Boston Belles - Hunter - L. J. Shen - E-Book

Boston Belles - Hunter E-Book

L.J. Shen

5,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sich in ihn zu verlieben, war nicht Teil des Deals ...

Sailor Brennan hat einen Traum: Sie will einmal in ihrem Leben an den Olympischen Spielen teilnehmen. Alles, was ihr dazu noch fehlt, ist ein finanzieller Sponsor. Da kommt das Angebot einer der reichsten Familien Bostons gerade richtig: Sailor soll für ein halbes Jahr mit Hunter Fitzpatrick zusammenleben und aufpassen, dass das schwarze Schaf der Familie keinen weiteren Skandal anzettelt. Was Sailor nicht weiß: Der attraktive Hunter hat sich in den Kopf gesetzt, seine strenge "Nanny" ins Bett zu bekommen, und macht dabei seinem Namen alle Ehre ...

"Hunter und Sailor haben mein Herz gestohlen. Prickelnd, spritzig und bittersüß - L. J. Shen ist einfach die Meisterin der Enemies-to-Lovers-Geschichten!" SPARKLESANDHERBOOKS

Erster Band der BOSTON-BELLES-Reihe

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 578

Bewertungen
5,0 (1 Bewertung)
1
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Playlist

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von L. J. Shen bei LYX

Impressum

L. J. Shen

Boston Belles

HUNTER

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anja Mehrmann

Zu diesem Buch

Die 21-jährige Sailor Brennan hat einen großen Traum: Sie will bei den Olympischen Spielen als Bogenschützin antreten. Um dies zu erreichen, arbeitet sie sehr hart und hat sogar ihr Privatleben auf Eis gelegt. Und nun scheint ihr Ziel zum Greifen nah – alles, was ihr noch fehlt, ist ein finanzieller Sponsor, um ihren Namen bekannt zu machen. Daher kommt das Angebot einer der reichsten Familien Bostons gerade richtig. Sailor soll mit Hunter, dem jüngsten Sohn der Fitzpatricks, zusammenleben und auf ihn aufpassen. Nachdem Hunter einen öffentlichen Skandal ausgelöst hat, drohen seine Eltern, ihn zu enterben, wenn er nicht für ein halbes Jahr auf Partys, Alkohol und vor allem auf Frauen verzichtet. Was zunächst als leichte Aufgabe erscheint, wird bald zu Sailors größter Herausforderung. Denn der attraktive Hunter hat sich in den Kopf gesetzt, die strenge »Nanny« auf seine Seite – und in sein Bett – zu ziehen …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für Yamina Kirky und Nina Delfs.

Danke, dass ihr so großartig seid.

Playlist

A Little Party Never Killed Nobody – Fergie

The Quiet Things That No One Ever Knows – Brand New

Kill And Run – Sia

Truly, Madly, Deeply– Savage Garden

One Armed Scissor – At The Drive-In

When You Were Young – The Killers

Lullaby – The Cure

Prolog

Es war einmal ein verwunschenes Schloss, in dem alles verwelkte, nur die Seele eines Jungen nicht.

Er war sechs, als sie ihn kennenlernte.

Das Mädchen war zusammen mit ihrer Mutter gekommen, um ein Festmahl für seine Familie zuzubereiten. Sie streifte durch die Korridore und glitt auf Strümpfen über die marmornen Fußböden des Herrenhauses. Sie war fünf – viel zu jung, um die großartigen Gewölbebögen und die Rosengärten zu schätzen zu wissen. Während es draußen donnerte, schlitterte sie hin und her und beschäftigte sich auf diese Weise selbst, bis ihre Mutter mit der Arbeit fertig war.

Es war einer dieser end- und erbarmungslosen Winter, von denen die Bostoner noch Jahre später sprachen. Der dunkle Himmel ließ nadelspitzen Hagel auf das Schloss prasseln, und das Eis schlug wütend gegen die gewölbten Scheiben. Das Mädchen ging zu einem der gotischen Fenster und drückte eine Hand auf das kalte Glas.

Es überraschte sie, dort draußen im Sturm einen kleinen Schatten auf einem Liegestuhl am Pool liegen zu sehen. Einen Jungen. Ganz ruhig lag er da und ließ das Geprassel widerstandslos über sich ergehen. Er nahm es einfach hin, akzeptierte die strafenden Peitschenhiebe des Hagels auf seiner Haut.

Panisch begann das Mädchen, gegen das Fenster zu hämmern. Was, wenn er verletzt war? Ohnmächtig? Oder tot? Wusste sie überhaupt, was das Wort bedeutete? Sie hatte ihre Eltern ein paarmal über den Tod reden gehört, wenn sie glaubten, sie höre nicht zu.

Sie schlug fester gegen das Glas. Langsam drehte er den Kopf zu ihr – träge, beinahe so, als wäre sie vollkommen unwichtig.

Seine graublauen Augen blickten in ihre hellgrünen.

»Komm rein!«, brüllte sie und blickte nach rechts und links in der Hoffnung, irgendwo eine Türklinke zu sehen.

Er schüttelte den Kopf.

»Bitte!«, schrie sie.

»Sie schicken mich fort.« Sie las es ihm von den Lippen ab, konnte ihn aber nicht hören. »Ich gehe weg.«

»Wohin? Wohin gehst du?«, rief sie.

Aber der Junge wandte sich ab, hob das Gesicht gen Himmel und hieß den peitschenden Hagel willkommen.

Sie sah, dass seine Augen offen waren. Sie folgte seinem Blick hinauf zum schwarzen Samt des Nachthimmels. Da war kein Mond. Keine Sonne. Wenn keiner der beiden über die Erde wachte, kam sie ihr schrecklich einsam vor.

Das Mädchen fragte sich, was wohl passieren würde, wenn die Sonne den Mond küsste.

Sie hatte keine Ahnung, dass sie eines Tages eine Antwort auf diese Frage bekommen würde.

Und auch nicht, dass dieser einsame kleine Junge derjenige sein würde, der sie ihr gab.

1. KAPITEL

Hunter

Gegenwart

»Aufstehen, Captain Filzlaus«, sagte Knight Cole, mein Freund und gleichzeitig Engel auf meiner Schulter. Die Spitze seines Margiela-Sneakers stieß gegen meinen Rücken.

Aus der harten Oberfläche unter meinen schmerzenden Muskeln schloss ich, dass ich wieder mal auf dem Boden eingeschlafen war. Und wegen des klebrigen Gefühls im Schritt zusammen mit der Brise, die mir über die ordentlich gestutzten Schamhaare fuhr, wusste ich, dass ich meinen Schwanz in der Nacht zuvor in Löcher gesteckt hatte, in denen er nichts zu suchen hatte, und dass ich splitternackt war.

Ich stöhnte, kniff die Augen zu und rollte mich auf einen anderen warmen, nackten Körper. Titten. Ich fühlte Titten. Hübsch, prall und echt. Ohne die Augen zu öffnen, nahm ich einen Nippel in den Mund und saugte daran.

»Willst du etwas Kaffee in deine Milch?«, fragte Knight.

Meine Hand wanderte über den Bauch des Mädchens hinunter zu ihrem heiligen Gral. Sie war feucht und heiß und bog den Rücken durch, und ihre Schenkel zitterten vor Begehren. Ich fing an, sie zu streicheln, sie vorzubereiten. Meine Erektion war schon fast auf halbmast, da drückte sich von hinten ein weiterer Körper an mich.

Bingo.

»Kaffee mit Milch … Das ist ja, als hättest du beim Lecken ein Kondom um die Zunge. In Italien schicken sie dich schon für weniger ins Exil«, murmelte ich, die Lippen immer noch auf der Haut des Mädchens.

»Vielen Dank für die Metapher«, sagte Vaughn Spencer, mein anderer bester Freund, trocken.

»Beachte mich einfach gar nicht, Sportsfreund.« Mit der freien Hand tätschelte ich die nackte Haut hinter mir und legte mir das Bein des anderen Mädels um die Taille. Wo sind meine Kondome? Warum boten mir Knight und Vaughn Kaffee und Gespräche anstelle eines Gummis an? Ich sollte sie feuern und durch Freunde ersetzen, die mir tatsächlich helfen würden, Treffer zu landen. Nicht, dass ich in dieser Hinsicht irgendwelche Schwierigkeiten hatte. »Werft mir einfach einen Gummi rüber, bevor ihr geht, okay?«

»Gönn dir mal ’ne Pause und wach auf, verdammt noch mal!« Ein dreckiger Stiefel tauchte neben meinem Kopf auf und drohte, ihn zu zerquetschen.

Vaughn alias der Teufel auf meiner Schulter.

Auf jedermanns Schulter, um ehrlich zu sein.

Mit diesem Arschloch verband mich eine Hassliebe.

Liebe, weil er trotz allem einer meiner besten Freunde war.

Hass, weil er trotz des oben genannten Titels ein Arschloch von epischen Ausmaßen war.

Ich öffnete die Augen. Der Rest meines Körpers signalisierte meinem Gehirn, dass diese Orgie möglicherweise vorzeitig enden würde. Sand und Erde von Vaughns Stiefel bedeckten meine Schläfe. Ich spürte, wie meine Nasenflügel sich blähten und mein Puls sich beschleunigte.

Das Mädchen vor mir, Alice, grinste schläfrig, während sie den Rücken wölbte und ihre Brüste ermunternd an meinen Brustkasten drückte. Shit. Ich befingerte sie immer noch. Warum auch nicht, wenn sie so herrliche Geräusche von sich gab. Zögernd löste ich meine Hand von ihr. Das Mädchen hinter mir besaß wenigstens den Anstand, sich nicht mehr an meinem Bein zu reiben wie ein Meerschweinchen, das gerade seine Geschlechtsteile entdeckt hatte.

