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Was wäre, wenn die Auferstehung von Jesus Christus gar nicht geplant war? Drei Tage nach der Kreuzigung erwacht Jesus in seinem Felsengrab, lebendig - und verwirrt. Ein satanisches Ritual hat ihn unsterblich gemacht, aber wenn er nicht stirbt, sind die Sünden der Menschen nicht vergeben, und das war doch seine einzige Aufgabe auf Erden! Was nun? Gemeinsam mit seinem Verräter Judas reist Jesus durch die nächsten 2000 Jahre Menschheitsgeschichte, inspiriert Leonardo Da Vinci zum letzten Abendmahl, begegnet Martin Luther und muss mit blutenden Marienstatuen klarkommen. Wird der satanische Sohn Gottes es schaffen, rechtzeitig vor der Apokalypse zu sterben, damit die Menschheit doch noch gerettet werden kann?
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Seitenzahl: 207
Veröffentlichungsjahr: 2022
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1 Ein böses Erwachen
2 Das Licht in der Dunkelheit
3 Der Verräter aller Dinge
4 Christ ist auferstanden
5 Die Kirche des Herrn
6 Geht und verbreitet die Kunde
7 Vom Saulus zum Paulus
8 Wunder über Wunder
9 Über den Jordan gehen
10 Reliquienhandel In Corpus
11 Der arbeitslose Zimmermann
12 Vive la Renaissance
13 Die 95 Thesen
14 Hexenverbrennung
15 Selbstmord
16 Blut und Toast
17 Vaterfreuden
18 Tag X
19 Über Kunst lässt sich streiten
20 Die Passion Christi
21 Die Entstehung der Arten
22 Eine himmlische Begegnung
23 Geiselhaft
24 Himmelfahrtskommando
25 Judas und sein schräger Vogel
26 Das Ende der Welt
27 Vater unser
28 Der Allmächtige
29 Aller Tage Abend
30 Das letzte Wort
31 Eschatologie
Wir alle kennen die Geschichte vom Jesuskind, wie es in Bethlehem geboren und in die Krippe gelegt wurde. Es kamen die himmlischen Heerscharen, die heiligen drei Könige mit Geschenken, Herodes tötete tausende Erstgeborene – und dann kam erst mal nichts mehr. Circa dreißig Jahre später ärgert Jesus die Römer mit seinen liberalen Ideen so sehr, dass sie ihn dafür ans Kreuz nageln. Das ist eine ziemlich martialische Art zu sterben, mit jeder Menge Folter, Blut und so ziemlich allem, was kein Mensch je erleben möchte. Da ist es schon fast eine Gnade, wenn man, halb verblutet und durch Hände und Füße gepfählt, von der Wüstensonne ausgetrocknet endlich sein Leben aushauchen darf. Darum wollen wir das an dieser Stelle auch nicht weiter ausführen. Aber was wir hier erzählen wollen, ist schon eine Geschichte von Jesus Christus. Und von Judas Ischariot, dem Mann, der ihn für 30 Schekel verraten hat.
Eigentlich lief damals alles so, wie Gott es geplant hatte. Jesus war von der ganzen Kreuzigungs-Idee nie besonders begeistert gewesen, aber wer kann zu Gott schon „nein“ sagen? In seinen letzten Sekunden dachte Jesus erleichtert: „Endlich geschafft“, und machte sich bereit, in den Himmel aufzufahren Er sah die Wolkendecke, aber irgendwie war das heilige Licht heute seltsam beige. Er streckte die Hand aus — und konnte die Farbe sogar beiseite wischen? Es fühlte sich an wie ein Leinentuch und dahinter kamen bräunlichgraue Felsen zum Vorschein. Keine Wolken, sondern ganz klar eine Felsendecke, etwa in zwei Metern Höhe über ihm. Hatte man umdekoriert, seit er weg war? Jesus setzte sich auf, mit einem ziemlichen Schädel, schaute sich um, sah nur mehr Felsen und da rechts von ihm stand der Teufel. Der Leibhaftige selbst, natürlich nicht in dieser lächerlichen Gestalt mit Hörnern und Pferdefuß, sondern noch genau wie damals bei der Rebellion. Vielleicht ein bisschen gefährlicher, auch wenn man den Finger nicht darauf legen konnte, was an ihm diese bedrohliche Aura ausstrahlte. Jesus inspizierte die Höhle genauer. Er selbst saß auf einem großen Steinplateau genau in der Mitte, bedeckt mit dem mehr oder weniger dreckigen Leichentuch, das er anfangs für den Himmel gehalten hatte. Offenbar hatte der Teufel einen magischen Kreis mit Pentagramm um das Plateau gezogen, überall Blut verschmiert und Kerzen aufgestellt.
