Blindes Urteil - Angela Lautenschläger - E-Book
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Blindes Urteil E-Book

Angela Lautenschläger

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Beschreibung

Zwei Opfer und keine Spuren, die zu den Tätern führen: Der Hamburg-Krimi »Blindes Urteil« von Bestseller-Autorin Angela Lautenschläger – jetzt als eBook bei dotbooks. Als Nachlasspflegerin ist Friedelinde Engel daran gewöhnt, dem Tod ins Auge zu blicken und die dunkelsten Geheimnisse der Verstorbenen zu lüften. Doch als ihre Kollegin heimtückisch ermordet wird, bekommt sie es zum ersten Mal mit der Angst zu tun: Ausgerechnet sie soll nun die Fälle der Ermordeten übernehmen. In welche Gefahr sie ihre Nachforschungen wirklich bringen, ahnt Friedeline jedoch nicht. Auch Nicolas Sander steht vor seiner bisher größten Herausforderung: Ein Hamburger Antiquitätenhändler wird brutal erschlagen und obwohl sich unter den Angehörigen des Opfers mehr als genug Verdächtige befinden, fehlen Sander stichhaltige Beweise – bis er plötzlich auf eine erschütternde Verbindung der beiden Fälle stößt … Hochspannung bis zur letzten Seite und zwei Ermittler zum Verlieben: Die Bestseller-Krimi-Reihe um die eigenwillige Nachlasspflegerin Friedelinde Engel und Kommissar Nicolas Sander geht in die vierte Runde! Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Blindes Urteil« von Bestseller-Autorin Angela Lautenschläger. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 464

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INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Lesetipps

Über dieses Buch:

Als Nachlasspflegerin ist Friedelinde Engel daran gewöhnt, dem Tod ins Auge zu blicken und die dunkelsten Geheimnisse der Verstorbenen zu lüften. Doch als ihre Kollegin heimtückisch ermordet wird, bekommt sie es zum ersten Mal mit der Angst zu tun: Ausgerechnet sie soll nun die Fälle der Ermordeten übernehmen. In welche Gefahr sie ihre Nachforschungen wirklich bringen, ahnt Friedeline jedoch nicht.

Auch Nicolas Sander steht vor seiner bisher größten Herausforderung: Ein Hamburger Antiquitätenhändler wird brutal erschlagen und obwohl sich unter den Angehörigen des Opfers mehr als genug Verdächtige befinden, fehlen Sander stichhaltige Beweise – bis er plötzlich auf eine erschütternde Verbindung der beiden Fälle stößt …

Über die Autorin:

Angela Lautenschläger arbeitet seit Jahren als Nachlasspflegerin und erlebt in ihrem Berufsalltag mehr spannende Fälle, als sie in Büchern verarbeiten kann. Ihre Freizeit widmet sie voll und ganz dem Krimilesen, dem Schreiben und dem Reisen. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in Hamburg.

Bei dotbooks erscheinen die Bände ihre »Engel und Sander«-Reihe sowohl als eBook- als auch Printausgaben:

»Stille Zeugen«

»Geheime Rache«

»Tödlicher Nachlass«

»Blindes Urteil«

»Gerechte Strafe«

»Brennende Angst«

»Stummer Zorn«

Die ersten drei Bände sind auch im Sammelband »Eiskaltes Erbe« erhältlich.

Auch ihre »Sommer und Kampmann«-Reihe erscheint bei dotbooks als eBook- und Printausgaben:

»Kalter Neid«

»Blendende Gier«

Weitere Bände sind in Planung.

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Originalausgabe Januar 2019

Copyright © der Originalausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Phillip Bobrowski

Titelbildgestaltung: © HildenDesign unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ca)

ISBN 978-3-96148-423-2

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Angela Lautenschläger

Blindes Urteil

Ein Fall für Engel und Sander

dotbooks.

Kapitel 1

Ächzend beugte sich Sander über die Leiche. Dieser Tag hatte beschissen angefangen, und es machte nicht den Anschein, als würde sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern. Begonnen hatte es damit, dass ihm die raue Zunge des dicken Katers Cäsar über das Gesicht gefahren war, und zwar um fünf Uhr morgens.

Eigentlich stellte er sich das Zusammenleben mit Friedelinde anders vor. Das setzte schon mal voraus, dass sie auch zusammenlebten, aber diese Frau war ständig unterwegs. Im Augenblick befand sie sich auf einem Seminar in St. Peter-Ording, weshalb er in ihrer Wohnung lebte und den Kater versorgte. Und zum Dank verpasste ihm das Vieh mitten in der Nacht eine Katzenwäsche. Anschließend hatte das Tier die ganze Zeit gejammert, sodass an Schlaf nicht mehr zu denken gewesen war. So lange, bis Sander sich mühsam aus dem Bett geschleppt und den Futternapf gefüllt hatte.

Auf dem Weg ins Bad stand plötzlich Friedelindes Nachbarin Marie vor ihm. Die wirres Zeug redete und offenbar bereits in jungen Jahren unter Demenz litt, denn anders war es nicht zu erklären, weshalb sie um halb sechs Uhr morgens in Friedelindes Wohnung auftauchte, um dann unter wortreichem Lamentieren festzustellen, dass sie Friedelindes Seminar völlig vergessen hatte. Sanders Outfit, das nur aus einer Boxershorts bestand, schien sie nicht zu stören.

Dieser frühmorgendliche Stress hatte zwar den Vorteil gehabt, dass er pünktlich im Büro erschienen war, aber besser war der Tag nicht mehr geworden. Und da half auch das viele Blut nichts.

»Mann, ey«, motzte er, als er sich wieder aufrichtete.

Wenige Minuten nach zehn war ein Notruf im Präsidium eingegangen, und er hatte sich mit seinem Kollegen Gernot auf den Weg in das Antiquitätengeschäft in der Innenstadt gemacht, dessen Inhaber erschlagen worden war. Henry Dubelski lag im hinteren Teil des Geschäfts. Mehr als einen Blick hatten sie nicht auf den Leichnam werfen können. Erst einmal mussten Spurensicherung und Gerichtsmedizin ihre Arbeit beenden.

»Warum müssen sich die Leute bloß jeden Tag umbringen? Warum können sie nicht einfach friedlich nebeneinanderher leben?«

»Das sagst ausgerechnet du?«, fragte Gernot. »Ich wundere mich jeden Tag darüber, dass wir dich noch nicht von einem Tatort in Handschellen abführen mussten.«

»Wen? Mich?« Sander gab sich empört.

»Ja, ich hab keine vierzehn Disziplinarverfahren an der Backe.«

»Ich auch nicht«, entgegnete Sander. »Ich hab fünfzehn, und die sind alle eingestellt.«

»Ja, weil Polizeipräsident Mühlenberger regelmäßig zwei Augen so fest zudrückt, dass er bald mit dem Blindenstock durch die Gegend laufen kann.«

Sander warf seinem Kollegen einen grimmigen Blick zu. »Sag mal, was ist eigentlich los mit dir? Damals, als wir beide uns kennengelernt haben, warst du irgendwie viel …«, er sah sich suchend um, »… sanfter.«

»Sanfter. Siehst du?« Gernot pikste ihm den Zeigefinger in die Brust. »Das ist genau, was Betty meint. Sie hat gesagt, ich müsste härter werden. Härter gegen mich selbst und gegen andere.«

Sander schob den Finger weg. »Gernot, pass bloß auf. Wenn die Frauen anfangen, an dir rumzunörgeln, und dich verändern wollen, dann musst du dringend das Weite suchen.«

»Ich störe die Herren ja nur ungern«, mischte sich ein dicker Mann mit Arzttasche ein. »Aber vielleicht könnten Sie Ihre Gruppentherapie ein paar Schritte weiter da drüben abhalten, dann kann ich mich dem Opfer widmen. Falls das noch gewünscht ist.«

»Ph«, machte Sander und zog Gernot zum Schaufenster hinüber.

»Na ja«, rief der Gerichtsmediziner ihnen hinterher, »ich hatte den Eindruck, dass ich direkt in ein Männergespräch hineingeplatzt bin. Da will ich natürlich nicht mit einem so profanen Anliegen wie einer Leichenbeschau kommen.«

»Schon gut, Dr. Honecker, kriegen Sie sich mal wieder ein.« Sander machte eine abwehrende Handbewegung in Richtung des Gerichtsmediziners.

»Dr. Hornecker«, korrigierte der Arzt. »So viel Zeit muss sein.«

Als Gernot Sander am Arm weiterziehen wollte, machte er sich los. »Gibt’s hier eigentlich keinen Kaffee?«

Gernot atmete schwer aus. »Wann kommt Friedelinde denn von ihrer Fortbildung zurück?«

»Wieso?«, fuhr Sander ihn an. »Ist das irgendwie wichtig?«

»Offenbar schon. Für dein inneres Gleichgewicht auf alle Fälle. Seit sie an deiner Seite ist, bist du viel ausgeglichener. Das sagt auch Betty.«

Sander brachte sein Gesicht so dicht vor Gernots, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. »Du sprichst mit Betty über mich?«

»Betty und ich sprechen über alles.«

Sander senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Mann, ey, das war schon immer mein Traum. Euer Gesprächsthema zu sein.«

»Siehst du, manchmal gehen Träume in Erfüllung.« Gernot war nicht mehr bei der Sache. Er betrachtete die Gegenstände in der Schaufensterauslage. Eine silberne Teekanne mit passendem Tablett, Zuckerdose und Glasbechern mit silbernem Griff. Daneben gab es ein paar bronzefarbene Buchstützen in Pferdeform, ein Porzellanservice und eine flache Vitrine mit antiken Uhren. »Sind das nicht herrliche Sachen?«, schwärmte Gernot.

