Books & Coffee - Das Beste liegt immer vor uns - Ella Lindberg - E-Book

Books & Coffee - Das Beste liegt immer vor uns E-Book

Ella Lindberg

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Was braucht man zum Glücklichsein?Freundinnen, Bücherliebe und ein Café, in dem sich die Welt ein wenig langsamer dreht ... Eine zauberhafter und warmherziger Wohlfühlroman um Liebe und Neuanfänge, Zusammenhalt und den Mut, für sein Glück alles zu riskieren Seit Jahrzehnten ist das Café Zuckerzeit im romantischen Burgviertel von Nürnberg eine Institution, der die Inhaberin Marianne mit ihren sündhaft leckeren Kuchen und ihrer warmherzigen Art ihren besonderen Zauber verlieh. Doch nun ist Marianne verstorben, und für Lucy ist der Gedanke unerträglich, dass ihr Freund Sascha als Berater des Witwers das Traditionscafé an einen Immobilienhai verhökern will. Von einem Tag auf den anderen stürzt Lucy ihr ganzes Leben um und kauft das Zuckerzeit – ohne jedoch die geringste Ahnung vom Backen oder von Betriebswirtschaft zu haben. Wie gut, dass Kellnerin Clara genau zur rechten Zeit vor ihrer Tür auftaucht und bald alte und neue Stammkunden dem Café wieder Leben einhauchen. Doch was hat es mit dem charismatischen Ben auf sich, der einfach Bücher aus dem Bücherregal entwendet? Noch dazu will Sascha die Trennung nicht akzeptieren und hetzt Lucy ihre willensstarke Mutter auf den Hals. Bald sind Abrechnungen und morgendliche Backmarathons Lucys geringstes Problem ... Ein humorvoller Liebesroman für alle, die Bücher und Kuchen lieben!Der Auftakt von Ella Lindbergs neuer Feelgood-Reihe wird die Leser*innen von Julie Caplin, Katharina Herzog und Manuela Inusa begeistern. Weitere Romane zum Wohlfühlen und Verlieben von Ella Lindberg: - Das Leben braucht mehr Schokoguss - Du bringst mein Chaos durcheinander

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 316

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ella Lindberg

Books & Coffee - Das Beste liegt immer vor uns

Roman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Books & Coffee

Was braucht man mehr zum Glück?

Plötzlich Cafébesitzerin – nie hätte Lucy sich das träumen lassen. Und doch hat sie ihren sicheren Job in den Wind geschossen (und ihren langjährigen Freund gleich dazu), um das bezaubernde kleine Café Zuckerzeit zu retten. Hilfreich wäre natürlich, wenn Lucy backen oder professionell Kaffee zubereiten könnte ... Wie gut, dass Kellnerin Clara zur rechten Zeit vor ihrer Tür auftaucht und bald alte und neue Stammkunden dem Café wieder Leben einhauchen. Doch was hat es mit dem charismatischen Ben auf sich, der Bücher aus dem Bücherregal entwendet? Nur eine von vielen neuen Herausforderungen ...

Ein warmherziger Feelgood-Roman über Liebe und Freundschaft, Neuanfänge und ein Café, in dem sich die Welt ein bisschen langsamer dreht.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Danksagung

Für Emma,

die Bücher liebt und Kaffee hasst.

Nasch na chiebiem, ru ru,

Nasch na Luna!

<3 Deine Fliedermaus

Kapitel 1

Als sie unten auf der Straße das kleine blassblaue Auto entdeckte, fühlte Lucy sich für einen Moment in eine andere Zeit versetzt. Von ihrem Büro in der Nürnberger Nordstadt mit den blitzblanken bodentiefen Fenstern konnte sie den niedlichen Käfer im 50er-Jahre-Stil bei seinen Einparkversuchen beobachten. Auf der Kühlerhaube prangte ein Logo, ebenfalls in verblassten Farben.

Café Zuckerzeit – die Schrift zog sich ordentlich um die schematische Darstellung eines Kuchens mit Kirschen und Sahne darauf. Endlich hatte der Fahrer die Parklücke erobert, danach dauerte es noch einen Moment, bis sich die Autotür öffnete. Heraus schob sich ein Hut, gefolgt von einem Männlein in einem altmodischen Anzug, wodurch die Szene noch mehr wie aus einem Film aus den guten alten Zeiten wirkte. Der Gedanke versetzte Lucy einen Stich, dabei gab es dafür keinen Grund. Herr Gruber war freiwillig hier, um das Geschäft abzuwickeln. Er hatte sich so entschieden, niemand drängte ihn dazu. Doch wieso fühlte es sich dann nach dem Gegenteil an?

Lucy warf einen Blick über die Schulter und sah Sascha hinter der Glaswand an seinem Schreibtisch sitzen. Er telefonierte, zurückgelehnt im Chefsessel, wie es seine Art war. Die Uhren über ihm an der Wand zeigten die aktuelle Zeit in Berlin, Tokio und New York. Lucy wusste nicht, warum ihr Blick immer an diesen verdammten Uhren hängen blieb.

Konzentration! Sie schaute wieder auf die Straße hinunter. Herr Gruber war verschwunden. Er musste das Gebäude inzwischen betreten haben, und in Lucy stieg der Gedanke an Flucht hoch. Dabei war das lächerlich. Dies war nicht ihre erste Abwicklung eines solchen Geschäfts und ganz sicher nicht die letzte. Sie konnte das! Sascha hätte sich bestimmt keine Gedanken gemacht und es einfach durchgezogen. Lucy strich ihren Hosenanzug glatt. Nein, sie würde nicht zu ihm gehen und ihn um Rat bitten. Seine Blicke und seinen ungeduldigen Kommentar konnte sie jetzt wirklich nicht gebrauchen, sie würde das alleine schaffen.

Der dezente Signalton des Aufzugs ertönte, und die Türen öffneten sich lautlos. Herr Gruber stand dort, als hätte man einen Märchenonkel auf ein Raumschiff gebeamt. Er sah sich vorsichtig um, aber als er Lucys Blick auffing, glitt ein Strahlen über sein Gesicht, und er stakste aus dem Lift heraus. Tatsächlich nutzte er dabei einen altmodischen Spazierstock.

