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Fränkische Bestatter haben es nicht leicht. Sie bestatten. Doch in diesem Fall, liegt es im wahrsten Sinne des Wortes anders. Ein Anruf zu einem Todesfall bringt Bestatter Wackernagel Junior nicht nur auf den größten Bauernhof in der Umgebung. Nein, er bringt noch dazu eine echte Sauerei mit sich. Doch nicht genug. In der kleinen fränkischen Stadt am Main wird geredet - und wie. Überall entstehen Gerüchte um den Tod auf dem Bauernhof. Nebenbei wird weiter fröhlich gestorben und die Bestatter der Firma "SanfteRuh" haben genug zu tun. Selbst im alten Wirtshaus Zum Blauen Ochs werden die umtriebigen Bestatter zum Thema, und in der fränkischen Stadt beteiligt man sich "fränkisch" an der ganzen Sache. Auch die Polizei sieht dem Treiben mit vier Augen genau zu, denn große Fälle werfen bekanntlich ihre Schatten voraus. Auch in Franken. Deshalb wird man aktiv und es wird ermittelt, dass selbst die fränkische Ruhe manchmal dahin ist. Aber was tut man nicht alles, um als Polizist auf dem Land ein großes Ding aufzuklären. Die kleine Stadt am Main wird zur Oase für Gerüchte, Spekulationen und geheime Abkommen. Ein Buch voller skurriler Ereignisse, die sicher überall passieren könnten. Doch sie passieren in Franken, was es besonders interessant macht. Also, doch (k)ein Krimi, sondern ein Buch voller krimineller Ideen, die den Blick auf die fränkische Seele zulässt.
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Seitenzahl: 367
Veröffentlichungsjahr: 2017
Eins.
Zwei.
Drei.
Vier.
Fünf.
Sechs.
Sieben.
Acht.
Neun.
Zehn.
Elf.
Zwölf.
Dreizehn.
Vierzehn.
Fünfzehn.
Sechszehn.
Siebzehn.
Achtzehn.
Dank.
Autor
Der Fund.
Freitagmorgen, acht Uhr vierzehn. Bestatter Johann Wackernagel sitzt wie jeden Morgen mit Schlafanzughose und einem weißen Oberhemd am Frühstückstisch und versucht seinen ersten Kaffee in Ruhe zu genießen. Er lebt mit seiner Familie und seinen betagten, aber sehr rüstigen Eltern in dem großen Haus, das auch gleichzeitig das Beerdigungsinstitut »Sanfte Ruh« beherbergt. Das Beerdigungsinstitut ist seit nunmehr fünf Generationen im Besitz der Wackernagels und irgendwie hat es sich bis jetzt immer von selbst verstanden, dass die nächste Generation das Geschäft und damit auch die Leidenschaft zum Tod übernimmt. Auch bei Johann war das der Fall. Selbst der Vorname ist seit fünf Generationen immer derselbe. Johann. Da gab es nichts anderes. Johann Wackernagel. Fertig. Das hat auch große Vorzüge, denn man muss nicht dauernd Visitenkarten oder das Betriebsschild ändern, das im Übrigen ebenfalls noch von den Generationen vorher stammt. Allerdings nicht vom ersten Johann Wackernagel, der das Beerdigungsinstitut achtzehnhundert sechzehn gegründet hat, denn damals stand noch auf dem Schild:
Johann Wackernagel
Totengräber und Schreinermeister
Schützenmeister
Leichen sind im Hinterhof zu betrachten
dreimal läuten-wenns eine Leich haben
zweimal läuten-wenns um anneres geht
Scheinbar war der erste Johann ein lustiger Geselle, was auch wiederum immer weiter vererbt worden ist. Eine Art Humor, die man nur haben kann, wenn man aus Franken kommt und wenn man Totengräber ist. Der heutige Johann hat von diesem Humor ebenfalls einiges mitbekommen. Nur wenn sein Vater ihn damit aufzieht, dann wird der junge Johann Wackernagel durchaus grantig. Überhaupt sind die Wackernagels ein lustiger Haufen, das liegt ganz sicher an dem Beruf, der oft nur mit schwarzem Humor ertragbar ist.
Johann Wackernagel Nummer Fünf liebt es, morgens in Ruhe seinen Kaffee zu genießen und am Frühstückstisch aus dem Fenster zu schauen, denn er sieht genau auf einen alten Kastanienbaum, der direkt gegenüber vor dem Gasthaus »Zum Blauen Ochs« steht. Auch der steht schon seit vielen Generationen und hat einige Wackernagels und andere Wirtshausbesucher rein und herausgehen sehen. Das Wirtshaus wird im Moment von der ungezählten Generation der Familie Fleischer weitergeführt, allerdings heißt der neue Wirt Frank Winkelreiter und ist der Schwiegersohn des alten Fleischers, also mit der Tochter des Hauses, Ute verheiratet. Frank stammt aus Niederbayern, was eigentlich kein Problem ist, nur hätte der alte Fleischer in einem fränkischen Wirtshaus gern einen Franken als Nachfolger gesehen. Doch seine Tochter Ute hat ja diesen Frank aus dem Urlaub mitbringen müssen und jetzt ist der halt da. Außerdem hat in dem Gasthaus ohnehin Ute das Regiment, sodass die fränkische Kost auf jeden Fall gesichert ist, auch zum Wohl der Gäste, denn nichts ist schlimmer, als dass ein fränkisches Wirtshaus mit einem Essensgschwärtl (O-Ton alter Wirt) aus allerlei Zeug daher kommt. Aber Ute hat sehr viel von ihrem Vater geerbt und es muss niemand fürchten, dass plötzlich so ein ausländisches Zeug wie Maultaschen oder alt bayerischer Bierbraten auf den Tisch kommt. Dazu war das Gasthaus einfach zu fränkisch und hat eine zu lange Tradition aufzuweisen, die Ute gern hochhielt, was wiederum dem alten Fleischer den Ausrutscher der Hochzeit mit einem Niederbayern um ein wesentliches Erleichterte.
Johann schlürfte, und das war auch etwas Geerbtes, seinen Kaffee immer lautstark in sich hinein. Das machten alle Wackernagels so. Der Grund war ganz einfach. Als Johann Wackernagel Eins einmal in Wien bei einem Kollegen zu Besuch war und mit ihm ein echtes Kaffeehaus besuchte, erklärte Kollege Wolnaczek – ein echter Wiener –, dass Kaffee erst durch Schlürfen den besonderen Geschmack bekommt und es gar keinen Sinn macht, den Kaffee anders zu trinken. Johann Wackernagel Eins war von dieser Trinkmethode sehr begeistert, denn so konnte er daheim seiner meckernden Alten genau erklären, dass ein Mann von Welt seinen Kaffee so genießt und man ihn nicht einfach lautlos rein säuft (O-Ton Wolnaczek). Überhaupt hat es Wackernagel Eins sehr gut in Wien gefallen, da hier die Totengräberkultur schon sehr beachtlich war, während bei ihm zu Hause in Franken der Totengräber ein eher verkanntes Genie gewesen ist.