»Das ist alles alter Plunder, wenn du mich fragst.« Sander lehnte sich mit verschränkten Armen gegen das schmale Stück Wand zwischen Eingangstür und Schaufenster.

Der Boden des Antiquitätengeschäfts war mit flaschengrünem Teppichboden ausgelegt, in dem sich die Abdrücke von Stuhlbeinen und Kommodenfüßen abzeichneten, die offenbar verkauft, zurück ins Lager gewandert oder gestohlen worden waren. Es gab allerdings noch genug mit Porzellan und Glasstücken gefüllte Vitrinen, Kommoden, Tischchen und weitere Möbelstücke.

Der Leichnam lag neben einem antiken Schreibtisch, der dem Mann wohl als Büro gedient hatte. Auf dem Tisch herrschte ein ziemliches Chaos aus Papieren und schmutzigen Kaffeetassen, einige Blätter waren zu Boden gesegelt.

»Solange Dr. Hornecker sich mit der Leiche befasst, können wir vielleicht die Zeugin befragen«, schlug Gernot vor.

»Wir haben eine Zeugin? Warum sind wir dann noch hier? Sie soll uns Namen und Adresse des Täters nennen, und du kannst ihn dann festnehmen.«

»Frau Schilling hat die Leiche gefunden«, sagte Gernot. »Ich habe einen Streifenbeamten gebeten, ihr drüben auf der anderen Straßenseite einen Kaffee auszugeben, damit sich ihre Nerven etwas beruhigen.« Gernot ging an Sander vorbei zur Tür. »Wir sind gleich zurück, Dr. Hornecker.«

»Lassen Sie sich Zeit«, schnaufte der dicke Mann, der sich unter größter Anstrengung auf den Boden neben den Toten kniete.

Tür und Fenster des Cafés waren mit türkis gestrichenem Holz eingerahmt, der Holzfußboden war mit weiß gestrichenen Dielen ausgelegt. Sander steuerte den ebenfalls weiß gestrichenen Verkaufstresen an und studierte die zahlreichen Kaffeevarianten, die mit Kreide auf eine Tafel geschrieben waren. Gernot ging zu dem Tisch, an dem eine elegante Dame neben einem uniformierten Beamten saß.

»Frau Schilling? Geht es wieder?«

Sie hob das sorgfältig geschminkte Gesicht. »Na ja, schön war der Anblick nicht, und so eine Sache kriegt man nicht mit einem Latte macchiato aus dem Kopf.«

»Natürlich nicht.« Gernot zog sich einen Stuhl unter dem Tisch hervor und nickte dem Beamten zu, der aufstand und das Café verließ.

Sander gesellte sich zu ihnen. »Du meine Güte. Früher gab es Kaffee mit Milch und Zucker oder mit Milch oder mit Zucker oder schwarz. Das sind doch schon genug Varianten. Heutzutage fragen sie dir die Haare vom Kopf, nur weil du ein Heißgetränk haben willst. Schlimmer kann eine Befragung zur Erlangung der kanadischen Staatsbürgerschaft auch nicht sein.«

Frau Schilling lächelte ihm flüchtig zu.

»Mein Kollege Kriminalhauptkommissar Nicolas Sander, ich bin Gernot Hagemann, Kriminaloberkommissar.«

»Ich bin Elfriede Schilling.« Die elegante Dame schwieg einen Augenblick. »Schwierige Situation. Sie haben so ausdrucksstarke Berufsbezeichnungen. Ich fürchte, damit kann ich nicht dienen. Ich bin Ehefrau. Und in dieser Eigenschaft verbringe ich den Tag damit, das Geld meines Gatten auszugeben, das Haus einzurichten, an Wohltätigkeitsveranstaltungen teilzunehmen und mit Freundinnen durch die Boutiquen zu ziehen.«

»Klingt nach einem anstrengenden Tag.« Sander rührte eine Menge Zucker in seinen Kaffee.

»Ich achte darauf, regelmäßig meine Pausen einzuhalten«, erwiderte Elfriede Schilling.

»Was ist heute Morgen passiert?«, fragte Gernot.

Frau Schilling legte zwei Finger an die Schläfe. »Großer Gott, ich wollte eine Taschenuhr abholen, und dann das.«

»War die Ladentür offen?«, fragte Gernot und legte sich einen Notizblock zurecht.

»Ja, ich war wenige Minuten nach zehn dort. Der Laden öffnet um zehn. Ich bin hineingegangen, und die Türglocke hat völlig normal geläutet. Ich stand dann im Laden und habe nach Herrn Dubelski gerufen. Aber es tat sich überhaupt nichts. Ich habe gehorcht, ob ich von irgendwo etwas höre. Hätte ja sein können, dass er auf der Toilette ist oder so. Es war aber nichts zu hören. Dann dachte ich, dass er vielleicht kurz raus ist, um sich etwas zum Frühstück zu holen. Zum Beispiel hier einen Kaffee oder einen Snack.« Frau Schilling atmete tief ein. »Und dann läutete das Telefon. Ich war überrascht, weil nichts passierte. Ich dachte, dass er oder seine Mitarbeiterin von irgendwo herkommen, wenn sie das Läuten hören, und bin ein bisschen unruhig auf und ab gegangen.«

»Und dann haben sie ihn gefunden?«, fragte Gernot mit einfühlsamer Miene.

»Ja. Wie im Krimi habe ich seine beiden Füße gesehen. Ich bin näher herangegangen und habe den Rest von dem armen Mann auf dem Teppich hinter dem Tisch liegen sehen. Seine toten Augen starrten an die Decke, und alles war voller Blut. Ich bin nach draußen gestürzt, um zu verhindern, dass ich mich auch noch auf dem armen Mann erbreche.«

Sander rührte seinen Kaffee um. »Das war sehr umsichtig.«

»Na ja, ist noch mal gut gegangen. Draußen an der frischen Luft ging’s wieder. Ich habe mein Handy aus der Tasche geholt und Sie angerufen. Also nicht Sie, sondern die Polizei im Allgemeinen.«

»Sie haben also nichts gehört und gesehen in der Zeit, in der Sie im Laden waren?«, erkundigte sich Gernot.

»Nein.«

»Und es ist auch niemand herausgekommen, als Sie bei dem Laden ankamen?«

Frau Schilling schüttelte den Kopf. »Klingt so, als wäre ich die Täterin, aber ich kann Ihnen versichern, ich war es nicht. Durch diese unangenehme Situation stehe ich jetzt ohne Geburtstagsgeschenk für meinen Mann da, wissen Sie? Ich muss mir bis heute Abend ein alternatives Geschenk ausdenken oder die Stadt nach einer anderen Taschenuhr durchstreifen.«

Sander stellte seinen Kaffeebecher ab. »Sie haben unser Mitgefühl.«

»Was mein Kollege meint, ist, dass Sie sich heute Morgen sehr umsichtig verhalten haben, und wenn Sie es wünschen, können Sie gern mit einem Polizeipsychologen sprechen.«

Frau Schilling lächelte müde. »Ich denke, dass ich diese Sache in meiner nächsten Therapiestunde mit meiner Psychologin besprechen werde. Sie ist vielleicht im Umgang mit derartigen Situationen nicht sehr routiniert, aber für hundert Euro die Stunde kann ich es ja mal herausfinden.«

»Natürlich.« Gernot erhob sich. »Der Kollege hat Ihre Personalien aufgenommen?«

»Hat er.«

»Können wir Sie irgendwohin bringen?« Gernot klappte seinen Notizblock zu.

Frau Schilling erhob sich. »Es gibt ein Antiquitätengeschäft auf der Rückseite des Hanseviertels. Dort müsste ich irgendwie hinkommen.« Sie sah Sanders Gesichtszüge entgleisen. »Ein Scherz. Sie gestatten. Aber wenn ich es mir recht überlege, dort gibt es eine Champagnerbar. Ich sollte tatsächlich dorthin gehen.«

»Viel Vergnügen«, sagte Sander.

»Danke. Auf Wiedersehen.«

Sander sah der Frau hinterher. Er schätzte sie auf etwa fünfzig Jahre. Sie trug ein graues Kostüm und schwarze Pumps mit Bleistiftabsätzen. »Ich dachte, diese Spezies ist ausgestorben«, stellte er fest.

»Tja, vielleicht haben sie noch irgendwo einen genetischen Überrest eingeschlossen in Bernstein gefunden und wieder zum Leben erweckt«, spekulierte Gernot und stellte Sanders Kaffeebecher in den Wagen für die Geschirrrückgabe.

Als sie im Antiquitätengeschäft ankamen, stemmte sich der Gerichtsmediziner gerade unter größter Anstrengung an dem antiken Schreibtisch in die Höhe.

