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Die hier geschilderten achtzehn Kriminalgeschichten sind wirklich so passiert. Lediglich die Namen der Personen und der Versicherungsgesellschaften sowie die Orte der Handlungen stimmen nicht mit der Realität überein. Das war erforderlich, um Rückschlüsse auf die Beteiligten auszuschließen. Bei den Betrügereien spielt oft die Gier eine entscheidende Rolle, ganz gleich, ob es sich bei der Täterin um eine mittellose Studentin handelt (Koffer - Kapitel 2), oder der Täter ein wohlhabender ehemaliger Unternehmer ist (Armbanduhr - Kapitel 5).Dieses Buch soll ein Zeichen setzen, dass das in allen Gesellschaftsschichten existierende Phänomen des Versicherungsbetrugs kein Kavaliersdelikt ist. Vor allem seit der Jahrhundertwende gelang es den Versicherern immer häufiger, diese Art von Vermögensdelikten erfolgreich zu bekämpfen. Nicht zuletzt aufgrund der im Laufe der letzten Jahrzehnte deutlich verbesserten Maßnahmen.
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Seitenzahl: 191
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Ist Betrug gleich noch so klug, gibt sich letztlich doch ein Fug, daß er nicht ist klug genug.
Friedrich von Logau (1605 - 1655)
Bisher habe ich mich bei meinen Büchern immer gesträubt, mit einem Prolog zu beginnen und zum Schluss auch noch einen Epilog folgen zu lassen.
Mein Vorbehalt gegenüber dieser Art von Anfang und Ende drückte ich kurz und knapp in einem meiner Gedichte aus:
Pro und Epi Wie nach Plan steht im Roman gleich zu Beginn ein Wort mit Sinn. Da lügt der Pro und ebenso fügt Epi behände ganz am Ende seinen Sermon hinzu. Dann hat der Leser Ruh´.
Okay, den Prolog werde ich Ihnen ersparen. Was allerdings den Epilog betrifft, konnte ich in diesem Buch nicht ganz auf ihn verzichten. Insoweit bin ich mir untreu geworden.
Denn ein wenig sollen Sie auch über das in allen Gesellschaftsschichten verankerte Phänomen des Versicherungsbetrugs erfahren. Dazu gehören seine Historie und die negativen Auswirkungen auf die Versicherungsbranche.
VERSCHOLLEN
KOFFER
GIER
KREISSÄGE
ARMBANDUHR
GELDWÄSCHE
DISCO
MICKY MAUS
BADEWANNE
ÖLSPUR
PHILHARMONIKER
KLADDE
FAHRBAHNWECHSEL
FREUNDSCHAFT
BENZINKANISTER
UNTERSCHRIFTEN
BEULEN
TERZETT
MALLORCA
Seit ihrem gemeinsamen Studium in Münster waren Christian Haffner und Martin Hauser eng befreundet. Beide hatten Sport und Englisch auf Lehramt studiert. Der eine war Oberstudienrat an einem Dortmunder, der andere Studiendirektor an einem Bochumer Gymnasium. Sie waren Ende 40. Ihre Geburtstage lagen nur zwei Wochen auseinander. Der fünfzigste sollte im nächsten Jahr zusammen groß gefeiert werden.
Ihre Frauen, Sekretärinnen an der Technischen Universität Dortmund, hatten sie während ihrer Studienzeit bei einem Universitätsball kennengelernt. Unmittelbar nach Abschluss des Studiums fand eine Doppelhochzeit statt. Die Freundschaft zwischen den kinderlosen Paaren wurde von Jahr zu Jahr enger. Fast sämtliche Urlaube fanden gemeinsam statt, meist auf den westfriesischen Inseln in den Niederlanden. Die finanziellen Verhältnisse waren gut. Elke und Christian Haffner bewohnten ein Reihenhaus im Süden Dortmunds, Karin und Martin Hauser eine Eigentumswohnung in Bochum-Ehrenfeld.
