idealbild dessen, was Paare dem allgemeinen Konsens nach im Bett miteinander erleben sollten, und der Realität der meisten scheint ein sorgfältig totgeschwiegener Abgrund zu klaffen.Was tun? Man kann beschließen, dass Sex nicht so wichtig ist, man kann sich in Arbeit vergraben oder behaupten, dass seit der Geburt des Kindes die Erotik eben einfach hin sei, so hat man immerhin gesellschaftlich akzeptierte Gründe. Manche sagen auch, sie hätten einfach keine Zeit für Sex, bei diesem hektischen Leben heutzutage. Aber mal ehrlich, wie lange dauert Sex noch einmal? Durchschnittlich elf Minuten, schrieb Paulo Coelho in seinem gleichnamigen Buch. Manche nehmen sich mehr Zeit, um einen Cappuccino zu machen. Letztlich ist es aber egal, wie man sich selbst den Lustverlust erklärt. Klar ist, dass nur sehr wenige Paare sich die Frage nie stellen müssen. Ich kenne persönlich genau zwei Menschen, die trotz Stress bei der Arbeit und drei kleinen Jungs, die täglich das Haus zerlegen, immer noch viel und leidenschaftlich miteinander schlafen. Genau so oft und heftig streiten sie sich. Wenn das ihr Geheimnis ist, dann taugt es allerdings kaum zum Allgemeinrezept.

Natürlich kann man sagen, dass die Menschheit weiß Gott größere Probleme hat als lahmen Beischlaf. Wenn ich diesen Text im Internet schreiben würde, käme garantiert innerhalb kurzer Zeit ein Kommentator mit dem na-und-in-China-fällt-ein-Sack-Reis-um-Spruch daher. Ich glaube aber, dass man mit dieser Haltung das Problem unterschätzt. Man muss kein Freud sein, um die These aufzustellen, dass Sex viel mehr als nur ein biologischer Trieb ist, der uns hier und da schüttelt, oder eine nette Beschäftigung, der wir ab und zu nachts nachgehen, wenn wir das Bedürfnis nach Nähe oder elf Minuten Selbstvergessenheit haben. Sex ist gewaltig und omnipräsent, selbst wenn wir ihn zu ignorieren versuchen. Er grinst uns von Plakatwänden und Internetbannern an, er windet sich durch den Spamfilter und meldet sich spätestens nach dem zweiten Glas Wein zu Wort. Und wenn ich behaupte, dass viele Probleme in Beziehungen nur Stellvertreter sind, dass wir also viel weniger über krümelige Fußböden oder zu spät bezahlte Rechnungen streiten würden, wenn wir sexuell erfüllt wären, dann ist das keine neue These, sondern fast schon ein Allgemeinplatz, über den Philosophen und Wissenschaftler aller Jahrhunderte nachgedacht haben. Sehr dramatisch drückt es heutzutage Christopher Ryan in seinem Buch Sex at Dawn. The Prehistoric Origins of Human Sexuality3 aus. Er schreibt, dass nichts auf der Welt Menschen so zuverlässig einen psychischen Knacks verpassen könne wie eine unterdrückte Sexualität – mehr noch als Hunger, Durst und Gefangenschaft. Was Tom und ich im Mikrokosmos unseres Schlafzimmers erleben, ist also nicht nur ein kleines persönliches Beziehungsproblem. Man kann es auch in den größtmöglichen Kontext stellen. Erfüllende Sexualität ist wichtig.

Natürlich können Tom und ich nicht die Welt retten, indem wir unseren Groove in den Laken wiederfinden. Der Welt ist egal, ob wir einfache, multiple oder überhaupt Orgasmen haben. Aber der größere Kontext hilft zu verstehen, dass schlechter Sex kein persönliches und auch kein Luxusproblem ist, sondern dass wir, wenn wir ihn vernachlässigen, ein fundamentales menschliches Bedürfnis in den Keller stellen. Eines das unsere seelische Gesundheit und unser Glück entscheidend mitbestimmt. Das kann nicht lange gutgehen, und deshalb hat es verdammt noch mal einen Platz auf den höheren Rängen unserer Prioritätenliste verdient, nicht irgendwo hinter Zahnarztbesuchen und Fernsehabenden.