»Ich hoffe sehr, dass die Spurensicherung den Tisch schon untersucht hat«, bemerkte Sander. »Sonst bleibt uns keine andere Wahl, als Sie festzunehmen.«

Dr. Hornecker zog ein Taschentuch aus der Jacketttasche und wischte sich die schweißnasse Stirn ab. »Das sagen Sie nur, weil Sie zu faul zum Ermitteln sind.«

Sander sah auf den Toten hinunter. »Was haben wir?«

»Einen toten Antiquitätenhändler, wenn Sie mich fragen«, keuchte der Mediziner. »Erschlagen mit einer Büste von Georg Philipp Telemann.«

»Aha.«

»Deutscher Komponist des Barock«, fügte Dr. Hornecker hinzu.

»Ist das für unsere Ermittlungen wichtig?«, fragte Sander.

»Eher nicht. Ich kenne mich mit Antiquitäten nicht aus, aber das Ding ist aus irgendeiner Art von Stein hergestellt. Ziemlich schwer.« Dr. Hornecker deutete auf die Büste, die in einer Beweismitteltüte auf dem Tisch stand. »Jemand hat die Büste genommen und ihm von rechts gegen die Schläfe geschlagen. Er dürfte umgestürzt sein wie ein Baum.«

Sander sah auf die schwarzen Slipper an Dubelskis Füßen. »Mit anderen Worten, er stand hier hinter der Ecke des Schreibtisches. Kann es sein, dass Dubelski hier am Schreibtisch saß, jemand betrat den Laden, was ihm durch das Läuten der Türglocke angezeigt wurde, er erhob sich, um nach vorn zu gehen, aber der Besucher war schon bei ihm. Es kam zum Streit, und der Täter hat ihn erschlagen?«

»Das wäre möglich«, stimmte Gernot zu. »Aber genauso gut kann Dubelski auch nach vorn gegangen sein, der Besucher hatte einen Wunsch, irgendetwas, was Dubelski nachsehen musste, sie kehrten zum Schreibtisch zurück, und da ist es dann passiert.«

Sander wiegte den Kopf. »Ja, verstanden. Wir wissen noch zu wenig. War es ein Raubüberfall?«

Dr. Hornecker zog die Schreibtischschublade auf. »Wohl nicht. Hier liegen ein paar Scheine. Tausend Euro, schätze ich.«

»Halleluja.« Sander sah in die Raumecken. »Gibt’s hier keine Überwachungskameras?«

Ein Kollege von der Spurensicherung, der eben durch die Hintertür hereinkam, schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat sich auf eine brandsichere Stahltür auf der Rückseite und auf ein Scherengitter an der Vorderseite verlassen.«

»Der Täter hat die Öffnungszeiten abgewartet und war vermutlich der erste Kunde am Morgen«, mutmaßte Sander.

»Wollen Sie sich weiter in Spekulationen ergehen, oder interessiert sich noch jemand für das Ergebnis meiner ersten Leichenschau?«

»Dafür interessieren wir uns natürlich außerordentlich«, versicherte Gernot.

»Also, er war auf der Stelle tot. Der Täter war Rechtshänder und ziemlich kräftig. Um Telemanns Kopf zu bewegen, muss man einige Kraft aufwenden, zumal Dubelski nicht ganz klein ist und man die Büste über Schulterhöhe heben muss, um den Schlag auszuführen.«

»Und die Tatzeit war zehn Uhr?«

»Plus/minus. Dank der Zeugin können wir den Tatzeitpunkt ziemlich genau eingrenzen. Er dürfte aber nicht länger als neunzig Minuten tot sein.« Dr. Hornecker schloss seine Tasche und stieg über den Leichnam hinweg. »Ich werde mich dann in die Gerichtsmedizin zurückbegeben, falls mich jemand sucht. Und den Herrn hier nehme ich mit.«

»Alles klar.« Sander folgte ihm. »Und ich gehe ins Café.«

»Schon wieder?«, fragte Gernot.

»Schon wieder. Vielleicht haben die heute Morgen ja was beobachtet«, erklärte Sander grinsend.

»Schon klar. Ich sehe, wie du dich aufopferst«, stellte Gernot fest. »Ich werde dann mal eine Bestandsaufnahme der Antiquitäten machen.«

Nach dem Frühstück kehrte Friedelinde noch einmal in ihr Zimmer zurück, um ihre Unterlagen zu holen und aufs Klo zu gehen. Bevor sie wieder hinunterging, checkte sie ihr Handy. Sie hatte etwa einhundert Nachrichten erhalten, und alle stammten von Nicolas. Warum frisst die Katze so viel? Die ist doch schon so dick! wurde gefolgt von Marie steht morgens um halb sechs in deiner Wohnung und redet wirres Zeug. Hat die kein Zuhause? und Ich frage mich, warum du eine Kaffeemaschine, aber kein Kaffeepulver hast. Die nächste Nachricht lautete: Und jetzt haben wir auch noch eine Leiche. Und schließlich: Wann kommst du zurück? Friedelinde tippte eine Antwort ein: Samstagnachmittag, und ich vermisse dich auch. Dann verließ sie das Zimmer. Allerdings machte sie auf dem Flur gleich wieder kehrt und ging in ihr Zimmer zurück. Aus dem Nebenzimmer des kleinen Hotels in St. Peter-Ording, in dem das Seminar stattfand, trat in diesem Augenblick Anja Eckert, und niemand wollte mit Anja Eckert ein Stück desselben Weges gehen, und sei es nur ein fünfzehn Meter langer Flur. Mit dem Ohr an der geschlossenen Zimmertür lauschend wartete sie ab, bis keine Schritte mehr auf dem Holzfußboden des Flurs zu hören waren, dann verließ sie erneut ihr Zimmer.

Das Hotel Schilfgras war wirklich schnuckelig, und Friedelinde hatte vor, Nicolas einen gemeinsamen Urlaub hier vorzuschlagen. Sie fand alle Jahreszeiten schön, aber jetzt im Herbst, wenn die Luft kühler und es früher dunkel wurde, gab es nichts Schöneres, als sich in dem kleinen Kaminzimmer mit einer Tasse Tee aufs Sofa zu kuscheln. Und das natürlich mit einem bestimmten Kriminalhauptkommissar, der unter seiner rauen Schale ein ausgesprochen liebebedürftiger Mann war. Nicolas Sander gab sich immer gern grantig und mürrisch, tatsächlich war er ziemlich anhänglich und wollte jede freie Minute mit ihr verbringen. Friedelinde genoss das Zusammensein mit ihm. Sie war bis über beide Ohren in den groß gewachsenen, gut aussehenden und humorvollen Mann verliebt, aber zu ihrer eigenen Überraschung gefielen ihr die Tage ohne ihn auch. Das lag vermutlich daran, dass sie so lange allein gelebt hatte und an das Alleinsein gewöhnt war.

Sie steuerte die Treppe an, und ihr fiel auf, dass die Tür zu dem Zimmer gleich neben der Treppe offen stand. Ein buntes Seidentuch lag auf dem ungemachten Bett. Friedelinde ging dichter heran. Es war das türkisfarbene Tuch mit den roten Blumen, das Sigrid am Vorabend getragen hatte. Vermutlich war es also ihr Zimmer. Sigrid hüllte sich stets in weite Gewänder und wickelte sich flatternde Schals um den Hals, um ihre ausladende Figur damit zu verdecken. Friedelinde dachte kurz daran, die Zimmertür zu schließen, aber das Hotel wurde ausschließlich von Seminarteilnehmern bewohnt, und Nachlasspfleger galten als ehrliche Menschen. Sie musste wohl nicht befürchten, dass einer von ihnen Sigrid bestehlen würde.

Sie lief die Treppe hinunter. Das Seminar fand im großen Saal am Ende des Hotels statt, dort, wo man vermutlich üblicherweise Hochzeitsfeste und Trauergesellschaften abhielt. Das Frühstück gab es in einem sonnendurchfluteten Raum, in dem bereits die Tische abgeräumt wurden. Zwei hartnäckige Seminarteilnehmer, die Friedelinde nicht kannte, ließen sich von der jungen Frau, die ihre benutzten Teller wegnahm, nicht beirren und tranken in aller Ruhe ihren Kaffee aus. Friedelinde verstand nicht, warum man sich für ein Seminar einschrieb, um es dann nicht von Anfang bis Ende zu besuchen.

Am Fenster des Frühstücksraums, das zum Garten hinausging, stand Sigrid, die sich mit einem der Referenten, Richter Sebastian Kramer, unterhielt. Genau genommen führten sie eine ausgesprochen angeregte Unterhaltung. Sigrid übergab dem Richter einen Stapel Unterlagen. Vermutlich wollte sie ihm ein eigenes Werk andrehen, woran der Richter nicht besonders interessiert war. Er blätterte es jedenfalls ziemlich achtlos durch und sagte dann etwas zu Sigrid. Die stürmte daraufhin aus dem Frühstücksraum hinaus an Friedelinde vorbei und die Treppe hoch. Immerhin brauchte sich Friedelinde jetzt keine Sorgen mehr um die Sicherheit von Sigrids Hab und Gut zu machen. Sie ging jedenfalls davon aus, dass Sigrid auf dem Weg in ihr Zimmer war.