Zuerst war es nur ein Hirngespinst, das Haffner bei einem gemütlichen Männerabend während eines im ZDF übertragenen Champions League-Spiels von sich gab. „Weißt du, Martin“, begann er zusammenhanglos, „die Versicherungen sind schon ziemlich naiv. Du erinnerst dich doch an den Einbruch vor drei Jahren in unser Hotelzimmer in Griechenland, als uns ein paar Wertsachen und Elke ein Seidentuch sowie eine Umhängetasche von Versace geklaut worden sind. Die war natürlich nicht echt. Hatten wir billig in der Türkei gekauft. Aber die Versicherung hat geblecht, obwohl wir keine Quittung vorlegen konnten. Ein paar ältere Fotos, die wir ihnen zeigten, hatten genügt.“
„Die haben dann den vollen Preis, den eine echte Versace kostet, gezahlt?“, fragte Martin ungläubig.
„Ja. Abgezogen haben sie lediglich einen Teil vom Neupreis wegen des Alters der Tasche, das wir mit drei Jahren angegeben hatten.“
„Da hast du nie was von erzählt. Wie kommst du jetzt da drauf?“
„Mir geht da seit ein paar Wochen so eine Sache durch den Kopf, die mich beschäftigt.“
„Schieß los!“
„Weißt du, alles ist so … eingefahren. Auf die Schule habe ich schon lange kein‘ Bock mehr. Die Gören werden immer aufmüpfiger und scheren sich einen Scheißdreck um das, was wir ihnen beibringen wollen. Der Idealismus, mit dem ich mal als Junglehrer gestartet bin, ist flöten.“
„Und was geht dir durch den Kopf?“
„Ich will raus aus der Tretmühle und zwar für immer. Kräftig absahnen und dann tschüss!“
„Lotto spielen“, grinste Martin, „oder was meinst du?“
„Nee, da hast du nicht wirklich eine Chance.“
„Also … eine Bank überfallen?“
„Zu großes Risiko. Nein, ich denke an eine Lebensversicherung.“
„Aber wenn du tot bist, hat nur Elke was davon.“
„Tod ist ein gutes Stichwort. Ich schließe eine hohe Risikolebensversicherung ab und verschwinde dann auf Nimmerwiedersehen.“
„Du spinnst!“
„Nein, Martin, ich habe mir das ganz genau überlegt. Ich täusche meinen Tod vor, ohne dass meine Leiche gefunden wird. Elke lässt mich dann für tot erklären und kassiert die Versicherungssumme.“
„Du weißt aber schon, dass du erst nach zehn Jahren für tot erklärt werden kannst.“
„Im Normalfall schon“, fiel Haffner seinem Freund ins Wort. „Aber bei einem Unfall auf dem Wasser beträgt die Frist nur ein Jahr. Ich habe mich da im Internet schlau gemacht.“
„So? Wusste ich nicht. Und wo soll sich dein Unfall abspielen?“
„Auf Texel. Die Holländer sind vielleicht ein bisschen laxer als die Deutschen, was die Nachforschungen betrifft.“
„Du scheinst dich ja tatsächlich schon ziemlich genau mit der Sache beschäftigt zu haben.“
„Und ob! Bist du dabei?“
„Wie meinst du das denn jetzt?“
„Wir ziehen die Sache zusammen durch. Du hast doch eigentlich auch kein‘ Bock mehr, oder?“
„Du meinst, wir schließen beide eine hohe Versicherung ab, fahren zusammen in Urlaub und verunglücken bei einer gemeinsamen Bootsfahrt?“
„Genau das meine ich.“
„Wenn du mich fragst, ganz schön riskant.“
„Nee, überhaupt nicht. Die finden ein paar unserer Sachen am Strand, suchen nach uns und stellen dann nach zwei, drei Tagen ihre Nachforschungen ein. Offizielle Version: Tod durch Ertrinken.“
„Hm, tolle Geschichte. Hört sich nicht schlecht an. Aber ein bisschen Schiss hätte ich schon. Hast du schon mal mit Elke darüber gesprochen?“
„Ja, aber nicht so konkret. Nur mal so vorgefühlt. Hab ihr gesagt, dass ein Kollege von mir so was mal in Bierlaune von sich gegeben hätte.“
„Und was meinte sie?“
„Sie fand das clever. Zumindest hat sie sich so aus gedrückt.“
„Ich weiß nicht, ob Karin da mitziehen würde.“
„Kommt auf einen Versuch an. Lass uns mal nach der Übertragung ins Wohnzimmer zu den Frauen gehen und auf den Busch klopfen.“
„Okay, wenn du meinst.“
Was als Gedankenspielerei begonnen hatte, entwickelte sich zum konkreten Plan. Am ersten Abend hatten die Ehefrauen Bedenken geäußert. Aber bei einem weiteren Treffen noch in derselben Woche beschlossen sie schließlich gemeinsam, ihr Vorhaben zu verwirklichen.
