Besser spät und dann für immer - Karin Lindberg - E-Book
SONDERANGEBOT

Besser spät und dann für immer E-Book

Karin Lindberg

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Neuanfang mit Meerblick …

Als Melissa mit ihren Kindern nach Cornwall reist, hat sie nur einen Plan: ihr Leben nach der gescheiterten Ehe neu zu sortieren. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft sorgt ein peinlicher Zwischenfall im Supermarkt dafür, dass ihre Vorsätze, attraktiven Männern aus dem Weg zu gehen, gründlich ins Wanken geraten. Grant möchte nichts mehr, als sein Herz verschlossen zu halten. Als sich ausgerechnet Melissa als die perfekte Hilfe für das Chaos in seinem Haus erweist, scheinen nicht nur das Schicksal, sondern auch ein paar findige Dorfbewohner ihre Finger im Spiel zu haben. Zwischen salziger Meeresluft und malerischen Küstenstraßen finden zwei Menschen zueinander, die nicht mehr an die Liebe glaubten – doch der Sommer neigt sich dem Ende zu. Bald müssen beide entscheiden: Folgen sie der Stimme der Vernunft oder wagen sie es, ihren Herzen eine zweite Chance zu geben?

Eine romantisch-heitere Geschichte über neue Anfänge, überraschende Wendungen des Schicksals und die Magie einer neuen Liebe.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Besser spät und dann für immer

CORNWALL-LIEBESROMAN

KARIN LINDBERG

Inhalt

Über das Buch

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Epilog

Über die Autorin

Hol dir dein Geschenk

Über das Buch

Ein Neuanfang mit Meerblick …

Als Melissa mit ihren Kindern nach Cornwall reist, hat sie nur einen Plan: ihr Leben nach der gescheiterten Ehe neu zu sortieren. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft sorgt ein peinlicher Zwischenfall im Supermarkt dafür, dass ihre Vorsätze, attraktiven Männern aus dem Weg zu gehen, gründlich ins Wanken geraten.

Auch Grant möchte sein Herz nicht mehr für eine neue Liebe öffnen. Als sich ausgerechnet Melissa als die perfekte Hilfe für das Chaos in seinem Haus erweist, scheinen nicht nur das Schicksal, sondern auch ein paar findige Dorfbewohner ihre Finger im Spiel zu haben.

Zwischen salziger Meeresluft und malerischen Küstenstraßen finden zwei Menschen zueinander, die nicht mehr an die Liebe glaubten – doch der Sommer neigt sich dem Ende zu. Bald müssen beide entscheiden: Folgen sie der Stimme der Vernunft oder wagen sie es, ihren Herzen eine zweite Chance zu geben?

Eine romantisch-heitere Geschichte über neue Anfänge, überraschende Wendungen des Schicksals und die Magie einer neuen Liebe.

Copyright © 2025 by Karin Lindberg

Covergestaltung Casandra Krammer

Covermotiv: © Nartco, Lana Brow – Shutterstock.com, pch.vector, pikisuperstar – freepik.com

Lektorat Martina König

Korrektorat Ruth Pöß

Karin Baldvinsson

Am Petersberg 6a

21407 Deutsch Evern

Du findest mich auf Instagram: @karinlindbergschreibt

TikTok: @karinlindbergschreibt

Facebook: facebook.com/karinlindbergauthor

Wenn du keine Neuerscheinung mehr verpassen möchtest, melde dich gleich zu meinem Newsletter an. Als Dankeschön erhältst du das „Zeugenkussprojekt“ als Ebook oder Hörbuch, welche nicht im Handel erhältlich sind.

Weitere Informationen unter www.karinlindberg.info.

Prolog

Melissa

Die von verwilderten Hecken und alten Steinmauern gesäumte Landstraße schlängelte sich durch die hügeligen grünen Landschaften Cornwalls. Ich steuerte den Geländewagen konzentriert über die kurvenreichen, engen Straßen und hielt jedes Mal den Atem an, wenn uns ein Fahrzeug entgegenkam, weil ich Angst hatte, der Platz würde nicht ausreichen.

Wir fuhren an sattgrünen Wiesen vorbei, auf denen hier und dort einige Schafe grasten, während der Wind sanft die hohen Gräser bewegte. Wilde Brombeersträucher wuchsen an den Straßenrändern. Das dichte Blätterwerk der Bäume überwucherte die Fahrbahn wie ein Dach, durch das kaum Sonnenstrahlen drangen. Ich fühlte mich beinahe wie in einer anderen Welt – und das war gut. Sehr gut sogar. Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.

»O mein Gott, ich hasse es jetzt schon!«, schimpfte Carrie neben mir auf dem Beifahrersitz und mein Anflug von guter Laune verpuffte wie Seifenblasen im Sommerwind.

»Wir sind doch noch gar nicht da«, versuchte ich meine Tochter zu beschwichtigen und bemühte mich um einen fröhlichen Tonfall, obwohl es mir zunehmend schwer fiel Zuversicht auszustrahlen. Ich umklammerte das Lenkrad fester und knirschte mit den Zähnen.

Seit wir London hinter uns gelassen hatten, jammerte sie mir die Ohren voll. Also seit ziemlich genau fünf Stunden. Es gelang mir nach einmal Durchatmen Verständnis für sie aufzubringen, denn die letzten Monate waren für uns alle schwierig gewesen. Es war nicht verwunderlich, dass sie schlecht drauf war. Im Grunde beneidete ich sie darum, ihre Stimmung ausleben zu können, während ich ständig so tun musste, als sei alles paletti. Das war es nämlich ganz und gar nicht. Mit sechzehn stand Carrie genau an dieser bedeutenden Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsensein – sie war zu alt für Plüschtiere, die sie heimlich trotzdem noch in ihrem Bett versteckte, aber zu jung, um sich ihrer selbst sicher zu sein. Carries Bewegungen hatten die Schlaksigkeit von jemandem, der zu schnell gewachsen war. Und ihr Gesichtsausdruck war der eines typischen Teenagers – verschlossen und gleichzeitig hungrig auf das Leben.