Friedelinde nahm sich von dem Tischchen vor dem Seminarraum eine Flasche Wasser und ging hinein. An den hufeisenförmig aufgestellten Tischen war bereits etwa die Hälfte der Plätze besetzt. Am Vortag hatte eine Einführungsveranstaltung stattgefunden, in der sie sich über aktuelle Themen unterhalten hatten, von denen es mehr als genug gab. Nach etwa zwei Stunden hatten sie die Diskussion abgebrochen und waren zu dem Italiener im Ort umgezogen. Offenkundig bestand immer noch Diskussionsbedarf, denn die Teilnehmer schnatterten bereits wieder durcheinander.

Friedelinde nahm den Platz ein, an dem sie auch am Vortag gesessen hatte. Rechts neben ihr saß Klaus Decker, ein Nachlasspflegerkollege aus Hamburg. Sie kannten sich von einigen gemeinsam bearbeiteten Sachen und von mehreren Veranstaltungen.

»Mann«, stöhnte Klaus. »Dieser italienische Fusel gestern Abend hat mir echt den Rest gegeben.«

Friedelinde öffnete ihre Wasserflasche. »Draußen gibt’s Kaffee. Wenn du nett bist, hole ich dir eine Tasse.«

Klaus machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich möchte meinem Magen heute Vormittag nichts zumuten. Weder Flüssiges noch Festes.«

»So schlimm? Na ja, sag Bescheid, wenn’s wieder geht. Ich versorge dich gern mit Lebensmitteln.«

Klaus stützte einen Ellenbogen auf dem Tisch auf. »Tust du mir einen Gefallen?«

»Jeden. Sag ich doch.«

»Dann sprich heute Vormittag nicht vom Essen und Trinken.«

»Okay.« Als Friedelinde die Flasche Wasser auf dem Tisch abstellte und sich setzen wollte, rempelte sie jemand von links an. Die Flasche fiel um, und ihr Inhalt ergoss sich über Klaus’ Unterlagen und seine Hose. Friedelinde und Klaus sprangen erschrocken auf.

»Verdammte Scheiße!«, schimpfte Klaus.

»Sorry.« Friedelinde wandte sich um, um ihrerseits den Verursacher zu beschimpfen. Sie war nicht besonders überrascht darüber, Anja Eckert hinter sich zu entdecken.

»Oh! ’tschuldigung.« Anja schlug die Hand vor den Mund. »Das tut mir wirklich leid.«

Friedelinde hob eine Augenbraue und schwieg. Zum einen befürchtete sie, etwas Unfreundliches zu Anja zu sagen, zum anderen kam sie ohnehin nicht zu Wort. Anja hatte sich bereits auf Klaus gestürzt. »Ich hole sofort ein Handtuch aus meinem Zimmer. Das war wirklich ein Versehen. Ich bin mit meiner Tasche an der Stuhllehne hängen geblieben, und es gab diese unglaubliche Kettenreaktion.« Sie fingerte an Klaus herum, der einen Schritt zurück machte und sie abwehrte.

»Lass gut sein, Anja. Ich ziehe mir lieber eine andere Hose an, als …« Er warf ihr einen letzten wütenden Blick zu, ehe er hinausging.

»Lieber als was?«, fragte Anja ratlos.

Lieber, als von dir im Schritt berührt zu werden, dachte Friedelinde. »Setz dich einfach hin und sieh zu, dass du dabei den Tisch nicht umwirfst.«

»Na ja, so ungeschickt bin ich nun auch wieder nicht«, stellte Anja beleidigt fest.

»Richtig. Wenn man mal davon absieht, dass du gestern schon eine Flasche Rotwein über die weiße Tischdecke beim Italiener gekippt hast, ist noch nicht viel passiert.«

Anja hob das Kinn und setzte sich auf den Platz links neben Friedelinde. Die nahm seufzend auf ihrem Stuhl Platz und trocknete mit einem Papiertaschentuch, so gut es ging, den Tisch und Klaus’ Unterlagen.

»Guten Morgen! Ich hoffe, Sie sind alle frisch und munter und in der Lage, meinen komplizierten, aber äußerst lehrreichen Ausführungen zu folgen.« Rechtsanwalt Benedict Lübke betrat mit federndem Schritt den Raum und ging zu dem Tisch, der gegenüber dem offenen Ende des Hufeisens stand. Er sah grinsend in die Runde. »Nanu, es sind noch nicht alle Plätze besetzt? Sollte es unter Ihnen Kollegen geben, die schon alles wissen?«

»Eigentlich nur Anja, aber die ist schon da«, meldete sich Martin zu Wort und erntete wie üblich Gelächter.

Bis der Referent seinen Laptop gestartet hatte und die erste Folie auf der Wand erschien, trafen noch weitere Teilnehmer ein. Klaus trug jetzt eine Jeans und warf Anja einen vernichtenden Blick zu.

»Schön«, begann Lübke. »Für alle, die mich noch nicht kennen, ich bin Rechtsanwalt Benedict Lübke und erzähle Ihnen heute Morgen etwas über das Bezugsrecht von Lebensversicherungen. Ein leidiges Thema für den Nachlasspfleger, ich weiß.« Lübke, der zum Fenster gegangen war, kehrte zu seinem Laptop zurück und tippte etwas ein, woraufhin die nächste Seite seines Skripts erschien, eine Auflistung der verschiedenen Varianten des Bezugsrechts.

Lübke begann seinen Vortrag. Friedelinde kannte ihn als guten Redner, der hin und wieder eine geistreiche Bemerkung oder einen Witz machte.

»Bezugsberechtigt kann irgendeine Person sein …« Er unterbrach sich und sah kurz zum Fenster hinüber, ehe er fortfuhr. »Es kann aber auch sein, dass die gesetzlichen Erben als Bezugsberechtigte bestimmt wurden. Das ist insofern kurios, als die einen Anspruch auf die Auszahlung haben, selbst wenn sie die Erbschaft ausschlagen.« Er lächelte seinen Zuhörern zu. »Was Sie als Nachlasspfleger in so einem Fall tun können, dazu komme ich später.« Lübke steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte erneut zum Fenster hinüber. »Was zum Teufel ist da draußen eigentlich los?«

Jetzt sah Friedelinde, die mit Blick zum Fenster saß, was den Referenten so irritierte. Dort draußen war Blaulicht zu sehen. Das hatten jetzt offenbar auch die übrigen Anwesenden kapiert, denn plötzlich schoben alle ihre Stühle zurück und liefen zu den Fenstern, an denen sie in Trauben hingen und hinaussahen. Nur Friedelinde blieb sitzen. Sie wusste, was es dort draußen zu sehen gab, und ein Polizeiwagen mit eingeschaltetem Blaulicht bedeutete in keinem Fall etwas Gutes.

Anders als die anderen Teilnehmer wandte sie sich nicht zur Tür um, als diese aufgerissen wurde.

»Guten Tag, meine Damen und Herren. Kriminalpolizei St. Peter-Ording, Hansen mein Name. Hier im Haus ist ein Verbrechen geschehen. Ich muss Sie bitten, vorerst diesen Raum nicht zu verlassen.«

Kapitel 2

Da Sander das Kaffeeangebot in dem Café gegenüber bereits kannte, dauerte sein Entscheidungsprozess diesmal nur halb so lange. Er nahm einen Cappuccino. Wenn er seinen Kaffeekonsum nicht reduzierte, würde er einen Herzkasper kriegen.

»Danke.« Er schenkte der freundlichen Bedienung hinter dem Tresen ein Lächeln. »Ich bin mit der Mordermittlung dort drüben befasst.« Sander machte eine Kopfbewegung zur Tür.

Die junge Frau, die eben noch sein Lächeln erwidert hatte, wurde ernst. »Der arme Herr Dubelski. Das war so ein netter Mensch.«

»Ist er manchmal zum Kaffeetrinken rübergekommen?«

»Ja.« Sie deutete auf die hohe Vitrine am Ende des Tresens. »Er hat meistens einen Snack mitgenommen. Nur ganz selten hat er sich hierher gesetzt und mit jemandem gesprochen.«

»Wissen Sie etwas über sein Privatleben? Gibt es eine Ehefrau?«

Sie schob die Unterlippe vor. »Über Privates habe ich jedenfalls nicht mit ihm gesprochen. Vielleicht einer meiner Kollegen. Wir haben uns immer über Kunden unterhalten. Was die sich so rausnehmen und wie viel man sich gefallen lassen muss und so.«

»Verstehe.« Sander sah zur Tür hinüber. Durch die großzügigen Fenster und die Glastür hatte man einen wunderbaren Blick auf das direkt gegenüberliegende Gebäude, in dem das Antiquitätengeschäft untergebracht war. »Haben Sie heute Morgen dort drüben etwas gesehen?«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir öffnen um acht, und dann ist immer gleich die Hölle los. Die Leute kaufen sich auf dem Weg zur Bahn oder zur Arbeit einen Kaffee zum Mitnehmen. Es wird erst gegen zehn wieder ruhiger, bevor gegen elf die ersten Gäste zum zweiten Frühstück eintrudeln.«

Es gab noch einen weiteren Mitarbeiter, einen jungen Mann, der an der Espressomaschine stand. Aber er hatte am Morgen ebenfalls alle Hände voll zu tun gehabt und nichts gesehen. Zwei weitere Angestellte in der Küche hatten von ihrem Arbeitsplatz aus gar nichts sehen können.