»Frau Asbeck?« Er streckte ihr die Hand entgegen, und Lucy spürte, wie sich ihre Wangen leicht erhitzten, weil sie einen Moment zu lange den Spazierstock angestarrt hatte. Wie unhöflich. Sie ergriff seine Hand, die sich warm und trocken anfühlte. Sein Händedruck ließ die Kraft erahnen, die er früher einmal gehabt und die das Leben ihm Stück für Stück genommen haben musste.

»Herr Gruber, herzlich willkommen bei Schröder Consulting. Bitte, setzen Sie sich doch.« Lucy wies zu der Sitzgruppe mit den grau bezogenen Sesseln und dem schweren Glastisch. Sascha war der Meinung gewesen, dass man mit Herrn Gruber nicht extra in ein Büro gehen müsse, denn der alte Mann würde unterschreiben und fertig. Keine große Sache.

»Sehr nett von Ihnen.« Herr Gruber ging langsam zu einem der Sessel und nahm etwas umständlich Platz.

»Möchten Sie einen Kaffee?«

»Sehr gern. Schwarz mit Zucker, bitte.« Er lächelte sie wieder an, diesmal schien ein Hauch von Trauer in seinem Lächeln mitzuschwingen. Lucy wandte sich schnell ab, fast schon dankbar für den Grund, kurz in der Firmenküche zu verschwinden. Sie stellte eine Tasse unter den Automaten und drückte die entsprechenden Knöpfe. Der aromatische Duft des Kaffees stieg ihr sofort in die Nase, und sie beruhigte sich ein wenig. Schon immer hatte sie den Duft von Kaffee mit bestimmten Dingen verbunden, die ihrer Seele guttaten. Sie sah zu, wie die schwarze Flüssigkeit dampfend in den Becher lief. Ja, vielleicht lag es daran, dass sie sich seltsam melancholisch fühlte: weil es ein Traditionscafé war, das sie dem alten Mann wegnehmen würden.

Halt, stopp! Lucy schnappte nach Luft und wollte sich durch die Haare fahren, wobei sie fast ihre tadellose Hochsteckfrisur ruiniert hätte. Das war Unsinn, und so etwas zu denken außerdem unprofessionell. Sie nahmen Herrn Gruber nichts weg, gar nichts. Er wollte sein Café an Schröder Consulting abgeben. Und Lucys Aufgabe war lediglich, alles Nötige dafür in die Wege zu leiten. Kein Grund, sich irgendwie schlecht zu fühlen. Sie tat das Richtige. Sie tat ihren Job.

Lucy stellte die Tasse zusammen mit einem Zuckerspender auf ein kleines Tablett und legte noch einen Keks mit Firmenlogo dazu. Dann balancierte sie ihre Fracht zurück in den Wartebereich, wo Herr Gruber saß, eine Hand auf den Spazierstock gestützt. In der sterilen Umgebung wirkte er absolut deplatziert. Lucy stellte das Tablett vor ihm ab und ließ sich dann auf dem Sessel schräg gegenüber von ihm nieder.

»Trinken Sie denn gar nichts?«, fragte Herr Gruber und gab zwei Löffel Zucker in seine Tasse. Lucys Blick fiel auf seinen Hut, den er auf den Sessel neben sich gelegt hatte.

»Nein, gerade nicht«, sagte sie und lächelte ihm freundlich zu.

»Wissen Sie, Kaffee erinnert mich immer an meine Marianne. Sie hatte einen besonderen Zimtpfeffer. Ihr Geheimrezept. Davon kam eine winzige Spur in den Kaffee. So wenig, dass die Leute nicht hätten sagen können, warum ihr Kaffee etwas besonderer und aromatischer war als jeder andere. Es war die reinste Magie.« Er lächelte und rührte in seiner Tasse. Dann nahm er einen Schluck, und Lucy schämte sich für einen Augenblick, dass sie ihm diesen gewöhnlichen Automatenkaffee servierte, aber was hätte sie tun sollen? Außerdem ging es nicht darum. Sie musste sich endlich zusammenreißen. Ihr Blick glitt zu Sascha: Er telefonierte nicht mehr, sondern tippte etwas auf seinem Laptop.

»Herr Gruber, wir sind froh, dass Sie sich für unsere Firma entschieden haben. Die Unterlagen habe ich alle vorbereitet, Sie müssen nur noch unterschreiben. Wenn Sie Fragen haben, zögern Sie nicht, diese zu stellen.« Sie lächelte erneut, aber es fühlte sich falsch an. Herr Gruber schaute nachdenklich in seine Tasse.

»Meiner Marianne war es sehr wichtig, dass das Café weiterbesteht. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Sie haben gesagt, dass Sie es in ihrem Sinne weiterführen können.«

»Richtig …« Lucys Blick wanderte wieder zu Sascha.

»Frau Asbeck?«

»Wie? Oh, entschuldigen Sie. Ja.« Meine Güte, sie schaffte es wirklich noch, diesen lächerlich einfachen Termin in den Sand zu setzen.

»Es ging darum, dass Sie das Café erhalten, dass es fortbesteht, und Sie das Konzept übernehmen. Das tun Sie doch, oder?« Sein Blick ruhte auf ihr. Um seine Augen herum lagen Tausende Fältchen und jedes davon hatte vermutlich seine eigene Geschichte. Was er wohl sah, wenn er sie anblickte? Hätte sie sich selbst vertraut, wenn sie an seiner Stelle gewesen wäre? Da war sich Lucy nicht sicher.