»Warum können wir nicht auf den Malediven Urlaub machen?«, fragte mein Sohn Mick von hinten und ließ sein iPad für einen Moment sinken, als ich ihm einen Blick über den Rückspiegel zuwarf. Sein mittelblondes Haar hing ihm wie ein widerspenstiger Vorhang in die Stirn und seine hellblauen Augen betrachteten mich fragend.

»Schatz, ich habe es dir doch erklärt, auf den Malediven ist es im Sommer viel zu heiß.«

Und viel zu teuer, vollendete ich den Satz in meinem Kopf, ohne es auszusprechen.

Es war nicht immer so gewesen, dass ich jeden Penny zweimal umdrehen musste, aber es hatte sich in letzter Zeit einiges geändert – nicht nur in Sachen Geldbeutel. Die Finanzen waren nur ein Punkt auf der langen Liste von Veränderungen, mit denen wir alle zurechtkommen mussten.

Ich hatte nie zu den zwei Drittel der Verheirateten gehören wollen, die sich irgendwann scheiden ließen, und für meine Kinder hatte ich mir auch etwas anderes gewünscht. Aber was man wollte und was einem das Leben servierte, waren zwei unterschiedliche Paar Schuhe.

Ich unterdrückte ein Seufzen und rang mir ein Lächeln ab. »Ihr werdet schon sehen, Cornwall ist großartig und man kann dort auch baden gehen! Es dauert jetzt auch nicht mehr lange, bis wir bei Tante Lucinda sind. Wir haben die Fahrt gleich geschafft, laut Navi sind es nur noch zwanzig Minuten.«

»Sie ist nicht meine Tante«, knurrte Carrie mit vor der Brust verschränkten Armen.

Mir war klar, dass sie mit ihren sechzehn Jahren mitten in der Pubertät steckte und ich bei allem, was ich sagte, mit Gegenwind rechnen musste. Ich wünschte mir trotzdem, dass meine Tochter unseren Plänen für die Sommerferien mit ein wenig mehr Offenheit begegnen würde. Immerhin hatte ich uns eine gratis Unterkunft organisiert. Das war mehr, als andere Kinder geboten bekamen, doch damit brauchte ich gar nicht erst anzufangen, denn meine Kinder hatten sich bisher über Geld noch nie Sorgen machen müssen. Mick und Carrie würden es nicht verstehen, denn bislang waren sie wohlbehütet und im Luxus aufgewachsen. Aber damit war es seit der Trennung vorbei. Ich musste finanziell einen Fuß auf den Boden bekommen und bezweifelte, dass Luxusurlaube in naher Zukunft für mich machbar sein würden.

»Es werden wundervolle Sommerferien«, versprach ich den beiden und hoffte, dass ich dabei Zuversicht und Selbstvertrauen ausstrahlte.

»Wir kennen die Frau nicht mal«, befeuerte Carrie meine Sorgen. »Was, wenn Lucinda in einer schrecklichen Bruchbude wohnt und fürchterlich ist?«

»Um genau zu sein, ist Lucinda meine Großtante. Du übertreibst, ihr Haus ist zwar alt, aber es ist ein herrschaftliches Anwesen und keine Bruchbunde. Und meine Cousine hat mir versichert, dass Lucinda liebenswürdig ist, wir müssen keinerlei Bedenken haben.«

Ich hatte Lucinda nur zweimal im Leben getroffen – einmal bei meiner Taufe, an die ich mich logischerweise nicht erinnerte, und dann zu Grandmas Beerdigung vor fünf Jahren. Als mir meine Cousine Trixie neulich den Vorschlag unterbreitet hatte, dass ich mit den Kindern bei Lucinda in Cornwall Urlaub machen könnte, war mir die Idee wie ein Lichtblick am Ende eines langen, dunklen Tunnels vorgekommen.

Ich kannte Lucinda nicht sonderlich gut, aber in meiner derzeitigen Lage hatte ich nicht viele Wahlmöglichkeiten gehabt und ging lieber das Risiko ein, dass sie nicht nett war, als die Ferien in London verbringen zu müssen. Wir brauchten dringend einen Tapetenwechsel.

Lucinda benötige ein wenig Hilfe mit dem Haus und im Garten und ich konnte dafür mit den Kids umsonst bei ihr wohnen. Es hatte nach einem super Deal für mich geklungen: Eine Auszeit am Meer, wo ich durchatmen und Kraft tanken konnte – und die Kinder auch. Jeder von uns hatte tiefe Wunden davongetragen. Wir brauchten eine Pause, um uns mit der neuen Situation abzufinden und neu zu sortieren.

Die Trennung von meinem Noch-Ehemann Henry war lange und schwierig gewesen, auf monatelange Lügen waren mindestens genauso viele Monate mit Ausreden und Ausflüchten gefolgt, bis er mir schließlich reinen Wein eingeschenkt hatte. Es war bitter, aber genau das war passiert: Ich war ersetzt worden. Er hatte mich gegen eine jüngere Version meiner selbst ausgetauscht. Ich hatte keine Ahnung, wann es angefangen hatte, und ich wollte ihm auch nicht die alleinige Schuld geben. Irgendwas hatte meinem Ex bei mir wohl gefehlt, warum hätte er sonst fremdgehen wollen? Vielleicht war ich zu kritisch gewesen, zu langweilig … keine Ahnung.

Nein, an die Trennungsarie wollte ich jetzt nicht zurückdenken, und meine Schuld war es ganz sicher nicht, dass er eine treulose Ratte war. Diese Reise nach Cornwall sollte auch für mich so etwas wie ein Neustart werden, zudem musste ich mir darüber klarwerden, wie es für uns drei weitergehen sollte. Derzeit wusste ich nur, was ich nicht mehr wollte: in unserem alten Zuhause in London als die gehörnte und verlassene Ehefrau leben, die nicht auf eigenen Beinen stand. Finanziell gesehen zumindest.

Carrie brummte etwas, das ich nicht genau hören konnte, aber ich hakte nicht nach, weil es ohnehin keine Rolle spielte – jedenfalls nicht jetzt. Nichts konnte ihre Laune verbessern, außer eine Rückkehr nach London natürlich, weil dort ihre Freunde waren. Im Gegensatz zu mir hatte sie ganz und gar keine Lust auf Cornwall, aber das würde schon noch kommen.