Der Unfall sollte sich in den Herbstferien ereignen. Bis dahin wollten sie sich zur Vorbereitung ein halbes Jahr Zeit lassen. Nichts überstürzen. Haffner ließ sich von mehr als einem Dutzend Lebensversicherern Anträge schicken. Sie sonderten diejenigen aus, die nach anderweitigen Lebensversicherungen fragten, wie das früher – wie sie wussten – regelmäßig der Fall gewesen war. Jeder von ihnen schloss bei fünf Versicherern mehrere hochsummige Todesfallversicherungen im Gesamtvolumen von knapp drei Millionen Euro ab. Ihre Ehefrauen setzten sie als Bezugsberechtigte ein.
Im Oktober war es dann soweit. Der Segelurlaub auf Texel stand an. Schon vor Wochen war für die Herbstferien ein Haus in Strandnähe gebucht worden, in dem sie schon mehrfach gemeinsam ihren Urlaub verbracht hatten.
An einem stürmischen Tag brachen die Männer mit ihrem gemieteten Boot auf zu einem Segeltörn. Der Vermieter kannte die beiden Deutschen als erfahrene Segler, meinte zwar noch, sie hätten sich einen extrem schlechten Tag ausgesucht, hielt aber eine eindringliche Warnung für überflüssig, weil die beiden schon öfter bei solchen Windverhältnissen gesegelt waren.
Am späten Nachmittag erschien die Polizei bei den Ehefrauen. Am Strand waren Kleidungsstücke und mehrere Utensilien gefunden worden, die auf einen Segelunfall schließen ließen. In einer Jackentasche befand sich ein Sportbootführerschein See, lautend auf den Namen ‚Martin Hauser‘. Trotz sofort eingeleiteter Suche war das Boot noch nicht gesichtet worden. Den Frauen wurde mitgeteilt, dass sie mit dem Schlimmsten rechnen müssten. Die Rettungsaktion werde fortgesetzt. Aber auch in den nächsten beiden Tagen blieb das Boot verschwunden. Von den beiden Männern fehlte jede Spur. Die Suche wurde eingestellt. Man ging davon aus, dass das Boot im Sturm kenterte und beide Segler ertrunken waren.
Zur Klärung der Formalitäten blieben die beiden Frauen noch zwei weitere Tage vor Ort. Wieder zu Hause reichten sie die amtlichen Papiere den diversen Versicherern ein. Die Todesfallsummen machten sie im Laufe des sich anschließenden Schriftwechsels geltend.
Übereinstimmend wurde ihnen erklärt, dass die Versicherungsleistungen erst dann ausgezahlt werden könnten, wenn die Vermissten für tot erklärt worden seien. Im Normalfall nach zehn Jahren, bei Seeverschollenheit, wenn das Boot untergegangen sei, frühestens nach einem Jahr.