„Es hat geklappt! Ich werd bekloppt, es hat geklappt!“, war das Erste, was Jesus im Diesseits wieder hörte. „Bitte was?“, fragte er ungläubig und versuchte sich von dem Tuch zu befreien, das scheinbar irgendwo unter seinen Beinen festgesteckt war. „Die Wiederweckung hat geklappt! A-ha!“, lachte Luzifer auf und konnte es selbst kaum glauben. Völlig verzückt hopste er in seinem weißen Anzug von einem Bein auf das andere, drehte sich und hockte sich hin, sodass seine langen blonden Haare fast den Boden berührten. Mit der linken fuhr er beiläufig durch die wallende Mähne. „Was?“, fragte Jesus nochmal, als er sich endlich aus dem Tuch befreit hatte und seine völlig gesunden Füße auf den staubigen Höhlenboden setzte. „Das ist ja kalt“, rief er, überrascht, dass er etwas spürte. Die fehlenden Löcher von den Nägeln fielen ihm nicht auf. Er hätte doch schon längst in den Himmel aufgefahren sein sollen… Was stimmte hier nicht? Luzifer konnte sich derweil nicht entscheiden: Sollte er erst einmal den Sohn Gottes auslachen, sich lieber dramatisch vor ihm aufbauen und die Botschaft wie Giftgas seiner Kehle entsteigen lassen? Oder sollte er mehr Effekt in die Show legen und weitere Tote heraufbeschwören? Die Ausgeburten der Hölle vielleicht? Ach, so viele Möglichkeiten, diesen einzigartigen Moment zu gestalten. Doch bevor er Jesus' Aufmerksamkeit verlor, weil er zu lange brauchte, sagte er schlicht: „Willkommen zurück.“ Jesus starrte den Teufel an. Dann die Wände. Dann seine Hände, dann wieder den Teufel. „Warum bin ich nicht im Himmel?“, fragte er schließlich leicht gereizt, denn Gott hatte ihm ja einen Zeitplan vorgelegt. Als ob Zeit für Unsterbliche irgendeine Bedeutung hätte. Das war doch nur ein belangloses, menschliches Konstrukt.
„Nun, ich habe dich wiedererweckt“, sagte Luzifer, doch so sehr er sich auch zurückhielt, er platzte vor Stolz. „Mit meiner Magie habe ich dich ins Leben zurückgeholt.“
„Red keinen Quatsch, warum?“
„Aus Herzensgüte.“
Beide schwiegen kaum zwei Sekunden, dann brach Luzifer in Gelächter aus, sodass Jesus ihn unmöglich ernst nehmen konnte. Das konnte er nie.