Ich blieb bei meiner Taktik Freude vorzutäuschen, getreu dem Motto: »Fake it until you make it« – tu einfach so, als ob alles okay ist, bis es wirklich okay ist.

»Seht ihr? Da hinten ist das Meer! Wir haben es gleich geschafft. Von Lucindas Haus sind es nur ein paar Minuten zu Fuß zum Strand, hab ich euch das schon erzählt? Das wird so klasse, ich freue mich riesig.«

Nach stundenlanger Fahrt über gewundene Landstraßen tauchte er plötzlich auf – ein schmaler, türkisblauer Streifen zwischen sanften Hügeln, der sich wie ein Versprechen auf Ruhe und Entspannung am Horizont entlang zog. Mein Herz schlug schneller. Der Anblick raubte mir für einen Moment sogar den Atem. Kleine weiße Wellenkämme tanzten in der Ferne, und die zerklüfteten Felsen schienen mich wie alte Freunde zu begrüßen. Nein, die Entscheidung herzukommen war ganz sicher kein Fehler gewesen.

»Ich will an keinen Strand«, motzte Carrie indes und tippte auf ihrem Handydisplay herum, vermutlich um eine Nachricht zu beantworten. »Peter wird mich vergessen haben, wenn wir nach den Sommerferien zurück sind. Acht Wochen sind eine Ewigkeit!«

Ich unterdrückte ein Augenrollen und verkniff mir den Spruch, dass dieser Peter sie nicht verdient hatte, wenn er kein Verständnis für Carries Situation aufbringen konnte. »Fährt seine Familie nicht auch in den Urlaub?«, hakte ich nach.

»Ja, aber nicht zwei Monate und auch nicht nach Scheiß-Cornwall!«

»Achte bitte auf deine Wortwahl, Carrie! Wie wäre es, wenn Peter uns besuchen kommt? Ich meine, ich müsste das natürlich mit Lucinda absprechen, aber das wäre vielleicht eine Möglichkeit, dass ihr nicht acht Wochen getrennt verbringen müsst.«

»Echt?« Carrie richtete sich in ihrem Sitz auf. »Das würdest du erlauben?«

Unter normalen Umständen würde ich so etwas tatsächlich nicht gutheißen, das Kind war sechzehn und ich war dagegen, dass sie jetzt schon bei ihrem Freund übernachtete – oder umgekehrt –, aber ich fühlte mich schuldig und war deshalb für einige Zugeständnisse bereit. Mir war bewusst, dass sie, wie ihr Bruder, fürchterlich unter der Gesamtsituation zu leiden hatte. Ich wollte, dass es ihnen besser ging. Unsere Situation verlangte also, dass ich ein paar Grenzen neu absteckte, auch für mich selbst. »Ja, würde ich. Aber es gäbe natürlich Regeln, du weißt schon.«

Ich sah sie aus dem Augenwinkel lächeln, worüber ich mich sehr freute. »Okay, klar, Regeln. Kein Problem«, antwortete Carrie, und ich hörte ihrer Stimme an, dass die Aussicht auf den Besuch ihres Freundes sie ein wenig hoffnungsvoller stimmte.

Aber ich hatte tatsächlich noch Gesprächsbedarf, ehe Carrie mit Peter telefonierte und ihn zu uns einlud. Ich wollte nämlich absolut nicht, dass sie mit ihrem Freund schlief. Das war viel zu früh und ich würde das schon gar nicht unter dem Dach meiner Großtante zulassen. Das konnte ich jedoch nicht vor meinem elfjährigen Sohn diskutieren und schon gar nicht im Auto.

»Wieso darf sie Besuch bekommen und ich nicht?«, tönte es prompt von hinten.

Ich seufzte leise. »Lasst uns darüber sprechen, wenn wir uns bei Lucinda eingerichtet haben, ja?«

»Das ist ungerecht!«, nörgelte Mick.

»Wie wäre es, wenn du dafür die Playstation mit aufs Zimmer nehmen darfst?«

»Aufs Zimmer?«, wiederholte er ungläubig, denn zuhause durfte er nur im Wohnzimmer spielen, damit ich seine Spielzeiten unter Kontrolle hatte.

O Gott. Ich hatte gerade innerhalb von fünf Minuten alle meine Grundsätze aufgeweicht. Na super! Aber mir war auf die Schnelle nichts Besseres eingefallen, womit ich ihn beschwichtigen könnte. »Trotzdem werden wir eine Spielzeit für dich im Account einrichten, denk also nicht, dass du zwölf Stunden am Tag mit dem Ding verbringen kannst, nur weil du es mit zu dir nehmen darfst.«

Ich verfluchte mich, dass ich Mick überhaupt erlaubt hatte, die Konsole einzupacken, aber auch das war meinem schlechten Gewissen geschuldet.

Ich würde später darüber nachdenken, jetzt musste ich mich auf den Weg konzentrieren, denn ich war falsch abgebogen und das Navigationssystem protestierte lautstark. Ich schnitt mir selbst eine Grimasse. Gab es irgendjemanden, inklusive künstlicher Intelligenz, in meiner Nähe, der oder die gerade nicht unzufrieden mit mir war?

Nein, ich würde jetzt nicht im Selbstmitleid versinken, das brachte mich auch nicht weiter. Immer schön positiv denken, nach ein, zwei Nächten am Meer würde sich die Lage mit den Kindern garantiert entspannen.

Ich würde während der nächsten Wochen in aller Ruhe einen Plan aufstellen, wie es für uns weitergehen konnte. Nach den Ferien würden wir dann frischen Mutes in unser neues Leben starten. Allerdings ahnte ich, dass ich als Neu-Alleinerziehende vermutlich noch sehr viele Kompromisse eingehen musste, die ich vor ein paar Monaten noch mit einem »niemals« abgelehnt hätte.

