Black Knights Inc. - Für alle Ewigkeit - Julie Ann Walker - E-Book
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Black Knights Inc. - Für alle Ewigkeit E-Book

Julie Ann Walker

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Beschreibung

Heiß, heißer, Black Knights Inc.

Black Knights Inc.: Nach außen hin ein High-End-Motorradladen - in Wirklichkeit eine Elitespezialeinheit der Regierung, die für die riskantesten und geheimsten Einsätze gerufen wird ...

Als ein schiefgelaufene Mission Jamin "Angel" Agassi dazu zwingt, seine Identität zu ändern, hat er nur noch ein Ziel: den schlimmsten und berüchtigtsten Verbrecherboss ein für alle Mal hinter Schloss und Riegel zu bringen ... und das ist noch die leichtere Aufgabe. Die richtige Herausforderung ist die, Interpol Agentin Sonya Butler davon abzuhalten, herauszufinden, wer Angel wirklich ist - und sie nicht noch tiefer in sein Herz zu schließen. Angel steht nun vor der härtesten Prüfung seines Lebens ...

"Ein grandioser und absolut würdiger letzter Band einer tollen Serie!" BOOKLIST

Der emotionsgeladende Abschlussband der BLACK-KNIGHTS-INC-Reihe!

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Seitenzahl: 505

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Motto

Prolog

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Julie Ann Walker bei LYX

Impressum

JULIE ANN WALKER

Black Knights Inc.

Für alle Ewigkeit

Ins Deutsche übertragen von Michael Krug

Zu diesem Buch

Black Knights Inc.: Nach außen hin ein High-End-Motorradladen – in Wirklichkeit eine Elitespezialeinheit der Regierung, die für die riskantesten und geheimsten Einsätze gerufen wird …

Als ein schiefgelaufene Mission Jamin »Angel« Agassi dazu zwingt, seine Identität zu ändern, hat er nur noch ein Ziel: den schlimmsten und berüchtigtsten Verbrecherboss ein für alle Mal hinter Schloss und Riegel zu bringen … und das ist noch die leichtere Aufgabe. Die richtige Herausforderung ist die, Interpol Agentin Sonya Butler davon abzuhalten, herauszufinden, wer Angel wirklich ist – und sie nicht noch tiefer in sein Herz zu schließen. Angel steht nun vor der härtesten Prüfung seines Lebens …

An alle, die auf kleine oder große Weise versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen: Das hier ist für euch.

Und an alle bei Sourcebooks, die daran mitgearbeitet haben, das Beste aus BKI herauszuholen … juhu!

Lasst uns mit Furcht und Mut und Zorn voranschreiten, um die Welt zu retten.

– Grace Paley

Prolog

Grafton Manor

St. Ives, England

Vor zwei Wochen …

»Man nennt mich Angel.«

Die Stimme des Fremden klang rau und tief. Ruhig. Aber dahinter spürte man scharfkantigen Stahl.

Als er diese vier schlichten Worte sprach, breitete sich das Gefühl einer düsteren Vorahnung in Sonya Butlers Adern aus. Sonya hatte ihn eben erst kennengelernt, und schon konnte sie seine bedrohliche Ausstrahlung fühlen. Sie schien die Luft in der Bibliothek zu durchwirken, bis die Atmosphäre ihre Lunge reizte. Mr Groß-Düster-und-Gefährlich.

Jamin Agassi alias »Angel« war kein Mann, mit dem man sich leichtfertig anlegte.

Wodurch nur umso furchterregender wurde, dass der Mann gerade Lord Grafton gegenübersaß, ihrem Boss, dem unangefochtenen König der Unterwelt.

»Angel, sagen Sie?« Grafton legte die Fingerspitzen unter dem bärtigen Kinn aneinander. Er hatte schwarze Knopfaugen. Manchmal fand Sonya, dass sie tot wirkten, doch in jenem Moment funkelten sie vor Erregung.

Grafton hatte irgendetwas gegen Angel in der Hand.

Ihre ungute Vorahnung verstärkte sich ungefähr zehnfach.

Grafton beugte sich auf seinem Ledersessel nach vorn und wischte über das Tablet, das auf seinem Schreibtisch lag. Mit demonstrativer Konzentration las er das auf dem Display schimmernde Dokument, beinah so, als wäre er schwer von Begriff. Sonya wusste es besser. Es war bloß eine List.

Grafton trieb ein verstörendes Katz-und-Maus-Spiel. Er hatte das größte Verbrechenssyndikat des Planeten nicht durch mangelnde Intelligenz aufgebaut. In den sechs Monaten, die sie mittlerweile als seine rechte Hand fungierte, war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass er der vielleicht durchtriebenste Mensch war, den sie je kennengelernt hatte.

Und ohne jede Frage der skrupelloseste.

Und wie zum Beweis …

»Aber laut meinen Quellen« – Grafton warf Angel einen Blick zu – »lautet Ihr richtiger Name Majid Abass.« Das Funkeln in Graftons Augen schwoll beinah zu einem Glühen an. Als Nächstes würde folgen, was er am meisten genoss. Der Hab-ich-dich-Moment. »Oder ist Ihnen Ihr Spitzname vielleicht geläufiger? Soll ich Sie lieber Schattenprinz nennen?«

Um nicht hörbar nach Luft zu schnappen, biss sich Sonya auf die Innenseite der Wange. Ungläubig wanderte ihr Blick über den Fremden. Beim Namen Majid Abass hatte bei ihr nichts geklingelt. Bei Schattenprinz hingegen setzte ein ganzes Glockenkonzert ein.

Nein, dachte sie. Er kann es nicht sein. Seit der Explosion in Teheran hat niemand den Schattenprinzen gesehen oder etwas von ihm gehört.

Während sie neben Graftons Schreibtisch stand wie der brave kleine Lakai, der sie war, beobachtete sie aufmerksam Angels Reaktion. Oder besser gesagt deren Ausbleiben. Er verharrte so regungslos, dass er genauso gut ein Gemälde hätte sein können. Nichts ließ darauf schließen, was ihm durch den Kopf ging oder was er empfand.

»Man nennt mich Angel.« Sein kratziger Ton blieb unverändert. Seine Augen waren pechschwarz und … nicht tot. Nicht wie die von Grafton. Sie wirkten lediglich ausdruckslos.

Grafton lachte über Angels Imitation einer hängen gebliebenen Schallplatte. Es war ein trockener, knackender Laut, der an schwere Stiefel erinnerte, die über morsche Knochen hinwegtrampelten.

»Kommen Sie schon«, sagte Grafton in tadelndem Ton. »Sie können die Scharade aufgeben. Ich weiß alles über Sie.« Er wischte über sein Tablet, bis er das Dokument fand, das er suchte. Dann hielt er das Gerät hoch und las mit seinem englischen Akzent: »Majid Abass, aufgewachsen in Teheran. Keine Geschwister. Eltern verstorben. Sie haben mit einem Stipendium die Universität besucht und dort Kerntechnik studiert. Von dort hat Sie die iranische Regierung in ihre Ränge rekrutiert. Man wollte Ihre Hilfe bei dem heimlichen Unterfangen, eine Bombe zu bauen. Die Bombe.« Grafton legte das Tablet beiseite. »Kommt Ihnen irgendetwas davon bekannt vor?«

Eine gefühlte Ewigkeit lang versuchten Angel und Grafton, sich gegenseitig in Grund und Boden zu starren. Tote Augen lieferten sich ein Duell mit unergründlichen Augen.

Spannung lag spürbar in der Luft. Sonya musste jedes Quäntchen Willenskraft aufbieten, um nicht zappelig von einem Bein aufs andere zu treten. Nachdem sie an einem Knopf ihrer Bluse genestelt und ihn zurechtgerückt hatte, verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken. Sie presste die Finger zusammen und verlagerte die Anspannung in ihren Schultern nach unten in die Handflächen, wo sie unbemerkt bleiben würde.

Aus fünf Sekunden wurden fünfzehn. Fünfzehn zogen sich zu dreißig hin. Sonya wagte kaum zu atmen. Oder sich die Nase zu kratzen, die zu jucken begonnen hatte – was den kranken Sinn des Universums für Humor bewies.

Zu ihrer Überraschung schaute Grafton als Erster weg. Er blickte zu dem Tablet auf seinem Schreibtisch und fuhr damit fort, die Informationen auf dem Display zusammenzufassen. »Aber statt ihrem Vaterland dabei zu helfen, eine Atommacht zu werden, haben Sie sich dem israelischen Mossad angeschlossen, dem eingeschworenen Todfeind des Irans.«

Bei der Erwähnung des israelischen Geheimdiensts zuckte Sonya unwillkürlich zusammen. Zum Glück bemerkten es weder Grafton noch Angel.

»Und in den fünf Jahren, die sie als Doppelagent im Iran gearbeitet haben« –, sprach Grafton weiter und hob einen Finger –, »haben Sie die Steuerrechner der Zentrifugen mit dem heimtückischen Stuxnet-Virus infiziert und die Funktionstauglichkeit der Produkte sabotiert.« Ein zweiter Finger hob sich. »Sie haben persönlich zwei iranische Wissenschaftler eliminiert, die den Auftrag hatten, Sprengköpfe so zu verkleinern, dass sie auf Interkontinentalraketen passen.« Ein dritter Finger gesellte sich zu den ersten zwei. »Und Sie haben eine Bombe in einer geheimen Raketenbasis in Teheran gelegt, drei Dutzend Männer der Revolutionsgarde getötet und den iranischen Vorrat an Shahab-Langstreckenraketen in einen Haufen aus verbogenem Stahl und Trümmern verwandelt.«

Wieder legte Grafton die knorrigen Finger unter dem Kinn aneinander. »Nur sind Sie dabei aufgeflogen, nicht wahr? Die Iraner haben zu viele Details zusammengezählt, und alle haben auf Sie gezeigt. Also …« Grafton verengte die Augen zu Schlitzen. Der Schein der Flammen im Kamin warf tänzelnde Schatten über seinen dunklen Teint. Es war August, dennoch herrschten an der Küste von Cornwall kühle, feuchte Verhältnisse, und gegen beides ging man in dem zugigen, alten Herrenhaus am besten mit einem stetig knisternden Feuer an. »Das ist die Stelle, an der es wirklich interessant wird. Irgendwie ist es dem Mossad gelungen, Sie aus dem Iran zu schmuggeln. Sie sind nach Europa geflüchtet, wo ein talentierter plastischer Chirurg aus diesem Gesicht …« Grafton scrollte durch das Dokument, bis er bei einem Foto innehielt. Er hob das Tablet an und drehte es zu Angel. »… dieses Gesicht gemacht hat.« Er zeigte mit einem Finger genau zwischen Angels pechschwarze Augen.

