Borderline - Melanie Tasi - E-Book

Borderline E-Book

Melanie Tasi

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Beschreibung

Janice McArthur ist jung und die neue Psychologin in einer psychiatrischen Klinik. Schon am ersten Tag ihrer Tätigkeit geschieht ein schrecklicher Mord. Zusammen mit Detective Miller versucht Janice der Spur des Mörders zu folgen, bis weitere Morde geschehen. Doch dann geschieht etwas unerwartetes, das Janice völlig aus der Bahn wirft: Sie verliebt sich in einen Patienten. Doch ist dieser Patient auch wirklich nur ein Patient?

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Ähnliche


Melanie Tasi

Borderline

Zwischen Wahn und Wahnsinn

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

Impressum

Kapitel 1

      Dicke Regenwolken hingen drohend über dem Dach des düster aussehenden Gebäudes. In den letzten Jahrzehnten hatte es schon so manchem Sturm standgehalten. Nun stand wieder ein heftiges Gewitter bevor. Leise und mit prasselndem Geräusch setzte langsam der Regen ein. Mit heftigen Scheibenwischerbewegungen bahnte sich der kleine Wagen seinen Weg die lange Straße hinauf zu dem Gebäude. Da es sich hierbei um eine psychiatrische Klinik handelte, lag es fern von weiteren Häusern, nahe an einen ruhigen Wald gelegen. Nur selten verirrte sich jemals jemand in diese Einsamkeit.

      Der Wagen kam mit quietschenden Reifen vor dem Eingangsbereich zum Stehen. Mit einem leisen Knarren sprang die Wagentür auf und eine junge, schlanke Frau stieg hastig und etwas ungelenk hinaus in den Regen. Um vom Regen nicht völlig durchnässt zu werden hielt sie sich mit beiden Händen ihre lederne Aktentasche über den Kopf. Da sie nun keine Hand mehr frei hatte um die Wagentür zu schließen, entschied sie sich kurzerhand, ihren rechten Fuß zu benutzen. Mit einem leichten tritt ihres Absatzes flog die Tür ins Schloss. Immer darauf bedacht, dass ihr kurzer Rock beim laufen nicht all zu sehr nach Oben rutschte, lief sie, so schnell es ihr möglich war, die wenigen Stufen zur Eingangstür des Gebäudes hinauf. Dort angekommen schüttelte sie sich den Regen aus ihrem blonden, langen Haar und richtete ihr Kostüm, um wieder ein perfektes Erscheinungsbild zu haben.

      Sie ging durch die Eingangstür und wandte sich nach rechts zur Anmeldung. Dort saß eine junge Frau Anfang zwanzig und feilte sich sorgsam die Nägel.

      „Entschuldigen Sie bitte. Ich bin Dr. Janice McArthur und ich würde gerne mit Dr. Jackson reden“, sagte Janice freundlich. Sie stand vor einem großen Schild, auf dem Werbung für ein Schlafmittel gemacht wurde und schaute die junge Frau abwarten an. Diese blickte nur kurz zu ihr auf und gab ein leichtes brummen von sich. Janice überlegte, ob sie überhaupt hier arbeitete oder vielleicht eine dieser Verrückten war, die einfach aus der geschlossenen Station entwischten und so taten, als seien sie Angestellte.

      „Ist schon gut Linda. Ich bin schon da. Lassen Sie sich nur nicht von Ihrer wichtigen Arbeit abhalten.“ Hinter Janice tauchte plötzlich ein kleiner, dicklicher Mann auf. Die kleinen Schweißperlen auf seiner Stirn verrieten, dass er sich sehr beeilt haben musste, um noch rechtzeitig zur Anmeldung zu kommen.

      „Entschuldigen Sie bitte die Verspätung. Ich bin Dr. Jackson. Sie müssen Dr. McArthur sein, nicht wahr!“ Dr. Jackson wischte sich mit einem Taschentuch kurz über die schweißnasse Stirn und gab Janice dann die Hand, um sie zu begrüßen.

      „Ja, die bin ich“, sagte Janice und gab ihm ebenfalls die Hand. Sie fühlte sich feucht an und Janice ekelte sich ein wenig. Unauffällig wischte sie sich ihre Hand an ihrem Rock ab. Sie hasste es, anderen Menschen die Hand zu geben. Doch in ihrem Beruf hatte sie keine andere Wahl.