Während Johann Nummer Fünf seinen Kaffee schlürfte und in die Heimatzeitung blickte, klingelte das Telefon. Er schaute auf die Küchenuhr, die seit gefühlten zweihundert Jahren auf dem uralten Schrank in der Küche stand.
Acht Uhr einundzwanzig. Es war keine Digitaluhr, denn vor fast zweihundert Jahren gab es keine Digitaluhren. Doch Johann Nummer Fünf konnte genau sehen, wo der Minutenzeiger stand, denn sein Optiker im Ort hatte ihm eine sehr gute Brille gemacht und seitdem konnte er mehr sehen, als er eigentlich wollte.
Acht Uhr einundzwanzig, was für ein Depp ruft so früh bei einem Totengräber an, dachte sich Johann Nummer Fünf und nach dem vierten Läuten des Telefons, erhob er sich vom Stuhl und ging in den Flur und dann ins Büro, das am Ende des Flurs auf der linken Seite zu finden war.
»Wackernagel Fünf am Apparat.«
Auch wieder ein Erbstück sich so zu melden. Das hat mit Wackernagel Nummer Drei angefangen, der immer sagte:
»Wenn einer bei mir anruft, dann entweder, weil einer totgegangen ist oder weil er meine Alte sprechen will. Also, warum soll ich dann so einen langen Käs erzählen wie, Totengräber und Bestattung Wackernagel, was gibt’s?«
Ein sehr einleuchtendes Argument, das sich, wie so vieles, weitervererbt hat in der Familie Wackernagel.
Am anderen Ende der Leitung sprach eine völlig aufgeregte Frau.
»Johann, es ist was Furchtbares passiert.« Die Frau redete so schnell, dass Johann aufpassen musste, was sie denn überhaupt von sich gab.
»Johann, so was hast du noch ned gesehen, des glaubst du echt ned. Ich geh grad in den Stall, du weißt schon, bei die Säu und was glaubst du, was ich da seh, da liegt der Karl.«
Johann Nummer Fünf bekam jetzt gar nichts mehr mit, das ging ihm alles viel zu schnell, das Reden der Frau mit ihrer schrillen Stimme, die vielen Informationen, und er hatte seinen Kaffee in der Küche vergessen, was ihn jetzt furchtbar ärgerte, denn das schien ein längeres Gespräch zu werden. Und nichts hasste Johann mehr, als dass er seinen Kaffee in der Küche kalt werden lassen musste, während er einer Kundin zuhören sollte. Er unterbrach die aufgeregte Dame am Telefon mit den Worten:
»Wart mal, ich hol mir was zum Schreiben.«
Und verschwand Richtung Küche, um sich seinen Kaffee zu holen, denn im Büro lag immer etwas zum Schreiben herum. Er hörte überhaupt nicht, dass die schrille Frau am Telefon einfach weiter redete und gar nicht mitbekommen hatte, dass er weg war. Er schlich Richtung Küche und fragte sich wieder einmal, warum er nicht einfach etwas Gescheites gelernt hat und diesen ganzen Totengräber Blödsinn hat sein lassen.
»Scheiß Tradition«, murmelte er vor sich hin und in der Küche angekommen war der Kaffee fast kalt. So ein Scheißdreck, dachte Johann und goss die Tasse in die Spüle und nahm sich einen neuen Kaffee. Etwas Kaffeesahne drauf und schon war die Welt um einiges besser.
»Kaffee muss rauchen, genau wie der Herr«, murmelte Johann, auch ein Erbspruch von Johann Eins, der den Spruch aus Wien mitgebracht hatte. Johann rauchte gar nicht richtig, sondern gönnte sich ab und zu ein Zigarillo. Mit Kaffeetasse bewaffnet ging er zurück ins Büro, wo der Redeschwall im Telefon immer noch kein Ende fand.
Er nahm den Hörer wieder an sein Ohr und die Dame war inzwischen in ihrer Geschichte an einem Punkt, wo es um irgendein grausames Aussehen ging.
»Ah, des hört sich aber ned gut an.«
Johann redete einfach dazwischen, weil er damit zeigte, dass er angeblich die ganze Zeit zugehört hätte.
»Weißt du, Johann, des ist ned normal, dass so jemand so liegt. Des sieht echt schlimm aus.« Die Dame schien auch gar nicht bemerkt zu haben, dass Johann gar nicht da war, als sie weiter geredet hatte.
»Du musst gleich vorbei kommen, denn so kannst du das ned liegen lassen.«
Endlich machte die Frau eine Pause und Johann hätte jetzt die Gelegenheit dazwischen zu fragen, was aber gerade nicht gut ging, denn er schlürfte an seinem Kaffee und das schien die Dame plötzlich zu hören.
»Hast du mir überhaupt zugehört, Johann?«, schrie sie ins Telefon.
»Logisch.«
Johann schluckte den heißen Kaffee runter und tat sehr ruhig.
»Wenn des so schlimm aussieht, warum rufst dann nicht die Polizei?«, fragte Johann, ohne zu wissen, wer da gerade am Telefon ist.
»Sag mal, bist du blöd«, raunzte die Frau in den Hörer, »du bist doch der Totengräber und es ist doch wohl deine Aufgabe, des wegzuräumen.«
»Wo soll ich denn hinkommen?«
Johann fragte lieber vorsichtig, denn mit aufgeregter Kundschaft soll man vorsichtig umgehen, hat er von seinen Vorgängern und Ahnen gelernt. Nichts ist schlimmer als aufgeregte Kundschaft, hatte schon sein Großvater und auch sein Vater immer gesagt. Die sind zu allem fähig, also hüte dich vor einem Spruch, war ihm auf seinem Berufsweg mitgegeben worden.
»Zum Eberlein Hof und komm alleine.«
War die kurze und klare Antwort. Scheinbar hatte sich mit der Frage jede Aufregung gelegt.
»Irmgard bist du des?«, eine Frage, die Johann Nummer Fünf besser nicht gestellt hätte.
»Johann bist du noch klar im Kopf? Wer denn sonst? Dem Karl seine Geliebte vielleicht?«,
Irmgard Eberlein, die Frau des größten Bauern in der Umgebung schien Johann klar zu machen, wer da telefonierte.
»Gut, ich komm vorbei.«
Er vermied besser jede Frage und auf der anderen Seite der Leitung kam nur noch ein: »Top« durch die Leitung und schon wurde aufgelegt.
Johann nahm einen Schluck von seinem Kaffee und setzte sich erst einmal in seinen Bürostuhl, der, wie so vieles im Hause Wackernagel ein Erbstück war und überhaupt wurde ganz wenig weggeworfen im Haus Wackernagel. Tradition.