„Ja klar. Als ob du überhaupt weißt, was das ist“, gab er knatschig zurück, „ich bin mir ziemlich sicher, gestorben zu sein und das hier ist definitiv nicht der Himmel oder die Hölle!“ Jesus sah sich nochmals um, um auf Nummer sicher zu gehen. Nein, das hier war definitiv nur eine Höhle. Kein Schwefel, keine Folterinstrumente, keine billige Kaffeemaschine, nichts. „Du bist nicht tot“, bestätigte Luzifer und wippte wie ein freches Kind von den Zehenspitzen auf die Fersen und zurück. „Ich bin eben der Leibhaftige, also habe ich dafür gesorgt, dass dein Leib an dir haftet. Oder du die Haft in deinem Leib antrittst. Oder dass du jetzt selbst ein Leib-haftiger bist.“
„Lass die blöden Wortspiele.“ Jesus stand auf. „Ich verlange, dass du mich sterben lässt! Was soll das bitte? Fehlt dir noch ein Mitspieler fürs Astragal, oder was?“ „Fast“, feixte Luzifer wieder und packte Jesus versöhnlich bei der Schulter. „Das ist natürlich Teil meines diabolischen Plans.“ Mit einem gewissen Zwang drückte er ihn zurück auf das Plateau und setzte sich dazu: „Einer meiner Kumpels im Himmel sagte mir, dass der Alte dich auf die Menschheit losgelassen hat, damit du predigst, stirbst und so für ihre Sünden büßt. Damit all diese nutzlosen Existenzen gereinigt und geheiligt am Tag des Jüngsten Gerichtes wieder auferstehen und nicht zur Hölle fahren“. Er machte keinen Hehl aus seinem Abscheu für die Menschheit. „Aber daraus wird nichts. Du bist nicht gestorben, also sind die Sünden nicht vergeben. Du bist lebendig, naja, untot – mehr schafft dieser einfache magische Kreis nicht, aber -“
„Du meinst, mehr bringst du nicht zustande“, stellte Jesus besserwisserisch fest, „das Böse kann eben kein Leben erschaffen.“ Er wollte sehen, ob er den Teufel nicht vielleicht doch provozieren und zum Totschlag verleiten könnte. Es würde bestimmt auch aus dem Affekt zählen. Doch der Kerl blieb immer so widerlich gelassen, als würde er einfach alles durchschauen. „Du hast ja recht“, gab Luzifer mit erhobenen Händen zurück, „Leben erschaffen ist nicht meins, aber fürs vom-Sterben-Abhalten reicht es. Und das ist alles, was ich brauche. Solange du hier auf der Erde bist, ist keiner für die Menschen ins Jenseits gegangen, um ihre Schulden zu bezahlen. Gottes Plan geht nicht auf und am Jüngsten Tag werden alle Seelen dann meine. So wie es sein sollte — also, der Gerechtigkeit wegen, du weißt schon.“ Luzifer erhob sich, schlenderte scheinbar wahllos durch die Höhle, doch seine Aufmerksamkeit blieb auf die Beute gerichtet. Er sah die Gänsehaut im Nacken des Heilands und lächelte gewinnend. Scheinbar fühlte er sich gejagt. Gut so.
Voller Wut hob Jesus die rechte Hand, formte einen Kreis und schickte seinen verlässlichen Dämonenbann in Richtung Luzifer los. Doch der entstehende matte Lichtkreis wobbelte nur unkoordiniert ein paar Zentimeter vorwärts und verglomm mit einem „Pff“, bevor er den Teufel erreichen konnte. Beide starrten die Luft an der Stelle, an der der Kreis verschwunden war, an. Der Dämonenbann war bisher noch immer der Schlüssel zum Sieg des Guten über die Versuchung gewesen, doch er funktionierte nicht mehr. Panisch rief Jesus: „Wie hast du das gemacht?“
„Ich habe gar nichts gemacht“, stellte Luzifer klar, „du bist mit schwarzer Magie wiederbelebt worden, durch das Blutopfer von 1000 Dämonen und 42 Menschen. Du bist jetzt eine Kreatur der Dunkelheit, darum kannst du keine Hand mehr gegen mich erheben. Wir nehmen das streng hierarchisch, weißt du?“ Er genoss die völlige Perplexität des Gottessohnes.