2014 kam ein Film ins Kino, der das Problem erlahmender Lust mit Starbesetzung erzählte. Sex Tape hätte eine Gelegenheit für Hollywood sein können, Ehrlichkeit zu zeigen. Stattdessen sorgt das Ergebnis dafür, dass man sich als normales Paar noch unfähiger fühlt. Die Protagonisten, ein seit zehn Jahren verheiratetes Paar, beschließt, alle Stellungen aus dem Buch The Joy of Sex durchzuturnen und sich dabei mit der iPad-Kamera aufzunehmen. Das geht natürlich schief, aber das ist hier nebensächlich. Wichtiger ist eine Szene ziemlich am Anfang des Films. Darin rollt Cameron Diaz in knappem, pinkfarbenem Höschen und weißem T-Shirt mit Rollerskates auf ihren Mann zu und unterbreitet ihm den Sextape-Vorschlag. Dabei schafft sie es, gleichzeitig clean und verrucht zu wirken. Ich habe den Film nicht zu Ende gesehen, weil ich nach dieser Szene keine Lust mehr dazu hatte. Denn natürlich ist Diaz’ Aktion völlig unrealistisch für ein zehn Jahre altes Paar. Niemand schafft es nach so langer Zeit noch, so überzeugend eine sexy Geste zu bringen. Wenn ich auf Rollerblades halbnackt zu Tom in die Küche rollen würde, bekäme er wahrscheinlich einen Lachkrampf (und umgekehrt genau so). Und das liegt nicht daran, dass Diaz, im Gegensatz zu uns, Bauchmuskeln hat, auf denen man Parmesan reiben könnte, sondern daran, dass man nach einer gewissen Zeit für seinen Partner einfach nicht mehr dieses unbekannte, aufreizende Wunderwesen sein kann, bei dem nicht klar ist, was es als Nächstes machen wird. Man ist der Mensch, den der andere morgens nackt vor dem Computer sitzen sieht, mit Croissantkrümeln in den Schamhaaren. Sex Tape mag ein netter Film sein, aber er bedient die falsche Vorstellung, dass man nur ein bisschen Zeit, einen guten Body und ein paar freche Ideen braucht, um jederzeit eine 1A-Nummer schieben zu können. – So lange man sich liebt, versteht sich. Denn dass Sex ein Spiegelbild der Beziehung ist, dass also eine gute Beziehung immer mit gutem Sex einhergeht, ist die zweite Lüge, und sie kommt nicht nur aus Hollywood, sondern ist das Fundament der klassischen Paartherapie. Leidenschaft ist demnach eine natürliche Weiterführung der Liebe. Im Umkehrschluss müsste das natürlich heißen, dass man sich nicht richtig liebt, wenn man lustlos ist. Würde das stimmen, stünde es sehr schlecht um Beziehungen in Deutschland. Der Beziehungsforscher Ragnar Beer sagt. »Ich habe noch keine Kurve gesehen, die so traurig abwärts geht und sich nie wieder erholt wie die der sexuellen Aktivität von Paaren.«4 Sein Institut in Göttingen, das auch das zweifelhafte Treueverhalten der Deutschen dokumentiert hat, konnte in einer Befragung feststellen, dass jeder sechste Mensch, der hierzulande in einer festen Beziehung lebt, in den vergangenen vier Wochen keinen Sex mit seinem Partner hatte. Von den 15000 Teilnehmern schlief fast die Hälfte seltener als einmal pro Woche mit ihren Partnern. In den USA gibt es dafür bereits einen Begriff: DINS, »double income, no sex«. All diese Menschen also sollen sich nicht lieben? Oder hätten sie eigentlich ein wunderbares Sexleben, wenn sie nur nicht so viel Zeit mit dem Beantworten von E-Mails verbringen müssten? Nicht wahrscheinlich.

ENDE DER LESEPROBE