Im November des Folgejahres stellten die beiden Frauen die Anträge, ihre Männer für tot erklären zu lassen. Die Ende Oktober des vorangegangenen Jahres ausgestellten Bescheinigungen ließen sie mehrfach beglaubigen und legten sie den Versicherern mit der Bitte um Auszahlung der jeweiligen Versicherungssumme vor. Zwei hatten bereits gezahlt. Ein Mitarbeiter einer anderen Gesellschaft zögerte mit der Auszahlung. Die Höhe der Versicherungssumme von jeweils 600.000 Euro passte seiner Meinung nach nicht zum sozialen Umfeld der beiden Lehrer. Er fragte sich im Übrigen, weshalb die Bescheinigung nicht im Original, sondern in beglaubigter Form vorgelegt worden war. Sicherheitshalber bat er deshalb den Verband, in der HIS-Datei nachzuforschen, ob seitens der Versicherungsnehmer noch bei anderen Versicherern Risikolebensversicherungen abgeschlossen worden seien. Das führte zu mehreren Treffern. Unmittelbar danach fand ein reger Informationsaustausch zwischen den betreffenden Gesellschaften und deren Außendienstmitarbeitern statt.
Bei einem der Versicherer hatte sich Hauser kurz nach Vertragsschluss nach den Ausschlussklauseln erkundigt, wie der Vermittler zu berichten wusste. Hauser habe ihn gefragt, ob es stimme, dass z.B. bei Selbstmord des Versicherungsnehmers innerhalb von drei Jahren nach Vertragsschluss der Versicherer leistungsfrei sei. Er habe das bestätigt. Im Laufe des Gesprächs sei Hauser dann auch noch darauf zu sprechen gekommen, was eigentlich geschehe, wenn jemand vermisst würde. Ob der Versicherer dann auch leistungsfrei sei. Er habe ihm daraufhin gesagt, dass seines Wissens nach der Verschollene erst für tot erklärt werden müsste.
Die Gesellschaften beschlossen gemeinsam, nachdem sie sich gezwungen sahen, die Versicherungssummen auszuzahlen, Dietmar Metzler, Angestellter einer Dortmunder Detektei, der sich auf Betrugsfälle zu Lasten von Versicherern spezialisiert hatte, für ein halbes Jahr mit der Aufklärung dieses Falles zu beauftragen. Die Nachforschungen blieben in der gesetzten Frist erfolglos.
Von den Versicherern unbemerkt wurden zehn Monate später – also annähernd zwei Jahre nach dem vermeintlichen Unglück – die Wohnung und das Reihenhaus verkauft, die Anstellungsverhältnisse ordnungsgemäß gekündigt und die Konten bei den Banken mit dem Hinweis eines Neuanfangs im Westen Kanadas aufgelöst. Für eventuelle Folgekorrespondenz wurden alle Institutionen gebeten, Briefe postlagernd an ein näher bezeichnetes Postamt in Edmonton in der kanadischen Provinz Alberta zu senden.
Haffner und Hauser erfreuten sich bester Gesundheit. Sie hatten sich nach Spanien abgesetzt. Vier Monate vor dem Segelunfall hatten sie in der abseits vom Touristenstrom liegenden Gemeinde Olivella in der Provinz Barcelona eine Finca von knapp 160 qm Wohnfläche erworben. Ein günstiger Kauf, denn der dort lebende Schweizer wollte, nachdem seine Frau bei einem Verkehrsunfall getötet worden war, zurück nach Zürich. Dort lebten seine Tochter und einige andere Familienmitglieder. So blieb ihm nichts anderes übrig, als das Anwesen weit unter Marktwert zu verkaufen.
Die Lage der Finca in dem kleinen etwa 3500 Einwohner zählenden Ort – circa 20 Kilometer von der Küste entfernt – entsprach ganz und gar ihren Vorstellungen. Gezahlt hatten sie den Kaufpreis von den im Laufe der Jahre gebildeten Rücklagen, die damit jedoch fast vollständig aufgebraucht waren. Aber beide waren sich sicher, in absehbarer Zeit wieder zu Geld zu kommen.
Nach annähernd zwei Jahren war für Haffner und Hauser die Zeit der selbst auferlegten Einsiedelei vorbei: Ihre Frauen brachen ihre Zelte in Deutschland ab. In ihrem näheren Umfeld hatten sie angegeben, nach Westkanada auszuwandern, wo Elke Haffner einen entfernten Onkel habe. Von Düsseldorf flogen sie nach Paris. Dort verlor sich ihre Spur.