      „Schön das Sie endlich da sind. Wir ersticken förmlich in Arbeit. Man hatte mir schon vor Monaten jemanden versprochen, der Station B übernehmen kann. Aber jetzt sind Sie ja da. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Station.“ Ruckartig drehte sich Dr. Jackson um und zeigte mit seiner dicklichen Hand in Richtung eines langen Korridors. Janice wunderte sich, dass der kleine Mann sich in seinem Alter noch so schnell bewegen konnte. Sie schätzte ihn auf Mitte sechzig ein. Zumindest sah er diesem Alter entsprechend aus. Mit kurzen, aber schnellen Schritten, huschte Dr. Jackson den Korridor entlang und blieb vor einer großen gläsernen Tür stehen. Janice hatte mühe mit ihm mitzuhalten, und das, obwohl sie nur halb so alt war wie der kleine Mann.

      „So, da sind wir auch schon. Diese Tür wird mit einer Schlüsselkarte geöffnet. Linda wird Ihnen alle notwendigen Schlüsselkarten und Papiere später vorbei bringen“, sagte Dr. Jackson und zog seine Schlüsselkarte durch den Schlitz des kleinen Apparates neben der Tür.

      „Sie meinen die junge Frau von vorhin?“, fragte Janice etwas ungläubig. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die junge Frau sich die Zeit nehmen würde, um etwas anders zu tun, als ihre Nägel zu feilen.

      „Ja, die hab ich gemeint. Keine Angst, wenn sie will kann sie sehr hilfreich sein.“ Dr. Jackson fing laut an zu lachen und ging durch die Glastür. Mit einem leisen seufzen folgte Janice ihm. Gleich vor ihr lag eine große Halle, in dessen Mitte sich ein großer Raum mit riesigen Fenstern rundherum befand. Der Raum sieht aus wie ein riesiges Aquarium, dachte Janice und betrachtete die zwei Personen, die sich darin aufhielten.

      „Diese ist das Aquarium“, sagte Dr. Jackson und zeigte mit seinen wurstartigen Fingern auf den großen Raum in der Mitte. Janice musste sich ein leichtes Grinsen verkneifen. Konnte der kleine Mann etwa Gedanken lesen?

      „Sehr passend“, sagte sie stattdessen und folgte dem Doktor in das Aquarium. Dort befanden sich nur zwei Angestellte, die angeregt in ein Gespräch vertieft waren.

      „Dies ist Oberschwester Grace und Pfleger Thomas. Beide werden Sie auf dieser Station unterstützen. Und dies hier ist Dr. Janice McArthur. Die neue Psychologin für Station B“, sagte Dr. Jackson und machte einen Schritt zur Seite, damit Janice von den beiden Anderen begrüßt werden konnte. Grace erhob sich von ihrem Stuhl und schaute Janice über den Rand ihrer Brille hinweg an. Janice erschrak ein wenig vor ihr. Sie war eine sehr große und stämmige Frau, mit einem strengen Blick.

      „Schön, das Sie endlich da sind“, sagte Grace kurz und gab Janice die Hand. Wieder eine Hand, die Janice schütteln musste. Zu ihrer Überraschung fühlte diese sich warm und trocken an.

      „Ich bin ebenfalls froh, endlich angekommen zu sein. Es war nämlich eine sehr lange fahrt bis hier her“, antwortete Janice und schaute die Oberschwester müde an. Während der fahrt zur Klinik hatte Janice mehrmals anhalten müssen, da sie beinahe eingeschlafen wäre.

      „Also, wenn Sie eine innige Massage brauchen, dann bin ich genau der richtige dafür“, sagte der Pfleger, der eben noch auf dem Schreibtisch gesessen hatte. Plötzlich stand er neben Janice und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Was meint er wohl mit innig? Bevor Janice diesen Gedanken weiter verfolgen konnte, sagte Grace auch schon: „ Thomas, lass das gefälligst. Sie ist keine von den jungen Schwestern, die du leicht ins Bett bekommst.“ Thomas, der ungefähr im selben Alter war wie Janice, nahm sofort seine Hand von ihrer Schulter und setzte sich wieder auf den Schreibtisch. Er wirkte enttäuscht und machte einen Schmollmund. Anscheinend war er es nicht gewohnt, von einer Frau einen Korb zu bekommen. Dabei hatte Janice ihm ja noch gar keinen gegeben. Sie war aber froh, dass Grace so schnell eingeschritten war und ihn in seine Schranken gewiesen hatte.

