Boulder Lovestories - Amazing Grace - Mila Brenner - E-Book

Boulder Lovestories - Amazing Grace E-Book

Mila Brenner

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn die heile Welt plötzlich Risse bekommt - Eine mitfühlende Geschichte über den Kampf zwischen Herz und Verstand. Grace Valmont ist 30 Jahre, glücklich verheiratet und wohnt mit ihrem Mann Alec und den zwei Kindern in einem Reihenhaus in der 13th Street in der idyllischen Kleinstadt Boulder. Für ihr Leben gern ist Grace Streifenpolizistin, und als die Beförderung zum Commander ansteht, erfüllt sich für sie ein langersehnter Traum, für den sie hart gearbeitet hat. Bei dem Versuch allem gerecht zu werden, stößt sie jedoch an ihre Grenzen. Es bleibt keine Zeit mehr für die Kinder und ihr Mann kommt scheinbar doch nicht so gut damit klar, dass sie seine neue Chefin ist. Während es zwischen ihr und Alec immer öfter krieselt, ereilen Grace Zweifel. Mutet sie ihrer Ehe zu viel zu? Als Alec dann auch noch nach einem heftigen Streit seine Sachen packt und geht, bricht ihre perfekte Welt völlig zusammen. Ist die Beziehung der beiden am Ende, oder können sie wieder zueinander finden? feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Erotik: 1, Humor: 0, Gefühl: 3 »Amazing Grace - Boulder Lovestories« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 480

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mila Brenner

Boulder Lovestories: Amazing Grace

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

ÜberraschungHaifisch-MamaPartnerCharly RichmondOrganisiertes ChaosImmer noch verliebtArbeitsalltagKein Feriencamp in MexicoEingeständnisseWarnungenDie LiebeKicker-RomantikGerade rechtzeitigSchildkrötenfamilieKochclub-TreffenGemeinsam sauerAn zwei FrontenVerbrannte HamburgerUnsicherheitBilderbuch-EheWir sind okayZu spätIch hab dich liebZerstörtes GlückJosie McWer?Ins Paradies geplumpstEin bittersüßer AbschiedÜberfälligProblemlösungenPferdezauberGemeinsam schweigenCountry-GlückDanksagungAlle Teile der zauberhaften Boulder Lovestories
[home]

Überraschung

Ist dir klar, dass das unsere erste Verabredung seit Monaten ist, Alec?«

Mein Mann erwiderte nichts. Ich blickte über die Schulter, während ich meine Ohrringe feststeckte. »Freust du dich gar nicht?«

Alec nickte und sah mich dabei nicht an. Er gab sich sogar Mühe, meinem Blick auszuweichen. Ich seufzte. »Du freust dich nicht.«

»Grace, bitte. Wir gehen zu einer schnöseligen Party, die von allen wichtigen Vorgesetzten besucht wird. Du weißt, wie sehr ich solche Veranstaltungen mag.«

Das wusste ich. Aber ich hatte trotzdem gehofft, dass der Anlass der Feier etwas an seiner Meinung änderte.

»Natürlich«, erwiderte ich enttäuscht.

»Grace.« Er seufzte und sah mich endlich an. »Ich habe es nicht so gemeint.« Alec kam auf mich zu und zog mich in seine Arme. Ich ließ es widerwillig geschehen. Sein Desinteresse verunsicherte mich, was mich wiederum verärgerte.

»Wenn du dir nicht sicher bist, oder wenn ich die Position ablehnen soll, dann musst du es mir sagen, Alec.«

»Ich bin mir sicher. Das ist eine tolle Chance, die sie dir geben, und du hast die Beförderung verdient. Ohne dich läuft bei uns doch nichts. Marcus würde seine Berichte nie pünktlich abgeben, Paquin würde sich mit jeder Kleinigkeit aufhalten, Brown käme nie hinter seinem Schreibtisch hervor, und na ja …« Er sah mich mit gehobenem rechtem Mundwinkel an. Diesem schiefen Grinsen, das ich so sehr an ihm liebte. Mein Ärger schmolz dahin und brachte auch meine Zweifel zum Verschwinden.

»Du weißt schon, was ich sagen will. Niemand verdient die Stelle mehr als du.«

»Und es ist ein Erfolg für alle Frauen in diesem Beruf«, fügte ich an.

