Beule oder Wie man einen Tresor knackt - Norbert Klugmann - E-Book

Beule oder Wie man einen Tresor knackt E-Book

Norbert Klugmann

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Beschreibung

«Pecunia non olet», sagte der Polizist. «Wie bitte?» fragte Borbet. «Sie sind Lateiner?» fragte der Polizist. Borbet war verwirrt. «Ich stamme aus Niedersachsen.»

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Seitenzahl: 332

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Norbert Klugmann • Peter Mathews

Beule oder Wie man einen Tresor knackt

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

«Pecunia non olet», sagte der Polizist.

«Wie bitte?» fragte Borbet.

Über Norbert Klugmann • Peter Mathews

Norbert Klugmann und Peter Mathews, beide Jahrgang 1951, haben gemeinsam in der Reihe rororo thriller veröffentlicht: «Beule oder wie man einen Tresor knackt», «Ein Kommissar für alle Fälle», «Flieg, Adler Kühn», «Die Schädiger» und «Tote Hilfe».

Inhaltsübersicht

Hauptpersonen«Die Beule auf ...Die beiden Amerikaner ...

Hauptpersonen

Heinz Borbet

hat das Glück im Keller stehen.

Marianne Borbet

liebt Mann und Familie und spricht aus, was die schweigende Bevölkerungsmehrheit denkt.

Jutta und Andreas Borbet

leiden mäßig unter ihren Eltern und tragen’s mit Humor.

Götz Wegemann

wird bestohlen: Sein Tresor ist weg. Er allein weiß, was das bedeutet.

Fred Frenzel

will groß raus und stiehlt einen Tresor, aber das geht schief. Als auch noch die Tante stirbt, bleibt Fred nur die Flucht.

Bruno Kalkowski

bleibt bei Tag und Nacht stets gleichbleibend knapp überfordert.

Jo Puttel

ist immer zur Stelle, weil es die Stellung hebt.

Elfriede Frenzel

erliegt der Fernsehwerbung. Total.

Mona

hat Maße, die erinnerungswürdig sind. Auch für Tresorknacker.

Oberkommissar Fleischhauer

schlägt sich mit unfähigen Gaunern und Mitarbeitern herum.

Ähnlichkeiten oder Namen sind rein zufällig und haben nichts mit wirklichen oder lebenden Personen zu tun. Sollte Ihnen eine dieser Figuren begegnen, seien Sie nett zu ihr. Sie hat durch uns schon genug zu ertragen.

«Die Beule auf meinem Rücken ist nicht harmlos, ist kein Buckel, es ist eine Bombe, und sie wird eines Tages explodieren.»

 

Marty Feldman

Die beiden Amerikaner hatten die Seitenstraße im Hamburger Stadtteil Harvestehude ganz für sich allein. Kaum ein Auto befuhr Freitag nachmittag das kurze Stück zwischen Rothenbaumchaussee und Hochallee. Der jüngere der beiden Amerikaner, er war Anfang Zwanzig, steckte in einer weiten Baumwollhose mit großen roten und grünen Karos. Er trug weiße Cowboystiefel, die mit goldenen Nieten beschlagen waren. Auf der Vorderseite seines knallgelben T-Shirts stand der Schriftzug «Oregon Pepper – der hilft dem Vater auf die Mutter». Der ältere Amerikaner, er war Ende Dreißig, trug ein Hawaiihemd und Bermudashorts, aus denen kräftige und stark behaarte Waden hervorschauten. In der Hand hielt er eine Polaroidkamera.

Nicht schlecht, die Szene mit den Amerikanern, was? Wir haben sie dennoch gestrichen. Keine weitschweifigen Einleitungen, der Plot muß rasen.

Die beiden Amerikaner schlenderten an einigen Häusern vorbei. Dann drehten sie sich um und gingen die Strecke langsam zurück. Dabei guckten sie häufig zu einer zweistöckigen Altbauvilla auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Fassade wirkte frisch renoviert. Im winzigen Vorgarten stand ein Firmenschild «Werbeagentur Wegemann + Khurtz».

«Sieht stabil und sicher aus», sagte der Ältere leise und schaute unauffällig auf die dunkelblaue Villa. «Nur was für Fachleute», bemerkte der Jüngere sachlich. Wenn das klappt, ich leg ein Ei. Mäuse, Mücken, Moneten, geil. Heute abend den Bruch, den Kasten knacken, Kohle zählen, teilen, halbe-halbe Bruno und keine Rechenkunststückchen, Montag kündigen, wie kündigt man beim Arbeitsamt? Fred meldet sich ab, tschüs, Freunde, ihr mittelmäßigen Piffer. Ohne Phantasie wird das eben nichts. 1600 De Em netto? Nein danke. Hallo, Honda, Fred kommt. 500 Kubikzentimeter freuen sich. Ich zahle in bar. Eigene Bude, Tante Frieda ade. Und dann willige Frauen anmachen – vielleicht doch besser ein Auto, falls es regnet. Wir schaffen das. Wenn Bruno in Form ist, ist er unübertrefflich.Vier Arme schaffen mehr als zwei. Meine Intelligenz, Brunos Körperkraft.

«Dann wollen wir mal», sagte der Ältere und hantierte an der Polaroidkamera herum. Warte, Bruno, noch ein Weilchen, dann kommt Bargeld auch zu dir. Da sind garantiert 10000 Märker drin. 20000, 30000, ich werd nicht wieder. Das ist … das ist … mehr als ein Jahr arbeiten ist das. Knapp die Hälfte für Fred, den Rest für mich. Was braucht der junge Spund so viel Kohle. Verplempert der doch garantiert in vier Wochen. Wir schaffen das, und dann bin ich reich.

Sein Begleiter ging über die Straße und stellte sich vor die Villa. Der Ältere hob die Kamera vors Gesicht und dirigierte den Jüngeren mit der freien Hand nach links. Der Mann im knallgelben T-Shirt begann zu lächeln. Die Kamera surrte. Der Mann stellte einen Fuß vor und lächelte wieder. Die Kamera surrte. Er eilte zu seinem Freund zurück. Gespannt beobachteten sie, wie sich aus der eben noch konturenlosen hellgrauen Fläche der Fotos die Villa herausbildete. Auf einem Bild war nur das Haus zu sehen, auf dem anderen erschien am Rand ein Bein des Amerikaners. Der Ältere tippte auf das Bein. «Ärgerlich. Aber sonst in Ordnung.»

