Bevor die Erinnerung verblaßt - Bodo Kleine - E-Book

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Bodo Kleine

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Beschreibung

„Ihr werdet hungern, jedoch nicht verhungern! Ihr werdet frieren, jedoch nicht erfrieren! Ihr werdet alles bekommen, abgenommen!“

Dass diese Parole für den Autor Bodo Kleine bittere Realität werden soll, ahnt der damals 19-Jährige nicht, als er 1942 zur Wehrmacht eingezogen wird. Neugierig und idealistisch beginnt er den neuen Lebensabschnitt, doch der unmenschliche Alltag und das Sterben an der Ostfront holen ihn rasch in die Realität zurück. Als Gruppenführer im Infanterie-Regiment 768 der 377. Infanterie-Division erlebt Kleine die schweren Abwehrschlachten bei Woronesh und die erbitterten Rückzugsgefechte bis Obuja-Sumi. Nach einer Verwundung erfolgt die Kommandierung zum Fahnenjunker-Lehrgang und die anschließende Beförderung zum Leutnant. Zur 367. Infanterie-Division versetzt, erlebt Leutnant Kleine die verlustreichen Rückzugsschlachten der Jahre 1944 und 1945. Schließlich wird er zusammen mit den Trümmern einst kampfkräftiger Divisionen in der Festung Königsberg eingeschlossen. Nach härtesten Kämpfen um die Stadt folgt für den Autor der bittere Gang in die sowjetische Kriegsgefangenschaft. Bodo Kleines Autobiografie mit 28 Bildern, Karten und Dokumenten beschreibt eindringlich und aus erster Hand den Weg eines jungen Mannes, voll des Idealismus, der am Ende erkennen muss, dass alles Leiden und Sterben vergebens war.

Sichern Sie sich jetzt die erschütternde Autobiografie eines Frontsoldaten, der durch die Hölle der Ostfront und der sowjetischen Kriegsgefangenschaft gegangen ist.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Eine Veröffentlichung der EK-2 Publishing

GmbH

Friedensstraße 12

47228 Duisburg

Registergericht: Duisburg

Handelsregisternummer: HRB 30321

Geschäftsführerin: Monika Münstermann

Teil I

Meine Kriegszeit als Infanteristan der Ostfront 1942-1945

Ich werde Soldat

A

m Freitag, dem 17. April 1942, wurde ich zur leichten bespannten Artillerie-Ersatz-Abteilung 214 nach Aschaffenburg eingezogen. Am ersten Tag wurden wir Rekruten zunächst eingekleidet. Wir erhielten auf der Kleiderkammer eine Uniform, eine Reithose, ein Paar Reitstiefel, einen Drillichanzug mit Holzschuhen, einen Stahlhelm, einen Karabiner, eine Gasmaske und ein Seitengewehr. Wir wurden in Gruppen eingeteilt – Kanonier, Fahrer, Funker, Fernsprecher. Ich kam zu den berittenen Funkern.

Am nächsten Morgen war um 5.00 Uhr Wecken. Drillichzeug war angesagt, d.h. es ging in den Pferdestall zum Pferdeputzen. Dort wurde uns das Putzzeug (Kartätsche und Striegel) ausgehändigt und dann hieß es: „An die Pferde!“ Jeder eilte in einen Ständer zu einem Pferd. Da das alles für mich völlig neu war, blieb mir nur noch ein großer schwarzer Wallach mit Namen „Siegfried“ übrig. Ich ging also, wie auch die anderen, in den Ständer an den Rappen heran, um ihn zu putzen, so wie ich das bei meinen Kameraden sah. Nachdem ich den Striegel (Bürste) einige Male über das Pferd geführt hatte, drehte mein Siegfried seinen Kopf zu mir und versuchte mich zu beißen. Er schnappte nach mir wie ein Hund und erwischte mich am rechten Arm. Verflucht, was soll denn das? Daß Pferde auch Menschen beißen, war mir bis dahin nicht bewußt. Ich versuchte es nun an der Kruppe meines „Siegfrieds“. Da hob er plötzlich sein hinteres Bein, um wohl nach mir zu treten. Ich rannte aus dem Ständer und ging in Deckung. Was sollte ich tun? Nun versuchte ich es auf der linken Seite. Doch weit kam ich nicht. Nach den ersten Strichen schnappte er wieder nach mir. Ich traute mich nicht mehr näher an ihn heran.

Ein Kamerad, der neben mir ein Pferd putzte, ein Bauernbursche, der sich wohl mit Pferden auskannte, bemerkte meine Situation. Er überließ mir sein Pferd zum weiteren Putzen. Dann stieg er auf den Futtertrog und haute mit einer Mistgabel dem „Siegfried“ einige Male kräftig auf den Kopf und den Rücken. Dann legte er die Mistgabel weg, nahm sein Putzzeug und ging in den Ständer des „Siegfried“. Dieser ließ sich nun mühelos von ihm putzen.

Zum Pferdeputzen erhielt jeder Soldat einen Striegel, eine Kartätsche (Pferdebürste) und einen Hufkratzer. Nach der Regel „lang der Strich und kurz der Weg“ mußte geputzt werden, das bedeutet, mit der Kartätsche wurde am Kopf beginnend der Strich nach hinten geführt und nach jedem Strich die Kartatäsche im Striegel abgestreift, so daß sich der ausgebürstete Staub und Schweiß im Striegel sammelte. War nach etwa 20-25 Strichen der Striegel mit genügend Schmutz versehen, mußte der Striegel auf dem Boden der Stallgasse ausgeklopft werden, so daß der Abdruck des Striegels erschien. Der Pferdeputzer oder besser Pferdepfleger hatte 15 bis 20 solcher Striegelabdrucke hinter seinem Pferd auf den Boden der Stallgasse zu setzen. Eine Arbeit von etwa einer Stunde.

Nach dem Pferdeputzen ging es dann im Laufschritt zurück in die Unterkunft zum Umziehen (Uniform mit Reithose) und zum Frühstück. Danach ging es dann wieder in den Stall. Die Pferde mußten gesattelt und aufgetrenst und an dem Trensenzügel in die Reithalle geführt werden. Der erste Reitunterricht, für mich die erste Reitstunde in meinem Leben, begann. Ich war bisher noch nie auf einem Pferd gesessen, geschweige denn geritten. Wir mußten nun aufsitzen und im Schritt ritten wir einige Runden in der Halle. Dann hieß es „Te-rab“. Ich wurde auf und nieder geworfen, so daß mir das Frühstück oben wieder herauskommen wollte. Dann kommandierte der Reitlehrer: „Leicht traben“ und gab dazu die entsprechende Erklärung. Dies gelang mir aber auch nur so recht und schlecht. Und dann hieß es „Galopp marsch“. Das war nun der Höhepunkt des ersten Leidens. Mühsam hielt ich mich auf meinem Pferd, denn wer herunterfiel mußte entweder im Galopp wieder aufsitzen oder so lange, wie galoppiert wurde, neben seinem Pferd herrennen. Wahrlich kein Vergnügen oder besser, was für eine Schinderei. Ich atmete auf, als die erste Reitstunde vorüber war.

Nach der Reitstunde mußten wir unser Drillichzeug anziehen und das Exerzieren auf dem Exerzierplatz begann. Vor allem wurden „Hinlegen“ und „Aufstehen“ mit dem Karabiner 98 K geübt, bis uns der Schweiß aus allen Poren floß. Dabei merkte ich, daß ich mir den Hintern kräftig durchgeritten hatte, denn die Unterhose klebte jeweils an meinem wunden Po fest und beim Hinlegen riß sie dann wieder los, was mir erhebliche Schmerzen verursachte. In diesem Rhythmus ging es nun Tag für Tag. Von dem ungewohnten Reiten und dem Exerzieren taten mir alle Muskeln und Knochen weh und dazu noch der durchgerittene Hintern. Zur Heilung setzten wir uns abends mit dem Hintern in kaltes Wasser, was höllisch brannte aber mit der Zeit auch half. Ein altes Reiter-Rezept.

Jeweils am Donnerstag war „Stehtag“, d. h. die Pferde wurden weder geritten noch sonst wie bewegt, dafür aber von früh 9.00 Uhr bis gegen 15.00 Uhr ununterbrochen geputzt. Es wurde nicht nur das Fell gesäubert, und die Nüstern, die Ohren, der After usw. ausgewaschen, die Hufe gewaschen und eingefettet, die Augen ausgewischt und das Pferdemaul gereinigt. Zum Schluß fand dann der sogenannte Pferdeappell statt. Der Veterinär-Offizier begutachtete nun die Pferde, die vor ihm in Reihe aufgestellt waren. Mit einem Bleistift in der Hand, den er gegen den Strich führte, prüfte er, ob noch Staub aus dem Fell hervortrat und zu sehen war. Dabei die dumme Frage, wenn er Staub wahrnahm „Sehen Sie mich noch“? Zum Abschluß mußten die Pferde dann an der Hand im Trab und Schritt an dem Veterinär vorbei geführt werden. Um die eventuellen Staubmerkmale zu verhindern, haben manche auf einen Lappen gepinkelt und damit die besonderen Stellen, die der Veterinär immer prüfte, eingerieben, so daß der Staub gebunden wurde. Wer bei dem Pferdeappell auffiel, der wurde zur Stallwache verdonnert. Jeweils zwei Rekruten hatten von abends 20.00 Uhr bis zum Wecken Stallwache. Sie bestand darin, daß sie die ganze Nacht im Stall zubringen und den Mist, wenn ein Pferd äppelte, sofort beseitigen mußten. Das führte dazu, daß manche ihr Käppi unter den After des mistenden Pferdes hielten und so die Pferdeknödel auffingen, um nicht die Schaufel und die Mistkarre verwenden zu müssen. Die beiden, die Stallwache hielten, konnten sich in der Nacht jeweils ablösen. Wer nicht an der Reihe war, schlief auf einem Strohhaufen. Am nächsten Tag hatte die Stallwache jedoch nicht etwa frei, sondern sie mußte so wie die anderen am Dienst teilnehmen.