Immer noch keine Reaktion von Angel. Keine Regung der Lippen. Kein Zucken der Wimpern. Der Fremde, der wie eine dunkle Rauchwolke in Grafton Manor erschienen war, undurchsichtig und Unheil verkündend, war entweder sehr, sehr gut oder wirklich nicht der, für den ihn Grafton hielt.

Letzteres würde Sonya schockieren. Grafton unterliefen keine Fehler. Zumindest nicht oft.

Immerhin hat er mich eingestellt, nicht wahr?, dachte sie, fest entschlossen, das zum größten Fehler seines Lebens werden zu lassen.

Als Grafton das Tablet zurück auf den Schreibtisch legte, spähte sie zu dem Bild auf dem Display und verschluckte sich beinah an der eigenen Zunge. Sie musste sich wohl durch ein Geräusch verraten haben, denn Grafton sah sie an und legte die Stirn in Falten.

»Was ist?« Er folgte der Richtung ihres starren Blicks zurück zu dem Foto. »Haben Sie noch nie ein Bild des Schattenprinzen gesehen? In Ihrer früheren Laufbahn muss Ihnen doch mal eines untergekommen sein.«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie der Spitzname andeutet, war seine Identität immer in Dunkelheit gehüllt.«

»Ah. Tja, dann kann ich mich wohl glücklich schätzen, dass ich dieses hier habe, oder? Vielleicht sollte ich Benton die Gehaltserhöhung geben, wegen der er mir seit Monaten in den Ohren liegt.« Grafton lächelte, als er den jungen Computerhacker in seinen Diensten erwähnte.

Sonya hörte den Mann kaum. Sie ging zu sehr darin auf, das Foto auf dem Tablet zu studieren.

Grafton schaute von ihr zum Tablet und wieder zurück. »Trotzdem machen Sie mir den Eindruck, dass Sie ihn erkennen.«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf.

Graftons leicht hochgezogene rechte Augenbraue verriet, dass ihn ihre einsilbige Antwort nicht zufriedenstellte.

Sonya holte tief Luft und bemühte sich, nicht beim Geruch seines waldigen Eau de Cologne zu würgen, nach dem es in jedem Zimmer des Hauses penetrant miefte, auch in ihrem. Igitt. »Aber der Mann auf dem Foto sieht tatsächlich wie jemand aus, den ich vor langer Zeit gekannt habe«, räumte sie ein.

»Wirklich?« Grafton klang neugierig, und das ging gar nicht. Für ihren Geschmack wusste er ohnehin entschieden zu viel über sie.

»Jemand, der gestorben ist«, stellte sie klar und hoffte, dass er den Fall damit als erledigt betrachten würde. Jemand mit denselben schneidigen Augenbrauen und mit derselben ernsten Stirn, fügte sie in Gedanken hinzu. Jemand, den ich geliebt habe.

Obwohl der abgebildete Mann eine kleinere Nase und eine ausgeprägtere Kieferpartie sowie pechschwarze statt herzlichen, schokoladenbraunen Augen besaß, gab es genug Ähnlichkeiten, um etliche wunderschöne Erinnerungen durch ihren Geist wirbeln zu lassen. Ihr Herz zog sich qualvoll zusammen, denn der Verlust schmerzte selbst nach zehn Jahren immer noch höllisch.

»Ach, Sonya …« Graftons Lächeln wurde leicht süffisant. »In Liebesangelegenheiten haben Sie wirklich gar kein Glück, nicht wahr? Zuerst ein Toter und jetzt ein internationaler Verbrecher.«

Sonya blinzelte, als ihr klar wurde, dass ihr ein Teil dessen, was sie empfand, ins Gesicht geschrieben stand. Sorgsam bändigte sie ihre Züge, zuckte mit einer Schulter und widerstand dem Drang, Grafton direkt auf die selbstgefällige, aristokratische Nase zu schlagen.

Er schmunzelte, denn er wusste durchaus, welche Antipathie sie für ihn empfand, und er schwelgte in der Macht, die er über sie hatte. Wenn sie die Hände noch fester hinter dem Rücken zusammenpresste, würden die Fingernägel die Haut durchdringen.

Nachdem er ihr einige Sekunden lang tief in die Augen gesehen hatte – sie stumm davor warnte, etwas von sich zu geben, und ihr gleichzeitig vermittelte, wer das Sagen hatte –, wandte er sich wieder Angel zu.

Mit einem Seufzen atmete Sonya erleichtert durch.

Bevor sie unter Druck in Graftons Dienste eingetreten war, hatte sie ihn für einen schlechten Menschen gehalten. Und jetzt? Tja, mittlerweile wusste sie, dass er nicht bloß ein schlechter Mensch war, sondern der schlechteste Mensch überhaupt.

Sie fragte sich, ob es der Teufel höchstpersönlich leid geworden war, sich in der Hölle mit Grafton zu messen, und den Mann deshalb auf der Erde abgeladen hatte. Daraus ergab sich, dass es einem Blick ins Antlitz des wahren Bösen glich, Graftons intensivem Starren ausgesetzt zu sein. Sonya fühlte sich dadurch immer ein wenig kaputt. Als würde sich ein Teil seiner Verkommenheit wie ein Wurm durch ihre Augenhöhlen in ihr Gehirn schlängeln und darin giftige Eier ablegen.

Grafton tippte auf das Foto und sah Angel an. Wie Sonya gehofft hatte, ließ er das Thema ihres unseligen Liebeslebens fallen und kehrte zu seinem vorherigen Gedankengang zurück. »Kompliment an Ihren plastischen Chirurgen. Sie waren ja schon von vornherein ein attraktiver Mann, aber …« Er sprach den Satz nicht zu Ende und wartete darauf, dass Angel etwas sagte. Irgendetwas.

Angel reagierte jedoch nur, indem er eine dunkle Augenbraue leicht hochzog.

Sonya nützte die Gelegenheit, um sein Gesicht zu mustern. Grafton hatte recht. Falls es sich bei Angel tatsächlich um den Mann auf dem Foto handelte, hatte sein Schönheitschirurg einen extrem guten Tag erwischt, als er Angels neues Konterfei geformt hatte.

Hohe Wangenknochen, breite Stirn, solide Kieferpartie. Sein perfektes Profil bettelte geradezu darum, auf eine Münze geprägt zu werden.

Tatsächlich sah Angel so umwerfend aus, dass Sonyas Eierstöcke jubilierten. Als er jedoch den starren Blick einen flüchtigen Moment lang auf sie richtete, drohte er damit, ihren Uterus zu schrumpfen und sie in eine verfrühte Menopause zu stürzen.

Wieder erfüllte Sonya die unbestreitbare Gewissheit, dass mit dem Mann, der Grafton gegenübersaß, nicht zu spaßen war. Graftons Hausbibliothek hatte gewaltige Ausmaße, gefüllt mit Bücherregalen, die sich über zwei Etagen erstreckten, randvoll mit Erstausgaben, bei deren Anblick Sonyas Herz höherschlug, und mit antiken Möbeln von Sotheby’s, die mehr als drei Jahresgehälter kosteten. Dennoch wirkte der Raum durch Angels Anwesenheit geradezu beengt.

Konnte er tatsächlich der Schattenprinz sein? Der Mann, den westliche Nachrichtenagenturen dafür verehrten, dass er den Iran im Alleingang daran gehindert hatte, zur Atommacht aufzusteigen? Ganz zu schweigen davon, dass er die Welt wahrscheinlich vor einem Nuklearkrieg bewahrt hatte.

Grafton seufzte, ein Hinweis darauf, dass ihn Angels Schweigsamkeit allmählich frustrierte. Als er erneut die Dokumente auf seinem Tablet durchsah, wusste Sonya, dass er zum Vernichtungsschlag ausholte. War es nicht bei ihr genauso gelaufen, als er sie vor sechs Monaten zu einem Treffen zu sich bestellt hatte?

»Na schön«, sagte er. »Dann soll es wohl die harte Tour sein. Was für ein Klischee.« Obwohl er angewidert die Oberlippe verzog, wusste Sonya, dass er jede Minute dieses gefährlichen Tanzes genoss. Gewiefte Gegner, hochkarätige Gegner in die Knie zu zwingen, streichelte sein Ego und förderte sein unaufhörliches Streben nach Macht. Nach noch mehr Macht.

Grafton schob das Tablet über den Schreibtisch und drehte das Gerät so herum, dass Angel die Zeile mit Zahlen sehen konnte, die ganz oben am Display schimmerte.

»Sollte ich wissen, was das bedeutet?«, fragte Angel mit seiner kratzigen Stimme. Wenn sich Sonya nicht irrte, hatte er sich die Stimmbänder abscheuern lassen. Und wie er sprach … So präzise. Falls er wirklich Iraner war, konnte man es unmöglich merken. Seine Syntax verriet nicht das Geringste. Und sein Akzent? Manche Worte klangen überaus amerikanisch. Aus anderen hörte man die harten, im Arabischen verbreiteten Konsonanten heraus. Aus wieder anderen stachen die weichen, runden Vokale der romanischen Sprachen hervor.