»Nimm deinen dreckigen Stiefel aus meinem Gesicht«, zischte ich durch die Zähne, »ehe ich dir das Rückgrat breche und es als Schal benutze.«

Es war eine leere Drohung, das wussten wir beide. Meine manikürten Hände hielten nichts von Gewalt. Ich könnte keiner Fliege etwas zuleide tun, und wenn sie meine gesamte Familie getötet hätte. Ich meine, ich wäre natürlich wütend. Stinkwütend. Und ich würde sie wegen seelischer Grausamkeit verklagen, garantiert. Aber mir die Hände schmutzig machen? Nee, lieber nicht.

Es war nicht die Angst vor dem Kampf, die mich davon abhielt, sondern pure Trägheit, etwas, das meine aristokratische Erziehung mit sich gebracht hatte. Als Sohn von Gerald Fitzpatrick, dem Eigentümer und Generaldirektor von Royal Pipelines, der größten Erdöl- und Gasgesellschaft der Vereinigten Staaten, musste ich mich nur selten dazu aufraffen, mich selbst um meinen Kram zu kümmern. Die Fitzpatricks waren die viertreichste Familie der USA, und das hatte mich zu einem faulen, verwöhnten Arschloch gemacht.

»Du und noch so ein Hampelmann, ihr habt gestern fünf Tussen klargemacht.« Vaughns Fuß stand noch immer auf meiner Schläfe.

Dieser Akt der Gewalt war vermutlich das Highlight seiner Woche. Warum er die einfachen Freuden des Lebens nicht in Alkohol, Frauen und überteuerter Kleidung von alternden Rappern finden konnte, erschloss sich mir nicht. Bei ihm schien alles immer furchtbar kompliziert zu sein.

»Ach nee, echt jetzt?« Ich zog die Augenbrauen hoch, und ehrliche Überraschung, gepaart mit Stolz, erfüllte meine Brust. »Sind die Leute von Guinness schon auf dem Weg hierher? Und bringen sie richtiges Guinness mit? Ich finde Stout viel besser als Lager.«

»Zerquetsch ihm den Schädel. Er hat es verdient«, knurrte Knight über meinem Kopf.

Das aus seinem Mund zu hören, war ein starkes Stück. Er hatte eine Geschichte mit Alkohol, die Lord Byron und Benjamin Franklin in einer All-you-can-drink-Bar in den Schatten stellen konnte. Inzwischen hatte er eine Freundin, und ich befürchtete, dass die eine Flasche Tequila und zwei Karten für Coachella gebären würde, falls sie sich je fortpflanzen würden.

»Ich reagiere auch auf Gott und Verdammt, Hunter, er ist so groß«, murmelte ich und dachte kurz über ein Nickerchen unter Vaughns Stiefel nach.

Ich meine, schließlich hatte er sein Gewicht nicht auf diesen Fuß verlagert.

Die beiden Mädchen lösten sich von mir. Ich hörte sie im Hintergrund Geräusche machen; sie suchten nach ihrer Kleidung und zogen sich an. Zum ersten Mal, seit ich die Augen geöffnet hatte, sah ich mich in der Umgebung um. Ich war in Vaughns Wohnzimmer, den luxuriösen cremefarbenen Polstermöbeln, den Kronleuchtern und Achttausend-Dollar-Messinglampen nach zu urteilen.

Der Teppich fühlte sich klebrig an, und die Jalousien waren heruntergezogen. Daddy und Mommy Spencer würden froh sein, ihren verkommenen Sprössling, der bald für ein Praktikum nach England gehen würde, loszuwerden.

»Diesmal bist du richtig gefickt.« Knight zog mich unter Vaughns Stiefel hervor, stieß mich aufs Sofa und warf eine Decke auf meine jetzt beeindruckende, weil voll ausgebildete Erektion.

Er sah mich beim Sprechen nicht direkt an, so als wäre es meine Schuld, dass ich mit einem Zwanzig-Zentimeter-Schwanz und einem für ständige Nacktheit geeigneten Körperbau gesegnet war.

»Ich habe nur ficken verstanden, und da bin ich definitiv dabei.« Ich tastete auf dem Tisch neben der Couch herum, fand eine Schachtel Zigaretten, die nicht mir gehörte, und ein Feuerzeug. Ich zündete mir eine an und blies den Rauch an die Decke. Eigentlich rauchte ich nur selten, aber wenn sich eine Gelegenheit ergab, wie ein Arschloch auszusehen, ließ ich sie nicht ungenutzt verstreichen. »Warum habt ihr mir den Spaß verdorben?« Ich musterte Vaughn und Knight aus schmalen Augen und deutete mit der Zigarette auf die beiden, die sich in voller Größe vor mir aufgebaut hatten, die Hände in die Hüften gestemmt.

»Es gab eine undichte Stelle.« Vaughns eisblaue Augen musterten mich missbilligend.

Ich winkte mit der Zigarette ab. »Das ist eine ganz natürliche Sache. Sie wurde geschaffen, um dir mitzuteilen, dass der weibliche Körper paarungsbereit ist. Wenn du es mit lebendigen Frauen treiben würdest, wüsstest du das. Geht es um den Teppich deiner Eltern? Dann schicke ich die Rechnung an Syllie.«

Syllie – Sylvester Lewis – war die rechte Hand meines Vaters und operativer Geschäftsführer in Boston. Er regelte ständig irgendetwas für mich. Sein Job bestand unter anderem darin, mich am Leben und mir Ärger vom Hals zu halten, was ihn zum Versagen praktisch prädestinierte. Ich rief ihn selten an, und wenn ich es tat, dann nur, damit er mich aus irgendetwas Frevelhaftem herausholte, in das ich mich selbst hineingeritten hatte.

Meine Eltern hassten es, wenn ich ihrem Ruf schadete.

Bis jetzt hatte mir Syllie dabei geholfen, Bußgelder zu zahlen, eine Anklage wegen Trunkenheit am Steuer abzuwenden und diskret einen unschönen Fall von Filzläusen zu behandeln.

»Eine undichte Stelle in den sozialen Medien, du Depp«, stellte Knight klar. Er beugte sich vor und schlug mir auf den Hinterkopf.

Es passte nicht zu meinen Freunden, ernst oder besorgt zu sein. Ich setzte mich auf, schloss die Decke um meine schmale Taille und stützte nachdenklich das Kinn auf die Handflächen.

»Ich höre.«

(Tat ich nicht. Ich dachte darüber nach, wen ich am Abend im Bett haben wollte.)

Vielleicht Arabella.

Nein, definitiv Arabella. Sie war die heißeste Tusse in der Stadt, die noch Single war.

»Also, Zusammenfassung.« Knight klatschte in die Hände. »Gestern nach Vaughns Praktikumsfeier sind wir hierhergekommen, um ein bisschen abzuhängen. Du hast im Erdgeschoss eine Orgie mit fünf Mädels gefeiert. Irgendwann – Achtung, Wortspiel! – stieß noch ein anderer Typ dazu, aber der Hauptakteur warst du. Und weil es nicht im Medienraum war, wurden auch keine Handys konfisziert. Vaughn und ich waren oben und konnten dich deshalb nicht vor deinem idiotischen Selbst retten.« Er wandte sich an Vaughn und bedeutete ihm mit dem Kinn, die Geschichte zu Ende zu erzählen.

Vaughn verschränkte die Arme und fuhr fort: »Um eine lange und furchtbar peinliche Geschichte kurz zu machen: Ungefähr zehn Leute haben die ganze Sache mit dem Handy gefilmt. Manche haben das Video auf YouTube hochgeladen, andere auf Twitter, wieder andere auf Snapchat. Soweit wir wissen, sind sie dort schon wieder gelöscht. Aber die Filmchen auf den Pornoseiten sind nach wie vor abrufbar. Sagen wir es einfach mal so: Was dir an akademischen Errungenschaften fehlt, gleichst du als Entertainer für Erwachsene wieder aus.«

Kaum hatte Vaughn seinen Satz beendet, da reichte mir Knight sein Handy mit besagtem Sexvideo. (Warum sagten die Leute bloß immer noch Video? Das ist so schrecklich Achtzigerjahre.) Ich tippte auf Start. Es war tatsächlich die beliebteste Seite im Internet. Außerdem war sie kostenlos, was, wie ich gerüchteweise gehört hatte, besonders die Leute aus der Mittelklasse zu schätzen wussten.

Das Video hatte bereits 1,2 Millionen Views mit einer Zufriedenheitsrate von neunundachtzig Prozent.

Verdammt.

Unter den Tags für das Video waren: #Verbindungsparty #Orgie #HeisseSchlampen #Cheerleader #Milliardär #Anal #Oral #69 #Creampie #Rudelbumsen #BestFriendsEx

Und das Einzige, was mir einfiel, war: Das alles habe ich allein binnen zwanzig Minuten geschafft? Beeindruckend.

Ich meinte es todernst. Würden die Leute von Guinness jetzt kommen oder nicht?

Der Titel des Pornovideos lautete: »Milliardenschwerer Polo-Prinz fickt fünf Flittchen.«

Das mit dem Prinzen war Blödsinn, klang aber gut. Polo war nicht gerade meine Leidenschaft, aber ich spielte es immer noch, um meinen nie zufriedenen Vater zufriedenzustellen. Der Rest schien zu stimmen, abgesehen von der Sache mit der Verbindungsparty. Und da wir allesamt volljährig waren (ich kannte die Mädels in dem Video), dachte ich mir, dass es vermutlich schwierig werden würde, es löschen zu lassen.