Wie bereits gesagt, wurden wir Rekruten vom Jahrgang 1923 eingeteilt in „Fahrer, Kanoniere, Fernsprecher, Funker“. Ich wurde berittener Funker mit noch sechs Kameraden. Wir erhielten nun täglich Unterricht im „Morsen“ und wurden in das Funkgerät „Friedrich“ eingewiesen. Daneben lief der übliche Dienst wie Reiten, Exerzieren, Gefechtsdienst, Schießen usw. weiter. Als berittener Funker hatte ich neben meinem Pferd noch ein zweites Pferd, auf dem das Funkgerät „Friedrich“ mit dem Sender auf der einen und dem Empfänger auf der anderen Seite angeschnallt war, zu führen, was für mich als Reitanfänger gar nicht so einfach war, wenn Geländeübungen stattfanden. So waren im ersten Vierteljahr die Tage und Wochen voll ausgefüllt.

Die Abstellung zur Front-Truppe stand an. Eines Tages wurden von uns Rekruten fünf Mann, darunter auch ich, ausgesondert, um als Offiziersbewerber (KOB-Kriegsoffiziersbewerber – später Reserveoffiziersbewerber ROB) weiter ausgebildet zu werden. Wir fünf mußten uns aufstellen, nebeneinander der Größe nach. Der Hauptfeldwebel eröffnete uns, daß wir als KOBs vorgesehen seien, jedoch nur zwei bei der Artillerie bleiben könnten. So bestimmte er, daß der erste, der Größte in der Reihe, zu den Pionieren, die beiden Nächsten, das waren Helmut Rätzer aus Braunichswalde und ich, zur Infanterie und die beiden Letzten bei der Artillerie bleiben sollten.

Die Infanterie-Kaserne, Inf. Ers. Btl. 106, lag gegenüber der Artillerie-Kaserne in Aschaffenburg an der Würzburger Straße. Am nächsten Tag meldeten wir uns auf der Schreibstube des Inf. Ers. Btl. 106 zum Dienst und wurden dann dem KOB-Lehrgang zugewiesen. Die KOBs kamen von den verschiedensten Einheiten. Unsere Gruppe bestand aus 10 KOBs, und zwar Rätzer, Grämlich, Decker, Linse, Streitberger, Krebs, Czerni, Breitenstein und ich und ein weiterer, dessen Name mir entfallen ist. Wir zehn lagen in einem Raum zusammen, der mit zweistöckigen Holzbetten mit Strohsack ausgestattet war. Jeweils zwei Mann hatten einen Spind, ich zusammen mit Helmut Rätzer.

Hier begann der Soldaten-Alltag nicht wie bei der Ari, sondern schon um 5.30 Uhr mit Stalldienst. Erst um 7.00 Uhr war „Wecken44, denn vor 7.30 Uhr gab es noch keinen Kaffee, der jeweils in einer großen Aluminium-Kanne von der Küche geholt werden mußte. Die Schinderei des Pferdeputzens und Reitens in der Reithalle war vorbei. Dafür hatten wir aber den ganzen Tag Fußdienst, sei es Exerzieren auf dem Exerzierplatz wie „Griffe klopfen44 mit dem Gewehr oder das Grüßen üben. Auch wurde ständig das Hinlegen und Aufstehen mit dem Karabiner auf dem harten Boden des Platzes geübt. Dann ging es auch schon morgens auf den etwa drei Kilometer von der Kaserne bei der Ortschaft Schweinheim gelegenen Übungsplatz zum Geländedienst. Da wurden wir unter ständigem „Auf und Nieder44 durch die Gegend gejagt oder es wurde auf die sogenannten „Pappkameraden44 scharf geschossen. Dies alles zum Teil mit oder ohne aufgesetzter Gasmaske, um die Wirkung zu erhöhen. Schließlich waren wir ja Offiziersbewerber und als Ausbilder, ein alter Obergefreiter. Weller war sein Name. Er war ein richtiger Sadist. Auf dem Hinmarsch kamen wir durch einen Akazienwald mit alten Akazienbäumen, die bis an das Ende des Übungsplatzes reichten. Wenn wir den Waldrand erreichten, hieß es oft „auf die Bäume, marsch, marsch!44. Das bedeutete, daß wir mit unseren Waffen, Karabinern oder MG 34, die Bäume besteigen mußten, was insofern nicht angenehm war, als die Akazien ja bekanntlich sehr spitze Stacheln haben. Als ich einmal als MG-Schütze 1 eingeteilt war, also das MG schleppen mußte, und es wieder hieß „auf die Bäume ...“ habe ich das MG beim Hochsteigen aus etwa vier oder fünf Meter Höhe nach unten fallen lassen. Gott sei Dank hat unser Gruppenführer, ein Oberfeldwebel, der von der Finnlandfront kam und dort im Waldkampf eingesetzt war, das nicht bemerkt, sonst wäre ich wohl in den Karzer gegangen.

Bild: Originaldokument über die Richtlinien für das Verhalten der Truppe in der Sowjetunion

Nachdem wir nun keine Pferde mehr putzen und keine Stallwache, vor allem zum Wochenende, schieben mußten, also mehr freie Zeit hatten, konnten wir auch öfters in die Stadt gehen. Von der Kaserne bis in das Zentrum Aschaffenburgs waren es etwa vier Kilometer, also ein Fußmarsch von etwa einer Stunde. Wir hatten immer bestimmte Lokale, die wir aufsuchten, insbesondere eine Bäckerei und Konditorei, wo es noch Schokoladeneis und Eisschokolade gab.

So vergingen die Tage und Wochen und etwa drei Wochen vor Abschluß des Lehrgangs hatten wir noch viermal die Woche Reitstunden in der Pionierkaserne in Aschaffenburg, was uns ehemalige Artilleristen nun nichts mehr ausmachte, denn wir hatten ja eine gute Grundausbildung im Reiten hinter uns.

Es geht an die Ostfront nach Woronesch am Don

E

nde September oder Anfang Oktober 1942 ging unser Lehrgang zu Ende. Wir wurden zum Gefreiten befördert und für den Fronteinsatz neu eingekleidet. Wieder wurden wir aufgeteilt. Gefr. Krebs, Gefr. Breitenstein und ich waren für die Ostfront vorgesehen. Meine Kameraden Rätzer, Streitberger, Grämlich und Decker kamen nach Frankreich zur 15. Inf. Div. und zwei Kameraden kamen nach Finnland. Vor Abstellung zur Front erhielten wir noch einen Wochenend- Kurzurlaub, den ich in Eisenach verbrachte, um mich von meinen Eltern verabschieden zu können. Doch war meine Mutter zusammen mit meinem Bruder Helmut nach Bad Frankenhausen zur Großmutter gefahren, die dort wohnte und bereits 70 Jahre alt war. So war ich mit meinem Vater allein im Haus. Unsere Nachbarin, Frau Fehr, die einen kleinen Kolonialwarenladen besaß, lud mich dann am Sonntag zum Essen zu sich ein. Es gab Braten mit Thüringer Klöße. Damals war mir nicht bewußt, daß ich erst in sechs Jahren mal wieder Klöße bekommen würde, und daß vor mir drei Jahre Kriegseinsatz und dreieinhalb Jahre russische Kriegsgefangenschaft liegen würden. Frau Fehrs einziger Sohn war vor Ausbruch des Krieges als Soldat beim Manöver tödlich verunglückt. So fühlte sie sich wohl mehr oder weniger mit mir als jungem Soldaten, der an die Front mußte, verbunden, zumal meine Mutter nicht zu Hause war.

Nach Ende des Kurzurlaubs ging es nun von Aschaffenburg aus mit der Reichsbahn nach dem Osten. Wir fuhren in einem Personenwagen 3. Klasse, nur Soldaten. Es war inzwischen Oktober und somit schon recht kalt. Der Zug war nicht geheizt. Im Waggon stand zwar ein kleiner Kanonenofen, doch der brannte nicht. Die Fahrt ging durch Polen nach Rußland. Zum Essen hatten wir unsere Marschverpflegung. Geschlafen wurde im Zugabteil. Je weiter wir nach Osten kamen, desto leerer wurde der Zug. Ständig stiegen Soldaten aus, zugestiegen war niemand. Dann erreichten wir Kursk. Hier war Endstation.

Wir verließen den Zug und meldeten uns bei der Kommandantur. In ein Wehrmachtübernachtungsheim wurden wir eingewiesen, wo wir einige Tage verbrachten. Wir sahen das erste Mal eine größere russische Stadt und bummelten durch die Straßen. Die Stadt machte einen friedlichen Eindruck. Die Russen gingen ihrer Wege. Ab und zu begegnete uns ein deutscher Soldat. Zu kaufen gab es nichts. Dann ging es mit einem Lkw weiter Richtung Front: Woronesch. Wir fuhren bis Olchewatka, wo sich der Regimentsgefechtsstand des Inf. Regt. 768 der 377. Inf. Div. befand und meldeten uns beim Regiments-Kommandeur, ein älterer Herr, der in dem Straßendorf seinen Gefechtsstand in einer recht schönen Russenkate eingerichtet hatte. Hier wurden wir dem ersten Bataillon zugeteilt und nach vorne in Marsch gesetzt. Wir drei, Gefreiter Krebs, Gefreiter Breitenstein und ich, machten uns auf den Weg nach vorne. Es war schon ziemlich kalt und vereinzelt lag auch schon Schnee. Es war später Nachmittag. Man gab uns die grobe Richtung an, in der wir nach vorne gehen sollten. Dann würden wir schon auf den Bataillons-Gefechtsstand stoßen, wo wir uns melden sollten.