Alecs Grinsen wurde eine Spur breiter. Er schnaubte leise, sodass es wie ein halbes Lachen klang. »Sicher. Das auch. Das darfst du auf keinen Fall bei deiner Rede heute Abend vergessen.«

»Ach«, ich rollte mit den Augen. »Erinnere mich bloß nicht daran. Das ist der Teil, der mir an diesem Abend nicht gefallen wird. Diese blöden Reden vor all den Leuten. Als würde es irgendjemanden interessieren, was ich da sage. Findest du es nicht auch völlig idiotisch, dass ich mich bei Leuten für eine Beförderung bedanke, die mich nicht mal persönlich kennen?«

»Na ja, du kannst es mit dem Bedanken ja knapp halten und ihnen stattdessen all deine Ideen für Veränderungen in unserem Department erklären. Ich bin sicher, sie merken es nicht mal.«

Ich lachte auf Alecs Worte, und er zog mich noch etwas fester an sich. »Ich dagegen werde bei jedem Wort an deinen Lippen hängen.«

»Bei jedem Wort also?«, fragte ich nach und sah ihm tief in die Augen.

»Bei jedem Wort, Grace.«

Dann küsste er mich. Fest, bestimmt und so lang, dass uns erst ein Räuspern in die Wirklichkeit zurückholte.

»Ich will euch nicht drängen, Kinder. Aber das Taxi wartet schon unten.«

Ich sah zu meiner Schwiegermutter und warf einen Blick auf meine Armbanduhr. »Oh mein Gott, es ist ja schon sieben. Verdammt!«

Claire lachte. »Du siehst hinreißend aus, Grace. Nicht wahr, Alec?«

Alec nickte und zog sich sein Sakko an. »Ich gehe schon mal nach unten. Hast du alles?«

»Ja, ich bin sofort da.«

Ich deutete auf die Kette, die ich noch umlegen wollte.

»Lass mich dir helfen.« Claire kam zu mir, und ich drehte mich folgsam um.

»Schläft Mary schon?«, fragte ich.

»Ja, die kleine Maus ist fest eingeschlafen.«

»Und Phil?«

»Er liest noch ein bisschen. Ich habe ihm gesagt, dass in einer halben Stunde das Licht ausgemacht wird.«

»Sei nicht zu streng. Es ist okay, wenn er bis acht aufbleibt.«

»Grace.« Claire sah mich an. »Morgen ist Montag. Er hat Schule.«

Ich lachte. »Was du nicht sagst.«

Claire hob eine Augenbraue. »Du bist zu nachsichtig mit Phileas.«

»Er ist neun Jahre alt!«

»Und er hat morgen Schule«, beharrte Claire ruhig. Ich seufzte und gab schließlich nach.

»Na gut, meinetwegen. Mach, was du für richtig hältst.«

»Grace!«, rief mich Alec, und ich lächelte Claire an, bevor ich ihr einen Kuss auf die Wange gab.

»Ich muss los. Danke, dass du auf die Kinder aufpasst.«

»Dafür nicht, meine Liebe. Habt Spaß heute Abend.«

»Den werden wir haben.«

Das hoffte ich jedenfalls. Ich eilte so schnell die Treppe hinunter, wie es mein silbernes, eng sitzendes und bis zu den Knöcheln reichendes Abendkleid zuließ. Im Flur half mir Alec in meinen Mantel. Ich nahm meine Handtasche entgegen, hakte mich bei ihm unter, und gemeinsam gingen wir nach draußen, wo ein Taxi auf uns wartete.

Die Fahrt bis zur Festhalle, in der die Feier stattfand, dauerte nicht lang. Alec und ich unterhielten uns, wie es für Eltern typisch ist, über die Kinder und die verschiedenen Dinge, die diese Woche anstanden. Vornehmlich ging es darum, unsere Termine so zu organisieren, dass sie in unseren Arbeitsplan passten. Da wir beide als Polizisten im Schichtsystem arbeiteten, hatten wir einen gewissen Spielraum, aber wir waren dennoch viel beschäftigt. Wir gingen gerade durch, wer von uns Phil und Mary zu ihrem Impftermin am Freitag fahren würde, als das Taxi hielt.

»Können wir uns jetzt diesem schnöseligen Abend widmen? Ohne Arzttermine, Einsatzpläne und andere alltägliche Dinge?«

Ich lächelte Alec an.

»Das hier ist dein Abend, Grace. Du darfst heute mal nur an dich denken.«

»Mach ich das nicht ständig?«

Alec lachte auf seine schnaubende Art und schüttelte den Kopf. »Komm jetzt.«

Er stand auf, und ich wartete, bis er mir die Tür öffnete. Als er mir seine Hand reichte, blickte er mir amüsiert in die Augen. »Bist du bereit, Commander Valmont?«

»An diesen schrecklichen Titel muss ich mich erst noch gewöhnen.«

»Er ist nicht so umwerfend wie die Frau, die ihn trägt, aber es klingt wichtig.«

»Extrem wichtig, oder?«

»Extrem wichtig.«

Ich lachte und nahm Alecs Hand. »Bringen wir es hinter uns.«

Gemeinsam gingen wir die Stufen hoch, die zur Festhalle führten. Drinnen wurden wir bereits von unseren Vorgesetzten und Kollegen erwartet. Klassisch, wie es sich gehörte, kam ich als die Person, um die es am heutigen Abend ging, natürlich als Letzte. Doch niemand sagte etwas.