»Das ist die direkte Telefonnummer zum Anführer der Revolutionsgarde.« Grafton setzte wieder sein süffisantes Lächeln auf. »Ich habe gehört, er und seine Männer haben Mittel und Wege, Leute zum Reden zu bringen. Vielleicht können die Sie ja dazu bewegen, Ihre wahre Identität zuzugeben.«

Angels unergründliche Maske verrutschte eine Spur. In seiner Kieferpartie zuckte ein Muskel, in seinen Augen blitzte blanker Hass auf.

»Wer sind Sie?« Seine Stimme klang so tief und so bedrohlich, dass die Worte wie eine Warnung vor einem langsamen, qualvollen Tod klangen.

Nein. Keine Warnung. Ein Versprechen.

Sonya überdachte den Titel, den sie ihm zuvor verpasst hatte, und taufte ihn um in Mr Groß-Düster-und-Tödlich.

»Sie wissen, wer ich bin. Ich bin Lord Asad Grafton, Vizevorsitzender der Konservativen Partei und geschäftsführender Eigentümer der Land Stakes Corporation.«

»Nein. Wer sind Sie wirklich?«

Sonya geriet in Versuchung, lauthals zu rufen: Spider! Er ist der berüchtigte Spider! Lauf! Lauf weg, bevor du dich in seinem klebrigen Netz verfängst!

Graftons Lächeln wurde entschieden giftig. »Ich bin der Mann, der Ihr Leben in den Händen hält.«

Einige Herzschläge lang verweigerte der Fremde, der darauf bestand, Angel genannt zu werden, eine Erwiderung. Als er schließlich das Wort ergriff, hörte sich seine raue Stimme kehlig an. »Was wollen Sie von mir?«

»Ah.« Grafton lehnte sich zurück und wirkte überaus selbstzufrieden. »Das ist einfach. Ich möchte, dass Sie mir helfen, das spaltbare Material zu beschaffen, das man zum Bau einer Atomwaffe braucht.«

Sonyas Unterkiefer klappte so jäh und heftig auf, dass es einem Wunder gleichkam, dass er nicht auf den Boden zu ihren Füßen plumpste.

1

Heute …

»Du wurdest mit dem Dolch in der Hand und mit dem Herz eines Kriegers in der Brust geboren.«

Diese Worte hatte der Ramsad – der Leiter des Mossad – zu Angel in der Nacht gesagt, in der er von Angel verlangte, den eigenen Tod vorzutäuschen und die Identität eines iranischen Studenten anzunehmen. Der Nacht, in der er von Angel verlangte, sich zwischen der Frau, die er liebte, und der Stabilität der gesamten Welt zu entscheiden. Der Nacht, in der Angel vom Ramsad erklärt bekam, dass die Mission im Iran wahrscheinlich mit Angels Tod enden würde. Oder falls Angel doch irgendwie überlebte, standen die Chancen für ihn schlecht, je wieder die glitzernden, von der Sonne verwöhnten Gestade seiner Heimat zu sehen.

Angel ließ den Blick über den weitläufigen Rasen des Gartens hinter Graftons Haus wandern. Den muskelbepackten Wachleuten, die dafür sorgten, dass Angel das Anwesen seit jenem ersten, verhängnisvollen Treffen nicht mehr verlassen hatte, schenkte er keinerlei Beachtung. Er lehnte sich gemütlich auf die dicke Polsterung des Liegestuhls zurück und tröstete sich mit dem Wissen, dass der Blick freundlicher Augen auf ihn gerichtet war.

Um jenen freundlichen Augen zu beweisen, dass es ihm bestens ging, drehte er das Gesicht der schwachen englischen Sonne zu und lenkte die Gedanken bewusst von der Gegenwart ab, ließ sie in eine glücklichere Zeit zurückkehren. In eine Zeit, als er noch nicht Jamin »Angel« Agassi oder Majid Abass gewesen war, der Schattenprinz. In eine Zeit, als er noch lediglich Mark Risa war, frischgebackener Mossad-Agent, noch grün hinter den Ohren und fest entschlossen, der Welt und der Gemeinschaft der Geheimagenten seinen Stempel aufzudrücken, indem er einen palästinensischen Terroristen zur Strecke bringen wollte, der verantwortlich für einen Bombenanschlag auf eine Synagoge in Jerusalem war. In eine Zeit, als man ihm zur Unterstützung eine Interpol-Agentin zugeteilt hatte, selbst noch genauso grün hinter den Ohren …

»Entschuldige. Bist du Mark Risa?«

Die Stimme, die an seine Ohren drang, sprach mit einem herrlichen hebräischen Akzent und klang so mild und kultiviert wie die Schokolade, die zu Hause bei Max Brenner verkauft wurde. Er löste die Aufmerksamkeit von der Dame mittleren Alters, die mit ihrem Hund am Café Constant in der Rue Saint-Dominique vorbeispazierte, und von dem Mann mit dem dünnen Schnurrbart, der sie mit halb geschlossenen Lidern beobachtete. Stattdessen schaute er zu der jungen Frau auf, die neben seinem Tisch im Gastgarten stand. Die Sonne befand sich hinter ihr und zeichnete einen leuchtenden Schein um ihren Kopf. Noch bevor ihm ihre großen blauen Augen, ihr an Erdbeeren mit Sahne erinnernder Teint und ihr verschmitztes, verhaltenes Lächeln auffielen, schwirrte ihm ein Wort durchs Hirn.

Elfenprinzessin.

Nach einem höflichen »Darf ich?« trat sie aus der Sonne und nahm ihm gegenüber Platz. An der Stelle wurde ihm klar, dass sie keineswegs ein überirdisches Fabelwesen war, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut. Ein ausgiebiger Blick auf sie, und seine Libido sprang auf und hechelte wie ein Hund in der Hitze des Sommers.

Platz, Junge, schalt er sich innerlich, als sie ihm die Hand zum Schütteln entgegenstreckte. »Ich bin Sonya Butler.«

Bei einem Blick auf ihre aneinandergelegten Finger fiel ihm zweierlei auf. Erstens: Im Vergleich zu seiner überdimensionierten Männerpranke nahm sich ihre Hand geradezu lächerlich zierlich aus. Und zweitens: Sie hatte sich die Nägel grell-rosa lackiert.

Grell-rosa Nagellack? Was für eine Interpol-Agentin macht so was?

Anscheinend Sonya Butler.

In dem Moment entschied er spontan, dass er sie mochte. Sie versuchte nicht zu beweisen, wie tough oder ernst sie war. Diese grell-rosa Fingernägel besagten: Ich kann jung und lebensfroh sein und trotzdem die Bösen fangen. Pfeif auf dich, wenn du mir nicht glaubst.

»Sollen wir irgendwohin gehen, wo wir reden können?« Als sie den Blick über das gut besuchte Café und den von Leuten wimmelnden Pariser Bürgersteig wandern ließ, betrachtete er ihr anmutiges Profil und die üppige Fülle ihres honigblonden Haars. In einem Wort zusammengefasst war sie atemberaubend. Nicht wunderschön im traditionellen Sinn. Dafür fand er die Wangen ein wenig zu drall, die Nase eine Spur zu schmal. Aber die funkelnde Intelligenz und der Humor in ihren Augen, ganz zu schweigen von ihrem sinnlichen Mund, genügten ohne Weiteres, um einen Mann jäh innehalten und sich nach ihr umdrehen zu lassen.

Als sie die Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete, runzelte sie die Stirn und fragte nach wie vor auf Hebräisch: »Du bist dochMark Risa, oder?«

Ihm wurde bewusst, dass er seit ihrem Eintreffen noch kein Wort von sich gegeben hatte.

»Entschuldigung.« Er knackte mit dem Kiefer und versuchte, die Anspannung in seinem Gesicht zu lockern, während er sich gleichzeitig bemühte, die abtrünnigen Gedanken zur Räson zu bringen. »Ja. Ich bin Mark Risa. Ist mir ein Vergnügen, dich kennenzulernen, Sonya.«

Ihr verhaltenes Lächeln kehrte zurück, und er spürte es wie einen Schlag in die Magengrube.

Äußerst unpraktisch.

Das war seine Chance, den Ramsad mit Stolz zu erfüllen und dem Mann zu beweisen, dass er goldrichtig damit gelegen hatte, ihn direkt aus der Armee zu rekrutieren und zu einem der elitärsten Spione der Welt auszubilden. Mark musste sich auf die Mission konzentrieren, nicht auf die betörende Form von Sonyas Hals oder den zu schnellen Puls, der neben dem Kragen ihrer cremefarbenen Bluse pochte.

»Wir haben ein paar Dinge zu bereden.« Sie tippte auf den Aktenordner unter ihrem Arm. An den Winkeln ihrer blauen Augen zeigten sich leichte Fältchen, als könne sie seine Gedanken lesen.

Gott, bitte lass sie nicht meine Gedanken lesen.

»Richtig.« Er stand auf und bedeutete ihr, ihm zu einer Gasse zu folgen, die seitlich entlang des Gebäudes verlief. Eine Außentreppe zeigte den Weg zu einer Wohnung im ersten Stock – einem von vielen sicheren Verstecken, die der Mossad weltweit unterhielt. Er ging die Stufen hinauf voraus, weil er sich nicht der Verlockung eines Ausblicks auf ihren Hintern in dieser eng anliegenden schwarzen Hose aussetzen wollte.

