Blues über der Burg - Jürgen Renz - E-Book

Blues über der Burg E-Book

Jürgen Renz

4,6

Beschreibung

Persönlich betroffen beim Fund einer Wasserleiche, gewinnt Polizeihauptkommissar Werner Drews den Eindruck, dass die herbeigezogenen Kollegen von der Kripo allzu schnell bereit seien, den Fall zu den Akten zu legen. Zusammen mit einigen Freunden, insbesondere mit Willi, einem ehemaligen Fremdenlegionär, versucht Drews die für ihn selbst so wichtigen Hintergründe des Falles zu klären. Die Bekanntschaft mit einer Wissenschaftlerin, die an einem geheimen Projekt arbeitet, macht ihm klar, dass die heimische Wirtschaft und Industrie immer wieder den Attacken von Wirtschaftsspionage und Datenklau ausgesetzt ist. Die Entführung eines Rechtsanwalts schließlich bringt die Freunde auf die richtige Spur. Mit einem Augenzwinkern und getragen von den Songtiteln bekannter Bluesstücke beschreibt der Autor den Ablauf der Ermittlungen vor dem Hintergrund der oberbayrischen Kleinstadt Burghausen. Die Stadt lebt und erhält ihren Charme durch den allgegenwärtigen Kontrast zwischen mittelalterlichen Wurzeln, bedeutsamen, innovationsfreudigen Industrieniederlassungen und einem hervorragenden Freizeitangebot. So läuft während der Bemühungen der Freunde um Aufklärung des Falles gerade die seit über vierzig Jahren alljährlich veranstaltete Internationale Jazzwoche ab, und offenbar beleben nicht nur viele Musikliebhaber und sonstige Touristen das Straßenbild, was die Ermittlungen nicht gerade einfacher gestaltet.

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Jürgen Renz

Blues über der Burg

Ein Bayern-Krimi

© 2013 Jürgen Renz

Umschlaggestaltung: Jürgen Renz

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8495-7899-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Jazz befreit –

- eventuell auch vom Dienstweg

Muddy Water

Es war dieser eine heiße Tag Anfang März und alles hoffte, dass der zurückliegende kalte und lange Winter nahtlos in einen wunderbaren Sommer übergehen würde. Hauptkommissar Werner Drews stand im offenen Hemd an einem Fenster der Dienststelle und schaute auf die Gleise am Rand des Bahnhofsplatzes hin, der eigentlich Berliner Platz hieß. Hier hatte sich die liberalitas bavariae, die, wie man sieht, auch Preußen leben lässt, mit der Namensgebung besonders angestrengt. Eine Hommage an die vielen Berliner Rentner – und besonders Rentnerinnen – die in den späten Sechzigerund frühen Siebzigerjahren nach Burghausen gezogen waren, um sich am „freien Blick auf die Alpen“ zu ergötzen. Dieser ‚freie Blick’ war ihnen mithilfe ganzseitiger Anzeigen in der Berliner Tagespresse versprochen worden. Man hatte vergessen zu erwähnen, dass der ‚freie Blick’ nur bei Föhn gewährleistet war. Dann aber konnten die an diese Wetterlage nicht gewöhnten Berliner vor Kopfweh sowieso nicht mehr klar sehen. Werner lächelte beim Gedanken an diesen Coup der Baulöwen und dachte, dass sich für die meisten Betroffenen von damals das Sicht- und Föhnproblem inzwischen auf biologische Weise erledigt haben dürfte.

Werner langweilte sich sichtlich vor seinen Monitoren in der Einsatzleitung. Seit Monaten nichts wirklich Spannendes mehr. Es war, als ob das schöne Wetter sogar die Verbrecher von ihren finsteren Taten abhielt. Es hatte ein paar Drogendelikte, einige Blechschäden, Verkehrskontrollen, Trunkenheitsdelikte, Diebstähle und ähnlich aufregende Vorkommnisse gegeben, mit denen er als stellvertretender Dienststellenleiter sehr oft nur am Rande und dann meistens nur am Schreibtisch zu tun hatte. Immer mehr war er inzwischen dazu verdammt, nebenher auch Verwaltungskram zu erledigen. Davon allerdings gab es mehr als genug, und Werners Meinung nach, war das meiste völlig überflüssig und diente nur dazu, Akten zu füllen und Computer zu füttern – und davor versuchte er sich so oft wie möglich zu drücken. Es war zwar nicht sehr menschenfreundlich und aus ethischer Sicht ganz und gar nicht zu vertreten, aber Werner sehnte sich nach irgendeinem Fall, in dem es so richtig etwas zu ermitteln gab - und sei es ein Mord.

