Bob Tilman: Letzter Stopp Brooklyn - Phil Conrad - E-Book

Bob Tilman: Letzter Stopp Brooklyn E-Book

Phil Conrad

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Beschreibung

Ein arabischer Diplomat liegt erschossen und verstümmelt in einem New Yorker Taxi. Bob Tilman, Reporter bei der New York Today, stolpert über die Spur eines Mannes in ein zwielichtiges Umfeld, das Überraschungen bereit hält. Weitere Morde geschehen. Doch der Grund für die Geschehnisse bleibt ein Geheimnis – bis Linda, Bobs aufreizend attraktive Kollegin, ins Visier der Gangster gerät. Bob muss verdammt schnell handeln ... --- Jede Folge enthält ein abgeschlossenes Abenteuer des schlagkräftigen Reporters.

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

I

II

III

IV

V

Erweitertes Impressum

I

Vor dem International Terminal des John-F.-Kennedy-Airports blinzelte Ibrahim N’daala gegen die tiefstehende Sonne. Trotz seiner gegerbten, in grobe Falten geworfenen braunen Haut, die den Zweiunddreißigjährigen älter aussehen ließ, als er tatsächlich war, spürte er die Nadelstiche der eisigen Kälte im Gesicht. Welch ein Kontrast zu Riad. Wieder einmal empfand er die Multifunktionalität des Kopftuchs sowohl gegen die Hitze der arabischen Sandwüsten als auch gegen die Minusgrade der arktischen Jet-Stream-Ausläufer Nordamerikas als ein Geschenk Allahs. Er hatte es eilig. Die zwei Taxifahrer am Kopf der Autoreihe lamentierten lautstark miteinander und schnaubten sich gegenseitig die kristallisierende Atemluft zu.. Erst als N’daala. die Hand hob, schwang sich einer der beiden in sein Auto und setzte sich unter Protest des Kollegen an die Spitze der Queue. Eine Minute später streckte der Araber die Beine in dem wohlig geheizten Yellow Cab aus und genoss den Blick in die aus den Gullys aufsteigenden Dampfschwaden des mit Schnee und Matsch bedeckten Areals.

»Guten Flug gehabt, Señor?« Der freundliche Latino mit einem weit über die Lippen nach außen gezogenen Schnurrbart grinste ihn an.

»Das will ich meinen. - Zu den Vereinten Nationen, bitte.«

»Wird gemacht, Señor.«

N’daala widerstand dem starken Drang, sein flaches Hartschalenköfferchen, das er auf dem Sitz neben sich abgelegt hatte, zu öffnen. Stattdessen schob er es ein wenig zur Seite. Bei dieser Aktion rutschte sein Umhang am Arm nach oben und gab für eine Sekunde den Blick auf die Handschellenverbindung von seinem Handgelenk zum Koffergriff frei, bevor der Diplomat mit einer hastigen Bewegung den Saum wieder nach unten zog. Er checkte nervös die Situation und beruhigte sich wieder. Der Taxifahrer konnte das nicht gesehen haben, dazu lag die Hand zu weit unterhalb der Sichtlinie durch den Rückspiegel. N’daala kannte den Inhalt des Ordners im Innern des Aktenkoffers mehr als auswendig, nicht zuletzt durch das wiederholte Studieren auf dem Transkontinentalflug  - und doch stellte sich nicht das Gefühl ein, ihn bereits zur Genüge studiert zu haben. Die Nachricht würde einschlagen wie eine Bombe.

»Das Eis hat uns fest im Griff, Señor. Da, wo Sie herkommen, ist es jetzt sicherlich nicht so kalt, oder?«

»Nein.« N’daala würgte mit dieser knappen, schroff ausgestoßenen Antwort ein Gespräch ab. Auf Smalltalks verspürte er keine Lust. Der Generalsekretär wartete auf ihn, und er wollte seine spätere Wortwahl nicht irgendwelchen spontanen Eingebungen überlassen. Jede Formulierung sollte genauestens überlegt sein. Nicht nur das Wohl seiner Heimatregion hing davon ab - auch seine eigene Karriere, was einem mindestens genauso gewichtigen Stellenwert zukam.