Ich sah darin drei meiner Highschool-Mitabsolventinnen – Alice, Stacee und Sophia – in die Kamera kichern und auf High Heels und mit wackelnden Ärschen auf mich zugehen. Ich lag auf der Couch und bekam von einem Mädchen namens Kylie einen geblasen, während ein anderes, Bianca, ihre gepiercte Zunge um meinen Nippel kreisen ließ. Ich trug eine offene Collegejacke, kein Hemd, und meine Jeans war bis zu den Füßen hinuntergezogen. Die Kamera zoomte heraus, und man sah mich und denjenigen, der das Video drehte, heftig zustoßen. Er senkte die Kamera, um zu zeigen, dass er Kylie von hinten nahm, während sie mir einen blies. Er kam auf ihren Rücken, trat einen Schritt zurück und verstaute seinen Halbmast. Nach etwa fünf Minuten Akrobatik hatte ich es irgendwie geschafft, Hände, Mund und Schwanz bei allen fünf Mädels gleichzeitig unterzubringen.

Das Video war ungefähr zwanzig Minuten lang und – meiner bescheidenen Meinung nach – heiß wie die Sünde. Als es zu Ende war, hob ich den Kopf und gab Knight sein Handy zurück. Es folgte ein Moment der Stille, als meine Freunde darauf warteten, dass ich die Informationen verarbeitete, die sie meinem verkaterten Gehirn serviert hatten.

»Wer war der andere Kerl?«, fragte ich und gähnte.

»Brian irgendwer.« Knight rümpfte die Nase.

»Branson«, fügte Vaughn hinzu.

»Brian Branson?« Ich blinzelte. Bescheuerter Name. »Wow. Seine Eltern müssen ihn noch mehr hassen als meine Eltern mich.«

»Nicht nach diesem Porno-Misthaufen, den du heute Morgen vor ihrer Haustür abgeladen hast«, lautete Knights hilfreicher Kommentar.

Bis zu diesem Tag hatte ich noch nie von Brian Branson gehört, teilte aber eine sexuelle Erfahrung mit ihm. Was in Bezug auf mich vermutlich auf die meisten Leute in Todos Santos zutraf. Ich schlug mir auf die Schenkel, damit es endlich weiterging im Text.

»Also, gehen wir jetzt zum Frühstück ins Benny’s oder …?«

»Du Idiot!« Knight hielt sein Handy fest umklammert, offenbar, um dem Drang zu widerstehen, es mir an den Kopf zu werfen. »Du steckst tief in der Scheiße. Stacee, Kylie und Bianca wollen Anzeige gegen dich erstatten. Sie sind schon bei der Polizei. Wir haben es gerade erfahren.«

Das erklärte, warum am Morgen nur noch Alice und Sophia hier gewesen waren.

»Warum das denn? Ich bin nicht derjenige, der gefilmt hat. Wenn überhaupt, bin ich genauso zum Opfer geworden wie die beiden.« Ich drückte die halb gerauchte Zigarette aus. »Abgesehen davon können sie wohl kaum behaupten, dass es nicht einvernehmlich war. Ich meine …« Ich zeigte mit dem Finger auf Knights Handy. In dem Video war ich über Stacees Gesicht gekommen und sie hatte sich freudig kichernd über die Wange geleckt, während Kylie so fest an mir gesaugt hatte, dass sie ihn zu verschlucken drohte. Nicht zu vergessen Bianca, die die ganze Arbeit machte, während Kylie auf meinem Gesicht ritt und auf und ab hüpfte wie auf einem Trampolin.

»Du bist dumm wie Brot und traurigerweise genauso liebenswert«, sagte Vaughn ernst, drehte sich um und hob irgendwelches Zeug hoch, als suchte er etwas. »Du bist der Erbe eines milliardenschweren Unternehmens. Sie brauchen keinen Grund, um dich zu verklagen. Wenn du sie anniest, behaupten sie, dass du ihnen die Schweinegrippe verpasst hast. Wenn du sie umarmst, behaupten sie, dass du ihnen die Rippen gebrochen hast. Wenn du sie fickst …« Vaughn verstummte, weil er das, was er gesucht hatte – meine Jeans – auf einer seiner Lampen gefunden hatte und sie mir nun zuwarf.

Ich fing sie in der Luft auf.

»Jetzt zieh dich an. Nach deiner Gonokokkenparty gestern muss ich das ganze verdammte Haus renovieren und die Wände desinfizieren.«

»Ich muss mir die Augen desinfizieren«, fügte Knight hinzu.

»Ich brauche eine Men-in-Black-Behandlung für mein Gehirn«, fauchte Vaughn.

»Und du mach gefälligst einen auf Kevin –AlleinzuHaus, damit es nicht noch mehr öffentliche Orgien gibt«, sagte Knight.

Ich lachte nur trocken und zog meine Jeans an. Ich hatte noch immer nicht ganz begriffen, was gerade geschah. Wie bei allem anderen auch erwartete ich, dass Syllie mich schon wieder heraushauen würde. Und wenn nicht er, dann meine Tante und mein Onkel, Jean und Michael Brady. (Ja, sie waren The Brady Bunch, und ja, ich fand es unglaublich amüsant, dass meine Eltern mich in der Hoffnung zu ihnen geschickt hatten, sie könnten mir etwas von den Manieren und dem Gebaren der Oberklasse einbläuen, was all die Privatschulen nicht geschafft hatten.)

Der Punkt war, dass mir immer jemand die Probleme aus dem Weg räumte, und dieser Jemand war grundsätzlich nicht ich. Mich selbst aus Schwierigkeiten zu befreien, kam mir ziemlich langweilig vor, ganz zu schweigen von dem Papierkram, den das möglicherweise nach sich ziehen würde.

Wie auch immer, ich hatte meine Lektion gelernt. Von jetzt an würde ich mir genauer überlegen, wo ich meine Massenorgien veranstaltete. Auch Leichtsinn hat seine Grenzen, und es war an der Zeit, ein bisschen vorsichtiger zu sein. Und wenn ich schon mal dabei war, sollte ich mich vielleicht auf maximal drei Mädchen gleichzeitig beschränken.

Ich stand auf, schloss meinen Louboutin-Ledergürtel und wandte mich an Knight: »Okay, ich glaube, jetzt bin ich bereit für deinen Kaffee.«

Knight schlug mir auf den Hinterkopf. Schon wieder.

»Du kapierst es nicht, oder?« Er zog die Brauen zusammen. »Sag mir, wen du anrufen musst. Kennst du den Namen eures Anwalts?«

»Hey, Kumpel! Warum so ernst? Du brauchst einen Schluck Dirty Sprite.«

Auch bekannt als Kodein. Oder als Knights Version von Wasser, ehe er clean wurde. Ich wusste, dass ich ein Arschloch war, weil ich sein Drogenproblem erwähnte, aber er ließ es mir durchgehen. Außerdem hatte er sein Leben inzwischen auf die Reihe gekriegt. Er und Vaughn würden studieren, was sie wollten, und konnten sich aussuchen, was sie aus ihrem Leben machen wollten. Ich hingegen würde zurück nach Boston gehen, um in Harvard BWL und VWL und den ganzen anderen Kram zu studieren, der einen Mann dazu bringen konnte, sich von einem Wolkenkratzer zu stürzen. Fragt mich nicht, wie ich nach Harvard gekommen bin. Dafür hat Dad vermutlich genug Geld gespendet, um ganz Massachusetts zehn Jahre lang zu ernähren. Ich selbst würde mir nicht einmal zutrauen, eine Einkaufsliste zu schreiben, geschweige denn einen Aufsatz.

Und ich freute mich auch nicht auf das Sommerpraktikum bei Royal Pipelines, das er mir aufgezwungen hatte.

»Deinen Vater? Deine Mutter? Deinen Bruder oder deine Schwester? Wen soll ich anrufen? Vielleicht die Bradys?« Knight wedelte mit einer Hand vor meinem Gesicht herum.

Ich wollte gerade den Mund aufmachen, da klopfte es an der Tür. Vaughn ging hin, um zu öffnen. Eine Sekunde später kamen drei Polizisten herein. Ich schwöre, einer von ihnen spannte sogar seinen Bizeps an. Sie waren total voll im Machtrausch. Der dickste von ihnen, dessen Gesicht mich an einen Pavian mit kurz geschnittenen rotem Haar und Verstopfung erinnerte, teilte mir meine Miranda-Rechte mit, während er mir Handschellen anlegte.

»Hunter Ernest Vincent Fitzpatrick, Sie sind verhaftet wegen sexueller Belästigung, Unzucht mit Minderjährigen und Behinderung der Justiz. Sie haben das Recht, zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, mit einem Anwalt zu sprechen und auf die Anwesenheit eines Anwalts während Ihres Verhörs. Falls Sie sich keinen Rechtsbeistand leisten können …« Der Polizist verstummte, verzog das Gesicht und schnaubte. Die anderen beiden brachen in hysterisches Gelächter aus.

Jaja, ich bin stinkreich. Wahnsinnig komisch.

»Falls … falls …«, setzte er erneut an, warf dann aber den Kopf zurück und lachte derart ausgelassen, dass man meinen könnte, er wäre derjenige, der im Geld schwamm. »Falls Sie sich keinen Anwalt leisten können, wird Ihnen einer auf Staatskosten gestellt«, brachte er schließlich heraus und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel.