Ein Ford-Kombi parkte vor der Villa ein. Der Fahrer stieg aus und schloß den Wagen ab. Er war schon fast völlig durch den kleinen Vorgarten zur Tür des Hauses gegangen, als er sich plötzlich vor die Stirn schlug. Er ging zum Wagen zurück, schloß ihn auf und lehnte sich zum Beifahrersitz hinüber, auf dem ein Briefumschlag lag. Dabei bemerkte er auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig zwei Männer, die wie Amerikaner aussahen. Typisch. So sehen sie aus. Daß die sich nicht schämen. Aber sie machen gute Western und sich eilig entfernten.

Der Mann ging durch den kleinen Vorgarten. Der zur Türklingel umfunktionierte Spielzeugaffe auf dem Schreibtisch der Sekretärin Roswitha knallte scheppernd die Becken zusammen, die er in seinen vorgestreckten Pfoten hielt. Roswitha erschrak, starrte den Affen an. Ich hasse dich. Widerliches Vieh[*] und drückte einen Knopf. Die Haustür schnarrte, der Mann lehnte sich dagegen und betrat das Haus. Er stand im Flur einer weitläufigen und sehr hohen Wohnung. Links führte eine Treppe in den ersten Stock. Auf der rechten Seite erblickte der Mann durch eine offenstehende Tür den Affen auf Roswithas Schreibtisch. Er ging auf den Affen zu. Die Sekretärin blickte ihm entgegen wie ein Mensch, den man in einer wichtigen Arbeit stört. Roswitha war 24 und zeigte oberhalb des Tisches eine weite weiße Bluse. Sie hatte scharf geschnittene Gesichtszüge, die ihr Chef Götz Wegemann in Momenten der Harmonie «klassisch schön» und nach Streitereien «hart und brutal» nannte. Neben dem Affen stand eine kleine altmodische Tasche, in die Roswitha jetzt Tiegel, Tuben, Töpfe und einen Spiegel steckte. Der Mann trat vor den Schreibtisch. «Schönen guten Tag, ich komme von der Passau-Paderborner-Versicherung. Herr Lindemaier schickt mich. Ich soll Herrn Wegemann einen Brief aushändigen.» «Donnerwetter, Ihr Herr Werbeleiter schreibt am Freitagnachmittag noch einen Brief», sagte Roswitha. Der Mann riß seinen Blick von den vier mal sechs an der Längswand des Büros gestapelten Kartons los. Aus einem aufgerissenen Karton in der obersten Reihe guckten zahlreiche Osterhasen hervor.

«Scheißdreck verdammter. Sollen die sich ihre Anzeige doch in die Haare schmieren», brüllte ein Mann im Nebenraum. Der Bote drehte sich um und sah durch die offenstehende Flügeltür, wie Rainer Kurz ein Typometer auf den Tisch knallte. Dann nahm er es in beide Hände und bog es wütend übers Knie. Obwohl der füllige Mann in seiner eng sitzenden hellbraunen Lederhose mit zornrotem Gesicht und aller Kraft die Enden des Typometers nach unten zog, wollte das breite Lineal nicht brechen. Der Bote sah Roswitha an, die zuckte die Achseln und packte die blaue Dose, die sie in der Hand hielt, in die Tasche. Kurz stampfte mit dem Fuß auf und hielt das Typometer anklagend vor sein Gesicht.

«Warum haben wir nicht Faber Castell als Kunden?» schrie er zu Roswitha hinüber. «Ich hätte jetzt tausend Ideen für eine Kampagne.» Wütend warf er das Typometer auf die schräggestellte Platte des Zeichentischs, von wo es auf den Parkettfußboden fiel. Kurz kickte das Gerät quer durch den Raum.

«Kurz, du bist ein alter lärmender Saftsack», ertönte eine Stimme von der Seite. Ein etwa dreißigjähriger Mann in abgewetzten Jeans und gestreiftem Hemd, über dem er eine Weste trug, lehnte am Türrahmen. In der Hand hielt er eine Bierdose, aus der er einen tiefen Schluck nahm. Der Bote sah den Mann an. Ich muß nachher Bier holen. Sechserpack vom Kiosk. Nein, so teuer wie der ist. Zehn Minutenfrüher Schluß machen und zu Penny. 24 Dosen, kosten 60 Pfennig. Scheiß-Freitag, wieder voll bis zur Tür, und die haben nur zwei Kassen besetzt. Die Jungs hier lassen sich ihr Bier garantiert ins Haus liefern. Bei der Arbeit trinken, mannomann.

Kurz kam aus dem Raum, dessen Wände genauso weiß gestrichen waren wie das Büro und der Flur. Die Wandregion um seinen Zeichentisch war mit Papierbögen verschiedener Formate übersät. Auf den meisten erkannte der Bote Anzeigenentwürfe für seinen Arbeitgeber.

«Was macht die Headline?» bellte Kurz den Mann mit der Bierdose an. «Oder bist du erst beim achten Bier?»

Der Mann hob die Bierdose gegen Kurz.

«Genie säuft, Durchschnitt frißt.» Kurz sah ihn wütend an und blickte an seiner Leibesfülle herunter. ‹Iiih, wie siehst du denn aus? Na, hoffentlich ist deine Masse wenigstens auch Klasse.› Zitat Marion: schlank, geile Figur, Busen zum Verrücktwerden, Hintern zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt, liegt breit und bräsig auf dem Laken, und du pellst dich mühsam aus den Klamotten. Idiot. Das müßtest du jetzt endlich mal kapieren: entweder Kerzen als gnädige Weichzeichner oder Licht völlig aus. Aber dann haust du dir bei deinem Talent garantiert an irgendeiner Ecke deinen Schniepel an. Und du hast doch nur einen.

Kurz ging in seinen Raum zurück, wo er in einer Ecke heftig zu rumoren begann. Der Mann mit der Bierdose nahm einen letzten Schluck und warf die Dose in den Papierkorb neben dem Schreibtisch. Dann ging auch er. Sekunden später ertönte auf dem Flur der kreischende Schrei einer Frauenstimme: «Rolf, laß das.»

Roswitha guckte den Boten an.

«Herrn Wegemann finden Sie hinter dieser Tür.»

Dabei winkte sie mit dem Daumen über ihre Schulter nach rückwärts. Der Bote ging zur Tür und klopfte. Von drinnen ertönte ein Geräusch. Der Bote öffnete. Götz Wegemann, den er von früheren Botenfahrten schon kannte, stand vor einem knallroten Tresor. Die Tür des Tresors war geöffnet. In der Hand hielt Wegemann einen Aktenordner. Ein Schreibtisch stand quer im Raum. An einer Wand hechtete Onkel Dagobert in einen Geldhaufen. Hinter dem Tresor, der frei im Raum stand, hing das Plakat «The Hamburger», die Kopie von Saul Steinbergs «The New Yorker».