Unser Weg führte an abgeernteten Getreidefeldern und Sonnenblumenfeldern vorbei und stieg leicht an. Als wir den Hügel erreichten, hörten wir über und neben uns das Pfeifen von Infantrie- geschossen (Gewehr oder MG). Wir wurden unsicher und meinten, die Schüsse galten uns. Etwa 500 Meter schräg vor uns sahen wir mehrere alte Traktoren und anderes Gerät und bildeten uns ein, daß die Schüsse von dort kämen. Wir überlegten, ob wir wohl die Hauptkampflinie schon überschritten hätten und dies nicht gemerkt hätten. Hier ist noch zu bemerken, daß uns bisher keine Waffen ausgehändigt worden waren. Die sollten wir bei der Kompanie erhalten.

Wir legten uns also erst einmal in Deckung, um die Lage zu peilen und festzustellen, ob bei den Traktoren tatsächlich Russen waren.

Plötzlich tauchte hinter uns auf dem Weg ein Panjewagen mit einem Soldaten auf. Als er bei uns ankam, stellte sich heraus, daß es der Essens-Fahrer war, der die Verpflegung nach vorne brachte Er klärte uns darüber auf, daß die pfeifenden Kugeln lediglich russisches Störfeuer mit Gewehr oder Maschinen-Gewehr sei, und von weither komme. Die Hauptkampflinie sei noch gut einen Kilometer entfernt. Das bedeutete natürlich nicht, daß man dennoch von so einer verirrten Kugel getroffen werden könnte. Er forderte uns nun auf, mit ihm nach vorne zum Bataillongefechtsstand zu fahren. Wir saßen also auf und fuhren mit ihm los. Bald erreichten wir den Bataillongefechtsstand, der in einem Bunker untergebracht war. Wir meldeten uns und wurden auf die Kompanien verteilt.

Ich kam zur 2. Kompanie. Man eröffnete mir, daß ich als Gruppenführer im ersten Zug, der von einem Feldwebel geführt wurde, eingesetzt würde. Als Gruppenführer erhielt ich eine MPi 38 mit zwei Magazintaschen zu je drei Magazinen. Dann ging es im Graben nach vorne zu meiner Gruppe.

Diese hatte ihren Bunker noch nicht fertiggestellt. Die Männer lebten also in einem Bauernhaus, das direkt vor dem Hauptkampfgraben stand. Sie hatten die Fenster zur Feindseite mit Strohballen ausgefüllt, damit vor allem nachts kein Licht hinaus scheint. Eine windige Angelegenheit! Die Gruppe bestand aus sieben Mann. Wir hatten ein MG 34 und jeder Schütze einen Karabiner. Außerdem hatte die Gruppe ein Schnellfeuergewehr, das jedoch infolge häufiger Ladehemmung nicht sehr beliebt war. Die Haupt-Kampf-Linie verlief durch ein Dorf und in unserem Abschnitt durch einen Kartoffelacker. Die Kartoffeln waren noch nicht geerntet worden. Hinter uns, etwa 40 Meter vom Graben entfernt, stand eine alte heruntergekommene Kirche. Diese wurde von den Russen als Produktendlager verwandt, denn in dem Bauschutt im Inneren lagen unter dem Schutt und den durch den Beschuß heruntergefallenen Mörtelstücken des Putzes noch Erbsen und Getreidekörner.

Von der HKL gingen Stichgräben bzw. Laufgräben zu den vorgeschobenen MG- bzw. Schützenstellungen nach vorne. Die HKL verlief am Westufer des Don, also am Hochufer, so wie bei allen Flüssen in Rußland. Vor uns lag eine freie Fläche von etwa einhundert Meter. Dann fiel das Ufer steil nach unten zum zugefrorenen Fluß ab. Der zugefrorene Don bildete im Winter somit kein wesentliches Hindernis gegen die Russen, die bei Späh- oder Stoßtruppenunternehmen ohne Schwierigkeiten den Fluß überschreiten konnten.

Unser Bunker war noch nicht fertig geworden, denn es fehlte an dicken Balken zum Abdecken. Außerdem waren die Männer am Schanzen nicht gerade sehr begeistert, denn sie mußten ja nachts jeweils zwei Stunden am MG auf Posten stehen und das infolge der wenigen Männer und der langen Nachtstunden immer zweimal die Nacht, denn gegen 15.00 Uhr wurd es dunkel und erst gegen 9.00 Uhr wurd es wieder hell.

Während der Tageszeit mußte dann geschanzt und gearbeitet werden, bzw. die Waffen gereinigt und Holz zum Brennen bereitet sowie die Sachen in Ordnung gehalten und die Läuse geknackt werden. Die Männer waren nämlich stark verlaust. Doch der Feldwebel drängte darauf, daß der Bunker endlich bezogen würde. Also hatten wir vorne über dem Eingang einen dicken Balken gelegt und den nachfolgenden Teil mit normalen Brettern abgedeckt und mit Erde zugedeckt. So erweckten wir den Eindruck, als ob der ganze Bunker mit schweren Balken abgedeckt sei, ein unvorstellbarer Leichtsinn. Dennoch zogen wir nun in unseren Bunker um. Da der Russe nur ab und zu mit Artillerie unsere Stellung beschoß und hin und wieder mit Granatwerfer, fühlten wir uns in unserem Bunker in der Hoffnung, nicht getroffen zu werden, ganz sicher. Dennoch war es ein Wahnsinn, zumal der Ivan doch ständig morgens Störfeuer schoß. Am nächsten Morgen schaute ich mir meinen Abschnitt an, der etwa zweihundert Meter breit war.

Wie gesagt, wir lagen am Westufer des Don, also ziemlich hoch, so daß ich weit in das russische Hinterland einsehen konnte. Jenseits des Don hatte der Ivan seine Stellungen im Schilf und hohem Gras ausgebaut. Wir konnten an dem aus der Erde aufsteigendem weißen Rauch sehen, wo der Russe einen Bunker gebaut hat. Von uns wurden die russischen Bunker jedoch nicht bekämpft, denn von unserer Artillerie war weit und breit nichts zu sehen. Ein vorgeschobener Beobachter oder eine Beobachtungsstelle der Artillerie konnten wir auch nicht ausmachen. Für den kleinen 5cm-Granatwerfer des Zugtrupps ist die Entfernung zu groß.

Unser Tagesablauf bestand im Ausbauen unseres Bunkers, was mit fortschreitender Jahreszeit immer schwerer wurde, denn es ist nun schon November 1942, und die Landschaft lag unter einer dicken Schneedecke. Oft wehte ein sehr kalter Ostwind, der uns selbst in unseren Tarnanzügen und Filzstiefeln, die wir erhalten hatten, frieren ließ. Wasser zum Waschen bzw. Reinigen hatten wir nicht. So waren wir auf unseren Malzkaffee in der Feldflasche angewiesen, denn mit Schnee konnten wir uns nur unzureichend abreiben. Die Morgen-Wäsche ging so vor sich, daß wir den Mund voll Kaffee nahmen und ihn dann in dünnem Strahl in die zu einer Schüssel geformten Hände laufen ließen, um damit das Gesicht zu reinigen. Abschließend wurde dann das Gesicht noch mit frischem Schnee nachgerieben. Das war die Morgentoilette! Für die Erledigung des großen Geschäfts hatten wir von dem Hauptgraben einen Stichgraben geschaffen, der am Ende mit einer Grube, über die ein Balken gelegt war, versehen war. Bei der eisigen russischen Kälte fürwahr kein Vergnügen, diese „Toilette“ zu benutzen.

Inzwischen bekam auch ich die ersten Läuse, da alle Männer meiner Gruppe ziemlich verlaust waren. Die Läuse hatten sie sich sicher in dem alten Bauernhaus, in dem wir vorher unsere Unterkunft hatten, geholt. In der Freizeit, wenn es Tag war, saßen wir dann mit freiem Oberkörper im Bunker und knackten die Läuse und Nissen. Auch hatten wir unsere Unterwäsche, Unterhemd und Unterhose nachts nach draußen in den Schnee und die Kälte gelegt, in der Hoffnung, daß der Frost die Läuse vernichtete. Es hatte jedoch nicht viel genutzt. Wenn wir die Kleidung wieder angezogen hatten und die Läuse auftauten, waren sie wieder lebendig und krabbelten und bissen wie zuvor. Nach wie vor mußten wir in der Nacht Wache schieben und die MG-Stellung besetzt halten. Alle zwei Stunden wurden die Männer – jeweils Doppelposten – abgelöst. Man kann sich kaum vorstellen, wie lang zwei Stunden Wache sein können.

Eine Ewigkeit, nur langsam verging Minute um Minute, bis zwei Stunden, also 120 Minuten, herum waren. Da wir nur sieben Mann waren und ich als achter hinzukam, mußte ich mich auch mit am Wacheschieben beteiligen, damit die Männer genügend Schlaf hintereinander hatten, zumal wir auch abwechselnd einen „Horchposten“ stellen mußten. Das bedeutete, daß jeweils ein Mann die halbe Nacht etwa einhundert Meter vor der Stellung im Schnee liegen und horchen mußte, ob sich eventuell ein russischer Spähtrupp oder Stoßtrupp näherte. Da der Don zugefroren war, konnte mit derartigen Aktivitäten des Russen gerechnet werden. Eine kaum vorstellbare Aufgabe!