Am nächsten Morgen, natürlich einem Sonntag, erbarmte sich dann der Himmel seiner – oder war es die Hölle? - und bescherte ihm gleich zwei, drei Fälle.

Zunächst war da ein Einbruch in eine Anwaltskanzlei. Julia Geisi, die Sekretärin des Anwalts, hatte gegen halb neun ganz aufgeregt angerufen und Werner hatte Mattes und Loni hinübergeschickt. Die Kanzlei lag nur ungefähr hundert Meter weit von der Polizeidienststelle entfernt auf der Marktler Straße im alten Unterstaller-Gebäude.

Loni hieß eigentlich Chantal, und Werner konnte sich noch gut erinnern, wie sie umgetauft worden war. Werners ehemaliger Chef hatte die ganze Mannschaft zusammenrufen lassen, um die neue Kollegin vorzustellen. Er hatte sich ausgiebig geräuspert und dann folgende bedeutende Rede gehalten: „Liebe Kollegen“, hatte er gesagt. „Liebe Kollegen, dies ist ein historischer Tag für unsere Dienststelle, um nicht zu sagen für die ganze Stadt. Mit dem heutigen Tag ist uns diese junge Dame hier, Fräulein Chantal Peterbauer, als neue Kollegin zugeteilt worden. Sie ist somit die erste Frau im Burghauser Polizeidienst. Wir begrüßen Sie herzlich, aber – eines geht natürlich überhaupt nicht: Frau Peterbauer, wir sind hier daran gewöhnt, uns alle mit dem Taufnamen anzureden, und da halte ich – nichts für ungut - ‚Chantal’ bei einer oberbayerischen Polizistin - alles was recht ist – denn vielleicht doch für ein wenig zu progressiv.“ Werner und seine Kollegen hatten pflichtschuldigst gegrinst, und die neue Kollegin hatte einen roten Kopf bekommen und zu Boden geschaut. „Ich schlage also vor, dass Sie heute Abend Ihren Einstand geben, da stellen Sie sich ein wenig vor, und dann suchen wir alle zusammen einen – Entschuldigung - tragbaren Namen für Sie. Wir treffen uns dann heute nach Dienstschluss beim Auer Weißbräu. Spätschicht wie geplant. Ich danke Ihnen, meine Herren – äh, ja, Ihnen auch, junge Dame.“ Und damit war er in seinem Büro verschwunden. Die Neue wurde dann darüber informiert, dass der Chef zwar oft ein autoritärer Sack, andrerseits aber immer für seine Leute da war. Am Abend, jedenfalls, brachte der Chef zwei Vorschläge zur Namensgebung ein. Zu Peterbauer passe nur Appolonia oder Kreszentia, zu Deutsch also Loni oder Zenzi. Chantal hatte sich für ‚Loni’ entschieden, und dabei war es die letzten fast zwanzig Jahre geblieben.

Im Treppenhaus zur Anwaltskanzlei Dr. Christian Brose standen mehrere Hausbewohner um die verstörte Frau Geisi herum, die ganz entnervt auf einer Stufe saß und ihr Aktenköfferchen umklammerte. Die beiden Kommissare schickten die Umherstehenden in ihre Wohnungen zurück, beruhigten die Sekretärin und ließen sich von ihr berichten, was denn vorgefallen war.