»Du hast einen bezaubernden Akzent.« Er fingerte am Schloss. Ihre Gegenwart hinter ihm auf dem schmalen Absatz – ganz zu schweigen von ihrem Geruch, frisch und süß wie Freesien und Aprikosenblüten – beschleunigte seinen Herzschlag. »Wo hast du Hebräisch gelernt?«

»Mein Vater war zwei Jahre lang als Diplomat in Jerusalem, und Fremdsprachen sind mir schon immer leichtgefallen. Wodurch der Sprung von der Diplomatentochter zur Interpol-Agentin fast schon selbstverständlich wurde.«

»Wie viele Sprachen sprichst du?« Als er über die Schulter schaute, sog er überrascht die Luft ein, da sie ziemlich nah hinter ihm stand. Nah genug, um sie zu berühren, wenn er wollte.

Oh, und ob ich will!

Mark glaubte nicht an Liebe auf den ersten Blick. Allerdings hatte sich Lust auf den ersten Blick als wissenschaftliche Gewissheit erwiesen. Oder zumindest als biologische Gewissheit.

»Fünf«, antwortete sie.

»Wie bitte?«

»Fünf Sprachen.« Wieder zeigten sich leichte Fältchen an den Winkeln ihrer blauen Augen. Nein. Nicht blau. Aus der Nähe betrachtet stellte er fest, dass die Farbe in Wirklichkeit irgendwo zwischen Blau und Grau lag. Eine zarte, sanfte Schattierung, die einen krassen Gegensatz zu jenen grell-rosa Fingernägeln bildete.

»Fünf? Tatsächlich?« Er schüttelte den Kopf. Insgeheim lachte er darüber, dass er das Klischee eines typischen Mannes erfüllte, der keinen klaren Gedanken fassen konnte, sobald eine attraktive Frau in sein Blickfeld geriet. Wenn mich mein Ramsad jetzt sehen könnte, würden mir seine Verwünschungen die Schamesröte ins Gesicht reiben … »Das ist eine mehr als ich.«

»Du sprichst vier Sprachen?« Sie legte den Kopf schief. »Parlez-vous français?«

»Kein Französisch. Nur Hebräisch, Arabisch, Englisch und ein bisschen Jiddisch.«

»Dann haben wir drei gemeinsam. Nicht übel.« Sie hatte zu Englisch gewechselt, und ihre Ausdrucksweise brachte ihn zum Grinsen. »An der Kommunikation zwischen uns dürfte es schon mal nicht scheitern.«

Auch er hatte zu Englisch gewechselt. »Sag bloß, du sprichst Jiddisch.«

Sie lachte. Bei dem sinnlichen, rauchigen Laut breitete sich eine Gänsehaut über seinen Körper aus. »Mit Jiddisch kann ich leider nicht dienen. Aber mit Arabisch. Ich hab drei Jahre lang in Jordanien gelebt, während mein Vater in der Botschaft in Amman gearbeitet hat.«

Als es ihm endlich gelang, die verflixte Tür aufzusperren, schob sie sich an ihm vorbei und ließ keine Hemmungen erkennen, es sich gemütlich zu machen. Auch das gefiel ihm an ihr. Sie griff sich einen Stuhl an dem kleinen Bistrotisch in der Ecke der Küche. Das Fenster stand offen. Der Geruch frischer Kräuter, die in einer Blumenkiste neben der Tür wuchsen, wehte zu ihnen herein.

Als sie die Handtasche und den Aktenordner auf dem Tisch ablegte, erhaschte er einen flüchtigen Blick auf die Ecke eines Buchs mit Hardcover, das oben aus der Handtasche lugte. Was eine Frau wie sie wohl liest?, fragte er sich. Dann lenkte sie ihn ab, indem sie den Ordner öffnete und das oberste Blatt Papier zu ihm schob. »Ist dir Englisch, Hebräisch oder Arabisch lieber?« Vorerst sprach sie nach wie vor Englisch.

»Such’s dir aus.«

»Dann Englisch.« Mit strahlender Miene sah sie ihm direkt in die Augen. »Dein Akzent ist übrigens auch bezaubernd.«

Bevor die Anmerkung einwirken konnte, wurde sie ernst und fügte hinzu: »Das sind sämtliche Informationen, die man bei der Préfecture de police de Paris über deine Zielperson finden konnte. Ich arbeite weiter mit den Leuten zusammen, um zu arrangieren, was immer du brauchst, aber vorläufig ist das dein Ausgangsmaterial.«

In fiktiven Werken wurde Interpol wie U. N. C. L. E. dargestellt und entsandte Agenten, die bei der Verfolgung international gesuchter Verbrecher volle Befehlsbefugnis über die örtliche Polizei hatten. In Wirklichkeit jedoch führte Interpol selbst weder Ermittlungen noch Strafverfolgung durch. Es handelte sich um eine Organisation, die man gegründet hatte, um die Kooperation und Kommunikation zwischen Polizeiapparaten verschiedener Länder zu fördern.

Als Mark auf Informationen gestoßen war, die andeuteten, seine Zielperson könnte nach Paris geflohen sein, hatte er sich an Interpol gewandt, weil er kein Französisch konnte. Er hatte gehofft, man würde ihm jemanden zur Seite stellen können, der seine Bemühungen mit jenen der örtlichen Gendarmerie koordinierte. Dabei hatte er durchklingen lassen, dass er sich am wohlsten dabei fühlen würde, mit jemandem zu arbeiten, der Englisch oder Hebräisch beherrschte. Geschickt hatte man jemanden, der beides sprach.

Zwei Stunden lang saßen Sonya und er zusammen und diskutierten die spärlichen Informationen in der Akte, und er übergab ihr die Fragen, die sie für ihn an ihren Ansprechpartner bei der Pariser Polizei richten sollte. Erst nachdem die Sonne untergegangen war und als sein Magen ungeduldig knurrte, wurde ihm klar, wie viel Zeit vergangen war.

Er sah sie über den Bistrotisch in der winzigen Wohnung in Paris hinweg an und sprach fünf Worte, die den Beginn einer Reise kennzeichneten. Einer Reise, die damit enden sollte, dass er sein Herz verlor … und die letzte Chance darauf, ein normales Leben zu führen.

»Iss mit mir zu Abend …«

»Ich habe gesehen, dass Sie vor Kurzem mit dem Satellitentelefon ihre Quelle angerufen haben. Was haben Sie herausgefunden?«

Graftons gestelzter englischer Akzent holte Angel aus seinen Gedanken zurück. Oder vielmehr Spiders gestelzter englischer Akzent.

Oh ja. Angel wusste haargenau, mit wem er es zu tun hatte.

Seine Kollegen im Oberhaus kannten Asad als den allseits geachteten Lord Grafton. Aber wer im Dreck und im Bodensatz hauste, der kannte ihn als den allmächtigen Spider. Waffenhändler. Menschenhändler. Beschaffer von Blutdiamanten und Financier von Piraterie. Sammler von Wertgegenständen. Zerstörer von Leben. Das Arschloch des Arschlochs eines Arschlochs.

Aber letztlich ist er auf einen ebenbürtigen Gegner gestoßen, dachte Angel und verbarg sein verstohlenes Lächeln.

»Er war einverstanden, sich mit mir zu treffen«, teilte er Grafton mit. Kurz verstörte ihn der Klang der eigenen Stimme, nachdem er in Gedanken so viel Zeit als sein früheres Ich verbracht hatte. Von allen Verwandlungen, die er im Namen des Schutzes der westlichen Zivilisation vollzogen hatte, fand er am einschneidendsten, was man mit seinen Stimmbändern gemacht hatte. Er klang wie ein lebenslanger Kettenraucher, obwohl er in Wirklichkeit nie auch nur einen Zug von einer Zigarette probiert hatte. »Aber ich muss zu ihm. Er weigert sich, zu mir zu kommen«, fügte er hinzu.

Grafton runzelte die Stirn. »Zu ihm wohin?«

»Moldawien. Er behauptet, er hätte Angst, das Land zu verlassen. Zu viele seiner Kameraden wurden beim Versuch, die Grenze zu überqueren, von den Behörden geschnappt.«

»Zweifellos nicht zuletzt dank Ihnen.«

Angel zog eine Braue hoch und zuckte mit den Schultern. Geübt setzte er eine Miene äußerster Sorglosigkeit auf. Denn erstens: Er war nicht besorgt. Und zweitens: Er wusste, dass seine Teilnahmslosigkeit Grafton auf die Palme treiben würde. In den zwei Wochen auf dem Anwesen des adeligen Verbrechers hatte Angel herausgefunden, dass Lord Grafton – der daran gewöhnt war, dass sich die Leute förmlich überschlugen, um zu tun oder zu sagen, was immer er wollte – kaum etwas mehr hasste.

»Ach, jetzt hören Sie aber auf, Majid«, meinte Grafton höhnisch. Allerdings konnte Angel sehen, wie sich die Nasenflügel des Mannes vor Frustration blähten. »Ihnen muss doch klar sein, dass ich mehr über Sie weiß, als ich am Abend unserer ersten Begegnung habe durchscheinen lassen.«

»Man nennt mich Angel.«

Grafton winkte genervt ab. Seit ihrem ersten Treffen in der Bibliothek weigerte sich Grafton, ihn anders als mit Majid anzureden. Und Angel? Tja, der weigerte sich, auf etwas anderes als Angel zu reagieren. Nur einer der zahlreichen Schwanzlängenvergleiche zwischen ihnen.

»In Anbetracht der Aufgabe, mit der ich Sie betraut habe«, fuhr Grafton fort, »muss Ihnen doch klar geworden sein, dass ich tonnenweise Informationen darüber besitze, was Sie seit Ihrer Flucht aus dem Iran getrieben haben.«

»Tatsächlich?«

»Soll ich es Ihnen beweisen?«

»Sie hören sich selbst gern reden, oder?«

Ein Muskel zuckte in Graftons Kieferpartie, dann jedoch holte er tief Luft und lächelte. Ein schmieriges Lächeln. Das Lächeln eines Mannes, der dachte, er hätte etwas in der Hand, das Angel bis in die Tiefen seiner Seele ängstigen würde.