Im Tarnanzug mit hochgezogener Kapuze lag man im tiefen Schnee, wo man sich eine Mulde mit den Händen geschaffen hatte und horchte und horchte. Es war totenstill! Kein Geräusch! Nur der Wind sang in den einzelnen laubfreien Weidenbüschen sein Lied und ständig pfiffen die Kugeln über einem hinweg. Nur mit Mühe konnte man die Augen offen halten, weil alle vom Graben- und Bunkerausbauen und vom Wachestehen völlig übermüdet waren. Und dann die innere Unruhe und Angst, so weit vor der Stellung und ganz allein!

Was tun, wenn nun Russen auftauchen, sich in dem Schnee verkriechen oder schießen oder zurücklaufen? Damit ich auf dem Horchposten von Russen-Spähern nicht überrascht werden konnte, wenn mir mal die Augen zufallen sollten (öfter schon geschehen) – hatte ich mir vor meinem Horchloch etwa 50 Meter entfernt links und rechts je einen Stock in den tiefen Schnee gesteckt. Daran hatte ich am linken Stock eine Eierhandgranate angebunden, den Abzugzünder herausgeschraubt und diesen mit einem dünnen Draht versehen, den ich zu dem anderen Stock gelegt und dort befestigt hatte, so daß der Draht etwa in 30 cm Höhe über dem Boden verlief. Wenn ein Russe auf mich zugekommen wäre, hätte er den Draht so gespannt, daß der Zündknopf der Handgranate herausgerissen worden wäre und die Eierhandgranate explodiert wäre. Davon wäre ich bestimmt wach geworden und hätte entsprechend reagieren können.

Meine Aufgabe als Gruppenführer bestand jedoch hauptsächlich darin, die Posten zu kontrollieren und den Graben abzugehen, dies mehrmals die Nacht. Bei diesen Gängen feuerte ich jeweils von verschiedenen Stellen mit meiner MPi mehrere Feuerstöße in die Feindrichtung, um damit vorzutäuschen, daß der Graben dichter besetzt sei.

Teilweise waren vor der HKL Stacheldrahtverhaue von den Pionieren aufgestellt worden. Wenn ich nachts durch den Graben ging, habe ich mir an den Stellen, wo der Stacheldraht mit Pfählen verbunden ist, auf die Pfähle leere Konservenbüchsen gesteckt, auf die ich beim Abgeben meiner Feuerstöße mit der MPi zielte. So übte ich mich gleichzeitig im Schießen mit der MPi 38. Diese Waffe war jedoch sehr mangelhaft. Oft blieben die Patronen nach wenigen Schuß im Magazin hängen – also Ladehemmung, kein gutes Gefühl! Das Bataillon hatte nun angeordnet, daß nur noch Doppelposten und Doppelstreifen eingesetzt werden durften, weil es wiederholt vorgekommen war, daß die Russen deutsche Soldaten auf Posten überwältigt und mitgenommen hatten.

Man berichtete, daß die Russen mit einer Drahtschlinge bewaffnet waren und sich von hinten an die Landser heranschlichen, dann zogen sie den Draht über dessen Kopf und zogen den Draht über die Gurgel; so wurden die Posten überwältigt. Da es ja Winter war, der Schnee hoch lag und der Wind bei eisiger Kälte über die Gräben rauschte, hatten sich die Posten entsprechend gegen die Kälte geschützt, indem sie die Kapuzen der Tarnjacken fest übergezogen und noch den Wehrmachtsschal umgebunden hatten, so daß sie nach hinten nichts hören konnten. Dies schien der Ivan besonders ausgenutzt zu haben.

Gegen die furchtbare Kälte hatten wir uns auch dadurch geschützt, daß wir an den MG- Ständen in die Grabenwand Höhlen gebuddelt hatten, in denen gerade ein Mann zusammengekauert liegen konnte. Wir nannten diese Löcher „Fuchsloch“. Dazu hatten wir ein kleines Blechöfchen, das mit Preßkohle geheizt, in dem Fuchsloch untergebracht, um ein wenig Wärme zu haben.

Einmal war es vorgekommen, daß ein älterer Soldat, ich meine er hieß Viehmann, sich in das Fuchsloch verkrochen hatte und dort eingeschlafen war. Dabei war er mit seinen Füßen an das Öfchen gekommen. Die Hitze war so groß, daß die Filzstiefel Feuer fingen und zu glimmen anfingen. Dabei hatte er sich die Füße verbrannt, so daß er nun auch ausfiel und ins Lazarett mußte. Der Mann war so müde, daß er es nicht mal merkte, als seine Füße anbrannten. Der Zugführer hat einen riesigen Krach gemacht und ihm Kriegsgericht angedroht.

Die Verpflegung, die man uns bot, war mehr als mangelhaft. So gab es für drei Mann ein Komißbrot, pro Mann also 330 Gramm, ein Würfel Margarine und ein Stück Kochwurst, wir nannten sie Gummiwurst, weil sie so labberig wie Gummi war, oder es gab eine Dose Hering in Tomatensoße. Da wir aber keine Dosenöffner besaßen, war es immer ein schwieriges Unterfangen, mit dem Seitengewehr die Dose zu öffnen. Überhaupt war die Ausrüstung sehr schlecht. Wir hatten keine Taschenlampen, keine Uhr. Ich hatte meine Uhr mitgebracht, so daß wir jetzt wenigstens eine Uhr in der Gruppe hatten, die beim Postenstehen von Hand zu Hand ging. Was für eine Zumutung! Auch mit den Hindenburglichteern (kleine Stearinkerzen) mußte sparsam umgegangen werden, denn es gab nur sehr wenige davon, so daß wir nur beim Postenwechsel und beim Abendessen Licht machen konnten.

Zum Frühstück gab es einen Klacks Vierfruchtmarmelade, Margarine und den Rest Brot vom Tag zuvor. Wiederholt hatte man uns auch Pferdegulasch vorgesetzt, pro Mann den halben Kochgeschirrdeckel voll. Die Beigabe mußten wir uns selbst besorgen, nämlich Kartoffeln, die wir uns aus dem Kartoffelacker hinter unserem Graben ausbuddeln mußten. Und das bei dieser Kälte und dem vielen Schnee!

Da es nachts dunkel war, konnten wir nur am Tage die Kartoffeln mit Spitzhacke und Spaten ausgraben. Eine mühevolle Arbeit. Beim Ausgraben hörten wir oft das uns so bekannte „flup-flup-flup“, das Geräusch der Abschüsse eines Granatwerfers. Es vergingen dann wenige Sekunden, und die Granaten schlugen bei uns ein. Die Zeit reichte gerade, um in den Graben in Deckung zu springen. Die so geernteten Kartoffeln waren auch in der Erde angefroren und nur bedingt genießbar. So stellte sich zwangsläufig neben den Unannehmlichkeiten der Kälte, der schlechten Unterbringung, den vielen Läusen und der Übermüdung auch noch der Hunger ein. Was mußten wir bei der Wehrmacht doch für große Nieten nicht nur an führender Stelle sondern auch in den unteren Abteilungen gehabt haben. Die Herren Zahlmeister lebten ja weit hinter der Front in warmen Russenhäusern mit Russinnen als Beischläferinnen in Saus und Braus und uns ließ man hungern.

Ansonsten gab es auch „Kälberzähne“ (Graupen) mit Fleisch, die fürchterlich schmeckten, und es gab sogar Nudeln mit Pudding, was für ein Saufraß! Und dies für erwachsene Männer, die an vorderster Front standen und das Vaterland verteidigen sollten. Wenn man das heute überdenkt, kotzt es einen doch nur an. Zur Bereicherung unserer Mahlzeiten sind wir dann tagsüber in die Kirche gesprungen, bevor der Russe seine Granatwerfer in Aktion setzen konnte.

Aus dem Schutt und Mörtel auf dem Boden hatten wir uns Erbsen und Körner herausgelesen oder mittels eines Handsiebes, das wir in der Kirche fanden, heraus gesiebt. Hieraus hatten wir uns dann mit den gefrorenen Kartoffeln eine dünne Erbsensuppe gekocht, um das ständige Hungergefühl etwas zu bekämpfen.

In unserem Bunker hatten wir wenigstens ein kleines Heizöfchen, das wir mit Bauholz heizen konnten. So schufen wir uns eine einigermaßen erträgliche Unterkunft. Anfang Dezember 1942 erfuhren wir, daß Stalingrad von den Russen eingeschossen worden war – eine ganze Armee. Vom Don-Hochufer aus sahen wir laufend russische LKW-Kolonnen nach Süden fahren. Sicher nach Stalingrad. Doch Genaues erfuhren wir nicht. Zeitungen erhielten wir ja nicht.

Kurz vor Weihnachten räumten wir unsere Stellung, um in einen anderen Abschnitt verlegt zu werden. Wir kamen zunächst in ein geräumtes Dorf – Krimskaya – wo wir uns in einem Bauernhaus einquartierten. In diesem Haus verlebten wir auch den „Heiligen Abend“ 1942.

Es gab an diesem Tag sogar Sonderverpflegung, und zwar pro Mann einen halben Liter Rotwein – lose im Kochgeschirrdeckel – sowie Knäckebrot und Marmelade und eine Sonderzuteilung an Zigaretten. Manche hatten von ihren Angehörigen zu Hause auch ein Weihnachtspäckchen und Weihnachtspost erhalten. Obwohl ich einen Weihnachtsbrief nach Hause geschickt hatte, war für mich keine Post angekommen. Dies hatte sicher mit den Kämpfen um Stalingrad zu tun, wo derzeit der Schwerpunkt der Kämpfe lag. Ich ertrug es mit Fassung.

