Bleib für eine Nacht und immer - Maisey Yates - E-Book

Bleib für eine Nacht und immer E-Book

Maisey Yates

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Beschreibung

Seit dem Tod seiner Frau widmet Connor Garrett seine ganze Aufmerksamkeit der Ranch seiner Familie in Copper Ridge, Oregon. Als die hübsche Felicity Foster Unterschlupf sucht, bietet er ihr an, vorübergehend bei ihm zu wohnen. Dafür sind Freunde schließlich da. Doch die Gefühle, die Felicitys Gegenwart in Connor auslöst, gehen weit über Freundschaft hinaus ...

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Inhalt

TitelZu diesem BuchLiebe Leserin123456789101112131415161718192021Die AutorinDie Romane von Maisey Yates bei LYXImpressum

MAISEY YATES

Bleib für eine Nacht und immer

Roman

Ins Deutsche übertragenvon Antje Althans

Zu diesem Buch

Liss und Connor kennen sich schon sehr lange, und niemand weiß so gut um Connors Schmerz wie Liss. Seit er vor drei Jahren seine Frau verlor, trauert er und hat dem Leben und der Liebe abgeschworen. Doch als Liss aus ihrem Apartment ausziehen muss, gibt er sich einen Ruck und bietet ihr an, dass sie vorübergehend bei ihm auf der Ranch leben kann. Denn das ist es, was Freunde tun, richtig? Doch womit Connor nicht gerechnet hat, ist, dass die Gefühle, die Liss’ Gegenwart in ihm auslöst, weit über Freundschaft hinausgehen. Und Connor muss sich fragen, ob er bereit ist, die Vergangenheit loszulassen und sich mit Liss eine Zukunft aufzubauen?

Liebe Leserin,

ich hatte schon immer ein Faible für starke, verwundete Helden. Das mag zum Teil daran liegen, dass ich sie gern von ihren Schmerzen heilen würde. Ich schreibe Liebesromane, weil ich an die heilende Kraft der Liebe glaube und weil ich glaube, dass jeder die Chance auf ein Happy End hat. Selbst wenn er dafür eine zweite Chance braucht.

Connor Garrett hat eine zweite Chance dringend nötig.

Falls Sie Connor schon aus Glück zum Frühstück kennen, wissen Sie, was für ein mürrischer und todunglücklicher Mann er ist. Von dem Moment an, als ich ihn »kennenlernte«, wusste ich, dass ich seine Geschichte aufschreiben muss.

Mir gefallen gebrochene Helden, und ich mag Geschichten über Freunde, die irgendwann feststellen, dass zwischen ihnen doch mehr ist. Bleib für eine Nacht und immer gab mir also die Möglichkeit, gleich mit zwei meiner Lieblingsthemen zu spielen.

Liss und Connor kennen sich schon sehr lange, und niemand weiß so gut um Connors Schmerz wie Liss. Sie weiß auch, dass es für ihn nach all den Schicksalsschlägen eine echte Herausforderung ist, sich auf eine neue Liebe einzulassen. Zum Glück ist Liss der Sache gewachsen.

Ich hoffe, Sie haben beim Lesen ebenso viel Freude an Connors Weg ins Glück, wie ich sie beim Schreiben hatte. (Falls Sie noch im Laden sind, sollten Sie gleich einen Vorrat Taschentücher dazukaufen … Das nur zur Warnung!)

Viel Spaß beim Lesen!

Ihre Maisey Yates

1

Connor Garrett war ein erwachsener Mann. Er wusste, dass man nichts zu befürchten hatte, wenn man schlief. Dass die Dunkelheit in seinem Zimmer nichts Gefährlicheres verbarg als ein Paar achtlos hingeworfener Cowboystiefel, an denen er sich den Zeh stoßen konnte, wenn er mitten in der Nacht verschlafen zur Toilette tappte.

Das wusste er so gut, wie er wusste, dass die Sonne zu dieser Jahreszeit um kurz vor sechs über den Bergen aufging, ob ihm das passte oder nicht. Dass von der Küste her ein Sturm heranzog, wenn der Wind frühmorgens nach Salz roch. Dass unfreiwillige Zusammenstöße mit Stacheldrahtzäunen höllisch wehtaten. Dass Holzscheunen irgendwann abbrannten und Menschen, die man liebte, irgendwann fort waren.

Ja, das alles wusste er.

Doch es hielt ihn nicht davon ab, in den meisten Nächten schweißgebadet aufzuwachen, während sein Herz lauter hämmerte als die Hufe eines scheuenden Pferdes auf dem Boden der Rodeo-Arena.

Denn auch wenn Connor Garrett genau Bescheid wusste, sein Unterbewusstsein hatte es noch nicht begriffen.

Er saß kerzengerade im Bett, Schweißtropfen auf der Stirn und der nackten Brust. Wenn sein Körper nicht ständig so reagieren würde, hätte er sich jetzt besorgt gefragt, ob er einen Herzinfarkt hatte. Leider wusste er inzwischen, dass dieses Herzrasen in Verbindung mit den Schmerzen in der Brust nur ein Zeichen von Stress war. Von Angst.

Von dieser verdammten hartnäckigen Trauer, die einfach nicht nachlassen wollte, auch wenn die Jahre vergingen.

Dass er allein im Bett aufwachte, überraschte ihn nicht mehr – immerhin war das jetzt seit drei Jahren so. Aber es war ihm bewusst. Jedes Mal aufs Neue merkte er deutlich, wie kalt die Laken auf ihrer Seite des Bettes waren. Dabei war dies nicht einmal mehr das Bett, in dem er mit Jessie geschlafen hatte. Vor etwa einem Jahr hatte er sich ein neues gekauft, weil er es einfach zu deprimierend fand, weiter in ihrem gemeinsamen Bett zu schlafen. Aber die Veränderung hatte nicht so gewirkt wie erhofft.

Denn egal was er versuchte, ob er sich am Abend mitten ins Bett legte oder sogar auf die Seite am Fenster, er landete doch stets auf seiner Seite.

Der Seite zur Tür hin. Von der aus er jederzeit Einbrecher und andere Gefahren abwehren konnte. Von der aus er die Person beschützen konnte, die neben ihm lag. Der Seite, auf der er während seiner achtjährigen Ehe stets geschlafen hatte. Man hätte fast glauben können, dass ihn der Geist seiner verstorbenen Frau jedes Mal auf diese Seite wälzte, während er schlief.

Und ihn dann aufweckte.

Leider besaß Jessie nicht einmal den Anstand, bei ihm zu spuken. Sie war einfach weg. Stattdessen herrschte Leere. In seinem Bett, in seinem Haus, in seiner Brust.

Und wenn sich seine Brust einmal nicht leer anfühlte, dann war sie erfüllt von Schmerz und einem überwältigenden Gefühl des Grauens, das seinen gesamten Körper beherrschte und ihm das Atmen unmöglich machte. So wie jetzt.

Er schwang die Beine aus dem Bett. Der Holzboden fühlte sich unter seinen nackten Füßen kalt an. Connor stand auf, trat ans Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit. Er sah die Kiefern als schwarze Schatten und dahinter, noch dunkler, die Silhouetten der Berge gegen einen etwas helleren Himmel. Links unten konnte er gerade noch die vordere Veranda erkennen. Und den goldenen Schein der Verandabeleuchtung, die er wohl angelassen hatte, als er schlafen gegangen war.

Seine Brust wurde eng. Wahrscheinlich war er deshalb aufgewacht.

Schlagartig fiel ihm sein Traum wieder ein. Eigentlich war es kein richtiger Traum gewesen, sondern eher eine Folge von Bildern.

Wie er spätnachts die Tür öffnete und sein Bruder Eli vor ihm stand, mit einer derart grimmigen und düsteren Miene, wie Connor es noch nie bei ihm erlebt hatte. Da das Licht auf der Veranda brannte, war Eli von einem Kranz aus goldenem Licht umgeben, was ihm das Aussehen eines Engels verlieh. Eines Todesengels, wie sich herausstellte.

So blöd das klang, Connor war halb davon überzeugt, dass er deshalb so intensiv geträumt hatte, weil draußen das Licht brannte.

Natürlich ergab das keinen Sinn. Doch wenn er eins im Laufe der letzten Jahre gelernt hatte, dann dass beim Trauern nichts irgendeinen Sinn ergab.