Ich starrte ihn an, mein Kiefer mahlte. Zum ersten Mal, seit ich aufgewacht war, spürte ich Wut in mir aufsteigen. Ich hatte diese Mädchen weder vergewaltigt noch belästigt. Und auch sonst kein Mädchen. Das hier war ein abgekartetes Spiel.

Der Polizist griff in seine Tasche, holte einen Fünfzig-Dollar-Schein heraus und legte ihn in die geöffnete Hand des anderen Cops.

»Ich konnte dabei tatsächlich nicht ernst bleiben, Mo.«

Sie hatten eine Wette auf meine Verhaftung abgeschlossen. Na super. Die Handschellen fühlten sich an meinen Handgelenken kalt und zu eng an. Sie schnitten mir völlig unnötigerweise ins Fleisch, denn es bestand keinerlei Fluchtgefahr, und ich würde mich auch nicht auf die Polizistin stürzen, die etwas abseits stand, in all ihrer Pracht mit schütterem Haar, drei fehlenden Zähnen und Aknenarben.

Knight und Vaughn tauchten neben mir auf.

»Hey, ihr Arschlöcher, würde es euch etwas ausmachen, nicht sämtliche Gerüchte über Polizeibrutalität zu untermauern?«, fragte Vaughn. »Und was dich angeht …« Er deutete mit dem Kinn auf mich, »… ich rufe jetzt meinen Dad an. Er ist mit meiner Mom in Virginia, aber falls es nötig wird, steigt er in den Flieger und kommt hierher.«

»Wen soll ich anrufen?«, fragte Knight mich ein weiteres Mal. »Sprich mit mir, Mann.«

Die Antwort lautete natürlich: Jean und Michael. Zu diesem Zeitpunkt empfand ich sie eher als meine Eltern als die beiden, die mich aus Boston weggeschickt hatten, sobald ich aus dem Windelalter heraus war. Die Polizisten machten Anstalten, mich zur Tür zu schieben.

Vaughn folgte uns. »Erzähl ihnen nichts, hörst du?«, fauchte er.

Ich nickte. »Sag Knight, er soll auf keinen Fall meinen Dad anrufen.«

»Was?«

Sie stießen mich in Richtung Polizeiwagen.

»Nicht meinen Dad!«, konnte ich noch brüllen, bevor sie mich auf den Rücksitz drückten. »Jeden, nur nicht Dad!«

Knight nickte mir von der Tür aus zu und hob zwei Daumen.

»Kein Problem, Alter. Ich rufe deinen Vater an!«

»Du sollst ihn nicht anrufen!«, rief ich, aber da wurde mir bereits die Wagentür vor der Nase zugeschlagen.

Knight hörte mich nicht mehr.

Fuck.

»Die größte Sorge hat mir die Anzeige wegen Unzucht mit Minderjährigen gemacht, aber das hat sich als Bullshit herausgestellt. Ihr seid alle sechs älter als achtzehn. Die Polizei war noch nicht mal clever genug, die Ausweise zu kontrollieren, als sie die Anzeige aufnahmen, und das heißt, dass sie nicht nur die Anklage fallen lassen müssen, sondern dass wir den blauen Jungs auch noch auf die Finger klopfen können – und das ist immer eine vorteilhafte Methode der Schadensbegrenzung.«

Baron »Vicious« Spencer, Vaughns Vater, saß mir auf dem vollgestopften Dachboden meines Onkels und meiner Tante gegenüber und blätterte die dicke Akte zu meinem Fall durch. Unter dem schrägen Dach musste ich mich wegen meiner Größe zusammenkauern wie Arnold Schwarzenegger in Barbies Puppenhaus.

Vierundzwanzig Stunden waren seit meiner Verhaftung vergangen, und ich hatte bis jetzt weder duschen noch zur Toilette gehen oder mir zum Stressabbau einen runterholen können. Obwohl Baron Anwalt von Beruf war, befasste er sich nicht mit Strafsachen. Aber soweit ich verstanden hatte, half er manchmal engen Freunden und Verwandten bei rechtlichen Angelegenheiten. Außerdem hatte ich verstanden, dass er fünftausend Dollar pro Stunde berechnete, um seinem Ruf als Riesenarschloch gerecht zu werden. Das Geld brauchte er nämlich genauso dringend, wie Kylie Jenner noch mehr Lippen brauchte. Als Allererstes hatte er mir mitgeteilt, dass er mir deutlich zu viel berechnen würde.

»Nur damit du ein Gefühl dafür bekommst, wie es ist, gefickt zu werden. Man kann nicht sein Leben lang immer nur derjenige sein, der fickt«, hatte er mir unverblümt erklärt, als er eine Stunde zuvor das Haus betrat, nachdem mich Jean und Michael gegen Kaution aus dem Gefängnis geholt hatten.

Ich nahm einen Schluck Bier und zog an meiner ledernen Halskette mit dem hölzernen Dalapferdchen. »Und die anderen Anklagepunkte?«

»Angesichts der Tatsache, dass die Mädchen klaren Verstandes, aktiv und präsent zu sein schienen, wird die sexuelle Belästigung nur schwer nachzuweisen sein. Der Vorwurf der Behinderung der Justiz beruht auf der Tatsache, dass Mr Cole Biancas Handy konfisziert hat. Laut Miss Evans kam die Anweisung dazu von dir. Zu deinem Glück lagst du zu dem Zeitpunkt, als sie den Medienraum betrat, um mit den anderen Schülern zu feiern, deren Handys konfisziert worden waren, besinnungslos auf dem Boden. Da war die Orgie längst vorbei. Es gibt mehrere Zeugen, die diese zeitliche Diskrepanz bestätigen. Mit anderen Worten, deine Unfähigkeit hat dich gerettet.« Er blickte von dem Stapel Dokumente auf, und seine eisblauen Augen ließen die Raumtemperatur um fünf Grad sinken.

»Ich bin gerne der Loser. Sláinte.« Ich prostete in die Luft und trank noch einen Schluck Lager.

Baron hatte das gleiche pechschwarze Haar wie sein Sohn, die gleichen eisigen Augen und den gleichen Drang, erfolgreich, mächtig und leistungsfähig zu sein. Ich fragte mich, wie es sich wohl anfühlen würde, ein Spencer zu sein – versiert, ehrgeizig, motiviert. Talentiert.

Ich selbst war bislang nichts davon. Ich besaß Geld – mehr, als ich jemals ausgeben konnte – und das dazu passende Aussehen, das ja. Aber abgesehen von diesen oberflächlichen Eigenschaften war ich nichts. Eine leere Hülle. Mein Vater hatte mich gewarnt, dass der Tag kurz bevorstand, an dem mich die Leute für meine Leichtfertigkeit zur Verantwortung ziehen würden. Ich glaubte ihm.

Deshalb graute mir davor, zurück nach Boston und aufs College zu gehen – wieder zu meiner Familie zu ziehen. Das nicht zu tun, war leider keine Option gewesen. Royal Pipelines gehörte bereits seit sechs Generationen den Fitzpatricks.

Unnötig zu betonen, dass ich deutlich weniger an der Leitung einer Firma interessiert war als daran, an einer weiteren öffentlichen Orgie mit darauffolgendem Kurzaufenthalt im Gefängnis teilzunehmen. Aber das war nun mal die Realität: In der Minute, in der Dad abtrat, würde mein älterer Bruder Cillian Generaldirektor von Royal Pipelines werden und ich der operative Geschäftsführer.

»Wann ist die Verhandlung?« Ich saugte an meinen Zähnen.

»Gar nicht.« Baron schloss meine Akte und faltete auf dem Tisch die Hände. »Eine Gerichtsverhandlung ist öffentlich, schmutzig und zeitraubend, und vor allen Dingen bringt sie äußerst schlechte Presse. Die Damen – und ich benutze diesen Ausdruck sehr großzügig – sind auch nicht sonderlich scharf darauf, die Einzelheiten der Massenorgie im Zeugenstand darzulegen. Ich habe jeder von ihnen ein großzügiges Vergleichsangebot gemacht. Sie und ihre Familien sind bereit, sich auf den Handel einzulassen. Das Angebot besteht aus einer Entschädigung in Höhe von zwei Millionen plus einer kompletten Collegeausbildung. Dein Vater und dein Bruder sind froh, dass die Sache beigelegt ist.«

Ich glaubte keine Sekunde daran, dass die Bereitschaft meines Vaters zu diesem Deal irgendetwas mit mir zu tun hatte. Es waren die Schlagzeilen, die ihm Sorgen machten. Und wenn es nach Cillian ginge, würde ich im Keller von Avebury Court Manor, dem Anwesen meiner Eltern, angeleint werden.

Ich lehnte mich zurück und spielte mit dem Glücksbringer-Pferdchen an meinem Hals.

»Warum machen wir einen Deal? Ich habe nichts getan, das haben Sie selbst gesagt. Es gibt überhaupt keinen Fall.«

»Nichtsdestotrotz würde eine Gerichtsverhandlung einen Schatten auf dich und deine Familie werfen und die Aktionäre von Royal Pipelines verärgern.«

»Also muss ich klein beigeben, weil mein Daddy einen verdammten Konzern leitet?« Ich machte ein finsteres Gesicht.

»So sieht’s aus.«

»Nein«, konterte ich trocken.

Baron checkte sein Handy, während er redete. Meine Weigerung beeindruckte ihn nicht im Geringsten. »Wenn wir das vor ein Geschworenengericht bringen, wissen wir nicht, wie sie reagieren. Ein weißer männlicher Milliardär inmitten eines riesengroßen Sexskandals ist nicht gerade das bemitleidenswerteste Wesen auf diesem Planeten.«

»Ich habe sie nicht vergewaltigt«, zischte ich. »Ich habe sie nicht einmal angebaggert. Sie sind zu mir gekommen.«

Baron stand auf und verstaute die Dokumente in seinem Aktenkoffer. Offenbar hatte er mit dem Gespräch und mit der Wut seines Klienten abgeschlossen.