»Fahren Sie eine andere Route?«

»Oh, Señor, Flushing Meadows ist nach den Wetterkapriolen dicht. Und der Midtown Tunnel ist sowieso wegen Umbaumaßnahmen noch für zwei Tage gesperrt. Da ist der Weg über Harriet Ross oder die Atlantic Avenue quer durch Brooklyn schneller. Und wir haben dann die Wahl zwischen der Brooklyn Bridge und der Manhattan Bridge.«

»Ah, okay.«

N’daala prüfte die Verriegelung des Köfferchens. Fest abgesperrt, da rührte sich nichts. Das Zahlenschloss war eingerastet. Er lehnte sich entspannt zurück und schloss die Augen. In Gedanken durchflog er wieder den Inhalt seiner Fracht. Die Abbildungen zeigten normale, allgemein bekannte Satellitenansichten der arabischen Region, aber die angefügten Erläuterungen lieferten Hinweise auf bisher unentdeckte Zusammenhänge. Die Verstrickungen einzelner Firmen in die Pläne westlicher und östlicher Supermächte kamen auf den Tisch. Namen bekannter Persönlichkeiten, die man nie in Verbindung mit politischen Aktivitäten gebracht hatte, erschienen in einem neuen Licht. Die Hinweise auf den Papst als mächtige Eminenz im aktiven Hintergrund würden das Fass in die Luft jagen. - Und er, Ibrahim N’daala, war der Überbringer dieses Berichts, der die Welt auf den Kopf stellen sollte. Er hielt die Lunte in der Hand. Die Karten würden neu gemischt werden.

Der Verkehr ließ keine schnelle Fahrt zu. N’daala blickte hinaus. Die braunen Bachsteinbauten offerierten einen starken Kontrast zu den Fassaden, die er aus Manhattan gewohnt war. Das Leben zwischen den Häuserm wirkte hektisch, obwohl in Anbetracht der Wetterlage mit Sicherheit weniger New Yorker als gewöhnlich zu Fuß unterwegs waren. Die Autos verstopften auch in diesem Viertel die Straßen. Stop and go.

Der Fahrer bog ab.

»Schleichweg?«

»Si, Señor.«

Der Latino verstand sein Metier. Die kleinen Nebenstraßen offerierten trotz der Enge ein schnelleres Fortkommen. Die aus den Kanaldeckeln aufsteigenden Dämpfe vernebelten die Luft und mischten sich mit den Schwaden blaugrauer Abgase aus den Endrohren der Autos. Die Trostlosigkeit der heruntergekommenen Hinterhöfe machte N’daala endgültig klar, dass er in diesem Stadtteil niemals würde wohnen wollen.

»Shit!«

Ein rangierender Lastwagen blockierte den Straßenzug.

»Tut mir leid, Señor. Damit konnte ich nicht rechnen.«

Der Fahrer blickte über die Schulter nach hinten. Langsam zog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen. N’daala starrte in die Mündung eines Schalldämpfers. Das war das Letzte, was er wahrnehmen konnte. Der Schuss verursachte nur ein dumpfes Plopp.

Eine Viertelstunde später stand das Taxi zwei Häuserblocks weiter am Straßenrand. Eine laute Menschentraube bildete sich um das Taxi. Entsetzte Gesichter gafften in das Innere des Cabs. Die Frontsitze waren verlassen. Das rote Rinnsal aus dem Loch in der Stirn des auf dem Rücksitz zusammengesackten Passagiers war bereits angetrocknet und wies an den Rändern Krustenbildungen auf. Und neben dem Toten auf der ledernen Sitzfläche lag eine abgetrennte Hand.

*

Mit der flüchtig auf einen zerknüllten Zettel gekritzelten Adresse in der Tasche suchte ich den Zugang zu dem Haus in der Halsey Street von der rückwärtigen Seite. Falls die Wohnung nicht zu sehr heruntergekommen und die Miete akzeptabel wäre, würde ich nicht lange zögern, sondern entschlossen zuschlagen. Die Entfernung bis nach Queens lag im noch annehmbaren Bereich, und Brooklyn erschien mir für den Start in New York nicht die schlechteste Alternative zu sein. Als Neuankömmling durfte ich nicht wählerisch sein. Verändern konnte ich mich später immer noch. Besonders lockte mich natürlich die Aussicht auf die offerierte Mitbenutzung eines Schuppens im Hinterhof - das war in dieser Metropole für mich ein wahrer Jackpot.