»Wir bemühen uns, alles in Ihrem Sinne zu verwalten«, entgegnete sie. »Natürlich kann es sein, dass man ein paar Kleinigkeiten ändern muss.«

»In der Backstube ist alles noch tadellos«, sagte Herr Gruber. »Der Ofen funktioniert, und die Backformen von meiner Marianne, so etwas gibt es heute gar nicht mehr. Sie hat auch viel Kupfergeschirr, das sorgt für einen besonderen Geschmack. Das unterschätzt man leicht.«

»Das glaube ich Ihnen. Wenn Sie einverstanden sind, können wir jetzt die Verträge durchgehen.« Herr Gruber warf einen Blick auf den Tisch, und Lucy wurde ein bisschen schwindelig. Wo war sie nur mit ihren Gedanken? »Ich hole eben die Unterlagen und bin gleich wieder da. Entschuldigen Sie mich.« Sie nickte ihm zu, stand auf und ging schnell in ihr Büro, das deutlich kleiner war als Saschas Glaspalast. Wurde Zeit, dass sich das änderte. Sehr wahrscheinlich war das allerdings nicht, wenn sie daran dachte, dass sie bereits wochenlang mit Sascha hatte diskutieren müssen, bevor sie überhaupt eigene Arbeitsräume bekommen hatte. Am liebsten hätte er sie wohl weiterhin nur am Empfang gesehen, aber sie hatte sich geweigert, die Buchhaltung an einem Empfangstresen zu machen. Jetzt schusterte er ihr zwar eigene Aufträge zu, aber ausschließlich irgendwelche Kleingewerbe, während alle interessanten Klienten nur Saschas Namen kannten und auch stets ihn am Telefon verlangten. Lucy schnappte sich die Mappe mit den Verträgen für die Übernahme und verließ ihr Büro. Im Augenwinkel sah sie Sascha noch immer vor seinem Laptop sitzen. Seine Hand wanderte wie von selbst zu der Kaffeetasse, er stürzte den Rest des Getränks hinunter und stellte die Tasse wieder beiseite, ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen. Lucy zögerte. Sie schaute zu Herrn Gruber und wieder zu Sascha. Die Mappe mit den Verträgen erschien ihr auf einmal schwer, dabei waren es doch nur wenige Blätter Papier. Hatte sie die falsche Mappe gegriffen? Sie warf einen Blick darauf. Gruber – Café Zuckerzeit.

Sie sah hoch, und ihr Blick traf den von Herrn Gruber, der ein Winken in ihre Richtung andeutete und lächelte. Sie erwiderte die Geste und fühlte, wie sich ihre andere Hand um den Kunststoff der Mappe krallte, deren Inhalt die Zukunft des kleinen Cafés für immer besiegeln würde. Begraben traf es wohl eher.

Bevor sie darüber nachdenken konnte, war sie zu Saschas Büro gegangen und stieß die Tür auf.

»Hey, nicht die Einrichtung demolieren, Schatz.« Sascha sah von seinem Laptop hoch. »Ist was?«

»Wir müssen reden«, sagte Lucy und schloss die Tür hinter sich.

»Oha. Bei was hast du mich erwischt? Ich muss wohl in Zukunft vorsichtiger sein.« Sascha grinste und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

»Haha. Es geht um das Gruber-Café. Das geht so nicht. Herr Gruber sitzt da draußen und hat ganz bestimmte Vorstellungen von diesem Projekt.«

»Was für ein Zufall, die habe ich auch.« Sascha beugte sich wieder über seine Tastatur, fasste nach der PC-Maus und klickte auf seinem Bildschirm herum.

»Er will, dass wir die Tradition erhalten, dass das Café so weitergeführt wird wie früher. Und irgendjemand hat ihm das wohl zugesagt.« Lucy musterte Sascha genau.

»Gruber hätte sonst nicht zugestimmt.« Sascha tippte etwas, griff wieder nach der Maus und gleich darauf nach seiner Kaffeetasse. Anscheinend hatte er vergessen, dass sie leer war, also stellte er sie wieder hin. Auf seinem Gesicht bildeten sich gewisse Linien, die Lucy nur allzu gut kannte. Das bedeutete, dass er langsam ungeduldig wurde. »Was zur Hölle will er denn jetzt?«

»Dass wir das Versprechen halten.«

»Tue ich ja. Da kommt ein Starbucks rein. Gibt schon eine Anfrage dafür.«

»Würdest du mich ansehen, wenn ich mit dir rede?« Lucy trat näher, die Mappe an ihre Brust gepresst, die Arme darüber verschränkt.

»Lucy, was willst du? Lass ihn das unterschreiben, und dann ist gut. Wie soll das denn hier weitergehen, wenn du nicht mal mit einem alten Mann und seiner komischen Eisdiele fertigwirst!«

»Es ist ein Café, und es gehörte seiner verstorbenen Frau.«

»Was auch immer. Ich hab die Grundrisse hier. Man könnte auch einen Co-Working-Space daraus machen. Kaffeebuden gibt es eh schon genug in der Stadt.« Er sah hoch. »Ist sonst noch was?«

»Das heißt, du gehst nicht hinaus, du redest nicht mit ihm, sondern überlässt mir das Lügen?« Lucy warf einen schnellen Blick durch die Scheibe in den Wartebereich. Herr Gruber nippte an seinem Kaffee. Lange konnte sie ihn nicht mehr warten lassen.

»Was heißt denn lügen?«

Lucy hatte damit gerechnet, dass Sascha auffuhr, aber anscheinend kratzte ihn ihre Wortwahl nicht besonders. Er änderte nicht mal seine Sitzhaltung, geschweige denn, dass er mal kurz mit seinem Getippe aufhörte.

»Du hast ihm etwas versprochen und jetzt schickst du mich los, um dieses Versprechen zu brechen. Er würde den Vertrag niemals unterschreiben, wenn er wüsste, was wir vorhaben.«

»Sorry, aber wie naiv kann man sein? Man geht zu einer Firma wie unserer und glaubt, dass wir uns hinstellen und gedeckten Apfelkuchen backen? Hat er gedacht, ich binde mir eine Schürze um, und los geht’s? Der Mann muss mal in diesem Jahrhundert ankommen. Außerdem, schau ihn dir an. Der sieht doch ziemlich final aus. Wahrscheinlich gibt der schon bald den Löffel ab, dann kann es ihm sowieso egal sein.«

