Bodyguard - Spezialauftrag: Liebe - Corinna Bach - E-Book

Bodyguard - Spezialauftrag: Liebe E-Book

Corinna Bach

4,7

Beschreibung

Als der Personenschützer und gelegentliche Türsteher exquisiter Clubs ist Ruben Benning hocherfreut, als ihm ein äußerst lukrativer Bodyguard-Job angeboten wird. Darüber hinaus verspricht die Sache, einfach zu werden. Doch als sich herausstellt, dass sein Klient niemand anderes als der arrogante, reiche Niklas Sauter ist, verfliegt die Freude schnell. Ruben und Niklas kennen sich - und ihre erste Begegnung war alles andere als ein Vergnügen. Ruben nimmt den Auftrag dennoch an und erkennt bald, dass Niklas seine Homosexualität verdrängt. Niklas ist wenig begeistert, einen Babysitter auf den Hals gehetzt zu bekommen, der zudem noch in der Lage ist, seine tiefsten Geheimnisse zu erkennen. Doch bevor die beiden ihre Situation auch nur ansatzweise überdenken können, überschlagen sich die Ereignisse und Niklas gerät in Lebensgefahr.

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Bodyguard

Spezialauftrag Liebe

Corinna Bach

Corinna Bach

Bodyguard – Spezialauftrag Liebe

© 2014 Sieben Verlag, 64354 Reinheim

© Covergestaltung Andrea Gunschera

ISBN Buch: 9783864432828

ISBN eBook-PDF: 9783864432835

ISBN eBook-epub: 9783864432842

www.sieben-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Die Autorin

Venezianische Nächte -Felicity La Forgia

Time Agent - Misha Blair

Prolog

Niklas fühlte, wie ihm allmählich der Schweiß ausbrach, doch er ließ das Haus nicht aus den Augen. Er hätte sich gewünscht, dass ihm das Eintreten leichter gemacht würde. Über der Milchglastür prangte lediglich das beleuchtete Emblem einer Brauerei, und nur die Männer, die im Zehnminutentakt aus der Dunkelheit auftauchten und eintraten, bestätigten ihm, dass er vor dem Gay-Club stand, von dem er gehört hatte. Wenn er nur den Mut aufbrächte, es den Gästen gleichzutun. Jeder Schwule würde ihm wahrscheinlich auf zehn Kilometer den Frischling ansehen.

Er schrak aus seinen Gedanken auf und merkte, dass er unwillkürlich an seinen Fingernägeln gekaut hatte. Verlegen ließ er die Hand sinken. Wieder streifte ihn der neugierige Blick eines Mannes, doch bevor ihn eine ungewohnte Erregung übermannen konnte, sah er lässig auf sein Handy. Immer wieder öffnete sich die Tür, ging auf und zu, auf und zu. Und jedes Mal wollte er auf sie zugehen und mit den anderen eintreten. War ja schließlich das Normalste der Welt. Doch er stand dort wie festgenagelt. Er hörte Musik, bunte Lichter tanzten hinter dem schweren Vorhang, der einen Spalt offen war. Dort drinnen wartete bestimmt sein erstes Abenteuer, sein erstes Mal. Er musste einfach hinein und doch … Unschlüssig rieb er seine Fingerspitzen aneinander.

Als ein junger Mann auf den Eingang zustrebte, gab Niklas sich einen Ruck. Jetzt. Schnell. Sein Herz wummerte bis in den Hals. Er eilte über die Straße und mied den Schein der Straßenlampe, als müsste er sich verstecken. Der junge Mann hatte die Hand bereits am Drücker, doch als er ihn bemerkte, lächelte er und hielt ihm die Tür auf. Seine Zähne leuchteten inmitten des Dreitagebarts, der ihn verdammt scharf aussehen ließ. Unwillkürlich fuhr Niklas sich über die Locken und fühlte, wie es in seiner Hose hart wurde.

„Rein in die gute Stube“, sagte der Fremde und folgte ihm so dicht auf den Fersen, dass der sanfte Atem seinen Nacken streichelte. Mit steigender Lust und zugleich verwirrt kniff Niklas die Augen zusammen, sah sich um, die voll besetzte Bar, die Tische und Bänke, Lachen hier und dort. Auf der Tanzfläche umschlangen sich Männer zu einem langsamen Lied. Dort hinten ein weiterer Vorhang, der einen Raum verbarg, aus dem gerade zwei Männer herauskamen. Der Darkroom —in dem vielleicht sein Abend enden würde.

„Zum ersten Mal hier?“, fragte der Mann hinter ihm. Niklas fuhr herum. Der Blick des Mannes hinterließ ein Brandmal auf seiner Haut.

„Ja, wohne noch nicht lange hier.“ Die Lüge war unvermeidlich, er konnte nicht anders.

„Ich heiße Lukas. Willkommen in Freiburg.“

Eine Hand legte sich auf seinen Unterarm. Sollte er sein erstes Abenteuer gerade gefunden haben? Lukas sah geil aus, sein Körper war kompakt und kräftig.

„Danke. Wie ist es denn hier so?“

„Ganz nett. Meistens tut sich was. Top oder bottom?“

Sein Mund wurde trocken, er wandte den Blick ab undheftete ihn auf die sacht schwingenden Hintern der Tänzer.

Top oder bottom? Wenn er das mal so genau wüsste …

„Also eigentlich …“, begann er und sah Lukas an. Plötzlich prallte er entsetzt zurück, griff hinter sich, ohne sich irgendwo festhalten zu können.

Lukas’ rundliches Gesicht hatte sich in ein hageres Antlitz verwandelt, aus dem eine Hakennase ragte. Der elegante Anzug milderte kaum das abfällige Grinsen des grauhaarigen, schlanken Mannes, den er nur zu gut kannte. Er konnte nicht vor ihm fliehen, er folgte ihm in die letzten Winkel. Sein böser Geist hatte ihn gefunden und wieder musste er sich ihm stellen. Der Mann umfasste Niklas’ Schulter, zog ihn zu sich heran. Die kalten Augen bohrten sich in seinen Kopf und wühlten dort in seinen Erinnerungen, bis hin zu ihrer letzten Begegnung. Er wollte schreien, um sich treten, doch er brachte nur ein Wimmern heraus. Der unbarmherzige Griff quetschte seinen Arm. Panik ergriff ihn, er atmete keuchend ein und aus, versuchte, die eiserne Klammer von seinem Arm zu lösen. Der Mann schwieg, starrte ihn nur an. Mit einem Mal verdunkelte sich der Raum. Blut kroch über die bunten Strahler, verteilte sich an der Wand, am Vorhang. Blut lief von Niklas’Haaren in sein Gesicht, er fühlte die Wärme und schrie auf, als die dunkle Feuchtigkeit seine Augen erreichte. Das Rot nahm ihm die Sicht, schien seine Lider zu verkleben. Er schloss die Augen und die Dunkelheit schickte ihn in eine unbändige Angst.

„Nein! Lass mich!“,rief er so laut, dass sein Hals schmerzte.

Schweißgebadet kam er zu sich. Er richtete sich im Bett auf und rieb sich die Augen, die immer noch verklebt schienen. Erst nach einigen Sekunden blinzelte er und erkannte Tageslicht, das durch die Schlitze der Rollläden sickerte. Allmählich begriff er, wo er war. Seine Kehle war ausgedörrt, er schluckte. Die Bettdecke beulte sich. Das harte Glied war alles, was von seinem Traum übrig blieb. Und sein pochendes Herz.

Kapitel 1

Das Brausen aus der Innenstadt erfüllte die mondhelle Nacht, Motoren heulten auf und Frauen lachten. Eine knisternde Spannung lag in der Luft, die Ruben bei jeder Bewegung zu spüren glaubte. Er mochte diese elektrisierende Stimmung, in der man vermeinte, bereits im nächsten Moment etwas Außergewöhnliches zu erleben.