Die Gegend wirkte trist. Eine Menge Autos rollte vorbei, aber nur wenige Fußgänger bevölkerten die Bürgersteige. Die Kälte trieb jeden so schnell wie möglich in die Wohnungen, Supermärkte oder Büros. Der Straßenverkäufer mit der dicken Fellmütze an der Ecke bot tapfer seine Zeitungen an. Der Nebel seines eigenen Atems tanzte in feinen Schwaden um ihn herum. Seine Arme schlug er immer wieder um seine Oberkörper, als könnte er damit die Kälte vertreiben. Hinter seinem mit Eispartikeln durchsetzten Vollbart machte sich ein Lächeln breit, als ich ihm eines der Newspaper abkaufte. Ich rollte das Journal zusammen und steckte es unter meinen Mantel. Ich käme später im Laufe des Tages noch zum Lesen. Die Wohnung war jetzt dringender.

Die mir zur Verfügung stehende Zeit sollte für eine entspannte Besichtigung des Apartments ausreichen. Erst in knapp zwei Stunden hatte ich mein erstes Meeting mit meinem neuen Chef und das erste Date mit dem alt-ehrwürdigen Gebäude der New York Today.

Die aufgeregte Menschentraube einen Häuserblock weiter warf meinen Zeitplan durcheinander. Wie ein Magnet zog sie mich an. Ich schob mich durch die Reihen der Leute hindurch. Der Anblick im Innern des Taxis ließ auch mir den Atem stocken, doch gewann sofort die Routine des Journalisten die Oberhand. Das roch nach einer absoluten Hammerstory. Araber erschossen im Yellow Cab, grässlich verstümmelt. Terrorattacke? Dem Stimmengewirr entnahm ich, dass niemand einen Schuss gehört hatte. Das Taxi hatte einfach dort geparkt. Wie lange schon? Einer sagte, erst seit wenigen Minuten, höchstens drei.

Ohne zu zögern, hatte ich die ersten Fotos auf die Speicherkarte meines Smartphones gebannt. Sirenen heulten auf. Reifen quietschten trotz des Matsches. Blaulichter erhellten pulsierend die Szene. Uniformierte stürzten auf die Menge zu. Alles passierte blitzschnell.

»Auseinander! Platzt da!« Die Kommandos der Cops schrillten einschüchternd.

Ich steckte das Telefon unauffällig weg und zog mich in langsamer Bewegung ein paar Schritte zurück. In souveräner Manier ließ ich meine Blicke kreisen und observierte die Umgebung. Menschen strömten neugierig auf die Polizeiabsperrung zu - bis auf eine Gestalt. Der zwielichtige Typ an der Ecke stach mir sofort ins Auge: mexikanischer Einschlag mit entsprechend dunklem Teint, schwarzen Haaren und einem Riesenschnäuzer. Dass er nicht entdeckt werden wollte, war offensichtlich. Eng hielt er sich an die Wand gepresst und schielte um die Ecke. Offenbar war ich der Einzige, dem die Gestalt auffiel. Ich ließ mir nichts anmerken, löste mich aber behutsam aus der gaffenden Menge und nahm meinen Weg wie beiläufig hinüber zu der Straßenecke. Die Wohnung musste warten. Schlimmstenfalls müsste ich für einige weitere Tage auf das billige Hotel zurückgreifen.