Julia Geisi war – obwohl Sonntag, und noch so früh – ins Büro gefahren, um ihrem Chef einen dringenden Schriftsatz, den sie daheim erledigt hatte, auf den Schreibtisch zu legen. Dr. Brose arbeitete oft auch sonntags im Büro , ‚weil er da seine Ruhe hatte’ , wie er immer sagte. Bis Sonntagmittag sollte sie die Angelegenheit erledigt haben, weil der Chef den Schriftsatz am frühen Montagmorgen in München einzureichen gedachte. Als sie die Bürotür aufsperren wollte, merkte sie, dass die Tür unverschlossen war, und dachte zunächst, dass ihr Chef bereits in seinem Zimmer saß. Dann betrat sie ein völlig verwüstetes Büro. Sie ging durch alle Räume, aber der Chef war nicht anwesend. Dafür lagen überall Akten herum, auf Tischen, Stühlen und am Boden, sogar in der kleinen Küche. Sie hatte das Büro sofort verlassen und im Treppenhaus mit ihrem Handy zunächst versucht, ihren Chef zu Hause zu erreichen, dort hätte sich jedoch niemand gemeldet, und so habe sie dann sofort die Polizei benachrichtigt. Loni musste die aufgeregte Frau immer wieder beruhigen, während Mattes sich im Büro umsah und die Eingangstür untersuchte. Die Tür war gewaltsam aufgebrochen worden. Mattes informierte Werner kurz und dieser verständigte die örtliche Ermittlungsgruppe1. Ein Einbruch im Büro eines Rechtsanwalts. Das hatte Werner noch nicht erlebt. Was kann man denn da schon holen. Geld bestimmt nicht. Akten? – Ja. Jede Menge Akten. Sollte da ein Akten-Fetischist am Werk gewesen sein? Er schob den Gedanken lächelnd zur Seite, aber heutzutage war ja fast alles vorstellbar.

Er versuchte dann seinerseits, den Anwalt zu Hause zu erreichen, aber auch er hatte kein Glück, und ihn beschlich ein Gefühl, das er gut kannte. Wie ein Lehrer, der seinen Schülern an der Nasenspitze ansieht, ob das Kerlchen seine Hausaufgaben gemacht hat oder nicht, spürte Werner oft ein leichtes Ziehen im Bauch, wenn an einer Sache irgendetwas nicht ganz geheuer war. Deshalb kontaktierte er Mattes und wies ihn an, Loni mit der Sekretärin am Tatort zu lassen und sofort zur Wohnung Brose am Hechenberg zu fahren, um dort nach dem Rechten zu sehen. Keine zehn Minuten später sah er sich bestätigt. Mattes bat ihn dringend um Unterstützung. Das müsse er sich ansehen: Eine am Heizkörper gefesselte und geknebelte Frau habe er vorgefunden. Er habe sie befreit, aber sie sei noch nicht ansprechbar. Den Notarzt habe er schon verständigt.

Werner überlegte kurz. Außer ihm selbst waren nur noch der Diensthabende an der Pforte und eine Sekretärin im Haus. Er informierte die beiden und fuhr mit lustvollem Blaulicht hinauf in das Villenviertel am Hechenberg. Fast gleichzeitig mit ihm kam der Notarzt mit Krankenwagen. Zusammen wurden sie von Mattes ins Wohnzimmer der Familie Brose geführt. Henriette Brose, die Gattin des Rechtsanwalts, lag halb aufgerichtet an den Heizkörper gelehnt am Boden, den Kopf auf die Brust gesunken, reglos.

„Hallo! Was ist los? Was ist passiert?“

Werner kniete sich neben sie hin, und als er sie berührte, stöhnte sie leise. Hauptsache sie lebte. Dann schob ihn der Notarzt beiseite und meinte:

„So, Herr Hauptkommissar, jetzt sind wir dran.

- Hallo! Können Sie mich verstehen? Hören Sie mich? Können Sie sprechen?“

Das ganze drei- oder viermal, dann kam ein gequältes „Dur..“ über die Lippen der Frau.

„Was? Was haben Sie gesagt?“

„Durst.“

Werner suchte die Küche und brachte ein großes Glas Wasser. Der Arzt hob ihren Kopf und sie trank ein paar Schluck. Nach ein paar Sekunden öffnete sie die Augen und schaute irgendwohin in den Raum. Der Arzt und die Sanitäter versuchten sie aufzurichten, aber sie brach immer wieder zusammen, also wurde sie auf die eilends herbeigeholte Trage gelegt. Da schaute sie dem Arzt ins Gesicht.