Er riss die Schlafzimmertür auf, stieg die Treppe hinab und ging zum Eingang. An der Haustür blieb er stehen und sah sich an, wie das Licht von der Veranda durch die Fenster hereinfiel. Eine Sekunde lang war er fest überzeugt, dass Eli vor ihm stehen würde, wenn er jetzt öffnete. Dass er in die Situation vor drei Jahren zurückversetzt werden würde. Dass er gleich eine Nachricht hören würde, die kein Mensch jemals hören sollte.

Denn es gab einen guten Grund, weshalb sein schlimmster Albtraum nur dieses eine Bild umfasste: wie sein jüngerer Bruder auf seiner Veranda stand.

Weil sich in jenem Moment sein gesamtes Leben in einen Albtraum verwandelt hatte. Etwas Beängstigerendes gab es nicht. Mit dem schwarzen Mann hätte er es notfalls aufnehmen können. Doch gegen den Tod kam er nicht an.

Letztendlich hatte er Jessie doch nicht beschützen können.

Und die verdammte Tür würde er nicht öffnen.

Er schaltete das Verandalicht aus, doch statt nach oben zurückzukehren, ging er wie ferngesteuert in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Er betrachtete das Bier, das sich momentan als Einziges darin befand, wenn man von der Ketchupflasche und dem Netz mit der einen Zwiebel absah, die wahrscheinlich schon seit Sommerbeginn dort lag.

Mit einem tiefen Seufzer schloss er den Kühlschrank wieder. Um drei Uhr morgens sollte er wirklich kein Bier trinken.

Drei Uhr morgens war eindeutig die Zeit für Jack Daniel’s.

Er ging zu dem Schrank, in dem er die härteren Sachen aufbewahrte, und nahm seine Jack-Flasche heraus. Sie war fast leer. Und niemand war bei ihm. Weil sein beschissenes Haus völlig leer war. Weil er allein war.

Angesichts all dieser Tatsachen beschloss er, auf ein Glas zu verzichten. Er nahm die Flasche und setzte sie an den Mund. Als ihm der Alkohol durch die Kehle lief, spürte er kaum noch ein Brennen.

Vielleicht würde er jetzt ein bisschen schlafen und ein paar Stunden lang alles vergessen können.

Den Wunsch nach Frieden hatte er schon vor Jahren aufgegeben. Jetzt begnügte er sich mit Vergessen.

Und dies war die schnellste Methode, es zu erreichen.

»Du solltest einfach einen Abfluss mitten im Haus installieren. Dann könntest du alles mit dem Wasserschlauch abspritzen und den ganzen Schmutz rausspülen. So wie draußen im Stall.«

»Was zum Teufel machst du hier, Liss?«

Felicity Foster dachte nicht daran, sich von dieser extrem unfreundlichen Begrüßung ihres besten Freunds einschüchtern zu lassen. Schließlich handelte es sich um Connor. Sie war es gewohnt, dass er nicht eben fröhlich wirkte. Sie war es auch gewohnt, ihn morgens als Alkoholleiche auf dem Sofa vorzufinden.

Natürlich wäre es schön gewesen, wenn das nicht ganz so oft passieren würde, aber es schien eher schlimmer zu werden.

Allerdings war das nicht seine Schuld. Es lag daran, dass seine Scheune abgebrannt war. Was den Verlust von Jessie betraf, hätte sich Connors Zustand vielleicht weiter gebessert, wenn der Brand nicht dazugekommen wäre. Der hatte Connor zwar nur ein Gebäude aus Holz und Ziegelsteinen gekostet, doch diese Scheune hatte seine Lebensgrundlage gebildet. Mit ihr war ein weiteres Stück seines Lebenstraums niedergebrannt. Es war einfach zu viel gewesen. Viel zu viel.

Wegen Connor war auch Liss nicht mehr gut auf das Leben zu sprechen. Wie viel sollte dieser eine Mensch denn noch ertragen?

»Und um deine liebreizende Frage zu beantworten, Connor«, sagte sie und näherte sich dem Sofa, »ich habe für dich eingekauft.«

Er setzte sich auf und verzog das Gesicht, als hätte er ein Stachelschwein verschluckt. »Eingekauft? Warum das denn?«

»Ich weiß, es ist ein Weilchen her, seit du mit richtigen Menschen Umgang hattest statt nur mit Kühen, deshalb sollte ich dich vielleicht daran erinnern, dass die zivilisierte Antwort ›Danke‹ gelautet hätte.«

Er schwang die Beine vom Sofa und rieb sich das Gesicht. Liss hätte jetzt gern etwas getan. Ihm tröstend die Hand auf den Rücken gelegt etwa. In Connors Gegenwart war sie solche Anwandlungen gewohnt. Sie kämpfte schon fast ihr ganzes Erwachsenenleben damit. Doch letztlich kam sie stets zu dem Schluss, dass es keine gute Idee wäre, ihn zu berühren. Deshalb blieb sie, wo sie war. Bot keinen Trost an, sondern hielt Abstand.

Denn so benahm man sich, wenn man einfach eine gute Freundin war. Auf jeden Fall trug es dazu bei, dass sie und Connor gute Freunde blieben.

»Danke«, sagte er barsch. »Aber warum zum Teufel bringst du mir Lebensmittel? Und warum kommst du heute früh vor der Arbeit damit?«

»Ich bringe dir Lebensmittel, weil kein Mensch von Alkohol allein leben kann. Und ich komme heute früh vorbei, weil ich gestern Abend zu müde war, um nach dem Einkaufen noch alles herzuschleppen. Deshalb bin ich jetzt hier. Aus Fürsorglichkeit und wegen der Frühstücksflocken.«

»Frühstücksflocken esse ich durchaus gern. Aber was die Fürsorge angeht, da habe ich gemischte Gefühle.« Leicht schwankend stand er auf. »Was die Schwerkraft angeht offenbar auch.«

»Ich staune ja, dass du überhaupt Appetit hast. Wie viel hast du getrunken?«

Er wich ihrem Blick aus und zuckte auf seine typische Art mit den Achseln. Im Herunterspielen von Problemen war dieser Mann ein echter Künstler. »Keine Ahnung. Ich bin mitten in der Nacht wach geworden und konnte nicht mehr einschlafen. Da bin ich hier unten geblieben und hab ein bisschen was getrunken. Außerdem fällt es mir schon gar nicht mehr auf, wenn ich einen Kater habe.«

»Gegen Kater immun zu werden scheint mir aber keine so tolle Errungenschaft.«

»Bei meiner Lebensweise schon.«

Sie verdrehte die Augen. »Na komm, Cowboy. Ich mach dir deine Cornflakes zurecht.«

So etwas sollte sie ihm nicht anbieten. Das wusste sie genau. Aber sie tat es trotzdem. So wie sie ihm Lebensmittel brachte, weil sie wusste, dass sein Kühlschrank nur Bier enthielt. So wie sie nach wie vor täglich bei ihm vorbeischaute, um sicherzugehen, dass er versorgt war.

»He, Moment mal, Liss. Für so was kennen wir uns nicht gut genug.«

»Ich kenne dich, seit ich fünfzehn bin.«

»Frühstücksflocken vorzubereiten ist eine heikle Sache. Du weißt doch gar nicht, wie viel Milch ich will. Das weiß ich ja selbst erst, wenn ich die Dichte und Beschaffenheit der Frühstücksflocken eingeschätzt habe.«

»Bist du immer noch betrunken?«

»Vielleicht ein kleines bisschen.«

»Ab in die Küche. Sofort.«

Connor schenkte ihr ein Klugscheißer-Lächeln, wobei er nur einen Mundwinkel nach oben zog. Sie konnte nicht anders, als ihm nachzusehen, während er vom Wohnzimmer in die Küche ging. Er trug die dunklen Haare länger als früher, und sein einst glatt rasiertes Kinn war von einem Bart bedeckt. Dieser Aufzug störte sie nicht – eine Untertreibung, denn eigentlich fand sie ihn supersexy. Wobei Connor in ihren Augen immer sexy aussah. Selbst damals mit dieser schrecklichen gegelten Stachelfrisur, die er an der Highschool etwa ein Jahr lang getragen hatte, sein erster und einziger Versuch, chic zu sein. Nein, in der Hinsicht waren Bart und Frisur völlig okay. Das Problem war, dass Connor nicht aus modischen Gründen wie ein Mountain Man herumlief. Sein Aussehen signalisierte, dass er nicht mehr auf sich achtete.