Wenigstens hatte ich meinen Ex Henry nicht mehr an der Backe, dem ich sonst auch immer alles recht machen und hinterhertragen musste. Ich hatte keinen Henry mehr, der mir ständig sagte, was ich tun oder lassen sollte. So schwer es mir auch fiel, mich in die Kategorie »alleinerziehende Mutter« einzusortieren, so deutlich spürte ich, dass ich auch ein kleines bisschen erleichtert war, eine Person weniger auf meiner Liste zu haben, die ich zufriedenstellen musste. Zum ersten Mal seit vielen Jahren würde ich selbst herausfinden müssen, was ich vom Leben wollte. Ein bisschen machte mir der Gedanke aber auch Angst.

KapitelEins

Grant

»Du kommst doch heute Abend zum Essen, oder?«, hörte ich William fragen.

Ich saß im Behandlungszimmer und notierte etwas in einer Patientenakte, als mein Boss eintrat. Williams weißes Haar war für sein Alter erstaunlich dicht, wenn er lächelte, bildeten sich um seine Augen tiefe Falten, die von einem zufriedenen Leben zeugten. Er hatte in seiner Tätigkeit als Landarzt schon vor Jahrzehnten seine Berufung gefunden. Er war ein Arzt alter Schule, der sich für jede Untersuchung Zeit nahm und stets wusste, wie viele Enkelkinder seine Patienten hatten. Er strahlte eine wohltuende Gelassenheit aus, die sich fast immer auch auf seine Gesprächspartner übertrug.

Eigentlich war mir der Sinn nicht nach Gesellschaft, nicht heute und auch sonst nicht. Aber ich konnte nicht jedes Mal ablehnen, wenn er mich einlud, denn er und seine Frau meinten es nur gut. Gerade erwischte ich mich allerdings dabei, wie ich mal wieder nach einer Ausrede suchte. Es war nicht so, dass ich William und Sarah nicht mochte – das Gegenteil war der Fall. Aber ich war keine Spaßkanone und alles, was die üblichen drei Sätze Smalltalk »Wie geht es dir?«, »Was gibt es Neues?« und »Was hast du als nächstes vor?« überstieg, kostete mich Kraft, die ich nicht hatte. Ich war nach Dienstschluss am liebsten allein, so konnte ich auch niemanden enttäuschen. Das Essen war aber nicht alles, denn ich konnte mir denken, worüber er mit mir sprechen wollte. Mir war sehr bewusst, dass er irgendwann in den Ruhestand gehen würde und er aus diesem Grund gewisse Punkte mit mir klären wollte. Das war jedoch etwas, das ich noch weniger diskutieren mochte als den üblichen Kram.

»Um ehrlich zu sein …«, fing ich an, aber wurde von William unterbrochen, bevor ich meine Ablehnung aussprechen konnte.

Er hob seine Hand und winkte ab. »Wir sehen uns um acht, bis dann! Du kannst die Praxis abschließen, wenn du fertig bist.«

Ich starrte ihm wortlos hinterher. Für einen über Siebzigjährigen bewegte er sich recht flink, das musste man ihm lassen.

Nachdem ich einen tiefen Seufzer ausgestoßen hatte, beendete ich den Eintrag in die Akte und legte sie auf Deborahs Schreibtisch am Empfang. Von ihrem Platz aus hatte man den perfekten Überblick über das Wartezimmer und die beiden Behandlungsräume. Der linke gehörte William, wie man an den unzähligen Medizinbüchern im Regal und dem wuchtigen Mahagoni-Möbel erkennen konnte. Mein Zimmer rechts war moderner eingerichtet, mit hellen Möbeln und wenig Schnickschnack. Beide Räume teilten sich den beruhigenden Ausblick auf den kleinen Garten hinter der Praxis, wo zwischen gepflegten Rosenbüschen eine alte Gartenbank darauf wartete, dass sich jemand im Schatten eine Pause gönnte.

Deborah war gerade im Begriff zu gehen. Ihr Lächeln war ihre Konstante - warm und echt, auch wenn sie eigentlich zu müde dafür war, weil sie neben dem Job Kinder und Haushalt zu jonglieren hatte. Sie hatte diese besondere Gabe, selbst die mürrischsten Patienten mit ihrer herzlichen Art zu besänftigen. In ihrer Kaffeetasse stand der Spruch: »Sprich mich nicht vor dem ersten Kaffee an«, und Menschen, die sie schon länger kannten, wussten, dass es nur halb im Scherz gemeint war.

»Du kannst das morgen erledigen, geh nur«, sagte ich zu ihr und lächelte.

Sie nickte mir zu. »Danke, dann einen schönen Feierabend.«

In den Sommermonaten hatten wir viel zu tun. Neben den Bestandspatienten kamen die Touristen mit diversen Wehwehchen und Krankheiten hinzu. Je mehr zu tun war, desto besser, so kam ich weniger zum Nachdenken. Ich arbeitete gerne und lange, an den Wochenenden übernahm ich freiwillig jeden Notdienst, den ich kriegen konnte. Ich würde es nie vor William oder jemand anderem zugeben, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich meine Freizeit sonst füllen sollte. Alles kam mir so banal oder sinnlos vor.

Ich schnappte mir mein Handy und verließ die Praxis seufzend. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, atmete ich tief durch. Die Landarztpraxis lag in einem alten Steinhaus, dessen graue Mauern von Efeu umrankt waren. Die salzige Meeresluft hatte im Laufe der Jahre ihre Spuren an den Fensterrahmen hinterlassen, aber genau das machte für mich den Charme des Lebens hier aus.

Es war ein lauer Abend, die Sonne hing golden über dem Horizont und ihre Strahlen verbreiteten eine angenehme Wärme. Der Wind trug den Geruch von Meersalz und das Geräusch der rauschenden Brandung zu mir herauf. Ich schloss für eine Sekunde die Augen und in diesem Moment war alles in Ordnung, ein gewisser Frieden legte sich wie ein beruhigender Mantel über mein Gemüt. Aus Erfahrung wusste ich, dass diese Ruhe nicht lange anhalten würde und so war es auch heute. Ich schob die Schlüssel in meine Hosentasche und verzog meine Lippen. Ich war lausig darin, das Leben zu genießen.