      „Hab es ja nur gut gemeint“, sagte er beleidigt.

      „So, ich lass Sie dann in der Obhut von Schwester Grace. Ich muss wieder zurück zur Station A, bevor noch das totale Chaos ausbricht“, sagte Dr. Jackson, verabschiedete sich von Janice und verließ dann das Aquarium. Grace verließ ihrerseits den großen Raum und bedeutete Janice mit einer Handbewegung, ihr zu folgen.

      „Ich zeig Ihnen erst einmal ihr Büro und danach stell ich Ihnen die Patienten vor. Wenn Sie mir bitte folgen würden“, sagte die Oberschwester. Mit ihren 1,70 cm Körpergröße war Janice fast zwanzig Zentimeter kleiner als Grace, die sich trotz ihrer Körperfülle elegant durch die Tür bewegte. Sie verließen die Halle durch eine weitere Glastür mit Sicherheitsschloss und folgten einem kleinen Korridor, an dessen Ende sich das kleine Büro befand. Dies war nun ihr Büro. Weitweg von den Verrückten, völlig ruhig gelegen und ganz allein nur für mich, dachte Janice und schaute gespannt auf die graue Metalltür.

      „Das ist Ihr Büro. Hier können Sie machen, was immer Sie möchten“, sagte Grace und öffnete die Tür zu dem kleinen Raum. Janice drückte sich schwungvoll an Grace vorbei. Durch den zugezogenen Vorhang vor dem großen Fenster wirkte der Raum düster. Mit wenigen Schritten durchquerte sie den Raum und stand vor dem Schreibtisch. Er war nicht sehr groß, aber für ihre Zwecke würde er ausreichen. An den Wänden befanden sich einige Aktenschränke, die nicht sehr modern aussahen. Als sie die Schublade eines der Schränke aufzog, sagte Grace plötzlich: „Da sind die Patientenakten drin.“ Leicht erschrocken ließ Janice die Schublade wieder los. Sie ging zu dem Fenster und zog an dem Vorhang. Als sie den schweren Stoff komplett beiseite geschoben hatte, sah sie, dass sich vor dem Fenster Gitterstäbe befanden.

      „Die sind zur Sicherheit da. Damit keiner abhauen kann, wenn sie mit den Patienten hier Gespräche führen“, sagte Grace und schaute Janice mit leeren Augen an. Die Oberschwester wirkte ein wenig bedrohlich, wie sie da in dem Türrahmen stand. Nur wenig Licht fiel auf ihr Gesicht, wodurch es ein wenig grotesk aussah.

      „Sagen Sie Grace, was ist eigentlich mit meinem Vorgänger passiert? Ich wollte mich mit ihm unterhalten, aber keiner konnte mir sagen, wo ich ihn finden kann“, fragte Janice und drehte sich zu Grace um. Ohne auf das Gespräch einzugehen, verließ Grace den Raum und sagte nur: „Kommen Sie, ich stelle Ihnen die Patienten vor.“

      Eigenartig, dachte Janice und folgte ihr, ohne weiter nachzuhacken. Sie gingen den kleinen Korridor wieder zurück und kamen am Aquarium vorbei. Janice fiel auf, dass Thomas nicht mehr an seinem Schreibtisch saß.

      „Ah, Thomas ist wohl schon dabei die Medikamente zu verteilen. Das ist eine gute Gelegenheit, alle Patienten auf einmal kennen zu lernen“, sagte Grace, mit einem kurzen Blick über ihre Schulter, zu Janice. Sie gingen am Aquarium vorbei und kamen zu einer weiteren Glastür. Janice wunderte sich, dass diese Tür nicht durch ein Sicherheitsmechanismus gesichert war. Normalerweise waren alle Türen in einer psychiatrischen Klinik verschlossen.

      „Warum ist diese Tür nicht verschlossen?“, fragte sie neugierig und folgte Grace durch die schwere Tür. Sie schien massiv zu sein. Trotzdem konnte jeder sie öffnen.