»Also ist er doch tot, der alte Mistbauer«, murmelte Johann, nahm einen Schluck vom heißen Kaffee und bemerkte gar nicht, dass sein alter Vater gerade zur Tür reinkam und ihn dermaßen mit einem lauten »Alter Mistbauer?« so erschrak, dass Johann den Kaffee einmal quer über den Schreibtisch spukte.
»Sag mal geht’s noch? Mich so zu erschrecken. So ein Dreck, jetzt hab ich den ganzen Kaffee auf dem Schreibtisch gespuckt und du Rindviech lachst dich wieder kaputt.«
Johann Nummer Vier, also Johanns Vater musste lauthals lachen, denn es machte ihm immer einen Riesenspaß seinen Junior schon früh am Morgen eins reinzuwürgen. Damit war für den Alten der Tag schon gerettet.
»Mann, du bist so….«
Johann Nummer Fünf war kaum zu beruhigen und je mehr Nummer Vier lachte, umso schlimmer wurde es. Johann Nummer Vier stand vor dem Schreibtisch und nahm jetzt selbst einen tiefen Schluck aus seiner Kaffeetasse. Auch er war mit Hemd, Krawatte und Schlafanzugshose bekleidet, was im Übrigen auch eine gewisse Tradition bei den Wackernagels hatte, weil man ja nie wusste, ob man auch mal nachts raus musste. In einem solchen Fall musste man dann halt nur noch Hose und Schuhe anziehen.
»Gell, damit hast jetzt ned gerechnet, dass ich weiß dass der alte Eberlein ins Gras gebissen hat.«
»Mann, Vater des ist wieder mal typisch für dich. Wahrscheinlich warst du die ganze Zeit irgendwo gestanden und hast alles mitkriegt. Da ist es leicht, so was zu erraten. Ja, scheinbar hat es den alten Geizsack jetzt erwischt. Ist ja auch kein Wunder, denn der war ja auch immer gleich auf hundertachtzig, wenn es um sein Scheißbauernhof gegangen ist. Außerdem war er ja auch kein Kostverächter und hat so manches mitgenommen was zu kriegen war.«
Johann Nummer Fünf kannte die Umstände im Ort genauso gut, wie alle Wackernagels und da war es kein Wunder, dass Todesursachen oft schnell geklärt waren. Johann Nummer Vier lehnte am Schreibtisch und murmelte los.
»Weißt du, der alte Eberlein hat so viel Scheiß auf dem Kerbholz, damit könnte man den ganzen Ort versorgen. Was der schon alles angestellt hat, nur damit sein Hof immer größer wird. Erst neulich hat er wieder gegen den Biobauern im Nachbarort demonstriert und ist mit seinem Bulldog extra langsam auf der breiten Landstraße lang gefahren, damit die Autos kaum noch durch kommen sind. Hat der Idiot doch ein Schild auf seinem Bulldog festgemacht, wo darauf stand:
>>Frisst der Mensch Bio und Soja, dann stirbt unsereins der Baua- für konfesionelle Landwirtschaft und gegen den Biowann<<
Die Leute haben nur den Kopf geschüttelt, als der mit seinem Bulldog da immer hin und her gefahren ist. Na ja, jetzt scheint er ja seine Ruh zu haben.«
»Scheinbar.«
Johann Nummer Fünf nahm seine Kaffeetasse und setzte sich in Richtung Küche in Bewegung. Das tat er, wie alle Wackernagels mit einer Seelenruhe, denn wie sagte einer seiner Ahnen: Hetzen brauchst jetzt auch nicht mehr, denn so eine Leiche läuft nicht mehr davon. Die müssen schon warten, bis ich sie hol.
»Magst du noch einen Kaffee, Vater?«, rief Nummer Fünf aus der Küche und bekam gleich den nächsten Schreck, denn Nummer Vier stand direkt hinter ihm und schrie genauso laut zurück: »Dank schön, des wär nett, wenn ich noch einen krieg«. und lachte sich wieder halb schlapp.
Johann Nummer Fünf schmiss vor lauter Schreck seine Kaffeetasse gegen die Wand und drehte sich auf dem Absatz um, um nach seinem Alten zu treten. Doch der wusste, dass das kommt und sprang trotz seiner fast achtzig Jahre dem jungen Wackernagel davon. Dabei lachte er noch lauter und konnte sich scheinbar gar nicht mehr Einkriegen.
»Irgendwann bringst du mich ins Grab mit deinem Scheiß. Da krieg ich einen Herzinfarkt oder sonst was und dann darfst du mich unter die Erde schaufeln.«
Johann Junior fuchtelte mit den Armen und Beinen, doch der Alte war kaum zu beruhigen.
»Das mach ich gern. Bei mir kommst du hochkant ins Grab und die Füße lass ich rausschaun, damit ich dann die Blumen zwischen die Zehen rein zwicken kann.«
Mit solchen Sprüchen hatte Johann Nummer Vier selbst die werte Kundschaft veralbert, was bei vielen gar nicht lustig ankam und als Johann Nummer Fünf übernahm, war so mancher froh, denn der hatte nicht ganz den Humor von seinem Alten übernommen. Im Ort hieß es nur, dass Nummer Fünf so wie Nummer Drei ist, eher ruhiger und besonnener und nicht so übertrieben lustig wie sein Alter und man war schon froh ist, dass nun wieder einer mit Sinn fürs Sterben und den Tod an der Reihe war. Überhaupt war Johann Wackernagel Nummer Vier im Ort mehr als recht lustiger und lebensfroher Mensch bekannt. Er war in fast allen Vereinen der kleinen Stadt in irgendeiner Weise aktiv dabei und hatte damit einen großen Freundes-, Bekannten- und Kundenkreis. Nummer Viers Leitspruch war in seiner aktiven Bestattertätigkeit: »Wenn ich die Leute schon im Leben kennenlern, dann hab ich sie nachher als Tote gleich noch leichter.« Und das hat sich in seinem Leben als geschäftstüchtige Wahrheit herausgestellt, denn die Firma stand sehr gut da und man konnte sich nicht gerade über zu wenig Arbeit beklagen.
Nachdem sich Johann Nummer Fünf wieder etwas beruhigt hatte, fragte sein Vater, wann er denn jetzt endlich zum Eberlein Hof fahren würde, wo es doch angeblich gar so eilig gewesen sei.
»Wie habt ihr mir immer gelernt? Die Toten warten auch ein bisserl länger, da muss man ned hetzen. Und jetzt werde ich meine Sachen zusammensuchen und dann fahr ich schon. Wolltest du mitfahren, weil du schon so fragst?«
»Nein, lass mal gut sein. Zum Eberlein Hof fahr ich ned so gern, da stinkt man so schnell nach Schwein und Mist, des kriegst du kaum noch aus deine Kleider. Ich bleib hier und mach Telefondienst, falls noch einer umfällt.«
Johann Nummer Vier mochte den Telefondienst gern, denn so konnte er so manchem am Telefon immer wieder mal mit seinen Späßen erfreuen, egal ob die das wollten oder nicht. Johann Wackernagel Nummer Fünf zog sich seine schwarze Hose an, packte im Büro die Formulare zusammen, die er als Bestatter so brauchte, und verabschiedete sich von seinem Vater, der inzwischen im Büro am Computer saß und wie so oft nach etwas Kaufbarem suchte. Wackernagel Junior ging zur Garage, als sein Mobiltelefon klingelte.
