Blaupause mit Paul - Ursula Hess - E-Book

Blaupause mit Paul E-Book

Ursula Hess

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Beschreibung

Vermutlich wäre alles ganz anders gekommen, hätte am Schluss der rote Becher da gestanden. Doch es war der blaue, und das Leben von Alice nimmt seinen Lauf. Ihre Begegnungen mit Sonnenbrillen, Gießkannen und vergnügten Gartenzwergen begleiten sie auf einem Weg, der alle naselang seine Richtung ändert oder Schlaufen zieht. Steht sie an einer Gabelung, ist sicher die Kunststoffsau Paul zur Stelle, die ihr skurrilste Ratschläge erteilt. Gilt es, ein Rätsel zu lösen oder eine Unklarheit zu beseitigen, erhält sie prompt kompetente Tipps der kleinen Mathilda. Ein Buch mit zehn Geschichten aus dem Universum von Alice.

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Für meine Mutter

Inhaltsverzeichnis

Blau

Orange

Rot

Grün

Braun

Gelb

Violett

Rosarot

Schwarz

Weiss

Blau

Blau ist meine Lieblingsfarbe. Nicht, dass ich sie mir selber ausgesucht hätte, so war das nicht. Es hat sich eines Abends wie von selbst ergeben, und zwar während eines unserer abendlichen Showdowns im Badezimmer. Wir stritten uns wieder einmal darüber, wem welche Zahnbürste gehört, und ich ging den anderen auf die Nerven mit meinem Quengeln nach einem eigenen Waschlappen. Nur war nicht ganz klar, welcher denn jetzt meiner sei, was ein lautes Hin und Her zur Folge hatte. Eine verzwickte Situation, wie uns schien, doch an besagtem Abend griff unsere Mutter ein und schaffte die Angelegenheit ein für alle Mal aus der Welt. Sie betrat energisch die überschäumende Szenerie und stellte drei Becher auf die Ablage neben dem Waschtrog – einen roten, einen grünen und einen blauen.

«Für jeden einen», lautete der knappe Kommentar Wir schauten zuerst sie, dann uns fragend an. Mein Bruder reagierte zuerst, wählte treffsicher den grünen Becher und strahlte vor sich hin wie ein König. Meine Schwester griff nach dem roten, was wiederum mich zum Strahlen brachte, denn der leuchtend kornblumenblaue hatte es mir von Anfang an angetan. Unser System funktionierte ganz wunderbar. Ich war zukünftig also diejenige mit der blauen Zahnbürste, dem blauen Waschlappen, der blauen Federschachtel oder dem blauen Fahrrad. Blau, das beteuerte ich bei jeder Gelegenheit, gehörte seit jenem Abend einfach zu mir.

Das schrieb ich auch in jedes Freundschaftsbuch. Poesiealbum nannten wir es damals. Darin hatte man die vermeintlich wichtigsten Dinge über sich und seine liebsten Gewohnheiten zu notieren. An erster Stelle, gleich nach dem Namen, dem Spitznamen und dem Geburtsdatum, wurde die Frage nach der Lieblingsmusik gestellt, was ich abwechselnd mit «Beatles» oder «Stevie Wonder» beantwortete. Wobei Stevie meist den Vorrang hatte. Beim Lieblingsbuch schummelte ich. Das war nämlich «Der Rote Seidenschal», etwas fehl am Platz in meiner blauen Welt. Deshalb schrieb ich stets «Der Türkisvogel», das passte wunderbar. Dieses Buch brachte mir auch die Gewissheit, dass ich später einmal einen Indianer heiraten würde, genau so, wie es im Türkisvogel erzählt wurde. Und oh ja, das ist dann ganz anders gekommen, doch das ist eine andere Geschichte. Die Lieblingsreihe setzte sich fort und auf das Buch folgte die Lieblingsblume, das war bei mir der Rittersporn. Das Hobby durfte natürlich auch nicht fehlen. Ich war stets versucht, «Träumen» dort hinzuschreiben, doch meine Schwester war der Meinung, dass dies nicht mein Hobby, sondern mein Dauerzustand sei, weshalb ich mich dann für «Lesen» entschied. Zu guter Letzt war noch ein gehaltvoller Text gesucht, der einem für den Rest des Lebens an eben mich, oder jeden sonst, der in dieses Buch schrieb, erinnern sollte. Da standen dann allerlei Reime, wie zum Beispiel «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold», oder «Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken, nur die eine nicht, und sie heisst Vergissmeinnicht», oder so. Und irgendwo mittendrin zwingend die Frage nach der Lieblingsfarbe. Blau. Blau war mein Ding.