Na toll, dachte Ruben und seufzte. Anstatt teilzuhaben am nächtlichen Geschehen, durfte er wieder mal Dienst vor dem Club schieben. Er vermied jede Anstrengung, stand einfach nur da. Es war schwül, doch über den westlichen Hausdächern bildete sich eine bedrohliche Wolkenfront, die die Sterne verdeckte.

Wieder hielt ein Fahrzeug vor dem Capitol und brachte weitere Gäste. In der gesamten Region blickte die Sängerin Loona von den Plakatwänden herab, doch mit diesem Andrang hatte er nicht gerechnet. Das Wummern der Beats aus dem Club wurde lauter und legte sich wie eine dumpfe Glocke auf seine Ohren. Er machte Anstalten, die Glastür des Foyers zu schließen.

„Lass doch offen“, monierte sein Kollege Peter, der seinen Posten im stickigen Eingangsbereich bezogen hatte. „Ich schwitze mich tot hier.“

„Und der Lärm? Die Nachbarn sind sensibel, hat der Chef gesagt.“ Er betrachtete beiläufig die Tattoos auf dem Unterarm des stämmigen Mannes. Etwas Engagement konnte seiner vier Wochen alten Stelle schließlich nicht schaden, was bei Peter jedoch keinen Anklang fand.

„Willst dich wohl einschleimen, was?“

Ruben zuckte verärgert die Achseln, schloss einfach die Tür und stellte sich wieder auf der obersten Stufe der Außentreppe in Position. Er warf einen kontrollierenden Blick über die Besucher, die hinter der dicken Kordel auf der Treppe standen. Die schwarze Hose zwickte im Schritt und setzte seinen Bewegungen gewisse Grenzen. Doch das weiße Hemd und die dunkelrote Krawatte passten zu seinem dunklen Haar und saßen perfekt. Das wusste er auch ohne Spiegel. Er sah es in den anerkennenden Blicken der jungen Frauen, die in ihren seidigen Tops und Kleidchen auf Einlass hofften. Nein, das war wahrscheinlich Unsinn. Es war nur sein Job, der die Frauen dazu veranlasste, ihm schöne Augen zu machen. Ausgerechnet ihm. Er verkniff sich ein Grinsen. Eine Blondine mit Puppengesicht zwinkerte ihm zu. Er rührte sich nicht. Sie leckte sich über die Lippen.

„Meine Freundin wartet drinnen auf mich. Können Sie mich nicht reinlassen?“

Natürlich wollten sie alle in den Club. Manchmal gab er auch nach, doch jetzt bewahrte er seine ausdruckslose Miene.

„Bedaure, ich kann keine Ausnahme machen.“

Wenn ein hübscher Mann vor ihm gestanden hätte, wäre seine Standhaftigkeit vielleicht ins Wanken geraten. Er durchforstete mit seinen Blicken instinktiv die Menge nach passablen, männlichen Gästen. Eine quäkende Stimme unterbrach seine Suche. Auf diese Weise unsanft aufgeschreckt, drückte er den Knopf stärker in sein Ohr und ignorierte das Kabel, das ständig in seinem Nacken schabte. Konzentriert lauschte er der neuen Anweisung. „Okay, Chef“, bestätigte er ins Mikro.

Ein plötzlicher Windstoß erfasste sein Haar. Dann mal los, dachte er, strich sich die Strähnen wieder aus der Stirn und trat vor bis zur Kante der obersten Treppenstufe.„Es tut mir leid, Herrschaften. Der Veranstalter rät Ihnen, es in zwei Stunden noch einmal zu versuchen. Für den Moment haben wir Einlassstopp und ich darf Sie bitten, die Treppe zu räumen und die Fluchtwege freizuhalten.“

Er winkte Peter heran, der das Foyer verließ. Mit ausgebreiteten Armen halfen sie ein wenig nach, drängten die protestierenden Gäste auf den Vorplatz zurück. Stoffe raschelten, Absätze klapperten.

„Bitte räumen Sie die Treppe. Vorsicht bitte. Alles muss frei sein. Danke sehr.“

Ruben steckte einen Finger hinter den Hemdkragen, um sich Luft zu verschaffen. Gut, dass die unerfreulichen Kommentare und Schimpfwörter bald verstummten und die meisten Besucher nach und nach zu ihren Wagen zurückkehrten. Erleichtert zwinkerte er seinem Kollegen zu. Dieser zuckte zurück und drehte seinen Kopf weg. Ups! Jetzt war er endgültig unten durch. Peter hatte offensichtlich erfahren, dass er schwul war.

„Alles klar, du kannst wieder reingehen“, sagte er, um Peter die Sorge zu nehmen, er könnte angemacht werden. Obwohl, der Kerl hatte einen knackigen Arsch, befand er, als Peter verdächtig schnell im Inneren verschwand. Er seufzte und blickte auf die von Bäumen gesäumte Straße hinaus. Alle Mitarbeiter der Sick-Security hatten knackige Ärsche und manchmal war es nicht leicht, seine Hände im Zaum zu halten. In seiner Hose vibrierte es. Das Handy. Die angezeigte Nummer war ihm nicht bekannt. Der Wind nahm zu, zerrte an seiner Krawatte und schob eine Staubwolke über den Hof. Er nahm das Gespräch entgegen und wandte sich ab, um das bedrohliche Geräusch der Bö auszublenden.

„Hallo, Herr Benning?“

Es war das Krankenhaus. Seine Großmutter. Sie war nicht gut beieinandergewesen, als er sie vorhin besucht hatte. Ein Prickeln lief über seine Haut, als er hörte, dass sie vor einer Stunde wegen Verdachts auf Schlaganfall eingeliefert worden war. Man hatte seine Nummer in ihrer Handtasche gefunden.

„Sie ist ein wenig unruhig, Herr Benning, außerdem verwirrt, aber das ist ja kein Wunder in ihrem Alter.“

„Nein“, sagte er kraftlos.

„Der erste Befund wird gestellt werden, sobald der Stationsarzt fertig ist. Können Sie vielleicht herkommen?“

„Ich weiß nicht, ich versuche es“, stotterte er und zwinkerte hektisch, es war wohl Staub in sein Auge geraten.

Nachdem er das Gespräch beendet hatte, pulsierte sein Herzschlag durch den ganzen Körper. Mit zitternden Händen steckte er das Telefon fort. Oma Luise, bei der er zwei Jahre gelebt hatte, während seine Eltern sich ihren Traum vom mediterranen Inselleben erfüllten. Omas Reibeplätzchen und das selbst gemachte Apfelkompott, die kleine Küche mit der Kuckucksuhr. Was wäre, wenn sie …

Er musste einfach laufen, sich bewegen. Die Aufregung trieb ihn an und sein Atem flog. Als er den oberen Treppenabsatz von rechts nach links und zurück vermessen hatte, ohne die düsteren Szenarien bändigen zu können, blieb er stehen und stemmte seinen Kopf in den Wind, als könnte dieser seine Gedanken fortwehen. In dem Moment legten sich die Böen. Er hob den Kopf und lauschte der unwirklichen Stille, die jedoch nicht von langer Dauer war. Donner zerriss die Spannung, es grollte und knatterte. Blitze teilten den Himmel. Plötzlich tauchte ein Schatten neben ihm auf. Instinktiv ging er in Abwehrstellung.

„Was ’n hier los?“, grölte jemand.

Er atmete auf und betrachtete den jungen Mann, der zu ihm heraufgestiegen war. Auf den ersten Blick wusste er Bescheid, handgefertigte Schuhe, manikürte Hände, Sonnenbrille im Haar, alles klar. Zurück zum Job, er durfte jetzt nicht wegen Oma schlappmachen. „Wir haben Einlassstopp, mein Herr. Bitte kommen Sie später noch einmal wieder.“

„Einen Scheißdreck werde ich tun.“Der Mann bleckte seine perfekten Zähne.