Sie betraten die Küche, und da die Sonne hereinschien, konnte Liss deutlich erkennen, wie vernachlässigt alles wirkte. Der Herd war von einem Fettfilm überzogen, eine geradezu schockierende Ansammlung von Spritzern, wenn man bedachte, dass Connor außer Tiefkühlpizza nie etwas kochte. Die Schränke aus Kiefernholz sahen schmuddelig aus, und das vordere Fenster war mit weißen Kalkflecken von Spritzwasser bedeckt.

Dem Haus stand die Vernachlässigung nicht ganz so teuflisch gut wie seinem Besitzer.

Connor öffnete einen Wandschrank und nahm eine der knallbunten Cornflakes-Schachteln heraus, die Liss gerade dort deponiert hatte. In dem Moment fiel ihr auf, wie seltsam es war, dass sie genau gewusst hatte, wo sie die Cornflakes verstauen musste, und dass Connor gewusst hatte, dass sie sich auskannte.

Er griff nach einer Schüssel und stellte sie auf die Küchentheke. Dabei drehte er sich zu Liss um, und sie stellte fest, dass er die nachlässige Lebensweise doch nicht ganz so gut wegsteckte, wie er allen weismachen wollte. Klar, er war immer noch attraktiv, daran änderten auch die scharfen Fältchen um die Augen und die tiefen Stirnfurchen nichts. Aber diese Falten waren neu. Ein Abbild der belastenden und schmerzerfüllten letzten Jahre, durch die jüngsten Verluste noch vertieft.

Sie fühlte mit ihm. Aber außer für ihn einzukaufen konnte sie sehr wenig für ihn tun.

Ursprünglich hatte sie die ganze Scheiße mit ihrem Mietvertrag bei ihm abladen wollen, aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt. Wobei sie bezweifelte, dass bei Connor der passende Zeitpunkt je kommen würde. Nicht weil ihn ihre Sorgen nicht gekümmert hätten, sondern weil sie ihm nicht noch mehr Probleme aufladen wollte.

Connor goss Milch über seine Cornflakes – Milch, die sie mitgebracht hatte – und stellte die Flasche auf der Theke ab. Er nahm die Schüssel auf und fing an zu essen. Die ersten Cornflakes knirschten zwischen seinen Zähnen. »Willst du auch was, Liss?«

»Zu Cornflakes sage ich niemals Nein. Ich muss gleich wichtigen Buchführungskram erledigen. Damit komme ich am besten im frühmorgendlichen Kohlehydratrausch zurecht.«

»Kaffee?«, fragte er mit vollem Mund.

»Ich hatte zu Hause schon eine ganze Kanne. Beim Koffein mache ich keine Experimente.«

»Tja, ich brauche welchen.« Er stellte die Schüssel auf der Theke ab und ging zur Kaffeemaschine.

»Kaffee hattest du also noch im Haus. Kaffee und Bier.«

»Ich bin ja kein Tier.«

Liss kicherte, nahm sich auch eine Schüssel aus dem Schrank und bereitete sich eine Portion Cornflakes zu. Das Ganze hatte etwas merkwürdig Anheimelndes. Banale Gespräche, behagliche Morgengeräusche. Wasser, das in ein Waschbecken lief, das Klappern von Geschirr. Die sanften Strahlen der Morgensonne, die durch die dicke Wand aus immergrünen Bäumen rings um Connors Vorgarten drangen.

Das alles mit ihm zu teilen rührte an ihr Herz. Es war ein Moment, der keinen Platz in Raum und Zeit zu haben schien. Als hätte sie ihn gestohlen; als stünde er ihr eigentlich nicht zu.

Also ehrlich, man hätte meinen können, dass sie diejenige war, die sich betrunken hatte. Was für sentimentale Gedanken.

Connor stellte die Kaffeemaschine an und kehrte zur Kücheninsel und seinen Cornflakes zurück. Sie standen einander gegenüber und aßen in aller Stille. Abgesehen von dem Knuspern. Und dem Gluckern der Kaffeemaschine.

Noch mehr Morgengeräusche, auf die sie kein Recht hatte.

Weil Männer so etwas mit ihrer Geliebten oder ihrer Ehefrau teilten. Nicht mit ihrer co-abhängigen besten Freundin.

»Hat sich die Versicherung wegen der Auszahlung gemeldet?« Connors Scheune war im Juli abgebrannt, weil ein paar Kinder darin mit Feuerwerkskörpern herumgespielt hatten, und auch wenn Liss wusste, dass Versicherungen manchmal wahnsinnig langsam reagierten, ging diese Verzögerung doch über das Übliche hinaus.

Es war jetzt Mitte September, und soweit sie wusste, war auf Connors Bankkonto immer noch kein Geld eingegangen.

»Nee.«

»Das wird langsam absurd, oder?«

Er zuckte mit einer Schulter und aß noch einen Löffel voll Cornflakes. »Kann sein. Hab’s nur noch nicht geschafft, mich dahinterzuklemmen.«

»Findest du nicht, dass du allmählich mal die Energie dazu aufbringen solltest? Die ganze Ausrüstung …«

»Ich weiß sehr gut, was ich durch das Feuer verloren habe. Du brauchst es nicht einzeln aufzuzählen. Aber vorerst kann ich Buds alten Traktor benutzen. Und Jack hatte einiges an Geräten übrig.«

»Das ist sehr nett von ihm. Aber willst du denn nicht deine eigenen Sachen?«

»Doch, Liss.« Seine Stimme wurde hart. »Ich hätte sehr gern meinen eigenen Kram. Am allerliebsten wäre mir sogar, wenn meine Scheune gar nicht abgebrannt wäre.«

Connor Garrett war einen Meter dreiundneunzig groß und muskulös. Wenn er die Arme vor der Brust verschränkte, sodass seine kräftigen Unterarme zur Geltung kamen, mitsamt dem Tattoo, das er sich vor ein paar Jahren hatte stechen lassen und das sich den ganzen Arm hinaufzog, konnte er ziemlich einschüchternd wirken. Auf andere. Nicht auf sie. »Jammerschade, dass die Welt nicht perfekt ist, was?«

Connor schnaubte verächtlich. »Ja, Liss. Mir ist das auch schon aufgefallen.«

»Dass es dir auffällt, reicht nicht. Du musst was dagegen tun.«

»Mir war nicht klar, dass zu den Cornflakes auch eine Standpauke gehört.«

»Tut sie gar nicht. Ich muss jetzt sowieso arbeiten.« Sie stellte ihre Schüssel auf die Theke, steckte die Hände in die Jackentaschen und wandte sich ab.

»Warte.« Sie hörte Schritte und einiges Rascheln hinter sich.

Sie drehte sich wieder um. Connor war eben dabei, Kaffee in einen Thermobecher zu gießen. »Gut, ich warte.«

Sie sah zu, wie er zwei Löffel Zucker und einen Schuss Milch in den Kaffee gab. Genau so, wie sie es mochte. Was er natürlich wusste. »Kaffee. Schlecht gelaunt lasse ich dich gehen, aber nicht ohne Koffein.«

Sie nahm ihm den Becher ab. Dabei hielt sie den Atem an und versteifte sich, um nicht zusammenzufahren, als ihre Finger seine streiften. »Womit du dafür sorgst, dass ich nicht schlecht gelaunt gehe.« Sie prostete ihm mit dem Becher zu. »Genialer Trick, Garrett.«

»So bin ich eben, Foster. Solltest du inzwischen eigentlich wissen.«

»Weiß ich auch. Poker heute Abend?«

»Ich denke schon. Eli hat mit seinem Wahlkampf zu tun, deshalb bin ich nicht sicher, ob er vorbeikommt, aber Sadie kommt bestimmt. Und falls Jack nicht gerade Sex mit irgendeiner Fremden hat …«

»Ach, Jack. Das ist bei ihm ja echt zur Gewohnheit geworden.« Jack Monaghan war ebenfalls eng mit Connor befreundet. Er kam altersmäßig zwischen Eli und Connor, und als Teenager hatten die drei gemeinsam Copper Ridge unsicher gemacht. Jetzt, als Erwachsener, war Jack ein noch größerer Schrecken als damals mit zwölf.

Im Gegensatz zu Eli, der inzwischen ruhig und verantwortungsvoll war, für das Amt des Sheriffs von Logan County kandidierte und sich mit der ehemals wilden Sadie Miller auf eine ernsthafte, feste Beziehung eingelassen hatte. Und zu Connor, der die Ranch führte und schon mit Anfang zwanzig geheiratet hatte. Jack hatte sich nie irgendwie festgelegt. Außer darauf, mit sämtlichen Frauen in der Gegend zu schlafen. Und er hatte sich für eine Laufbahn als Rodeoreiter entschieden, eine klare Weigerung, erwachsen zu werden.