Wir saßen zusammen in dem großen Zimmer und verzehrten unsere Sonderverpflegung und ebenfalls die aus der Heimat geschickten Plätzchen und Süßigkeiten. Die Männer, alle ruhig und verschlossen, – ein jeder war wohl mit seinen Gedanken zu Hause bei den Seinen. Einige Kameraden, die verheiratet waren und Kinder hatten, konnten in dieser Umgebung nicht mehr an sich halten – ihnen kamen die Tränen. Sicher dachten sie an ihre Lieben zu Hause, insbesondere die Kinder, die das Weihnachtsfest ohne ihren Vater verbringen mußten und an die ungewisse Zukunft. Unser Zugführer, der Feldwebel, hatte eine Gitarre, auf der er uns Weihnachtslieder spielte und die Männer seines Zugtrupps sangen zur Gitarrenbegleitung die damals so bekannten Lieder wie „Mamatschi schenk mir ein Pferdchen“ oder „Heimat Deine Sterne“. Diese schwermütigen Lieder verschlimmerte die Stimmung der Männer um so mehr. So fielen wir mit den Gedanken an zu Hause in den Schlaf und waren doch froh, daß wir diese Nacht nicht im Graben verbringen mußten.

Am nächsten Tag, dem ersten Feiertag, um Mitternacht war plötzlich Alarm. Der Russe war, wie gewöhnlich zu Weihnachten, mit verstärkten Stoßstrupps in die deutschen Stellungen eingebrochen. Wir wurden für einen Gegenstoß zusammengestellt. Doch dann wurde die Sache abgeblasen, weil offensichtlich der Ivan zurückgeschlagen worden war oder sich zurückgezogen hatte. Wie ich dann erfuhr, war bei diesen Kampfhandlungen mein Kamerad, der KOB-Gefreite Krebs aus Frankfurt, gefallen. Wir hatten also noch einmal Glück gehabt, daß wir ausgerechnet aus der HKL herausgezogen worden waren.

Zwei Tage später besetzten wir unseren neuen Abschnitt. Wir fanden einen gut ausgebauten Graben und einen geräumigen Bunker vor. Es waren Doppelpritschen aus Brettern eingebaut, Holztisch und Bank waren auch vorhanden. Die MG-Stellung war gut angelegt, auch mit einem sogenannten Fuchsloch, also einer Höhle von ca. einem Meter Höhe, 50 cm Breite und 1,70 Meter Länge, mit einem Grabenöfchen ausgestattet. So konnten sich die beiden Posten gegenseitig ablösen und kurzfristig aufwärmen, denn die Nächte waren bitter kalt.

Es war kalt, der Himmel klar, am Tag schien die Sonne. Von unserem Graben konnten wir morgens die russischen Bunker sehen – nämlich dort, wo jeweils eine dünne weiße Rauchsäule in den Himmel stieg. Die Landschaft lag unter einer dicken Schneedecke. Unsere Tarnanzüge waren zweiseitig, auf der einen Seite grau und auf der anderen weiß. Da ja Schnee lag, trugen wir die weiße Seite nach außen. Doch die Laufgräben waren erdig braun, so daß im Laufe der Zeit die weißen Seiten des Anzugs von dem dreckigen Braun total überdeckt und so verdreckt worden sind, daß der Zweck – die Tarnung im Schnee – dadurch hinfällig wurde. Wer diese Tarnanzüge erfunden und hergestellt und geliefert hatte, sollte eigentlich bestraft werden. Denn dämlicher und unbrauchbarer konnten diese „Tarnanzüge“ tatsächlich nicht sein!

Wie einfach machte es der Russe: Bei ihm gab es sogenannte Tarnhemden aus dünnem weißen Leinenstoff mit Kapuze. Diese konnten die Soldaten zusammenrollen und in ihren Rucksack tun und wenn sie diese brauchten, waren sie sauber und weiß und tarnten bestens.

Bald hatten wir uns in dem neuen Graben eingelebt. Ich absolvierte nach wie vor meine „Grabengänge“ bei Tag und Nacht. Vor dem Graben waren auch hier feste Stacheldrahtverhaue vorhanden. Auch hier hatte ich mir wieder Konservenbüchsen auf verschiedene Pfähle gesteckt, auf die ich nachts bei meinen Gängen schoß. Von unserer neuen Stellung aus konnten wir den Don nicht mehr sehen. Hier lagen die Russen diesseits, also westlich des Dons.

Eines Tages wurde ich beauftragt, zusammen mit einem Fahnenjunker-Feldwebel einen Spähtrupp zur Erkundung eines vorgeschobenen russischen Stützpunkts durchzuführen. Von diesem Stützpunkt erhielten wir ständig Feuer. In einer dunklen Winternacht schlichen wir durch eine geöffnete Lücke im Drahtverhau und durch eine Minengasse Richtung Ivan. Da wir ja nicht wußten, ob der Stützpunkt nachts besetzt war, machten wir einen großen Bogen und näherten uns schräg von hinten dem Stützpunkt. Als wir herankamen, stellten wir jedoch fest, daß der Stützpunkt unbesetzt war, der Ivan also nur tagsüber dort war, um uns mit Zielfernrohrgewehren zu bekämpfen und zu stören. Damit war unser Auftrag erfüllt und wir gingen erleichtert in unsere Stellung zurück.

Es kam vor, daß ein Unteroffizier der Nachbargruppe von einem Explosivgeschoß, das die Russen verwenden, an der Hand getroffen worden war und die Hand zerfetzt wurde.

An manchen Tagen erschien am Himmel hoch über uns ein asymmetrisches Flugzeug, ein deutscher Aufklärer, Typ BV 141. In meinen Gedanken war ich dann bei diesen Fliegern, die nicht wie wir, wie Tiere im Dreck und Schnee bei 25 Grad Kälte im vordersten Graben hausen mußten, sondern zurück fliegen konnten auf ihre Flugplätze mit gemütlichen warmen Unterkünften.

Dann kam Neujahr 1943. Wir bekamen wieder eine Sonderzuteilung an losem Rotwein – jeder den Kochgeschirrdeckel voll. Außerdem noch eine Sonderration Zigaretten und Knäckebrot. Um Mitternacht haben wir mit dem MG Feuerstöße abgegeben und mit der MPi und den Karabinern das neue Jahr eingeleitet. Sonst war es ruhig. Hier muß ich noch erwähnen, daß bei den kalten Nachttemperaturen unser MG 34 oft Ladehemmung hatte, weil der Patronenzuführhebel eingefroren war. Eine üble Sache, die so einfach zu beheben gewesen wäre, wenn man uns Petroleum zur Verfügung gestellt hätte. Doch so weit reichte das Wissen und damit die Vorsorge der dafür zuständigen Stellen in den Nachschubeinheiten offensichtlich nicht.

So hatten wir ständig Mühe, bei großer Kälte das MG in Gang zu setzen. War es mal warm, lief alles bestens, doch bis dahin war es oft ungewiß, zumal wir von unseren MG-Stellungen nachts keine Feuerstöße abgaben, um uns nicht zu verraten. Das Versagen des MG 34 hat mir allerdings später das Leben bzw. die Gesundheit gerettet – doch davon später mehr.

Einige Tage nach Neujahr wurde es merklich wärmer. Es setzte Tauwetter ein. Der viele Schnee schmolz und schmolz und all das Schmelzwasser floß in unseren Graben und in unseren Bunker, der am tiefsten lag. Die Erde taute auf. Von den Graben wänden brachen ganze Erdbrocken ab und fielen in den Graben, so daß eine einzige Schmiere entstand. Wir wateten nur noch im Schlamm, und das in unseren Filzstiefeln, denn die Schnürschuhe waren abgegeben worden und befanden sich beim Troß. Was für eine Sauerei!

Vor dem Eingang unseres Bunkers häuften wir nun Erde auf und bildeten einen Damm. Doch auch das nützte nichts, das Wasser drückte unseren Damm ein und der Schlamm und das Wasser stürzten in unseren Bunker. Bis zu den Knien standen wir im Wasser. Wir bargen unser Gerät, die Munition und die Waffen. Dabei rutschten auch im Bunker Erdstücke von den langsam auftauenden Seitenwänden ab, so daß die Gefahr bestand, daß der ganze Bunker einbricht, denn die Wände waren ja nicht verschalt. Wir mußten also schnellstens raus. Doch wohin?

Aus den ersten Tagen in dieser Stellung bestanden noch primitive Unterschlupf-Bunker, die in die Grabenwand gebuddelt worden waren. Einer war sogar noch mit zwei doppelten Holzpritschen, also Schlafmöglichkeiten für vier Mann, versehen. In diesen zogen wir nun um, zumal er etwas höher lag und kein Wasser hineinlaufen konnte. Am Eingang brachten wir eine alte Decke, die aus einem Russenhaus stammt, an, damit die Kälte etwas abgehalten wurde, denn eine Tür besaß der Bunker nicht. Ein Blechöfchen haben wir noch retten können, so daß wir uns auch Feuer anmachen und so heizen konnten, jedoch nur immer für kurze Zeit, weil wir nicht genügend Brennmaterial hatten. Unser Brennmaterial waren abgeschlagenen Weidenruten, die wir verheizten. Taschenlampen oder andere Beleuchtungsmöglichkeiten hatten wir nicht, denn die Hindenburg- lichter waren mit den Streichhölzern im abgesoffenen Bunker geblieben. Eine furchtbare Situation, die uns ziemlich mitnahm.