»Lieber ein Gauner als ein Narr. Den Deal anzunehmen und sie eine Unterlassungserklärung unterzeichnen zu lassen ist eine clevere Sache. Und immer, wenn du glaubst, dass du deinem wertvollen Ego einen runterholen musst, kannst du auf diese Pornoseite gehen und dir ins Gedächtnis rufen, dass derjenige, der einer dieser Frauen den Ring ansteckt, niemals vergessen wird, dass du derjenige warst, der sie so hart rangenommen und trotzdem zum Kommen gebracht hat.«

»Ich brauche einen stärkeren Drink«, sagte ich und schüttelte den Kopf.

»Was du brauchst, ist eine schöne Tracht Prügel.«

Ich setzte das Bier wieder an die Lippen und seufzte. »Verdammt, Sie haben recht. Eine perverse Nummer ist genau das, was mir der Doktor verschrieben hat. Aber diesmal sorge ich dafür, dass es in einem abgeschlossenen Schlafzimmer stattfindet.«

Baron bedachte mich mit einem herablassenden Blick und ging zur Tür. Ich wusste, dass ich ihm eigentlich danken müsste für das, was er für mich getan hatte, aber ich war nicht in der Stimmung für Nettigkeiten. Außerdem würde der Scheck, den mein Dad ihm ausstellen würde, für eine neue Yacht reichen.

»Eins noch, Hunter«, sagte Baron, als er die Tür erreicht hatte und mich ansah.

Ich blickte vom Tisch auf.

»Ja?«

»Viel Glück bei deinem nächsten Meeting. Du wirst es brauchen.«

2. KAPITEL

Hunter

»Eine Schande!«, fauchte Dad. Sein Speichel sprühte über den Tisch zwischen uns. Sein teigiges irisches, von Sommersprossen bedecktes Gesicht war knallrot, als er in demselben Büro im Dachgeschoss vor mir stand, das Baron wenige Minuten zuvor verlassen hatte.

Die Bradys besaßen die Art Haus, die Gerald Fitzpatrick als schlicht und idyllisch, wenn nicht gar als komplett langweilig betrachtete. Zu Hause in Boston hatte er einen ganzen Straßenzug in Beacon Hill abreißen und eine Villa errichten lassen, die für die gesamte britische Königsfamilie und ihre bucklige Verwandtschaft ausgereicht hätte. Avebury Court Manor verfügte über zwanzig Schlafzimmer, fünfzehn Badezimmer, einen Indoor-Pool, einen Tennisplatz und eine beheizte Zufahrt – wenn schon dekadent, warum dann nicht richtig, wo man es sich doch leisten konnte?

Die Villa war architektonisch vom Mont-Saint-Michel inspiriert, einer Abtei auf einer Insel in Frankreich – reichlich Gewölbebögen und Statuen und sehr weitläufig konzipiert. Ehrlich gesagt, würde ich das altmodische Stadthaus der Bradys dieser neureichen Monstrosität aus Marmor jederzeit vorziehen.

»Du dämlicher, peinlicher Idiot! Du … gottverdammte …« Er verstummte und ballte die Fäuste, um sich für den nachfolgenden durchdringenden Schrei zu rüsten. »Riesenenttäuschung!« Er stieß gegen den Tisch zwischen uns, der mich krachend an den Knien traf. Ich kniff die Lippen zusammen und ignorierte den heftigen Schmerz mit noch immer ungerührter Miene.

Es war sehr verlockend, mich in mich selbst zurückzuziehen und erst wieder aufzutauchen, wenn die verbale Züchtigung vorbei war, aber ich zwang mich, die Sache erhobenen Hauptes durchzustehen. Mein Bruder und meine Schwester waren beide auf ihre überambitionierte Art perfekt, was mich zum bevorzugten Ziel der Beschwerden meiner Eltern machte.

»Gott sei Dank hast du nicht auch noch irgendwelche Bastarde gezeugt.« Dad blickte gen Himmel und bekreuzigte sich, als wäre Gott für meine geradezu besessene Verwendung von Kondomen verantwortlich. In letzter Zeit schenkte er mir aber auch für gar nichts mehr Anerkennung.

»Die Nacht ist noch jung«, erwiderte ich.

Er warf mir einen bösen Blick zu und zeigte mit einem Wurstfinger auf mich.

»Deine kleine Eskapade hat mich gerade sechs Millionen Dollar an Schweigegeld gekostet – und noch mehr, falls auch die anderen noch beschließen, dich anzuzeigen. Findest du das etwa lustig? Ich bin fertig mit dir.« Er stieß die Faust in die Luft und lief in dem kleinen Zimmer auf und ab. »Ich wäre gern fertig mit dir. Aber deine Mutter, Gott segne sie, hat eine Schwäche für dich. Vielleicht, weil du das mittlere Kind bist.«

Oder weil sie mich mit sechs Jahren in einem Internat in England abgegeben und dann, als ich rausgeschmissen wurde, um den ganzen Globus geschickt hat, ohne jemals darüber nachzudenken, ob sie mich vielleicht selbst großziehen könnte.

»Ich für mein Teil weiß genau, wie du bist, und ich habe Neuigkeiten für dich. Du kannst in Boston aufs College gehen, aber Harvard ist für dich vom Tisch. Du wirst Abendkurse belegen, wie es normale Menschen tun. Und du wirst ganz bestimmt nicht in meinem Haus wohnen.« Zur Bekräftigung zeigte sein Finger nun auf seine Brust.

Mein Vater war eins sechsundachtzig groß, etwas kleiner als ich, und sein Körper bestand aus dicken Fleischringen. Jahrelange Völlerei hatte seinen Körper weich und seine Persönlichkeit hart werden lassen. Weißes Haar fiel ihm in die Stirn, aber seine Brauen waren dunkel und buschig.

Meine Mutter hingegen war leicht und zierlich, sowohl von der Persönlichkeit als auch vom Aussehen her.

»Schluchz!« Ich verdrehte provokativ die Augen. Meine Ohren wurden rot, etwas, das ich hasste. »Ich hab gehört, in Boston soll’s die eine oder andere freie Wohnung geben. Ich gehe dir mit Freuden aus dem Weg.«

Was Harvard anging, glaubte ich sowieso nicht, dass ein Idiot wie ich dort überleben würde. Wahrscheinlich wäre ich nicht einmal in der Lage, die Unterrichtsräume zu finden, geschweige denn, den Stoff zu verstehen. Es war mir egal.

»Ach ja? Und mit welchem Geld gedenkst du diese Wohnung zu mieten?« Auf seiner Stirn schwoll eine Ader an. Ich sah deutlich, wie sie sich unter seiner Haut entlang schlängelte. »Mit meinem jedenfalls nicht, wie ich dir bedauerlicherweise mitteilen muss.«

Wortlos starrte ich ihn an und wartete auf die nächste Hiobsbotschaft.

»Du hast in deinem Leben bisher noch nie etwas vollbracht, Hunter.«

Falsch. Beinahe täglich hatte ich Bierkonsum und Orgasmen vollbracht. Aber sogar ich wusste, dass ich das lieber nicht erwähnen sollte.

»Du packst deine Sachen und verschwindest sofort von hier«, fuhr er fort. Er gab seine Anweisungen auf so kalte und routinierte Art, dass ich wusste: Schon bevor sein Privatflugzeug kalifornischen Boden berührte, hatte er beschlossen, was er mit mir machen würde.

»Worauf du Gift nehmen kannst.« Ich grinste.

»Und zwar, ohne dich von deinen Freunden zu verabschieden!«, blaffte er.

Ruckartig hob ich den Kopf. Beliebt zu sein war eine einsame Angelegenheit, aber ich mochte meine Freunde hier. »Es dauert nur eine Stunde.«

»Ist mir egal, selbst wenn es nur eine Minute dauert. Und dann«, fuhr er fort, und seine Stimme hallte von den Wänden wider, »besteht deine Aufgabe darin, mir sechs Monate lang zu beweisen, dass du nicht die Anhäufung von Geschlechtskrankheiten und falschen Entscheidungen bist, für die ich dich halte.«

»Du willst, dass ich einen Entzug mache?« Ich verschluckte mich an meinem Morgenbier.

»Nein. Ich habe mit deinem Onkel und deiner Tante gesprochen, und sie glauben nicht, dass dein Problem im Alkohol- oder Drogenmissbrauch liegt. Dein Problem sind mangelnde Leistungsbereitschaft und fehlende Zielstrebigkeit, Verantwortung zu übernehmen.«

Es war merkwürdig, von jemandem über meine Probleme aufgeklärt zu werden, der mich in den letzten fünfzehn Jahren etwa zweimal im Jahr für die Dauer von einer Woche oder weniger gesehen hatte.

»Was soll ich dann tun?«, hörte ich mich fragen.

Es gab da ein Spiel, das ich mit mir selbst spielte, weil ich in meinem Leben der Einzige war, auf den ich mich verlassen konnte. Ich hatte so oft den Wohnort und den Freundeskreis gewechselt, dass ich irgendetwas finden musste, woran ich mich festhalten konnte. Das Spiel bestand darin, jeden Tag einen Song zu finden, der meine Stimmung wiedergab. Heute war es definitiv Gimme Shelter von den Rolling Stones, denn ein Versteck hätte ich im Augenblick verdammt gut gebrauchen können.