«Tach, Herr Wegemann, ich soll Ihnen dieses Schreiben von Herrn Lindemaier übergeben.»

Lindemaier, du ekelhafter Gockel. Schwanzfedern hoch, aufplustern und blöde in der Gegend herumkrähen. Aber vorher immer erst gucken, ob der Oberhahn im Stall ist. Wie ich so was hasse. Eitler Lackaffe, nein: Hahn. Karriere-Hahn. In den Topf mit Lindemaier/Soll es munden, noch zwei Eier. Aua aua. «Das ist ja nett, geben Sie her.»

Der Bote überreichte den Brief, sagte: «Ein schönes Wochenende noch» und verließ den Raum. Roswitha war gerade im Weggehen. Im Nebenzimmer fluchte Kurz herum. Als der Bote den Wagen aufschloß, sah er, wie Roswitha von einem Mann begrüßt wurde, der doppelt so alt war wie sie.

Götz Wegemann, Zweidrittel-Inhaber der Werbeagentur «Wegemann + Khurtz», wendete den Brief hin und her. Dann ging er zum Schreibtisch, legte den Aktenordner ab und setzte sich hin. Mit dem Brieföffner, den ihm seine Ex-Frau Britta kurz vor der Trennung geschenkt hatte, Britta, du scheußlich-schönes Weib. Das wäre noch gegangen mit uns, ich wette. Diese zwei läppischen Affären hatte ich doch am nächsten Morgen schon vergessen. Aber nein, die Frau Lehrerin muß auf moralisch machen. Und was war mit Jochen und Volker und Gregor? Fortbildung am Wochenende im lauschigen Gewerkschaftsheim draußen im Grünen, ich lach mich tot. Dann die Agentur, das erste Jahr, höllisch viel Arbeit, 14 Stunden am Tag und am Wochenende auch. Da hättest du für mich da sein müssen. Was war? Selbstverwirklichung, Volker, hysterische Schwangerschaft, klitzekleine, völlig unbedeutende Affäre von mir und aus. Scheiß der Hund drauf schlitzte er den Umschlag auf.

Wegemann las.

Dann ließ er den Brief auf den Schreibtisch sinken. Mit versteinertem Gesicht betrachtete er den Kopf des Geschäftsbogens, den seine Agentur vor einem Vierteljahr entworfen hatte. Draußen drohten sich Rainer Kurz und Texter Rolf Kunze lautstark gegenseitig Prügel an. Wegemann stützte den Kopf in beide Hände und blickte lange auf den Brief. Dann nahm er ihn, stand auf, ging zum Tresor und feuerte das Papier hinein. Er warf die Tür zu, blickte sich noch einmal im Büro um und ging hinaus.

«Roswitha, ich …» rief er und sah erst dann, daß Roswitha schon gegangen war. Im Raum des Grafikers und Eindrittel-Inhabers der Werbeagentur Rainer Kurz wurden kurz hintereinander zwei Verschlüsse von Bierdosen aufgerissen. Sehen konnte Wegemann weder Kurz noch Kunze.

Aus: «Playboy»

Er ging in seine Wohnung im ersten Stock. Wegemann durchquerte den ganz in Dunkel gehaltenen Flur, eilte durch den 46 Quadratmeter großen Wohnraum und betrat das Schlafzimmer. Auf dem schwarzen Satin-Bettzeug des in der Mitte des Raums stehenden zwei mal zwei Meter großen Bettes lag eine Reisetasche aus Wasserbüffelleder, darum herum verstreut Kleidungsstücke. Wegemann warf sie in die Tasche, riß unwirsch den Verschluß zu und verließ die Wohnung. Schon an der Haustür stehend, zögerte er einige Sekunden und sah durch die geöffnete Bürotür, hinter der Kurz und Kunze arbeiteten. Dann drehte sich Wegemann um, warf die Tasche auf den Rücksitz und kurvte schwungvoll aus der Parklücke heraus.

Die vierspurige Hauptstraße war stark befahren. Mißmutig blickte Wegemann auf den dichten Strom der Autos. Er trommelte ungeduldig auf das Lenkrad. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit schoß er nach rechts in die vorfahrtsberechtigte Straße hinein. Dabei unterschätzte er die Geschwindigkeit eines heranrollenden Wagens. Der Audi 100 bremste ab. Der Fahrer mußte den Wagen auf die zweite Spur hinüberreiß en, um eine Kollision zu vermeiden. Wegemann gab auf der rechten Spur Gas und merkte nach wenigen Metern, daß der silber-metallic Audi auf gleicher Höhe neben ihm fuhr. Der Fahrer blickte erregt zu ihm hinüber und schien etwas zu rufen.

«Nun krieg dich schon wieder ein, du Piefke», murmelte Wegemann. Der Audi-Fahrer winkte drohend mit der Faust zu Wegemann hinüber. Der winkte lässig zurück.

Die Ampel an der nächsten Kreuzung zeigte Rot. Zunehmend genervter sah Wegemann, daß der Audi direkt neben ihm hielt. Der Fahrer war völlig aus dem Häuschen. Audi-Fahrer, dicke Frau zu Hause, zwei ekelhafte Blagen, die die Realschule nicht schaffen, Sachbearbeiter, heimlich Pornofilme kaufen und zu Hause auf Video gucken. Mittelmäßig, mittelmäßig. Stinkt nach Schweiß oder 4711, Cottonovahemd, Recht und Ordnung, Plastiksocken, geblümte Unterhose, zwei Nummern zu groß, in den Ferien nach Borkum, jeden Monat Playboy kaufen und die Geldstücke nicht aus dem Portemonnaie kriegen, weil die Finger klitschnaß sind. Pöbel hier nicht rum, hör dir lieber deinen Jürgen Marcus an. Oder Maffay. Wichser. Wegemann drehte die Stereoanlage auf volle zweimal 40 Watt Sinus. Er schlug den Takt von Elton John auf dem Lenkrad mit. Endlich hatte die Ampel ein Einsehen und erlöste ihn von dem Audi. Wegemann fuhr zum Weinhaus und packte einen Karton Chablis in den Kofferraum. Dann quälte er sich durch diverse Staus Richtung Süden. Sein Landhaus lag im Elbholz im Landkreis Lüchow-Dannenberg.