»Wie würden Sie Herrn Dubelski beschreiben?«, fragte Sander schließlich. Die Schlange am Tresen war lang geworden, und die Mitarbeiterin des Cafés wurde ungeduldig.

»Er war ein netter Mann, und was auch immer da drüben passiert ist, er hat es nicht verdient.«

»Gut.« Sander schob seine Visitenkarte über den Tresen. »Bitte legen Sie die hinter den Tresen, falls einem von Ihnen noch etwas einfällt. Tschüss.«

»Tschüss.« Sie wandte sich bereits dem ersten Kunden in der Schlange zu.

Sander trat auf die Straße. Links neben dem Antiquitätengeschäft gab es eine Buchhandlung, rechts einen Klamottenladen. Er würde die ganze Straße abklappern müssen, um festzustellen, ob es Aufnahmen von Überwachungskameras gab.

Sander wollte eben die Fahrbahn überqueren, um mit dem Buchladen anzufangen, als sein Handy läutete. Er zog es aus der Innentasche seiner Jacke.

»Hey«, sagte er erfreut, nachdem er festgestellt hatte, dass Friedelinde die Anruferin war.

»Hey.«

»Ist was passiert, dass du anrufst? Oder hattest du einfach nur Sehnsucht.«

»Beides.«

»Was soll das heißen?«

»Dass ich Sehnsucht nach dir habe.«

»Nein, was passiert ist, will ich wissen.«

»Na ja, ich kann nichts dafür, aber eine der Teilnehmerinnen ist umgebracht worden.«

»Friedelinde!«

»Entschuldige, schrei mich nicht so an. Ich hab sie ja nicht ermordet.«

»Habt ihr die Polizei schon gerufen?«

»Jaha. Hat die Inhaberin des Hotels gemacht, nachdem das Zimmermädchen sie gefunden hat.«

»Wie heißt der Kommissar?«

»Äh, hab ich vergessen. Wie man hier oben so heißt, Harms, Harmsen oder Hansen oder so.«

Sander atmete tief ein. »Ich werde wahnsinnig. Wie heißt das Opfer?«

»Sigrid.«

»Mit Nachnamen, Friedelinde.«

»Martens.«

»Gut, du machst nichts, rühr dich nicht vom Fleck, ich ruf die Kollegen in St. Peter-Ording an.«

»Ich darf mich gar nicht vom Fleck rühren. Die lassen uns nicht mal aus dem Seminarraum, obwohl ich ziemlich doll Pipi muss.«

»Kannst du dich an unsere erste Begegnung erinnern?«

»Du meinst, als du dich so kommissarmäßig aufgeführt hast und dann doch auf meine Hilfe angewiesen warst?«

»Nein, ich meine, als du dir alle Mühe gegeben hast, die Spuren des Täters zu verwischen, ehe du die Polizei gerufen hast.«

»Das war, bevor ich die Leiche gefunden habe.«

»Ist auch egal jetzt. Jedenfalls gilt: Du lässt die Finger von dieser Sache, pfuschst der Polizei nicht rein und passt auf dich auf. Auf keinen Fall bringst du dich in Gefahr.«

»Ja klar. Ich muss jetzt auflegen. Die wollen mich verhören.«

»Bis später«, sagte er, aber sie hatte schon aufgelegt.

Nachdem sich Friedelinde in der Vergangenheit bereits dreimal in Gefahr gebracht hatte, weil sie auf eigene Faust einen Mörder ermitteln wollte, würde er es auf keinen Fall zulassen, dass das ein viertes Mal passierte. Er hatte schließlich vor, den Rest seines Lebens mit ihr zu verbringen, und er wusste nicht, ob er immer rechtzeitig zur Stelle sein würde.

Sander rief in der Zentrale der Hamburger Polizei an und bat die Kollegen, den Kontakt zu dem ermittelnden Beamten in St. Peter-Ording herzustellen. In Anbetracht der jüngsten Entwicklung trat auf alle Fälle Plan B in Kraft.

Als er den Tatort betrat, beugte sich Gernot eben über die Glasabdeckung eines Ausstellungstisches. »Das sind echt schöne Stücke hier. Ich sollte Betty etwas davon mitbringen.«

»Ja, aber vergiss nicht, ein bisschen Geld in die Schatulle zu legen«, entgegnete Sander. »Hör mal, würdest du heute Vormittag auch ohne mich zurechtkommen?«

»Was? Aua!« Gernot rieb sich den Hinterkopf, den er sich an einer schweren Messinglampe gestoßen hatte. »Wie stellst du dir das vor? Wir müssen hier das Inventar zu Ende aufnehmen, Zeugen befragen, die Wohnung des Opfers aufsuchen, wenn wir sie denn erst mal gefunden haben, seine Unterlagen unter die Lupe nehmen, und, und, und. Ich habe Betty eben angerufen und ihr gesagt, dass es heute später werden wird.«

Sander seufzte. »Weiß ich. Es ist nur so, dass Friedelinde eine Leiche gefunden hat.«

»Ach nee, nicht schon wieder. Wo denn?«

»In St. Peter-Ording.«

»Gott sei Dank ist das nicht unser Zuständigkeitsbereich.«

»Entschuldige mal. Ich mach mir Sorgen um sie.«

»Das verstehe ich ja auch. Aber haben die da oben keine Polizei?«

»Doch. Ich würde nur gerne bei ihr sein«, sagte Sander leise.

Gernot lächelte. »Diese Frau bringt die beste Seite in dir zum Vorschein.« Er sah sich um. »Aber trotzdem. Wir stehen gerade erst ganz am Anfang.«

»Okay.« Sander zog seine Jacke aus und hängte sie über die Messinglampe. »Wo fange ich an?«

Einer der uniformierten Beamten, von denen es plötzlich in dem kleinen Hotel nur so wimmelte, führte Friedelinde in das Kaminzimmer und forderte sie auf, vor dem kleinen Sekretär Platz zu nehmen. An dem kleinen Tischchen waren bisher vermutlich Liebesbriefe oder jedenfalls Urlaubsgrüße geschrieben worden. Damit, dass heute hier Zeugen und Verdächtige verhört wurden, war das Hotel für künftige romantische Ausflüge mit Nicolas für Friedelinde gestorben. Schade eigentlich.

Sie setzte sich auf den zierlichen Stuhl und wartete darauf, dass sich dieser Kommissar mit ihr unterhalten würde. Kurz darauf trat ein großer blonder Mann ein, dessen Handy im selben Augenblick läutete. Er entschuldigte sich kurz bei ihr und verschwand wieder. Seufzend sah Friedelinde aus dem Fenster und wartete ab. Diese Sache mit Sigrid war wirklich schlimm. Sie konnte es immer noch nicht fassen. Immerhin hatte sie am Vorabend noch quicklebendig mit allen anderen zusammen beim Italiener gesessen. Und die Frage, ob sie noch etwas hätte ausrichten können, wenn sie heute Morgen mehr auf Sigrid geachtet hätte, machte Friedelinde völlig fertig.

Die Tür zum Kaminzimmer wurde wieder geöffnet, und der Blonde trat erneut ein.

»Frau Engel«, sagte er und setzte sich auf die andere Seite des Sekretärs.

Sein Haar lichtete sich bereits. Friedelinde schätzte ihn auf Mitte fünfzig.

»Sie kommen also als Täterin nicht in Betracht«, stellt er fest.

»Entschuldigung, Herr … ich habe Ihren Namen nicht verstanden.«

»Kriminalhauptkommissar Björn Hansen.« Er grinste.

»Nicht, dass ich gern als Täterin verdächtig wäre. Abgesehen davon war ich es auch nicht, aber warum komme ich als Täterin nicht in Betracht?«

»Wir haben eine Meldung aus Hamburg erhalten. Wir sollen ein Auge auf Sie haben, aber nicht, weil Sie verdächtig wären, sondern weil Sie uns unter Umständen die Arbeit abnehmen.«

Nicolas! Friedelinde seufzte. Der würde was zu hören kriegen.

Hansen schob die Unterlippe vor. »Drei Täter gestellt. Das soll Ihnen erst mal jemand nachmachen.«

»Ich dachte, es ginge hier um die arme Sigrid«, stellte Friedelinde spitz fest.

Hansen richtete sich auf. »Natürlich. Also, schießen Sie los.«

»Wann ist sie denn ermordet worden?«

Hansen guckte belustigt. »Mit Erzählen, nicht mit Fragen.«

»Okay. Also, ich bin heute Morgen nach dem Frühstück noch einmal in meinem Zimmer gewesen. Auf dem Weg nach unten bin ich an Sigrids Zimmer vorbeigekommen. Jedenfalls nehme ich an, dass es ihres ist. Das erste auf der rechten Seite im zweiten Stock, oder?«

Hansen verzog keine Miene. Der Kerl hatte sich zu gut unter Kontrolle.