»Du wirst für mich arbeiten und selbst für deinen Lebensunterhalt sorgen, während du das College besuchst, und du wirst in einem Appartement im Oval Building wohnen, wo meine Leute deinen Verbleib und deine Fortschritte kontrollieren können.«

Das Oval Building gehörte meiner Familie. Ein Hochhaus, das so elegant wie ein Lippenstift aussehen sollte, in Wahrheit aber an einen erigierten, beschnittenen Penis erinnerte. Ich hätte Dad gewarnt, wenn er mich in dieser Hinsicht jemals um Rat gebeten hätte.

Er beugte sich vor und sah mir ins Gesicht. Seine Finger spreizten sich auf dem abgenutzten Eichentisch zwischen uns. »Und du wirst abstinent wie ein Richter und keusch wie eine Nonne sein.«

Und zu Tode gelangweilt. Jepp, vielen Dank auch.

»Ein halbes Jahr lang? Du machst wohl Witze.« Ich stand auf und hob beide Hände. Ich stieß mit dem Kopf an die Zimmerdecke, aber das war mir egal. Genauso gut konnte er mich umbringen. Was war das Leben denn ohne Frauen und einen guten Drink? Nur eine Folge von Ereignissen, an denen niemand teilnehmen wollte, mehr nicht.

»Die Sache ist nicht verhandelbar.« Mein Vater versuchte, sich zu voller Höhe aufzurichten, scheiterte aber. Der niedrige Raum schien sekündlich kleiner und heißer zu werden. An meinen Schläfen bildeten sich Schweißperlen. Dad schwitzte in seinem Anzug wie ein Schwein.

»Daraus wird nichts.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.

»Dann kannst du dich schon mal von deinem Erbe verabschieden.« Er lächelte leichthin, holte ein Stück Papier aus der Brusttasche und hielt es mir vors Gesicht.

»Ich habe deine Reaktion vorhergesehen, und deine Mutter hat mir – natürlich nur aus Sorge um dich – großzügigerweise erlaubt, dich aus unserem Testament zu entfernen angesichts der Tatsache, dass du nur wenig Interesse daran zeigst, dich dem Familiengeschäft der Fitzpatricks zu widmen und seine Werte zu ehren.«

Ich riss ihm das Papier aus den Fingern und entfaltete es mit zitternden Händen. Der Scheißkerl meinte es ernst. Das Blatt trug den Stempel der Anwaltskanzlei, mit der er zusammenarbeitete und so. Das noch nicht unterschriebene zerknitterte Blatt Papier besagte, dass ich nicht einen Penny des Fitzpatrick-Vermögens erben würde, es sei denn, ich erfüllte die sechsmonatige Vereinbarung zur vollsten Zufriedenheit meines Vaters.

Erneut blickte ich auf, und ich spürte, wie sich etwas Heißes, Unangenehmes in meiner Brust ausbreitete.

»Das kannst du nicht machen«, fauchte ich.

»Was denn, dich vor dir selbst retten? Genau das tue ich gerade«, verkündete er und breitete die Arme aus. »Akzeptiere meine Bedingungen, und du kannst mein halbes Königreich haben, Hunter. Enttäusche mich, deine Mutter und dich selbst weiterhin, und es gibt keinen Platz mehr für dich in unserer Familie.«

Den hatte ich noch nie. Genau darum bedeutete mir das Geld so viel, und ich würde nicht zulassen, dass er mir das auch noch nahm.

»Na super«, stieß ich hervor. »Wie auch immer. Steck mich in dein schwanzförmiges Gebäude. Ich werde keine Probleme machen und ein halbes Jahr lang weder vögeln noch trinken.«

»Natürlich wirst du das nicht«, sagte mein Vater, nahm mir das Papier wieder ab und faltete es sorgfältig zusammen, ehe er es zurück in seine Brusttasche steckte. »Weil du nämlich einen Mitbewohner haben wirst, um sicherzugehen, dass du dich benimmst. Das ist doch wohl klar.«

Ich warf den Kopf zurück und lachte bitter. »Ich teile mir keine Wohnung mit Cillian. Wahrscheinlich veranstaltet er täglich satanistische Rituale mit Welpenblut und Kindertränen.«

Mein Bruder entsprach exakt der Definition eines Arschlochs. Er hatte dieses selbstgefällige Wunderkind-Gehabe, das mich dazu gebracht hatte, ständig nichts anderes als den Familienclown zu spielen. Der Versuch, mit seinen akademischen und karrieremäßigen Errungenschaften konkurrieren zu wollen, kam mir sinnlos vor. Er war das goldene Kind, das große Versprechen, der unbarmherzige Herrscher, zu dem alle aufblickten.

Dad schüttelte den Kopf. »Also bitte, als ob sich mo órga dazu herablassen würde, mit dir unter einem Dach zu leben.« Mo órga bedeutete wörtlich übersetzt »goldenes Kind«, es war Gälisch.

Sehr subtil, Pops.

»Mein Fehler. Ich habe ganz vergessen, dass er nach einem langen Tag ja seine menschliche Verkleidung ablegen und sich entspannen muss. Wer ist es dann?«

»Nun, diese Person muss erst noch kontaktiert werden. Du wirst sie überzeugen müssen, dem Plan zuzustimmen. Wenn sie Nein sagt, ist er hinfällig. Aber deine Mutter und ich haben die perfekte Kandidatin gefunden.«

Kandidatin. Er hatte Kandidatin gesagt. Das bedeutete, dass es eine Frau war. Es bedeutete auch, dass ich sie hinter seinem Rücken ins Bett kriegen konnte. Egal, wie alt sie war und wie sie aussah, wenn es bedeutete, dass ich meinen Schwanz in etwas anderes als meine Hand stecken konnte, würde ich es tun.

»Wer ist es?«, stieß ich hervor. Ich wusste, dass er das Gespräch und die Tatsache genoss, mich in der Hand zu haben.

»Sailor Brennan.«

Ja nee, schon klar, vielen Dank auch. Die würde ich nicht mal mit einer isolierten Kohlenzange anfassen.

Warum nicht? Ich werd’s euch aufzählen:

Sailor war ein Gutmensch. Eine geradlinige Überfliegerin, ein langweiliges braves Mädchen.Sie war ziemlich burschikos und möglicherweise lesbisch (nicht, dass ich damit Probleme hätte). Außerdem war sie Bogenschützin (womit ich durchaus ein Problem hatte, weil es bedeutete, dass sie mich problemlos töten konnte).Sie war Troy Brennans Tochter, und Troy Brennan war jemand, den man sich nicht zum Feind machen wollte. Er war der Mittelsmann zur Bostoner Unterwelt, der Kerl, den die bessere Gesellschaft der Stadt benutzte, um die Drecksarbeit erledigen zu lassen.Die wenigen Male, die ich sie getroffen hatte, schien sie meinem Charme gegenüber ärgerlicherweise immun zu sein. (Wie gesagt, sie war lesbisch.)

»Ziemlich abgedreht, findest du nicht auch?« Ich heuchelte Langeweile, tatsächlich brannte ich jedoch darauf, mich in die südliche Hemisphäre zu verdrücken und mich der Verurteilung zu entziehen.

»Lieber ein abgedrehter Plan als dein Penis in irgendwelchen Löchern, in die er nicht hineingehört«, sagte mein Vater trocken, holte ein grünes Taschentuch heraus und wischte sich die schwitzigen Hände damit ab.

»Ein halbes Jahr mit einer völlig Fremden zusammenleben und Vater-Mutter-Kind spielen – das ist ein bisschen unorthodox. Bei nüchterner Betrachtung könnte man es sogar als mittelalterlich ansehen.«

»Du bist gerade dabei erwischt worden, wie du mit fünf jungen Frauen Sex auf den antiken italienischen Möbeln deines Freundes hattest – für die wir, nebenbei bemerkt, noch bezahlen müssen und wofür dir etwas von deinem Gehalt abgezogen werden wird. Vom Bereich des Orthodoxen bist du viel zu weit entfernt, als dass du dir Sorgen um deinen Ruf machen müsstest.«

»Und was ist mit Sailors Ruf?«

»Sie hat keinen – ein unbeschriebenes Blatt. Und da Troy Brennan ihr Vater ist, wird niemand so verrückt sein, schlecht über sie zu reden.«

Er will, dass ich mit einem Mädchen zusammenwohne, dessen Vater ein kaltblütiger Mörder ist. Ich. Mit meiner großen Klappe.

»Und was lässt dich glauben, dass Sailor dem zustimmen wird?« Ich musterte ihn aus schmalen Augen.

Ich war Sailor Brennan vielleicht drei- oder viermal in meinem Leben begegnet. Ihre Eltern besaßen Restaurants in ganz Boston. Ihre Mutter war Chefköchin und hatte zuvor einige Zeit für ein paar Veranstaltungen meiner Mutter gekocht. Sailor hatte die ganze Zeit entweder mit ihrem Handy herumgespielt oder meiner Schwester seltsame Blicke zugeworfen (noch ein Indiz für die Lesben-Theorie).

Ich konnte mich kaum an das Mädel erinnern. Woran ich mich erinnern konnte, waren rote Haare, die ungefähr so weich aussahen wie Blasen an den Füßen, mehr Sommersprossen als Gesicht und der Körper eines unterernährten fünfjährigen Jungen.

»Ich habe meine Gründe, aber es wird einige Überzeugungskraft brauchen.«

»Und wie wird das deiner Meinung nach ablaufen? Ich gehe einfach zu ihr und sage, jepp, lass uns zusammenziehen?«

Ich wollte nicht mein Erbe verlieren, nur weil ich das Sozialleben des gesamten Kardashian-Klans führte. Mit einer Streberin zusammenzuwohnen und ein halbes Jahr Zölibat würden mich schon nicht umbringen.