Am späten Abend desselben Tages fuhr ein Passat-Kombi vor der im Stadtteil Lokstedt gelegenen Kleingarten-Kolonie «Blüh auf» von 1952 vor. Der Fahrer rangierte den Wagen, bis er mit der Heckklappe vor dem Eingang zur Kolonie stand. Er stellte den Motor ab, die Scheinwerfer erloschen. Einige Sekunden blieb alles ruhig. Dann stiegen zwei Männer aus dem Passat. Die amerikanischen Touristen vom Nachmittag trugen jetzt dunkle Arbeitsanzüge. Der Ältere sah sich witternd nach allen Seiten um. Der Jüngere öffnete die Heckklappe. Unter einer grob karierten Wolldecke lag ein knallroter Tresor. Der Ältere kam nach hinten. Schweigend standen die Männer nebeneinander und betrachteten den Tresor. «Mensch, Fred», sagte der Ältere ergriffen, «wir haben es geschafft. Wir haben es tatsächlich geschafft.» «Kneif mich mal, Bruno», bat der Jüngere. «Geiler Anblick», schwärmte sein Freund. Fred riß sich zusammen. «Packen wir’s. Wenn man eine Arbeit angefangen hat, soll man sie auch beenden.»

Er bückte sich, griff mit beiden Händen um die Rückseite des Tresors und rückte ihn bis an den Rand der Ladefläche. «Nun pack mal mit an.» Bruno reckte und streckte sich, dann faßte er zu. Fred zählte: «Eins, zwei, drei», und sie hoben gleichzeitig den Tresor hoch. «Bruno, wo ist die Karre?» schnaufte Fred. «Die hat Borbet, mein Parzellen-Nachbar. Seit vier Wochen schon. Das hat man davon, wenn man hilfsbereit ist.» «Also dann eben so», stöhnte Fred dem Freund über den Tresor zu. Mit kleinen Schritten schleppten sie den Tresor bis zum vergitterten Eingang der Kolonie. Fred versuchte, mit dem Hintern die Tür aufzudrücken. «Fester», zischte Bruno und blickte sich nach allen Seiten um. «Scheiße, das Ding ist abgeschlossen», sagte Fred. «Wo ist der Schlüssel?» «In meiner Hosentasche.» «Dann hol ihn raus und schließ auf. Das Ding wird immer schwerer.»

Vorsichtig setzten sie den Tresor ab. Bruno schloß die Tür auf. «Bitte sehr», sagte er mit einer tiefen Verbeugung. «Also los», kommandierte Fred, «ich zähle bis drei. Eins, zwei, drei.» Bruno spürte plötzlich einen Stich im Rücken, ließ den Tresor los und faßte sich mit beiden Händen auf die schmerzende Stelle. Der Tresor polterte auf den Schotterweg. «Idiot», fluchte Fred. «Mein Rücken», jammerte Bruno. «Was ist mit deinem Rücken?» – «Hexenschuß[*], schon wieder Hexenschuß. Dabei war ich ihn gerade erst los. Habe extra Massagen bekommen. Hat mir Doktor Strothmann verschrieben. Ein guter Arzt, kann ich dir wärmstens empfehlen. Der …» «Laß es», bat Fred flehentlich. «Reiß dich zusammen. Die paar Meter müssen wir noch schaffen.» Bruno jammerte vor sich hin. «Man faßt es nicht», klagte Fred. Er griff durch das Drahtgitter der Tür und rüttelte daran herum. «Was sollen wir jetzt machen?» fragte er klagend.

Bruno stand gekrümmt neben dem Tresor. «Der Komposthaufen», sagte er. Fred sah ihn an. «Wir verstecken ihn im Komposthaufen», sagte Bruno eifrig. «Ich lasse mir heute nacht von Renate ordentlich die Stelle mit der Creme einschmieren und nehme noch Rotlicht dazu. Das hilft garantiert. Doktor Strothmann hat auch gesagt …» «Schnauze», brüllte Fred. Bruno sah sich erschreckt um. «Wo ist der Misthaufen?» «Gleich hinter dem Tor. Das schaffst du allein.» Bruno drückte beide Hände auf den Rücken und stöhnte leise.

«Als Dieb bist du ein glatter Ausfall», zürnte Fred. Dann machte er sich an die Arbeit. Er bewegte den Tresor vorwärts, indem er ihn mühsam von Seite zu Seite kantete. Bruno blieb auf gleicher Höhe und feuerte den Freund an. Fred wurde mit zunehmender Erschöpfung immer gereizter. «Andere Leute klauen Briefmarken oder Aktien. Und wir Idioten, was klauen wir? Einen Tresor.» «Warte doch erst mal ab, was wir in dem Ding finden», riet Bruno altklug. Dann hatten sie den Komposthaufen erreicht. Die kleingärtnerische Solidarität der Parzellenpächter hatte hier ihren sinnfälligsten Ausdruck gefunden. In einer Art überdimensionierter Sandkiste lagerten, von vier hohen Holzbohlen eingegrenzt, zwei Anhängerfuhren Pferdemist, den «Blüh auf» dank der Spürnase des Vereinsvorsitzenden im Frühjahr von einem Landwirt bezogen hatte. Trotz hemmungsloser Dünge-Orgien war noch eine große Menge übrig.

Fred guckte zweifelnd auf den Haufen. Scheiße, nichts als Scheiße. «Und nun?» fragte er angeekelt. «Das ist der beste Dünger, den du dir denken kannst», sagte Bruno begeistert, griff in den Haufen und hielt Fred eine Handvoll Pferdescheiße unter die Nase. Der wich entsetzt zurück. «Und es geht wirklich nicht?» unternahm er einen letzten Versuch. Bruno legte demonstrativ beide Hände auf den Rücken und nahm eine noch krummere Haltung ein. Fluchend drückte Fred den Tresor über eine Holzbohle, er fiel in den Komposthaufen. «Und jetzt zudecken», ereiferte sich Bruno. «Das machst du», befahl Fred. Bruno bekam spontan eine dramatische Verschlimmerung seines Zustandes. Er klappte fast zusammen. Fred stieg in den Mist hinein und scharrte mit beiden Händen Scheiße auf den Tresor. «Das zahle ich dir irgendwann heim», kündigte er finster an. «Warum nimmst du auch keine Handschuhe?» fragte Bruno hilfsbereit. «Weil ich sie ins Handschuhfach gelegt habe, darum», brummte Fred. «Schön blöd. Ich habe meine immer dabei», strahlte Bruno und zog aus jeder Hosentasche einen Handschuh. Fred stand auf und blickte den Freund an. Einen Moment schien es, als ob er auf ihn losgehen wollte. Dann betrachtete Fred seine Hände, sagte deprimiert: «Ist sowieso alles zu spät» und setzte die Arbeit fort.