Mit der Bahn fuhren sie nach Barcelona, wo sie von ihren Ehemännern abgeholt wurden.
Es folgten zwei unbeschwerte Jahre. Das zweite – weitaus luxuriösere – Leben hatte begonnen. Sie fühlten sich völlig sicher. Deutschland lag weit hinter ihnen. Was sich dort ereignete, interessierte sie nur am Rande. Außer Fußball. Den verfolgten die Männer im Fernsehen, wann immer sich ihnen die Möglichkeit bot. Nur auf das Erlebnis des Live-Fußballs mussten sie verzichten. Mit einer Ausnahme. Der Zufall hatte es gewollt, dass Dortmund und Barcelona in dieselbe Gruppe der Champions League gelost wurden. Beide Männer beschlossen, sich das Spiel in Barcelona live anzusehen.
Sie besorgten sich zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Karten über einen in Olivella ansässigen Spanier, mit dem sie sich angefreundet hatten. So vermieden sie es, in den Fanblock der Dortmunder zu geraten. Wie immer hieß auch hier die Devise Vorsicht.
Die Euphorie nach dem Match war groß. Dortmund hatte sich ein 2:2 redlich verdient. Die beiden Deutschen luden den Spanier noch in Barcelona in eine Tapas-Bar ein, aßen eine Kleinigkeit und tranken auf das Wohl beider Mannschaften. Dann machten sie sich auf den Rückweg nach Olivella. Der Spanier fuhr.
Was alle in ihrer ausgelassenen Stimmung nicht bemerkt hatten, war, dass ihnen unauffällig ein Taxi folgte. In ihm saß außer dem Fahrer der Privatdetektiv Dietmar Metzler. Wie die beiden Deutschen ein totaler Borussen-Fan. Er hatte über das übliche den Dortmundern zur Verfügung gestellte Kontingent keine Karten für das Champions League-Spiel bekommen und einen in Barcelona ansässigen Kollegen gebeten, ihm eine Karte zu besorgen. So war auch er während des Spiels nur von Spaniern umgeben. Bis auf zwei Zuschauer, die ihm auffielen, weil sie bei den spanischen Toren nicht jubelten. Sie saßen etwas entfernt in der Reihe links vor ihm. Gerade als er sie ansprechen wollte, erinnerte er sich an die Fotos, die er im Zuge seiner Recherche in der Angelegenheit mit den vermeintlich tödlich verunglückten Seglern von den Versicherern erhalten hatte. Kein Zweifel. Vor ihm saßen die beiden für tot erklärten Deutschen. Von diesem Moment an ließ er sie nicht mehr aus den Augen. Sein Vorteil: Er kannte sie, sie ihn nicht. So gelang es ihm, ihnen mit Hilfe eines Taxis unauffällig zu folgen, erst in die Tapas-Bar, dann nach Olivella.
Wieder zurück in Deutschland setzte er sich mit dem federführenden Versicherer in Verbindung. Er sagte, er habe eine heiße Spur. Er forderte ein stattliches Erfolgshonorar, auf dessen Zahlung sich die beteiligten Gesellschaften schließlich gemeinsam verständigten.
Nach Erledigung der erforderlichen Formalitäten zwischen den beteiligten Staaten wurden beide Ehepaare in Olivella in ihrem Domizil verhaftet, in Spanien verhört und nach ihren Geständnissen an Deutschland ausgeliefert.
Der Prozess gegen die beiden Ehepaare fand vor dem Schöffengericht in Dortmund statt. Wegen mehrfachen Betrugs und in diesem Zusammenhang weiterer begangener Straftaten wurde Haffner zu drei Jahren und acht Monaten, Hauser als Mittäter zu drei Jahren und zwei Monaten verurteilt.
Die beiden Ehefrauen erhielten wegen Beihilfe jeweils achtzehnmonatige Haftstrafen, die unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt wurden.