In Cowboystiefeln war Jack der reinste Teufel, aber sonst konnte man mit ihm viel Spaß haben. Solange man sich nicht zu sehr auf ihn verließ.

»Tja, ist doch nur gut, wenn wenigstens einer von uns loszieht und Sex hat.«

Liss widerstand dem Verlangen, Connor zu fragen, wie es in der Hinsicht bei ihm stand. Sie hätte zwar darauf gewettet, dass da nichts lief, doch er erzählte ihr schließlich nicht alles. Und Connors Liebesleben ging sie absolut nichts an. Genau genommen hatte sie den Großteil der letzten siebzehn Jahre damit verbracht, die Tatsache zu ignorieren, dass er überhaupt ein Liebesleben hatte. Zumindest hatte sie das versucht.

»Meinetwegen darf Jack gern den Sex-Botschafter machen. Nieder mit allen Beziehungen!«

Connor lachte leise. »Ich glaube, Jack nimmt den Sex lieber ohne Beziehung als Beilage.«

»Dann bringt er mehr fertig als ich«, sagte Liss.

»Ja, und als ich.«

Nun, das mochte ihre Frage beantworten. Die Frage, die sie nicht stellen wollte. Mit der sie sich auf keinen Fall näher befassen wollte. Obwohl sie es natürlich trotzdem tat.

»Okay, Connor. Ich muss jetzt wirklich los. Danke für den Kaffee.«

»Danke für die Cornflakes. Und alles andere.«

»Meine unermüdliche Freundschaft, meine Unterstützung, meine Bereitschaft, dich mit harten Wahrheiten zu konfrontieren?«

»Ich meinte eigentlich die Milch und die Sahne. Aber klar, dafür auch.«

Sie warf Connor einen gespielt bösen Blick zu und zeigte ihm den Stinkefinger, dann wandte sie sich ab und ging hinaus. Die frische Morgenluft auf der Haut zu spüren wirkte belebend. Das Wetter war bereits deutlich kühler geworden, und morgens lag schon ein Hauch von Frost in der salzigen Luft, ein Signal, dass sie den Sommer immer weiter hinter sich ließen.

Sie stieg die Treppe hinab und ging zu ihrem kleinen Toyota. Zum Glück war der Wagen abbezahlt und funktionierte nach wie vor. Denn ihre Kreditwürdigkeit war dank Marshall völlig im Keller. Dieses Arschloch hatte sich eines Tages mit dem brandneuen Truck aus dem Staub gemacht, den sie gemeinsam gekauft hatten. Und hatte danach keine einzige Rate mehr bezahlt. Aber weiterhin ohne ihr Wissen die Kreditkarten benutzt, die auf seinen und ihren Namen liefen.

Einige der Beulen, die das ihrer Bonität verpasst hatte, hatte Liss beheben können, doch nicht alle. Deshalb würde sie momentan weder einen Kredit für ein neues Auto bekommen, noch würde ihr jemand ein Haus vermieten.

Was normalerweise kein großes Problem gewesen wäre, da sie ein sehr stabiles Leben führte. Nur hatte sie vor ein paar Tagen erfahren, dass sie ihr gemietetes Haus innerhalb von dreißig Tagen räumen musste, weil die Besitzerin es verkaufen wollte.

Ja, das hatte sie kalt erwischt.

Aber sie würde eine Lösung finden. Das schaffte sie immer.

Zum Beispiel konnte sie jederzeit zu ihrer Mutter ziehen, auch wenn sie allein bei der Vorstellung erschauderte. Auf der Straße würde sie jedenfalls nicht landen.

Aber darum würde sie sich später Sorgen machen. Jetzt kam erst einmal die Arbeit, später der Pokerabend. In Panik verfallen konnte sie morgen.

2

»Raus aus meinem Haus, Miller.«

Die Freundin seines Bruders sah so treuherzig zu ihm auf, dass es fast komisch wirkte. »Ich habe Geschenke mitgebracht, Connor. Begrüßt man so einen Gast, der Geschenke dabeihat?«

»Du schleppst mir Beavers-Utensilien ins Haus. OSU-Fans müssen draußen bleiben. Hier huldigen wir dem Grün und dem Gold.«

Jack, der schon am Tisch saß, klopfte gegen den grünen Eiskübel, auf dem das riesige O der University of Oregon prangte. »Wir sind hier im Land der Ducks, Süße.«

Sadie klimperte unschuldig mit den Wimpern. »Ich hatte ja keine Ahnung. Ich habe einfach diese knallorange Schüssel entdeckt und fand, da könnte man super M&Ms in Schwarz und Orange reintun.«

»Hexe! Verbrennt die Hexe!«, skandierte Jack am Tisch.

»Wenn du auf meinem Grundstück noch mal irgendwas anzündest, röste ich dich persönlich über den Flammen, Monaghan«, knurrte Connor.

»Entschuldige, Con. Schlechter Scherz, unter den Umständen.«

Das fand Connor auch. Aber wenn man es nicht schaffte, über die Scheiße zu lachen, die einem das Leben so präsentierte, konnte man sich gleich hinlegen und sterben. Was ihm an manchen Tagen verlockender schien, als er zugeben mochte.

Ohne ihn weiter zu beachten, betrat Sadie das Haus und stellte ihre orangefarbene Riesenschüssel auf den Tisch, ein hässlicher Schandfleck neben seinem heiligen Ducks-Eiskübel. »Eli dürfte später noch vorbeikommen. Kate habe ich auch eingeladen.«

Das entlockte Jack ein Stöhnen. Ihm ebenfalls, wie Connor im Nachhinein feststellte.

»Was habt ihr denn?«, fragte Sadie. »Kate ist meine Freundin. Ich will sie dabeihaben.«

»Sie ist meine kleine Schwester«, sagte Connor.

»Und ich muss ständig meine Zunge hüten, wenn sie da ist«, erklärte Jack.

»Du tust es aber nicht.« Sadie hob eine Augenbraue. »Euer Männerklub wird einfach fade. Die Testosteronschwaden sind so dicht, dass man als Frau kaum noch Luft bekommt.«

»He«, protestierte Connor. »Was ist mit Liss?«

»Sie ist zwar eine tolle Östrogenquelle, aber hartnäckig auf eurer Seite.« Sadie griff in ihre verfluchte Schüssel und nahm eine Handvoll Schokolinsen heraus.

Das traf unbestreitbar zu. Liss war seine Freundin. Seit Jahren. Sie hielt schon fast so lange zu ihm wie Jack. Und anders als Eli war sie keine Verwandte und somit zu nichts verpflichtet. In Anbetracht dessen sollte er sich wirklich bei ihr entschuldigen, weil er sich heute Morgen so idiotisch benommen hatte. Kater waren einfach nichts für ihn.

In Anbetracht dessen sollte er vielleicht weniger Zeit mit ihnen verbringen.

»Sie kommt doch, oder?«, fragte Sadie.

»Ja, es wundert mich, dass sie noch nicht hier ist.«

Wie aufs Stichwort sprang die Tür auf, und Liss stolperte in den Raum, ließ ihre Handtasche fallen und stieß ein frustriertes Knurren aus. »Meine Mistkarre wollte nicht anspringen.« Sie richtete sich auf und strich sich das dunkelkupferrote Haar aus der Stirn, während ihre haselnussbraunen Augen höchst wirkungsvoll ausdrückten, wie sauer sie war. »Ich hab’s nach der Arbeit auf dem Parkplatz zwanzig Minuten lang versucht, und als ich schon den Abschleppwagen rufen wollte, ist der Motor ohne ersichtlichen Grund doch angesprungen. Das ist kein gutes Zeichen.«

Sadie ging zu ihr und hob ihre Handtasche auf. Nicht etwa, weil sie Ordnungsfanatikerin war, sondern weil sie liebend gern hinter anderen Leuten aufräumte. Bevor sie nach Copper Ridge zurückgekehrt war und ein Bed & Breakfast eröffnet hatte, war sie Therapeutin gewesen. Nichts gefiel ihr mehr, als die Probleme anderer Leute zu lösen.

Höchstens noch, sie mit feindlichen Sportsymbolen gegen sich aufzubringen, wie es schien.

»Das ist echt ätzend, Liss«, sagte Jack. Er saß zurückgelehnt auf seinem Stuhl und konnte den Blick nicht von der verbotenen Bonbonschüssel abwenden.