      „Das ist wegen dem Aquarium. Da wir die meiste Zeit dort verbringen, müssen wir auch für die Patienten erreichbar sein. Es kommt öfters vor, dass irgendjemand irgendetwas möchte oder einfach nur das Bedürfnis hat, sich mitzuteilen“, antwortete Grace ihr und schob sie sanft den Korridor entlang, bis sie eine kleine Tür erreichten, an der sich schon eine kleine Menschengruppe eingefunden hatte. Thomas versuchte vergebens etwas ruhe in die Gruppe zu bringen. Die Patienten liefen alle durcheinander und redeten unverständliches vor sich her.

      Grace stellte sich mitten in die Menge und schob einen Patienten nach dem anderen in eine Reihe. Sie schien schon eine gewisse Routine im Umgang mit den Patienten zu haben.

      „Seht ihr, das ist doch schon viel besser so, nicht wahr?“, sagte sie und drehte sich zu Janice um. „Das ist Dr. McArthur, die neue Ärztin. Sie wird sich ab heute um euch kümmern.“ Mit einem Schlag waren alle Patienten ruhig und starrten sie an. Unbehagen breitete sich in Janice aus. Sie sagte kurz Hallo und ging dann zu Thomas in den Medikamentenraum.

      „Die scheinen Sie zu mögen“, sagte Thomas kurz und stellte ihr die Patienten vor, denen er gerade die Medikamente übergab. Nachdem alle versorgt waren, stellte Janice fest, dass ein Patient fehlte.

      „Sagen Sie, Grace, fehlt nicht ein Patient? Laut der Medikamentenliste, die mir Thomas gegeben hat, müssten es zwanzig Patienten sein. Ich hab aber nur neunzehn gezählt.“ Grace, die gerade dabei war die Patienten wieder in ihre Zimmer zu lotsen, drehte sich zu Janice um und schaute auf die Liste, die diese in den Händen hielt.

      „Lassen Sie mich mal sehn. Ah ha, das hätte ich mir denken können. Danny schon wieder“, sagte Grace und lief an Janice vorbei zu Thomas in den Medikamentenraum.

      „Warum hat Danny seine Medikamente noch nicht bekommen?“, fragte sie erzürnt und wedelte mit der Liste in ihrer Hand vor Thomas Gesicht herum. Janice bekam ein wenig Angst vor der Oberschwester, die mit zornigem Gesicht noch bedrohlicher aussah.

      „Woher soll ich das wissen. Er war jedenfalls nicht in der Reihe. Vielleicht ist er ja diesmal wirklich geholt worden“, sagte Thomas und fing an zu lachen. Unbekümmert räumte er die unzähligen Schachteln mit Tabletten zurück in einen Schrank und verschloss diesen.

      „Was meinen Sie damit, das er geholt wurde? Hat man ihn woanders hin verlegt?“, fragte Janice, als sie neben Grace stehen blieb. Grace verzog das Gesicht und rollte mit ihren dunkelbraunen Augen.

      „Am besten, Sie lesen die Akte von Danny Read. Bis ich Ihnen das erklärt habe ist Weihnachten“, sagte Grace und schob Janice sanft den Korridor entlang, vorbei an den Patientenzimmern. Viele der Zimmer waren leer und Janice überlegte, wohin nur alle gegangen waren. Am Ende des Korridors befand sich ein großer, lichtdurchfluteter Raum. Mitten im Raum blieben die beiden Frauen stehen. Mit einer ausladenden Handbewegung durch den Raum sagte Grace: „Das ist der Aufenthaltsraum. Hier Essen die Patienten und verbringen ihren Tag. Ah, da ist ja Danny!“ Mit großen Schritten durchquerte sie den Raum und blieb vor einer Couch stehen, dass aussah, als wäre es schon hundert Jahre alt.

      Danny stand neben der Couch und schaute durch das Fenster hinaus in Richtung des Waldes, der in einiger Entfernung zu sehen war. Er war etwas größer als Janice und sah abgemagert aus. Sein kurzes dunkelblondes Haar stand kreuz und quer in alle Richtungen ab. Irgendwie fand Janice ihn sympathisch und recht attraktiv. Grace versuchte einige katatonische Patienten, die reglos vor der Couch standen und an die Zimmerdecke schauten, aus dem Weg zu schieben.