Lucy stand da, ihr Mund öffnete sich einmal und schloss sich dann wieder. Hatte er das wirklich gerade gesagt, hatte sie es tatsächlich gehört? Sprachlos starrte sie ihren Freund an. Seine Worte klangen in ihrem Kopf nach, und wie aus dem Nichts kam ihr eine Szene in den Sinn, ein Moment, der schon Jahre zurücklag. Sie waren an einem heißen Tag im Stadtpark gewesen und hatten sich nach einer Erfrischung gesehnt, aber weder das kleine Park-Café noch der Kiosk waren geöffnet gewesen. Trotzdem hatte Sascha innegehalten, als ihm ein Eichhörnchen nachgelaufen war. Dass diese Tiere um Wasser bettelten, hatte Lucy auf verschiedenen Videos im Netz gesehen. Sie hatte Sascha darauf aufmerksam gemacht, und er hatte die Wasserflasche mit einem letzten Schluck Wasser darin hervorgeholt und sie dem Tier hingehalten, das tatsächlich daraus trank. Unfassbar niedlich hatte das ausgesehen. Sie sah Sascha noch vor sich, das eine Knie angewinkelt, das andere auf die Erde gestützt, das kleine Tier vor ihm, das sich mit beiden Händchen an der Flasche festhielt. Er hatte zu ihr hochgeschaut und gelacht. Danach waren sie gefühlt ewig durch die Hitze gelaufen, bis sie endlich außerhalb des Parks einen Kiosk fanden und Sascha dort zwei gekühlte Apfelschorlen erstand. Noch nie hatte sie ein Getränk so genossen wie die säuerliche, frisch prickelnde Schorle in ihrer brennenden Kehle. Dieses Erlebnis hatte wesentlich dazu beigetragen, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Ein Mann, der sah, wenn jemand etwas brauchte. Jemand mit Mitgefühl. Hatte sie zumindest gedacht.

Sie hörte ein Räuspern und blickte in ein genervtes Gesicht. »Also gut«, sagte Sascha und stand abrupt auf. »Da du das hier anscheinend nicht hinkriegst, übernehme ich. Aber glaub bloß nicht, dass ich dich so bald wieder an einen Kunden lasse. So eine Blamage können wir uns kein zweites Mal leisten. Na los, gib mir die Verträge.«

»Nein.« Lucy hielt die Mappe weiterhin fest. »Ich kümmere mich selbst um Herrn Gruber.«

»Hervorragend. Ich frage mich nur: Wann?« Sascha hob die Brauen in einer Art, die Lucy einfach nur hasste.

»Genau jetzt«, entgegnete sie, drehte sich auf dem Absatz um und verließ mit zügigen Schritten das Büro. Nicht so langsam, dass er denken konnte, sie kleingekriegt zu haben, und nicht so schnell, dass es nach einer Flucht aussah.

Herr Gruber sah ihr entgegen, und Lucy kämpfte gegen das ungute Gefühl in ihrer Brust.

»Gibt es ein Problem?«, erkundigte er sich.

»Ehrlich gesagt: Ja.« Lucy presste die Lippen zusammen, entspannte sie aber sofort wieder. Fehlte noch, dass sie zu dem ganzen Ärger noch wie ein Mädchen vor dem Kunden stand, das nicht wusste, was zu tun war. Sie warf einen Blick zu Sascha, der sie tatsächlich durch die Scheibe beobachtete und eine auffordernde Geste in ihre Richtung machte.

Lucy holte tief Luft. »Herr Gruber, es tut mir leid, aber wir müssen den Termin verschieben. Mit den Verträgen stimmt etwas nicht, das hat sich gerade herausgestellt. Ich kann Sie das so nicht unterschreiben lassen.«

»Oh. Was ist denn damit, können Sie das nicht schnell ändern? Ich warte so lange.« Herr Gruber stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock.

Lucy trat etwas näher und sah dem alten Mann in seine hellblauen Augen. Ja, dort erkannte sie einen Willen, der nach all den Jahren noch ungebrochen war.

»Herr Gruber … Sie haben gesagt, dass Sie mir vertrauen, richtig?«

»So ist es. Ich habe ein gutes Gefühl, das Café in Ihren Händen zu wissen.«

Diese Worte berührten Lucy auf eine seltsame Art, aber sie fing sich schnell wieder. Es blieb nicht viel Zeit, bis Sascha aus dem Büro kommen und alles ruinieren würde. »Gut. Wenn Sie mir wirklich vertrauen, dann gehen Sie jetzt nach Hause. Ich rufe Sie an, wenn ich das Problem gelöst habe. Bitte.«

»In Ordnung«, antwortete er langsam. »Wenn Sie das sagen, wird es einen Grund haben.«

Herr Gruber erhob sich und nahm seinen Hut. Lucy stand ebenfalls auf, denn sie spürte ein warnendes Kribbeln, das sich im nächsten Moment als gerechtfertigt herausstellte.

»Mein lieber Herr Gruber!« Sascha breitete kurz die Arme aus, als er auf den alten Mann zuging, und Lucy hätte vor Wut schreien können.

»Ich hoffe, es ist alles zu Ihrer Zufriedenheit abgewickelt, sonst kommen Sie doch bitte mit in mein Büro und wir bringen die Formalitäten in nur zwei Minuten hinter uns. Wir beanspruchen Ihre Zeit keine Sekunde länger als nötig.«

»Ich danke Ihnen.« Herr Gruber setzte den Hut auf. »Für den Moment ist alles erledigt. Ich melde mich beizeiten.« Er nickte Sascha zu und stakste dann mit seinem Stock Richtung Aufzug. Er drückte den Knopf, und die Tür der Kabine glitt auf. Nur Sekunden später war Herr Gruber verschwunden, und die Anzeige auf dem Lift zählte abwärts.

»Was ist hier los? Hat er unterschrieben?« Sascha trat in Lucys Blickfeld, der bewusst wurde, dass sie die Zahlen des Lifts immer noch anstarrte. Herr Gruber hatte soeben das Erdgeschoss erreicht, und ihr Kopfkino zeigte ihr eine Szene, in der Sascha mit fliegendem Jackett die Treppen hinabraste, um ihn einzuholen.

»Hallo?« Sascha wedelte mit der Hand vor Lucys Gesicht herum. »Hat er seinen verdammten Otto daruntergesetzt?«

»Noch nicht.« Sie sagte es gedankenverloren, und dabei fühlte sie nicht einmal Ärger. Irgendetwas war passiert. Sie wusste nur noch nicht, was. Vielleicht war es Magie.