»Nun nimm dir schon was, Jack«, forderte Connor ihn auf, ohne Liss aus den Augen zu lassen.

Sie trug noch dieselben Sachen wie heute früh, eine schwarze Stoffhose und eine blaue Bluse, und die Haare fielen ihr offen über die Schultern. Aber sie wirkte aufgelöst, was für Liss untypisch war.

»Das hat mir gerade noch gefehlt«, murrte sie. »Irgendwas riecht hier gut.«

»Tiefkühlpizza nach Art des Hauses«, erklärte Connor.

»Lecker!« Liss’ mürrische Miene hellte sich auf. »Sonst noch was?«

»Ich hab Pizza-Snacks mitgebracht«, sagte Jack.

»Sonst noch was?«, fragte Sadie.

»Knoblauchbrot mit Käse ist schon im Ofen«, sagte Connor. »Und Marinara-Soße als Dip.«

»Also Pizza, Pizza-Snacks und in ihre Bestandteile zerlegte Pizza«, fasste Sadie zusammen.

»So in etwa«, sagte Connor.

»Kein Gemüse?«

»Du solltest uns besser kennen«, meinte Jack.

»Mir gefällt das Menü für heute Abend.« Liss setzte sich Jack gegenüber an den Tisch und nahm ein Bier aus dem Ducks-Kübel. »Ich brauche jetzt Kohlehydrate, Käse und Fett gegen meine schlechte Laune.«

»Jake sieht sich deinen Wagen bestimmt gern mal an«, sagte Connor. Jake war Mechaniker und neu in Copper Ridge. Er war noch dabei, sich einen Kundenstamm aufzubauen, und setzte stark auf Mundpropaganda.

»Kann sein. Aber ich möchte lieber niemanden bitten, umsonst für mich zu arbeiten. Solange es ein kleineres Problem ist, kann ich mir die Reparatur leisten. Einen neuen Wagen könnte ich mir allerdings nicht kaufen.«

Jack schnaubte. »Wer kann das schon?«

»Du, nehme ich an«, sagte Liss.

Jack zuckte nur mit den Achseln. Gut möglich, dass er es sich wirklich leisten konnte – Connor konnte es ganz sicher nicht. Nicht seit seine Scheune nur noch aus Asche und verkohlten Gerätschaften bestand. Auch wenn sich dieses Problem lösen ließe. Doch wann immer er sich die Papiere vornehmen wollte, die ihm die Versicherung geschickt hatte, wurde er durch irgendetwas abgelenkt und wandte sich einer anderen Aufgabe zu. Folglich tat sich auch nichts. Der Papierkram blieb unerledigt und sein Konto leer. Und die Scheune ein Haufen Asche.

Verdammt, er brauchte ein Bier.

Er nahm sich eins aus dem Kübel, drückte den Flaschenhals an die Tischkante und schlug kräftig auf den Kronkorken, während er die Flasche zugleich nach unten zog.

»Angeber«, sagte Sadie.

Er zuckte mit den Achseln. »Ja, ich dachte mir, ich demonstriere heute Abend mal meine Talente. Tiefkühlpizza in den Ofen schieben, Bierflaschen ohne Öffner aufmachen. Ich bin eben ein knallharter Typ.«

»Ein echter Held.« Liss trank einen Schluck von ihrem Bier. »Und wenn ich diese Flasche erst intus habe, und möglicherweise noch eine, könnte ich dich noch höher einstufen.«

»Nämlich wie?«

»Echter Super-Oberheld.«

»Das gefällt mir. Aber eigentlich müsste was mit Cowboy drin vorkommen.«

Jack zwinkerte ihm zu. »Du bist doch gar kein richtiger Cowboy, Connor. Wann hast du das letzte Mal einen wilden Mustang geritten?«

»Nein, Arschloch, du bringst da was durcheinander. Du bist kein richtiger Cowboy. Du spielst bloß einen in der Arena.«

Sadie begann Rhinestone Cowboy zu summen, und Connor stellte fest, dass er sie schon deutlich lieber mochte als noch vor wenigen Minuten.

Als der Küchenwecker klingelte, ging Connor zum Herd, griff nach den Topflappen und nahm das Brot und die Pizza aus dem Ofen. Die Pizza-Snacks standen schon in einer Schüssel auf der Theke. Er legte das runde Backblech mit der Pizza auf die Schüssel, nahm das Blech mit dem Brot in die andere Hand und trug alles in den Essbereich.

Er stellte die Sachen vor Liss und Jack ab, und Sadie nahm sich vergnügt einen Teller und näherte sich der Schüssel mit den Pizza-Snacks.

»Nächstes Mal backe ich was«, versprach sie. »Quiche. Das hebt das Niveau vielleicht ein bisschen.« Obwohl man ihr ansah, dass sie im Grunde nichts dagegen hatte, sich dem gemeinen Volk anzuschließen und suboptimale Pizza zu essen.

»Klar, Sadie, kannst du gern machen«, sagte Connor.

Wieder ging die Tür auf, und Kate platzte herein, gefolgt von Eli, der noch seine Uniform trug. Die Art, wie die beiden das Haus betraten, hätte jedem Fremden sofort alles Nötige über Connors jüngere Geschwister verraten. Kate war quirlig, ihre Schritte waren laut, und sie lächelte strahlend. Eli hingegen bewegte sich gemessen und vorsichtig. Als er Sadie sah, begann er langsam und zurückhaltend zu lächeln und strahlte plötzlich ein so tiefes Glück aus, dass es Connor bis in die Knochen wehtat.

So war er auch einmal gewesen. Wenigstens hatte er es so in Erinnerung.

Wann immer er einen Raum betreten hatte, hatte er stets nur eine Person angeschaut. Jessie. Seit er achtzehn gewesen war, hatte all seine Aufmerksamkeit ihr gegolten. Sie war sein Polarstern gewesen. Und dann war sie einfach nicht mehr da.

Seitdem gab es für ihn keinen Stern mehr.

Er räusperte sich und trank noch einen Schluck Bier. Es war sinnlos, solchen Gedanken nachzuhängen. Oder überhaupt an Jessie zu denken. Aber an Abenden wie diesem fiel es ihm schwer. Einerseits waren die Treffen seine Rettung. Sie waren seine einzige Gelegenheit zu lächeln, zu lachen. Andererseits konnte er bei diesen Zusammenkünften unmöglich ignorieren, dass die Runde nicht vollständig war und es auch nie mehr sein würde. Jessie hatte beim Pokerspielen immer neben ihm gesessen. Und manchmal geschummelt. Dann hatte er so getan, als bemerkte er es nicht.

Seitdem hatte er kein Blatt mehr gespielt, ohne sich zu wünschen, dass sie dabei wäre und ihm in die Karten linste.

Trotzdem war es immer noch besser, als allein zu trinken.

Jetzt saß Liss neben ihm. Wenn er schon nicht mit seiner Frau zusammen sein konnte, dann sollte er zumindest neben seiner besten Freundin sitzen.

Eli zuckte zusammen, griff in die Jackentasche, zog ein vibrierendes Handy heraus und seufzte schwer. »Ich muss rangehen. Wahlkampf.«

»Ist schon okay«, antwortete Sadie für sie alle.

»Wenn wir spielen, schalte ich es aus.«

»Ist schon okay«, wiederholte Connor.

Eli winkte ihnen zu und ging mit dem Handy am Ohr nach draußen, während Sadie ihm verträumt lächelnd nachsah.

»Er ist so sexy, wenn er mit Politik beschäftigt ist«, schwärmte sie.

Connor und Kate stöhnten. Dann kam Kate zu den anderen herüber und begrüßte alle.

»Hey, Jack. Hey, Sadie, Liss.« Sie trat an den Tisch und nahm sich ein großes Stück Pizza vom Blech, ohne erst nach einem Teller zu greifen. Keine Begrüßung für ihren großen Bruder, aber egal. So waren kleine Schwestern eben. »Hast du dein Wohnproblem schon gelöst?«

Connor brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass Kates Frage an Liss gerichtet war. »Was für ein Wohnproblem?«, fragte er.

»Sorry. Mir war nicht klar, dass nicht alle Bescheid wissen«, meinte Kate kleinlaut.

Liss wirkte leicht verlegen. »Schon gut, ist nicht so wichtig. Nein, habe ich noch nicht. Aber werde ich schon noch.«

»Eine Sekunde, was für ein Wohnproblem? Stimmt mit deinem Haus irgendwas nicht, Liss?« Es ärgerte Connor, dass seine kleine Schwester etwas über seine beste Freundin wusste, wovon er keine Ahnung hatte.