Die beiden Frauen, die sich hinter seinem hellen Leinenhemd versteckten, kicherten.

Etwas in seinem Gesicht ließ Ruben aufmerksam werden. Dunkelbraune Locken und eine gut proportionierte Visage, nun, das war nett, aber nichts Außergewöhnliches. Seine Gestalt war groß und sportlich. Seine Augen, es waren die schön geschnittenen Augen. Doch die Pupillen wirkten zu groß. Zudem zog er bereits zum dritten Mal die Nase hoch, wippte auf den Zehen und rieb sich die Fingerspitzen.

„Mein Herr, Sie können leider nicht herein.“

„Ey, komm jetzt. Ich lass mich doch nicht verarschen.“

Er hätte fast einen Seufzer ausgestoßen. Regentropfen platzten auf die Stufen und hinterließen dicke Tupfen auf dem Granit. Er musste sich beeilen, wenn er nicht nass werden wollte.

„Haben Sie gekokst?“ Erblickte seinem Gegenüber streng in die Augen. In der braunen Iris erkannte er für den Bruchteil einer Sekunde eine Verunsicherung, ein Aufglimmen von Furcht, fast ähnlich der, die er gerade selbst erlebt hatte. Doch dann nagte der Mann an seinen Lippen und wollte die Sonnenbrille demonstrativ lässig in seine Hemdtasche stecken. Er verfehlte sie, einmal, zweimal.

Ruben verfolgte irritiert seine Versuche. Als die Brille endlich an ihrem Bestimmungsort angekommen war, legte der Mann den Kopf schief und plusterte sich auf.„Was willst du eigentlich von mir? Weißt du nicht, wer ich bin?“

Er deutete hinter sich auf das Plakat, auf dem Loonas lange Mähne prangte. „Tut mir leid, C-Promis haben wir schon genug.“

„Arschloch!“

Die Locken flogen, als der Mann mit zusammengekniffenen Augen zu einem Schwinger ausholte. Er war dabei nicht besonders schnell, die Geste sollte sicher der Abschreckung dienen, denn er sah nicht aus wie jemand, der Schläge verteilte.

Ruben empfing den Hieb mit einem überlegenen Grinsen, packte das Handgelenk und drehte dem Mann den Arm auf den Rücken, der einen Schrei ausstieß und sich unter seinem Griff aufbäumte. Das Training machte sich wieder einmal bezahlt, doch allmählich verlor er die Lust auf Rangeleien vor der Disco. Die reine Regenluft transportierte einen angenehmen Rasierwasserduft, und unwillkürlich näherte er sich dem Kopf des Fremden, um zu schnuppern.„Das war ein tätlicher Angriff. Bitte verlassen Sie das Grundstück“, sagte er im nächsten Moment.

Die Frauen hatten ihren Begleiter bereits im Stich gelassen und standen im Schutz eines Baumes, damit der Regen ihre Hochsteckfrisuren nicht zerstörte.

„Du blöde Schwuchtel, was soll das?“

„Halt die Fresse, du Wichser“, platzte es aus Ruben heraus, bevor er nachdenken konnte. Es war nicht gerade professionell, aber mit solchen Ausdrücken warf man in seiner Gegenwart nicht um sich und schon gar nicht, wenn er so mieser Laune war wie jetzt. Was war so wichtig an diesem Schnösel, wenn doch gerade seine Großmutter …, er gab sich einen Ruck und fasste sich. Peter war aus dem Club gekommen und wollte ihm beistehen, doch er winkte ab und bugsierte sein Opfer die rutschige Treppe hinunter. In Sekundenschnelle waren sie durchnässt, die Tropfen hämmerten auf sie ein. Der Donner grollte passend zu seiner Stimmung. Der Fremde trug nichts als seine gebräunte Haut unter dem Hemd, er schien fast zu dampfen. Selbst auf dem Vorplatz zappelte und wehrte er sich. Warum konnte der Typ nicht einfach abhauen? Mit einem Mal entwand sich sein Opfer und schleuderte ihm die Faust ins Gesicht, so schnell, dass er nur noch eine goldene Uhr aufblitzen sah. Sein Kopf fuhr herum, es knirschte heftig, der Schmerz zuckte durch sein Auge. Er beugte den Oberkörper nach vorn, um Luft zu holen.„Du Idiot, ich mach dich fertig“, rief er in der festen Überzeugung, sämtliche Knochensplitter im Augapfel sitzen zu haben.Das Adrenalin peitschte durch seine Adern, er atmete sich in Rage. Sie standen sich für einen Moment gegenüber, blinzelten die Tropfen weg und starrten sich an. Er holte aus, doch bevor er dem Kerl die fällige Ohrfeige verpassen konnte, eilte Peter auf ihn zu und hielt ihn am Arm fest. Als wäre diese Berührung sein Trigger, hielt er inne und kam zu sich.

Sein Gegner hatte sich inzwischen mit den beiden blonden Perlen umgeben und zeigte ihm den Stinkefinger, während er hastig auf den Bürgersteig zueilte.

Erst wollte er ihm folgen, mehr aus Verärgerung über seine schlechte Deckung als wegen des Hiebes, doch Peter bohrte ihm die Finger in den Oberarm.„Ist schon gut, ich mache ja nichts“, murmelte er, fixierte den Burschen aber mit einem drohenden Blick. „Ja, verkriech dich ruhig hinter deinen Weibern, Mann. Du hast Hausverbot!“ Sein Zeigefinger unterstrich in einer eindringlichen Geste die Bedeutung dieser Worte. So hoffte er jedenfalls.„So ein Arschloch“, sagte er noch, strich sich die nassen Haare aus der Stirn und ging die Treppe langsam wieder hinauf. Nass war er ohnehin schon.

„Zeig doch mal dein Auge.“

Er blieb verwundert in der Glastür stehen. So fürsorglich kannte er seinen Kollegen nicht.

Peter tastete erstaunlich zartfühlend seine Schläfen ab. Offensichtlich stellte ein verletzter und durchnässter Schwuler keine Gefahr für ihn dar. Peters Brustwarzen wurden durch den feuchten Stoff sichtbar.

Ruben lächelte unwillkürlich. Loona sang aus Leibeskräften, doch das Summen und Rauschen in seinen Ohren übertönte ihre Stimme. Die Kopfschmerzen, auf die er fast schon gewartet hatte, setzten ein.

„Hm, das wird bald schön blau. Ich würde an deiner Stelle zum Röntgen ins Krankenhaus fahren.“

Das Krankenhaus!

„Was meinst du? Kann der Chef Ersatz beschaffen, wenn ich heute ausfalle?“

Er fingerte an seinem Mikro herum, das durch die Rangelei verrutscht war, schilderte seinem Chef die Lage und versicherte ihm glaubhaft, dass der Angreifer einen gewaltigen Bums gehabt hatte. Der Regen ließ nach und versiegte, kleine Nebelschwaden stiegen sanft vom Asphalt auf, der mit abgerissenen Blüten und Blätter beklebt war.

Eine halbe Stunde später saß er in einem stickigen Krankenzimmer am Bett seiner schlafenden Großmutter und betrachtete die dünne Gestalt, die sich unter der Decke abzeichnete, ihre bis auf den Kiefer zusammengefallenen Lippen und die zerknautschte graue Dauerwelle. Der Arzt hatte Entwarnung gegeben und schob ihren Zusammenbruch auf ihre Kreislaufschwäche. Er strich über ihren Handrücken, spürte die Adern und die transparente, warme Haut.

Sie wachte auf, drehte den Kopf und sah ihn an. Nach einer Weile erkannte sie ihn.„Mein Junge“, nuschelte sie.

Er neigte sich zu ihr, um sie besser verstehen zu können.„Alles gut, Oma.“

„Aber hast du denn schon zu Abend gegessen?“ Ihre Augen wurden groß und besorgt. Sie sah so hilflos aus. Gut, dass er hergekommen war.