»Die Tür stand offen, und ich habe kurz daran gedacht, die Tür zu schließen oder reinzugehen und zu gucken, ob Sigrid da ist, aber dann bin ich doch runtergegangen.« Dass sie in erster Linie nicht mit Anja hatte zusammenstoßen wollen, musste sie dem Kommissar ja nicht erzählen.

»Und als Sie dort vorbeikamen, haben Sie im Zimmer niemanden gesehen?«

Friedelinde schüttelte den Kopf. »Niemanden gesehen und niemanden gehört.«

»War noch jemand auf dem Flur?«

»Nein, zu dem Zeitpunkt nicht.«

»Und zu einem anderen Zeitpunkt?«

Friedelinde zog eine Grimasse. »Vorher hatte ich Anja, also Frau Eckert, auf dem Flur gesehen.«

»Auf dem Weg in ihr Zimmer oder zur Treppe?«

»Zur Treppe?« Friedelinde wusste selbst, dass das eher wie eine Frage geklungen hatte.

»Sie ist also vor Ihnen zur Treppe gegangen. War Frau Eckert schon da, als Sie im Seminarraum ankamen?«

»Nein, sie kam später, aber das muss ja nichts heißen.«

»Was muss es nicht heißen?«

Verdammt! Verplappert. Es musste nicht heißen, dass Anja in aller Ruhe Sigrid abgemurkst hatte, um dann in den Seminarraum zu kommen und diesen Tumult zu veranstalten. »Nichts eben.«

»Aha. Ihnen ist nicht aufgefallen, dass Frau Martens nicht im Seminar anwesend war?«

Friedelinde schüttelte den Kopf. »Ich hab sie kurz vorher noch im Frühstücksraum gesehen, wie sie sich mit Richter Sebastian Kramer unterhielt. Kann sein, dass ich deshalb gedacht habe, sie kommt später und ist vielleicht nochmal auf ihr Zimmer.«

»Wer saß neben Ihnen im Seminarraum?«

»Links Frau Eckert und rechts Klaus Decker.«

»Hm.« Hansen hatte sich die ganze Zeit über Notizen gemacht und schrieb auch jetzt mit. Vermutlich versuchte er festzustellen, wer wann eingetroffen war und wo jeder gesessen hatte.

»Sie alle sind gestern angereist?«

»Ja, ich glaube, nur ein Kollege aus Flensburg kam heute Morgen. Alle anderen sind gestern Nachmittag eingetroffen.«

»Wann kamen Sie hier an?«

»Ich glaube, so gegen fünf. Ich bin am frühen Nachmittag zu Hause losgefahren.«

»Und dann?«

Friedelinde sah den Kommissar fragend an. »Wie, und dann?«

»Na ja, erzählen Sie mal. Wer war schon da, wer kam nach Ihnen, was haben Sie alle so gemacht.«

»Tja, also, das war so …«

Kater Cäsar saß auf dem gefliesten Boden in Friedelindes Büro, dem ehemaligen Lebensmittelgeschäft Riekmann, und lauschte andächtig den Worten seiner Dosenöffnerin. Na ja, bis zu einem gewissen Punkt. Als sie ihn dazu ermahnte, nett zu dem Kommissar zu sein, übermannte ihn die Müdigkeit, und er gähnte ausgiebig. Er hatte genug gehört, hob sein Hinterteil an und stolzierte in die Küche, um dann vor seinem halb vollen Napf klagende Laute auszustoßen. Ein halb voller Napf war schließlich kein voller Napf.

Im Schlafzimmer warf Friedelinde die auf dem Bett zurechtgelegten Klamotten in ihre Reisetasche und ging dann in ihr angrenzendes Büro, um noch ein paar Unterlagen mitzunehmen. Wie immer an Tagen, an denen ihre Zeit begrenzt war, hatte das Telefon nicht stillgestanden, und sie war kaum zum Arbeiten gekommen. Der Gedanke daran, dass ihr jetzt auch noch zwei Arbeitstage fehlten, an denen sie am Seminar teilnahm, machte sie nervös, aber andererseits waren Fortbildungen immer sinnvoll. Selbst wenn einen nicht alles interessierte oder betraf, gab es immer den ein oder anderen Hinweis, der sie in ihrer Arbeit weiterbrachte, ganz zu schweigen von der Begegnung mit ihren Kollegen.

Sie sah sich prüfend um und kam zu dem Schluss, dass sie alles eingepackt hatte, als die Türglocke läutete. Statt eines unwillkommenen Besuchers erblickte sie jedoch einen angenehmen Störenfried.

Nicolas Sander, groß, schlank, dunkelhaarig und gut aussehend, stand etwas verlegen in der Tür. »Ich wollte mich kurz verabschieden.« Er schwieg nachdenklich. »Oder muss es heißen, dich verabschieden?«

»Egal.« Friedelinde schmiegte sich in seine Arme.

»Wann kommst du noch mal wieder?«, erkundigte er sich nach einem ausgiebigen Kuss.

Friedelinde verbarg ihr Gesicht an seiner Brust, damit er ihr Grinsen nicht sah. »Am Samstagmittag.« Wie oft hatte sie ihm das schon gesagt? Fünf Mal, hundert Mal?

»Hm. Ganz schön lange.«

»Na ja, zwei Tage.«

»Und zwei halbe«, murmelte er in ihr Haar.

»Du wirst das schon schaffen. Cäsar ist bei dir, und Marie wohnt nebenan, und wenn es zu schlimm wird, gehst du zu Elvira rüber.« Elvira Schmidt betrieb einen Waschsalon auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der zugleich einen Treffpunkt für Einsame und Menschen mit Redebedarf bot. »Dann kannst du gleich die Wäsche waschen.«

Cäsar kam aus der Küche herbeigeschlendert und putzte sich die Schnurrhaare.

»Ihr werdet schon zurechtkommen. Du und der Kater.«

»Wenn du meinst.«

Friedelinde löste sich von ihm. »Ich muss mal los. Ich weiß nicht, wie stark der Verkehr ist, und um sechs haben wir unser erstes Beisammensein.«

Nicolas spielte mit dem Behälter für Büroklammern. »Sind da auch Männer?«

»Natürlich nicht. Nur Frauen dürfen Nachlasspfleger werden.« Friedelinde streichelte dem Kater den Kopf.

»Zum Glück. Wenn dir da irgendein Nachlasspfleger zu nahetritt, werde ich ungemütlich.«

»Ich werde den Kerlen sagen, dass ich einen Freund habe, der sie erschießt, wenn sie sich mir nähern.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze. »Ist das so richtig?«

»Allerdings«, knurrte er.

Sie nahm ihre Tasche auf und ging zur Tür.

»Und wenn du wiederkommst, können wir dann mal reden?«

Friedelinde sah ihn besorgt an. »Alles in Ordnung? Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«

Auf Nicolas Sanders Gesicht erschien ein verschmitztes Grinsen. »Es gibt noch ziemlich viel, was du wissen solltest, Baby.«

»Na, da bin ich aber gespannt.« Friedelinde schloss die Glastür zu ihrem Büro ab. »Den Schlüssel hast du?«

Er schlug sich auf die Jackentasche. »Jepp.«

»Dann mach es gut, bis bald.«

»Tschüss.« Er gab ihr noch einen Kuss, dann stieg Friedelinde in ihren Wagen und fuhr los.

Auf der Autobahn herrschte dichter Verkehr, aber je weiter sie sich von Hamburg entfernte, desto besser kam sie voran. Barry White und sie vertrieben sich die Zeit mit dem Singen seiner besten Songs, wobei Barry die Bassstimme übernahm. Das Wetter war mäßig, aber nach einem heißen Sommer war der kühle Herbst ganz angenehm. Immerhin regnete es nicht, und der Wind hielt sich auch in Grenzen.

Friedelinde erreichte St. Peter-Ording um kurz nach fünf. Das Hotel Schilfgras war in einem rechteckigen weißen Gebäude untergebracht, vor dem eine kiesbestreute Auffahrt um ein Rosenbeet herum verlief. Das Haus war von hohen Fichten umgeben, die leicht im Wind schwankten. Ein kleines Schild zeigte den Weg auf den Gästeparkplatz auf der Rückseite des Gebäudes an, der zur Hälfte besetzt war.

Friedelinde stellte ihren Wagen neben einem riesigen SUV ab, neben dem ihr Kleinwagen winzig wirkte, nahm ihre Tasche und betrat das Hotel durch die rückwärtige Eingangstür. Die Inhaberin des Hotels, Frau Holm, fertigte gerade einen Kollegen aus Frankfurt ab, dessen Name Friedelinde entfallen war. Friedelinde wünschte einen guten Tag in die Runde, und als Frau Holm sagte: »Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt, Herr Schnabel«, fiel es Friedelinde wieder ein. Das war der schöne Ludger, hinter dem Anja bei ihrem letzten Treffen her gewesen war. Allerdings hatte irgendeine andere Teilnehmerin das Rennen gemacht. Friedelinde erinnerte sich im Augenblick nicht mehr daran, welche, nur daran, dass Ludger verheiratet war. Aber das konnte sich ja geändert haben.