Selbst die Sammlung blauer Wörter gehörte jahrelang zu einer meiner bevorzugten Tätigkeiten. Das hätte ich glatt auch als Hobby vermerken können. Taubenblau, Blauwal oder Blaukraut, ich konnte mich nicht satt hören an diesen Begriffen. Ich benutzte sie auch, ganz egal, ob sie passten oder nicht. Oft war mir gänzlich unbekannt, was sie in Wirklichkeit bedeuteten, wie etwa «Blaupause». Das klang so rund und geheimnisvoll und ich stellte mir stets etwas vor, das nur Ausgewählten vorbehalten war, wozu ich mich natürlich auch zählte. Ärgerte ich mich über meine Geschwister oder über meine lästigen Schulaufgaben, verkroch ich mich und machte eine Blaupause. Mein Zufluchtsort war oben in unserem Estrich, wo ich mir aus einer dunkelblauen Wolldecke ein geheimes Nest gebaut hatte. Dort kuschelte ich mich ein, selbst wenn ich mich bloss vor dem Abtrocknen drücken wollte. Meine Blaupause, ein Begriff, der mir bis heute anhaftet, bin ich wieder einmal nicht erreichbar. Alice macht Blaupause, sagen sie dann alle, und ich bin fein raus. Damals benutzte ich auch konsequent blaue Tinte, feuerte stets die blau eingekleidete Mannschaft an und selbst meine Handarbeiten kamen allesamt in Blautönen daher. Ich war fraglos auch der Ansicht, dass «Blaumachen» speziell gut zu mir passe, insbesondere, als Kunstgeschichte in meinem Stundenplan auftauchte. Damals kam ich wiederholt in Versuchung, diesen Begriff etwas zu sehr zu strapazieren, denn die Ausführungen in diesem Fach erschienen mir langweilig und eintönig, was entweder am Lehrer oder an meinem damaligen Lebenswandel lag. Jedenfalls döste ich in diesen Lektionen regelmässig ein. Doch als Picasso zum Thema wurde und wir seine Blaue Periode besprachen, war mein Interesse geweckt. Ganze vier Jahre seines Lebens widmete er meinem Blau! Ich war begeistert, fühlte mich geehrt und meine Schlafphase fand damit ein Ende.

Das Farbsystem aus Kindertagen übernahm ich später auch in meinen Alltag. Farben für Termine, übersichtlich auf den ersten Blick und trotzdem ein bisschen wie im Kindergarten, das muss ich gestehen. Rote und gelbe, violette und grüne Punkte über den Monat verteilt, wobei die roten Punkte öfter vorkommen als die anderen. Am liebsten jedoch sind mir die blauen. Sie stehen für Termine, die mir am Herzen liegen. Und heute scheint so ein Glückstag zu sein, denn beim Öffnen des Kalenders leuchtet mir ein blauer Punkt entgegen. «Steuererklärung abschicken» steht da, fett und in Grossbuchstaben. Irritiert lese ich die Worte ein zweites Mal. Weshalb nur habe ich diesen Eintrag mit meiner Lieblingsfarbe versehen? Nichts an dieser Aufgabe scheint mir erfreulich zu sein und das Ausfüllen besagter Formulare gehört definitiv nicht zu meinen Vorlieben. Dennoch, ich habe auf Blau gesetzt und die Steuern damit zu etwas Persönlichem erklärt.

Ich bin nicht begeistert und habe gar keine Lust, mich um diese unerfreuliche Aufgabe zu kümmern. Früher, in der Vor-iPhone-Zeit, würde ich jetzt in meiner zerfledderten Agenda blättern. Stichmännchen kritzeln, um mich abzulenken. Oder versuchen, hinter all den Sternchen und Kringeln die Worte zu entschlüsseln, die ich dort irgendwann einmal hineingeschrieben hätte. Ihr erinnert euch, Agenden sind diese kleinen Büchlein. Manche wunderschön in Leder gebunden. Andere bieten auch noch Platz für farbige Post-it Zettelchen oder Visitenkarten. Manchmal ist innen ein transparentes Fach ausgespart, worin dann eine Fotografie der lieben Kleinen, der treuherzig schauenden Katze oder des Sonnenuntergangs in Blutrot platziert wird. Vereinzelt auch einfach ein Bild von Brad Pitt. Ich habe mich immer wieder gewundert, wen oder was ich da alles zu Gesicht bekam, wenn am Schluss einer Sitzung die Agenden gezückt wurden. Das Traumauto war tatsächlich keine Ausnahme, da musste manche Ehefrau zurückstehen. Und all diese Büchlein waren stets mit Schnörkeln und farbigen Kommentaren versehen, ausnahmslos, da war ich kein Einzelfall. Nebst den wirren Kritzeleien hatte ich auch noch die Angewohnheit, meine Termine in Abkürzungen einzutragen. Ich malte mir jeweils aus, dass im Fall meines Verschwindens total coole Leute versuchen würden, diese Kürzel zu entschlüsseln. Ein bisschen wie in Fernsehkrimis, in denen die «Ditektivs», mit Betonung auf der zweiten Silbe, stets innert kürzester Zeit jeden noch so verworrenen Eintrag aufzuklären vermochten. Sie hatten meine ganze Bewunderung. Mir jedoch waren solche Erfolge nicht vergönnt, meine kryptischen Einträge erschienen mir schon nach kurzer Zeit rätselhaft und es war mir unmöglich, sie zu interpretieren. Ich gelobte Besserung, wechselte von analog zu digital und notierte meine Termine zukünftig in unmissverständlichen Worten. Meiner kindlichen Farbgebung hingegen blieb ich treu.