Es gab Champagner zur Begrüßung, und ich fühlte mich nach dem ersten Glas des prickelnden Getränks wesentlich besser als noch Sekunden zuvor. Selbst der Hinweis des Polizeichefs, der extra gekommen war, konnte mich nicht mehr schocken.

»Nach diesem Abend und mit dieser neuen Aufgabe ändert sich für Sie alles, Mrs. Valmont. Ich bin wirklich sehr stolz auf Sie.«

Ich wusste, dass der Nachsatz nur eine Floskel war. Mr. Hammond kannte mich kaum. Er war die meiste Zeit in Denver und kam nur selten nach Boulder, um nach dem Rechten zu sehen. Als Karl Flemming Anfang des Jahres in den vorzeitigen Ruhestand gegangen war, musste die Position des Commanders neu besetzt werden. Irgendwer musste den Officers aus der Watch Patrol I als Vorgesetzter vorstehen. Irgendwer musste die Dienstpläne organisieren, die Fälle verteilen und dafür sorgen, dass alles seine Ordnung hatte.

Dass die Wahl dabei auf mich gefallen war, hatte mich überrascht. Ich war nicht nur die einzige Frau in unserer Truppe, sondern ich hatte zwei Kinder und arbeitete momentan nur in Teilzeit. Normalerweise schloss das jede Beförderung aus. Andererseits galt ich unter den Kollegen als fähiger, engagierter und extrem gut organisierter Cop. Und ich war ein Teamspieler. Es gab keinen Kollegen, der mit mir nicht zurechtkam. Vielleicht hatte Hector mich deswegen ausgesucht.

Hector Garcia war der zuständige Abteilungsleiter in Boulder. Er kümmerte sich um die Finanzen, das Personal, das Training und die Kommunikation mit anderen Behörden. Meine Beförderung verdankte ich ihm, da war ich mir sicher.

Hector und ich kannten uns schon lange vor meinem Eintritt in die hiesige Polizei. Er war Anfang vierzig und hatte schon zusammen mit meinem Vater gearbeitet. Das war, bevor meine Eltern sich getrennt hatten und mein Vater mit seiner neuen Frau nach Colorado Springs gezogen war. Seitdem ich hier arbeitete, war unser Verhältnis auf beruflicher Ebene immer gut gewesen. Vielleicht half es, dass seine Frau, die als Gerichtsmedizinerin arbeitete, eine Freundin von mir war. Michelle Garcia war genau wie ich Mitglied im Kochclub, und so trafen wir uns auch außerberuflich alle vier Wochen. Wir verstanden uns gut, und irgendwie übertrug sich das.

»Grace?«

Überrascht sah ich auf, als ich meinen Namen hörte.

Alec grinste schief. »Es geht los. Hammond hält eine Rede.«

»Verdammt. Ich war total abgetaucht. Habe ich was Wichtiges verpasst?«

»Nein. Er redet seit fünf Minuten und hat noch nicht wirklich was gesagt.«

Ich lachte tonlos und räusperte mich, um einen einigermaßen ernsten und feierlichen Ausdruck bemüht. »Wie sehe ich aus?«, flüsterte ich Alec zu. »Sitzen meine Haare noch?«

Ich hatte halblanges braunes Haar, das so glatt und dünn war – weich, aber wirklich lästig dünn –, dass jeder Versuch, meine Haare hochzustecken, einem Kampf gleichkam. Ich benötigte tausend Nadeln, und selbst dann gab es keine Garantien, dass die Frisur so lange hielt, wie ich wollte.

Alec beugte sich zu mir, und ich spürte seinen Atem an meinem Ohr. »Du bist hübscher als jeder andere Polizist im Raum.«

»Dir ist klar, dass ich die einzige Polizistin hier bin, oder?«, flüsterte ich amüsiert zurück.

Bevor Alec noch etwas sagen konnte, suchte Hammond meinen Blick. Ihm folgten die anderen Augenpaare wie eine Schar folgsamer Wachhunde.

»Ich bin wohl dran«, kommentierte ich trocken.