Zu einem Zivilprozess kam es nicht, weil die beiden Ehepaare das von den Versicherern ausgearbeitete Schuldanerkenntnis akzeptierten, das noch vorhandene Vermögen an die Gläubiger im Verhältnis der erhaltenen Versicherungssummen auszahlten und sich zur Rückerstattung der noch fehlenden Beträge verpflichteten.
Nachdem die Ehefrauen die vereinbarten monatlichen Raten zwei Jahre lang gezahlt hatten, erklärten sich die Versicherer gegen Zahlung von 75 % der noch ausstehenden Summe im Laufe von drei Monaten bereit, auf den Restbetrag und die ausstehenden Zinsen zu verzichten.
Die Summe ist von einem in Luxemburg lebenden Verwandten Hausers innerhalb der gesetzten Frist entrichtet worden.
Die beiden Täter wurden jeweils nach Verbüßung von fast drei Vierteln der Haftstrafe wegen guter Führung entlassen. Der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
„Na, wie war´s in Granada?“ fragte Nina ihre Freundin nach deren Rückkehr von einem zweiwöchigen Urlaub in Südspanien.
„Super! Der Robinson-Club war einsame Spitze. Sport ohne Ende, vor allem Touren mit dem Mountain-Bike und abends jede Menge Action“, schwärmte Ann-Katrin. Sie war wie Nina Studentin an der Sportschule Schöneck. Von ihrem BAföG hätte sie sich den Urlaub nicht leisten können, aber ihre Patentante hatte ihr die Reise zum Geburtstag geschenkt.
„Klingt ja so, als ob du dich abends nicht gelangweilt hast“, lockte Nina, um von ihrer besten Freundin mehr zu erfahren. „Nee, das kann ich wirklich nicht sagen“, meinte sie mit einem verträumten Lächeln.
„Du hast so ein merkwürdiges Glitzern in den Augen. Hat es dich etwa erwischt?“
„Ich glaub schon.“ Sie machte eine kleine Pause. „Übrigens studiert Markus auch Sport, aber leider in Leipzig. Wenn ich ihn jetzt häufiger besuchen will, muss ich irgendwie an Kohle kommen.“
Das Gespräch plätscherte noch so eine Weile dahin, bis Nina auf einen anderen Punkt zu sprechen kam. „Aber Pech habe ich auch gehabt. Auf dem Rückweg haben sie mir den Koffer geklaut.“
„Wie geklaut? Wie kann das denn passieren? Du bist doch geflogen?“
„Ja, aber nur bis Frankfurt. Im ICE nach Karlsruhe habe ich den Koffer, weil der Zug überfüllt war, im Großraum neben meinen Sitz gestellt.“
„Und da haben sie ihn dir geklaut?“, fragte Nina ungläubig. „Wie geht das denn?“
„Der Schaffner hatte verlangt, dass ich den Koffer am Ende des Wagens in einer dafür vorgesehenen Nische abstelle. Das habe ich auch getan. In Karlsruhe war der Koffer dann weg.“
„War dein Gepäck denn wenigstens versichert?“
„Gott sei Dank ja, ich habe beim Abschluss der Reise so ein Zusatzpaket mit gebucht für Krankenrücktransport und Reisegepäck. Hat alles meine Patentante bezahlt.“
„Na, das nenne ich Glück im Unglück. So eine Tante könnte ich auch gebrauchen!“
Schon am nächsten Tag besorgte Ann-Katrin Boysen sich vom Reiseveranstalter ein Formular für die Schadenmeldung. Den Diebstahl hatte sie unmittelbar am Ende ihrer Reise in einem im Hauptbahnhof Karlsruhe untergebrachten Büro der Deutschen Bahn gemeldet. Im Zug selbst war ihr vom Schaffner bescheinigt worden, dass er sie aufgefordert habe, den Koffer an den dafür vorgesehenen Platz am Wagenende zu deponieren. Ihr Ticket und die schriftliche Bestätigung des Schaffners reichten der Bahn aus, um den Kofferdiebstahl zu bescheinigen.