Nein, diesen Pfad wollte ich jetzt nicht beschreiten. Bevor ich mich gleich an Sarahs und Williams Dinnertisch setzen konnte, musste ich unbedingt duschen. Außerdem wollte ich nicht mit leeren Händen bei den beiden auftauchen. Das hieß, ich musste zuerst einkaufen, weil ich nichts zuhause hatte, das sich als Mitbringsel eignete, deshalb marschierte ich schnurstracks in Richtung Supermarkt. Auf dem Weg warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Es war bereits kurz vor sieben, ich musste mich also beeilen, wenn ich nicht zu spät kommen wollte.

In Gedanken war ich weit weg vom malerischen Küstendorf. Die grauen Schieferhäuser und alten Cottages verschwammen vor meinen Augen, während ich mechanisch meinen Weg entlang der leicht ansteigenden Straße nahm. Die Abendsonne ließ ein weiches, gedämpftes Licht über das Dorf fallen. Nur gelegentlich streifte mein Blick die Schiefermauern und verwilderten Vorgärten, die ich in den Jahren, in denen ich hier lebte, zu schätzen gelernt hatte.

Nach wenigen Gehminuten betrat ich den örtlichen Supermarkt. Er war nicht groß, aber es gab alles, was man zum Leben benötige, inklusive einer kleinen Bäckerei mit ein paar Tischen für die Kundschaft. Auch hier war bald Feierabend, aber ich würde nicht lange brauchen, um das zu besorgen, was mir fehlte. Zuerst suchte ich nach Pralinen für Sarah und einer Flasche Wein für William – außerdem brauchte ich noch Frühstücksflocken für mich. In meiner Küche gab es generell nicht viele Lebensmittel, ich war selten zuhause und für mich allein zu kochen mochte ich nicht. Aber ehe ich morgens in die Praxis ging, löffelte ich meistens ein paar Cornflakes, um mein Gewissen – oder vielmehr die Leute, die mich ständig damit nervten, dass ich dieses oder jenes tun musste – zu beruhigen. Die andauernden Fragen waren auch ein Grund gewesen, warum ich seinerzeit nach Cornwall gekommen war. Hier konnte ich weitestgehend tun und lassen, was ich wollte, ohne, dass meine Familie sich permanent um mein Wohlergehen sorgte. Wenn mich jemand fragte, konnte ich, ohne zu lügen, antworten, dass ich etwas gegessen hatte.

KapitelZwei

Melissa

Ich war mit den Nerven am Ende und körperlich mehr als erschöpft. Gerade ging ich zum zweiten Mal die knarzende Treppe hinauf, um die letzte Tasche aus dem Auto nach oben zu bringen. Der Empfang bei Lucinda war nicht herzlich ausgefallen, und ich fragte mich, ob die Idee mit den Ferien in Cornwall nicht doch ein riesengroßer Fehler gewesen war. Mir schwante, dass Trixie mich ein wenig angeschwindelt hatte. Womöglich hatte Lucinda gar nicht eingesehen, dass sie Hilfe brauchte. Aber nun war ich hier – und abreisen konnten wir auch morgen noch, heute war ich dazu nicht mehr in der Lage. Als wir vorhin eingetroffen waren, hatte Lucinda uns mit einem sauertöpfischen Gesichtsausdruck begrüßt und mir und meinen Kindern im zweiten Satz klargemacht, dass wir ihr nicht auf die Nerven gehen sollten. Kein Lärm, kein Dreck, keine Veränderungen in ihrem Alltag, dann würde das mit uns klappen, hatte sie gesagt.

Carrie hatte mich vorwurfsvoll angesehen und Mick hatte gar nicht reagiert, weil es ihn nicht interessierte, was die, für ihn wildfremde, Frau zu meckern hatte.

Ich fragte mich jedoch, wie zur Hölle das gehen sollte, keinen Lärm und keinen Schmutz mit ins Haus zu bringen. Ich hatte zwei Kinder, natürlich bedeutete das Geräusche, und jeder von uns würde Spuren hinterlassen. Egal, sagte ich mir, vielleicht hatte sie es ja nicht so gemeint, wie es bei mir angekommen war.

Das alte Herrenhaus war groß, es gab viele Zimmer, die Lucinda nicht mehr bewohnte. Die Kinder und ich hatten quasi einen Flügel des Hauses für uns.

Ich bog auf der Galerie nach links ab, dort befanden sich drei Schlafzimmer und ein Badezimmer, das wir nutzen durften. Lucinda hatte ihre privaten Räumlichkeiten auf der rechten Seite.

Obwohl es ein sommerlicher Tag gewesen war, war es im Haus angenehm kühl. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie zugig es im Winter sein mochte. Die großen Sprossenfenster hatten schon bessere Tage gesehen, der Teppichboden und die Tapeten ebenfalls. Trotzdem versprühte das Anwesen einen gewissen Charme, auch, wenn die Einrichtung, wie alles andere, aus der Mode gekommen war. Es roch staubig und der Holzboden unter dem Teppich gab bei jedem Schritt quietschende Geräusche von sich. An den Wänden hingen Gemälde in goldenen Rahmen, auf einigen waren Ahnen zu sehen, auf anderen Landschaften.

Lucinda war mit dem Bruder meiner Grandma verheiratet gewesen, von ihnen entdeckte ich auch ein Porträt. Damals waren sie noch jung gewesen, trotzdem strahlten sie eine gewisse Strenge aus. Ich fragte mich, ob es an der Interpretation des Künstlers lag, dass mir beim Anblick des Bildes ein Schauer über den Rücken jagte, oder ob die beiden wirklich so unglücklich miteinander gewesen waren.

Ich setzte meinen Weg fort und brachte meine Tasche in das Zimmer, das für mich übriggeblieben war, nachdem Mick und Carrie sich jeweils eines ausgesucht hatten. Carries neues Reich war geräumig und hatte große Fenster, durch die man auf das Meer sehen konnte. Mick war die Aussicht egal gewesen, ihm war es wichtiger, dass die schweren Samtvorhänge auch wirklich jeden Sonnenstrahl davon abhalten würden, ihn beim Spielen mit der Playstation zu blenden.