»Hallo«, grüßte Friedelinde die Anwesenden und wartete geduldig ab, bis Ludger eine lange Liste von Extrawünschen abgespult hatte. Wozu brauchte der Mann ein Lammfell in seinem Zimmer? Sie schüttelte sich. Eigentlich wollte sie das gar nicht so genau wissen.

Schließlich war sie an der Reihe, und Frau Holm wies ihr ein Zimmer im ersten Stock mit Blick auf den Parkplatz und den dahinterliegenden Garten zu. Es war im skandinavischen Stil eingerichtet, mit Holzfußboden und weiß lackierten Möbeln.

Friedelinde stellte kurz ein paar Sachen ins Bad, schickte Nicolas eine Nachricht und begab sich dann zu der Sitzgruppe im Erdgeschoss. Sie machte sich mit einigen Teilnehmern bekannt und begrüßte Kollegen, die sie bereits kannte.

Als sie gerade damit begannen, sich über die anstehenden Vorträge auszutauschen, kam Klaus Decker die Treppe herunter. Sie umarmten sich kurz.

»Wie geht’s?«, erkundigte sich Friedelinde.

Klaus sah sich hektisch um. »Ist sie hier?«

Friedelinde sah ihm über die Schulter. »Wer?«

»Anja«, flüsterte er. »Ich weiß nicht, wie sie darauf kommt.«

»Worauf?«

»Dass ich was von ihr will«, raunte Klaus.

»Du meine Güte. Brauchst du Polizeischutz?«

»Kannst du nicht so tun, als hätten wir was miteinander?«

Friedelinde schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Du würdest diesen Gefallen mit dem Leben bezahlen.«

Klaus sah sie verständnislos an, aber ehe Friedelinde ihre Bemerkung erläutern konnte, trat Anja zu ihnen. »Ah, da bist du ja.« Der Tonfall, mit dem sie Klaus bedachte, war eine Mischung aus vorwurfsvoll und erleichtert.

Friedelinde packte Klaus am Arm. »Und leider ist er auch schon wieder weg«, erklärte sie der verdutzten Anja. »Kurz was besprechen.«

Friedelinde zog ihn mit sich, und gemeinsam steuerten sie eine kleine Gruppe von Personen an. Klaus drückte ihre Hand. »Danke. Ich werde dir ewig dankbar sein.«

»Hast du Stift und Papier da? Ich hätte das gern schriftlich.« Friedelinde grinste, dann wandte sie sich einer korpulenten Frau zu. »Hallo, Sigrid.«

»Hallo.« Sigrid klang gehetzt und sah an Friedelinde vorbei.

»Ist hinter dir auch jemand her?«, fragte Friedelinde.

»Wie?« Sigrid wandte sich Friedelinde zu, aber nur für einen kurzen Augenblick. Dann lächelte sie Klaus an. »Hallo, Klaus.«

Du meine Güte! Klaus war ein netter Kerl, aber warum sie plötzlich alle hinter ihm her waren, verstand Friedelinde nicht. Aber sie musste auch nicht alles verstehen.

Ein groß gewachsener Mann begrüßte sie. »Benedict Lübke, hallo.«

Friedelinde nahm seine Hand. »Friedelinde Engel. Sie sind einer unserer Referenten«, stellte sie fest.

»Ja, morgen früh geht’s los.«

»Mir gefallen Ihre Vorträge immer gut«, bekannte Friedelinde.

»Ah, Sie haben mir schon gelauscht. Das freut mich. Wo sind Sie tätig?«

»In Hamburg. Ich habe ein Büro in Altona.«

»Ah, Altona kenne ich ganz gut. Ich war eine Weile Sozius in einer Kanzlei dort.«

»Sie haben doch kürzlich dieses Seminar über Qualitätsmanagement gehalten«, meldete sich Sigrid zu Wort. »Ein sehr wichtiges Thema. Viele Kollegen arbeiten sehr nachlässig. Ich hatte kürzlich den Bericht eines Kollegen in den Händen, da hatte man zu jeder zweiten Zeile eine Nachfrage. Es waren keine Sicherungsmaßnahmen ergriffen worden.« Sie schüttelte sich. »Einfach schrecklich.«

»Na klar gibt es auch unter den Nachlasspflegern schwarze Schafe«, pflichtete ihr der Anwalt bei. »Aber es findet doch eine natürliche Auswahl durch die Kontrolle des Gerichts statt. Ein Nachlasspfleger, der nicht gut arbeitet, wird nicht mehr bestellt.«

Friedelinde fand Sigrids Reaktion etwas übertrieben. »Es gibt nun mal kein Studium zum Nachlasspfleger, und man muss auch das umfangreiche Aufgabenspektrum bedenken. So eine Nachlasspflegschaft hat schnell Bezüge zum Mietrecht oder einem anderen Rechtsgebiet und zu anderen Bereichen, in denen man sich nicht auskennt. Dann muss man sich eben Hilfe suchen.«

»Richtig, dafür sind wir Anwälte ja da«, bestätigte Lübke grinsend.

»Und mit Steuererklärungen beauftrage ich den Steuerberater«, ergänzte Friedelinde.

Sigrid schien der Unterhaltung jedoch schon nicht mehr zu folgen. Sie schielte in eine andere Ecke des Raumes, in der sich ein weiterer Referent, Richter Sebastian Kramer, mit Martin Schmidt unterhielt. Vermutlich beschränkte sich die Unterhaltung darauf, dass Kramer Martins mittelmäßigen Witzen lauschte.

Sigrid zwängte ihre üppige Figur zwischen Klaus und Friedelinde hindurch und eilte auf Kramer zu. »Herr Kramer, ich habe da mal etwas vorbereitet.«

»Und im Übrigen hilft es schon, regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen zu besuchen«, führte Klaus das Gespräch fort.

Sie wurden unterbrochen, als der Seminarleiter in die Hände klatschte und mit erhobener Stimme sagte: »Ich bitte Sie, Ihre Unterhaltungen vorerst einzustellen und später beim Italiener fortzusetzen. Bitte finden Sie sich im Saal am Ende des Ganges ein. Wir beginnen jetzt mit unserer Arbeitsgruppe.«

Nach eineinhalb Stunden angeregter Diskussion erhob sich der Seminarleiter und erklärte, dass sie sich vermutlich noch bis zum nächsten Morgen würden unterhalten können, aber es gab schließlich niemanden, der es ihnen verbot, den Ort zu wechseln und zum Italiener zu gehen. Kurz darauf setzte sich ein ziemlich imposanter Tross in Richtung Ortskern in Bewegung.

Da Fabrio hatte eine lange Tafel gedeckt, und im Handumdrehen waren alle Plätze besetzt. Friedelinde konnte nicht verhindern, dass Anja sich neben sie setzte. Anja wollte nun mal in Klaus’ Nähe sitzen, und der saß zu Friedelindes Rechten.

Es dauerte eine Weile, bis alle ihre Bestellungen aufgegeben hatten, aber kurz darauf stand eine stattliche Anzahl Weinflaschen auf dem Tisch, und die Vorspeisen wurden aufgetragen. Friedelinde gegenüber saß Sigrid und neben ihr der schöne Ludger. Eine ungewöhnliche Kombination, aber Ludger machte nicht den Eindruck, als fühle er sich unwohl. Sigrid hatte es irgendwie geschafft, sich vor dem Abendessen noch umzuziehen. Sie trug eine weite, dunkelblaue Tunika und dazu ein türkisfarbenes Seidentuch mit rotem Blumenmuster. Sie wandte sich auffallend häufig Ludger zu und sagte etwas zu ihm, was bei dem Geräuschpegel auf der anderen Seite des Tisches aber nicht zu verstehen war.

Klaus beugte sich zu Friedelinde herüber. »Ich glaube, mir wird schlecht.«

»Lass sie doch. Ich hoffe nur, dass Ludger sich keinen fiesen Scherz mit Sigrid erlaubt. Sie ist doch eigentlich nicht sein Typ«, gab Friedelinde zurück.

»Sie hat den doppelten Umfang seines Typs.«

Friedelinde bedachte ihn mit einem strafenden Blick. »Das war nicht nett und auch ein bisschen frauenfeindlich.« Sie hielt einen Augenblick inne. »Wenn ich es mir recht überlege, war diese Bemerkung auch ein Affront gegen mich.«

»Nicht doch, bei dir ist alles gut, so wie es ist.«

»Das sagst du nur, weil ich in deiner Reichweite sitze.«

Sie rutschten ein wenig beiseite, damit die Hauptgerichte aufgetragen werden konnten. Friedelinde hatte sich für das schlichte Gericht Spaghetti mit Pesto entschieden und gab ordentlich Parmesan auf ihre Portion. Mit dem Wein würde sie sich ein wenig zurückhalten.

»Kannst du mir den Parmesan mal geben?«, fragte Anja.

»Ja klar.« Friedelinde nahm die Glasschale, die in einem silbernen Gestell stand, und hob sie an. Im selben Augenblick langte Anja nach der Rotweinflasche, die sie aber nicht richtig zu fassen bekam und umstieß.