„Und du glaubst im Ernst, dass Gott das zulassen wird, ja?“, fragte Jesus, bemüht, selbstbewusst zu klingen, „Du weißt, dass er seine Pläne immer durchsetzt, egal was irgendjemand davon hält.“
„Mag sein“, erwiderte Luzifer und zuckte mit den Schultern, „aber das darfst du Papa selber beibringen. Also, dass du dich nicht einmal umbringen lassen konntest. Wäre doch jammerschade für dich und all jene, denen du hier so einiges versprochen hast, wenn sie dann nicht in den Himmel kommen, nicht wahr?“ Jesus biss sich auf die Unterlippe. Gott hatte ganz klar gesagt: „Das ist deine Chance, dich zu beweisen“, als er ihn losgeschickt hatte. Wenn er hier versagte, was dann? Genießend schloss Luzifer die Augen, um seinen Sinnen die Verzweiflung des Gottessohnes darzubieten. Jesus wollte das für einen erneuten Angriff nutzen. Ohne den Bann zu seiner Verfügung versuchte er es mit einer Segnung, aber seine Hand bewegte sich nicht nach seinem Willen, sondern zeichnete das nötige Symbol falsch herum in die Luft. Nichts passierte. Wütend rief er: „Du verdammter Mistkerl!“, doch die Beschimpfung versagte ebenso.
„Ja, das ist mein Job, gewöhn dich dran.“ Luzifer öffnete gelassen wieder die Augen. „Ein Hohn, seinem ausgelieferten Erzfeind nichts tun zu können, hm? Also dann: Man sieht sich.“ Damit löste sich der Teufel in Luft auf, das Pentagramm, die Kerzen und Blutspritzer verschwanden mit ihm. Für Jesus klang es wie der Todesschrei tausender Grigori.
Da stand Jesus nun in seinem Leichengewand in der Höhle, ganz allein. Die geheuchelte Ruhe fiel von ihm ab. „Nein, nein, nein, nein!!!“, schrie er und stampfte mit beiden Füßen durch die Höhle. Er rannte von einer Seite zur anderen, trommelte brüllend gegen die Wände, sobald er sie fand, und trat schließlich gegen das Plateau, wobei er sich so mächtig den dicken Zeh verknackste, dass er noch lauter fluchte. Irgendwann lehnte er sich erschöpft gegen den Steinquader und versank in Verzweiflung: „Oh, Gott wird mich umbringen! Oh Gott, was soll ich nur machen, so eine Scheiße, ich-!“ Gerade als Jesus' Lamento Fahrt aufnahm, war ein leises Kratzen und Scharren zu hören. Er lauschte. Es war ein dumpfes Geräusch, schwer zuzuordnen. Scheinbar kam es von dem großen Stein, der wohl den Höhleneingang verschloss. Den Eingang? Wer kam denn hier rein, zum Teufel? Panisch rappelte sich Jesus auf, sah sich nach einem Ausweg um, fand keinen, sprang in einer Spontanidee auf das Plateau zurück und deckte sich behelfsmäßig mit dem Tuch zu. Musste er die Luft anhalten? Keine Ahnung, er wusste es nicht, atmete er überhaupt? Warum versteckte er sich? Würde er leuchten wie das sprichwörtliche Licht in der Dunkelheit, das er war? Und wer war da draußen? Wäre es nicht besser gewesen, Steine unter das Tuch zu legen und sich selber woanders zu verstecken? So konnte er ja gar nicht sehen, wer da kam und – Jesus'innerer Panikmonolog erlosch, als er ein finales „Krrrrsch-Rums“ und dann nichts mehr hörte. Das musste der Stein gewesen sein, der den Eingang blockiert hatte. Nun war der Weg frei. So frei, dass alles und jeder einfach hereinkommen konnte! Hätte Jesus' Herz noch geschlagen, hätte es jetzt mit seiner Lunge Bockspringen gespielt. Seine Gedanken rasten, er hatte Bilder von schlagenden Herzen, verräterischen Nervenimpulsen, rauschenden Blutbahnen im Kopf, und sich selber wie er schreiend in der Mitte des Raumes stand. Doch nach außen hin sah er einfach aus wie tot. Hätte er das gewusst, hätte ihn das sicher beruhigt. Der schwache Schein einer Fackel kam langsam näher. Jesus hörte ein Knacken, ein schlurfendes Geräusch, erahnte durch die geschlossenen Lider das Licht – und dann hörte er ein pfeifendes Atmen durch eine halb verstopfte Nase. Dieses verräterische Schnorcheln. Damit wusste er ganz genau, wer da in sein Grab eingedrungen war. Mit einem einzigen Schwung setzte er sich auf, schlug das Tuch zurück, deutete mit dem Zeigefinger auf den Eindringling und brüllte: „Du!“ Der Eindringling, aka Judas ließ die Fackel fallen und schrie, wie es jedes überraschte Opfer beim Anblick einer lebenden Leiche tun würde, und rannte los. In der Panik, dass Jesus nicht brav tot auf dem Plateau liegengeblieben war, fand er den geraden Weg zum Ausgang nicht und rannte gegen die rechte Höhlenwand.