Nachdem das geklärt und das Gepäck in den jeweiligen Räumen angekommen war, schaute ich nach Mick – er saß natürlich schon an der Konsole und zockte, auf den Ohren saßen Kopfhörer.

»Ich gehe kurz einkaufen«, machte ich auf mich aufmerksam. »Soll ich was für dich mitbringen?«

Er sah nicht mal in meine Richtung. »Schokolade und Snacks, ach ja und Cola«, antwortete er mir, ohne Bitte oder Danke, als wäre ich seine persönliche Angestellte.

Super, dachte ich, Zucker und ungesundes Knabberzeug. Das war genau das, was ich meinem heranwachsenden Sohn zu essen geben sollte.

»Ich sehe mal, was es gibt«, erwiderte ich vage. Er reagierte nicht, und mir wurde klar, dass er meine Anwesenheit längst ausgeblendet hatte und voll und ganz in seine Spielwelt versunken war. Morgen würde ich mich diesem Thema annehmen, heute hatte ich keine Kraft mehr für solche oder ähnliche Diskussionen.

Als nächstes klopfte ich an Carries Tür und öffnete sie einen Spalt. Meine Tochter lag auf dem Bett und telefonierte. Als sie mich entdeckte, warf sie mir einen finsteren Blick zu. »Du störst«, kommentierte sie meine Anwesenheit.

»Ich gehe einkaufen, brauchst du was?«, wollte ich von ihr wissen und verkniff mir eine bissige Antwort.

Carrie hob eine Braue. »Ein Ticket von Newquay nach London?«, schlug sie in schnippischem Tonfall vor.

Also wirklich! Ich schnaubte und zuckte dann die Schultern, weil ich mir vorgenommen hatte, ruhig zu bleiben. Es war für alle ein langer Tag gewesen, ach was, es waren eher Monate gewesen. So wenig ich ihr Verhalten gutheißen konnte, so sehr konnte ich ihre Frustration doch nachvollziehen.

»Bis später«, war daher alles, was ich erwiderte. Während ich mich zurückzog, hörte ich noch, wie Carrie bei ihrem Gesprächspartner über die ihr bevorstehenden Ferien lästerte.

»… wie soll ich es hier nur acht verdammte Wochen aushalten? Hier gibt es nichts! Das Haus ist alt und stinkig, in diesem Kaff möchte man nicht mal tot über dem Zaun hängen …«

Mehr bekam ich zum Glück nicht mit, weil ich die Tür bereits geschlossen hatte. Ich schluckte und versuchte, den Kloß in meinem Hals zu vertreiben, aber es gelang mir nicht. Tränen stiegen in mir auf, und ich lehnte mich gegen das kühle Holz, um mich zu sammeln. Ich kam mir wie die schlechteste Mutter der Welt vor, weil ich es niemandem recht machen konnte. Ich gab mein Bestes, nur reichte das anscheinend nicht aus.

Mir wäre es auch lieber, wenn sich das Leben nicht so entwickelt hätte. Aber es war nun mal so gekommen, und derzeit hatte ich meinen Kindern nichts anderes anzubieten.

Ich hatte acht Wochen Zeit, um herauszufinden, wie es für uns weitergehen sollte.

Aber eins nach dem anderen. Nichts musste heute entschieden werden. So verlockend es auch war, statt zum Laden zum Strand zu gehen, um dort ein paar Minuten für mich zu haben, so wenig würde ich sie mir gönnen. Ich musste an meine Kinder denken und den Kühlschrank füllen, denn in Lucindas Küche herrschte Ebbe.

Ich checkte auf meinem Handy, wo es einen Laden gab. Ich verlangte nicht, dass sie für uns einkaufte oder einen großen Aufwand betrieb. Schließlich war ich hergekommen, um sie zu unterstützen. Alles war besser, als in London zu bleiben. Dort hielt ich es nicht mehr aus. Das hatte ich zwar weder Freunden noch meiner Familie verraten, aber es war die Wahrheit. Deshalb nahm ich mir Lucindas schroffe Begrüßung auch nicht so zu Herzen, es war auch viel für sie. In ein paar Tagen sah das alles bestimmt anders aus. Wenn sie uns erst einmal besser kennenlernte und merkte, dass wir ganz nett waren, würde sie hoffentlich auftauen. Meine Kinder waren keine Teufelsbraten, sondern wunderbare junge Menschen, die eine schwere Zeit hinter sich hatten.

Nachdem ich mithilfe von Google einen nicht weit entfernten Laden gefunden hatte, nahm ich die Treppe nach unten und fand Lucinda im Wohnzimmer, wo sie eine Quizsendung ansah. Das Zimmer war mit einem Wort zu beschreiben: unübersichtlich. Es kam mir so vor, als hätte Lucinda über die Jahrzehnte ihres Lebens alles Mögliche gesammelt und nichts entsorgt. Es gab mehrere vollgepackte Regale, die überquollen, jeder Zentimeter der Fensterbretter war mit Nippes vollgestellt. Auf den Sofas lagen Wolldecken, Plaids und viele Kissen, nichts davon passte zusammen. Der Fußboden war mit diversen Teppichen »geschmückt«, die jeder für sich vermutlich schön gewesen wären, aber das war lange her, und das Gesamtbild wirkte schlicht überwältigend chaotisch. Es löste in mir den Drang aus, sofort aufräumen zu wollen. Allmählich begriff ich, warum Trixie so von meiner Idee begeistert gewesen war und warum Lucinda nicht ahnte, was ich vorhatte. Aber das konnte ich noch nicht mit Sicherheit sagen, über die Details meiner »Hilfe« hatte ich noch nicht mit ihr gesprochen, und jetzt würde ich es auch nicht tun. Heute hatte ich nicht mehr die Kraft dazu.

Der Fernseher war in einer Lautstärke eingestellt, die vermutlich sogar die Nachbarn hören konnten – und das nächste Haus lag ein paar Hundert Meter entfernt. Die schweren Vorhänge mit dem verblichenen Rosenmuster waren nur halb zugezogen, sodass man einen Blick auf den verwilderten Vorgarten erhaschen konnte, wo die Hortensien ungezähmt wucherten.