Ich näherte mich dem Mann. Dabei verließ ich mich ganz auf meine Professionalität und die Kraft der natürlichen Intuition. Warum sollte sich diese in New York als trügerischer erweisen als in meinem bisherigen Bostoner Umfeld? Ich war mir sicher, mich nicht zu täuschen. Auf meinen Instinkt konnte ich mich verlassen. Der große, dunkle Fleck in der Jeans des Mannes konnte durchaus dunkelroter Natur sein. Sicher war ich mir nicht, doch hatte ich schon oft genug gesehen, welche Spuren und vor allem welche Farbintensität Blut auf Denim-Stoff hinterließ. Der Typ drehte ab. Ich heftete mich an seine Fersen. Zwei Häuserblocks weiter verschwand er in einen Hinterhof, der durch ein weites Tor auch für Fahrzeuge befahrbar war und wegen einer hohen Mauer nur durch die geöffnete Zufahrt einzusehen war. Ich peilte die Situation - und folgte dann beherzt. Durch einen rückwärtigen Hauseingang erreichte ich ein Treppenhaus. Die Geräusche der Schritte schallten von oben. Ich stieg hinauf, immer dicht an die Außenwand gepresst, damit ich nicht von oben durch das Treppenhausauge zu entdecken war. Eine Tür schlug zu, eindeutig zwei Etagen über mir. Ich eilte hinauf. Luis Ramos. Ich las das Namensschild, zögerte aber keine Sekunde und sprang in weiten Schritten die nächsten Stufen hoch. Gerade noch rechtzeitig, denn die Tür öffnete sich wieder, als ich gerade um die nächste Treppenbiegung verschwunden war. Vorsichtig reckte ich den Kopf um die Ecke. Ramos trug jetzt ein Attaché-Köfferchen. Gegenstand und Person passten zusammen wie Feuer und Wasser - nämlich gar nicht. Die herunterbaumelnde Handschelle am Griff sprach Bände. Die Blutspuren an der Kette konnten kaum übersehen werden - zumindest nicht bei einem so geschulten Auge wie dem meinen.

Ramos verließ den Hof und ging weiter in östlicher Richtung. Nach zwei Häuserblocks steuerte er einen Müllcontainer an und warf einen schwarzen Gegenstand in Buchgröße hinein. Ich musste mich blitzschnell entscheiden. Sollte ich auf das weggeworfene Objekt konzentrieren und dabei riskieren, dass Ramos mein gesteigertes Interesse bemerkte, falls er sich umsah, oder sollte ich ohne zu zögern in meiner gewohnt unauffälligen Art an dem Mann dranbleiben. Ich entschied mich für die Verfolgung und prägte mir den Standort des Containers ein.

Drei Häuserblocks weiter verschwand der Mexikaner - diese Nationalität hatte er ab jetzt für mich, ob es nun zutraf oder nicht - in einem schäbigen Eingang, über dem in Neon-Lettern leuchtend prangte: Blue Moon - Bar - Cocktails. Zu meinem Erstaunen signalisierte das OPEN-Schild unmissverständlich, dass man hier schon um diese frühe Tageszeit - es war ja schließlich erst kurz nach Mittag - einen Drink nehmen konnte. Ich zögerte. Aber warum nicht?

Das schummerige Licht im Innern passte zur gedämpften Easy-Listening-Musik. Obwohl hier mit Sicherheit genauso wenig gepafft werden durfte wie in jedem anderen Etablissement, stand kalter Rauch in ekeligem Mix mit feuchtem Mief in der Luft. Ein Girl in einem eng geschnittenen, einteiligen, metallisch blau glänzenden Minikleid - oben wie unten unverschämt kurz - kam mit zielstrebigen, staksigen Schritten auf mich zu.

»Na, Kleiner? N’en Drink?«

Es lag wohl an ihren waffenscheinpflichtigen High Heels, dass ich zu ihr aufschauen musste.

»Nichts lieber als das, Süße.«

Meine Blicke suchten den Raum ab. Ich sah den Mexikaner im Dunkel des hinteren Bereichs durch eine Tür verschwinden. Er war also kein zufällig hereingeschneiter Gast. Sein Ziel war zweifelsfrei von vornherein dieses Nebenzimmer gewesen. Ich nippte an dem hingeschobenen Bourbon. Wenigstens verfügte die Lady über Geschmack und eine treffsichere Wahl. Ich konnte mich nicht erinnern, ein bestimmtes Getränk geordert zu haben. Chapeau.