»Ja?«
»Grüß dich Johann, hier ist der Hans Eberlein. Ich wollt dich mal erinnern, dass dein Ausweis noch bei uns im Amt liegt und du den immer noch nicht abgeholt hast.«
»Ja, ich weiß. Ich mach das gleich am Montag früh, bin grad auf dem Weg. Montag geht das bestimmt. Dank schön für das erinnern.«
»Bitte, bis Montag.«
Komisch dachte Johann, das war doch der älteste Sohn vom Eberleinbauern, wo ich gleich hinfahren soll, weil der gestorben ist. Warum weiß der noch gar nichts? Na ja, geht mich ja nichts an.
Johann setzte sich in den Bestatterwagen, einen Volvo, der schon mehr als zwanzig Jahre alt war, aber immer noch lief wie ein Uhrwerk, denn der größte Vorteil des Wagens war, dass alles noch völlig analog lief. Da gab es keinen digitalen Austausch zwischen seinem Fahrzeug und dem Rest der Welt, was Johann sehr schätzte, denn er war gar kein Freund davon, dass jeder wusste, wo er gerade war oder was er gerade machte. Auf dem Beifahrersitz lagen Prospekte seines Autohändlers, der in regelmäßigen Abständen versuchte Johann einen neuen Bestatterwagen zu verkaufen, immer dann, wenn Johann mit seinem alten Volvo zur Inspektion zu ihm fuhr oder bei kleineren Reparaturen. Doch bei den Wackernagels biss Meister Horst Hollermann immer auf Granit. Auch das hatte Tradition bei der Bestatterfamilie, man kauft nicht aus dem Bauch raus, sondern man mit Bedacht. Nur Johann Nummer Vier machte ständig eine Ausnahme, denn der kaufte immer wieder Zeug, was eigentlich kein Mensch brauchen konnte. Außer er.
Johann Nummer Fünf fuhr die breite Straße aus der Stadt hinaus in Richtung Eberlein Hof. Sein musikalischer Begleiter an diesem Morgen war Eric Claptons »Tears in Heaven«, der aus dem Radio schallte, danach kamen verschiedene Meldungen zum ewigen Thema Politik. Johann hörte nur der Musik richtig zu, denn das Geschwafel der internationalen Politik war ihm in letzter Zeit nicht mehr so wichtig, obwohl er, genauso wie alle seine Vorfahren auch, im Stadtrat der kleinen Stadt war. Er war ein sehr streitbarer Geist, wenn es um Gerechtigkeit und um das Gemeinwohl ging. Wenn er meinte, er sei im Recht, dann war mit Johann Nummer Fünf wenig zu spaßen. Nur die Weltpolitik interssierte ihn zunehmend weniger, denn da schien in letzter Zeit die Dummheit immer mehr an Macht zu gewinnen. Das nächste Lied im Radio drehte Johann gleich etwas lauter, denn es wurde Wolfgang Ambros gespielt und den hat Johann schon ein paar Mal live erlebt und überhaupt waren die österreichischen Liedermacher und Gruppen für Johann das Beste. Da störte es ihn auch überhaupt nicht, dass wieder einmal fast alle Ampeln aus der Stadt heraus auf Rot sprangen, sobald sich der Leichenwagen auf sie zu bewegte. Ampeln schienen den alten Volvo nicht zu mögen, dass hatte Johann Nummer Fünf schon oft festgestellt, wenn er seinem Beruf nachging. Scheinbar gab es da eine höhere Macht, die immer dann auf rot schaltete, wenn er sich näherte. Vielleicht hatten die Ampeln auch nur einen großen Respekt vor seinem Wagen, der mit seiner schwarzen Lackierung und den dunkel lila Vorhängen an den hinteren Scheiben schon beeindruckend aussah. Heute war es egal, denn der Eberlein Hof lag sowieso außerhalb der Stadt und da kam es auf ein paar Minuten nicht an. Außerdem wartete dort ja nur jemand, der sowieso schon tot war. Johanns Gedankengänge wurden wieder von seinem Mobiltelefon durchkreuzt. Auf dem Display sah er die Nummer vom Büro. Natürlich hatte der Wagen keine Freisprecheinrichtung oder ähnliches, das hielt die Familie Wackernagel für Quatsch, denn wen stört es, wenn der Bestatter mal telefoniert, schließlich ist man ja im Auftrag höherem unterwegs.
»Ja?«
»Du sollst dich beeilen, hat die Irmgard mir gesagt. Sie wartet schon seit zwanzig Minuten auf dich.«
Johann Nummer Vier, der ja Bürodienst hatte, versucht nur wieder mal Druck zu machen, dachte sich Nummer Fünf.
»Ich bin doch auf dem Weg. Die soll mal halblang machen, ich hab ja kein Hexenbesen, sondern einen Leichenwagen. Ach Leck mich am Arsch…«
»Was soll ich?«
»Du doch ned. Jetzt haben die mich grad geblitzt und ich hab das Scheißtelefon auch noch am Ohr.«
»Die werden schon nix tun, die Herren Schlafbeamte.«
Wieder lachte sich der Alte über seinen Sprössling kaputt, denn früher hatte er immer einen guten Draht zu den grünen Affen, wie Johann Nummer Vier die Polizisten immer nannte. Grüne Affen deswegen, weil sie dieses grausame grüne Zeug tragen mussten und es einen bei der Truppe gab, der immer wie ein kleines Äffchen umher hüpfte, wenn es ein bisschen stressiger wurde. Einmal ist dieser Polizist bei einem Einsatz richtig verletzt worden, weil er, beim Versuch eine Leitplanke zu überspringen, hängen geblieben ist und stumpf mit der Nase und seinem Mund auf die Straße geknallt ist. Johann Nummer Vier kommentierte das damals mit den Worten:
»Gell, die Leitplanken sind doch zu hoch für einen Einmeter dreißig Zwergenaffen.«
Das hat ihm zwar damals dreihundert Mark Strafe gekostet, wegen Beamtenbeleidigung aber das war es ihm wirklich wert. Zum anderen verband die beiden Herren eine Art Hassliebe, denn Polizist Hartner und Johann Nummer Vier waren gute Bekannte und da gab es schon immer Streit zwischen ihnen und außerdem konnte Johann es nicht leiden, wenn Männer sich im Alter die Haare färbten, was Hartner seit seinem vierzigsten Lebensjahr tat.
»Ich leg auf, da vorne stehen die Kameraden der Straßenbenutzungsordnung schon und winken mich raus.«
»Sag ihnen einen schönen Gruß von mir und irgendwann liegen sie alle bei uns am Tisch«, kicherte Johann Nummer Vier ins Telefon.