Ein alter Lehnstuhl stand strategisch günstig zum Fernseher ausgerichtet, die Armlehnen blank poliert von jahrelanger Benutzung. 

»Lucinda«, machte ich auf mich aufmerksam. »Benötigst du etwas? Ich wollte zum Supermarkt gehen, ehe er schließt.«

Sie sah auf und blickte mich über den Rand ihrer dicken Brille an. Um den Hals baumelte eine Perlenkette, die Füße hatte sie auf einem Hocker abgelegt. Lucinda bewegte sich mit der vorsichtigen Eleganz einer Frau, die ihr Leben lang auf gute Haltung geachtet hatte. Ihre schmale Gestalt wirkte zerbrechlich, doch ihr Rückgrat war gerade, was jedem unmittelbar klarmachte, dass sie eine Frau mit Prinzipien war. Ihre Haut war faltig, aber nicht schlaff, und ihre Augen blickten mir überaus wachsam entgegen.

»Habe ich mich vorhin nicht klar ausgedrückt, als ich gesagt habe, dass ich nicht gestört werden möchte?«

Ich blinzelte ein paar Mal, weil ich zu perplex war, um sofort darauf zu antworten. Daraufhin zog ich mich mit einem Spruch auf den Lippen zurück, den sie nicht hören konnte. Also sowas! Egal, sagte ich mir, denn ich wollte mich nicht schon wieder aufregen und setzte meinen Weg fort.

Neben der Eingangstür hing ein Brett, von dem ich mir einen Haustürschlüssel nahm. Auch im Flur standen viel zu viele Dinge herum. Sideboards, Schränke, eine Garderobe mit unzähligen Jacken, von denen vermutlich nicht mal alle Lucinda selbst gehörten. Es roch ein wenig muffig, was ich schade fand. Ein Cottage wie dieses sollte nach Lavendel und frisch gebackenen Scones duften.

Angespannt verließ ich das Haus und marschierte mit einem dicken Klumpen im Magen über die gekieste Auffahrt davon. Ich war wütend, traurig, einsam und erschöpft, das war keine gute Kombination. Trotzdem nahm ich meine Umgebung mit einer gewissen Dankbarkeit wahr. Das Anwesen war hübsch, obwohl man zweifellos sehen konnte, dass es in den letzten Jahren vernachlässigt worden war. Die Hecke müsste mal wieder geschnitten werden, überall wucherte Unkraut und auch das Laub aus dem vorausgegangenen Winter war noch nicht entfernt worden. Ich hatte noch nicht den ganzen Garten überblickt, aber mir wurde auch so klar, dass es hier viel zu tun gab. Pflanzen, Büsche und Bäume reihten sich aneinander und ich war überzeugt, dass er einmal sehr schön gewesen war, sogar jetzt, in diesem Zustand fand ich es noch idyllisch. Es gab Eschen, Holunderbüsche, Eichen, Mounterey-Kiefern und Spitztannen. Das Meer konnte man von hier unten nicht sehen, aber ich konnte es riechen und freute mich sehr darauf, in den nächsten Tagen baden zu gehen. Manchmal waren es die kleinen Dinge im Leben, die einen hoffnungsvoll stimmten, bei mir war es jedenfalls so.

Auf dem Weg zum Supermarkt merkte ich, dass sich trotz des ganzen Stresses ein leises Lächeln auf meine Lippen gestohlen hatte. Lucinda und die Kinder konnten sagen, was sie wollten, ich würde mich nicht davon runterziehen lassen. Ich war fester davon überzeugt denn je, dass die Zeit hier gut für uns alle sein würde.

Das Dörfchen gefiel mir, dreitausend Seelen sollten hier ungefähr leben, das hatte mir zumindest Google vorhin ausgespuckt, als ich St. Agnes eingegeben hatte. Die meisten Häuser waren schon älter, die grauen Steine und süßen Schindeldächer mit den vielen Schornsteinen verbreiteten eine urige Atmosphäre, aber natürlich hatte die moderne Zeit auch nicht vor diesem Küstenort Halt gemacht. Hier und da hatte sich ein neueres Haus dazwischengeschoben, bevorzugt an den Stellen, von denen man die beste Aussicht auf das Meer hatte.

Bis ich am Laden angekommen war, brannten meine Waden und Oberschenkel, weil es bergauf gegangen war. Ja, mit meiner Fitness hatte es auch schon besser ausgesehen. Ich atmete ein paar Mal durch, bis sich mein Puls wieder halbwegs beruhigt hatte und schnappte mir dann einen Einkaufswagen, um den schnuckeligen Laden zu betreten. Im Eingangsbereich, der hell und offen war, gab es eine Bäckerei mit ein paar Sitzplätzen, von hier aus konnte man auch das Meer sehen. Tagsüber war sicher jeder Platz besetzt, ich war bestimmt nicht die Erste, der das aufgefallen war.

Trotzdem würde ich in den nächsten Tagen wiederkommen, um mir einen Kaffee und ein Stück Kuchen zu gönnen. Um meine Figur konnte ich mich ein anderes Mal kümmern. Derzeit war es mir egal, ob ich ein paar Kilos zu viel auf den Rippen hatte. Da waren in den letzten Monaten einige hinzugekommen. Ich war keine der Frauen, die bei Stress abnahmen, ich war eine von denen, die sich nach einem langen, emotional aufreibenden Tag mit einer Packung Pralinen ins Bett legten, um sich zu trösten. Das sah man mir leider auch an.

Mit neuem Mut betrat ich samt Einkaufswagen den Laden und begann in der Obst- und Gemüseabteilung Diverses hineinzuschmeißen. Als Nächstes kamen Dinge des täglichen Lebens wie Brot, Marmelade und natürlich Schokocreme hinzu, die bei meinen Kids nicht fehlen durfte. Sogar ein paar Snacks für Mick packte ich ein, obwohl ich wusste, dass es ungesund war, aber er hatte Ferien, und im Gegensatz zu mir war er eher zu mager als zu dick.