      „Danny, warum waren Sie nicht bei der Medikamentenausgabe und haben sich Ihre heutige Pillenration abgeholt?“, fragte Grace und schob gerade einem Patienten zur Seite.

      „Das bringt doch je nichts“, antwortete Danny ihr, ohne sich umzudrehen.

      „Oh doch, das bringt sogar eine Menge. Wenn Sie Ihre Pillen nicht nehmen, wird es Ihnen wieder schlechter gehen.“ Grace stand jetzt unmittelbar hinter ihm. Mit einer kurzen Handbewegung deutete sie auf Janice und sagte: „Schauen Sie, das ist Dr. McArthur. Sie ist die neue Psychologin hier auf der Station.“ Danny drehte sich langsam zu Janice um und ihre Blicke trafen sich. Seine strahlend blauen Augen hatten etwas magisches an sich, dem Janice nicht wiederstehen konnte. Unentwegt starrte sie ihn an, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

      „Ah ha, noch eine von denen. Mal sehen, wann und wie die verschwinden wird“, sagte Danny, nickte Grace kurz zu und lief dann in Richtung des Korridors. Janice stand regungslos da und starrte noch sekundenlang hinter ihm her. Als sie sich gefangen hatte rief sie: „Moment mal, was meinen Sie damit, wie und wann ich verschwinden werde?“ Durch das laute Geschrei wurden die anderen Patienten, die an den Tischen saßen und versuchten sich zu beschäftigen, beunruhigt und fingen selber an zu schreien.

      „Ist ja schon gut. Beruhigt euch wieder. Sonst geht ihr alle sofort auf eure Zimmer. Und das nächste Mal, Dr. McArthur, schreien Sie nicht so durch die Gegend“, sagte Grace. Sie war sichtlich wütend auf Janice und versuchte, die aufgebrachte Menge wieder zu beruhigen. Irgendetwas stimmt doch hier nicht, dachte Janice und verließ den Aufenthaltsraum, ohne weiter auf Grace zu achten. Während sie durch den Korridor lief, hatte sie ein ungutes Gefühl. Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung. Aber was es war, wusste sie nicht. Sie fand Danny bei der Medikamentenausgabe, als er gerade seine letzte Pille hinunter schluckte.

      „Hallo. Danny, nicht wahr? Sagen Sie mir, was Sie vorhin gemeint haben, wie und wann ich verschwinden werde“, sagte Janice. Sie stand jetzt direkt neben ihm und wartete auf eine Antwort. Als er sich zu ihr umdrehte, sah sie wieder seine strahlenden blauen Augen. Oh Gott, wie wunderschön, dachte sie und versuchte, ihn nicht direkt anzustarren. Danny schluckte kurz und antwortete ihr dann: „Sie sind nicht die erste Ärztin hier auf der Station Dr. J.“

      „Dr. McArthur!“

      „Wie auch immer. Hören Sie, ich bin schon seit zehn Jahren hier auf dieser verfluchten Station. Da kommt es nun mal vor, dass die Ärzte hier kommen und gehen. Die Frage ist nur, wie sie wieder gehen, Dr. J.“, gab Danny ihr als Antwort und schaute ihr dabei direkt in die Augen. Ein kalter Schauer lief ihr dabei über den Rücken. Seine Augen hatten etwas merkwürdiges an sich. Etwas, das Janice aber nicht deuten konnte.

      „Was meinen Sie damit, Danny?“, fragte Janice und versuchte, ihren Blick von seinem zu lösen. Was ihr aber nur sehr schwer fiel.

      „Das reicht jetzt.“ Bevor Janice eine Antwort von Danny erhielt, erschien Grace hinter ihr. Mit dem finsteren Blick und der riesenhaften Statur wirkte sie richtig furchteinflössend und Janice entschied, einige Schritte bei Seite zu treten.

      „Vergessen Sie die Worte eines Verrückten. Ich wünsche Ihnen eine erholsame Nacht, Dr. J.“, verabschiedete sich Danny mit einem Nicken in Janice Richtung und lief in sein Zimmer. Janice starrte ihm einige Minuten hinterher. Danny hatte etwas merkwürdiges an sich. Etwas, das sie magisch anzog und dem sie nicht wiederstehen konnte und wollte. Sie musste mehr über ihn erfahren.

      „Haben Sie gehört, Dr. McArthur?“ Grace Stimme holte sie zurück in die Realität.