Liss seufzte genervt. »Ich regle das schon, Connor. Pack dein Klebeband und den Sekundenkleber wieder weg. Du musst da nichts reparieren.«

Um ein Haar hätte er gesagt, dass er ihr nichts dergleichen angeboten hatte. Denn so war es. Er hatte schon seit Jahren niemandem mehr angeboten, etwas zu reparieren.

Allerdings gab es auch niemanden mehr, der sich bei ihm beschwerte. Also blieben die Abflüsse undicht, die Fenster zugig und … tja, er betrank sich, während seine Freundin ein Problem hatte, und scheiße, das gefiel ihm gar nicht.

»Tja, vielleicht will ich es ja reparieren, wenn ich kann«, sagte er.

»Das ist nett von dir, Connor, aber ich wüsste nicht wie. Leider finde ich gerade erst heraus, wie sehr Marshall meiner Kreditwürdigkeit geschadet hat, als er vor ein paar Jahren abgehauen ist. Manches war offensichtlich, und ich habe es schnell erfahren. Aber einiges war mir nicht so klar. Es gab da noch mehr Kreditkarten und noch einen zweiten Autokredit zusätzlich zu dem, vom dem ich wusste. Das heißt, selbst wenn sich einiges davon korrigieren lässt, einen neuen Mietvertrag werde ich nur schwer bekommen. Und da meine jetzige Vermieterin das Haus verkaufen will …«

»Es ist so unfair!«, sagte Kate, den Mund voll Pizza. »Hier kennt dich doch fast jeder, Liss. Und Marshall haben auch viele von uns gekannt. Wir wissen alle, dass er ein Arsch war.«

»Wenn du das schon immer gewusst hast, hättest du mich ruhig einweihen können«, sagte Liss mit einem traurigen Lächeln.

»Ich glaube, ich hab dich durchaus darauf hingewiesen«, stieß Connor zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Mehrfach.«

Liss zog die Lippen auf Knopfgröße zusammen, und Connor wusste, dass sie sich eine scharfe Erwiderung verkniff. Ihm war das egal. Er hatte sie tatsächlich gewarnt. Und sie hatte nicht auf ihn gehört. Er nahm ihr das zwar nicht übel, aber dass dieser Marschall ein Idiot war, hatte er ihr in der Minute gesagt, als sie mit diesem … na ja, diesem Idioten zusammengezogen war.

Natürlich hatte Connor sich damals eingestanden – wenn auch nur heimlich –, dass er vielleicht unfair war, weil ihm für Liss kein Mann gut genug erschien. Ganz ähnlich, wie es ihm mit Kate ging.

Doch letztlich hatte sich sein Instinkt als zutreffend erwiesen. Marshall war ein echter Blindgänger gewesen. Er war mit Liss’ Geld und dem neu gekauften Truck abgehauen. Und jetzt auch noch so etwas.

»Aber das ist jetzt unwichtig«, fuhr Connor fort. »Wann musst du ausziehen?«

»Von Rechts wegen habe ich dreißig Tage Zeit. Aber es ist ein Verkauf von Privat an Privat, und offensichtlich läuft alles sehr schnell. Und raus muss ich in jedem Fall. Ich meine, wenn die einzige Alternative lautet, zu meiner Mutter zu ziehen, bleibe ich bis zur letzten Sekunde, aber …«

»Du solltest hier einziehen«, schlug Kate vor.

Liss machte große Augen, und ihm blieb der Mund offen stehen. »Hier? Du meinst … hier bei uns?«

»Na, Sadie hat doch ein B&B.«

Sadie zuckte zusammen. »Ich bin bis Weihnachten ausgebucht. Die Leute kommen Verwandte besuchen, und in der Nebensaison kriegen sie Preisnachlass – das hat eine Flut von Reservierungen ausgelöst.«

»Dein Bed & Breakfast ist deine Lebensgrundlage, Sadie«, sagte Liss. »Daraus will ich keinen Vorteil schlagen. Von mir würde auch niemand verlangen, dass ich ihm gratis die Buchhaltung mache.«

»Buchhaltung würde ich nicht mal für Geld machen«, stichelte Jack.

»Du könntest das gar nicht, nicht mal für Geld«, gab Liss zurück.

»Ich bin schwer beleidigt, Liss«, sagte Jack. »Aber da wir schon bei dem Thema sind, vielleicht hat ja jemand ein freies Zimmer und möchte dafür deine Dienste in Anspruch nehmen.«

Connor dachte an den Papierkram für die Versicherung, den er hatte liegen lassen. Das fiel allerdings nicht unter Buchführung. Die musste zwar auch gemacht werden, aber das erledigte Liss bereits für ihn. Und er bezahlte sie dafür. Es war eine der wenigen Büroarbeiten, die nach wie vor fristgerecht und ordentlich liefen, weil er jemanden dafür bezahlte, statt so zu tun, als würde er es irgendwann selbst erledigen. Und heute Morgen hatte Liss ihm Lebensmittel vorbeigebracht. Und außer einer Schüssel Cornflakes hatte sie nichts dafür bekommen. Er ließ sich jetzt schon von ihr helfen, in vielerlei Hinsicht, und gab ihr in letzter Zeit herzlich wenig zurück.

»Du kannst gern bei mir wohnen, Liss«, sagte er, ohne erst zu durchdenken, welche Konsequenzen sein Angebot haben könnte.

»Wirklich?« Sie wirkte geschockt, worauf er sich noch schlechter fühlte. Denn warum sollte sie geschockt sein, wenn ihr bester Freund ihr in einer Notsituation Gastfreundschaft anbot? Das war nicht richtig.

Er war eindeutig ein Arschloch.

»Ja, wirklich. Dieses Haus ist riesengroß. Und ich bin ganz alleine. Ich hab drei völlig leere Schlafzimmer und außerdem ein Büro, das ich niemals benutze.« In dem Raum hatte Jessie die Abrechnungen für die Arbeiter der Ranch erledigt, aber er tat das nie. Es fühlte sich zwar etwas merkwürdig an, Jessies Zimmer nun jemand anders anzubieten. Aber Jessie war fort, und Liss war da. Liss brauchte ihn, und er wollte ihr helfen. »Es wäre ja auch nur so lange, bis du eine Möglichkeit findest, dir wieder ein Haus zu mieten. Weil jemand es nicht so genau nimmt. Oder sich deine Bonität verbessert oder was auch immer. Auf die Art kannst du für die Kaution und die ersten Monatsmieten und so sparen.«

»Ich kann hier nicht umsonst wohnen, Connor.«

»Nein, aber im Austausch für Lebensmittel.« Sie kaufte ja sowieso schon für ihn ein. »Außerdem könnte ich ein bisschen Hilfe im Alltag gebrauchen.«

Jack schnaubte verächtlich. »Glaubst du wirklich?«

»Wir sind nicht alle so zwanghaft veranlagt wie Eli«, entgegnete Connor trocken.

Natürlich kam Eli genau in dem Moment wieder herein, und er sah aus, als wollte er auf der Stelle ein bisschen für Recht und Ordnung sorgen. Klar, Eli war jünger als er, aber sie waren schon in sehr jungen Jahren Verbündete geworden, als sie sich gemeinsam um die Ranch kümmerten und Kate großzogen. Damals hatte er Eli sehr schnell in einem anderen Licht gesehen. Ihr Altersunterschied betrug sowieso nur zwei Jahre, und Connor hatte seinen Bruder bald als ebenbürtig betrachtet – von dem Moment an, als der die Verantwortung für den Haushalt übernommen hatte.

Und seit Connor allein in dem großen Haus wohnte und es dennoch kaum schaffte, hinter sich aufzuräumen, wusste er erst richtig zu schätzen, was Eli als Kind alles auf sich genommen hatte, um ihr Leben angenehmer zu gestalten.

Inzwischen beschützte Eli nicht mehr nur seine Familie, sondern die gesamte Gemeinde. Und auch wenn Connor nicht ständig durch die Gegend lief und allen von Eli vorschwärmte, er war ungeheuer stolz auf ihn. Selbst wenn Eli ihn manchmal anschaute, als wäre er ein hoffnungsloser Fall. So wie jetzt.

»Hab ich was verpasst?«, fragte Eli.

»Connor erklärt uns gerade, warum er so wenig im Haushalt macht«, sagte Jack.