Zwei Minuten später standen Fred und Bruno vor dem Misthaufen und prüften, ob der Tresor noch zu sehen war. «Toll», lobte Bruno. Fred roch angewidert an seinen Händen. Scheiße, nichts alsScheiße. «Und morgen nacht bringen wir ihn in meine Laube», sagte Bruno munter. «Bist du sicher, daß den bis dahin keiner entdeckt?» fragte Fred zweifelnd. «Was ist, wenn einer von deinen verrückten Gärtnern im Haufen rumwühlt? Die rücken doch morgen garantiert alle an.» «Du hast wirklich null Ahnung vom Gärtnern», tadelte ihn Bruno. «Die große Düngerei machst du im März, na, bis in den April hinein vielleicht noch. Danach mußt du höchstens die Tomaten ein wenig anhäufeln. Da reicht ein Eimer voll. Hier gräbt morgen keiner rum.»

Sie verließen das Gelände der Kolonie. Fred schloß das Tor ab und steckte Bruno den Schlüssel in die Tasche. «Kannst du wenigstens fahren?» Bruno nickte. «Logisch.» Während der Fahrt hingen beide ihren Gedanken nach. Fred roch einmal an seinen Händen und streckte sie weit von sich. Bruno setzte den Freund zu Hause ab. Fred Frenzel wohnte bei seiner Tante zur Untermiete.

 

Am Samstag öffnete sich um 6 Uhr 30 die Tür dieses Hauses. Der Versicherungsangestellte Heinz Borbet trat in seinem neuen orangefarbenen Trainingsanzug auf den Bürgersteig. Tief und genüßlich zog er die frische Morgenluft in die Lungen, hustete und holte aus der Tasche des Oberteils eine Stoppuhr. Mehrfach drückte er die drei Knöpfe und steckte die Uhr wieder ein. Danach betrachtete er liebevoll seinen direkt vorm Haus geparkten Audi 100. Borbet trat an den Wagen heran. Hallo, Freund, gräm dich nicht. Die nächste Wäsche kommt bestimmt. Noch 18 Raten, dann gehörst du mir, uns. Dann wirst du verkloppt, dann gibt’s dich in neu. Oder einen BMW. Man ist so alt, wie man sich fühlt.

Borbet hatte soeben den gegenüberliegenden Bürgersteig erreicht, als im ersten Stock des Hauses ein Fenster aufgerissen wurde. Eine Frau im Morgenmantel lehnte sich weit hinaus und rief: «Heinz, die Mütze.»

Borbet zuckte zusammen und guckte unwillkürlich die benachbarten Fensterreihen ab, ob sich eins öffnen würde. Beschwichtigend winkend ging er zum Haus zurück. Marianne Borbet ließ die Mütze fallen. In diesem Moment öffnete sich das Fenster direkt unter Frau Borbet. Eine ältere Frau schaute heraus und lächelte:

«Na, Herr Borbet, etwas für die Gesundheit tun? Das ist recht.»

«Guten Morgen, Frau Frenzel. Jeder ist so jung, wie er sich fühlt. Aber man kann ja etwas nachhelfen», sagte Borbet höflich und setzte sich die Mütze auf. Eines Tages stürzt du vor Neugier aus dem Fenster. Vor 50 Jahren wäre so eine wie du Blockwart geworden. Er startete die Stoppuhr zum zweitenmal.

Borbet hatte die Strecke zur Schrebergarten-Kolonie «Blüh auf» so gewählt, daß er fast ausschließlich durch verkehrsarme Nebenstraßen kam. So konnte er die knapp vier Kilometer ohne übermäßige Abgasbelästigung joggen. Einauseinauseinauseinundzwanzigzweiundzwanzig nicht nachlassen nicht schwach werden 43 ist kein Alter 43 ist das Doppelte von einundzwanzigzweiundzwanzig da ist das Sportgeschäft so schlapp hast du dich an diesem Punkt noch nie gefühlt einen Zahn zulegen nicht nachlassen schneller werden packen wir’s einauseinauseinaus Arme schmeißen Luft in die Lungen Luft in die Lungen das gibt Tinte auf den Füller wenn dich Marianne hören könnte kann sie ja nicht Andreas würdest du glatt stehen lassen so hinfällig wie der ist allein schon diese Körperhaltung als wenn er im nächsten Augenblick zusammenklappt Jüngelchen Jugendgreis Hänfling dein Sohn scheiß der Hund drauf da steht sie wieder auf ihrem Balkon und tut so als wenn sie Gymnastik macht die weiß genau daß dies meine Zeit ist Heinz Borbet treibt Lokstedts Frauen ins Freie Brust raus Bauch rein und einauseinauseinaus Stiche in der Seite früher zog es in den Lenden das waren Zeiten nur nicht nachlassen durchhalten am Ende winkt dem Sieger was winkt am Ende dem Sieger eigentlich reiß dich zusammen Leistung Power Durchstehvermögen dieser Affe im Jaguar gestern beim Scheitern deiner Erektion ein Jaguar der bringt es schon der Audi muß zur Inspektion einundzwanzigzweiundzwanzig du kommst heute nie an die Bestzeit heran Altersrabatt von der Endzeit abziehen Heinz Borbet joggt zu fetten Regenwürmern vor zwanzig Jahren hattest du noch lohnendere Ziele wozu brauchst du eigentlich deine Fitness.

Kurz vor sieben erreichte Borbet schnaufend die Kleingartenkolonie. Ein Blick auf die Stoppuhr zeigte ihm, daß er im Rahmen seiner läuferischen Möglichkeiten geblieben war. Das Tor war noch verschlossen. Er klopfte auf die rechte, dann auf die linke Tasche seiner Trainingshose. Nachdem er auf diese Weise festgestellt hatte, daß die Schlüssel zu Hause im Flur hingen, nahm er Anlauf und kletterte über das Tor. Borbet lief, sich Arme und Beine ausschüttelnd, bis zur Parzelle 34, die die Borbets vor vier Jahren auf Drängen von Marianne gepachtet hatten.