»Nix mach ich. Servus.«
»Guten Morgen Herr Wackernagel Nummer Fünf. Sie wissen, warum wir Sie raus gewunken haben?«
»Ich bin zu schnell gefahren, nehm ich an.«
Johann passte dieser ungelegene Termin jetzt gerade gar nicht.
»Sie waren ned nur zu schnell, sie haben auch telefoniert während der Fahrt«, klärte Johann ein rundlicher Polizist von etwa dreißig Jahren auf.
»Was hab ich? Telefoniert? Mit einer Leiche vielleicht?«
»Sie, Herr Wackernagel, wenn sie mich jetzt verarschen wollen…«
»Dann treff ich den Richtigen?«
»So, raus aus dem Auto. Aber zackig.«
Der Polizist schien es gerade ernst werden zu lassen.
»Herr Oberwachtmeister, ich bin zu schnell gewesen, gut. Aber ich muss zu einem Tatort.«
Johann versuchte beim Aussteigen, die Lage für sich ein bisschen zu verbessern.
»Welchen Tatort denn?«, fragte Polizist rundlich nun.
»Ich muss eine Leiche abholen, sozusagen frisch gestorben und schon abgeholt.«
»Ah ja und das ist ein Tatort?«, der Polizist winkte den Kollegen aus dem Auto herbei.
»Also, ned direkt ein Tatort aber halt eine Leiche und die liegt jetzt da, und wartet, dass ich komm.«
Johann wollte nur schnell weg von hier.
Der zweite Polizist stand nun ebenfalls vor Johann und verschränkte lässig die Arme.
»Und die Leiche kann ned warten und deshalb sind sie so schnell unterwegs und haben die Leiche noch einmal angerufen, um zu wissen, ob sie denn überhaupt tot ist.«
Der zweite Polizist schien Johann jetzt richtig angehen zu wollen.
»Nein, ich war zu schnell weil ich ned aufgepasst hab.«
»Immerhin acht Stundenkilometer«, klärte der rundliche Polizist Johann auf.
»Und dann hat mein Vater angerufen, um zu wissen, wo ich bin, weil die Frau von der Leiche, wissen wollte, wo ich bleib.«
»Schon klar. Die Frau von der Leiche kann die Leiche wohl ned schnell genug loswerden?«
Der zweite Polizeibeamte erklärte sich jetzt zum Feind von Johann.
»Wissen Sie was?«, fragte Johann die beiden.
»Ja?«
»Was kostet der Spaß und ich zahl und fahr zu meiner Leiche.«
Johann hatte genug von der Auseinandersetzung wegen acht Stundenkilometer.
»Moment mal, hier fährt niemand irgendwo hin.«
Polizeibeamte Zwei hielt sich jetzt ganz lässig an der Dachkante des Leichenwagens fest und ließ seine Autorität vollends raus hängen.
»Erst einmal klären wir den Sachverhalt auf und dann schauen wir mal, wer dann noch irgendwo hinfährt.«
»Herr Oberkommissar, ich hab es wirklich eilig. Die Frau von der Leiche wartet echt und mit der ist ned zum Spaßen.«
Johann war langsam genervt von so viel polizeilichem Starrsinn.
»Ich bin nicht der Herr Oberkommissar, sondern Polizeiobermeister, des schon mal voraus. Und eine Leiche hat nach meinem Wissen ewig Zeit, weil die eh schon tot ist und die Frau von der Leiche muss sich eben etwas gedulden, wenn der Herr Bestatter mal wieder zu schnell unterwegs ist und dazu noch meint, er könnt dabei telefonieren. Also, da handelt es sich ja nicht gerade um ein Kavaliersdelikt, da kommt schon was zusammen.«
»Gut und was?«, Johann versuchte nur schnell wegzukommen.
»Also, da haben wir die Geschwindigkeitsübertretung von acht Stundenkilometer bei erlaubten fünfzig Stundenkilometer Innerorts. Das sind schon mal…«
»Genau fünfzehn Euro«, schaltete sich Kollege Rundlich ein.
»Genau, fünfzehn Euro. Ab elf Stundenkilometer wär es mehr geworden und dann noch das Telefonieren am Steuer während der Fahrt, das macht zusätzlich fünfundsechzig Euro. Also, zusammen sind das….«
»Achtzig Euro, die Herren.«
Johann holte aus dem Handschuhfach des Volvo einen übergroßen Geldbeutel heraus und gab den beiden Beamten zwei fünfzig Euro Scheine.
»Und eine Quittung hätte ich gerne und die zwanzig Euro Rest zurück.«
Der rundliche Polizist nahm das Geld und ging zum Streifenwagen, um die Formalitäten zu erledigen, vorher hatte er sich von Johann Personalausweis, Führerschein und Fahrzeugpapiere geben lassen.
»Sag mal Wackernagel, des mit der Leiche, stimmt doch nicht, oder?«
Der zweite Polizist kannte Johann auch schon lange, denn er war ein ehemaliger Klassenkamerad aus der Realschule.
»Doch, das stimmt. Glaubst du, ich fahr nur zum Spaß mit dem Leichenwagen durch die Gegend und lass mich von Euch blitzen. Thorsten, du warst schon in der Schule nicht der schnellste Denker, deswegen bist ja jetzt auch bei dem Trupp.«
Johann konnte es sich nicht verkneifen, seinem ehemaligen Schulkollegen einen mit zu geben. Er konnte schon immer Uniformträger nicht leiden, da sein Großvater auch oft meinte, dass man durch eine Uniform oft nur Macht demonstrieren wollte und bei vielen dieser verkleideten Beamten stimmte das leider auch.
»Hey, Herr Wackernagel aufgepasst, sonst gibt es noch was obendrauf. Des kann dann teuer werden«, Polizeiobermeister Thorsten Meltor ließ jetzt den Ton noch ein bisschen schärfer werden.
»Lass gut sein, da kommt dein Kollega.«
»So, hier Quittung und die Papiere. Aber das nächste Mal ein bisschen langsamer zu den Leichen, gell. Und ned so viel mit denen telefonieren, denn die hören eh nichts mehr.«
Der rundliche Polizist wollte jetzt richtig lustig sein, doch bei seinem Kollegen Thorsten kam der Witz genauso wenig an, wie bei Johann.
»Werd ich machen.«
Johann stieg in den Wagen und wollte nur noch weg.
Nach weiteren fünfzehn Minuten lenkte Johann den Wagen in die Auffahrt des Eberlein Hofes.