Kapitel 2

Das Abendessen in der Frankenstube sagte sie ab. Dort hatten sie auf die Übernahme des Cafés anstoßen wollen. Sascha kommentierte es nicht, weil er seit der Sache mit Herrn Gruber gar nichts mehr sagte. Lucy hatte früher Feierabend gemacht und die Straßenbahn genommen. Neben ihm im Auto zu sitzen, brachte sie gerade nicht über sich. Sie wollte nichts hören. Keine Predigt, keine Vorhaltungen, kein besserwisserisches Jammern, dass er ihr zu viel zugetraut habe und gleich gewusst hätte, dass sie am Empfang am besten aufgehoben war.

Lucy sah aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Häuser. Die vielen kleinen Geschäfte mit den Auslagen im Schaufenster oder auf der Straße. Viele Schicksale, viele Geschichten – und nicht alle waren Erfolgsgeschichten. Wie würde Herrn Grubers Geschichte am Ende klingen, fragte sie sich. Und ihre eigene?

Dann ruckelte die Straßenbahn, und plötzlich sah sie nur noch ihr eigenes Spiegelbild in der Scheibe. Eine mittelgroße junge Frau mit kinnlangen braunen Haaren, einem durchschnittlich hübschen Gesicht, gewöhnlichen Erfahrungen und Fähigkeiten und, gemessen daran, übergroßen Träumen.

»Nächste Station: Friedrich-Ebert-Platz!«, verkündete die Stimme aus dem Lautsprecher. Die Bahn hielt, und die Türen öffneten sich mit einem Zischen. Menschen stiegen ein und aus. Lucy beobachtete einen Gemüsehändler mit roter Schürze, der mit großen Gesten leuchtende Tomaten in eine Tüte füllte und sie der Kundin mit einem aufrichtigen Lachen reichte. Eigentlich war es noch zu früh im Jahr für Tomaten. Die Bahn fuhr wieder an, und Lucy schaute auf das Leuchtschild. Tiergärtner Tor, dann Haller Tor. Sie tastete nach ihrem Handy. Sie konnte sich irren, aber …

Eilig rief sie Maps auf und gab die Adresse des Cafés Zuckerzeit ein. Es befand sich nur zwei Straßen hinter dem Tiergärtner Tor. Sie sah wieder aus dem Fenster. Eine Unruhe hatte von ihr Besitz ergriffen, die sie sich nicht erklären konnte. Das drängende Gefühl, etwas tun zu müssen.

»Nächste Station: Tiergärtner Tor!«

Lucy erhob sich.

Kurz darauf fand sie sich auf dem breiten Holzsteg über dem Burggraben wieder und konnte sich kaum erinnern, wie sie dorthin gekommen war. Als Kind war sie oft mit ihren Eltern und ihrem Bruder hinübergegangen und hatte beim Blick in die Tiefe geschwindelt. Wie immer fühlte sich der erste Schritt in den steinernen Tunnel der Burgmauer wie die Rettung aus großer Gefahr an, obwohl die viereckigen Aushöhlungen in der Decke daran erinnerten, dass Eindringlinge hier früher mit heißem Pech übergossen worden waren. Die Burg wusste sich zu schützen, schon seit tausend Jahren. Wie von selbst trugen ihre Füße sie vorwärts, führten sie durch das steinerne Gemäuer bis zum sonnendurchfluteten Dürerplatz und dann in eine kleine Seitenstraße zum Café Zuckerzeit. Sie brauchte nicht einmal mehr auf ihr Smartphone zu schauen.

Die Frühblüher in den Kübeln und Kästen leuchteten ihr entgegen, ansonsten herrschte Dunkelheit hinter den Scheiben. Die Markisen hatte man eingerollt, die Tische und Stühle des Außenbereichs entfernt. Lucy trat näher, schirmte die Augen ab und schaute durch die mit Glasscheiben versehene Tür ins Innere.

Was sie erkennen konnte, versetzte ihr einen Stich. Eine Sache stand fest: In diesem Café war die Zeit stehen geblieben, die Hektik des modernen Alltags hatte die Schwelle zu dieser kleinen Welt nie überquert. Runde weiße Cafétische mit passenden Stühlen, niedlichen Tischdeckchen, eine altmodische Kuchentheke, eine Sitzecke mit Polstermöbeln und einem gut gefüllten Bücherregal, darüber ein antiker Kronleuchter. Herr Gruber hätte sein Café ohne Weiteres als Filmkulisse vermieten können. Das gesamte Interieur strahlte eine authentische Atmosphäre aus, wie sie kein Szenenbildner besser hätte erschaffen können. Es war ein perfekt erhaltenes Kleinod, das die Grenzen zwischen Realität und Filmset verschwimmen ließ. Lucy trat einen Schritt zurück.

»Geschlossen« stand handschriftlich auf einem Blatt Papier, das jemand von innen an der Tür angebracht hatte. Die Hand hatte beim Schreiben gezittert.

Eine Weile stand sie so da und ließ die ganze Szenerie auf sich wirken. Ein süßlicher Duft schien in der Luft zu hängen. Lucy vermochte nicht zu sagen, ob er von den Blumen ausging oder ob da nicht doch ein Hauch von Zimt dabei war, der irgendwie aus der Backstube entkommen war. Vielleicht stand ja ein Fenster irgendwo offen?

Ein sanftes Summen drang an ihre Ohren, und Lucy blinzelte. Erste Bienen kreisten um ein Beet, in dem kunterbunte Krokusse, Narzissen und erste Tulpen wuchsen.

»Nektar-Café« stand auf einem kleinen Holzschild an dem Beet. Lucy musste lächeln. Sie tastete nach ihrem Smartphone, um ein Bild von den Blumen und ihren Besuchern zu schießen. Das würde glatt als Postkarte durchgehen. Okay, das ganze Café würde als Postkarte durchgehen.