Neben den persönlichen Daten führte die Studentin im Formular sämtliche mitgeführten Kleidungsstücke, Schuhe, Fotoausrüstung, diverse Sport- und Badesachen, Bücher sowie einen Laptop auf. Die Größe des Gepäckstücks gab sie mit 65x41x26 cm an, denn die Maße standen auf der beigefügten Rechnung ihres kürzlich erst erworbenen Hartschalenkoffers. Die in der Schadenanzeige aufgelisteten Artikel konnte sie bis auf wenige Ausnahmen nicht belegen. Das Alter gab sie in den meisten Fällen mit neuwertig, in den übrigen mit zwei bis drei Jahren an.
Im Anschreiben an den Versicherer bat sie um Überweisung der Schadensumme auf ihr Girokonto.
Statt eines Zahlungseingangs erhielt Ann-Katrin Boysen nach etwa vier Wochen Post von der Schadenabteilung. Der Anspruch wurde abgelehnt. Es beständen erhebliche Zweifel an dem geschilderten Versicherungsfall. Er könne sich so nicht zugetragen haben. Somit liege eine Obliegenheitsverletzung vor, die den Versicherer von seiner Leistungspflicht entbinde. Die Ablehnung war kurz und knapp.
Ann-Katrin Boysen, die in Karlsruhe keinen Anwalt kannte, wandte sich auf Empfehlung eines Studienkollegen an Rechtsanwalt Sören Ibsen. Dieser hatte ihn nach einem Verkehrsunfall vertreten.
„Offensichtlich will die Versicherungsgesellschaft sich vor der Zahlung drücken, Frau Boysen. Sie müssen wissen, dass die gerade bei Reisegepäckversicherungen immer gerne erst einmal ordentlich auf den Putz hauen. Am Ende müssen die dann aber in aller Regel klein beigeben“, beeindruckte der junge Anwalt mit seiner forschen Aussage seine neue Mandantin.
„So, meinen Sie? Aber die schreiben ja gar nicht, warum sie nicht zahlen wollen.“
„Sehen Sie, das ist eben alles nur heiße Luft. Bluff, reiner Bluff. Also wenn Sie mich fragen, sollten wir da gar nicht lange fackeln, sondern gleich klagen“, riet der Anwalt, der seine allein geführte Kanzlei mit Mühe und Not über Wasser hielt und dankbar für jedes neue Mandat war. „Sie müssten mir hier nur noch schnell eine entsprechende Vollmacht unterschreiben, damit ich beim Amtsgericht Klage einreichen kann.“
Damit zog er eine Schublade seines Schreibtischs auf und reichte ihr das entsprechende Formular.
Die Studentin zögerte. „Aber warum schreiben die nicht klipp und klar, warum sie nicht zahlen wollen“, wiederholte sie ihren Einwand.
„Die glauben eben nicht, dass ihr Koffer gestohlen wurde. Aber das ist nicht Ihr Problem. Sie haben das alles ganz richtig gemacht. Schließlich müssen die Ihnen beweisen, dass der Koffer nicht entwendet wurde. Nicht umgekehrt. Wir haben nur darzulegen, dass Sie den Koffer auf Weisung des Schaffners am Ende des Waggons abstellen sollten. Darüber gibt’s ja sogar eine Bescheinigung. Also wenn Sie mich fragen, ein Kinderspiel.“
„Gut, wenn Sie meinen. Und wenn wir den Prozess gewinnen, dann muss die Versicherung auch Ihr Honorar bezahlen?“, vergewisserte sich Ann-Katrin Boysen.
„Ja, wer verliert, zahlt. Noch eine Frage: Sind Sie rechtsschutzversichert?“
„Nein, warum? Ist das wichtig?“
„Nein, das wäre es nur, wenn wir den Prozess verlieren würden. Aber das ist ja in Ihrem Fall gar nicht möglich“, beschwichtigte Ibsen seine Mandantin.
„Also gut. Wo soll ich unterschreiben?“
Der Anwalt reichte Klage beim Karlsruher Amtsgericht ein.