Der Hof der Eberleins war ein Hof der Extraklasse. Vor dem Haus standen zwei Wagen, der Marke Mercedes, die sicher ein Vermögen gekostet haben. Zum einen ein Mercedes Kombi, der noch keine fünf Jahre alt war und in seiner schwarzen Lackierung auch als Leichenwagen gepasst hätte, nur die protzigen Alufelgen mit einem komischen Emblem in der Mitte passten dann doch nicht in Bestatterkreise. Daneben stand ein fast neuer Mercedes SUV in einem braun metallic, dass jeden Apotheker und Firmenboss neidisch hätte werden lassen. Ein solches Protzteil war das Lieblingsfahrzeug des Eberleinbauern, der damit bei jeder Gelegenheit über die Landstraße bretterte, dass es nichts Gescheites war. Wie sagte Karl Eberlein immer:
»So ein Wagen will auch mal ausgefahren werden. Da musst du auch mal drauf treten, sonst kannst du die vierhundert und paar zwanzig PS gar ned spüren.«
Und das tat Karl Eberlein des Öfteren.
Mitten im Hof stand ein Riesentraktor, dessen Räder größer waren als Johann selbst, wobei Johann eher unterer Durchschnitt war, was die Größe anging, mit seinen einmeterfünfundsiebzig. Dieser Riesentraktor stand wirklich übermächtig in dem Hof und sollte wohl jedem zeigen, der auf den Hof kam, wo er da hingekommen ist, was absolut gelang.
Überhaupt war der Eberlein Hof ein mächtiges Pfund, was einen Bauernhof anging. Er wurde seit vielen Jahrhunderten immer wieder an die nächste Generation weitergegeben und mit jeder Generation schien der Hof immer mehr zu wachsen. Die Eberleins waren weit über die Grenzen der Stadt am Main bekannt und deswegen auch berüchtigt. Bekannt, da sie zum größten Bauernhof in der Region aufgestiegen waren und aus gleichem Grund ebenso brüchtigt.
Johann stieg aus dem Wagen und ging auf das Bauernhaus zu. Er lief geradewegs auf die Tür, die aus einer uralten Zeit stammte und noch eine Schelle an der Seite besaß, zu. Er wollte gerade an dem Griff dieser altertümlichen Einrichtung ziehen, da kam ein Schrei aus dem Nebengebäude.
»Da bin ich, im Saustall.«
Irmgard stand in der ebenso alten Stalltür, die sicher schon mehrere Generationen Schweine und Menschen, hat kommen und gehen sehen. Sie stand, wie es sich gehörte, mit Gummistiefeln, Schürze und Kopftuch in der Tür und hielt noch immer eine Mistgabel in der Hand. Die freie Hand hatte sie in ihrer kaum mehr merkbaren Taille gestützt, dadurch wirkte sie noch aggressiver.
Johann lief auf den Schweinestall zu und kaum angekommen, gab es die würdige Begrüßung.
»Sag mal, wo bist du nur gewesen. Ich hab dich vor einer Stunde angerufen und von der Stadt raus braucht kein Mensch so lang.«
»Ich wurde von den Bullen aufgehalten.«
Johann hatte keine Lust die ganze Geschichte mit der Blitzerei zu erzählen.
»Na ja, die haben halt nichts zu tun.«
Irmgard liebte die Polizei genauso, wie jeder der des Öfteren geblitzt oder aufgeschrieben wurde und Irmgard wurde eigentlich immer aufgeschrieben, wenn sie zum Einkaufen fuhr. Das lag einfach daran, dass sie immer dort parkte, wo es gerade nicht erlaubt war.
»Der Karl liegt da hinten.«
Irmgard zeigte mit der Mistgabel in Richtung einer hinteren Box im Stall.
»Der Karl? Scheiße, also doch.«
Johann zwängte sich an Irmgard vorbei und beide liefen den schmalen Stallgang lang.
»Wo genau?«
Johannes musste sich an den Geruch und das diffuse Licht erst einmal gewöhnen, denn für einen Stadtbewohner war Stallgeruch wahrlich kein feiner Geruch.
»Ganz hinten.«
Irmgard schob sich jetzt an Johann vorbei und er musste aufpassen, dass er seine Kleider nicht komplett versaute.
»Da.«
Sie zeigte auf eine große Schweinebox.
Beide standen nun direkt vor dem Gitter.
»Da liegt eine tote Sau.«
Johann blickte auf den Boden der Box und da lag in voller Länge ein mächtiges Schwein.
»Das ist keine Sau. Das ist der Karl unser Zuchteber.«
Irmgard stützte sich wieder auf ihre Mistgabel und schaute ebenfalls auf den toten Eber.
»Sag mal, bist du blöd. Ich komm wegen einer toten Sau hier raus?«
Johann konnte es nicht fassen, dafür war er geblitzt worden und versaute sich die ganzen Klamotten wegen einer toten Sau.
»Das ist keine Sau. Das ist unser Karl, der beste Zuchteber im ganzen Kreis.«
Plötzlich stand Bauer Karl Eberlein hinter den beiden und mischte sich mit ein.
»Du lebst?«
Johann schrie, dass mehr als das er normal redete, denn er war dermaßen erschrocken, dass der Totgeglaubte plötzlich hinter ihnen stand.
»Na klar leb ich. Hast du gedacht, dass ich da drin lieg?«
Karl Eberlein griff sich an den Kopf und kratzte sich an seiner Platte, die er immer unter einem Hut verbarg.
Entscheidung.
Die drei standen jetzt gemeinsam an der Schweinebox und blickten auf das Riesenvieh am Boden. Der Zuchteber lag der ganzen Länge nach in seiner Box und sah irgendwie völlig zufrieden aus. Man hätte meinen können, dass er sogar ein leichtes Grinsen in seinem Schweinegesicht hatte. Nur der leichte Schaum mit rosa Verfärbung störte das Bild ein bisschen.
»Gell, des schaut nicht gut aus?«
Irmgard blickte immer noch auf den toten Eber und beugte sich noch etwas mehr nach vorne, um besser sehen zu können.
»Und was soll ich nach eurer Meinung machen?«
Johann fragte das Bauernehepaar, ohne hochzublicken.
»Du räumst den Eber weg und machst eine Obduktion, damit ich weiß, ob mein Nachbar und Erzfeind, der Drecksbiobauer meinen Eber kalt gemacht hat.«
Karl Eberlein sprach ziemlich entschlossen.
»Was soll ich?«
»Na den Karl mitnehmen und untersuchen lassen an, was der verreckt ist.«
Bauer Eberlein schien wild entschlossen den toten Eber tatsächlich obduzieren zu lassen.
»Ihr seid völlig bescheuert. Gar nichts mach ich. Dafür gibt’s einen Tierarzt und einen Tierentsorger. Ich mach mich strafbar, wenn ich den mitnehme.«
Johann blickte auf den toten Zuchteber und war völlig entsetzt, was die zwei von ihm wollten.
»Ich kann den Tierarzt ned holen.«
Karl Eberlein kletterte jetzt über das Gatter und kniete neben seinem geliebten Eber.
»Der Karl war bis gestern putzmunter und hat noch drei Säu gedeckt. Der ist ermordet worden und der Tierarzt steckt doch mit dem Biofuzzi unter einer Decke. Glaubst du, der untersucht meinen Karl und hilft mir?«
Bauer Eberlein schaute Johann Nummer Fünf mit großen Augen an.