Sie machte auch ein Foto von dem kleinen Laden und betrachtete es. Hübsch. Anrührend. Aber die dunklen Fenster störten und dass keine Stühle draußen standen. Dass die Tür geschlossen war. Und leider würde sie sich wohl nie mehr öffnen, denn bald schon würden Männer kommen und den Laden ausräumen, die Möbel in einen Container werfen, wo sie zerschellten. Die Tische, die Deko, die Backformen, die Bücher, alles würde verschwinden. Das Nektar-Café. Bei dem Gedanken schlug Lucys Herz schneller. Wenn es ihr schon so erging, was würde wohl erst mit dem alten Herzen von Herrn Gruber geschehen? Leider ahnte sie die Antwort. Ohne weiter nachzudenken, wählte sie Herrn Grubers Nummer. Fast sofort nahm er ab.

»Frau Asbeck.« Er sagte es ohne einen bestimmten Tonfall. Sie konnte nicht erraten, was er dachte.

»Ja.« Sie versuchte, sich zu sammeln. »Herr Gruber, ich stehe hier vor Ihrem Café.«

»Und was tun Sie vor dem Café, Frau Asbeck?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erwiderte sie.

»Das glaube ich Ihnen nicht.«

»Bitte?«

»Sie rufen nicht an, weil Sie keine Ahnung haben. Was ist los?«

»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Herr Gruber.« Lucy sah zu dem »Geschlossen«-Schild an der Tür. »Nur eins weiß ich: Sie sollten den Vertrag mit uns nicht unterschreiben. Ich würde Sie gern treffen und mit Ihnen reden. Können Sie morgen zum Zuckerzeit kommen?«

»Das kann ich, Frau Asbeck. Wann passt es Ihnen denn?«

Lucy überlegte kurz. »Wann immer Sie wollen. Ich nehme mir morgen frei.«

Herr Gruber schwieg einen Moment. »Dann um elf?«

»Ja, um elf. Ich werde hier sein.«

Kapitel 3

Findest du das nicht ein bisschen albern?«, rief Sascha aus der Küche. »Jetzt stehe ich hier und quetsche Toast in den Sandwichmaker. Es gab keinen Grund, das Essen abzusagen. Wir hätten das doch auch im Restaurant besprechen können.«

»Hätten wir nicht«, sagte Lucy, aber eher zu sich selbst, während sie aus dem Fenster sah. Im Wohnzimmer brannten nur zwei der kleinen Wandlampen, mehr Licht konnte sie gerade nicht ertragen.

»Was? Sprich lauter! Ich verstehe dich nicht!«

Der Geruch von geschmolzenem Käse breitete sich im Raum aus.

»Nein«, antwortete Lucy und nippte an ihrem Wein.

Sascha erschien in der Tür, einen Topflappen in der Hand.

»Lucy, verdammt noch mal. Was ist nur mit dir los? Wenn dich der Job überfordert, dann sag es mir. Du wolltest das, du hast mich gedrängt, dir mehr Verantwortung zu geben. Jetzt hast du sie, und das ist dir auch nicht recht. Du wirst sentimental, und was weiß ich — hast du deine Tage oder so? Was es auch ist, es hört hoffentlich schnell wieder auf. Hast du noch mal mit Gruber geredet?«

Lucy spürte ein Brodeln in sich aufsteigen.

»Habe ich.«

»Dann kommt er morgen wieder und du tütest das Ding ein?«

»Nein.«

»Was, nein?«

»Er kommt nicht wieder. Und ich nehme mir morgen den Tag frei.«

»Wie bitte?«

Sie drehte sich zu ihm um. »Ich nehme mir frei. Hab was zu erledigen.«

»Allerdings. Du hast einen Abschluss zu machen. Mit Gruber.«

Sie sagte nichts.

»Lucy! Du bringst das mit Gruber morgen in trockene Tücher, verstanden?«

»Ich bin morgen nicht in der Firma. Wie ich schon erwähnte. Ich treffe mich mit Herrn Gruber und dann gebe ich dir Bescheid.«

»Nein, so geht das nicht. So können wir nicht arbeiten. Ich möchte diese Karte nicht ziehen, aber ich bin immer noch dein Vorgesetzter. Und wenn ich sage, du machst diesen Vertrag, dann machst du ihn. Ansonsten erledige ich das. Verdammt …« Er verschwand in der Küche. Der Geruch von verbranntem Fett und angekokeltem Brot waberte zu Lucy herüber. Normalerweise wäre sie jetzt in die Küche gelaufen, um ihm zu helfen, aber sie blieb, wo sie war, und sah einfach wieder hinaus auf die nächtliche Straße. So viele Menschen dort draußen. So viele Geschäfte. So viele Leben.

All diese Schicksale, von denen man nie etwas erfuhr. Überall ereigneten sich wichtige Momente, und man erfuhr nichts über sie. So verschwanden Dinge von der Bildoberfläche, Erinnerungen wurden ausgelöscht. Traditionen gingen verloren.

»Ich gehe jetzt essen. Mir reicht’s für heute.« Sascha stand plötzlich wieder in der Tür und hielt eine Mülltüte in der Hand.

»Tu das«, antwortete Lucy.

Er stand immer noch da und sah sie an. »Du kommst also nicht mit.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

»Ich bin gerade nicht im Dienst, und da kann ich hoffentlich machen, was ich will.«

»Mein Gott …« Sascha warf die Hände hoch, wobei ihm die Mülltüte fast entglitt. »Da sagt man einmal was, und du nimmst es gleich persönlich. Das musst du wirklich noch lernen, Lucy, Geschäft und Gefühle zu trennen. Sonst kriegst du nie was auf die Reihe. Ich bin jetzt auf jeden Fall weg.« Er verschwand aus ihrem Blickfeld, und kurz darauf fiel die Tür ins Schloss.

Lucy blieb noch einen Moment sitzen, dann öffnete sie ein Fenster, um den Geruch des verbrannten Sandwiches hinauszulassen, das Sascha wahrscheinlich gerade unten in der Mülltonne versenkte. Sie stellte sich vor, wie er den Deckel wütend zuknallte und dann zu seinem Auto stapfte, einstieg und zu viel Gas gab. Das tat er immer, wenn er sich ärgerte, und es hatte sie schon immer gestört. Ein- oder zweimal hatte sie ihn darauf angesprochen, dass er irgendwann noch einen Unfall bauen würde, aber er hatte ihre Mahnungen nur schroff abgewehrt.