Angriffslustig schwang sich Jesus von seinem Plateau hinunter, dieser Judas konnte was erleben! Der rappelte sich auf, wollte wieder in Richtung Ausgang, doch Jesus schnitt ihm den Weg ab. Judas tat einen Schritt nach links, dann nach rechts, aber Jesus kopierte seine Bewegungen und stand ihm weiter im Weg. „Sieh!“, rief Judas geistesgegenwärtig und deutete nach oben zur Höhlendecke, was Jesus ablenkte und ihm die Gelegenheit zur Flucht gab. Judas rannte, Jesus hinterher, versuchte ihn am Ärmel zu erwischen, doch diese falsche Schlange war verflucht schnell. Schließlich schaffte Judas es, das Plateau zwischen sich und Jesus zu bringen und sie liefen hintereinander her, bzw. voreinander weg. Jesus brüllte so viele Schimpfworte wie in seinem ganzen Leben nicht, Judas wurde so schnell, dass er Jesus fast einholte, doch dann stoppte Jesus abrupt und Judas knallte voll in ihn rein. Gemeinsam stürzten sie zu Boden. Judas schrie erneut hysterisch auf, als er Jesus auf sich liegen spürte, sah seine nicht ganz so ruhmreiche Vergangenheit vor seinem inneren Auge ablaufen und bedauerte, nicht noch einmal heißen Dattelsaft getrunken zu haben. Da gab Jesus ihm eine saftige Ohrfeige auf die rechte Wange und, weil es nun einmal so üblich war beim Sohn Gottes, auch auf die andere. Seltsamerweise beruhigten Judas die Ohrfeigen nicht, aber immerhin schwoll sein Gesicht so an, dass die Schreie ein wenig gedämpft wurden. Auch das pfeifende Nasengeräusch, das Jesus vom ersten Tag an genervt hatte, war verschwunden. Gelobt sei der Herr.
„Wirst du wohl still sein, du hysterisches Weib?“, brüllte Jesus und schüttelte Judas, gewillt, ihm noch so viele Ohrfeigen zu geben wie nötig waren, immer in gerader Anzahl.
„Du bist tot, du bist tot“, nuschelte Judas ängstlich und Jesus stieg von ihm herunter. „Sehe ich etwa tot aus?“ Jesus schüttelte seine verkrampften Hände aus, verschränkte dann die Arme und lehnte sich an das Plateau. Irgendwie gab es ihm einen Halt in dieser verrückten Situation. Das Feuer der Fackel warf gespenstische Schatten auf das Gesicht des Heilands, sodass jeder ehrliche Mensch die „Sehe ich etwa tot aus“-Frage mit „Ja, du siehst verdammt tot aus“ beantwortet hätte. Aber Judas, von jeher ein Freund der Ironie, sagte nur: „Ach nee, du, gar nicht“, und versuchte seine Fassung wiederzugewinnen. Wenn das hier Jesus' Geist war, würde der ja sicher verschwinden, sobald der Wunsch, der ihn im Diesseits hielt, erfüllt war. Um das zu bewerkstelligen, brauchte Judas aber mehr Informationen. Also setzte sich der pragmatisch Denkende neben den Geist auf den Boden und kühlte immer abwechselnd seine geschwollenen Wangen an dem kalten Stein. Jesus erzählte von der Kreuzigung und seinem gescheiterten Tod, dem Intermezzo mit dem Leibhaftigen und dass er nun eine seltsam abgefahrene Mischung aus Sohn Gottes und widernatürlichem, schwarzmagischem Untoten war. Judas hörte zu. Schließlich saßen die beiden da, schwiegen und dachten über Leben, Tod und Untote nach.