»Schau dir den Prachtkerl mal an.«
Irmgard stand nun auch in der Box und zerrte an Johann, sodass dieser bald kopfüber in die Box flog.
»Gar nichts mach ich. Ich geh wieder. Bei euch läuft doch was im Kopf schief und da mach ich ned mit.«
Irmgard hatte Johann aber so fest im Griff, dass dieser schneller in der Box landete, als ihm lieb war.
»Komm, guck dir den Kerl mal an, der geht ned einfach so kaputt.«
Karl Eberlein hob jetzt den Kopf des Ebers leicht an und irgendwie sah das Schwein gar nicht so tot aus.
»Karl, der ist hin. Da muss der Tierarzt bei, sonst machst du einen Riesenfehler. Wenn das raus kommt, dass ich den Eber mitnehme, dann kann ich mein Geschäft zu machen.«
Johanns Kleider waren jetzt komplett voller Schweinemist.
»Du nimmst ihn mit? Johann du bist ein echter Freund.«
Karl Eberlein schlug mit seiner großen kräftigen Hand Johann so fest auf die Schulter, dass Johann mit seinem Gesicht direkt auf Eber Karl landete.
»Ich hab nicht gesagt, dass ich den mitnehme, sondern, dass du den Tierarzt brauchst und keinen Bestatter.«
Wackernagel Fünf rappelte sich auf und stand jetzt mit seinen versauten Klamotten neben dem Eber.
»Johann, wir haben bis jetzt alles bei euch im Geschäft erledigen lassen. Das weißt du. Ihr habt uns alle beerdigt, schon seit Generationen. Ihr seid vertrauenswürdig und ihr seid verschwiegen, mehr als jeder andere und außerdem soll es ja ned umsonst sein. Du weißt, dass ich mir das locker leisten kann.«
Johann war immer noch nicht überzeugt, den Eberleins irgendwie zu helfen.
»Weißt du Johann, wenn ich mal sterbe, dann will ich nur von dir beerdigt werden und sonst von keinem. Des weißt du. Der Tierarzt ist noch ned so lange hier im Ort und der hat auch schon ein paar Mal gesagt, dass wir was machen müssen, wegen Tierschutz und so. Und er hat auch schon mal damit angefangen, dass der Karl ned so viel Kunstdünger aufs Feld bringen soll. Und dem sollen wir trauen, Johann?«
Irmgard Eberlein legte die zarteste Stimme einer Bäuerin auf, die es geben konnte.
»Außerdem will ich genau wissen, woran mein Karl hier verreckt ist, sonst hab ich mein Lebtag keine Ruh mehr und das kannst du ja auch nicht wollen, oder?«
Bauer Eberlein verlieh dem Ganzen, durch eine gespielte Dramatik einen besonderen Ausdruck. »Ich weiß gar nicht, wie ich das machen soll. So eine Riesensau. Die krieg ich doch gar ned in einen normalen Sarg, damit ich so ein Schwein dann wegschaffen kann. Und wen soll ich denn da überhaupt fragen, dass er da nachschaut? Ich glaub, das ist alles echt eine Nummer zu heiß für mich.«
Johann blickte immer noch auf den Eber, der in seiner Box lag und ziemlich riesig war.
»Du hast doch in der Schule in Biologie immer eine Eins gehabt. Also, du wirst doch wohl wissen, wie man ein Schwein untersucht. Unsere Tanja hat immer von dir geschwärmt, wie gut du in der Schule warst und dass du mit dem alten Biolehrer Untersteiner immer noch nach Unterrichtsschluss Frösche und anderes Zeug untersucht hast.«
Irmgard schien Johanns dunkle Seiten in der Schule genauer zu kennen, als er sich selbst vorstellen konnte. Dabei hatte er immer darauf geachtet, dass in der Schule keiner davon etwas mitbekam, wenn er wieder mal mit seinem Lieblingslehrer »Untersuchungen« an den Tierkadavern machte. Aber scheinbar hat die neugierige Tanja vom Eberlein Hof mehr mitbekommen, als er wollte.
»Das war ja wohl was völlig anderes damals. Da ging es um kleine Viecher und um keine Krankheiten, also nicht wirklich, denn der Lehrer Untersteiner wusste ja, an was die Viecher gestorben waren. Und hier liegt ein toter Eber mit Schaum vor dem Mund und das ist was ganz anderes.«
Johann musste irgendwie aus der Nummer heraus kommen. Doch die Eberleins waren da ganz anderer Meinung.
»Johann, ob ein Frosch oder ein Eber da liegt, ist doch völlig egal. Ich will wissen, wer meinen besten Eber um die Ecke gebracht hat.«
Karl Eberlein war nicht zu überzeugen.
»Vielleicht ist er ja nur an zu viel Anstrengung gestorben?«
»Mein Eber konnte dreimal am Tag, das war gar kein Problem. Also erzähl mir nichts von Überanstrengung. Das war ein Zuchtheld, wenn ich das Mal sagen darf.«
»Aber er ist verreckt.«
Johann analysierte kurz und knapp.
»Genau und ich will wissen warum. Du kennst dich doch damit aus und du kennst den Tierarzt aus dem Nachbarkreis, den Walter Ensberger, der ist ned so kleinlich wie der Neue von hier. Der hat schon mit deinem Alten zusammen so manches Ding gedreht«, Karl Eberlein schien von jedem und allem was zu wissen. Johann wurde langsam mulmig, denn sein Vater hatte tatsächlich mit dem alten Tierarzt Ensberger schon so manche Nummer gedreht, das konnte eigentlich kein Mensch wissen.
»Woher weißt du das alles?«
»Weil ich mit deinem Alten im Gasthaus »Zum Blauen Ochs« schon mehr gesoffen hab, als du dir vorstellen kannst, und da hat er schon mal das eine oder andere erzählt. Zum Beispiel als dein Vater mal auf dem Weg zum Friedhof, dem Bürgermeister seine fette Katze überfahren hat und nicht wollte, dass das raus kommt. Da hat der Ensberger und dein werter Herr Vater einfach die Katze zur Beerdigung mitgenommen und haben die dann, als alle weg waren mit entsorgt.«
Mein Vater ist echt der größte Esel, den ich kenne, dachte Johann und wäre jetzt am liebsten in irgendein Loch gekrochen und durch dieses vom Hof der Eberleins verschwunden.
»Dem Bürgermeister haben die beiden dann später erzählt, dass der fette Kater an einer Seuche verreckt ist und der Ensberger als Tierarzt aus »Gefahr im Verzug« das Viech sofort entsorgen müssen und dann haben sie dem Bürgermeister auch noch hundertfünfzig Mark aus dem Kreuz gelogen. Angeblich, dass nicht raus kommt, dass die angebliche Krankheit massiv ansteckend gewesen ist.«
Karl Eberlein fuhr nun zur Höchstform auf, was Informationen der dunklen Seite seines Vaters anging.