Im Gegensatz zu fast allen Mitgärtnern verzichteten sie darauf, die Tür abzuschließen. Borbet ging den mit Waschbeton ausgelegten Plattenweg bis zur Laube. Neben der Regentonne bückte er sich und löste einen halben Mauerstein aus der Unterlage. Mit spitzen Fingern zog er den Schlüssel für Laube und Geräteschuppen heraus. Borbet betrat den Schuppen, den er seit Wochen aufräumen wollte, und suchte nach einem Marmeladenglas. Seit dem letzten Jahr hatte er eine neue Leidenschaft: angeln. Mit dem Glas und einer kleinen Schaufel ging Borbet zum Komposthaufen der Kolonie. Er krempelte die Ärmel hoch und begann, nach Regenwürmern zu graben. Kräftig stieß er mit der Schaufel zu Kommt raus, Jungens, baden gehen und spürte einen spitzen Schmerz im Ellbogen. Er war auf etwas Hartes gestoßen. Feldkamp. Man hatte Hans-Joachim Feldkamp schon zweimal dabei erwischt, wie er heimlich die Reste seiner regelmäßigen Grillfeste im Dung vergraben wollte. Nach dem zweiten Vorfall hatte er eine schriftliche Abmahnung des Vereinsvorstands erhalten.

Heinz Borbet schaufelte den harten Gegenstand frei. Verwundert guckte er auf die knallrote Spitze. Er klopfte mit dem Fingerknöchel dagegen. Massiv. Das sah nicht nach einer erneuten Freveltat Feldkamps aus. In den folgenden Minuten schaufelte Borbet emsig weiter. Erstaunt betrachtete er seinen Fund. Er hatte einen Tresor aufgespürt. Borbet wußte, was zu tun war.

Eilig lief er zum Eingang der Kolonie, kletterte über das Tor und lief zur zwanzig Meter entfernten Telefonzelle. Dort wählte er die Ziffern 1, 1 und 0. Am anderen Ende meldete sich die Polizei. «Ich habe einen Tresor gefunden», rief Borbet aufgeregt in die Muschel. «Was haben Sie?» kam es überrascht zurück. «Ja, in einem Misthaufen, stellen Sie sich das vor.» – «Einen Tresor in einem Misthaufen?» Borbet nickte. «Ja, ja, das wollte ich Ihnen melden. Sie müssen sofort einen Streifenwagen schicken. Da ist garantiert Geld drin. Oder Wertsachen.» Der Beamte am anderen Ende schwieg. «Sind Sie noch da?» rief Borbet. «Einen Tresor in einem Misthaufen? In einem stinkenden Misthaufen?» kam es zweifelnd durch den Hörer. Dann lachte der Beamte. Borbet war überrascht. «Pecunia non olet», sagte der Polizist. «Wie bitte?» fragte Borbet. «Sie sind Lateiner?» fragte der Polizist. Borbet war verwirrt. «Ich stamme aus Niedersachsen.» «Nun hören Sie mir mal gut zu, lieber Mann.» Die Stimme des Polizisten wurde schneidend. «Besoffene Anrufer haben wir gar nicht gern. Das ist übrigens sogar strafbar, uns mit Ulk-Anrufen zu belästigen. Warum sind Sie überhaupt schon am frühen Morgen dun? Oder haben Sie durchgefeiert?» Borbet wurde ärgerlich. «Hören Sie, Herr … Herr … ich habe einen Tresor gefunden. Und ich halte es für meine Pflicht, Sie davon zu unterrichten. Würden Sie jetzt bitte tun, was Ihre Pflicht ist?» – «Meine Pflicht ist es, dafür zu sorgen, daß die Demonstration nachher ohne Verkehrs-Katastrophe über die Bühne geht.» – «Ihre Demonstration interessiert mich nicht», rief Borbet hilflos. «So», sagte der Polizist pikiert, «das sollte sie aber, das sollte sie aber.» Borbet hatte die Nase voll. «Ich gebe Ihnen jetzt den Fundort durch, und dann können Sie machen, was Sie wollen.» – «Auf dem Misthaufen», lachte der Beamte, «einen Tresor. Wie heißen Sie eigentlich? Und von wo rufen Sie an?» In diesem Moment schwindelte es Heinz Borbet.

«Hallo Sie, sind Sie noch da?» Die Stimme des Polizisten holte Borbet in die Telefonzelle zurück. «Ich warte immer noch auf Ihren Namen und Ihren Standort», bellte der Beamte. Geld. Der Tresor steckt voller Geld. Du hast ihn gefunden, und niemand ist in der Nähe. «Hallo, Sie Witzbold», schrie der Beamte. Borbet hängte den Hörer auf die Gabel. Er starrte durch die Scheibe nach draußen. Aber er sah nichts. Dann lächelte er. Heinz Borbet wußte jetzt, was er zu tun hatte.

Borbet ging zum Eingang der Schrebergartenkolonie und kletterte über das Tor. Mit entrücktem Blick schaute er auf die Spitze des Tresors. Das ist das Ende des ganzen Schlamassels. Heute beginnt ein neues Leben. Geld haben, reich sein, Luxus, Schluß mit Passau-Paderborn, auf den Zapfen hauen, neue Wohnung, Haus, großes Haus, Villa, an der Elbe, unverbaubarer Blick, Südlage, Hypotheken? Haha. Erschreckt drehte Borbet sich um und witterte nach allen Seiten. Mit hastigen Bewegungen häufelte er Mist auf den Tresor und sprintete zur Parzelle. Im Schuppen zog er mit Schwung die halb unter Gartengeräten verborgene Schubkarre hervor. Ärgerlich rieb sich Borbet den Ellbogen, gegen den der Stiel der Hacke gefallen war. Dann besann er sich eines Besseren und holte die seit Jahren nicht mehr gebrauchte Sackkarre aus der Ecke.

Borbet eilte zum Misthaufen. Er stellte die Karre dicht an die Umrandung, krempelte die Ärmel der Trainingsjacke hoch und legte mit beiden Händen den Tresor frei. Er war kleiner, als er ihn sich vorgestellt hatte. Doch er war schwer. Nach einer halben Minute hatte Borbet ein schweißbedecktes Gesicht. Er mühte sich, den Stahlschrank an den Rand des Misthaufens zu kippeln. Dabei rutschte Borbet einige Male in dem feuchten Mist aus. Nach zwei vergeblichen Versuchen gelang es ihm, die beiden eisernen Zähne des Karren-Unterteils so vor den Tresor zu setzen, daß er ihn durch hartnäckiges Drücken auf die Karre wuchten konnte. Die Vollgummiräder der Karre sanken in den Schotter.