„…ott sei Dan…. Du… Dotor… i.. stink.“

„Das ist wohl unsere geringste Sorge. Wo ist Ihr Mann?“

„Mitnomm… Die ham mitnomm… Verdamm.., tu.. weh.“

„Was tut Ihnen weh?“

„Alls.. Hals…No… trinken.“ Sie konnte nur schwer sprechen und rieb sich mit unkontrollierten Bewegungen abwechselnd den Hals und die Unterarme. „Wo is Chris?“

„Wer ist Chris?“ fragte der Arzt. “Ihr Mann?“

„Ja – mei Mann. – Wo?

„Wissen wir nicht. Aber Sie, Sie kommen jetzt erst einmal ins Krankenhaus.“

Werner meinte zu Mattes:

„Du bleibst hier, lässt niemanden rein und wartest auf unsere Ermittler. Ich kümmere mich um das Weitere.“

Werner fuhr zur Anwaltskanzlei. Die Kollegen von der Ermittlung waren noch nicht da. Er funkte sie an.

„Mei, Kollege, was machst denn du für an G’schiss zwengs am Einbruch?!“

Werner klärte sie auf, dass da noch mehr Arbeit auf sie wartete, und gab ihnen die Adresse durch.

„Gut, also zuerst Marktler Strasse und dann Hechenberg. Ok, wir sind eh gleich da.“

Dann klärte er die Sekretärin und Loni kurz darüber auf, was man bei den Broses vorgefunden hatte. Frau Geisi bekam einen erneuten Weinkrampf.

„Loni, warte hier auf unsere Kollegen. Und komm dann bitte zurück in die Dienststelle. Und, Frau Geisi, möchten Sie, dass wir einen Arzt für Sie kommen lassen? Die Kollegen werden Sie hier sicherlich brauchen, und das kann einige Zeit dauern.“

Frau Geisi meinte, es ginge schon, sie brauche keinen Arzt.

Werner begab sich zurück in sein Büro, störte seinen Chef im sonntäglichen Zuhause und informierte ihn über das Geschehene. Dann harrte er an seinem Schreibtisch der Dinge, die da vielleicht noch kommen sollten.

Kurz nach drei Uhr kam ein Anruf herein. Einige Spaziergänger hatten eine Person im Wasser der Salzach treibend gefunden. Mattes war inzwischen mit Loni wieder zurück, ansonsten war nur der Wachhabende und ein weiterer Kollege im Haus. Nach kurzem Zögern entschied sich Werner, mit hinaus zum Fundort zu fahren. „Es hätte nicht unbedingt ganz so ekelig kommen müssen“, dachte er, denn Wasserleichen, wenn sie schön ‚reif’ waren, stanken sogar echt ‚gegen den Wind’, vom Anblick einmal ganz zu schweigen. So machte er sich mit seinen Kollegen Mattes und Loni auf den Weg. Mattes forderte noch schnell einen Krankenwagen mit Notarzt an. Dann fuhren sie los.

Nach knapp zehn Minuten hatten Werner und seine beiden Leute die Fundstelle an der Salzach in Unterhadermark erreicht. Dort war bereits eine kleine Gruppe Schaulustiger versammelt. Alle standen auf der aus Tuffstein gemauerten Mole und starrten ins Wasser. Die Mole sorgte flussabwärts für einen kleinen Wasserwirbel, in dem sich vieles an Kulturgütern zu sammeln pflegte, leere Plastikflaschen, Bierdosen, Treibholz, brauner Schaum und eben auch dieser spezielle Fund. All dies drehte sich langsam im Kreise, und als Mattes die Mole betrat, hatte man den leblosen Körper, eine männliche Person, gerade aus dem Wasser gezogen, und ein Mann kniete daneben.

„Nix mehr zu machen, ja? Der ist tot, ja?“

Mattes kniete sich ebenfalls hin. Der Diagnostiker war ihm bekannt. Dr. Gunther, ein Burghauser Arzt, der hier in der Nähe wohnte.