Wenn ich mich zum Schlafen bei völliger Dunkelheit in Uniform hinlegte, denn von Ausziehen konnte ja keine Rede sein, hing ich meine MPi 38 an den vorderen Holzpfosten der Holzpritsche. Eines Nachts, als ich bei Dunkelheit von meiner Pritsche stieg, um mich für einen Grabengang fertig zu machen, stieß ich an die MPi. Diese fiel mit dem Ende auf den Boden und – da die MPi noch keine Sicherung hatte – ballerte die MPi das halbe Magazin in den Bunker bis zur Ladehemmung, etwa sechs bis sieben Schuß. Gott sei Dank gingen alle Kugeln in die Bunkerdecke, so daß niemand im Bunker getroffen wurde. Wäre einer meiner Leute verletzt oder gar getötet worden, wäre ich mit Sicherheit vor ein Kriegsgericht gekommen und in eine Strafkompanie versetzt worden.

Da wir bei unserem plötzlichen Auszug aus dem abgesoffenen Bunker nicht alle Geräte wie Munitionskästen für das MG und Munitionskisten mit Infanterie-Munition sowie unser Schnellfeuergewehr bergen konnten, mußte dies nun nachgeholt werden. Der Eingang unseres Bunkers war inzwischen völlig zugefallen, so daß ein Eindringen hier nicht mehr möglich war. Der Bunker besaß jedoch unmittelbar unter der Decke noch ein Seitenfenster, durch das ein Einstieg möglich war. Doch dazu mußte man aus dem Graben heraus, um an der Seite einsteigen zu können. Da ich Gruppenführer war, mußte ich also den Versuch starten.

Kaum war ich auf dem Grabenrand, bekam ich Feuer von den Russen, und die Kugeln pfiffen um meine Ohren. Was tun? Bei Nacht war ein Einstieg in den Bunker sowieso nicht möglich, da wir keine Taschenlampen hatten, und es in dem Bunker stockdunkel war, so daß ich die zu bergenden Geräte gar nicht finden konnte. Also machte ich einen neuen Versuch, diesmal jedoch viel schneller, zumal ich ja die Einstiegmöglichkeit schon erkundet hatte. Wieder feuern die Russen, doch es gelang mir, unversehrt in den Bunker zu kommen. Dort sah es trübe aus: Das Wasser stand bauchhoch und der Bunker drohte einzustürzen.

Ständig bröckelte Erde von den Seiten und stürzte in das Wasser. Unter dem Fenster stand Gott sei Dank der Tisch, so daß ich mich darauf stellen konnte, ohne in die Dreckbrühe zu müssen. Ich sah auch das Schnellfeuergewehr in einer Nische neben dem Fenster unversehrt stehen, packte es und warf es zum Bunkerfenster nach draußen. Dann schnappte ich mir noch vier MG-Kästen, die ich erreichen konnte, sowie eine Munitionskiste und beförderte sie auf demselben Weg nach draußen. Dann nichts wie wieder raus und zurück in den Graben, denn unaufhörlich fielen Erdbrocken von den Seiten und der Decke ins Wasser.

Als es Nacht geworden war, hatte ich das Schnellfeuergewehr und die Munition in Sicherheit gebracht. Weil wir in unserem Bunker für die Munition jedoch nicht genügend Platz hatten, lagerten wir diese in einem Einmannbunker, der in den Graben gebrochen war, ein, damit diese Sachen einigermaßen trocken lagen. Da der Bunker aber im Grunde nur ein offenes Loch war, wehte der Wind in den kommenden Tagen den Schnee, der nun wieder fiel, in das Loch hinein. Es hatte nämlich ganz plötzlich wieder angefangen zu frieren, die Temperatur sanken weit unter Null Grad und es fing an zu schneien.

Der Zugführer kam und informierte sich über unsere neue Unterkunft. Dann fragte er nach der Munition. Ich zeigte ihm das Deckungsloch, in dem die zum Teil eingeschneiten Munitionskisten lagen. Als er das sah, machte er ein gewaltiges Spektakel und drohte mir an, mich vor ein Kriegsgericht zu bringen. Was wir aber tun sollten und wo wir die Munition unterbringen sollten, darüber sagte er kein Wort. Wir lebten nun unter sehr schlechten Verhältnissen. So hatte ich mir mein Soldatenleben in den schlechtesten Träumen nicht vorgestellt. Mühsam trockneten wir unsere Kleider und vor allem die Filzstiefel, die bei dem Tauwetter am meisten gelitten hatten.

Auch waren unsere weißen Tarnanzüge durch das Tauwetter und den dadurch bedingten feuchten Graben wänden erdbraun geworden. Mühsam trocknen wir unsere Klamotten an dem kleinen Bunkeröfchen oder direkt am Körper, indem wir die nassen Sachen als Unterlage benutzen. Es war zum Heulen!

Eines Morgens – kurz nach dem Hellwerden – kam ein Mann, der als Posten am MG-Stand Wache geschoben hatte, angerannt und rief laut und mit freudiger Stimme: „Ich bin verwundet! Ich bin getroffen! Jetzt komme ich raus aus dieser Scheiße!“ Er hatte von einem russischen Scharfschützen aus der vorgeschobenen Stellung, die ich mit dem Oberfeldwebel bei dem Spähtrupp erkundet hatte, einen Schulterschuß erhalten und war nun froh, daß für ihn das miese Leben im Schützengraben, dem kalten Bunker und all die Erschwernisse des Infantristen vorbei waren, und er in ein Lazarett und zurück in die Heimat kommt.

Dieses primitive Leben in der Kälte und bei dem ständigen Wachestehen nagte sehr an den Nerven der Soldaten, zumal die Verpflegung so unzureichend schlecht war. Nicht einmal genügend Brot erhielten wir zum Satt werden.

Eines Tages bekam das Bataillon den Befehl, einen Stoßtrupp zum Einbringen von Gefangenen durchzuführen. Dazu wurdenFreiwil- lige gesucht. Damit sich überhaupt irgendwelche „Freiwilligen“ fanden, versprach der Batailionskommandeur, ein älterer Herr, jedem Teilnehmer ein ganzes Kommißbrot.

Da ich ja Offiziersbewerber war, blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu melden. Mühsam kamen zehn Freiwillige zusammen. Ziel des Stoßtrupps war der vorgeschobene Russenstütztpunkt. Da dessen Verlauf durch Spähtrupps entsprechend erkundet war, wurde am Batailionsgefechtstand ein entsprechender Grabenverlauf im Schnee gebuddelt und dort der Einbruch in den russischen Graben geübt. Doch sollte es zu dem Stoßtruppunternehmen nicht mehr kommen.

Mitte Januar 1943 kam plötzlich der Befehl, daß in der nächsten Nacht die Stellung unauffällig geräumt werden soll, weil wir zurückgehen. Die Front wurde zurückgenommen. Es war inzwischen bitter kalt. Ein eisiger Ostwind wehte. Der Zugführer befahl mir, das MG 34 zu übernehmen. Das war die erste Schikane, die mir der Feldwebel mit dem schweren MG auf dem Marsch im eisigen Winter verpassen konnte.

Bei einbrechender Dunkelheit verließen wir unsere Stellungen und sammelten uns in einem verlassenen Dorf (Krimskaya), von wo aus dann das Bataillon den Rückmarsch antrat. Wir marschierten die ganze Nacht. Nach Mitternacht machten wir Rast in einem Russendorf. In die Häuser konnten wir nicht, weil sie von der russischen Bevölkerung bewohnt waren. Im Dorf brannte ein Haus lichterloh. Neben diesem Haus legten wir uns zum Ausruhen in den Schnee, um wenigstens etwas Wärme zu bekommen. Nach einer Stunde Rast ging es dann weiter. Es wurde langsam hell. Nun sahen wir auf der Rollbahn eine unendliche Kolonne von Fahrzeugen, schweren Waffen und marschierenden Soldaten. Dazwischen immer wieder einfache Schlitten mit einem oder zwei Pferden bespannt, auf denen alle möglichen Ausrüstungsgegenstände lagen.

Wir waren die Nachhut, das bedeutete, daß wir die Marschkolonne nach hinten gegen russische Angriffe zu sichern hatten. Neben der Rollbahn lag eine Unmenge weggeworfenen Materials, von der Schreibmaschine über Radioapparate, allen möglichen Hausrat, Decken, Zeltplanen, Tornister und Wäschebeutel. Etwa alle fünfzig Meter liegt am Rand ein totes Pferd. Es waren Pferde, die infolge Futtermittelmangels nicht mehr mitgenommen werden konnten. Sie wurden erschossen.

So marschierten wir bei klirrender Kälte und eisigem Ostwind die Rollbahn lang, die laufend von Schneewehen überlagert war. Durch den tiefen Schnee mußten Fahrzeuge fahren, Pferde und Soldaten durchstapfen. Der durch die Kälte gebildete Pulverschnee, der ja sehr lose war, behinderte das Marschieren besonders, denn ständig rutschte man mit den glatten Ledersohlen der Stiefel aus.

Ich hatte zudem das Pech, daß meine Filzstiefel etwas zu groß waren und sich infolge des ständigen Laufens bei dem rechten Stiefel die Sohle stark vertreten hat, so daß ich mehr schlecht als recht darin laufen konnte. Doch mußten wir marschieren und wieder marschieren, wenn wir auch todmüde waren.

Für unser Gerät und das MG hatten wir uns einen Akja (Finnenschlitten in Form eines Bootes) beschafft, und es gelang uns auch einen herrenlosen Schimmel in einem Dorf zu besorgen, den wir vor unseren Akja spannten. So sparten wir unsere Kräfte, und abwechselnd konnte sich auch mal einer auf den Schlitten setzen. Das Gelände ist hügelig-flach, also kilometerlang aufsteigend und dann wieder abfallend. Wenn jeweils Talsohlen durch die Rollbahn verliefen, erhielten wir oft Granatwerferfeuer von Partisanen, die sich am Rande der Rollbahn versteckt hielten und uns beschossen.