»Unter einer weiteren falschen Identität« – Grafton machte eine ausholende Geste – »nutzen Sie Ihre Fachkenntnisse über spaltbares Material vom Schwarzmarkt und Ihre Kontakte in den Netzwerken von Nachrichtendiensten. So helfen Sie westlichen Regierungen, eine Gruppe von Dieben davon abzuhalten, ihren illegalen Kernmaterialvorrat an zwielichtige Abnehmer zu verkaufen. Und gleichzeitig sind Sie inzwischen nah dran herauszufinden, wer genau diese Diebe sind und wo sie sich verkrochen haben.«

Wieder musste Angel darauf achten, sich ein inneres Lächeln nicht anmerken zu lassen.

Fakten waren das A und O jeder ordentlichen falschen Identität. Es war erheblich schwieriger, eine Vorgeschichte zu erschaffen, als eine zurechtzubiegen. Hinzu kam, dass die überzeugendsten und glaubhaftesten Lügen immer fast ausschließlich aus Wahrheiten zusammengestückelt wurden.

Daher: Ja, alles, was Grafton über ihn wusste, entsprach der Wahrheit.

Was Grafton jedoch nicht wusste, war, dass der Mossad die Regierung der Vereinigten Staaten nach Angels Verlassen des Iran gebeten hatte, ihn zu verstecken. Der damalige US-Präsident hatte entschieden, der beste Ort, um Angel und sein neues Gesicht vor dem Zugriff der Iraner zu schützen, wären die elitären Ränge von Black Knights Inc., eines verdeckt für die Regierung arbeitenden Unternehmens.

Durch die Black Knights – oder genauer gesagt die uneingeschränkte Unterstützung von Boss, dem Leiter von BKI – hatte Angel die Freiheit für all die Dinge gehabt, die ihm Grafton gerade vorgeworfen hatte.

»Und weiter?« Er achtete darauf, dass seine Züge völlig teilnahmslos blieben. »Wollen Sie nun, dass ich das Treffen mit meiner Quelle arrangiere oder nicht?«

Grafton verengte die Augen zu Schlitzen. Dass er leicht die Oberlippe verzog, verriet deutlich, wie sehr ihn irritierte, dass sich Angel keinerlei Entsetzen über den Umfang seines Wissens anmerken ließ. Gleich darauf wurden seine Züge verschlossen. »Sind Sie sicher, dass es der richtige Mann ist? Zwei verdammte Wochen lang haben Sie nämlich behauptet, Sie könnten sich eben nicht sicher sein.«

»Weil er mir zwei Wochen lang nicht genug vertraut hat, um meine Fragen zu beantworten. Und ohne Antworten auf diese Fragen konnte ich unmöglich wissen, ob er ein legitimer Verkäufer ist oder nicht.«

»Und jetzt wissen Sie es?«

Angel nickte.

»Woher?«

»Weil er mir letztlich verraten hat, woher sein Material stammt.«

»Und woher stammt es?«

»Aus derselben abgeschotteten russischen Militäranlage wie alle anderen Proben, die dank meiner Mithilfe vom Schwarzmarkt verschwunden sind.«

Grafton kniff die Brauen zusammen. »Und warum haben Sie ausgerechnet diese Quelle« – Grafton zeichnete Anführungsstriche in die Luft – »früher nie gefasst?«

»Seine Identität ist mir erst sechzehn Stunden, bevor Sie mich hierher zitiert haben, bekannt geworden.«

»Ich habe Sie nicht hierher zitiert. Ich habe Sie hierher eingeladen.«

Angel gestattete sich ein Schnauben.

»Na schön, vielleicht habe ich Sie ja doch her zitiert.« Grafton rieb sich die Hände. »Und was für ein Glück für mich, dass Sie so passend von einem legitimen Verkäufer genau des Materials erfahren haben, das ich brauche.« Grafton ließ den Blick über den Rasen wandern, die Augen leicht verengt, als hätte etwas sein Interesse erregt.

Hätte Angel weniger Vertrauen in seine Teamkameraden gehabt, hätte ihn vielleicht die Sorge beschlichen, Grafton könnte sie in der Ferne gesichtet haben. So jedoch wartete er lediglich, bis Grafton das Interesse an dem verlor, was seine Aufmerksamkeit erregte, und sich wieder auf die Unterhaltung konzentrierte.

Es dauerte nicht lange. Aus den Zügen des adeligen Mistkerls sprach Entschlossenheit, als er sich wieder Angel zuwandte. »Moldawien, sagen Sie?« Als Angel nickte, fügte er hinzu: »Lassen Sie mich ein paar Leute anrufen und einige Details klären, danach holen wir Ihren Kontakt wieder ans Satellitentelefon und nennen ihm ein Datum und eine Uhrzeit. Den Ort für das Treffen suche ich aus.«

Statt etwas zu erwidern, starrte Angel ihn nur an und gab sich dabei keine Mühe, seine Verachtung zu verbergen.

Grafton schmunzelte. »Je schneller Sie sich mit der neuen Situation abfinden, Majid …«

»Man nennt mich Angel.«

»… desto besser ist es.«

»Für wen?« Angel verengte die Augen. »Für Sie oder für mich?«

»Für uns beide.«

»Lecken Sie mich am Arsch.«

Graftons Grinsen wurde spöttisch. »Vorsicht, Majid. Im Moment brauche ich Sie, deshalb ist mir daran gelegen, Sie am Leben und in einem Stück zu lassen. Das dürfte aber nicht ewig so bleiben, also täten Sie gut daran, dafür zu sorgen, dass ich Sie mag.«

»Wie ich schon sagte:« – Angel lächelte – »Lecken Sie mich am Arsch.«

Der Muskel in Graftons Kieferpartie zuckte erneut heftig, bevor sich der Mann abwandte und ins Haus davonstapfte. Angel drehte sich auf dem Liegestuhl nicht herum, sah ihm nicht nach. Stattdessen ging er in Gedanken all die Möglichkeiten durch, wie er den Drecksack mit bloßen Händen töten könnte.

Was er als zutiefst befriedigenden Denksport empfand.

»Oh, la vache. So sollten Sie wirklich nicht mit ihm reden.«

Beim Klang der Stimme schloss Angel die Augen. Immer noch samtig und kultiviert. Immer noch erinnerte sie ihn an heiße Schokolade. Oh, la vache war Französisch und bedeutete oh, mein Gott, zumindest hatte sie es ihm einst so erklärt. Dass sie in anderen Sprachen als der fluchte, die sie gerade benutzte, war ein Spleen, der ihn immer zum Lächeln gebracht hatte. Also damals. Vor langer, langer Zeit.

Natürlich lächelte er im Augenblick nicht. Er brummte nur zur Erwiderung.

»Ich mein’s ernst«, betonte sie.

»Was kann er schon tun?« Er zuckte mit den Schultern. »Mir die Iraner auf den Hals hetzen? Mich selbst umbringen?«

»Ja und ja.«

Sonya stand neben dem nächsten Liegestuhl. An diesem Tag trug sie ihre übliche Arbeitsuniform, die aus einer maßgeschneiderten Hose und einer eng anliegenden Bluse bestand. Einige Dinge hatten sich nicht geändert. Ihrer Garderobe gelang es immer noch, zugleich professionell und geradezu verboten sexy zu wirken, zudem hatte sie wie üblich ein Buch in der Hand. Sie hatte schon immer die Klassiker geliebt, und es war alles andere als ungewöhnlich, eine Ausgabe der Romane von Austen, Hemingway oder der Geschwister Brontë in ihrer Handtasche zu finden.

Manche Dinge hingegen hatten sich sehr wohl geändert. Der grell-rosa Nagellack war verschwunden. Ersetzt von schlichten, unlackierten Nägeln dezenter Länge.

Eine deutliche Erinnerung daran, dass es sich bei der Frau, die so nah bei ihm stand, nicht mehr um dieselbe Frau handelte, die Angel in Paris kennengelernt hatte. Jene Frau damals hatte gestrahlt, hatte dermaßen vor Farben und Licht gestrotzt, dass sie ihn an eine Neonreklame erinnert hatte. Jene Frau hatte sich vor nichts gefürchtet, hatte mit ihm gelacht und geliebt und in ihm den Wunsch geweckt, ein besserer Mensch zu werden, der beste Mensch überhaupt. An der Stelle jener Frau von damals stand nun eine Verräterin, eine nichtsnutzige Stiefelleckerin, die für einen der verabscheuungswürdigsten Männer des Planeten arbeitete und …

Angel würgte den Gedanken ab und stand auf.

Er konnte es kaum ertragen, dieselbe Luft wie sie zu atmen oder ihr süßes Parfum zu riechen, das ihn immer noch an Freesien und Aprikosenblüten erinnerte. Die traurige Wahrheit lautete, dass ein Teil von ihm sie trotz ihres Absturzes, trotz dessen, was aus ihr geworden war, noch immer liebte.

Und nicht nur ein Teil, sondern jede Faser von ihm wollte sie immer noch …

2

»Warum verschwinden Sie jedes Mal so schnell wie eine Kakerlake in grellem Sonnenschein, wenn Sie mich sehen?«

Sonya stellte die Frage an Angels entschwindenden Rücken. Als er unvermittelt stehen blieb und jäh die Schultern straffte, fiel ihr auf, dass nicht nur sein Gesicht der Inbegriff von Perfektion war. Auch sein Körperbau fiel in diese Kategorie.