Im Schriftsatz der Gegenseite monierte der mit dem Fall betraute Mitarbeiter der Rechtsabteilung, Reimer Hansen, dass die meisten Kleidungsstücke und Artikel mit neuwertig angegeben worden seien, aber nicht durch Rechnung belegt werden konnten. Das sei absolut unglaubhaft. Auch die Menge der angeblich entwendeten Sachen werde mit Nichtwissen bestritten. Hansen beantragte, die Klage abzuweisen.
Fünf Monate später fand die Gerichtsverhandlung statt. Die Einzelrichterin, Rena Knittel, wandte sich an den Vertreter der Beklagten. „Ich habe mir die Frage gestellt, ob Ihre Einwände ausreichend substantiiert dargelegt wurden.“ Sie machte eine kleine Pause, um Hansen die Möglichkeit der Erwiderung zu geben.
„Schriftsätzlich konnten wir nicht mehr tun, als die angegebene Menge, die sich in dem Koffer befunden haben soll, mit Nichtwissen zu bestreiten.“
„Ich bin da nicht ganz Ihrer Meinung. Die Klägerin hat meines Erachtens ihrer Darlegungspflicht genügt. Sie hat die Bescheinigung der Bahn und die Rechnung für den entwendeten Koffer vorgelegt. Dass sie darüber hinaus für die erworbenen Sachen keine Belege aufbewahrt hat, entspricht heutzutage gerade bei jungen Leuten den üblichen Gepflogenheiten.“
Der Anwalt der Studentin, die sichtlich nervös war, warf seiner Mandantin einen aufmunternden, siegessicheren Blick zu. Sie entspannte sich.
„Der Diebstahl als solcher wird ja auch nicht bestritten“, warf Hansen ein. „Aber die Menge der angegebenen Sachen konnte sich unmöglich in dem entwendeten Koffer befunden haben. Um das zu beweisen, stelle ich den Antrag, die Klägerin möge hier im Gerichtssaal einen gleichartigen Koffer vor unser aller Augen noch einmal packen.“
Unter dem Publikum, das sich überwiegend aus einer Oberstufenklasse des Bismarck-Gymnasiums zusammensetzte, entstand ein nicht zu überhörendes Gemurmel.
„Darf ich die Zuhörer bitten, sich jeglichen Kommentars zu enthalten“, wandte sich die Richterin an den Lehrer, der zustimmend nickte und mit finsterem Blick seine Schülerinnen und Schüler im Zaum zu halten versuchte.
„Nun wieder zu Ihnen, Herr Hansen. Wie soll das gehen? Auch die Sachen wurden entwendet.“
„Wenn Sie erlauben, Frau Vorsitzende, würde ich gerne eine Gruppenleiterin aus der Schadenabteilung hereinbitten.“
„Wenn´s der Rechtsfindung dient“, meinte die Richterin erkennbar leicht genervt und bat die Protokollführerin, draußen nachzuschauen.
Die Versicherungsangestellte erschien im Türrahmen. Mit der linken Hand schob sie einen kleineren, mit der rechten Hand einen fast doppelt so großen Rollkoffer in den Gerichtssaal.
Die Richterin schmunzelte, denn sie ahnte, was sich da vor ihren Augen abspielen würde. Zunächst befragte sie die Zeugin nach ihrem Namen, die – schon entsprechend vorbereitet – ihren Ausweis vorlegte. Dann folgte die übliche Belehrung.
„So, Frau Kuhlmann, dann gehe ich mal bei Ihrem ungewöhnlichen Aufzug davon aus, dass Sie uns etwas demonstrieren wollen.“
„Ja, mit Ihrer Erlaubnis gerne.“
„Dann schießen Sie mal los.“
Die Gruppenleiterin hob beide Koffer auf einen der Tische, wobei ihr das bei dem größeren sichtlich Mühe bereitete. Sie öffnete zunächst den kleineren Koffer, in dem sich nichts befand. Danach klappte sie den anderen auf, der beidseitig randvoll mit Kleidungsstücken und sonstigen Utensilien gefüllt war. Dann wandte sie sich an die Richterin.