„Denk mal lieber an dich, Oma. Du hast wieder zu wenig getrunken in den vergangenen Tagen. Sie haben dir eine Infusion gelegt. Schlaf einfach weiter. Ist schon spät.“

„Spät?“

„Ja, ganz spät.“

Mit einem erleichterten Seufzer schloss sie wieder die Augen und er wartete, bis ihre Atemzüge gleichmäßig wurden. Seine Schläfe pochte, doch irgendwie war er diesem reichen Blödmann fast dankbar. Er stand auf, öffnete das Fenster und ließ frische Luft herein.

Acht Tage später

Niklas wachte jäh auf, geweckt vom eigenen Schrei. Er war in Schweiß gebadet, und als er die Hand an das Laken legte, spürte er darin die Feuchtigkeit seines Körpers. Draußen war es bereits hell. Er setzte sich auf, schwang die widerstrebenden Beine über die Bettkante und rieb sich die Augen.

Unter der Dusche dachte er über seinen Traum nach, der ihn zum wiederholten Mal gepackt und so echt gewirkt hatte, dass das Gruseln jetzt noch über seine Haut rollte. Vielleicht würde sein Unbehagen schwinden, wenn er sachlich an die Sache heranging. Was war Realität gewesen und was nicht? Während das Wasser seinen Rücken massierte, teilte er die Bilder ein. Der Gay-Clubwar nicht echt. Die Suche nach einer schnellen Nummer, seine schwulen Ambitionen, völliger Quatsch. Warum träumte er so einen Scheiß? Schnell stellte er das Wasser eiskalt, japste, schob den Hebel wieder auf warm und diese beunruhigenden Gedanken beiseite.Doch der Mann mit der Hakennase und dem grauen Haar. Hatte er nicht auch einen silbernen Ring getragen? Dieser Mann war ein Mörder und er hatte ihn gesehen. Ihn hatte er nicht geträumt. Leider war er Realität, ebenso wie der Mord, den er in einer Gasse in der Innenstadt beobachtet hatte. Warum musste er auch ausgerechnet dort hinter einen Holunderbusch pinkeln? Wenn er nur die Augen geschlossen hätte und nicht an das Fenster des Lagerraums gegangen wäre, in dem das Opfer um sein Leben gefleht hatte. Er sah noch die Schweißflecke auf dem Rücken des Mannes und die abwehrend erhobenen Arme. Er erinnerte sich an den silbernen Ring an der Hand, die die Waffe gehalten hatte. Er war vor dem Grauen geflohen, das die verlaufenden Blutspritzer an der Scheibe in ihm geweckt hatten. Kein Wunder, dass das Blut ihm bis in seine Träume folgte. Im Schutz der Kneipe, in der er vor dem Mord das Kokain besorgt hatte, hatte er die Polizei angerufen und das Tütchen weggeworfen. Die Kripo hatte das Opfer als einen Franzosen namens Pierre Bonnac aus Straßburg identifiziert, der angesichts seiner Vorstrafen wegen Drogendelikten wohl ein bewegtes Leben geführt hatte. Die Dinge nahmen ihren Lauf, die Ermittlungen dauerten an.

Heute durfte er die Vorlesung schwänzen, da ihn sein Vater zu sich befohlen hatte. Er war neugierig, was der alte Herr von ihm wollte und warum die Sache nicht bis zum Wochenende warten konnte. Er trocknete sich ab und wischte den Spiegel frei. Hässliche Schatten lagen unter seinen Augen, er fühlte sich immer noch zerschlagen und irgendwie fehl am Platz in dem sonst so behaglichen Bad mit Carrarafliesen und goldenen, modernen Armaturen. Nackt ging er ins Wohnzimmer, holte ein Plastiktütchen aus einer Schublade und schüttete das Kokain auf die Anrichte. Er sah sich um, nahm ein kurzes Lineal vom Schreibtisch, und richtete das Pulver in einer Linie aus. Er schniefte das weiße Zeug mit einem Strohhalm und atmete auf. Die Betäubung der Schleimhäute setzte sofort ein, er zog die Nase hoch. Draußen schien die Sonne, ein schöner Junitag. Gleich würde er sich besser fühlen und seinem gestrengen Herrn auf Augenhöhe entgegentreten. Sollte er den Porsche nehmen oder das neue Trekkingrad? Gut gelaunt betrat er seinen begehbaren Kleiderschrank und musterte die reichhaltige Auswahl an Kleidung. Nun, für heute würde TommyHilfiger reichen, da er sich für das Rad entschieden hatte.

*

„Warum ich Sie hergebeten habe, Herr Benning – nun, um es kurz zu machen …“Der Mann zupfte die Hemdsärmel aus dem maßgeschneiderten Anzug und räusperte sich.

Ruben setzte ein höfliches Gesicht auf und wünschte sich, Peter Sauter würde zum Kern der Sache kommen. Personenschutz war ja wohl nichts Anrüchiges. Die Sache schien dringend zu sein, denn sein Chef hatte ihn vomClub abgezogen.

„Mein Sohn braucht einen Bodyguard“, platzte es endlich aus seinem Auftraggeber heraus.

„Personenschützer“, korrigierte Ruben und wartete gespannt auf die Einzelheiten seines neuen Auftrags.

„Ja, genau. Hier habe ich zwei Drohbriefe, die er erhalten hat. Zum Glück wohnt er seit drei Wochen in einem eigenen Apartment und hat nur einen gelesen. Den zweiten konnte ich abfangen.“

Ruben stand von dem Chromschwingsessel auf und nahm die Briefe. Gängiges Kopierpapier, die Schrift in großen Standard-Lettern.Wenn du plauderst, wirst du sterben. Wenn du nicht schweigst, bringen wir dich zum Schweigen.

Er legte die Mitteilungen auf die dunkle Schreibtischplatte. Das Büro war modern gehalten, die Drucke an den Wänden gefielen ihm. Hier und dort ein Hauch Persönlichkeit. Eine Eichentruhe in der Ecke, das Foto einer hübschen Frau auf dem Regal.

„Das ist zwar eine klare Ansage, aber wenn es keinen triftigen Anlass gibt, sieht mir das eher nach …“

„Es existiert leider ein triftiger Anlass, Herr Benning“, unterbrach ihn Sauter und strich sich über das glatte Kinn. Seine Augen glitzerten.„Mein Sohn war vor zehn Tagen Zeuge eines Mordes im Drogenmilieu. Er hat den Täter gesehen und der Polizei eine ungefähre Beschreibung geliefert. Vor fünf Tagen kam der erste Drohbrief.“

Ruben unterdrückte einen nervösen Anflug. Schließlich war es sein Job, den Kopf für seine Kunden hinzuhalten. Dies war jedoch sein erster richtiger Schutzauftrag und die Drohungen verhießen nichts Gutes. Er hätte sich lieber vor einen Politiker geworfen, um ihn vor faulen Tomaten zu schützen.„Das bedeutet Begleitung bis zum Ende der Ermittlung? Gibt es einen Tatverdächtigen?“

„Nein, kein Verdächtiger in Sicht.“

Rubenatmete tief durch und bemühte sich, verlässlich und tatkräftig zu wirken. Der Auftrag war nicht übel. Ein erfolgreicher Abschluss würde sich herumsprechen. Er schob seine Bedenken beiseite, er wäre dämlich, wenn er nicht annähme.