Ich war beinahe an der Kasse angekommen, als mir einfiel, dass wir unbedingt Cornflakes benötigten, ansonsten würde es morgen beim Frühstück lange Gesichter geben. Seit der Trennung bestand Mick jeden Tag auf dieselbe Sorte. Mir war nicht klar, ob es da wirklich einen Zusammenhang gab. Aber als sie uns einmal ausgegangen waren, hatte es großes Theater mit Tränen und Türenknallen gegeben. Das wollte ich für das erste Frühstück bei Lucinda, die ja anscheinend sehr empfindlich war, nicht riskieren.

Als ich in die Reihe mit den Cerealien einbog, entdeckte ich einen Mann am Regal. Als ich näherkam, begriff ich, dass er gerade die letzte Packung der Sorte genommen hatte, die ich für Mick brauchte.

So ein Mist! Meinem Gehirn blieb nicht viel Zeit, um eine Entscheidung zu treffen, also wägte ich ab: Gekreische und Stress zuhause gegen die Wahrscheinlichkeit zu riskieren, dass mich ein Wildfremder für eine Verrückte hielt.

Das Votum fiel für meinen morgendlichen Frieden aus, deshalb trat ich zu dem Mann und sagte: »Tut mir leid, diese Packung muss ich leider haben!« Ich riss ihm die zuckrigen Cornflakeskissen mit Nuss-Nougatfüllung aus der Hand.

Mein Herz klopfte wild, denn mir war klar, dass ich mich unmöglich benahm. Der Fremde war einen guten Kopf größer als ich, er hatte braunes, volles Haar, durch das sich wenige silberne Fäden zogen. Sein Gesicht war kantig, auf seinen Wangen lag ein dunkler Bartschatten. Er schaute mich aus großen, blauen Augen an. »Soll das ein Witz sein?«, antwortete er und kniff die Brauen argwöhnisch zusammen.

Seine dunkle Stimme ließ einen wohligen Schauer an meiner Wirbelsäule entlang rieseln.

Er sah gut aus, nein, das war gelogen. Er war unglaublich attraktiv. Der Unbekannte hatte Muskeln an den richtigen Stellen, er war weder schlaksig noch besonders breit. Seine sinnlichen Lippen hatte er skeptisch zusammengepresst. Es war offensichtlich, was er von meiner Aktion hielt, und ich konnte es ihm nicht verdenken.

»Es tut mir leid, es ist wirklich ein Notfall«, war alles, was ich atemlos hervorbrachte.

Ich schwitzte und mir wurde deutlich bewusst, wie abgekämpft ich nach dem langen Tag, ach was, nach den schrecklichen Monaten, aussehen musste.

Und dann erinnerte ich mich daran, dass es mir piepegal sein konnte, was dieser Mann über mich dachte. Ob er mich für bescheuert oder neurotisch hielt, spielte absolut keine Rolle. Ich würde ihn vermutlich nach diesem Supermarktbesuch nie wieder sehen und selbst wenn: Ich wollte keinen guten Eindruck hinterlassen, es war mir egal, was er über mich dachte.

Ich war nicht auf der Suche nach einer neuen Bekanntschaft. Zwar war meine Ehe offiziell beendet, aber die Scheidungspapiere trugen noch keinen amtlichen Stempel. Nach Männern stand mir ohnehin nicht der Sinn – im Gegenteil, ich hatte genug von ihnen.

Allerdings wäre es leicht, all das bei seinem Anblick zu vergessen. Er war wirklich ansehnlich, sogar, wenn er so finster dreinblickte wie jetzt.

»Sie haben einen Vogel! Und jetzt geben Sie mir die Cornflakes zurück!« Er griff nach der Packung, aber bekam sie nicht zu fassen, denn ich war schneller und stolperte zwei Schritte rückwärts, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

»Nein, das geht nicht!«, widersprach ich.

Ich würde alles tun, um diese Cerealien am Ende in meinem Wagen zu haben. In meinem Kopf lief immer wieder die Szene ab, die sich abspielen würde, sollte es mir nicht gelingen, meinem elfjährigen Sohn morgen das gewünschte Frühstück zu servieren. Wenn Mick die erste Nacht in einem völlig fremden Haus, an einem Ort, an dem er nicht sein wollte, hinter sich hatte und obendrauf die falschen Cornflakes in der Milch schwammen, würde er ausflippen.

Lieber würde ich splitternackt über ein Fußballfeld rennen, mich mit brennenden Haaren über ein Ölfass beugen oder einem wildfremden Menschen erklären, wie kaputt so ein Beckenboden nach zwei Schwangerschaften war, als dass ich diese Packung wieder herausrückte.

»Wissen Sie, ich habe einen langen Tag hinter mir, und wenn das eine Anmache sein soll, kann ich Ihnen sagen, dass ich nicht das geringste Interesse an einer Bekanntschaft habe«, erklärte mir der Mann jetzt.

Mein Mund klappte auf. Hatte er das eben wirklich gesagt? Ich meine, mir war bewusst, wie abgekämpft ich aussehen musste und wie verrückt ich mich verhielt, aber dachte er ernsthaft, dass ich ihn anmachen wollte? Das war absurd. Selbst wenn, wäre ich doch wohl ein wenig kreativer vorgegangen! Also bitte!

Nach einem kurzen Augenblick des Erstaunens fand ich meine Sprache wieder. »Das hätten Sie wohl gerne!«

Der Mann neigte seinen Kopf zur Seite und betrachtete mich ausgiebig. Er ließ seinen Blick langsam über meinen Körper gleiten, und mir wurde noch wärmer. Zum Glück trug ich ein weißes Shirt zur blauen Leinenhose, bei dem man nicht erkennen konnte, dass sich Schweißflecken unter meinen Achseln ausbreiteten.

»Nein, wirklich nicht«, erwiderte er, aber etwas in seinem durchdringenden Blick sagte mir, dass er mich vielleicht nicht so schrecklich fand, wie ich mich fühlte.

Ich schluckte trocken. Womöglich war ich jetzt doch durchgeknallt, wenn ich mir einbildete, dass ein wildfremder Mann mehr in mir sehen könnte als eine Frau mit fünfzehn Kilo zu viel auf den Rippen, dunklen Augenringen und ersten Knitterfalten im Dekolleté.

---ENDE DER LESEPROBE---