      „Entschuldigung, was haben Sie gesagt?“, fragte Janice und errötete leicht, als sie das leichte Grinsen auf Thomas Lippen entdeckte.

      „Ich sagte, dass in ein paar Minuten die Nachtruhe beginnt. Thomas und ich müssen darauf achten, dass auch jeder Patient in seinem Zimmer ist. Nachdem dann alle Zimmer verschlossen wurden, kommt die Nachtschicht und wir können nach Hause gehen“, sagte Grace und gab Thomas ein Zeichen. Sie lief den Korridor entlang und scheuchte jeden Patienten zurück in sein Zimmer.

      „Bei diesem Typen sollten Sie vorsichtig sein. Der ist nicht ganz ohne“, flüsterte Thomas Janice über die Schulter, als er an ihr vorbei ging. Janice stand in dem kühlen Korridor und wusste nicht ganz, wie ihr geschah. Wo um alles in der Welt bin ich da nur hinein geraten, dachte sie und schaute unbewusst zu dem Zimmer, in das Danny verschwunden war.

      Nachdem alle Patienten in ihren Zimmern untergebracht und eingeschlossen waren, beobachtete Janice, wie Grace die Geschehnisse des Tages mit der Nachtschwester besprach.

      Janice wunderte sich, wie jung die Schwester aussah und ob sie überhaupt geeignet war in einer psychiatrischen Klinik zu arbeiten.

      „Ok, das war’s. Feierabend. Jetzt können wir endlich nach Hause gehen“, sagte Grace und legte eine Hand auf Janice Schulter. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen fügte sie noch hinzu: „Das war wohl ein aufragender erster Arbeitstag, was?“

      „Das kann man wohl sagen. Ich werde mir jetzt noch einige Akten aus dem Büro holen und dann mein Zimmer im Schwesternwohnheim suchen. Und wenn ich es gefunden habe, werde ich mir erst einmal ein langes heißes Bad gönnen“, antwortete Janice und folgte Grace hinaus aus dem Aquarium.

      „Daraus wird wohl nichts“, sagte Grace und blieb abrupt stehen.

      „Warum? Gibt es hier draußen etwa kein heißes Wasser?“ Enttäuschung machte sich in Janice breit und sie seufzte betrübt. Nur ein schönes heißes Bad konnte sie entspannen.

      „Warmes Wasser gibt es schon, aber keine Badewannen. Sie müssen sich wohl oder übel mit der Dusche zufrieden geben. Oder Sie benutzen das große Badezimmer, das für die Patienten bestimmt ist“, sagte Grace und ein spöttisches Grinsen breitete sich in dem dunkelhäutigen Gesicht der Oberschwester aus.

      „Ich glaube, mir reicht auch eine heiße Dusche“, antwortete Janice und verabschiedete sich mit einer kurzen Handbewegung von Grace. Auf dem Weg zu ihrem Büro kam ihr Thomas entgegen und sie wunderte sich, was er wohl noch hier zu suchen hatte.

      „Ich dachte, Sie sind schon weg?“, fragte sie und blieb vor der großen Glastür stehen, um sie mit der Schlüsselkarte, die Linda ihr im Aquarium hinterlegt hatte, zu öffnen.

      „Ach, ähm, ja, ich hab noch etwas im Aufbewahrungsraum vergessen. Das muss ich noch schnell holen“, sagte er kurz und lief ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei. Komisches Verhalten, dachte Janice und ging zu ihrem Büro. Es dauerte nicht lange und sie hatte gefunden, wonach sie gesucht hatte. Die Akte von Danny Read war dicker als die der anderen Patienten. Sie steckte sie schnell in ihre Aktentasche und verließ wieder den kleinen Raum. Als sie am Aquarium vorbei kam, war die junge Nachtschwester nirgendwo zu sehen. Ob sie wohl auch etwas im Aufbewahrungsraum vergessen hat, dachte Janice und verließ mit einem Grinsen die Station. Ihr war es egal, was Thomas in seiner Freizeit trieb, Hauptsache, sie war nicht beteiligt. Als sie das Gebäude verließ, stellte sie erleichtert fest, dass es aufgehört hatte zu Regnen. Na, immerhin etwas, dachte sie, stieg in ihren Wagen und fuhr das kurze Stück rauf zum Schwesternwohnheim.