Sadie ging zu Eli hinüber, schlang ihm die Arme um den Nacken und küsste ihn innig, als hätten sie sich nicht erst vor ein paar Minuten begrüßt. »Hallo, Sheriff.«

»Noch nicht«, wehrte er ab. »Das bringt Unglück.«

»Ich bringe kein Unglück! Ich bin der personifizierte Hasenpfoten-Glücksbringer!«

»Ach ja?« Er legte den Kopf schief. Der ganze Wortwechsel war erschreckend lieb für Connors einst so unnahbaren Bruder.

Die beiden lösten sich voneinander. Eli strich Sadie über die Hüfte und ließ die Hand dort liegen. Connor spürte einen Klumpen im Magen.

»Connor hat uns nicht nur erklärt, warum er so wenig im Haushalt macht«, sagte Sadie, »er hat Liss auch eine Bleibe angeboten, bis sie wieder ein Haus mieten kann.«

»Was ist denn mit deinem jetzigen Haus?«, fragte Eli stirnrunzelnd.

Liss seufzte. »Ich hätte wissen müssen, dass die Sache epische Ausmaße annimmt, wenn sich erst mal die Garretts einmischen. Um es kurz zu machen: Meine Bonität ist wegen Marshall im Arsch, und mein jetziges Haus wird verkauft.«

Eli stieß einen leisen Pfiff aus. »Das ist eine schlechte Kombination.«

»Aber alles wird gut«, sagte Connor nachdrücklich. »Weil sie bei mir wohnen kann, bis sie eine Lösung findet. Ich hab massenhaft Platz. Außerdem ist sie sowieso jeden Abend hier. Und Lebensmittel bringt sie mir auch schon vorbei.«

»Du reitest mir ein bisschen zu sehr auf den Lebensmitteln rum«, stellte Liss fest.

Er zuckte mit den Achseln. »Hey, das ist statt Miete. Kein hoher Preis für ein Schlafzimmer bei den Garretts.«

Liss spürte all die erwartungsvollen Blicke auf sich und rutschte unbehaglich auf dem Stuhl herum. Die Garretts waren ihre Ersatzfamilie, deshalb wunderte es sie nicht, dass sie ihr helfen wollten. Aber sie hatte Connor aus gutem Grund nichts von ihren Schwierigkeiten erzählt. Leider hatte sie den Mund nicht halten können, als sie heute in der Mittagspause zufällig Kate im Crab Shanty begegnet war. Sie hätte wissen müssen, dass die Jüngste der Garretts das nicht für sich behalten würde.

Natürlich wäre es eine Lösung, und sie brauchte eine Lösung. Nur fand sie die Vorstellung, mit Connor unter einem Dach zu wohnen, ziemlich brisant. Aus vielerlei Gründen.

Trotzdem, sich zu weigern wäre … nun ja, dumm. Denn die Alternative wäre, zu ihrer Mutter zu ziehen, und etwas Schlimmeres konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Außer vielleicht, unter einer Brücke zu schlafen. Wobei ihr die Brücke eventuell sogar lieber wäre.

Andererseits hatte Connor nicht ganz unrecht. Dieses Haus war groß. Und sie war sowieso oft hier.

Unter normalen Umständen hätte sie um Bedenkzeit gebeten. Einfach weil es um eine Veränderung ging. Weil jeder Umzug eine große Sache war. Aber der gesamte Garrett-Clan plus Sadie und Jack schauten sie so erwartungsvoll an, als müsste sie jetzt sofort eine offizielle Erklärung abgeben. Sie hatte das Gefühl, ihre Freunde nicht auf die Folter spannen zu dürfen.

Deshalb ging sie im Kopf rasch eine Liste möglicher Einwände und echter Nachteile durch:

Von Connors Haus hatte sie es weiter bis zur Arbeit.Sie hatte sich noch nie viel aus dem rustikalen Look gemacht. Und den hatte dieses Haus reichlich zu bieten.Sie würde einen Teil ihrer Möbel irgendwo unterstellen müssen.Connor so nahe zu sein könnte in ihr ein Feuer entfachen, das noch ganz andere Verheerungen anrichtete, als nur eine Scheune zu vernichten.

Ja, genau. Das war wirklich ein Problem. Andererseits hatte sie, was Connor betraf, in der Feuer-Abteilung schon eine Menge erreicht. Sie müsste eigentlich damit umgehen können. Schließlich war sie seit mehr als fünfzehn Jahren mit diesem Mann befreundet. Da konnte man wohl voraussetzen, dass sie gelernt hatte, mit ihm klarzukommen. Möglicherweise besser, als ihr bewusst war. Connor Tag und Nacht um sich zu haben konnte die Sache sogar erleichtern. Momente wie heute Morgen, als sie plötzlich eine solche Intimität verspürt hatte, würden ihr alltäglicher erscheinen.

Na, das war ja mal eine Theorie. Auf jeden Fall half sie ihr, sich schnell zu entscheiden.

»Danke, Connor. Ich … Danke. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Aber wir müssen noch ein paar Details klären, denn ich werde nicht einfach auf deine Kosten hier wohnen.«

»Da mache ich mir keine Sorgen. Ehrlich.«

»Aber ich. Ich will dich nicht ausnutzen.«

»Das wirst du auch nicht«, erwiderte er im Brustton der Überzeugung. »Wenn hier jemand in den letzten Jahren jemanden ausgenutzt hat, dann war ich das. Ich habe nicht mal gemerkt, dass du Probleme hast. Du hast es mir verschwiegen. Das verrät mir eine Menge.«

»Ich wollte dich nicht noch mehr belasten«, sagte sie leise.

»Genau das meine ich ja. Wenn du mir etwas anvertrauen willst, dann solltest du dabei nicht das Gefühl haben, dass du mich belastest. Ich bin dein Freund. Klar, in den letzten Jahren habe ich viel durchgemacht, aber deswegen musst du doch nicht all deine Sorgen für dich behalten. Das hätte ich klarer zeigen müssen.«

Liss spürte einen Druck auf der Brust. Sie lud nicht gern ihre Probleme bei anderen ab. Schon gar nicht bei jemandem, der sowieso schon so viel auszuhalten hatte. Das war ihr wichtig, egal was Connor dazu sagte. Sie wollte niemandem zur Last fallen. Am allerwenigsten den Menschen, die sie gernhatte. Warum sollte jemand sie um sich haben wollen, wenn sie mehr nahm als sie gab?

»Du solltest unbedingt hier einziehen, Liss.« Jetzt gab auch noch Eli seinen Senf dazu. Klar.

»Das werde ich. Danke.«

Jack nahm sich ein weiteres Stück Pizza vom Blech und lehnte sich zurück. »Spielen wir jetzt Karten, oder wollen wir nur rumstehen und über unsere Wohnsituationen diskutieren? Nicht dass du mich gefragt hättest, Connor, aber vielleicht möchte ich ja auch hier wohnen.«

»Warum solltest du? Dein Haus ist viel schöner als meins.«

»Ja, aber bei dir wird Liss wohnen. Sie wird Lebensmittel einkaufen, und ich gehe mal davon aus, dass sie manches davon auch kochen wird.«

»Von Kochen war nicht die Rede«, protestierte Liss. »Und wenn ich kochen sollte, dann nicht für dich. Aber eins tue ich gern, nämlich dich vernichtend beim Poker schlagen.«

Jack breitete die Arme weit aus. »Dann mach mal!«

Alle kamen herbei und setzten sich an den Tisch. Eli griff nach den Spielkarten, die bereits darauflagen. »Gleich geht’s los, Monaghan«, sagte Liss.

Und für kurze Zeit fühlte sich alles normal an. Stinknormal.

Schon bald würde sich das ändern. Doch jetzt spielten sie erst einmal Karten.

3

»Hey, Liss.« Connor folgte ihr ins Freie und die Verandatreppe hinunter. Das Pokerspiel war vorbei, und Jack war schon nach Hause gefahren. Kate saß noch im Esszimmer und befasste sich mit den Pizza-Snacks, und Eli und Sadie hockten zufrieden zusammen in einem Sessel.

Liss wollte los, weil sie am nächsten Morgen angeblich früh zur Arbeit musste, aber Connor fand, dass es noch ein paar Dinge zu klären gab.

Draußen war es dunkel und so kalt, dass Connor seinen Atem sah. Die scharfe Luft signalisierte ihm, dass der Herbst sich bald verabschieden und der Winter ihm auf den Fersen folgen würde.

»Wir müssen noch kurz reden, bevor du fährst«, sagte er.