„Sie sind sehr jung, Herr Benning, trotzdem, ich vertraue Ihnen. Es kann ja sein, dass mein Sohn die Aussage zurückzieht. Er ist sich nicht sicher, ob er den Täter richtig erkannt hat.“

„Haben Sie die Briefe der Polizei gegeben? Fingerabdrücke und so?“

„Ja, die sind bereits untersucht worden. Ohne Ergebnis. Doch da ich die Polizei nicht weiter bemühen will …“

„… die ohnehin keine Leute zum Schutz abstellen kann …“, ergänzte Ruben. Der Zeitraum war zu lang und unbestimmt. Er verstand die Sorgen eines Vaters und nickte bedächtig.„Woher wissen diese Typen, dass Ihr Sohn der Zeuge ist? Presse? Polizeiklatsch?“

Sauter zuckte die breiten Schultern. „Freiburg ist ein Dorf. Dieser Auftrag wird Ihr Schaden nicht sein, das verspreche ich. Sie haben eine Ausbildung im Schusswaffengebrauch und einen Waffenschein. Sie sind durchtrainiert und ganz allgemein, nun, wie soll ich es sagen, auf Zack eben, nicht wahr?“

Rubenbemühte sich um ein beipflichtendes Grinsen. Hoffentlich verlangte Sauter kein Prüfungszeugnis. Das hatte er nämlich nicht. Die Sick-Security hatte ihn genommen, obwohl er die Ausbildung zum Personenschützer kurz vor dem Abschluss geschmissen hatte. Der Mann hatte ihn direkt angefordert, so hatte sein Chef es gesagt.

„Ich werde zwar mit der Sick-Security abrechnen, aber ich werde Ihnen dreihundert pro Tag drauflegen. Was halten Sie davon?“

Er glaubte, sich verhört zu haben.„Aber … aber Sie zahlen doch schon dreihundertEuro täglich an die Firma.“

„Ich habe mit Ihrem Chef einen Deal vereinbart. Für das Leben meines Sohnes würde ich auch tausend Euro zahlen. Geld spielt keine Rolle, merken Sie sich das. Was immer Sie benötigen – Sie bekommen es. Sie sind jung, wollen sich vermutlich eine Existenz aufbauen.“

Sein Gegenüber ähnelte in diesem Moment einem geschickten Verkäufer, doch das Geld konnte er tatsächlich gut gebrauchen. Oma Luise musste vielleicht bald ihr Zuhause verlassen, da sie nach ihrem Krankenhausaufenthalt so tüttelig geworden war, dass sie nur Unsinn anstellte. Die Pflegekraft, die zweimal täglich zu ihr kam, hatte ihm ins Gewissen geredet und er sah den Sinn eines Pflegeheimes sehr wohl ein. Aber das kostete Geld. Die Last lag schwer auf seinen Schultern.

„Einverstanden. Ab wann soll es losgehen?“

„Sobald ich meinen Sohn informiert habe. Er müsste gleich kommen. Darf ich Ihnen solange einen Kaffee anbieten?“

Er wollte nicken, als er Schritte hinter sich hörte, die vom Nadelfilzboden fast verschluckt wurden, und stand auf.

„Da bist du ja, Niklas.“

Sauter streckte einladend den Arm aus und schlug einem jungen Mann auf die Schulter.

Ruben wollte ihm gerade die Hand reichen, als er erstarrte und den Atem anhielt. Vor ihm stand das Arschloch, der Kerl, der ihm das blaue Auge verpasst hatte. Dieserglotzte ihn an, sein Mund öffnete sich leicht. Seine Haare waren nicht gestylt, sondern hingen ihm zerzaust um die Stirn. Es dauerte nur einen Augenblick, um sich zu vergewissern, dass sie sich immer noch nicht mochten.

„Was will der Typ hier? Hat er mich angezeigt? Will er Schmerzensgeld?“ Niklas Sauter drehte sich zu seinem Vater um.

Dieserlachte.„Nein. Das ist Ruben Benning, dein Personenschützer. Ich habe ihn engagiert.“

„Was?“

Fassungslos musterte ihn der Schnösel von oben bis unten. Dabei zog er schniefend die Nase hoch. Kokain. Ruben verdrehte die Augen.

„Was ist los? Passt dir was nicht?“ Niklas kam einen Schritt näher.

Rubenfühlte, wie Hitze in ihm aufstieg. „Schmerzensgeld ist eine gute Idee.“

„Steht dir doch ganz gut, das Veilchen“, entgegnete Niklas ungerührt und inspizierte RubensSchläfe, die nach acht Tagen immer noch hartnäckig blau schimmerte. Rubenballte die Fäuste.

„Na na, nicht so hitzig, ihr beiden.“ Der Vater nickte ihnen beruhigend zu.

Niklas schnaubte und schlug sich vor die Stirn.„Was soll das, Vater? Das ist ja wohl nicht dein Ernst. Nur wegen eines blöden Briefes.“

„Vorgestern kam der zweite. Ich habe mir erlaubt, ausgerechnet diesen Personenschützer zu engagieren, weilich mir nach deinem Rauswurf aus dem Club gedacht habe, dass jemand, der mit dir fertig wird, dich auch ganz gut beschützen kann.“

„Du hast dir erlaubt – alles klar.“

Ruben verfolgte die Auseinandersetzung inzwischen etwas entspannter, ja, fast amüsiert und setzte sich. Lässig schlug er die Beine übereinander und genoss in der sommerlichen Hitze die Kühle der Klimaanlage. Das war nun wirklich eine Überraschung. Und eine Herausforderung. Wollte er sich dreihundert Euro tatsächlich so hart erarbeiten? Es wäre ihm beinahe lieber, wenn Niklas ihn kategorisch ablehnen würde.Es sah ganz danach aus, als wäre das der Fall.

„Nein, Vater, das kannst du vergessen. Nicht diesen Blödmann.“

„Diesen und keinen anderen. Er wird den ganzen Tag und auch nachts bei dir sein.“

„Wie bitte?“

Niklas’ Fassungslosigkeit bereitete Ruben einen diebischen Spaß.

„Du wirst dich fügen müssen und auf deine kleinen Freundinnen eine Weile verzichten.“

„Da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden.“

„Du hast so viel mitzureden, wie ich monatlich dein Konto auffülle.“

Das Grinsen wollte einfach in RubensGesicht, sodass seine Gesichtsmuskeln fast schmerzten, als er es unterdrückte. Das Weichei war vom Papa abhängig. Was hatte er anderes erwartet?

Niklas wanderte durch den Raum und blieb am Fenster stehen. Er schwieg. Das Klappern von Absätzen und Wortfetzen drang zu ihnen.

„Sieh es doch ein, Niklas. Die Angelegenheitwird bald erledigt sein. Die Polizei arbeitet auf Hochtouren.“

„Pah, die Polizei. Die brauchte drei Tage, bis irgendwelche Fingerabdrücke ausgewertet wurden. Wie lange soll ich den Typ mit mir rumschleppen? Ein ganzes Jahr?“

Sauter schmunzelte. „In diesem Fall müssten wir noch einmal über das Honorar sprechen, Herr Benning.“

Rubenwinkte lächelnd ab. „Ihre Entscheidung, Herr Sauter.“

„Ihre Entscheidung, Ihre Entscheidung“, äffte Niklas ihn nach.

Seine guten Manieren wichen dem Ärger. Er stand auf und ging auf Niklas zu.„Hör mal, du Playboy. Große Töne spucken kann jeder. Du rennst doch schon zu Papi, wenn die Typen dir eine tote Maus in den Briefkasten stecken.“

Niklas’eisiger Blickzeigte ihm genau, was er von ihm dachte. Doch mit seiner geraden Nase und den vollen Lippen, auf denen er herumbiss, sah er eigentlich ganz gut und menschlich aus. Er war schlank, schien aber trainiert zu sein. Das sagten ihm die strammen Oberarme und das eng anliegende Shirt, für das sicher ein Viertel von seinem Monatsgehalt draufgegangen war.

„Was gibt es da zu glotzen? Bist du schwul?“

„Niklas, was erlaubst du dir?“, schimpfte sein Vater.

„Ich wollte checken, ob du dich im Notfall auch allein verteidigen kannst“, antwortete Ruben ruhig.