Da sagt man einmal was, und du nimmst es gleich persönlich …

Fast hätte sie gelacht. Seine Regeln galten für alle außer ihn selbst. Kühle Nachtluft strömte herein, und Lucy sog sie in ihre Lunge. Auch wenn Sascha im Streit gegangen war, fühlte sie sich gerade besser als den gesamten restlichen Tag über.

Sie stand auf und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. Kurz darauf schnappte sie sich ihre Jacke und verließ die Wohnung. Die frische Luft, die durchs Fenster hereinkam, genügte ihr nicht mehr. Sie musste nachdenken.

Kapitel 4

Bring mir den Gruber-Vertrag nachher ins Büro

Lucy ließ den Zettel sinken und legte ihn zurück auf den Küchentisch. Die Morgensonne strahlte durchs Fenster. Während sie unter der Dusche gewesen war, hatte sie die Haustür zufallen hören. Sascha war deutlich vor ihr aufgestanden und bereits zur Arbeit gefahren. Sie hatten heute Morgen nicht miteinander gesprochen, stattdessen hatte er ihr eine Anweisung auf den Tisch gelegt. Lucy stellte die Kaffeemaschine an, und der aromatische Duft erfüllte bald die gesamte Küche. Noch bevor das Wasser ganz durchgelaufen war, hatte sie den Zettel zerknüllt und in den Müll geworfen.

»Herr Gruber? Ich bin in wenigen Minuten bei Ihnen!« Lucy hetzte in großen Schritten in Richtung des Cafés. Die Bahn war leider unterwegs zweimal stehen geblieben, und jetzt war sie verdammt spät dran. Heute ärgerte sie sich besonders, dass sie kein eigenes Auto besaß und sich in all der Zeit nicht längst eins zugelegt hatte, sondern immer noch bei Sascha mitfuhr. Im Grunde ziemlich lachhaft.

»Nur die Ruhe, Frau Asbeck. Es drängt uns niemand«, antwortete Herr Gruber durch das Telefon.

Wenn Sie wüssten, dachte Lucy.

»Bis gleich!« Sie legte auf. Dort vorne war die Abzweigung, und das Café lag links um die Ecke. Ihre Aufregung verstärkte sich, je näher sie dem Zuckerzeit-Café kam, und dafür gab es eigentlich keinen Grund. Oder? Sie musste kein schlechtes Gewissen haben, schon gar nicht Sascha gegenüber. Nein, das war es auch nicht. Eher etwas anderes. Ein alarmierendes Gefühl, eine Unruhe, es war ihr, als würde sie etwas Wichtiges übersehen.

Dabei wusste sie nicht einmal genau, was sie hier wollte, was sie tun würde. Ihr nächtlicher Spaziergang und ihre Grübeleien hatten sie immer nur bis zu einem bestimmten Punkt gebracht, an dem sie nicht weiterkam. Es war wie eine Wand, gegen die sie lief, oder eine verschlossene Tür, die sie nicht öffnen konnte. Oder wollte? Das vermochte sie nicht zu sagen. Es war ein bisschen albern, aber sie hatte das Gefühl, mit Gruber reden zu müssen, um mehr Klarheit zu erlangen. Dabei glaubte er, dass sie nur wegen des Vertrags vorbeikam. Lucy hatte auch keine Ahnung, wie sie das Gespräch beginnen und was sie überhaupt sagen sollte. Ja, da war diese Wand, die verschlossene Tür, aber seltsamerweise ahnte sie, dass es dahinter noch etwas gab. Etwas, das sie sehen und erfahren wollte. War es dumm von ihr zu glauben, dass ein pensionierter Cafébesitzer ihr dabei helfen würde?

Vielleicht.

Aber sie hatte niemand anderen, mit dem sie sprechen konnte, und außerdem war sie die einzige Person, die in der Lage war, Herrn Gruber heute vor einem schweren Fehler zu bewahren.

Die Tür des Cafés stand offen, und an den Wassertropfen auf dem Boden erkannte sie, dass Herr Gruber bereits die Blumen in den Kübeln sowie das Nektar-Café gegossen hatte. Sie tauchte in den Schatten des kleinen Ladens ein und brauchte einen Moment, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Was ihr aber sofort in die Nase stieg, war der Duft nach frischem Kaffee, in den sich diese zimtige Note mischte, die schon gestern das Café umweht hatte.

»Frau Asbeck!« Herr Gruber kam durch eine Tür, die vermutlich zur Backstube führte. Er trug ein Tablett mit Tellern, einer Schale und Tassen darauf. »Da sind Sie ja.« Er stellte das Tablett auf einen niedlichen kleinen Tisch direkt neben dem Fenster und streckte ihr dann die Hand entgegen.

»Guten Morgen«, sagte Lucy und ergriff sie. Wieder dieser warme, beruhigende Händedruck.

»Sie wirkten etwas gehetzt am Telefon. Setzen Sie sich doch erst mal. Kaffee?«

»Ja, sehr gern«, sagte Lucy und meinte es auch so. Sie wollte gerade nichts lieber, als sich auf diesen Stuhl sinken lassen und mit Herrn Gruber eine Tasse Kaffee trinken, auch wenn das Gespräch nicht einfach werden würde. Es war seltsam, aber seit sie das Café betreten hatte, fühlte sie sich irgendwie anders. Lucy schaute durch das Fenster hinaus auf die Straße, die ihr wie eine andere Welt erschien. Dort draußen, hier drinnen. Vielleicht lag es an der Einrichtung, diesem gemütlich-chaotischen Landhausstil, bei dem alles zusammenpasste und doch jedes Teil seine eigene Persönlichkeit mitbrachte. Als wollte Herr Gruber diesen Eindruck noch verstärken, schenkte er aus einer blass türkisfarbenen Kanne mit Rosenmuster den Kaffee in zwei hellgelbe Tassen.