Er besaß die durch und durch maskuline V-Form. Breite Schultern verjüngten sich zu einer schmalen Taille, nach der ein hoher, straffer Hintern und lange, muskulöse Beine folgten. Seine Arme strotzten vor Kraft. Adern traten deutlich an der sonnengebräunten Haut seiner Unter- und Oberarme hervor.

Einfach ausgedrückt verkörperte er ein Musterbeispiel der männlichen Anatomie, zudem hatte ihm Mutter Natur eine mehr als üppige Dosis einer überaus potenten Droge injiziert: Testosteron.

Seit er das Anwesen betreten hatte, litt Sonya unter einem schweren Fall des Syndroms der verbotenen Früchte. Was sie absurd fand, denn zum einen kannte sie ihn ja kaum – und was sie über ihn wusste, hatte sie bis ins Mark erschüttert. Zum anderen hatte er eingewilligt, mit Grafton zusammenzuarbeiten, dem Abschaum der Erde, um genug spaltbares Material für eine Atombombe zu beschaffen, und das war schlicht und ergreifend … falsch. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, hatte sie diese Art der sofortigen Anziehungskraft bisher erst einmal erlebt, vor langer Zeit. Damals hatte sie einen völlig anderen, aber genauso wunderschönen und geheimnisvollen Mann kennengelernt. Jenem Mann war sie so heftig und so schnell verfallen, dass sie nicht mehr gewusst hatte, wo ihr der Kopf stand. Und die Landung nach dem Höhenflug? Die hätte sie beinah umgebracht.

Also ja. Es wäre überaus ratsam für sie, all die unschicklichen Gedanken abzuwürgen und tief zu vergraben. In ihrer Fantasie malte sie sich aus, wie sie ein sechs Meter tiefes Loch buddelte, ihre lächerliche Libido hineinwarf und Berge von Erde draufschüttete.

So. Erledigt. Sie wischte sich imaginäre Hände ab und nickte zufrieden.

Langsam drehte sich Angel ihr zu. Seine pechschwarzen Augen verengten sich, als sein Blick eine gemächliche Erkundung ihres Körpers antrat und an besonders interessanten Stellen innehielt.

Prompt kroch Sonyas dämliche, untote Libido aus dem frisch geschaufelten Grab hervor. Verdammt noch mal! In Gedanken scheuchte sie die aufmüpfige Zombie-Emotion zurück in den klaffenden Schlund ihrer letzten Ruhestätte. Diesmal fasste Sonya den Entschluss, sie hineinzuwerfen und mit schnell härtendem Beton zu übergießen.

»Mir war nicht bewusst, dass ich wie eine Kakerlake in grellem Sonnenschein verschwinde«, sagte er mit dieser kratzigen, kaputten Stimme in jenem seltsam förmlichen Ton und jenem stetig wechselnden Akzent, wodurch sich unmöglich bestimmen ließ, woher er ursprünglich stammte.

Zweifellos bezweckte er genau das damit. Er achtete darauf, dass ihn dadurch und durch das Abschaben seiner Stimmbänder keine Stimmerkennungssoftware der Welt identifizieren können würde. Wenn er wirklich der Schattenprinz war – und davon war Sonya nach den zwei Wochen, die er sich auf dem Anwesen aufhielt, überzeugt –, dann kämmten die Iraner den gesamten Planeten nach ihm ab. Eine Fatwa war vom aktuellen Ayatollah gegen ihn ausgerufen worden. Er hatte im Namen Allahs den Kopf des Schattenprinzen verlangt.

»Tja, tun Sie aber«, versicherte sie ihm.

»Und warum kümmert Sie das?«

Merde. Damit hatte er ein triftiges Argument. Warum eigentlich?

Sonya öffnete den Mund. Und schloss ihn. Öffnete ihn erneut. Nichts drang heraus. Kein einziges Wort.

Der Mann verdiente den Titel des Königs der Unterhaltungskiller.

»Tief Luft holen«, riet er ihr, nachdem er einige Sekunden lang beobachtet hatte, wie sie einen gestrandeten Fisch mimte. »Das hilft beim Entspannen.«

»Wer sagt, dass ich nicht entspannt bin?«

»Ich.«

»Und woher wollen Sie wissen, ob ich entspannt bin oder nicht?«

»Der erste Hinweis war, dass sich Ihre Schultern an Ihre Ohrläppchen annähern.«

Erwischt.

Stockend blies sie die Luft aus und zwang sich, die Schultern zu senken. »Es kümmert mich deshalb, weil ich nicht miterleben will, wie ein anständiger Mensch stirbt«, teilte sie ihm wahrheitsgetreu mit.

»Sind Sie sicher, dass ich überhaupt ein anständiger Mensch bin?«

»Wenn Sie der sind, für den Grafton Sie hält, dann eilt Ihnen Ihr Ruf voraus.«

Danach wurde er still. Zu still. Ohne Unterhaltung, die Sonya als Ablenkung heranziehen konnte, blieb ihr nur, sich auf seinen intensiven Blick zu konzentrieren. Und der genügte, um sie von einem Bein aufs andere treten zu lassen.

Als sie es keine Sekunde länger aushielt, fügte sie hinzu: »Und außerdem bin ich ziemlich gut darin, Menschen einzuschätzen.«

»Trauen Sie sich mal lieber nicht zu viel zu.«

Wow. Okay. Also … »Sie mögen mich nicht besonders, was?«

»Ich kenne Sie nicht.«

Sonya schmunzelte zwar, doch es lag keine Fröhlichkeit darin. »Mag sein. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie mich nicht mögen.«

Angel stimmte weder zu, noch widersprach er. Wie immer verriet sein Gesichtsausdruck nicht das Geringste. Komisch, denn sie hatte den Eindruck, dass unter seiner kalten, berechnenden Fassade ein feuriger Kessel voll Emotionen brodelte.

»Darf ich erfahren, warum?«, fragte sie.

»Warum was?«

»Warum Sie mich nicht mögen.«

»Was gibt’s da schon zu mögen?«

Sie wusste nicht, was sie von ihm erwartet hatte, aber mit Sicherheit nicht das. »Wie bitte?«

»Ich sagte, was gibt’s da schon zu mögen?«

»Ja.« Sie schürzte die Lippen. »Ich hab Sie schon beim ersten Mal verstanden. Was ich eigentlich hätte erwidern sollen, ist: ¿Está loco, compadre? Und falls Sie kein Spanisch beherrschen, das bedeutet: Geht’s noch, Freundchen?«

»Sie arbeiten für ihn.« Angel deutete mit dem Daumen über die Schulter, wodurch sich ihre Aufmerksamkeit auf seine Hand heftete.

Er besaß umwerfende Hände mit breiten Handflächen und langen Fingern. In der Vergangenheit hatten sich so starke und wunderschöne Hände wie die seinen über ihren Körper bewegt und ihr Freuden beschert, wie Sonya sie nie davor und niemals wieder erlebt hatte. Im Ernst, solche Hände sollten als Nationalheiligtümer registriert werden.

»Sie doch auch«, merkte sie an. »Also, Sie arbeiten für ihn, meine ich.«

»Unter Zwang und Protest.«

Sie schnaubte. »Und wieso in Dreiteufelsnamen glauben Sie, dass es bei mir anders wäre?«

»Ist es das denn?« Er zog eine Augenbraue hoch. Für seine Begriffe kam das vollwertiger Gesichtsakrobatik gleich.

»Nein!« Sonya stapfte auf ihn zu und umklammerte Graftons Erstausgabe von Eine Geschichte aus zwei Städten so fest, dass der Einband leise knarzte. Sie bemühte sich, nicht darauf zu achten, als die Spitze ihres linken Ballerinas die Lederspitze von Angels schwarzem Kampfstiefel berührte. Füße gehörten doch nicht zu den erogenen Zonen, oder? Jedenfalls keine vollständig beschuhten Füße, richtig? »Entweder arbeite ich für ihn und beuge mich seinen Wünschen, oder er sorgt dafür, dass ich im Gefängnis lande.«

Etwas blitzte in Angels Augen auf. Irgendeine Emotion. Allerdings konnte sie ums Verrecken nicht sagen, welche.

»Was hat er gegen Sie in der Hand?« Der Mann stellte seine beste Imitation eines Nachtklub-Rausschmeißers zur Schau. Breite, beeindruckende Schultern, vor der Brust verschränkte Arme und ein Gesichtsausdruck, der besagte: Ich trete so was von gern in Ärsche, also leg dich lieber nicht mit mir an.

Seine Frage verdutzte Sonya. Angel gab nie etwas über sich preis – und er zeigte mit Sicherheit niemals genug Interesse an jemand anderem, um eine persönliche Frage zu stellen. Vielleicht lag es an ihrer vorrübergehenden Verblüffung, dass sie sich dabei ertappte, frei von der Leber weg zu sprechen.

»Vor Lord Grafton hab ich für Interpol gearbeitet. Es gab da einen Mann … einen anständigen Mann, der in eine üble Lage geschlittert war. Ich hab ihm geholfen, sich der Verhaftung zu entziehen.«

Ein Schmetterling suchte sich jenen Augenblick aus, um an ihnen vorbeizuflattern. Er ließ sich auf einem der in gepflegter Reihe neben der großen Terrasse gepflanzten Rosenbüsche nieder. Sonya erfuhr einen waschechten Forrest-Gump-und-Jenny-Moment. Nur dass sie kein Vogel sein und weit, weit wegfliegen wollte. Sie wollte dieser Schmetterling sein. Wunderschön und befreit von jeglichen Gedanken und Sorgen.

Seit mittlerweile entschieden zu langer Zeit plagten Sonya entschieden zu viele Gedanken. Zu viele Sorgen.