Liss blieb stehen und drehte sich um. Der Kies knirschte unter ihren Sohlen. »Muss das heute Abend sein?« Sie wirkte müde, was er ihr nicht verübeln konnte. Hatte sie heute Morgen auch schon so müde ausgesehen? Sah sie schon länger müde aus? Was war ihm sonst noch alles nicht aufgefallen?

»Ich mache es kurz und schmerzlos, versprochen. Ich will nur ein paar Dinge klarstellen. Du zahlst keine Miete.«

»Irgendwie muss ich dich aber entschädigen.«

»Klar. Du bringst mir Lebensmittel mit, was du ja sowieso schon tust, nur dass ich mich jetzt revanchieren kann.«

»Jetzt mach keine Schwierigkeiten, Connor. Lass mich zumindest den Papierkram für die Ranch durchgehen und da mal Ordnung reinbringen. Und vielleicht auch im Haus. Wenn ich hier wohnen soll, brauche ich sowieso einen etwas höheren Standard an Sauberkeit.«

»Na schön. Abgemacht.« Dass sich bei der Vorstellung sein Magen zusammenzog, ignorierte er. Diese Gegenleistungen klangen alle so … familiär. Was vermutlich nur angemessen war, da sie im selben Haus wohnen würden.

»Gut.« Sie nickte. »Ich bin froh, dass wir uns einigen konnten.«

Irgendetwas an der Situation kam ihm lustig vor, was die Anspannung in seinem Bauch löste. »Ich habe fast das Gefühl, wir müssten das Ganze mit Handschlag besiegeln.«

»Es ist schon arg förmlich, oder nicht?«

»Ja. Ich weiß was Besseres.« Er umarmte Liss, ohne sich etwas dabei zu denken. Bis er ihren Körper an sich spürte, warm, weich und sehr weiblich. Normalerweise umarmte er selten jemanden. Eigentlich nie. Manchmal umarmte er Kate, doch selbst das geschah eher unbeholfen und halbherzig. Eli hätte er eher ins Gesicht geboxt, als ihn zu umarmen.

Höchstwahrscheinlich fühlte er sich jetzt deswegen so, als hätte ihm jemand ein Kantholz über den Schädel gehauen. Und während er noch unter dem Schlag taumelte, schien sich die Zeit zu verlangsamen, und ihm wurden lauter Details bewusst, die ihm sonst nie aufgefallen wären. Wie weich Liss sich anfühlte, wie winzig klein sie war, und natürlich auch, wie ihre Brüste gegen seine Brust drückten, denn schließlich war er auch nur ein Mensch.

Connor atmete tief ein und nahm ganz schwach den Geruch des Holzfeuers wahr, dessen Rauch aus seinem Schornstein drang, den Duft der Kiefern, die salzige Meerluft und dazu eine blumige Note, von der er wusste, dass sie Liss’ Haar entstammte. Es war genau die Art von Mädchenshampoo, die einst auch in seiner Dusche herumgestanden hatte, die er in seinem Haus jedoch lange nicht mehr wahrgenommen hatte.

Und aus irgendeinem Grund erschien es ihm in diesem seltsamen Zeitlupenmoment völlig akzeptabel, Liss den Rücken zu streicheln.

»Connor, du zerquetscht mir das Gesicht.«

Liss’ gedämpfter Protest brach den Zauber, und die Zeit kehrte zu ihrem normalen Tempo zurück. Connor lachte auf, ein kurzer und harter Laut, den er nicht geplant hatte, der aber anscheinend nötig war, um die Spannung zu lösen.

Er gab Liss frei und wich einen Schritt zurück. »Das mit deinem Gesicht tut mir leid.«

»Merk dir das mal, Connor. Das könnte als Beleidigung noch sehr nützlich werden.«

»Ich meinte das mit dem Zerquetschen, nicht dein Gesicht an sich. Das ist völlig okay.« Ihn beschlich das Gefühl, dass er die Sache damit nicht besser machte, sondern eher noch merkwürdiger.

»Danke.« Ihr Tonfall verriet ihm, dass sie ihn tatsächlich etwas merkwürdig fand. »Ich fahre jetzt nach Hause. Wenn ich nicht genug Schlaf kriege, werde ich morgen nicht mit den Zahlen fertig.«

»Das wäre schlimm.«

»Eigentlich nicht. Aber ich muss ja Geld verdienen.«

»Wann willst du denn bei mir einziehen?«

Sie rieb mit der Schuhsohle über den Kies, dass die Steinchen klickten. »Keine Ahnung. Ich meine, ich habe ja noch Zeit …«

»Okay, wann immer du willst. Ich helfe dir sogar beim Umzug.«

Liss verzog das Gesicht. »Was ist bloß in dich gefahren? Du bist auf einmal so hilfsbereit.«

»Mir ist einfach klar geworden, dass ich in letzter Zeit wenig hilfsbereit war.« Sie wussten beide, seit wann.

»Verstehe. Ich werde dir aber nicht vorschreiben, wie du mit alldem umgehen sollst. Das steht mir nicht zu.«

»Da bist du ziemlich die Einzige, die so denkt. Eli meint, ich müsste endlich darüber wegkommen. Jack denkt, ich sollte mit einer Frau schlafen.«

Liss räusperte sich laut. »Dann werde ich diejenige sein, die sagt, du solltest einfach tun, was du kannst.«

»Das hier kann ich«, sagte Connor. »Das kann ich für dich tun. Also lass es mich bitte auch machen.«

Sie stieß mit der Schuhspitze in den Kies, dass die Steinchen wegspritzten. »Das werde ich. Die Einzelheiten vereinbaren wir später. Danke.«

Er winkte ihr halbherzig, wandte sich ab und stieg die Verandatreppe hinauf. Oben hielt er inne und sah zu, wie sie in ihren Wagen stieg. Er wartete, bis der Motor ansprang, bevor er ins Haus ging. Wenigstens heute Abend würde Liss in ihrer Karre heil nach Hause kommen.

Er schloss die Haustür hinter sich und betrat den Essbereich. Drei Augenpaare blickten ihm fasziniert entgegen. »Was ist?«, fragte er irritiert.

»Liss zieht also bei dir ein?«, fragte Eli.

»Warst du nicht die ganze Zeit dabei?«, gab Connor zurück.

»Ich will nur sichergehen.«

»Sie braucht mich. Sie ist meine Freundin.«

»Ich weiß«, sagte Eli.

»Tja, für mein Gefühl findest du das Ganze viel zu interessant. Es ist doch gar nichts dabei.«

Sadie setzte sofort eine beschwichtigende Miene auf, was Connor nur noch mehr irritierte. »Natürlich nicht.« Sie griff in ihre empörende orange Schüssel und tastete nach Schokolinsen. »Es ist total nett von dir, dass du ihr hilfst.«

»Ihr habt das alle in den falschen Hals gekriegt.« Er deutete anklagend auf alle drei. »Wenn ich Jack anbieten würde, hier zu wohnen, würdet ihr nicht so reagieren. Und wenn Jack es bräuchte, würde ich ihn auch hier wohnen lassen. Dabei ist er eine viel größere Nervensäge als Liss.«

»Stimmt«, sagte Kate. »In jeder Beziehung.«

»Seht ihr? Katie stimmt mir zu.«

»Nicht«, sagte Kate mit warnendem Unterton, »wenn du mich weiterhin Katie nennst.«

Er grinste. »Wie du meinst, Katie.«

Jetzt griff Kate in die Schüssel, holte eine Hand voll M&Ms heraus und warf damit nach ihm. »Geschieht dir recht«, sagte sie, als ihn eins an der Schläfe traf.

»Oh nein«, rief er mit gespieltem Schrecken. »Du hast mich mit M&Ms beworfen.«

»Beavers-M&Ms«, sagte Sadie.

»Okay, Ladys, lasst Connor mal in Ruhe«, mischte sich Eli ein und legte damit ein für ihn untypisches Einfühlungsvermögen an den Tag. Normalerweise hatte Eli kein Problem damit, ohne Rücksicht auf Verluste auf ihm herumzutrampeln. Hauptsächlich weil Eli immer zu wissen glaubte, wie andere leben sollten, und auch bei Connor keine Ausnahme machte.

Eli hob Sadie von seinem Schoß, stand auf und streckte sich. »Ich muss ins Bett. So kurz vor der Wahl kriege ich nicht genug Schlaf.«

»Aber du wirst gewinnen«, sagte Sadie im Brustton der Überzeugung.

»Auf alle Fälle«, bestätigte Kate.