„Als ob ausgerechnet du bullet-proof auf der Stirn stehen hättest.“ Niklas wandte sich ab und starrte auf die bunten Dächer der Marktstände auf dem Domplatz.

„Ich kann dir zumindest eine kugelsichere Weste anbieten.“

Ruben sah auf seine Uhr.„Wie steht es jetzt? Ich muss gleich zu meiner Schicht.“

„Der Club hat ja noch gar nicht offen“, kam es gehässig vom Fenster.

„Das nicht, aber wir sind beim Bürgermeister eingeteilt.“

Er konnte an Niklas’ Profil sehen, dass er erneut seine Unterlippe malträtierte. Schien ein Tick zu sein. „Herr Benning, morgen früh geht es los. Sie bringen ihn zur Uni und ziehen anschließend in sein Apartment ein. Ich gebe Ihnen den Zweitschlüssel. Sie holen ihn wieder ab und passen auf ihn auf. Während der Vorlesungen oder wenn er beim Arzt, beimFrisör oder bei mir ist, haben Sie frei. Nach zwei Wochen können Sie eine Vertretung einweisen, die Sie für ein Wochenende vertritt. Ist das in Ordnung?“

„Wenn das für Niklas in Ordnung ist.“ Ruben sah seinen potenziellen Klienten an. Dieser reagierte nicht. Das Schweigen füllte den Raum. Wortfetzen und Lachen kamen von der Straße, die Uhr des Münsters schlug die halbe Stunde. Ruben trat von einem Fuß auf den anderen.

„Junge?“, mahnte Sauter.

„Ja“, sagte Niklas gedehnt.

Sein Vater atmete sichtlich auf, während Ruben nicht einschätzen konnte, ob er zufrieden sein sollte oder nicht. Doch selbst, wenn er nur drei, vier Tage durchhielt, konnte er einigen Gewinn machen. Diese Aussicht versöhnte ihn ein wenig mit seinem ungeliebten Kunden. Unbestreitbar war ein Schutzauftrag interessanter als die Eingangskontrolle im Club.

„Gut, mein Junge. Dann kannst du dich schon mal auf seinen Einzug vorbereiten. Ich habe mit Herrn Benning noch ein paar Details zu erörtern.“

„Sollte nicht lieber ich die Details erörtern?“, fragte Niklas. Die schlechte Laune sprang ihm aus dem Gesicht.

„Ich meine, finanziell und so.“

„Gut, ich bin dann weg.“ An der Tür wandte er sich noch einmal um.„Morgen acht Uhr. Sieh zu, dass du pünktlich bist. Und bring frische Brötchen mit.“

Eine halbe Stunde später schloss Ruben ein wenig niedergeschlagen die Tür zu seiner Wohnung auf und betrat die große Wohnküche. Sauter hatte mehr als einige Details zu besprechen gehabt, und er konnte nur hoffen, dass alles so klappen würde, wie sein Auftraggeber es sich vorstellte. Es war ein ganz spezieller Auftrag. Dieses Wissen saß in seinem Hinterkopf fest, blitzte immer wieder auf und trug nicht zu seiner guten Laune bei.

Sarah, Mitbewohnerin der Dreier-WG, stand am Herd, ein Anblick, der ihn beruhigte. Es duftete appetitlich, sodass er sich entspannte.

„Hm, was kochst du?“

„Paella“, sagte sie und beugte sich über die dunkle Pfanne.

„Villarriba?“

„Nein, Villabajo“, gab sie mit einem Augenzwinkern zurück und warf den blonden Zopf über ihre Schulter. Die Werbesprüche waren ihr geheimesZeichen. Sie kannten sich seit ihrer Kindheit, hatten zusammen gespielt und sich natürlich auch gemeinsam TV-Werbung reingezogen.

„Mist, ich muss weiter.“ Das Essen musste warten.

„Was ist denn los?“

Er holte seinen zweiten schwarzen Anzug vom Balkon, wo er ihn gelüftet hatte und zog in der Küche seine Jeans aus,weil erkeine Lust hatte, sein unaufgeräumtes Zimmer zu betreten. Außerdem plauderte er eigentlich viel zu wenig mit Sarah, die keinen Anstoß daran nahm, dass er ihr sein kariertes Hinterteil entgegenstreckte.

„Ach, der Bildungsminister kommt in die Stadt. Zum Glück ist die Sache um achtzehn Uhr wieder vorüber. Und eben habe ich einen Schutzauftrag angenommen, der mir noch schwer im Magen liegen wird.“

Sarah rührte in der Pfanne.„Warum?“

„Ich muss ausgerechnet den Kerl bewachen, der mir das Veilchen beigebracht hat. Dieses Muttersöhnchen.“

„Oje. Ab wann?“

„Ab morgen. Und Brötchendienst darf ich auch noch spielen.“ Inzwischen hatte er sich das Hemd angezogen und die Krawatte um den Nacken geschlungen. Er stellte sich vor Sarah, die wusste, was zu tun war. Sie legte den Löffel neben den Herd, wischte sich die Hände ab und schlang geschickt die Enden der Krawatte übereinander, bis ein gut sitzender Knoten entstand. Sein Blick fiel auf ihren Mittelscheitel und die Stupsnase. Sarahs große Augen und ihr weicher Mund gaben ihr etwas Sinnliches, sodass er fast bedauerte, schwul zu sein.

„Also kochst du morgen nicht für mich.“ Sie ließ ihre Hände für eine Weile auf seinem Kragen ruhen.

„Leider nein, das wird ein paar Tage ausfallen.“ Er küsste sie auf die Stirn. Ein eingespieltes Team, eigentlich könnten sie heiraten.

„Was kein großer Verlust ist.“

Er schnappte sich das Sakko. „Na hör mal! Bisher hast du alles gegessen, was ich gekocht habe. Was macht Junior?“

Er tätschelte ihren gewölbten Bauch.

„Das wird kein Junior. Wie oft habe ich dir das schon gesagt? Ich habe von Männern die Schnauze voll.“

„Was macht die Kleine?“

„Ach, strampelt rum.“ Sie stemmte die Arme in ihren Rücken und streckte sich.

Er hoffte bei diesem Anblick, dass sie nicht plötzlich platzte.

„Ich fühle mich wie eine dicke Kuh.“

„So siehst du auch aus.“ Er beeilte sich, aus der Küche zu kommen.

„Idiot“, rief Sarah und warf den Löffel, der am Türblatt abprallte. Noch einmal steckte er den Kopf durch die Tür. „Verwahrst du mir etwas von der Paella?“

„Klar“, sagte sie und grinste.

Er winkte und verließ die Wohnung. Auf der Hälfte des Treppenhauses fiel ihm ein, dass er den Müll hätte rausbringen können. Sarah durfte nicht mehr schwer heben oder viele Treppen steigen. Sie war bereits im achten Monat. Das Kind entstammte einer einjährigen Beziehung, die sie mit ihrem dritten Bewohner gehabt hatte. Jens, der Maschinenbaustudent, war anfangs ganz nett gewesen und schien ernsthaft um Sarah bemüht zu sein. Als sie schwanger wurde, war er mit Sack und Pack schneller wieder ausgezogen, als man hätte piep sagen können. Seitdem stand der dritte Raum leer, und es wurde für sie beide immer schwieriger, die Miete zu bezahlen. Ein Grund mehr, sich über den neuen Auftrag zu freuen. Nur ein Tag und er konnte die Differenz für zwei Monatsmieten zahlen. Sarah arbeitete in einer renommierten Anwaltskanzlei und sparte einen Teil des Gehaltes für den Unterhalt ihres Kindes. Seit gestern feierte sie ihren Urlaub vor dem Mutterschutz ab. Eins nach dem anderen, das war ihre praktische Parole, die auch er sich ein wenig zu eigen gemacht hatte. Wie es weitergehen würde, konntensie erst sagen, wenn sich Mutter und Tochter eingespielt hatten. Er wollte kein Vater sein, aber seine beste Freundin auch nicht einfach im Stich lassen, die sich gegen eine Abtreibung entschieden hatte. Dafür bewunderte er sie, irgendwie. Er seufzte und stieg in den Opel Corsa, den seine Oma ihm gekauft hatte. Vielleicht konnte er nach dem heutigen Job noch einmal bei seiner Großmutter vorbeischauen. Wer weiß, ob er ab morgen noch Zeit hatte. Bei dem Gedanken an seine künftigen Pflichten wurde ihm fast schwindlig. Das hatte er eigentlich nicht gewollt. In ihm überwog eher der Couch-Typ, der nicht viel auf Ruhm und Ehre gab. Das hatte er manchmal schon in der Bundeswehrzeit gemerkt. Wenn er ehrgeiziger gewesen wäre, hätte er sich durchaus länger verpflichten können als die vier Jahre, die er dort verbracht hatte. Er wollte ein aufregendes, aber auch gemächliches Leben, doch das war anscheinend eine blöde Illusion oder ein lästiges Erbteil seiner Erziehung.