„Die Lösung ist ja eigentlich ganz einfach“, verkündete Judas schließlich, „wenn du für die Menschheit sterben sollst, musst du das einfach nachholen und gut ist.“ „Ja, ach nee, darauf wäre ich ja nie gekommen“, ahmte Jesus Judas' Tonfall verbittert nach. Leider war Judas nicht eben jemand, der einem in der Stunde der Not Trost spendete, sondern immer an den Fakten orientiert war. Er bot Lösungsvorschläge, wenn man Mitleid wollte. Das war so nervig.
„Und was soll ich deiner Meinung nach stattdessen tun?“, rief Judas empört, „Du hast mir nie was von deinen Plänen gesagt, ich habe mir immer voll Mühe gegeben, ein guter Jünger zu sein und du warst so >>Nee, danke!<< Und was habe ich davon? Jetzt wird von mir nur in die Geschichte eingehen, dass ich erfolglos den Sohn Gottes an die Römer verraten habe.“ „Und dich danach selber erhängt hast“, murmelte Jesus. „Was?“
„Was?“
„Hast du gerade gesagt, ich soll mich erhängen?“ „Ach nichts“, Jesus versuchte mit einem abschweifenden Blick auszuweichen.
„Weiß Gott schon davon? Also wenn er allwissend ist...“, vermutete Judas und gerade als Jesus etwas entgegnen wollte, erschien wie aufs Stichwort die göttliche Aura um Jesus' Kopf. Das Zeichen, dass der Heilige Geist über ihn kam und mit Lichtgeschwindigkeit die Verbindung zu Gott aufbaute. Judas wich zurück, geblendet von der Herrlichkeit des – naja, Herrn.
„Jesus mein Sohn, wo treibst du dich wieder herum? Warum bist du noch nicht zurück?“, schallte es in Jesus Kopf mit der überwältigenden Stimme Gottes.
„Oh hey, sei gegrüßt, alles gut? Ja, ich dachte, ich vertrete mir noch ein bisschen die Beine und so, bevor ich wiederkomme. Bis zur Apokalypse gibt's für mich ja grad eh nichts zu tun, oder?“ Jesus überlegte fieberhaft. Wie konnte man Gott überlisten? Jetzt musste er sehr schnell einen perfekten Plan finden, den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde hereinzulegen. Aber er durfte nicht daran denken, denn während dieser Verbindung kommunizierten sie über Gedanken. Sich einen Plan auszudenken ohne zu denken erschien Jesus unmöglich. Er druckste herum, wusste nicht weiter, seine Zunge stolperte ungelenk über die Zähne und brachte nur Kauderwelsch hervor. Auch die seltsamen Fingerzeichen, die Judas ihm gab, brachten ihn nicht weiter. Gerade als er alles beichten wollte, sagte Gott: „Schön, dass du Interesse an der Schöpfung zeigst.“ „Ja, das ist echt super spannend hier, ich will mir das alles noch ein bisschen angucken, ist echt super!“, rief Jesus und kratze sich verräterisch am Kopf. „Ist alles gut bei dir? Da sind dunkle Schwaden, der Empfang ist ziemlich schlecht.“
„Was? Äh, oh, das muss an der Begräbnisstätte liegen. Hier drüber waren so viele Kreuzigungen, da waren viele fiese Typen dabei, verstehst du?“
„Ah ja. Das mit dem Sterben hat aber geklappt, oder? Nicht, dass mir deinetwegen die gesamte Menschheit bei der Apokalypse den Bach runter geht.“