»Das waren die Lieblingstassen meiner Marianne«, meinte er, und Lucy hatte den Eindruck, dass er ihre Gedanken las. »Die haben wir immer zu besonderen Anlässen herausgeholt. Nehmen Sie Zucker?«

»Heute ausnahmsweise mal ja.«

»Es wird mir schwerfallen, das alles zurückzulassen«, sagte er und setzte sich ihr gegenüber. »Wissen Sie schon, wie Sie es anstellen werden mit dem Café? Sie können gern das Geschirr übernehmen, die Kunden haben es immer geliebt, wobei ich die Tasse von meiner Marianne gern mitnehmen würde.«

Lucy starrte in ihren Kaffee. Meine Güte, sie hatte gehofft, dass sie sich besser fühlen würde, wenn sie erst einmal hier saß, aber plötzlich war alles noch schlimmer. Vor ihrem inneren Auge sah sie einen Container, der vor dem Café abgestellt wurde. Männer in blauen Overalls trugen die Tischchen samt Geschirr und den niedlichen Stühlen hinaus und warfen sie in den Container …

Lucy zuckte zusammen.

»Was haben Sie denn? Ist der Kaffee zu heiß?«

»Wie? Nein. Nein, entschuldigen Sie. Es ist nur …« Lucy ließ den Blick durch den kleinen Laden schweifen. Ja, sie konnte sich vorstellen, dass die Leute diese Tassen geliebt hatten. Und die Stühle, die Tischdeko, die gemütlichen Sitzecken, das Bücherregal.

Lucy fuhr sich durchs Haar. Nein, sie konnte so nicht weitermachen. Es ging einfach nicht. »Herr Gruber, ich muss Ihnen etwas sagen. Unsere Firma hatte nie vor, dieses Café zu erhalten. Das heißt, ich selbst bin schon davon ausgegangen, aber dann habe ich herausgefunden, dass hier alles umgebaut werden soll.«

»Wie meinen Sie das? Soll das heißen, das Café Zuckerzeit …«

»Es gibt dann kein Café Zuckerzeit mehr, Herr Gruber. Mit Ihrer Unterschrift löschen Sie es aus.« Lucy sah ihm in die Augen und erschrak über den Ausdruck darin. »Deshalb habe ich Sie gestern von der Unterschrift abgehalten.«

»Das … Das ist …« Herr Gruber tastete nach seiner Tasse, als suchte er Halt in der Erinnerung an seine verstorbene Frau. »Danke, dass Sie mir das gesagt haben. Ich weiß gerade nicht … Mir fehlen die Worte.«

Aus einem Impuls heraus legte Lucy ihre Hand auf die seine. Sie fühlte sich kühler an als eben. Deutlich kühler. »Noch ist nichts passiert, Sie haben nichts falsch gemacht. Das Café gehört nach wie vor Ihnen, und alles ist noch da.«

»Aber ich kann es nicht halten, das schaffe ich nicht mehr, irgendetwas muss ich tun. Welche Möglichkeiten bleiben mir denn? Wohin kann ich gehen? Mir ist schon bewusst, dass der Laden vielleicht nicht ewig erhalten bleibt. Aber ich dachte, ich wäre bei Ihnen an einer guten Adresse. Der Herr Schröder war so nett und verständnisvoll.«

»Ja, das kann ich mir denken.« Lucy fühlte, wie die Wut wieder in ihr aufstieg, aber das konnte sie gerade nicht gebrauchen. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Für sich selbst. Für Herrn Gruber.

»Passen Sie auf, wir machen es so. Wir treffen uns heute Abend wieder hier. Dann werde ich eine Lösung für Sie haben.«

»Welche Lösung könnte das sein?« Er wirkte nicht wirklich überzeugt, aber Lucy entdeckte auch einen Funken Hoffnung in seinen Augen, und dieser Funke sprang auf sie über, weckte in ihr ein Gefühl, das sich nicht abschütteln ließ. Und eigentlich wollte sie das auch gar nicht. Seit sie im Café Zuckerzeit Platz genommen hatte, war ihr, als würde die verschlossene Tür in ihrem Kopf sich einen Spalt öffnen. Schon beim Betreten des Cafés hatte sie es gespürt, und sie wusste, dass es ein Fehler wäre, darüber hinwegzugehen. Früher hatte sie sich immer auf ihr Gefühl verlassen. Wann hatte das aufgehört? Sie wusste es nicht. Aber irgendwann zwischen ihrer Arbeit am Empfangstresen, oberflächlichen, pseudohöflichen Meetings und Geschäftsessen mit Sascha und seinen Kontakten hatte sie diese Fähigkeit verloren. Ihre Inspiration. Diesen Schub kreativer Ideen, den sie früher oft gehabt hatte. Lucy entschied in diesem Moment, dass sie sich dieses Lebensgefühl, an das sie sich nur noch vage erinnerte, zurückholen würde.

»Ich muss selbst noch darüber nachdenken, aber ich lasse Sie nicht im Stich. Wichtig ist nur, dass Sie nicht bei Schröder Consulting anrufen oder Anrufe entgegennehmen, bis ich wieder hier bin.«

»Gut. Dann machen wir das so. Ich bin gespannt, was Sie austüfteln.« Herr Gruber stand auf, und Lucy folgte seinem Beispiel. »Dank Ihnen habe ich noch eine Chance. Ich will nur sagen, auch wenn Sie es nicht schaffen, wenn Sie das Zuckerzeit nicht retten können, dann rechne ich es Ihnen hoch an, dass Sie es versucht haben.«

Sie schüttelten sich die Hände. »Ich tue, was ich kann. Bis heute Abend.«

Herr Gruber nickte. Auch wenn er sich wacker hielt, merkte Lucy ihm den Schrecken noch an. Wahrscheinlich hatte er gedacht, sie käme mit dem Vertrag vorbei, er würde unterzeichnen und alles gut werden …

Lucy trat durch die Tür ins Freie. Die Frühlingssonne wärmte ihr Gesicht, und sie verharrte einen Moment. Fast wünschte sie sich, dass Marianne Gruber noch lebte, dass das Café noch lief und sie sich einfach an einem Tisch niederlassen und etwas bestellen konnte. Mit einem schönen Stück Kuchen mit Sahne hier sitzen und die friedliche Atmosphäre genießen. Kurz an nichts anderes denken müssen.

Lucy fuhr aus ihren Gedanken hoch. Was sollte Herr Gruber von ihr denken, wenn sie hier nur herumstand? Jetzt war nicht die Zeit für Tagträume.