Okay, wahrscheinlich.

Ehrlich gesagt blieb das abzuwarten.

»Tu einfach, was Sailor deiner Meinung nach dazu bringen wird, Ja zu sagen.« Dad zuckte mit den Achseln. »Ich gebe dir den Haken, aber angeln musst du selbst. Nicht Syllie – dem ich, nebenbei bemerkt, verboten habe, dir noch einmal zu helfen. Kein Herumgammeln mehr. Wenn du etwas willst, musst du dich darum bemühen. Sailor zum Kooperieren zu bringen ist deine Aufgabe. Du bist jetzt auf dich selbst gestellt, Hunter. Wenn du es in den nächsten sechs Monaten nicht schaffst, mir zu zeigen, dass du der Mann bist, den ich haben will, bist du raus. Und Sailor ist genau die Sorte Mensch, die dich im Zaum halten kann.«

3. KAPITEL

Sailor

Lieber Gott,

ich weiß, dass ich nur gelegentlich mit dir rede und dich hauptsächlich um Gefallen bitte, aber ich schwöre, es ist das letzte Mal.

Na gut, es ist wahrscheinlich nicht das letzte Mal, aber hör mir trotzdem zu, okay?

Bitte gib mir ein Zeichen, das mein Traum von Olympia nicht zerplatzt ist.

Lass es regnen.

Lass eine Taube auf mich scheißen.

Irgendwas.

Dies ist das Einzige, was mir wichtig ist. Das Einzige, was ich wirklich will.

Deine

Sailor Brennan

(P. S. Ich habe für die Fastenzeit Schokolade und Knabberzeug völlig aufgegeben, wenn du mich also überprüfst und das Sündenregister meiner Familie siehst, hauptsächlich das meines Vaters und meines Bruders, denk bitte dran, dass ich cool bin, okay? P. P. S.: Ich bete auch für sie.)

Ich zog eine unsichtbare Linie zwischen mir und der Zielscheibe. Der strahlende Sonnenschein ließ mich blinzeln und meine Stirn war schweißbedeckt. Ich hielt Pfeil und Sehne mit drei Fingern und richtete den Bogen auf das Ziel aus, hielt den inneren Ellenbogen parallel zum Boden. Ich glaubte zu spüren, wie sich meine Pupillen vor Konzentration weiteten, und ein erregendes Prickeln lief mir das Rückgrat hinunter. Ich schoss den Pfeil ab, beobachtete, wie er sich in der Luft drehte und das Schwarze nur um Millimeter verfehlte.

Ich senkte den Bogen und wischte mir über die Stirn.

»Sailor«, sagte Junsu, mein Trainer, kurz angebunden. Er tauchte aus dem schattigen Besucherbereich des Bogenplatzes auf, die Hände auf dem Rücken verschränkt. »Du hast Besuch.«

Ich löste die Armschiene und den ledernen Fingerschutz und warf sie in die geöffnete Sporttasche hinter mir.

»Besuch?« Ich nahm eine Flasche Wasser von dem Plastikstuhl und drückte mir ihren Inhalt in den Mund. »Wer sollte mich denn besuchen?«

Die Frage war nicht so mitleiderregend gemeint, wie sie herauskam. Eine Menge Leute konnten mich besuchen. Meine Eltern zum Beispiel. Mom gab oft Essen für mich an der Rezeption ab, weil sie wusste, dass ich häufig vergesse, etwas zu mir zu nehmen. Außerdem hatte ich Freundinnen – als da wären Persephone (Persy) und Emmabelle (Belle) Penrose. Die beiden verschwendeten eine Menge Zeit damit, mich zu gesellschaftlichen Ereignissen zu schleppen, an denen ich nicht teilnehmen wollte. Aber jeder wusste, dass ich nicht scharf auf Besuch war, wenn ich trainierte. Ungeachtet der Tatsache, dass ich immer trainierte.

»Ein Junge.« Beim letzten Wort verzog Junsu den Mund missbilligend. Sein koreanischer Akzent mit einem unerklärlichen britischen Einschlag klang vorwurfsvoll. »Ein großer blonder Junge.«

Junsu war klein und sehnig und sah nicht älter als dreißig aus, obwohl er zweifellos auf die fünfzig zuging, wenn man bedachte, dass seine besten Zeiten bei den Olympischen Spielen dreißig Jahre zurücklagen. Sein Haar war pechschwarz, seine gebräunte Haut faltenfrei. Er trug eng anliegende schlichte Kleidung aus teuren Stoffen. Sie sah immer sorgfältig gebügelt aus.

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.« Ich schüttelte meine langen roten Locken à la Merida DunBroch.

Ich nahm meine Sporttasche, hängte mir den Bogen über die Schulter und machte mich auf den Weg von der Anlage zurück zum Bogensportverein. Junsu musste sich verhört haben. Der Typ suchte wahrscheinlich nach jemand anderem.

»Kann ich morgen eine halbe Stunde früher kommen, damit du mir hilfst, meinen Bogen instand zu setzen? Ich glaube, ich brauche eine neue Sehne.«

Junsu nickte, seine Miene war noch immer besorgt. »Dieser Junge«, brachte er heraus und strich sich nachdenklich über das Kinn, »ist er – wie sagt man? – dein Boy…friend?«

Er legte eine Pause zwischen die Worte Boy und Friend, obwohl er genau wusste, wie die Antwort lautete. Ich hatte das College (und das Leben im Allgemeinen) zurückgestellt, um mich ausschließlich auf das Bogenschießen zu konzentrieren. Genauer gesagt auf die Olympischen Spiele, die im nächsten Jahr stattfinden würden. Jungs waren vorerst tabu. Die Chance, an Olympischen Spielen teilzunehmen, bekam man nur ein oder zwei Mal im Leben.

Das College konnte warten. Ich konnte mich im Jahr darauf einschreiben, sobald ich meine Goldmedaille gewonnen hatte.

Jungen? Die waren derart vollständig von meinem Radar verschwunden, dass ich mich fragte, ob ich besagten Radar überhaupt besaß.

Ich hatte das Vergnügen gehabt, mit zwei Männern aufzuwachsen, starken Männern, die mir alles beigebracht hatten, was ich über dieses Geschlecht wissen musste: Sie waren wild, gewalttätig und absolute Zeitverschwendung. Für so etwas war in meinem Leben kein Platz.

»Ich weiß nicht, von wem du sprichst, Junsu.« Ich atmete durch, als wir den schmalen Korridor des Bogensportvereins entlangliefen. Er war voller Bilder von ehemaligen und noch aktiven Bogenschützen, die dem Verein Ruhm und Medaillen eingebracht hatten. Ich atmete den süchtig machenden Duft nach Schweiß, Lederzeug und Magnesium ein. »Aber wer auch immer es ist, er bedeutet mir nichts.« Ich blieb stehen und kratzte mir eine Stelle über einer Braue, während ich nach einer sinnvollen Erklärung suchte. »Vielleicht ist es Dorian Sanchez. Er ist mit mir zur Highschool gegangen und hat mich gebeten, meine Mutter nach einem Job für ihn zu fragen.«

Dorian war blond und einigermaßen groß, außer mir der Einzige in meiner Klasse, der sich keinen Platz an einem guten College gesichert hatte. Er hatte sich im Abschlussjahr einen Foodtruck gekauft, ihn aber noch vor dem Abschluss weiterverkauft, deshalb wusste ich, dass er Geld brauchte.

Jepp. Bestimmt war es Dorian.

»Na schön …« Junsu deutete mit der Hand auf die Eingangstür. »Der Junge lungert dort draußen herum. Ich würde es sehr begrüßen, wenn er das kein weiteres Mal täte. Wir sind hier nicht bei Tinder.« Das letzte Wort spie er förmlich aus.

Ich biss mir auf die Unterlippe, um ein Kichern zu unterdrücken, und nickte mit ernster Miene. »Ich werde meine Liebhaber in Zukunft direkt zu mir nach Hause einladen.«

»Nicht witzig«, sagte er todernst, und seine Augen weiteten sich.

»Doch.« Ich lief rasch auf den Ausgang zu und blieb kurz stehen, um meinem olympischen Trainer zuzublinzeln. »Weil wir beide wissen, dass das völliger Bull…«

»Nicht fluchen!« Er drohte mir mit dem Zeigefinger. »Tut die rechte Schulter noch weh?«

»Ja«, sagte ich achselzuckend. »Ehrlich gesagt, bringt sie mich fast um.«

Meine rechte Schulter hatte mich seit Wochen genervt, aber jedes Mal, wenn ich bei meinem Physio war, tat ich so, als wäre alles okay, damit er mich trainieren ließ. Junsu war sehr streng, wenn es um verpasste Trainingseinheiten ging, und wenn ich mich beklagte, warf er mir nur seinen Ein-Indianer-kennt-keinen-Schmerz-Blick zu.

Mein Trainer nickte. »Das ist normal. Bis morgen, Sailor.«

»Bis morgen.«

Ich begab mich zum Parkplatz, steuerte auf meinen praktischen weißen Golf GTI zu. Boston war im Sommer unerträglich heiß und die dunklen Gebäude im Kolonialstil oder Federal Style waren nur wenige Grad von dem Punkt entfernt, an dem sie einfach schmelzen würden. Der Bogensportverein lag in einer ruhigen Seitenstraße im West End, so weit vom Appartement meiner Eltern in der Innenstadt entfernt, dass ich beim Pendeln jeden Tag über fünfzig Minuten pro Strecke brauchte.