„Lange liegt der noch nicht da drin, ja?“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Na ja, die Waschhaut an den Fingerkuppen ist zwar schon recht ausgeprägt, da, schauen Sie selbst, aber Zersetzungserscheinungen kann ich bei oberflächlicher Betrachtung nicht erkennen, ja?“

„Was meinen Sie, ertrunken oder entsorgt?“

„Kann ich so nicht sagen, ja? Hab ihn ja eben erst rausgeholt.“

„Irgendwelche Verletzungen oder sonstige Anzeichen von Fremdverschulden?“

„Weiß nicht, dafür müssten wir ihn entkleiden, ja? Aber wir können ihn ja mal umdrehen, vielleicht sieht man was von vorn, ja?“

Der Tote wurde gewendet. Der Arzt untersuchte den Kopf und wurde sofort fündig.

„Wunden vorn schräg über dem linken Auge und noch eine, etwas näher am linken Ohr, nicht sehr tief, eher Schürfungen, ja? Können auch nach dem Tod entstanden sein, ja? Wenn’s geblutet hat, ist es vom Wasser abgewaschen worden, ja?“

Mattes schaute entsetzt auf das Gesicht des Toten, wandte sich ab, stand auf und ging schweren Schrittes die Uferböschung hinauf.

Werner hatte Loni zum Notarztwagen, der gerade ankam, losgeschickt. Er wollte der jungen Frau den Anblick der Leiche ersparen. Nicht, dass dies Lonis erster Toter gewesen wäre, und allzu zart besaitet war sie auch nicht, aber Werner vergaß immer wieder, dass die heutigen jungen Damen oft härter im Nehmen waren als manche ihrer männlichen Kollegen. Er wandte sich um und wollte nun selbst auch die Leiche in Augenschein nehmen, da trat ihm ein bleicher Mattes in den Weg, nahm ihn beim Arm und meinte mit leiser Stimme: „Du, Werner, warte mal. - Komm mal mit.“

„Was ist mit Dir, Mattes? Ist Dir nicht gut? Kennst Du den etwa?“

Mattes zerrte Werner ein paar Schritte zurück die Uferböschung hinauf.

„Mensch, Werner … ja, ich kenne ihn.“

„Einer unserer alten Kunden also? Na, den muss ich mir doch anschauen, oder? Nun lass mich doch mal durch.“ Und Werner drängte wieder hinunter zur Mole.

„Nein Mann, warte!“

„Sag mal, geht’s noch? Jetzt gehen wir da runter.“

„Werner“, sagte Mattes ganz leise und hielt ihn am Ärmel fest, „bleib hier, ’s ist doch der Bernd.“

„Welcher Bernd?!“

„Na, der Bernd halt - dein Sohn.“

Einen Moment lang stand Werner still da. Er fühlte, wie sich vom Kopf abwärts eine lähmende Kälte in ihm ausbreitete. Er stand starr und würgte dann heraus: „Du spinnst ja. Wie soll der denn …“ Dann riss er sich los und stakste auf steifen Beinen langsam zu dem Toten hin. Dort fiel er auf die Knie, drückte den Arzt zur Seite, schaute lange in das Gesicht des Toten, legte ihm die Hand unter den Kopf und strich ihm die verklebten Haare aus dem Gesicht. Er öffnete ihm die Jacke und das nasse Hemd, legte das Ohr an die Brust des toten Sohnes, begann ihm das Herz zu massieren und versuchte auch eine Mund-zu-Mund-Beatmung. Der Arzt wollte ihn hochziehen.

„Das ist zu spät. Da geht nix mehr, ja?“ Aber Werner stieß ihn zur Seite und brüllte mit krächzender Stimme:

„Weg! Haut alle ab!“ und er versuchte verzweifelt weiter, seinen Sohn ins Leben zurückzuholen.

Nach ein paar verzweifelten Minuten, die sich für die anderen auf der Böschung zu einer Ewigkeit zu dehnen schienen, stand Werner mühsam auf. Mattes lief ihm entgegen, half dem verstörten Freund und Vorgesetzten die Böschung hinauf und brachte ihn ins Auto. Werner ließ widerstandslos alles zu und sagte nur noch kläglich:

„Mattes, danke … Mach Du weiter.“

Dann sackte er im Sitz zusammen und konnte sich später nicht mehr so recht daran erinnern, wie er nach Hause gekommen war.