»Ich wusste, dass der Mann nur deshalb eine Reihe von Edelsteinen gestohlen hatte, weil er dazu gezwungen worden war. Weil er in der Zwickmühle gesessen hatte«, erklärte sie. »Und ich wusste auch, dass er so was nie wieder tun würde, also …« Sie zuckte mit den Schultern.

»Wo kommt Grafton dabei ins Spiel?«

Eine weitere Frage. Was für ein großartiger Tag.

»Meine Vorgesetzten bei Interpol hatten die Vermutung, ich könnte dem Gesuchten zur Flucht verholfen haben, sie konnten es aber nicht beweisen. Grafton hingegen konnte es. Ich meine, er kann es noch immer. Irgendwie hat er die Aufzeichnungen von Telefongesprächen zwischen dem Dieb und mir in die Finger bekommen. Wenn ich nicht weiter für ihn arbeite, übergibt er die Beweise an die Behörden. Dann wäre ich schneller hinter Schloss und Riegel, als man ›Verräter‹ sagen kann. Abtrünnige Agenten kann Interpol so gar nicht ab.«

»Lieben Sie ihn?«

Sonyas Unterkiefer klappte auf. Zum Teil, weil sie damit bei drei – drei – vollwertigen Fragen von Angel hielten. Sie hörte das Lachen von Graf Zahl aus der Sesamstraße dröhnend durch ihren Kopf hallen. Größenteils jedoch, weil … War der Spinner von allen guten Geistern verlassen?

»Natürlich nicht.« Sonya sah sich um und senkte die Stimme. »Grafton ist der letzte Dreck. Nein, schlimmer als das. Er ist ein einzelliger Organismus, der auf dem letzten Dreck wuchert. Und ganz egal, was er behauptet oder verspricht oder wie lang man für ihn arbeitet, glauben Sie bloß nicht, man könnte ihm auch nur für eine Sekunde vertrauen. Er würde einem lächelnd die Hand schütteln, während er einem gleichzeitig ein Messer in den Rücken rammt.«

»Nein. Nicht Grafton. Den Juwelendieb.«

Die Sonne, die sich hinter einer großen, flauschigen Wolke versteckt hatte, lugte hervor und schien grell in Angels dunkle Züge, in seine Augen. Verblüfft stellte sie fest, dass sie nicht so pechschwarz waren, wie sie gedacht hatte. Stattdessen wiesen sie eine zutiefst dunkelbraune Schattierung auf, die Sonya an starken türkischen Kaffee erinnerte.

Einige angespannte Sekunden lang spielte sie mit dem Gedanken, ihm die Wahrheit zu sagen. Merkwürdigerweise wollte sie ihm in jenem Moment die Wahrheit sagen. Aber die Logik – und ihr Selbsterhaltungstrieb – behielten die Oberhand. »Ja. Früher, meine ich«, log Sonya.

Angel knackte mit dem Kiefer – ein Ruck des Kinns zur Seite mit einem begleitenden Geräusch. Es war schnell vorbei, in kaum einer Sekunde. Dennoch genügte es, um Sonya in einen Eisblock zu verwandeln.

Der Wind wehte flüsternd über die Landschaft von Cornwall, zum ersten Mal seit Monaten warm und einladend, dennoch fühlte sich die milde Brise für Sonya wie eine arktische Bö an. Eine Gänsehaut breitete sich über ihre Arme aus. Ihre Kopfhaut kribbelte. Dutzende Erinnerungen bestürmten ihr Gehirn.

Sie blickte suchend in Angels Augen, hielt Ausschau nach einem Hinweis auf irgendetwas Vertrautes. »Sprechen Sie Hebräisch?«, fragte sie ihn in eben dieser Sprache.

»Entschuldigung. Was?« Er blieb bei Englisch.

Sie schüttelte den Kopf und lachte innerlich über sich, weil sie Geister sah. »Nichts. Manchmal glaub ich, durch die sechs Monate, die ich schon für Grafton arbeite, hab ich nur noch Grütze im Hirn. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Nein.«

»Ha!« Er wirkte so … ernst bei seiner Antwort. Ohne nachzudenken, legte sie ihm die Hand auf den Arm. »Das war eine rhetorische Frage.«

Oder zumindest wollte sie das sagen.

Allerdings schaffte sie es nur durch die Hälfte des Satzes. Kaum berührten ihre Finger seinen Unterarm, durchzuckte sie ein jäher Bewusstseinsblitz, der ihr die Sprache restlos verschlug. Unter den feinen Härchen an ihrem Nacken bildeten sich winzige Schweißperlen. Seine heiße Haut brachte ihre Handfläche zum Brennen und Jucken.

Sie wollte ihn. Also … wollte ihn. Die Intensität des Erlebnisses ließ sie unwillkürlich die Augen aufreißen und verstummen.

»Sie sollten sich in Acht nehmen.«

Bei seinen rauen Worten schnellte ihr Blick von ihrer Hand, die sich so blass von seinem Arm abhob, zu seinem Gesicht. Wie immer blieben seine Züge unlesbar, dennoch ließ sich das Aufblitzen einer Emotion in seinen Augen nicht übersehen. Ob es sich dabei um Zorn, Abscheu oder dasselbe Einsetzen von Lust wie bei ihr handelte, vermochte Sonya jedoch nicht zu sagen.

»In Acht wovor?«, fragte sie atemlos, zog die Hand zurück und krümmte die Finger um die Wärme, die seine Haut hinterlassen hatte.

»Vor mir.«

Die zwei Worte schienen vibrierend über die Terrasse und den Rasen zu dröhnen. Und in ihr widerzuhallen.

Sie wurde verängstigt … und ein klein wenig erregt.

Es ist offiziell. Ich verliere allmählich den Verstand.

»Werden Sie’s tun?«, erkundigte sie sich im verzweifelten Versuch, die Unterhaltung – und sich selbst – wieder in die Spur zu lenken. Dabei musste sie sich räuspern, denn sie klang, als hätte jemand ihre Stimmbänder mit einem Scheuerschwamm bearbeitet.

»Was tun?«

»Grafton helfen, das gewünschte Material in die Hände zu bekommen.«

»Was hab ich schon für eine Wahl?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich meine, Sie haben sich gegen Ihr eigenes Land gewandt und sich auf die Seite des Feinds geschlagen, um zu verhindern, dass eine Atombombe in unappetitliche Hände gerät. Das verleitet mich zu dem Glauben, dass Sie kein Mensch sind, der das eigene Leben über das Gemeinwohl stellt. Jedenfalls haben Sie es damals nicht getan. Ich schätze, ich frage mich wohl, ob Sie es jetzt wirklich tun würden.«

»Sagt die Frau, die früher daran gearbeitet hat, Menschen wie Grafton das Handwerk zu legen, und jetzt an seiner Seite steht.« Sonya errötete angesichts des Tadels, den sie aus seiner Stimme heraushörte. »Menschen ändern sich.«

»Tun sie das wirklich?« Sie musterte ihn eingehend.

»Alle Anzeichen deuten auf ein Ja.«

»Ich bin mir da nicht so sicher.«

Er legte den Kopf schief. Sein schwarzes Haar war kurz gestutzt, doch die Spitzen ließen eine leichte Wellung erkennen. Sonya fragte sich, ob er lockiges Haar hätte, wenn es länger wäre.

Sie liebte lockige Behaarung bei Männern. Es verzauberte sie, wie sich die seidigen Strähnen um ihre Finger wickelten, wenn sie hineinfuhr und …

»Wie ich sehe, freunden Sie beide sich an.« Graftons Stimme ließ Sonya zusammenzucken und sich jäh einen Schritt von Angel entfernen. Erst da erkannte sie, wie seine hochofenartige Körperwärme sie umhüllt hatte. Im Vergleich dazu fühlte sich der warme Tag erschreckend kalt an.

»Ja. Wir sind eine große, glückliche Familie.« Sonya gab sich keine Mühe, den Sarkasmus aus ihrer Stimme zu verbannen.

Grafton richtete einen warnenden, eindringlichen Blick auf sie. »Ein gut gemeinter Rat, meine liebe Sonya. Lassen Sie ihn« – er zeigte mit einem Finger auf Angel – »nicht auf Sie abfärben. Sie wissen, dass ich von vorlauten Schlampen nichts halte.«

Zwei hochrote Flecke loderten auf ihren Wangen. Ihr Instinkt forderte sie auf, sich Grafton entgegenzuschleudern und ihm die Augen aus dem Verbrecherschädel zu kratzen. Zum Glück behielt ihre Vernunft die Oberhand. »Tut mir leid«, murmelte sie. Wenn sie noch verbissener mit den Zähnen knirschte, würden wie womöglich explodieren. »War nur ein kleiner Ausrutscher.«

»Achten Sie besser darauf, dass Ihnen davon nicht mehr allzu viele unterlaufen.«

Angel beobachtete sie nach wie vor, doch Sonya konnte sich nicht dazu durchringen, seinem Blick zu begegnen. Dafür fühlte sie sich zu sehr gedemütigt. Außerdem wollte sie, dass weder er noch Grafton die in ihren Augen tobende Wut bemerkte.

»Wir brechen morgen nach Moldawien auf«, fuhr Grafton fort, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie sich wieder wie seine kleinlaute, unterwürfige persönliche Assistentin verhielt. »Kann uns Ihre Quelle noch am selben Tag treffen, Majid?«

»Man nennt mich Angel.«

Grafton seufzte. »Wie Sie meinen. Kann sich Ihre Quelle morgen mit uns treffen?«

»Ich denke, das sollte der Mann einrichten können.« Angel löste den Blick nicht von Sonya. Sie spürte ihn wie eine körperliche Berührung, wie eine Hand unter dem Kinn, die sie zwang, zu seinem unerbittlichen Starren aufzuschauen. Als sie es tat, gefiel ihr nicht, was sie in seinem Gesicht entdeckte. Durch seine Ausdruckslosigkeit schimmerten Enttäuschung und … Mitleid.