Was aber jetzt? Ich durfte nicht weiter vorpreschen. Ich hatte schon genug gewagt. Was auch immer hier vorging - jeder Schritt in die dunkle Ecke dort hinten konnte der eine Schritt zu viel sein. Es gehörte zu meinem Job, unnötige Risiken jederzeit genauestens einschätzen zu können. Ich kannte jetzt diesen Ort, hatte diese Adresse und jene von Ramos, würde in Zukunft sogar nur unweit von hier leben, wenn alles klappte. Die Geschichte, die von der grässlichen Tat in dem Taxi ausging, stand erst am Anfang, und meine Neugier war über alle Maßen geweckt, mein journalistischer Ehrgeiz sowieso - aber die Investigation war dennoch für den Augenblick erst einmal abgebrochen. Man muss wissen, wann die Risiken zu groß werden. Ich zahlte und wandte mich dem Ausgang zu, nicht ohne der Kleinen noch einen besonderen Schein zuzustecken, wobei ich mir der einnehmenden Wirkung meines angedeuteten Lächelns von vornherein bewusst war. Ihr mit einem »Ich bin Cathy« auf meinen Drei-Tage-Bart gehauchter Kuss entsprach meiner nicht unangemessenen Erwartung. Ich hatte jetzt einen Stein bei ihr im Brett. Der Duft ihres einen Hauch zu kräftig aufgetragenen Parfüms brannte sich in meine Sinne ein. Der Rücken meines Zeigefingers streichelte ihre Wange - dann stand ich wieder auf der Straße. Die Zeit für ein Vergnügen war noch nicht gekommen.

Fünf Minuten später stand ich vor dem Container und suchte das Innere ab. Die feuchten, halbgefrorenen Essensreste irgendeiner Mittagsmahlzeit klebten an meinen Handschuhen. Dann hatte ich das Teil, eine schwarze Lederbrieftasche. Mit einem Stück Papier reinigte ich es grob, ebenso die Handschuhe. Ich zog die Tageszeitung unter dem Mantel hervor und wickelte meinen Fund darin ein. Jetzt endlich durfte ich die Wohnung besichtigen.

*

Boris Sharlamovs Schritte saugten sich durch den Matsch, der hier und da aber schon wieder zu Eisbrocken verklumpte. Auch wenn die Brühe hier in den Schluchten Manhattans nicht so hoch wie in Brooklyn oder Queens stand, so ließ der Kälteeinbruch mit seinen eisigen Winden dennoch keinen Zweifel daran aufkommen, dass jeder Platz im Innern eines Gebäudes die weitaus bessere Option für einen Aufenthalt wäre. Der Luftzug pfiff schneidend zwischen den Glasfronten hindurch.

Sharlamov liebte seinen Job, durch den er die früher nie erhoffte Chance bekommen hatte, hier mitten im Zentrum New Yorks zu leben. Auch wenn viele Russen in den letzten Jahrzehnten zu immensem Reichtum gekommen waren, gehörte eine Bleibe in der Metropole zu den Gütern, die nur wenigen Auserwählten vorbehalten blieben. Sharlamovs Dienst im Diplomatischen Corps bei den Vereinten Nationen machte es möglich.

Er stutzte. Das Gesicht des auf dem Bürgersteig der Fifth Avenue entgegenkommenden, finster dreinblickenden Passanten mit dem markigen, schon brutal wirkenden Kinn kam ihm bekannt vor. Dennoch konnte er das Bild augenblicklich nirgends zuordnen. Er hing noch in diesem Gedanken verfangen, als der Mann auf ihn zuschnellte, ihn überraschenderweise anlächelte und etwas unter seinen Arm rammte. Boris spürte den Nadelstich, dann drehte sich auch schon die Welt um ihn herum. Er sackte in sich zusammen. Der andere fing das Gewicht des erschlaffenden Körpers auf und geleitete den Torkelnden stützend in den nächsten Hauseingang. Keinem der vorbeieilenden Passanten fiel die Aktion auf. Die Menschen hasteten in der Kälte irgendwelchen Zielen entgegen.

Als Sharlamov aus seiner Benommenheit erwachte, blickte er in ein grelles, die Augen schon schmerzlich blendendes Licht.

»Überrascht, Mister Sharlamov?«

Der Russe erkannte die Stimme, auch wenn er aus den bisherigen Kontakten kein Bild mit ihr verbinden konnte. Er hatte den Gesprächspartner nie zu Gesicht bekommen.