Da wir kaum noch schwere Waffen hatten, konnten wir sie nicht bekämpfen. So wurden diese Senken jeweils im Laufschritt, so schnell jeder konnte, durchlaufen, um dem Granatfeuer zu entgehen. Meist lagen aber schon einige getroffene Soldaten in diesen Senken, die wir nicht mitnehmen konnten, denn wir waren ja die Letzten. Wir hatten bisher jedoch immer Glück und waren gut davongekommen.

Wenn wir abends in Dörfer kamen, wo wir in den Russenhäusern übernachten wollten, waren diese zunächst von ungarischen Soldaten, die ihre Waffen weggeworfen hatten, besetzt. Die Ungarn mußten dann die Häuser räumen, und wir quartierten uns ein. Die Ungarn übernachteten gewöhnlich im Stall, wo sie auch einigermaßen Schutz hatten.

Als wir uns wieder einmal in einem Haus einquartiert hatten, organisierte ich mir ein Huhn. Ich schlachtete und rupfte es und wollte es dann in einem Russentopf im Backofen kochen. Als das Wasser gerade kochte, hieß es plötzlich „Alarm! Der Russe greift an!“

Also alle raus. Partisanen griffen uns an. Nachdem wir die Russen vertrieben hatten, sind wir nicht mehr in unser Russenhaus gekommen, sondern wir setzten uns in der Nacht weiter ab, da wir als Nachhut ja sowieso die letzten waren und die Rückzugskolonnen das Dorf schon geräumt hatten. Hätte ich doch lieber geschlafen, statt ein Huhn zu schlachten, zu rupfen und zum Kochen aufzustellen. Das wäre mir sicher besser bekommen.

Der Rückzug ging unentwegt weiter. Wir marschierten nun bei Tag und bei Nacht und waren unheimlich ermattet und müde. Der Russe versuchte nämlich, die zurückziehenden Truppenteile einzukesseln. Tagsüber wurden wir oft von russischen Schlachtfliegern angegriffen. Im Tiefflug stürzten sie sich auf die rückflutenden Kolonnen. Meist waren es Schlachtflugzeuge IL 2 und auch Jäger. Wir feuerten dann aus allen Rohren, die wir hatten, doch konnten wir mit unseren Infantriewaffen den JL 2 nichts anhaben, denn diese sind gut gepanzert. Die Russen überflogen unsere Kolonnen jedoch immer quer, so daß sie nicht all zu großen Schaden anrichten konnten. Wären sie längs über die Kolonnen geflogen, wäre ihr Erfolg weit höher gewesen.

Da wir uns offensichtlich schon in einem sich nach dem Westen bewegenden Kessel befanden, tauchten hin und wieder einzelne russische Panzer neben uns in etwa 500 bis 800 Meter Entfernung auf, die mit ihren Kanonen wild in die Marschkolonnen schossen. Dann erschallte immer der Ruf „Pak nach vorn!“ – doch von der Pak war weit und breit nichts zu bemerken. Hatten sich die Panzer verschossen, drehten sie wieder ab und verschwanden in der nächsten Geländemulde. Da der Russe noch mit dem Kessel von Stalingrad zu tun hatte, hatte er offensichtlich nicht genügend Truppen frei, um uns stärker anzugreifen.

Wir Infanteristen vom Infanterie-Regiment 768 waren nach wie vor als Nachhut eingesetzt. So bekamen wir auch immer unser Quartier in den letzten Häusern der langgezogenen Russendörfer. Als wir wieder in einem Dorf – wir im letzten Haus – übernachteten, weckten uns plötzlich morgens beim Hellwerden Kanonenschläge aus tiefem Schlaf. Wir machten uns fertig, zogen Tarnanzüge und Stiefel an und rannten aus dem Haus.

Da ich etwas Mühe mit dem Stiefelanziehen hatte, war ich noch ganz allein in dem Raum. Da krachte wieder eine Granate an das Haus in den Vorraum. Ich rannte hinaus und sah an der Hauswand Teile eines Pferdes kleben, und zwei Pferde, die wir angebunden hatten, lagen tot neben dem Haus im Schnee. Auch unseren Schimmel hatte es erwischt. Dann erst bemerkte ich drei russische leichte Panzer, begleitet von etwa 25 Mann Infanterie, die auf uns zufuhren.

Im vorletzten Haus auf der andren Straßenseite war ein Zug Infanterie-Geschütze einquartiert. Die Kanoniere richteten ihre Geschütze und feuerten ziemlich gleichzeitig auf die Panzer, die nun etwa 500 Meter entfernt waren. Ich traute meinen Augen nicht, alle drei Panzer waren getroffen worden und kampfunfähig. Nur die Infanteristen stürmten noch weiter.

Danach habe ich mich auf dem Misthaufen neben dem Haus in Deckung gelegt und mit dem Karabiner in aller Ruhe auf die Russen in ihren braunen Uniformen geschossen. Nachdem diese merkten, daß die Panzer außer Gefecht gesetzt waren, traten sie den Rückzug an. Ich lief dann in das Haus, um nach den anderen Kameraden zu sehen. Doch das Haus war leer. Im Vorraum lag ein verwundeter Soldat, der nicht mehr gehfähig war. Ich fragte ihn, wo die anderen wären. Er sagte: „Alle sind weg. Nimm mich mit und laß mich hier nicht zurück!44 Ich erwiderte ihm, daß ich schauen werde, um die anderen mit dem Schlitten zu holen, damit wir ihn aufladen könnten. So rannte ich also aus dem Haus. Doch weit und breit war kein deutscher Soldat mehr zu sehen.

Die ersten russischen Zivilisten kamen bereits aus ihren Häusern. Ich fragte nach den deutschen Soldaten. Sie wiesen auf das andere Ende des Dorfes, wo das Gelände wieder anstieg. Dort sah ich die letzten von unserem Haufen, mindestens 500 Meter entfernt, im hohen Schnee den Hügel hinauflaufen. So schnell mich meine Füße tragen konnten, wetzte ich nun hinterher, bis ich endlich zum letzten Soldaten, der eine Bodenplatte eines 8-cm Granatwerfers auf dem Rücken trug, aufschloß. Mit dem schweren Trummen konnte er den anderen auch nicht so schnell in dem hohen Schnee folgen, zumal die Straße nach links einen Bogen machte, was ein großer Umweg gewesen wäre. Dem Kameraden in dem Haus konnte ich also nicht mehr helfen, denn ich konnte ihn ja in dieser Situation nicht mitschleppen. Leider weiß ich seinen Namen nicht. Was wird wohl aus ihm geworden sein?

Und weiter ging es nach der Parole „Vorwärts Kameraden, es geht zurück!“

Wie bereits gesagt, wurden wir in Geländesenken verstärkt von russischen Partisanen oder auch Truppen mit Granatwerferfeuer belegt In einer solchen Senke, die wir passierten, lag eine zusammengeschossene Gruppe toter Soldaten und toter Pferde sowie einige Schlitten. Als wir dort ankamen erhielten wir auch Granatwerferfeuer. Da wir nur etwa zwanzig Mann, die Letzten der Letzten, also die Nachhut waren, schwärmten wir sofort aus und nahmen volle Deckung. Darauf feuerten wir mit MG und Karabiner auf die Ivans, was das Zeug hielt. Diese zogen sich danach über den Hügel zurück. Bei den Toten handelte es sich offensichtlich um einen höheren Stab, der sich mit Schlitten abgesetzt hatte und hier von den Russen überrascht worden war. Ich vermute, daß es deutsche Offiziere waren, da sie gute Winterbekleidung, lange schwere pelzgefütterte Mäntel, Pelzmützen und Filzstiefel hatten, die mit ihren Fahrern und Burschen hier zusammengeschossen worden waren.

Als ich mir dann die im Schnee neben den toten Pferden liegenden Soldaten anschaute, bemerkte ich, daß einer davon sich sogar noch bewegte. Doch wir konnten hier nicht mehr helfen, denn wir mußten ja umgehend weiter und durften den Anschluß nicht verlieren, sonst wären wir verloren gewesen. Nicht mal die Erkennungsmarken hatten wir den Toten abgenommen. Allerdings dachte in dieser Situation auch keiner daran. So ging es also weiter hinter der langen Rückzugskolonne her in Richtung Westen.

Am Abend machten wir Quartier in einem Dorf an der Rollbahn. In dem Haus, in dem ich untergebracht war, wohnte eine russische Familie mit einer sehr hübschen Tochter, etwa zwanzig Jahre alt, die gut deutsch sprach und bisher an der Universität in Woronesch Medizin studiert hat. Wegen des Krieges hatte sie ihr Studium aber unterbrochen. Sie war sehr gesprächig. Sie wünschte sich von mir ein Stück Seife, das ich ihr auch schenkte, worüber sie sich freute. Unter anderem fragte sie mich auch nach Fotos aus Deutschland. Ich hatte jedoch nur noch ein Paßfoto von mir dabei. Dieses erbat sie sich von mir, und ich habe es ihr dann auch gegeben. Sie erwähnte, daß sie mit einem deutschen Feldwebel, der in dem Dorf stationiert gewesen war, ein Verhältnis gehabt hatte. Was wird wohl aus ihr geworden sein, als die Russen das Dorf wieder besetzten? Sicher wurde sie als Kollaborateurin behandelt, und so ist sie wohl im Archipel GULAG gelandet oder getötet worden.