Selbstekel brannte wie Batteriesäure in ihrem Magen und blubberte ihr in die Speiseröhre hoch. Sonya schluckte ihn hinunter und zuckte bei dem klebrigen Laut zusammen, der aus ihrer Kehle drang. Ein matter Laut. Ein niedergeschlagener Laut. Sie hasste das Geräusch, obwohl sie wusste, dass sie genau so klingen sollte.

»Aber ich muss das Telefon benutzen, um meine Quelle anzurufen«, fügte Angel hinzu. »Nur, um mich zu vergewissern.«

»Natürlich.« Mit einer ausholenden Geste eines Arms gab Grafton zu verstehen, dass Angel ins Haus vorausgehen sollte. Mobiltelefone gestattete Grafton nicht auf dem Anwesen. Jegliche Anrufe mussten über sein Satellitentelefon erfolgen. Zum einen, um zu verhindern, dass die Behörden die Gespräche abhören konnten, zum anderen, um sicherzustellen, dass Grafton haargenau wusste, mit wem seine Lakaien telefonierten.

Er hatte sich seinen Status als Herrscher über die Verdammten nicht so lange bewahrt, indem er nachlässig war.

Angel drehte sich Grafton nicht sofort zu. Stattdessen begegnete er Sonyas Blick volle fünf Sekunden lang, während der sie Mühe hatte, die Lunge mit Luft zu füllen. Dann wirbelte er auf dem Absatz herum und verschwand ins Haus.

»Sie kommen natürlich auch mit.« Bei Graftons Äußerung schwenkte Sonyas Blick von einem der schönsten Männer, den sie je gesehen hatte, zu einem der widerlichsten.

Na schön, wenn sie ganz ehrlich sein wollte, sah Grafton nicht unbedingt schlecht aus. Er hatte sich trotz seiner über fünfzig Lebensjahre gut gehalten. Kaum ein graues Haar oder eine Falte. Durch seine gemischte Herkunft paarte sich bei ihm dunkle Haut mit herausragenden Merkmalen, was für einen ansehnlichen Gesamteindruck sorgte. Seine Seele jedoch war rabenschwarz und verkommen, und das zeigte sich sowohl in seinem toten Blick als auch in seinem schleimigen Lächeln.

»Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen in Moldawien helfen kann«, meinte sie zu ihm. »Dort spricht man Rumänisch. Das beherrsche ich nicht.«

»Sie werden andere Dienste erbringen.« Beim Anblick von Graftons selbstgefälligem Grinsen hätte sie sich am liebsten übergeben. »Außerdem vertraue ich Ihnen nach dem kleinen Anflug von Sarkasmus vor einigen Augenblicken nicht wirklich genug, um Sie allein hier zu lassen. Eigentlich dachte ich schon, Sie hätten sich endlich mit Ihrer Rolle abgefunden. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Also seien Sie ein braves Mädchen, trollen Sie sich und packen Sie Ihre Siebensachen. Wir haben morgen einen frühen Flug.«

Nur zu gern hätte Sonya erwidert, er solle sich verpissen – oder noch lieber hätte sie es Angel gleichgetan und Grafton mitgeteilt, er könne sie gepflegt am Arsch lecken. Aber sie zwang sich stattdessen zu einem Lächeln und stakste an ihm vorbei ins Haus.

Erst, nachdem sie die Treppe hinaufgestiegen war, die Tür ihres Zimmers geschlossen und ihr Buch aufs Bett geworfen hatte, wurde ihr bewusst, dass Angel nicht ihre Frage beantwortet hatte. Die Frage, warum er früher bereit gewesen war, sich für das Gemeinwohl zu opfern, nun jedoch nicht mehr.

Er hatte lediglich gemeint, dass sich Menschen änderten. Aber irgendetwas, irgendein sechster Sinn oder ein Anflug von Intuition verriet Sonya, dass er sich überhaupt nicht verändert hatte.

3

Mitternacht …

Geisterstunde.

Oder in Angels Fall: die vereinbarte Zeit, um all die verbündeten Augen, die das Landhaus beobachteten, in den aktuellen Plan einzuweihen.

Er warf die Decke in dem Zimmer zurück, das ihm Grafton zugeteilt hatte, sprang aus dem großen Himmelbett und ging zum Fenster, um durch die schweren Vorhänge zu spähen. Einer von Graftons halslosen Muskelbergen schlurfte unten mit schwerfälligen Schritten über den gepflegten Rasen des Anwesens. Zweifellos war der Kerl nicht gerade begeistert davon, Patrouillendienst in der Nachtschicht zu schieben.

Angel wartete, bis der Halslose um die Ecke verschwand. Er wusste, dass ihm nur etwa zwanzig Sekunden blieben, bevor der nächste Wachmann auftauchen würde – an muskelbepackten Brutalos hatte Grafton nicht gespart. Angel nahm die Armbanduhr ab und drehte das Ziffernblatt dem Fenster zu. Dann drückte er den Knopf an der Seite der Uhr und beobachtete, wie das Gerät aufleuchtete.

Der Morsecode stellte eine alte, aber in einer solchen Situation unheimlich wirkungsvolle Form der Kommunikation dar. Als der nächste Wachmann um die Ecke kam, hatte Angel die Hälfte seiner Botschaft übermittelt.

Er beobachtete, wie der zweite Halslose vorbeischlenderte, dachte über die verschiedenen Möglichkeiten nach, den Mistkerl ins Reich der Träume zu schicken, und hob anschließend erneut die Armbanduhr, um den Rest der Botschaft zu senden, sobald der Wachmann um die Ecke des Landhauses gebogen war.

Dann wartete Angel. Er wartete, während ein dritter Wachmann erschien und wieder verschwand. Er wartete, während sich eine Wolke vor den Mond schob und die Gegend in tiefe Schwärze tauchte.

Sein Blick blieb auf die sanft hügelige Landschaft konzentriert. Erleichtert seufzte er, als ihm ein in der Ferne flackerndes Licht verriet, dass man seine Botschaft empfangen hatte. Gleich darauf wurde ihm eine Kurzzusammenfassung seiner Übertragung zurückgemeldet. Am Ende blinkte es dreimal lang, gefolgt von einmal lang, einmal kurz und noch einmal lang.

Angel antwortete auf dieselbe Weise. Der Morsecode für okay. Und so einfach wurde der Plan beschlossen.

Hervorragend, dachte er und fand es tröstlich, dass er bei diesem Einsatz nicht allein auf weiter Flur kämpfte. Die krassen Teufelskerle – und Teufelskerlinnen – von Black Knights Inc. deckten ihm den Rücken.

Er liebäugelte mit dem Gedanken, ins Bett zurückzukehren, zu der weichen Matratze, zu den flauschigen, warmen Decken. Doch ganz gleich, wie einladend der Gedanke sein mochte, er konnte sich nicht vormachen, dass der Sandmann tatsächlich in Erscheinung treten würde. Wahrscheinlich, weil ihn der Sandmann bereits vor zwei Wochen abserviert hatte, seit er nur vier Türen von Sonya entfernt untergebracht war.

Nein. Halt.

In Wirklichkeit seit Monaten. Seit die Black Knights herausgefunden hatten, dass Spider, ihre ultimative Zielperson, Lord Grafton war und die heiße Blondine, die ihm nicht von der Seite wich, niemand anders als Sonya Butler, die Liebe von Angels Leben.

»Verflucht noch eins«, brummte er in die Stille seines Zimmers.

Sein Hirn hatte immer noch Mühe, das zu verarbeiten. Wie konnte die tapfere, schneidige Frau, die er gekannt und geliebt hatte, dieselbe Frau sein, die den Kopf hängen ließ und vor Graftons herrischem Auftreten und fiesen Forderungen buckelte? Wie?

Er konnte es sich nur so erklären, dass mehr an der Geschichte dran sein musste. Hatte Grafton abgesehen von den Beweisen gegen sie auch gegen jenen Juwelendieb etwas in der Hand? Kannte er vielleicht den Aufenthaltsort des Mannes? Rechtfertigte Sonya ihr Verhalten damit sich selbst gegenüber? Opferte sie ihren Ruf, ihre Moral und ihre Ethik, um jemandes Sicherheit zu gewährleisten?

Während ein Teil von Angel geradezu verzweifelt hoffte, dass dem so war, stimmte ein anderer Teil bei der Vorstellung ein tiefes, bedrohliches Knurren an. Denn wenn er sich damit abfand, dass Sonya das getan hatte – sich dermaßen erniedrigt hatte, um diesen Juwelendieb zu retten –, dann musste er sich auch damit abfinden, dass sie den Mann nicht bloß geliebt hatte, sondern immer noch liebte.

Und der Gedanke schmerzte.

Obwohl er es nicht sollte.

Hatte Angel nicht darum gebetet, dass Sonya nach vorn schauen würde? Hatte er sich das für sie nicht aus tiefstem Herzen gewünscht?

Hab ich. Tu ich noch.

Und dennoch hatte er es im Verlauf der Jahre immer bewusst vermieden, nach ihr zu recherchieren. Tatsächlich hatte er geradezu den Kopf in den Sand gesteckt, was sie betraf.

Er knackte mit dem Kiefer, dann zuckte er zusammen.

Sein verräterischer Tick von vor all den Jahren schimmerte immer noch gelegentlich unangenehm durch. Als er daran zurückdachte, wie sich Sonya auf seine unterbewusste Reaktion gestürzt und dann sofort zu Hebräisch gewechselt hatte, überkam ihn eine Heidenangst. Seine gesamte Mission hing davon ab, dass er seine Rolle perfekt spielte, und das bedeutete, dass Sonya Butler nicht erfahren durfte, wer er in Wirklichkeit war – unter keinen wie auch immer gearteten Umständen.