„Loni, die Kripo muss her“, übernahm Mattes das Kommando. „Die sollen gleich die Spurensicherung mitbringen. Bitte, ruf die an und bring den Chef nach Hause. Ich bleibe hier und sperre den Fundort ab. Ich komme dann mit der Spusi rein. Und – übrigens, versuch jemanden zu finden, der beim Chef bleibt. Ich gehe dann nach Feierabend noch zu ihm hin. Ok?“

Mattes stellte den Umstehenden die üblichen Fragen, aber niemand kannte den Toten näher oder hatte etwas gesehen. Gefunden hatte ihn ein ältliches Ehepaar beim nachmittäglichen Spaziergang. „Naa, der is net vo do’, meinten die einen und „Mei, i woas net so recht, oba i moan, gseng hob i den glaub i scho amoi wo“, meinten ein paar andere. Klare Zeugenaussagen also - wie meistens - und weitere Angaben, zum Beispiel, ob man jemanden am Fundort gesehen hatte, blieben aus.

Der Notarzt unterhielt sich kurz mit Dr. Gunther, kniete auch noch einmal neben dem Körper des Toten nieder, befühlte die Halsschlagader, stethoskopisierte ein wenig herum, betrachtete oberflächlich die beiden Wunden, nickte und meinte:

„Ja, der Herr Kollege hat Recht. Da ist nichts mehr zu machen.“

Es dauerte nicht lange und die Kripobeamten trafen ein.

„Mein lieber Mann! Bei Euch ist aber heut was los.“

„Und das Schlimmste ist, der Tote ist Drews Sohn. Also strengt Euch an.“

„Scheiße. Weiß er es schon?“

„Ja, er war selbst hier und hat noch versucht den Bernd wiederzubeleben. Aber da war nichts mehr zu machen. Ich habe ihn nach Hause bringen lassen.“

„Na los, an die Arbeit. Halt uns das ‚Publikum’ vom Leib.“

Mattes bat die Umstehenden zurückzutreten und vollendete die Absperrung.

Der Leichnam wurde von allen Seiten fotografiert und die Mole genauer unter die Lupe genommen. Mattes suchte indessen die nähere Umgebung ab, aber man fand keinerlei besonderen Hinweis. Der Tote wurde in den ‚Schlafsack’ gepackt und auf telefonische Anordnung des diensthabenden Staatsanwalts auf den Weg zur Gerichtsmedizin gebracht. Alle Beamten verließen den Schauplatz, ließen die Absperrung jedoch noch bestehen. Die versammelten Spaziergänger und Nachbarn der Fundstelle blieben noch in lockeren Gruppen dort, um das Ereignis ausgiebig zu kommentieren. Auch an einem so strahlend schönen Tag wie diesem konnten böse Dinge geschehen.

Das trübe Wasser unterhalb der Mole drehte sich unbeirrt weiter träge im Kreis.

1  Die örtliche Ermittlungsgruppe (hier oft auch ‚Ermittler’ oder ‚Ermittlung’ genannt) ist sozusagen eine kleinere SPUSI (Spurensicherung). Die (voll ausgerüstete) Spusi mit all ihren technischen Möglichkeiten befindet sich für unseren Fall in Mühldorf.

Body And Soul

Loni hatte Werner die enge Treppe hinauf in sein Wohnzimmer gebracht und er hatte sich in einen Sessel fallen lassen. Sie hatte sich still auf einen Stuhl am Esstisch gesetzt. Eine Zeit lang saß Werner reglos dort mit geschlossenen Augen, die Hände hingen ihm wie leblos neben der Lehne herunter. Vor seinem inneren Auge jagten sich zusammenhanglose Bilder. Bernd als Säugling, seine junge Frau, Beate, wie sie strahlend auf ihn zulief am Meer auf der Hochzeitsreise, Bernd mit der Schultüte, Beate im Krankenhaus mit dem Säugling im Arm, Bernd, wie er wütend seine Koffer packte, das Haus verließ. Beate, wie sie langsam starb an ihrem Krebs. Bernd, der sich mit ihm stritt, weil die Mutter so viel allein gewesen war. Die halbherzige Versöhnung vor ein paar Jahren. Die Waffe in seiner linken Jackentasche brannte ihm fast ein Loch ins Fleisch. Wo war der Sinn in alledem? Er seufzte tief auf.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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