      Dort angekommen ließ sie ihren Wagen auf dem Parkplatz stehen und machte sich auf die Suche nach ihrem Zimmer. Die Suche erwies sich als schwieriger, als sie gedacht hatte. Die merkwürdige Schrift von Linda auf dem zu kleinen Zettel, war kaum zu entziffern. Als sie es schließlich gefunden hatte, schmiss sie ihren Koffer auf das Bett und schaute sich erst einmal um. Das Zimmer war recht klein. Es hatte ein Bett und einen Schreibtisch mit einem Stuhl. Mehr brauchte sie im Moment auch nicht. Sie nahm sich einige Sachen aus ihrem Koffer und ging in das noch kleinere Badezimmer, um sich eine heiße Dusche zu gönnen.

      Frisch in einen kuscheligen Bedamantel gewickelt, machte es sich Janice mit der Akte von Danny Read auf dem Bett gemütlich. Obwohl die Akte recht dick war, stand nicht wirklich etwas von Interesse darin. Nur das übliche Psychologen Gerede. Danny war leicht Schizophren und hörte ab und an Stimmen, was er aber zu leugnen versuchte. Zudem litt er an Verfolgungswahn. Wer könnte ihn wohl verfolgen, dachte Janice und blätterte einige uninteressante Seiten um.

      „Oh ha, was ist das?“, rief Janice laut und richtete sich im Bett auf. Dabei fielen ihre Kekse, die sie sich als Gedankenfutter, wie sie es immer nannte, aus dem Koffer geholt hatte, hinunter.

      „Verdammt, die brauch ich noch zum Denken.“ Als Janice sich nach den Keksen bückte, bemerkte sie, dass sich vor ihrer Zimmertür jemand bewegte. Durch das schwache Licht, das unter der Tür hindurch schien, konnte sie einen Schatten erkennen. Vorsichtig stand sie auf und ging auf die Tür zu. Kaum, dass sie vor der Tür stehen geblieben war, verschwand der Schatten auch schon wieder. Starr vor Angst stand Janice einige Minuten vor der verschlossenen Zimmertür.

      Unentschlossen, ob sie hinaus gehen sollte, schaute sie sich in dem kleinen Raum nach etwas um, das sie als Waffe benutzen konnte. Das einzige, das in Frage kam, war ein alter Regenschirm, der in einer Ecke neben der Tür stand. Na toll, wenn ich denjenigen vor der Tür schon nicht verletzen kann, kann ich ihn vielleicht dazu bringen, dass er sich totlacht, dachte Janice und näherte sich langsam der Tür.

      Mit einem Ohr an das kalte Holz der Zimmertür gepresste, versuchte sie durch ruhiges Atmen ihre Angst in den Griff zu bekommen. Aber es half nichts. Ihr Herz schlug so laut, dass sie das Gefühl hatte, gleich in Ohnmacht zu fallen. Von der anderen Seite der Tür war nichts zu hören. Langsam und ohne viel Lärm zu machen, öffnete sie die Tür und schaute vorsichtig auf den wenig beleuchteten Flur hinaus. Niemand war zu sehen. Den Regenschirm mit beiden Händen fest umklammert, machte sie einen Schritt hinaus. Janice schaute nach links, den kleinen Flur entlang bis zu einer Treppe, die entweder nach oben in den zweiten Stock führte oder nach unten ins Erdgeschoss.

      Da ihr Zimmer eines der letzten auf dieser Etage war, gab es für einen Angreifer nur diesen einen Weg. Leise knarrende Geräusche halten durch den Flur. War da jemand oder bildete sie sich das nur ein?

      „Hallo, ist da jemand?“ Nur mit Mühe kamen Janice die Worte über die Lippen. Sie wartete einige Sekunden und beobachtete den Flur. Natürlich wird dir ein Angreifer nicht antworten, dachte sie und huschte, so schnell wie es ihr möglich war, zurück in ihr Zimmer und verschloss die Tür. Zur Sicherheit lehnte sie noch den etwas wackeligen Stuhl unter den Türknauf.

Kapitel 2

      Sein ganzer Körper schrie förmlich vor Schmerzen. Warum er diese Schmerzen spürte, wusste er nicht. Langsam versuchte er seine brennenden Augen zu öffnen.