»Ach, du Schreck!« Friedelinde hob die Tischdecke an, damit der Wein nicht auf die Sitzenden tropfen konnte. Ein Kellner eilte bereits herbei und legte Servietten aus.

Klaus schüttelte den Kopf. »Der schöne Wein.«

»Ja, sorry. Hat jemand was abgekriegt?«

»Leider nicht. Jedenfalls nicht, ehe du die Flasche umgeworfen hast«, witzelte Friedelinde und zog sich damit Anjas Unmut zu.

»Wo ist eigentlich Richter Kramer?«, fragte jemand, als sich die Lage wieder beruhigt hatte.

»Der setzt Lorenz schachmatt.«

»Das schafft er nie. Lorenz ist Meister der Gruppe Kiel-Süd.«

Vielleicht wollte Sebastian Kramer auch einfach nur Sigrids Nachstellungen entgehen, aber deshalb musste er sich offenbar keine Gedanken mehr machen. Im Augenblick jedenfalls passte kein Blatt Papier mehr zwischen sie und Ludger.

»Hey«, meldete sich Martin zu Wort. »Kennt ihr den? Der Anwalt liest den Verwandten den Letzten Willen eines reichen Verstorbenen vor: ›Und an Heinz, dem ich versprach, ihn in meinem Testament zu erwähnen, einen herzlichen Gruß: Hallo, Heinz, alter Knabe.‹«

»Ja, witzig, Martin.« Sigrid, die neben ihm saß, beugte sich über seinen Teller. »Gib mir mal das Öl.«

Martin reichte ihr die Flasche mit dem Olivenöl. »Und den mit dem Arzt? Kennt ihr den?«

»Während des Hauptgangs werden keine Witze erzählt, Martin. Das gehört sich nicht«, sagte Klaus.

»Richtig, und das gilt bis nach dem Digestif, falls dir dieser Begriff etwas sagt«, stellte Anja fest und spießte missmutig ein paar Salatblätter auf.

Nach Friedelindes Meinung konnte man nicht beides haben: eine gute Figur und Spaß beim Essen.

Einer der Teilnehmer kehrte von einer Rauchpause zurück und brachte eine Wolke Zigarettengestank mit herein.

Sigrid rümpfte die Nase.

»Trink einen Schluck destilliertes Wasser, das hilft gegen die bösen Rauchgeister«, witzelte Martin und erntete dafür einen bösen Blick aus Sigrids blauen Augen. Aber davon ließ er sich nicht die Laune verderben. »Vielleicht kann auch Ludger ein wenig Mund-zu-Mund-Beatmung machen.«

Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen am Tisch, und Ludger, der den Arm auf Sigrids Rückenlehne gelegt hatte, rückte ein wenig von ihr ab.

»Okay, Martin«, meldete sich Klaus zu Wort. »Du hast jetzt nicht nur Witzverbot, sondern auch Sprechverbot.«

»Ich ...«

»Halt einfach die Klappe!«

Tatsächlich schwieg Martin eine Weile, begann dann aber, seine Sitznachbarn in ein Gespräch zu verwickeln. Klaus jedenfalls widmete sich der Weinverkostung. Nach einem Merlot war er zu einer Flasche Nero d’Avola übergegangen. Zu Friedelindes Erleichterung langweilte Anja ihre andere Sitznachbarin und nicht sie mit einer ausführlichen Schilderung eines von ihr bearbeiteten Falles. Friedelinde verfolgte währenddessen mit einigem Interesse, wie Ludger Sigrid mit Tiramisu fütterte. Aber sie hatte sich zu früh gefreut. Sie kam wenig später in den Genuss der Wiederholung von Anjas Vortrag. Entweder erlebte diese Frau nichts oder sie hatte nur eine einzige Sache zu bearbeiten. Und die war nicht besonders spannend.

Allmählich wurde Friedelinde müde. Sie ließ den Blick über die Leute am Tisch schweifen. Nachlasspfleger waren eigentlich Inhaber eines ehrenvollen und verantwortlichen Amtes. An diesem Abend aber hätte man eher den Eindruck gewinnen können, dass sie sich mit einer Gruppe von Teenagern auf Klassenreise befand.

Gegen dreiundzwanzig Uhr machte sich der größte Teil der Gesellschaft auf den Rückweg zum Hotel, darunter auch Friedelinde, Anja und Klaus. Martin hatte ein Opfer für seine Witze gefunden, eine ziemlich junge Frau, die Friedelinde noch nicht kannte. Vielleicht fand sie nicht den richtigen Absprung, andererseits wirkte sie nicht allzu unglücklich. Tatsächlich kicherte sie die ganze Zeit. Sigrid und Ludger waren ebenfalls in ein intensives Gespräch vertieft, ihre Schultern berührten sich, und Sigrid wirkte ungewöhnlich zahm. Möglicherweise war der gut aussehende Ludger ihr Typ. Dagegen konnte man nichts sagen. Die eine stand auf Witzeerzähler, die andere auf eingebildete Schnösel.

Auf dem Rückweg hängte sich Friedelinde bei Klaus ein, wobei sie das Ziel verfolgte, ihn davon abzubringen, in fremde Gartenhecken zu fallen oder über irgendetwas am Wegesrand zu stolpern. Der größte Teil der Teilnehmer hatte sich ihnen angeschlossen, und vor der Tür des Hotels kam der Tross kurz zum Stehen. Schließlich polterten alle die Treppe hoch und verschwanden nach und nach in ihren Zimmern.

Friedelinde versandte eine letzte Nachricht an Nicolas und ging zu Bett. Sie war gleichzeitig todmüde und aufgekratzt von den vielen Eindrücken. Es war nach Mitternacht, als sie endlich einschlief.

Allerdings war sie keine Stunde später wieder hellwach. Sie hörte Stimmen. Ein Mann und eine Frau stritten miteinander, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie erkannte, dass der Streit genau unter ihrem Fenster stattfand. Es war stockduster und in ihrem Bett mollig warm. Gerade als sie sich dazu durchgerungen hatte, aufzustehen und den beiden zu sagen, sie sollten sich woanders weiterstreiten, endete der Disput.

Friedelinde schloss die Augen und schlief wieder ein, aber es dauerte nicht lange, und sie saß erneut aufrecht im Bett. Diesmal hatte jemand eine Tür zugeschlagen, und nach der Lautstärke zu urteilen, mit der das geschehen war, musste es in einem der beiden Zimmer nebenan gewesen sein. Anschließend blieb es zwar ruhig, aber Friedelinde brauchte eine Stunde, um das Adrenalin in ihrem Blut abzubauen und weiterzuschlafen.

Kapitel 3

»Im nächsten Leben werde ich auch Antiquitätenhändler«, verkündete Sander mit Blick auf die Backsteinvilla. »Die verdienen sich ja offensichtlich dumm und dämlich.«

Gernot schloss den Wagen ab. »Du? Du kannst nicht mal eine römische Münze von zusammengeknülltem Silberpapier unterscheiden.« Er setzte sich auf dem geschwungenen, von Buchsbäumen begrenzten Weg in Bewegung.

»Entschuldige mal. Das kann man sicher irgendwie lernen, und dann macht man Asche mit dem alten Plunder.«

Gernot blieb stehen und wandte sich zu ihm um. »Dich zerfrisst der Sozialneid.«

»Sagt wer?« Sander machte eine abwehrende Handbewegung. »Lass mich raten: Betty!«

»Ja, Betty ist eine kluge Frau.«

»Offenbar. Sie kann sogar zu meinem Seelenheil beitragen.« Sie gingen weiter und blieben vor der Eingangstür stehen. »Ich hasse diese Häuser, bei denen man nicht weiß, ob einem die Haushälterin oder die Hausherrin öffnen wird.«

»Pssst.« Gernot deutete auf eine Kamera rechts von ihnen.

Während er den Klingelknopf drückte, sah Sander direkt in die Kameralinse. »Hallo, Polizei!«

Bei der Frau, die ihnen öffnete, handelte es sich wohl nicht um die Haushälterin, es sei denn, man erlaubte ihr, während der Arbeitszeit Sport zu machen. Sie war groß und schlank und wohl gerade erst vom Joggen zurückgekehrt. An einem Fuß trug sie einen Laufschuh, am anderen nur eine knöchelhohe Socke, dazu eine blaue Leggings und ein weißes Shirt mit einem kunterbunten Aufdruck. Es sah aus, als habe sich eine Gruppe Kindergartenkinder mit allen zur Verfügung stehenden Farben darauf ausgetobt. Interessanterweise waren ihre Lippen rot geschminkt. Möglicherweise gehörte das im feinen Stadtteil Blankenese zur Sportausrüstung.

»Polizei?«, fragte sie atemlos.

Ab hier überließ Sander Gernot das Kommando. Er war nicht der Richtige für das Überbringen von Todesnachrichten, und für den guten alten Gernot war das überhaupt kein Problem. Er stellte sie beide vor und machte dann mit einem betroffenen Gesicht einen Schritt nach vorn. »Können wir hereinkommen?«

»Ja, natürlich.«

Sander schätzte sie auf etwa vierzig, Henry Dubelski war achtundfünfzig gewesen. Entweder war der Antiquitätenhändler ein Glückspilz gewesen oder die Dame seine Tochter.