»Aber…«
»Nix aber. Du musst doch nur raus bekommen, ob irgendwer meinen Karl umgebracht hat und vor allem wer das war. Denn ich vermute ja schon jemanden, ich kann es ihm aber ned nachweisen.«
»Du weißt, wer das war?«
Johann staunte nicht schlecht über solche Vermutungen.
»Ich hab gesagt, ich vermute und nicht ich weiß. Denn wenn ich es wüsste, dann tät ich dem heute Abend schon eine rein würgen, diesem mistigen Biofuzzi diesem Grausamen. Der hat es mit seiner ganzen Bande auf mein Ackerland abgesehen und ich soll jetzt fertiggemacht werden.«
Karl Eberlein bekam beim Schreien einen hochroten Kopf, als er seine Vermutungen weiterspann.
»Karl, reg dich nicht so auf, denn am Ende liegst du neben deinem Eber und der Johann muss euch beide wegschaffen.«
Irmgard schien wirklich besorgt um ihren holden Gatten.
»Das wär dann eine Doppelbeerdigung, genau wie eine Doppelhochzeit nur ohne Braut.«
Johann dachte mal wieder nicht nach, als ihm das heraus rutschte.
Wackernagel Spaß eben.
»Des tät dir so passen, Herr Wackernagel. Dann bräuchtest du nicht mehr raus kriegen, wer meinen tollen Karl umgebracht hat. So schnell geht ein Eberlein nicht kaputt, so schnell nicht. Und ich werd es beweisen, dass diese Bioterroristen nur an mein Hab und Gut wollen.«
Karl Eberlein schrie sich in Rage und Irmgard musste ihn langsam wieder beruhigen.
»Karl, der Johann hilft dir bestimmt. Gell, Johann, das machst du doch, und wenn der Johann alles heraus bekommen hat, dann wirst du sehen, dass unser toller Eber vor Gericht gerächt werden kann. Aber beruhig dich jetzt, Karl.«
Irmgard kniete jetzt neben ihrem Mann, strich ihm über seinen breiten Rücken und schaute Johann flehend an.
»Und wenn der Johann dann raus gekriegt hat, wer dieser Dreckskerl gewesen ist, der unseren…«
»Meinen«, brüllte Eberlein Senior.
»Also, deinen hervorragenden Zuchteber Karl umgebracht hat, dann gehen wir vor Gericht und dann werden wir…«
»Ich werd es dem Drecksack heimzahlen.«
Karl Eberlein hatte sich wieder aufgerappelt und saß jetzt am Gitter der Schweinebox aufrecht angelehnt und ließ seine Frau Irmgard gar nicht mehr zu Wort kommen.
»Weißt du Johann, mir ist es ja eigentlich völlig wurscht, ob ich einen Eber mehr oder weniger hab. Aber beim Karl ist des was anderes. Das war meine Art Lebensversicherung. Der hat schon so viel Ferkel gemacht, des kannst du dir gar nicht vorstellen. Des war sozusagen eine Spermamaschine und der konnte die Säu beglücken, da konntest du nur staunen. Da ist jeder andere Bauer einfach neidisch geworden, wenn der gesehen hat, was mein Karl alles besprungen hat. Erst neulich war der Löblein Schorsch, unser Bürgermeister da und hat ned schlecht gestaunt, als ich ihm erzählt hab, was ich mit dem Karl schon verdient hab.«
»Ja aber ich weiß ned, wie ich des raus kriegen soll, an was euer Supereber verreckt ist. Ich kann doch nicht den Untersteiner anrufen und sagen: Hallo, ich hätte da mal einen Eber bei mir im Geschäft liegen und wir müssen mal raus kriegen, warum der hinüber ist. Der wird sich doch verreckt lachen, wenn der das hört und mich für völlig durchgeknallt erklären. Und wenn ich dann noch den Tierarzt dazu hol, dann gut Nacht schöne Heimat. Des bleibt doch ned geheim so was.«
Johann stand nicht nur im Dreck, sondern es wurde ihm regelrecht heiß, bei dem Gedanken, dass er Schweinedetektiv spielen soll. Auf der anderen Seite hatte das gerade etwas ganz Besonderes und er würde endlich wieder einmal was anderes machen außer Leichen einpacken und zu Grabe tragen. Scheinbar merkten die beiden Eberleins den neugierigen Ausdruck in Johanns Augen und setzten gleich noch einmal nach.
»Schau mal Johann, du willst doch auch, dass es gerecht in unserer kleinen Stadt zugeht. Da kann man doch so ein Verbrechen ned einfach stehen lassen und den Mörder frei rumlaufen lassen. Stell dir mal vor, der ermordet als Nächstes eine alte Frau oder wen auch immer. Tätst Du dann auch so zögern? Du bist doch auch interessiert, dass man so was aufklärt.« Irmgard war scheinbar doch die Schlaue in der Familie und konnte mit ihren Argumenten so manchen Mann überzeugen. Bei Johann war scheinbar das Eis des Widerstandes weitestgehend gebrochen.
»Passt auf«, Johann redete ganz leise zu den beiden, »ich fahr mit dem Wagen bis vor die Stalltür und hol den Zinksarg raus. Karl, du musst mir helfen dieses Riesenvieh in den Sarg zu bringen, allein schaff ich das ned. Und dann fahr ich dieses Mordsdrum zu mir ins Geschäft und lagere den erst mal kühl. Du kümmerst dich drum, dass keiner mitkriegt, dass hier was passiert ist und wehe ich krieg irgendwann mit, dass du im Blauen Ochs oder sonst wo irgendwas erzählst. Dann werde ich dich bei deiner Beerdigung mit dem Arsch nach oben beerdigen und dann kann dich die ganze Stadt als Fahrradständer benutzen. Ist des klar?«
»Logisch.«
Karl Eberlein stand jetzt neben Johann und drückte ihn mit seinen dreckigen Klamotten an sich, wobei das völlig egal war, denn Johann war von seinem Sturz sowieso völlig voller Mist und Dreck.
Beim Rausgehen aus dem Stall versuchte Johann sich einigermaßen von dem Mist etwas zu befreien, damit sein Wagen nicht ganz so leiden musste. Leider nutzte das recht wenig, denn ein solcher Gestank war einfach, nicht wegzubekommen. Er setzte sich in seinen Volvo und riss sofort die Fenster auf. Bevor er sich setzte, legte er über seinen Fahrersitz eine Art Schutzhülle, die er immer dabei hatte, denn als Bestatter wusste man nie, wo man mal hinkommt, und heute hatte diese Schutzhülle ihren wahren Wert gefunden. Langsam fuhr er mit dem langen Volvo in Richtung Stalltür. Irmgard versuchte ihn, mit wedelnden Armen einzuweisen, was nicht nur sehr merkwürdig aussah, sondern Johann mehr verwirrte als half. Aber Irmgard schien daran Gefallen zu finden etwas zum Helfen beizutragen, Johann ließ sie fuchteln und fuhr seinen Wagen wie immer mit Spiegel rückwärts genau auf den Punkt.