Sein erster Gedanke war, den Tresor im Gerümpel des Geräteschuppens zu verstecken. Als Borbet vor dem Durcheinander von Spaten, Harken, Eimern, Rasenmäher und Schubkarre stand, befiel ihn die Furcht, daß die leuchtendrote Farbe des Tresors durch alle davorgestellten Geräte hindurchscheinen würde. Borbet änderte seinen Plan. Vorsichtig zog er aus dem Haufen einen Spaten und eine Schippe heraus. Mensch, du mußt Bruno Kalkowski endlich die Karre zurückgeben. Borbet trat ins Freie und sicherte nach allen Seiten. Von ferne hörte er Stimmen. Er lief zur Tür und spähte vorsichtig den Hauptweg hinunter. Behles von Parzelle 14 begannen soeben mit ihren Zwillingen und dem vietnamesischen Adoptivkind das Wochenendvergnügen.

«Nun aber dalli, dalli», murmelte Borbet, lief zur Laube zurück und ging prüfend die schmalen Wege zwischen den Beeten und den Rabatten entlang. Er stach den Spaten neben die wild wuchernde Hortensie, die sie von ihren Vorgängern übernommen hatten und die Borbet immer an Friedhof erinnerte, obwohl Marianne ihm schon hundertmal gesagt hatte, daß er die Hortensie mit Rhododendron verwechselte. Du legst jetzt diese Mistpflanze um, großes Loch, Tresor rein, Erde rauf. Borbet holte mit dem Spaten aus und hieb auf die Hortensie ein. Asche. Du kriegst den Kasten doch nie im Leben wieder aus so einem Erdloch raus. Borbet ließ den Blick über den Garten schweifen. Der Komposthaufen. Seitdem er eine Ladung Naturbakterien auf den Haufen geworfen hatte und sie dort ihr Wesen trieben, wandelten die Biester in gnadenloser Zielstrebigkeit den gesamten Abfall zu biologisch kostbarem Humus um.

Borbet lauschte auf die Geräusche der Behle-Kinder und schritt zur Tat. Er trug den Komposthaufen ab und rollte den Tresor heran. Er wuchtete ihn auf die freigelegte Fläche und häufelte Humus um den Schrank herum, bis der Haufen aussah wie vorher. Vielleicht war er ein wenig eckiger. Noch nie hatte Heinz Borbet eine solche Nähe zu seinem Misthaufen verspürt.

Das Wasser lief ihm übers Gesicht. Er verabscheute den salzigen Geschmack des Schweißes. Aber hier ging es um eine größere Sache. Borbet war feierlich zumute. Er hatte das Gefühl, Großes vollbracht und einen entscheidenden Schritt getan zu haben. Einige Sekunden stand Borbet mit den Füßen in der Gegenwart, mit der Phantasie weit in der Zukunft. Alles ist leicht. Die Welt ist dein Freund. Borbet riß sich los und verstaute die Geräte im Schuppen. Im letzten Moment fiel ihm ein, daß das Glas und die Schaufel für die Regenwürmer noch beim großen Komposthaufen lagen. Mißmutig machte er sich auf den Weg und lief in ein Autorennen der Behle-Kinder hinein.

«Guck mal, wie Onkel Borbet aussieht», rief Antje. Borbet war froh, daß das vietnamesische Adoptivkind wie gewöhnlich seinen Mund hielt. Er hatte genaue Vorstellungen, wie sich sein Name anhören würde, wenn der kleine Asiate ihn in den Mund nahm. Er raffte Glas und Schaufel zusammen und trug beides in die Laube. Mit überreizten Nerven wartete er auf eine neue Bemerkung der Kinder. Als Borbet an Parzelle 14 vorbeiging, rief Frau Behle: «Einen wunderschönen Frühsommermorgen aber auch, lieber Herr Borbet.» Borbet haßte sie für ihre Munterkeit. Immerhin war jetzt das Tor geöffnet.

 

«Iiih, wie siehst du aus! Zieh sofort deine Schuhe aus! Und wie das hier riecht. Heinz, du stinkst! Und der schöne Trainingsanzug, was hast du nur gemacht?» Borbet prallte vor der Wucht von Mariannes Entsetzen gegen die Wohnungstür. «Laß man», winkte er ab und schleppte sich zur Badezimmertür. Er fühlte sich völlig zerschlagen. Die Tür war verschlossen. Drinnen plärrte ein Radio. Borbet trommelte mit beiden Fäusten gegen die Tür. «Jutta, sofort machst du die Tür auf. Ich habe dir schon hundertmal gesagt, wie ich diese Badeorgien hasse. Davon gehen die Pickel auch nicht weg. Sofort machst du die Tür auf.» Die Tür blieb verschlossen, die Radiomusik wurde lauter. «Du sollst Jutta nicht immer mit ihren Pickeln aufziehen», sagte Marianne vorwurfsvoll aus der Küche. Borbet ließ sich aufseufzend auf die Küchenbank fallen. Aggressiv registrierte er ihren angeekelten Blick. «Willst du mir nicht endlich sagen, was passiert ist?» fragte sie. «Und wo hast du die Würmer?» «Scheiß Regenwürmer», murmelte er. «Bist du in den Misthaufen gefallen, mein armer Liebling?» sagte Marianne zärtlich, trat auf ihn zu und fuhr ihm – wie sie es zu gerne tat – gegen den Strich durch die Haare. «Ja, ja», ließ Borbet deprimiert aus sich herausfallen und genoß die Anteilnahme seiner Frau. Als er an ihr emporblickte, sah er in ein Gesicht, das hin und her gerissen war zwischen Mitleid und Ekel vor dem penetranten Gestank.

Die Küchentür wurde aufgerissen, Jutta stürmte herein. Sie hatte ihr weißes, langes Nachthemd über den nassen Leib geworfen, so daß Borbet sich unwillkürlich abwendete, als er den jugendlich reizvollen Körper seiner Tochter sah. «Und das sage ich dir», fauchte Jutta, «ich bleibe im Badezimmer, so lange es mir paßt. Und wenn ich Pickel habe, habe ich sie geerbt. Und außerdem ist es ja nicht zum Aushalten, wenn ich noch nicht mal am Wochenende meine Ruhe habe.» Sie brach ab und schnüffelte dermaßen demonstrativ, daß Borbet es ohne hinzusehen, allein an den Geräuschen, mit denen sie die Luft in die Nase zog, erkennen konnte.