Ich verstaute meine Ausrüstung im Kofferraum und steckte mir die Kopfhörer in die Ohren. Ich summte gerade Kill and Run von Sia mit, als mir jemand auf die Schulter klopfte.

Obwohl Junsu mich informiert hatte, drehte ich mich überrascht um und blickte in ein mir unbekanntes Gesicht.

Ein atemberaubendes, geradezu umwerfendes Gesicht, um genau zu sein.

Definitiv nicht Dorian Sanchez.

»Sailor Brennan?«, fragte der Mann – kein Junge – mit ausdrucksloser Stimme. Er musterte mich von Kopf bis Fuß, als wäre ich ein Callgirl, dem er gerade die Tür geöffnet, dann aber festgestellt hatte, dass sie seinen Ansprüchen nicht genügte.

Ich spürte, wie mein Körper in Verteidigungshaltung ging, und schüttelte den Kopf, um mich von dem merkwürdigen Bann zu befreien, mit dem sein Blick mich belegt hatte.

»Ja.« Ich zog leicht den Kopf zurück, um mehr von ihm zu sehen, und auch, weil ich nicht wusste, ob ich ihm vielleicht einen Kopfstoß verpassen musste. Schließlich war der Kerl ein völlig Fremder. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Ich bin Hunter Fitzpatrick.« Er deutete auf sich selbst. Sein Lächeln war perfekt, ein routinierter Halbmond mit exakt dem richtigen Verhältnis zwischen Zähnen und Grübchen.

Ich blinzelte ihn an und wartete auf weitere Erklärungen. »Und …?« Ich runzelte die Stirn, als mir klar wurde, dass diese Feststellung gleichzeitig als eine Art Erklärung gedacht war.

Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, aber gleich darauf wirkten seine Gesichtszüge wieder entspannt. Er räusperte sich.

»Können wir irgendwo miteinander reden?«

»Wir reden gerade irgendwo miteinander.« Ich nahm die AirPods heraus und steckte sie in meine Brusttasche. »Genau hier. Und ich fürchte, wenn Sie mir nicht sagen, worum es geht, werde ich mich wohl einfach umdrehen, in mein Auto steigen und wegfahren müssen.«

»Und ich fürchte, dass ich dir den Weg versperren muss, wenn du das versuchst.« Er fuhr sich mit den Fingern durch die Locken. Jedes einzelne seiner goldblonden Haare schien der Bewegung nachzugeben wie einem Windstoß, der durch ein Weizenfeld weht.

Verwöhntes Blag. Ich starrte ihn mit einer Mischung aus Ärger und Verwirrung an.

»Nun«, sagte ich zögerlich, »ich fürchte, dann muss ich Sie überfahren. Also ersparen wir Ihnen den Besuch im Krankenhaus und mir die Unannehmlichkeiten. Können Sie mir sagen, warum Sie hier sind? Sie bringen mich nämlich in Schwierigkeiten.«

»Äh … was?«

»Mein Trainer dachte, Sie wären mein Liebhaber oder so was.«

»OMG, wie kommt er denn darauf?« Er stieß ein anzügliches Lachen aus, und er hatte Oh mein Gott tatsächlich abgekürzt. Dann warf er noch einen Blick auf meine nicht vorhandenen Brüste.

Ich trug ein bequemes langärmeliges Shirt und Yoga Pants, dazu ein altes Paar Sneakers, die ich schon drei Jahre zuvor hätte entsorgen sollen. Obwohl ich mein Bestes tat, um es zu verhindern, spürte ich, dass seine Ablehnung mich erröten ließ. Ich wusste, wie ich aussah, und dass ich keine perfekte Zehn war. Ich war mager und hatte wirres rotes Haar, das mir bis zum Hintern reichte, und meine Haut war an jeder Stelle, die die Sonne erreichte, mit Sommersprossen übersät. Auf einer Skala von eins bis zehn war ich – großzügig betrachtet – eine Sechs. Hunter hingegen war eine perfekte Million.

»Ich wollte dir einen Vorschlag machen.« Er setzte sich mit einer Pobacke auf den geöffneten Kofferraum meines Wagens.

Alles an ihm wirkte lässig und leicht gelangweilt. Er war das Gegenteil meines Bruders und meines Dads. Er war selbstverliebt und sich seines guten Aussehens überaus bewusst. Ich fand es abstoßend.

Nicht, dass es mich anfangs angezogen hätte.

»Worum geht’s?«, fragte ich und trat von einem Fuß auf den anderen. Allmählich verlor ich die Nerven. Jungs redeten nicht mit mir und wenn doch, sahen sie nicht so aus wie der da.

»Um uns.«

»Wie Sie bereits sagten, gibt es kein Uns. Und ich würde diese Aussage gern unterstreichen.« Ich schlug die Kofferraumklappe zu und ging um mein Auto herum. Er folgte mir auf dem Fuß, seine Bewegungen waren so geschmeidig wie die eines Tigers, besonders für einen Kerl seiner Größe. Er war sehr groß, sehr schlank und – das war das Ärgerlichste von allem – er roch verdammt gut. Eine Mischung aus sauberer Wäsche, Zimt und versautem Kerl.

»Hey, immer mit der Ruhe. Hast du wirklich keine Ahnung, wer ich bin?« Als ich die Fahrertür öffnete, fasste er mich bei der Schulter, um mich am Einsteigen zu hindern.

Mit hochgezogener Braue blickte ich auf seine Hand. Er ließ mich sofort los.

»Nicht anfassen«, sagte ich.

»Okay. Also? Keine Ahnung?« Er blickte mir forschend ins Gesicht, die Augenbrauen auf einer Linie mit seinem Haaransatz.

Ich schüttelte den Kopf. »Absolut nicht. Richte deinem Ego aus, dass es mir leidtut.«

»H-u-n-t-e-r F-i-t-z-p-a-t-r-i-c-k«, sagte er gedehnt, als wäre ich eine Erstklässlerin, die das Buchstabieren übt. »Du weißt schon, von Royal Pipelines.«

»Wenn das eine sexuelle Anspielung ist, muss ich dir leider in die Eier treten«, sagte ich in sachlichem Ton. Tatsächlich war ich nicht halb so gelassen, wie ich vorgab. Seine bloße Anwesenheit löste etwas tief in meinem Bauch aus, und mir war schlecht vor Aufregung.

»Behandle mich nicht wie ein Objekt, Mädchen.« Er holte ein VLTN-Beanie aus der Gesäßtasche seiner Designerjeans, setzte es auf und zog es sich schmollend über die Augen.

Das Ding kostete vierhundert Dollar. Ich wusste das, weil ich Belle so etwas Ähnliches zum Geburtstag geschenkt hatte. Allerdings war das ein Gemeinschaftsgeschenk, an dem sich auch ihre Eltern, ihre Schwester und ihre Cousine beteiligt hatten. Wer zum Teufel war dieser Kerl?

»Ich stamme aus der viertreichsten Familie des Landes.« Er schmollte noch immer und spähte jetzt unter dem Rand des Beanies hervor. Er sah lächerlich aus, aber auch hinreißend kindlich.

»Schön für dich. Gibt es noch mehr bedeutungslose Details aus deinem Leben, die du unbedingt mitteilen möchtest, bevor ich verschwinde? Lieblingsfarbe? In welchem Alter du deinen ersten Milchzahn verloren hast? Hm?«

Aber nachdem er seinen Namen wiederholt hatte, fiel bei mir der Groschen, und ich verstand, warum er überrascht war, dass ich ihn nicht erkannt hatte – hauptsächlich, weil ihn jeder andere in dieser Stadt erkannt hätte.

Hunter Fitzpatrick war unfairerweise, unbestreitbar, unwiderlegbar umwerfend. Geradezu erschreckend. Ich lehnte ihn schon deshalb ab, weil derart gut aussehende Männer einfach nicht vertrauenswürdig sind.

Wobei ich hinzufügen möchte, dass Männer generell nicht vertrauenswürdig sind. Die Hübschen waren allerdings besonders gemein. Diese Lektion hatte ich auf der Highschool gelernt, obwohl sie nicht auf dem Lehrplan stand.

Gerüchteweise hieß es in Boston, dass Hunters Eltern ihn vier Jahre zuvor, nachdem er von einer englischen Schule geflogen war, nach Todos Santos in Kalifornien zu bibelfesten Verwandten geschickt hatten. In der Hoffnung, dass sein Onkel und seine Tante ihm Manieren beibringen oder ihn wenigstens aus der Ostküsten-Presse heraushalten würden. Die verfolgte die Fitzpatricks und Hunter nämlich besonders hartnäckig, weil sie wussten, dass er die bemerkenswerte Fähigkeit hatte, sich wie ein Idiot zu benehmen. Tatsächlich konnte ich mich an eine bestimmte Schlagzeile erinnern, die ihn als »Der Große Gipser« bezeichnete, weil eine seiner Pool-Partys drüben im Westen damit endete, dass sich zwei Leute bei dem Versuch, vom Dach in den Pool zu springen, die Knochen brachen.

Selbst von Kalifornien aus hatte es der fehlgeleitete Fitzpatrick in die hiesigen Schlagzeilen geschafft. Der Gerüchteküche zufolge lagen seine sexuellen Eroberungen mittlerweile im dreistelligen Bereich, und falls jedes Mal, wenn er eine Affäre hatte, ein Engel seine Flügel bekäme, wäre der Himmel derart überbevölkert, dass sie anfangen müssten, in der Hölle neue Bereiche für den Nachwuchs anzubauen.