Noch immer starre ich auf den blauen Punkt mit der Aufforderung, meine Steuererklärung einzureichen. Blau, rund, persönlich. Das erinnert mich an eine grandiose Fehlleistung meinerseits in Sachen Blau. Ich lebte und arbeitete vor Jahren mitten in der Zürcher Altstadt, bewohnte dort eine bezaubernde Wohnung in historischen Mauern, mit grosszügigen Räumen und einer Terrasse vor dem Bad. Wunderschön! Dass ich mir darin allerdings ein Privatleben wünschte, schien nicht allen ganz klar zu sein, da es sich um ein öffentliches Haus und eine Arbeit im Dienste der Öffentlichkeit handelte. Vielleicht hätte ich einen blauen Punkt an die Wohnungstüre kleben sollen, aber das fiel mir damals bedauerlicherweise nicht ein. Jedenfalls gehörte es zu meinen Aufgaben, das stattliche Haus und den angrenzenden Platz an Feiertagen zu beflaggen. Mit der Zürcher Flagge, einem Quadrat, das diagonal getrennt ist von rechts oben nach links unten. Oben liegt Weiss, unten Blau. Nur – für mich war immer klar, dass Blau die Farbe des Himmels war und deshalb oben zu schweben hatte. Nach meinem Blauverständnis handelnd, beflaggte ich die ganze Hofstatt seitenverkehrt und sorgte damit für viel Gelächter, eine handfeste Krise bei den Alteingesessenen und für eine Schlagzeile in der Abendzeitung.

Punkt blau, Steuererklärung, ich weiss. Ich kann so viele Geschichten erzählen wie ich will, der blaue Punkt bleibt stehen. Meine Motivation hält sich noch immer in Grenzen, in engen sogar. Viel lieber nehme ich den Boden feucht auf, wässere die Pflanzen, trinke Kaffee und lese Zeitung dazu. Gehe einkaufen. Sogar neue Druckerpatronen, und dafür muss ich wirklich weit laufen. Ich erledige ein Telefongespräch, das mir unangenehm ist, trinke nochmals Kaffee und sortiere die Wäsche aus, obschon die Waschküche besetzt ist und ich gar nicht waschen kann. Ich erscheine zu früh zu einer Besprechung, die wider Erwarten einvernehmlich verläuft und ich mich nach kurzer Zeit bereits wieder verabschieden kann. Ich treffe auf dem Heimweg niemanden an, mit dem ich mich hätte verquatschen können und sitze schliesslich wieder genau hier, in meiner nun blitzblank geputzten, frisch gelüfteten und peinlich aufgeräumten Wohnung. Ein bisschen ungemütlich fast.

Der Punkt leuchtet noch immer, unverändert und in schönstem Blau. Weshalb habe ich diesem lästigen Abgabetermin bloss meine Lieblingsfarbe gegönnt? Sie passt einfach nicht. Blau erfüllt Wünsche, das sage ich oft, und dass du das Blau in meinen Augen bist. Zugeflüstert hab ich es dir. Wir haben beide gelacht. Wunderblau, glaub mir, sagtest du, Blau verspricht Wunder. Heimlich befragte ich sogar das «Buch der Antworten» nach der Bedeutung von Blau in meinem Leben.

«Es wird dir Glück bringen», stand da geschrieben.

Fantastisch!

Weshalb also...meine Güte, genug jetzt. Mit einigen Klicks färbe ich den Eintrag in alltägliches Schwarz. Zufrieden betrachte ich die neue Farbgebung und muss über mein absolut törichtes Verhalten lachen. Ich setze mich aufrecht hin und bereite der albernen Aufschieberei ein Ende.

Orange

Mit leisem Klingeln schliesst sich die Tür hinter mir und ich stehe mitten in einem unbeschwerten Durcheinander. Ich nehme die Sonnenbrille ab, durchwühle meine Tasche erfolglos nach dem Etui und verfolge gleichzeitig fasziniert, wie ein kleiner Knirps sich mit einem lautstarken Trotzanfall zu Boden wirft. Dies scheint ausser seiner ziemlich genervten Mutter allerdings niemanden zu stören. Sie versucht, ihren Sprössling zu beruhigen, erfolgreich ist dies aber erst, als er sich ein Capt’n Sharky-Büchlein aussuchen darf. Es kehrt wieder Ruhe ein im Kinderbuchladen, nur vereinzelt ist ein Kichern zu hören. Ich liebe diesen Ort! Die Wände sind bis in den letzten Winkel mit Regalen ausstaffiert, Hunderte Bücher stehen in Reih und Glied – kunterbunte Verlockungen ohne Ende.

Endlich finde ich das Etui, verstaue die Brille und mache mich auf die Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für Nico. Auch heute steuere ich auf die Neuerscheinungen zu, die in hüfthohen Kisten und nach Themen geordnet zu finden sind. «Hexen, Monster,