«Was stinkt denn hier so?» fragte Jutta verblüfft. Borbet fühlte ihre lufteinziehende Nase an seiner Wange, im nächsten Moment brüllte Jutta: «Papa, du stinkst ja. Bist du in Scheiße gefallen?» Borbet stand auf, winkte deprimiert ab und flüchtete ins Badezimmer.

 

Er blickte in den Spiegel, hörte im Hintergrund die Frauen streiten. Heinz Borbet, das ist der wichtigste Tag in deinem Leben. Er warf einen abwesenden Blick auf Juttas Töpfe, Tiegel und Tuben mit den wohlklingenden Namen. Dann zog er den Trainingsanzug aus.

Der Passat-Kombi stand schon eine halbe Stunde auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Schrebergartenkolonie «Blüh auf». Nur an der in regelmäßigen Abständen aufglühenden Spitze einer Zigarette war zu erkennen, daß jemand im Auto saß. Leise Radiomusik drang nach draußen. «Wenn du nicht aufhörst zu rauchen, fange ich auch an», fauchte Bruno, der hinter dem Steuer saß. Fred drückte die Kippe im überquellenden Aschenbecher aus. Bruno war nervös, trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum und suchte ständig einen neuen Sender im Radio. «Ich halte diese Behles nicht mehr aus. Sollen die doch in ihre Laube ziehen, wie der alte Willi Rose. Wie kann ein Mensch nur so lange in seinem Garten zubringen?» «Das mußt du doch am besten wissen. Bist doch genauso einer», hetzte Fred. «Wie geht es denn deinem Rücken? Hält er heute durch?» «Logo», sagte Bruno überzeugt, «Renate hat mir sofort den Rücken eingeschmiert. Die Creme, weißt du, die mir Doktor Strothmann verschrieben hat. Habe ich dir schon davon erzählt?» «Stell dir vor, du hast», sagte Fred eisig. «So, habe ich?» sagte Bruno, als ob er das nicht für möglich hielt.

«Da, guck, sie reißen sich von der Scholle los», flüsterte Fred und wies mit dem Kopf auf das Tor der Kolonie. Familie Behle erschien im fahlen Licht der Straßenlaterne. Während die drei Kinder wild durch die Gegend liefen, schloß Herr Behle – er trug kurze Hosen und ein durchlöchertes Turnhemd – das Tor ab. Seine Frau trug zwei Kühltaschen. Gespannt sahen Fred und Bruno zu, wie Behles ihre Kinder einsammelten und ins Dunkle abwanderten. Bruno startete den Passat und fuhr den Wagen vor den Eingang der Kolonie. Er rangierte ihn mit dem Heck vor das Tor. «Und nun los», sagte Bruno. Er rieb sich die Hände. «Der Schatz gehört uns.»

Die Männer stiegen aus dem Wagen, Bruno schloß das Tor auf, sie eilten zum Misthaufen. «Ach, ist das schön», jauchzte Bruno und warf sich kopfüber in den Misthaufen. Fred schaute zu. Jetzt hat es ihn endgültig erwischt. Befriedigt auf seine mühsam gereinigten Fingernägel blickend, wartete er auf Brunos Erfolgsmeldung. «Na, nu komm schon», hörte er ihn schnaufen. Er wühlte mit beiden Händen derart ungehemmt in dem Mist herum, daß Fred beim Zusehen ganz komisch im Magen wurde.

«Der Tresor ist weg», keuchte Bruno und blickte sich zu Fred um. Der trat neben Brunos Kopf und fragte mit belegter Stimme: «Kannst du nicht aufstehen, das ist ja widerlich, dieser Anblick.» Bruno murmelte: «Das Ding ist weg, wenn ich dir’s doch sage.» Fred fühlte eine ungeheure Leere in sich. So hatte er sich zuletzt gefühlt, als der HSV vor drei Jahren in letzter Sekunde nur Vizemeister geworden war. «Das ist nicht dein Ernst», brüllte Fred, warf sich neben Bruno in die Scheiße und begann, mit beiden Händen in den Pferdeäpfeln herumzuwühlen.

Nach weiteren zwei Minuten saßen Bruno und Fred Seite an Seite im Mist. «Ich könnte heulen», sagte Bruno und zerkrümelte trübsinnig einen Pferdeapfel. «Den hat einer geklaut», sagte er. «Ach nee», erwiderte Fred höhnisch. «Ich könnte heulen», sagte Bruno. «Nach außen ja. Aber wie sieht es drinnen aus?» «Wie meinst du das?» fragte Bruno und rückte ein Stück von Fred weg. «Ich muß gerade daran denken, daß nur du und ich wußten, wo der Tresor steckt.» «Willst du damit sagen …» sagte Bruno und erhob sich. «Nun sag’s schon, spuck’s aus. Hast du mich im Verdacht, daß ich den Tresor weggeschafft habe? Ausgerechnet ich? Bei meinem Hexenschuß?» «Der eine hat Hexenschuß, der andere tut so, als ob er Hexenschuß hat», erwiderte Fred kalt. «Du Schwein», zischte Bruno und bekam im nächsten Moment eine Ladung Pferdemist ins Gesicht. Er wollte ausweichen, verlor das Gleichgewicht, kam ins Straucheln und landete neben Fred in der Scheiße.

«Hallo, Bruno», sagte Fred dumpf und starrte in die Nacht. Bruno rappelte sich hoch. So ist das immer. Von wegen Freunde. Einer behumpst den anderen. «Und du? Du bist unschuldig wie die Jungfrau, was?» fauchte er Fred an. «Ach laß.» «Nein, das will ich jetzt doch genau wissen», begehrte Bruno auf. «Wie hast du das angestellt?» «Ich habe nichts angestellt. Ich habe ausgeschlafen und meiner Tante geholfen, die Stores im Wohnzimmer anzubringen.» «Die was?» «Die Stores. Gardinen, wenn du verstehst, was ich meine.» Bruno brummte beschämt vor sich hin. Er hatte einen Fremdwörter-Komplex. «Na und», sagte er trotzig, «hättest du immer noch einige Stunden Zeit gehabt, das Ding abzuschleppen.» «Soll ich den Tresor in einen Eimer packen und durch die Kolonie schleppen oder was? Du hast sie doch nicht mehr alle. Kriegst den Arsch nicht hoch, aber mich anmachen. Junge, du weißt doch selber, was hier gespielt wird. Uns hat einer aufs Kreuz gelegt. Das ist die brutale Wahrheit. Der Tresor ist weg. Die ganze Arbeit war umsonst. Wir sind die Dummen.»