Nun sind wir schon tagelang auf dem Rückzug und haben hunderte von Kilometern zurückgelegt. Der Weg führte uns von unseren Stellungen bei Woronesch über Gorschetsnoe Star Oskol – Tschalischni- Kriwetz – über den See, der zugefroren war, in Richtung Obojan. Es wehte ein eisiger Ostwind, der immer wieder auf der Rollbahn Schneewehen von über einem Meter verursachte. Es war bitter kalt, und wir mußten marschieren und marschieren. Wir waren todmüde. Die Verpflegung war sehr mangelhaft, da die Feldküchen nicht in Betrieb genommen werden konnten. Einmal bekamen wir bei einer Pause Bohnenkaffee mit Milch und Zucker. Seit langem mal wieder etwas Warmes in den Magen. In meinem ganzen Leben bis heute hat mir kein Bohnenkaffee mehr so gut geschmeckt wie dieser in den Weiten Rußlands!

Tagsüber war es zwar sehr kalt, doch der Himmel war klar und die Sonne schien. Das richtige Wetter für russische Schlachtflugzeuge, die uns ständig überflogen und beschossen. Gegen Mittag erreichten wir ein Dorf. Die Rollbahn stand voller Fahrzeuge, pferdebespannt, denn Sprit für die motorisierten Fahrzeuge gab es nicht mehr. Alles stoppte. Unter den Zurückflutenden waren auch Kosaken mit ihren Familien in schönen geräumigen Personenschlitten. Sie waren tief in ihre Pelze eingepackt und flohen vor den Russen, denen sie nicht in die Hände fallen wollten.

Unser Zug wurde beauftragt, an einer Dorfeingangsstraße zu sichern, da mit russischen Panzern zu rechnen war. Etwa einhundert Meter vorm letzten Haus bezogen wir Posten. Einige Tellerminen hatten wir bekommen, um die Panzer gegebenenfalls bekämpfen zu können. Wir legten uns also beiderseits der Straße in den Schnee, nachdem wir auf der Straße drei Tellerminen ausgelegt hatten.

Plötzlich tauchten tatsächlich drei russische Panzer auf, die hintereinander in das Dorf fuhren. Wir warfen zwei oder drei Tellerminen auf die Straße und nahmen volle Deckung im Straßengraben, wo der Schnee besonders tief war, so daß die Panzerbesatzungen uns nicht ausmachen konnten. Dann rollten die Panzer an uns vorbei in das Dorf, ohne auf die Tellerminen gefahren zu sein. Offensichtlich lagen die Tellerminen nicht richtig in der Fahrspur. Da wir auf Höhe der Tellerminen im Graben lagen, hätten wir im Falle einer Detonation sicher auch etwas abbekommen. Na, uns war es auch so egal!

Dann hörten wir mehrere Abschüsse und Detonationen im Dorf. Als es wieder weiter ging und wir durch das Dorf kamen, sahen wir die drei russischen Panzer kampfunfähig auf der Straße stehen. Von einer deutschen Panzer-Abwehr-Kanone waren sie abgeschossen worden. Von der Besatzung war nichts mehr zu sehen. An einer Straßengabel sahen wir jedoch eine zurückgelassene deutsche 5 cm Pak, die wohl mangels Munition von der Besatzung aufgeben worden war.

Es ging unaufhörlich zurück. Auch in der Nacht wurde wieder marschiert. Oft mußten wir durch tief verschneite Gräben. Dann kam es auch oft vor, daß die Schlitten der Trosse nicht mehr durchkamen. Wenn die Schlitten nicht mehr flott gemacht werden konnten, wir sie also nicht mehr herausbrachten, wurden die Zugpferde erschossen, damit sie den Russen nicht in die Hände fielen.

Oft sahen wir Ungarn, die mit ihren Seitengewehren den toten Pferden aus dem Hinterteil Fleischstücke herausschnitten, weil sie wohl sonst nichts zu essen hatten. Die ungarische Armee, die am Don eingesetzt worden war, hatte sich nämlich total aufgelöst und die Männer fluten völlig unkontrolliert zurück.

Am Abend machten wir wieder in einem Dorf Quartier. In einem Bauernhaus, in dem zwei Russinnen wohnten, fanden wir Unterkunft. Die Männer machten sich auf dem Boden der Küche breit und einer auf der Bank. Für mich war kein Schlafplatz mehr frei. Also war ich gezwungen, mir auf dem Backofen (dem Schlafplatz der Russen) ein Plätzchen zu suchen. Dort war es vor allem wunderbar warm, so daß ich meine Uniformjacke und die Hose ausziehen konnte. Nachdem ich mich zum Schlafen niedergelegt hatte, kletterten die beiden Russinnen zu mir auf den Backofen und machten es sich neben mir bequem. Ich schlief dann sofort ein. Die eine Russin versuchte zwar, meinen Schlaf zu stören, doch ich ging nicht darauf ein.

Am nächsten Morgen, als es hell wurde, hörten wir Gewehr- und MPi- Feuer im Dorf. Wir kleideten uns schnell an, nahmen unsere Waffen und rannten aus dem Haus. Auf der Dorfstraße kam ein junger Artillerist ohne Kopfbedeckung und ohne Tarnjacke angerannt und rief: „Die Russen haben uns überfallen!“ Die Artilleristen waren am Anfang des Dorfes einquartiert, wir aber waren in der Mitte des Dorfes in dem besagten Haus untergekommen. Wir schwärmten aus und gingen in Deckung. Die Schießerei hörte auf. Von den Partisanen war nichts mehr zu sehen und zu hören. Sie hatten sich wieder zurückgezogen. Ich suchte daraufhin meine Männer zusammen. Keiner war zu sehen. Ich ging in ein Russenhaus, um nach meinen Leuten zu fragen, damit sie sich sammeln und wir den Weitermarsch antreten können. Das Haus hatte einen kleinen Vorbau, so wie ein Windfang. Ich trat ein. Das Zimmer war voll jünger und älterer Männer und Frauen, die zusammengedrängt auf dem Backofen und auf dem Tisch und einer Bank hockten.

Ich fragte sie nach „Germansky Soldat?66. Sie antworteten mit „Niet66, und zeigten in Richtung des Dorfendes. Ich war verunsichert und rannte aus dem Haus. Wie leicht hätten sie über mich herfallen können und mir meine MPi abnehmen können. Doch offensichtlich waren sie genauso erschrocken wie ich. Als ich auf die Straße kam und um eine Biegung lief, sah ich meine Männer die Straße entlang laufen, um den Anschluß an die Marschkolonnen zu bekommen.

Wie immer waren wir die Nachhut, also die Letzten. Und wieder hieß es in dem hohen lockeren Schnee bei eisiger Kälte marschieren, marschieren, marschieren.

Der Tag ging zu Ende. Es wurde dunkel. Und wieder tauchte vor uns ein Russendorf auf. Na endlich! Hier sollten wir Quartier machen. Wieviel Tage waren wir nun schon auf dem Rückzug? Keiner hatte die Tage gezählt, keiner wußte welches Datum wir hatten.

Müde und abgespannt schlichen wir dahin. Auf der Eingangsstraße zu dem Dorf stand eine Kolonne Fahrzeuge, zunächst Lkws. Davor standen zwei leichte Panzer. Auf der Ladefläche eines Lkw sahen wir Menschen liegen. Wir sprachen sie an. Sie antworteten in russisch. Was – das sind ja Russen und zwar Verwundete!

Jetzt bemerkten wir auch, daß es sich um eine russische Kolonne handelte, die hier offensichtlich Quartier gemacht hatte. Die Fahrer und Mannschaften der Kolonne waren sicher im Dorf. Rechts der Straße befand sich eine Obstplantage mit verhältnismäßig großen Obstbäumen. Wir gingen in dieser Obstplantage zunächst in Deckung. Links der Straße sammelte sich die 2. Kompanie. Dann bekamen wir auch schon Feuer aus dem Dorf. Der Russe hatte uns also erkannt! Unser Weg ist abgeschnitten. Der Bataillons-Adjutant (Obltn. Baumann aus Fulda, der Bataillons Kommandeur, ist auf Urlaub) befahl, die Russen anzugreifen und aus dem Dorf zu vertreiben. Unsere Kompanie sollte durch die Obstplantage hindurch, die andere Kompanie neben der Straße, angreifen.

Unser Zugführer, der Feldwebel, befahl mir mit dem MG 34 die Straße zum Dorf hin zu sichern. Ich ging also in Stellung neben der Obstplantage auf der Straße. Dann befahl er mir, mehrere Feuerstöße in Richtung Russe abzugeben, obwohl ich keinen Russen ausmachen konnte. Da wir keine Leuchtpistolen hatten, konnten wir das Gefechtsfeld auch nicht erhellen. Ich lud also mein MG durch und drückte den Abzug. Nur ein Schuß, dann Ladehemmung. Mein MG

schoß nicht mehr. Ich wiederholte es immer wieder, doch das MG funktionierte nicht. Bei der Kälte und dem Schnee war der Patronenzuführhebel offensichtlich vereist. Der Feldwebel brüllte mich an, endlich doch zu schießen. Ich schrie zurück, daß das MG nicht funktionieren würde.

Daraufhin befahl er den Männern seines Zugtrupps an meinem Platz in Stellung zu gehen. Ich sollte verschwinden. Der MG-Schütze 4 und der MG-Schütze 2 des Zugtrupps gingen also in Stellung und gaben einige ungezielte Feuerstöße in Richtung des Dorfes ab. Ich hatte mich inzwischen wieder in die Obstplantage begeben und Deckung genommen. Nun befahl der Kompanieführer, ein junger Leutnant (von Beruf Zollinspektor): „Angriff! Auf – Marsch – Marsch!44 Die Kompanie griff durch die Obstplantage an.

Da mein MG nicht schoß, ich also mehr oder weniger kampfunfähig war, denn was konnte ich schon mit einem nicht funktionierenden MG ausrichten, hielt ich mich zurück.