Jesus schluckte. So direkt hatte er die Frage nicht erwartet. Aber dann brachte er ein „Ach was, nein“, hervor und zog das Nein so lang, dass er für den Rest des Satzes erneut Luft holen musste: „Das hat alles hervorragend geklappt! War sehr schmerzhaft, ich spüre jetzt noch die Nägel. Ich bin ganz eindeutig gestorben, schau mal, die prüfen das auf der Erde gerade!“
Jesus brach kurz die Unterhaltung mit Gott ab, schwang sich auf das Plateau, versuchte sich ins Leichentuch einzuwickeln und gleichzeitig Judas mit Händen und Füßen zu bedeuten, dass er um ihn trauern sollte, als ob er wirklich tot wäre. Judas verstand nicht auf Anhieb, aber als Jesus ihn mit „Du verdammter hirnverbrannter Idiot“ beschimpfte, kam die Botschaft endlich an. Also trat Judas an den sich nun tot stellenden und die Verbindung zu Gott wieder aufbauenden Jesus auf dem Plateau heran und begann: „Oh, mein Bruder Jesus! Was habe ich getan! Du bist tot! So furchtbar kalt und tot!“ Judas musste sich Mühe geben, den göttlichen Lichtkranz um Jesus' Kopf zu ignorieren und nicht dauernd zu blinzeln. Das Leichentuch dämpfte das Licht nicht wirklich und darunter sah er Jesus wie in einem Schattenspieltheater. „Die Schuld an deinem Tod wiegt so schwer auf meinen Schultern. Ich wünschte, du würdest auferstehen.“
Jesus schnappte unter seinem Tuch nach Luft. Musste dieser Idiot Gott mit der Nase darauf stoßen? Judas sah die scheinbar wütend zuckende Jesus-Silhouette und schob schnell ein „Aber du bist tot, eindeutig tot!“ hinterher. „Und so bleibt mir in meiner Trauer nichts anderes, als mich zu erhängen“, fuhr er fort, „denn das ist es, was sich mir als einzige logische Konsequenz aufdrängt. Nicht die Nutzung meiner Belohnung, ein schönes, reiches Leben, nein, der Tod, um zu sühnen, dass ich meine Rolle im kosmischen Spiel perfekt gespielt habe! Oh, weh mir, welch ein Unglück!“ Und mit diesen Worten schlurfte Judas in übertrieben trauriger Manier zum Höhlenausgang und schniefte zur Krönung der Darbietung in sein Gewand.
Jesus zog ein Gesicht, als würde er Eselkot riechen. Doch es galt Gott zu täuschen, da wäre auch ein perfekter Schauspieler an seine Grenzen gekommen. Er wollte gerade wieder zur himmlischen Kommunikation anheben, um die Wogen zu glätten, als Gott ihm eingab: „Ja gut, dann läuft ja alles nach Plan. Dieser Judas ist wirklich kein allzu heller Kopf. Ich habe ihm wohl zu viele Muskeln gegeben. Schau dich noch ein bisschen in der Welt um, mein Sohn, und wenn du fertig bist, komm' heim. Viel Spaß!“ Das göttliche Licht erlosch. In dem Grab und Jesus' Kopf herrschten wieder Stille und Dunkelheit. Judas hatte beim Rausgehen die Fackel mitgenommen und auch den Felsen wieder vor den Eingang gerollt. „Dieser idiotische Idiot!“, rief Jesus und stand auf.
„Du musst“, zischte Jesus.