Kapitel 2

Ruben saß frisch geduscht und in Boxershorts am Laptop und füllte ein Tabellenblatt für die Dokumentation seines neuen Auftrages aus. In der Nacht hatte er nicht gut geschlafen. Er hatte mit Gedanken, die sich immer wieder in den Schwanz bissen, gekämpft, Zweifel und Zuversicht ausbalanciert. Seine Eltern machten sich ein angenehmes Öko-Leben auf La Gomera und überließen ihm die ganze Verantwortung. Anstatt über die Globalisierung zu debattieren und Tüten zu rauchen, sollten sie lieber mal vor der eigenen Haustür kehren. Dazu lag auch nachts eine schwülwarme Luft über der Stadt, tropische Wärme, die seinen ganzen Körper mit einem Schweißfilm überzogen hatte. Das Bettzeug musste auch mal wieder gewechselt werden. Pascal hatte immer richtig rumgesaut, wenn sie Sex miteinander gehabt hatten. Sie hatten sich in den vergangenen zwei Wochen drei- oder viermal getroffen. Nun war Pascal fort, mit einem älteren Mann zusammen, während das versiffte Laken alles war, was von ihm zurückgeblieben war.

Ruben hauchte einen Seufzer heraus und schrieb weiter an seiner Dokumentation.

Alter: 24 Jahre, Student der Psychologie an der Uni Freiburg, Vater: Peter Sauter, schwerreicher Eigentümer zweier Privat-Sanatorien im Schwarzwald (Entzug und psychische Störungen), Mutter: vor zehn Jahren an Krebs gestorben. Wohnhaft Lehener Str. 35, Freiburg.

Als zwei Schläge der nahen Herz-Jesu-Kirche ihn aufschreckten, sah er auf die Uhr. Halb acht. Er musste sich beeilen. Anziehen, Brötchen kaufen und losfahren.Von der Eschholzstraße zur Lehener Straße war es eigentlich ein kurzer Fußmarsch, aber er musste den Wagen der Firma nehmen, den Sauter bei seinem Chef herausgehandelt hatte. Ein unauffälliger, mit Panzerglas ausgestatteter Ford Mondeo Kombi, natürlich schwarz. Dort lagerten die Sachen, die er zu Niklas’ Apartment mitnehmen wollte.

Er schloss den Laptop, raffte seine Toilettensachen zusammen, zog sich an, holte die Pistole aus dem kleinen Tresor und betrachtete noch einmal sein Zimmer. Um die Orchidee auf der Fensterbank würde sich Sarah kümmern. Der Schreibtisch aus billigem Kiefernholz war halbwegs aufgeräumt, das breite Bett gemacht, mit den immer noch dreckigen Bezügen. Die verschwitzte Kleidung hatte er gestern in den Waschkeller gebracht, er würde sie waschen, wenn er zwischendurch herkam. Trotzdem kam ihm das Aufgeben seiner vertrauten Höhle als Aufbruch in ein unbekanntes Abenteuer vor, und er musste sich eingestehen, dass er nervös war.

Nach einem kurzen Klopfen betrat er Sarahs Zimmer. Die Rollläden waren halb heruntergelassen und tauchten den gemütlichen Sessel, die Ikea-Schränke und die liebevolle, bunte Deko in ein dämmriges Licht. Sarah hob murrend den Kopf und strich ihre Haare aus der Stirn. Sie roch nach Wärme und Herzlichkeit und er wünschte sich auf einmal, er hätte den Auftrag nicht angenommen.

„Machs gut, Sarah. Ich weiß nicht, ob ich regelmäßig hier sein kann. Ruf mich an, wenn es dir nicht gut geht oder so. Ich komme sofort, egal, was mit dem Typen ist.“

„Pass auf dich auf, Ruben.“ Sarah strich über die Beule im leichten Sakko, die vom Holster verursacht wurde.

„Wird es schlimm?“

„Keine Ahnung.“ Er wusste wirklich nicht, was ihn erwartete.

„Bis dann.“

Er beugte sich hinunter und küsste sie auf die Wange. Sarah nickte, rekelte sich wohlig und wuchtete ihren Bauch auf die andere Seite.

Leise schloss erdie Tür.

„Es ist schon nach acht“, begrüßte ihn Niklas an der Tür. Ruben hatte geklingelt, er wollte nicht so einfach mit dem Zweitschlüssel in die Wohnung platzen.

„Ich musste erst einen Parkplatz suchen“, gab er zurück und presste ihm die Brötchen-Tüte vor die Brust. Niklas schloss die Tür und ging zur Küchenzeile, die sich perfekt ins weitläufige Apartment einfügte. Das Sonnenlicht flutete durch die hohen Fenster, die noch zum Lüften aufstanden. Eine rote Ledercouch-Garnitur stand auf einem hellen, langflorigen Teppich, der Flachbildschirm an der Wand war wirklich umwerfend und er hoffte, dass er sich hier die Bundesliga-Spiele ansehen durfte. Vom großen Balkon aus, auf dem eine Art mediterraner Garten mit Kakteen und Lavendel eingerichtet worden war, hatte man Aussicht auf das halbe StühlingerViertel. Er sah sich nach seinem Kunden um.

Niklas trug zwei Tassen zum Tisch, dann ein Tablett mit Butter, Nutella, Marmelade. Ein Süßfrühstücker, registrierte er und ließ einen mehr als beiläufigen Blick über Niklas’ ansehnliche Gestalt gleiten. Die langen Beine steckten in einer blauen, etwas verwaschenen Jeans, der Gürtel war ein wenig protzig, aber schick. Dazu trug er ein cremefarbenes Baumwollhemd, das in seiner Einfachheit bereits wieder elegant wirkte.

„Ich hoffe, du hast noch nicht gefrühstückt“, sagte Niklas. Seine Geste zu einem der Stühle hin war relativ einladend, sein Ton klang weder verärgert noch provozierend.

„Nein“, antwortete er und legte das Sakko ab.

Als die Waffe für Niklas sichtbar wurde, blieb er kurz stehen, betrachtete sie, schwieg aber und gab sich sofort wieder den gewohnt coolen Anschein.„Ich dachte mir, wir fangen noch mal von vorn an.“

Damit war seine heutige Ausgeglichenheit erklärt. „Gute Idee. Ich heiße Ruben. Und nein, das Veilchen tut nicht mehr weh.“

„Das wäre aber nicht meine nächste Frage gewesen“, stellte Niklas ein wenig gereizt klar und stieß mit dem Fuß an den Stuhl, der mit einem hässlich kratzenden Geräusch zur Seite rückte. Diese Art, ihn zum Sitzen aufzufordern, fand Ruben jetzt nicht mehr höflich und er sah seinen Kunden forschend an. Die Fassade bröckelt schnell, dachte er, als dieser schief lächelte.