»Ja, Mister ... äh ... Hackman.«

»Ich sehe, Ihre Sinne funktionieren wieder. - Sie haben ein Problem.«

»Ich? Ein Problem? Ich weiß nicht, was Sie meinen.«

»Ach, kommen Sie! Sie haben uns gelinkt.«

»Ich? Gelinkt?«

Dem Russen wurde heiß. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, worauf Hackman anspielte.

»Mister Sharlamov, die letzte Transaktion ist geplatzt. Warum?«

»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Die Aktion läuft doch noch.«

»Die letzte Lieferung kommt nicht an. Das steht jetzt schon fest. Jemand hat sich eingeklinkt und die Ware umgeleitet. Und es gibt nur einen einzigen Anknüpfpunkt, der dafür in Frage kommt. - Sie.«

»Ich ... ich versichere, ich habe keine Ahnung. Ich wusste ja nicht einmal, dass ...«

»Ja klar, Sie wussten nicht. Ums abzukürzen: Bringen Sie es in Ordnung. Ich erwarte Ihre Info innerhalb von zwei Tagen. Wo ist die Ware? Und wer steckt dahinter?«

»Zwei Tage? Ausgerechnet ich?« Sharlamov hatte nicht den Hauch einer Idee, was geschehen war. Die Transaktion hatte nicht geklappt - das hatte er verstanden. Aber warum? Woher sollte er das wissen?

»Wer auch immer das war - er muss die Informationen von Ihnen haben. Das steht für mich zweifelsfrei fest. Finden Sie heraus, wer dahinter steckt. - Falls Sie nicht selbst die Finger im Spiel haben, was ich Ihnen natürlich nicht raten würde. Ihr Problem. Lösen Sie es. - Oder ich löse es - auf meine Art. Und die wird Ihnen nicht gefallen.«

Das Licht erlosch. Sharlamov fand sich in absoluter Dunkelheit wieder. Erst fünf Sekunden später schaltete sich eine normale Deckenbeleuchtung ein. Er saß in einem kahlen Raum, einer Art Keller. Sharlamov konnte sich frei bewegen. Nichts und niemand hinderte ihn. Der Weg hinaus war einfach zu finden. Eine Minute später stand er wieder in der Fifth Avenue. Seine Knie schlotterten - nicht nur vor Kälte.

*

Bis auf einen saudi-arabischen Reisepass auf den Namen N’daala und eine Mitgliedskarte, für den Triple-A auf dieselbe Person ausgestellt, war die Brieftasche leer. Keine Kreditkarte, kein Bargeld. Da war jemand nur auf Wertgegenstände scharf gewesen. Nach einem politischen Mord sah das nicht aus - gäbe es nicht die bizarren Tatumstände. Ich wollte mich später weiter darum kümmern und deponierte das Stück in meinem Hotelzimmer. Zu Fuß machte ich mich auf den Weg zur New York Today.

Ich hatte Henry Gater bisher nur via Skype gesehen und wusste von daher natürlich, wie er aussah. Dennoch überraschte mich seine Körpergröße, als er leibhaftig vor mir stand. So klein hatte ich mir den Grauhaarigen wahrlich nicht vorgestellt.

»Herzlich willkommen in unserem Zeitungshaus, Mister Tilman.«

»Danke, Mister Gater, die Freude ist ganz auf meiner Seite, wie Sie sich ausmalen können«, erwiderte ich höflich.

Das Ambiente in den nüchtern eingerichteten Räumlichkeiten des Verlagshauses deckte sich mit dem Eindruck, welchen die Backsteinfassade des alten New York Today Buildings dem Außenstehenden vermittelte: nicht mehr ganz zeitgemäß. Wobei ich diesem Flair einen gewissen Reiz nicht absprechen konnte. Ich hatte schon immer einen Hang zur Nostalgie, insbesondere im Bezug auf den Job. Technik, Vernetzung und High-Tech-Computer sind nicht immer das Nonplusultra. In unserem Business kommt es oft genug auf ganz andere Hilfsmittel an.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Phil Conrad c/o Rudy Namtel Scheidertalstr. 8 65510 Hünstetten [email protected]

Bildmaterialien © Copyright by Rudy Namtel

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7393-8780-2