„Nein, muss ich nicht“, keifte Judas zurück, während beide versuchten, die Oberhand beim Kampf um ein Schwert zu erringen. Jesus wollte mit dem Schwert erstochen werden, damit alles wieder im Zeitplan war, leider war Judas einer der Menschen, die keinen Fehler zweimal machen wollten. „Bring deinen Job verdammt noch mal zu Ende!“, rief Jesus und versuchte, sich in das Schwert zu stürzen, doch Judas zog es schon wieder weg. „Das mache ich nicht! Und überhaupt funktioniert das doch eh nicht. Wenn du untot bist, ist das so was wie unsterblich, da bringt ein blödes stumpfes Schwert nichts.“
„Dann beweis' es!“, forderte Jesus und ließ das Schwert unvermutet los, „wenn ich ach so unsterblich bin, dann beweis' es mir. Ich wette, du traust dich nicht.“
„Doch, das habe ich schon gemacht, ich muss gar nichts beweisen.“
„Es hat ja nicht funktioniert, Doofi!“
„Weil du Hilfe vom Teufel hattest!“
„Das war keine Hilfe! Ich sage: Du traust dich nicht. Bog bog boooog“, machte Jesus und begann, seine Arme anzuwinkeln und sich wie ein Huhn auf und ab zu bewegen. Um die Geste des feigen Huhns perfekt zu machen, begann er mit den Füßen im Sand zu scharren. Davon gab es hier außerhalb der Stadt reichlich. „Nenn mich nicht feiges Huhn!“
„Bog bog booooog. Ich bin der Sohn Gottes, ich spreche ausschließlich die Wahrheit. Also muss es wahr sein. Bog bog booog.“
„Dann benimm dich auch so und nicht wie ein Huhn!“ „Komm doch her und zwing mich.“
Judas ballte die Faust mit dem Schwert darin, da sah Jesus seine Chance gekommen. Mit einem Satz stürzte er sich hinein. Die Klinge drang tief in seinen Bauch. „Es ist geschafft“, dachte Jesus zufrieden, doch hinter seinen geschlossenen Augen blieb es dunkel. Kein helles Licht, kein Flashback, nichts. „Och nee“, machte Jesus, öffnete die Augen und trat einen Schritt zurück: Die Klinge verließ seinen Bauch ohne einen Tropfen Blut. Nur der Schnitt im Leichengewand ließ mutmaßen, wo das Schwert gesteckt hatte. „Man, ey!“, rief Jesus und probierte das Ganze noch zwei-, dreimal aus, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Beim letzten Mal war Judas auch nicht mehr schockiert, sondern sagte nur: „Sieh es ein, es funktioniert nicht, du kannst nicht sterben. Also: Lass mich in Ruhe!“
„Verdammte Scheiße noch mal!“, entfuhr es dem unfreiwillig Unsterblichen, „Das ist alles deine Schuld.“ Jesus trat von Judas zurück, sah ihn mit einer Mischung aus Wut und Ratlosigkeit an, als ihm klar wurde, dass er wirklich wortwörtlich zu dumm zum Sterben war, und begann im Kreis zu laufen. Das war harter Stoff, sowas Blödes war bestimmt auch noch nie jemandem passiert. Aber wie es aussah, war er jetzt in der Welt der Menschen gestrandet, es sei denn, er beichtete Gott die Misere. Vielleicht würde der ja den Teufel zur Rechenschaft ziehen? Immerhin war das ja alles irgendwie sein böser Plan und – nein, das würde nicht passieren. Gott ließ ihm bis zum Jüngsten Tag freie Hand, da würde er nicht urplötzlich eingreifen. „Und was jetzt?“, fragte Judas und setzte sich auf einen Stein. Das nutzlose Tötungsinstrument warf er beiseite. „Hier kannst du nicht bleiben, so als prominenteste Leiche der Stadt.“
„Und du bist die prominenteste Petze der Stadt, als ob das besser wäre“, gab Jesus beleidigt zurück und trat den Sand. Leider wehte der Wind ihn hinauf in sein Gesicht. Er hustete und spuckte. Diese „Der Auserwählte“-Nummer setzte ihn unheimlich unter Druck und er hasste es, daran erinnert zu werden. Aber es stimmte: Sie beide mussten irgendwohin, wo sie niemand kannte. So weit weg wie möglich, womöglich sogar bis nach Petra.