„Greif zu.“

„Du hast nicht zufällig Aufschnitt oder Käse?“

„Auch noch Ansprüche stellen“, murmelte sein Gastgeber und holte eine Packung Gouda aus dem Kühlschrank.

„Danke.“

Niklas schloss das Fenster und sperrte das Gezeter der Spatzen auf der Dachrinne aus.Dabei war dieses Tschilpen das Einzige, was noch halbwegs Stimmung in die Bude brachte.

Schließlich saßen sie sich gegenüber, schmierten ihre Brötchen und aßen.

„Schicke Wohnung“, sagte Ruben, um das lastende Schweigen zu brechen, und wies mit dem Kopf hinter sich. Er fühlte sich unwohl, fremd und fehl am Platz.Trotz der scheinbaren Höflichkeit strahlte Niklas nicht einen Hauch von Empathie aus. Nur die braun gebrannte Haut,die dessen Hemdausschnitt sehen ließ, zog ihn an.

„Hm.“

Niklas kratzte das Marmeladenglas leer und ließ seine kalten Augen über Ruben schweifen, von der rechten Schulter über die Brust bis zur linken Schulter. Dann ein kurzer Schwenk in Rubens Gesicht, bis der verlegene Blickkontakt abbrach. Ruben verstand instinktiv. Niklas war unsicher und tat nur so lässig. Unter anderen Umständen hätte er nichts gegen einen ausgiebigen Scan gehabt, doch dieser Auftrag verlangte bereits durch seine Vorgeschichte, Privates vom Geschäftlichen zu trennen. Trotzdem musste er immer wieder auf den Ausschnitt sehen. Ob er mit Absicht zwei Knöpfe offen gelassen hatte? Er war anscheinend von Kopf bis Fuß braungebrannt und geizte nicht mit Reizen.

„Der Kaffee schmeckt gut.“

Niklas’ Ausdruck wurde misstrauisch, als befürchtete er, Ruben wollte sich bei ihm einschleimen.

„Wann beginnt die Vorlesung?“

„Um neun. Wir müssen gleich los.“

Erleichterung durchzog ihn. Dieses Frühstück im Waffenstillstand-Modus hatte ihm nicht behagt und er wusste immer noch nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Er räumte seinen Platz leer und stellte die Tasse in die Spüle.

Als Niklas das Gleiche tat und hinter ihm stand, fühlte er mit einem Hauch von Erregung seine Nähe und roch seinen Duft. Er trat einen Schritt beiseite. „Wo kann ich mir die Hände waschen?“

Niklas zeigte auf eine der drei Türen, die von dem großen Raum abgingen.

Kaum war er vor seiner Irritation in das Bad geflüchtet, glaubte er sich in einem luxuriösen Wellness-Bereich. Die Dusche, verborgen inmitten einer schneckenhausartig angelegten, gekachelten Säule, befand sich mitten im Bad, das von niedrigen Palmengewächsen geschmückt wurde. Zwei breite, rechteckige Schalen aus hauchdünner Keramik dienten als Waschbecken, dunkelbraune Schränke komplettierten die Ausstattung. Die Armaturen leuchteten golden. Alles in allem ein eleganter, männlicher Stil, der ihm gefiel. Fast befürchtete er, sich in seinem etwas schäbigen Weißkeramik-Badezimmer nicht mehr wohlfühlen zu können. Mit einer gewissen Ehrfurcht betätigte er den Wasserhahn, wusch sich die Hände unter dem perlenden Wasser und sah sich dabei im rankenverzierten Spiegel an. Das Handtuch war kuschlig. Er musste neidlos anerkennen, dass der Innenarchitekt sein Metier verstand. Ausgerechnet ein Blödmann wie Niklas besaß alles, was schön und teuer war. Und doch hatte er einen Mord mit angesehen und würde durch die latenten Drohungen vielleicht in den nächsten Albtraum schlittern. Ihm wurde klar, dass er ihn nicht beneidete.

„Ich muss wissen, ob du eine Putzfrau hast, ob du irgendwelche Lieferanten in den nächsten Tagen erwartest oder ob du Handwerker bestellt hast“, fragte er ihn zurück im Raum.

„Die Putzfrau kommt montags und freitags, jeweils vormittags. Keine Lieferungen, keine Handwerker.“

„Freundin?“

„So einige, aber keine feste.“Niklas grinste. Mit dem Rucksack in der Hand schien er zum Aufbruch bereit.

„Freunde, die dich besuchen?“

Nun gab es für ihn anscheinend nichts Wichtigeres, als im Rucksack nach etwas Unbestimmtem zu kramen.„Nein. Ich gehe meistens mit irgendwelchen Kumpeln aus.“

Wie konnte ein Kerl wie Niklas auch Freunde haben.

Ruben stellte vor dem Unigebäude mit dem Lehrstuhl für Psychologie den Wagen ab und ging mit Niklas Richtung Lobby. Die Zweige der Birken wiegten sich im auffrischenden Wind, und er bemerkte, wie Niklas den Kopf genüsslich der milden Luft entgegenstreckte.

„Ich gehe nach oben, du kannst freimachen“, sagte er im Gebäude.

„Nein, ich muss schon wissen, wo ich dich notfalls finden kann.“

Mit kaum verborgenem Missmut stampfte Niklas voran in den ersten Stock, wo er einen Lehrsaal betrat.

Für einen Moment verspürte er einen gewissen Neid auf seinen Kunden, der sich in diesem nach Gelehrsamkeit und Staub riechenden Saal weiterbilden durfte. Er hatte nur eine Lehre zum Speditionskaufmann hinter sich gebracht. Wieder eine Sache, die ihm aufgrund von Stress und Hektik später keinen Spaß mehr gemacht hatte. In den gestaffelten Bankreihen war noch nicht viel Betrieb, die lässig gekleideten Kommilitonen nahmen nach und nach Platz und plauderten miteinander. Niklas wirkte etwas verloren, als er sich in einen der Holzsitze zwängte. Kaum jemand beachtete ihn, die anderen schienen ihn sogar zu meiden. Was bei diesem Egoisten kein Wunder war. Und doch wirkte Niklas, der gerade wie ein braver Schuljunge seine Mappe auspackte, so verletzlich, dass es ihm wider Erwarten einen Stich versetzte.

„Wann bist du hier fertig?“

„In vier Stunden. Ich gehe noch in die Bibliothek und so.“

„Alles klar. Hier scheint alles in Ordnung zu sein. Ich hole dich dann um eins unten in der Halle ab.“

Er versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln, undals Niklas’ Gesicht sich etwas aufhellte, war er angenehm berührt. Er nickte ihm zu und verließ den Saal.

*

Bereits nach einer halben Stunde war die Luft im Hörsaal trotz geöffneter Oberlichter stickig. Das kurzärmlige Hemd klebte dem Dozenten am Körper, und Niklas versuchte vergeblich, dem leiernden Vortrag zu folgen. Rechtspsychologie konnte so trocken sein, und selbst in Bezug auf seinen privaten Mordfall interessierte es ihn nicht die Bohne, wie ein Mensch ticken musste, um einen anderen zu töten. Er wollte nicht mehr an jene Nacht denken und er fieberte danach, sich wieder eine Linie ziehen zu können, um das Chaos, das seine bloße Anwesenheit in jener Gasse hervorgerufen hatte, zu vergessen. Beim Frühstück hatte er sich zurückgehalten, doch jetzt zog es ihn auf die Toilette.

Da er wie immer einen Randplatz gewählt hatte, war es ihm ein Leichtes, in einem Augenblick der Diskussion aufzustehen und durch die Tür hinter ihm zu verschwinden. Im Flur schlug ihm kühlere Luft entgegen und sogleich fühlte er sich besser. Er grinste und holte ein Tüt