      „Wo bin ich?“ Sein Mund war trocken und er hatte einen merkwürdigen Geschmack nach faulen Eiern auf der Zunge. Er spürte, dass er auf steinigem Boden lag. Vorsichtig versuchte er, sich langsam aufzurichten.

      „Hey, das ist nicht mein Zimmer“, sagte er und schaute sich in seiner neuen Umgebung um. Durch die Dunkelheit hindurch konnte er aber nicht viel erkennen. An die Wand gelehnt tastete er sich vorsichtig durch den Raum. Es war ein kleiner Raum.

      „Wo zum Teufel bin ich?“ Er blieb stehen, als er einen Schatten an sich vorbei huschen sah. Das darf doch nicht wahr sein, nicht schon wieder, dachte er und lehnte sich mit dem Rücken an die steinige Wand. Sie war kalt und doch irgendwie warm.

      „Der Vergleich mit dem Teufel schmeichelt mir.“ Eine düstere Stimme hallte nun durch den Raum. Sie war laut und schmerzte in den Ohren.

      „Wer bist du und was willst du von mir“, schrie er erschrocken.

      „Du weißt, wer ich bin und was ich will. Ich bin du, gleichzeitig bin ich aber auch in dir.“ Er hatte plötzlich das Gefühl, die Stimme nur in seinem Kopf zu hören. Ein bohrender Schmerz breitete sich hinter seiner Stirn aus.

      „Ich verstehe nicht. Was soll das heißen?“, schrie er und Panik brach in ihm aus.

      „Stell dich nicht dümmer als du bist. Wie oft in den letzen Jahren hatten wir jetzt schon dieses Gespräch? Mehr als ein duzend mal, nicht wahr?“ Der Schatten huschte jetzt über die Wand gegenüber von ihm. Langsam und mit vorsichtigen Schritten tastete er sich weiter entlang der Wand, in der Hoffnung endlich einen Ausgang zu finden.

      „Heißt das, ich bin besessen von dir?“, fragte er und blieb stehen. Unruhig schaute er sich, durch die Dunkelheit hindurch, in dem Raum um. Dies war definitiv nicht sein Zimmer. Aber wo war er dann?

      „Ach mein Lieber, vergisst du es etwa jedes Mal, wenn ich dich hohle?“ Der Schatten blieb jetzt direkt vor ihm stehen. Das Einzige, was er jedoch erkennen konnte, war eine riesige schwarze Wolke.

      „Ich verstehe das nicht. Warum ich? Warum tust du mir das an?“ Panisch vor Angst fiel er schreiend auf die Knie. Die schattenhafte Wolke blieb immer noch vor ihm stehen.

      „Du weißt, was ich will. Ich will zurück in diese Welt und dazu brauche ich nun mal deine Hilfe“, sagte der Schatten und entfernte sich ein Stück von ihm.

      „Aber warum ausgerechnet ich? Warum nicht einer von den Verrückten?“ Er hatte sich etwas beruhigt und stand langsam wieder auf. Durch den dunklen Raum und dem stickigen Geruch wurde ihm schwindelig. Um nicht in Ohnmacht zu fallen musste er sich an die Wand hinter sich lehnen.

      „Du bist der Einzige zu dem ich durchdringen kann. Das war schon in deiner Kindheit so.“ Der Schatten kam jetzt wieder näher an ihn heran. Als er ganz nah bei ihm war, sagte er: „Hilf mir, wieder in diese Welt zu kommen.“

      „Aber wie und warum? Ich will nicht. Lass mich in Ruhe“, schrie er und ging hastig an der Wand entlang, um sich von dem Schatten zu entfernen. Plötzlich stolperte er über etwas hartem und fiel zu Boden. Augenblicklich erhob sich der Schatten bedrohlich über ihm.

      „Wenn du mir nicht hilfst, werde ich dich niemals in ruhe lassen. Das hab ich dir schon mehrmals gesagt, nicht wahr?“

      Er kroch ein Stück weiter und blieb abrupt sitzen. Da war etwas in der Wand. Er konnte zwar nicht sehen, was es war, aber es fühlte sich wie eine Tür an. Er erhob sich langsam und suchte nach dem Griff. Als er ihn gefunden hatte, rüttelte er kräftig daran. Sie ließ sich jedoch nicht öffnen.