»Sieht so aus.«

»Wünsch mir Glück«, flüsterte ich Alec zu, dann ging ich mit klopfendem Herzen vorwärts in Richtung Podium. Die nickenden Glückwünsche der anderen nahm ich kaum wahr. Genauso wenig bekam ich bewusst mit, wie ich die Stufen zum Podium nahm, Hammond einen Kuss auf die Wange drückte, vor das Mikrofon trat und meine Dankesrede hielt.

Ich weiß nur, dass sie viel kürzer ausfiel, als ich geplant hatte, und dass ich keinen der Sätze benutzte, die ich lang und mit viel Sorgfalt für diesen Moment vorbereitet hatte. Ich rief mir in Erinnerung, dass ich es mit Polizisten und nicht mit Politikern zu tun hatte, und bedankte mich schließlich kurz und knapp in einfachen und verständlichen Worten. Mit einem Lächeln, von dem ich hoffte, dass es meiner Rede Charme verlieh, beendete ich meinen kurzen Auftritt und war froh, als ich das Podium wieder verlassen durfte.

Alec empfing mich mit einem Glas Champagner.

»Noch ein Glas? Ich trinke doch normalerweise gar nicht.«

»Das heute Abend ist kein normaler Abend, Grace.«

»Das stimmt natürlich.« Ich nickte leicht und griff nach dem Glas. »Und das Zeug ist so süß, dass es schon fast wieder lecker ist.«

»Und teuer ist es auch.«

»Für neue Uniformen ist kein Geld da, sagen sie. Aber für Champagner und dieses unnötige Drumherum. Allein das Büfett hat bestimmt mehrere Hundert Dollar gekostet.«

»Es gibt Kaviar.«

»Und Hummer.« Ich deutete auf den Teller, den Hector Garcia gerade mit einem Zwinkern an mir vorbeiführte. »Vielleicht sollten wir uns auch Hummer nehmen. Und Kaviar.«

Alec sah mich fragend an.

»Wir sind hier, um uns zu amüsieren!«, rechtfertigte ich mich völlig ernst.

Alec lächelte, und ich kniff die Augen zusammen. In seinem Blick fand ich etwas, das mir vage bekannt vorkam. »Was heckst du aus, Alec Valmont?«

»Wie kommst du auf die Idee?«

»Ich bin seit neun Jahren mit dir verheiratet, Alec. Ich kenne dich. Und gerade heckst du irgendwas aus.«

»Komm mit.«

Alec nahm meine Hand und führte mich zu der freien Fläche vor dem Podium. Wenn man großzügig war, konnte man sie als Tanzfläche bezeichnen. Da aber niemand tanzte, verkniff ich mir das. Stattdessen hob ich fragend eine Augenbraue. »Was machen wir hier?«

Alec zog mich an sich. »Wir amüsieren uns.«

»Wir sind die Einzigen, die tanzen, Alec.« Ich bewegte mich dennoch zur Musik und ließ mich von seinen sicheren Schritten führen. Wir hatten schon viel zu lange nicht mehr getanzt, und doch hatten wir es nicht verlernt.

Alec lächelte. »Wenn die anderen nicht wissen, wie man sich amüsiert, lass sie doch. Außerdem spielen sie unser Lied.«

Ich hatte nicht auf die Musik geachtet, aber als Alec das sagte, fiel es auch mir auf. Ich fing an zu lachen. »Seit wann ist ›Like a Virgin‹ unser Lied?«

»Das haben sie damals bei der Party gespielt.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Diese Uniparty, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Du hast den ganzen Abend mit Marcus getanzt.«

Ich wusste plötzlich, wovon er sprach. »Ich habe nicht mit Marcus Kelly getanzt!«, widersprach ich energisch.

Alec hob einen Mundwinkel und grinste schief. »Ich weiß. Ich habe dich schließlich den ganzen Abend beobachtet. Aber Marcus behauptet das gerne.«

Ich lachte tonlos. »Immer noch?«

»Immer noch. Er wird nie drüber wegkommen, dass er dich angegraben hat und du ihn nicht mal wahrgenommen hast.«

»Stattdessen hatte ich nur Augen für dich.«

»Hm. Und wir haben nicht mal zusammen getanzt.«

»Du hast mich ja nie gefragt!«

»Ich hasse tanzen.«

»Und warum tanzen wir jetzt?«

»Weil sie ›Like a Virgin‹ spielen und ich keine Lust habe, zuzusehen, wie Marcus mit dir tanzt.«

»Ach nein?«

»Nein.« Er zog mich fester an sich und sah mir tief in die Augen.

»Du bist doch wohl nicht eifersüchtig?«, zog ich ihn neckend auf. Alec würde es nie zugeben, aber ich wusste, dass er es war.

»Ich kann auf Marcus nicht eifersüchtig sein. Er hat bei dir keine Chance.«

»Und weshalb nicht?«

»Weil du ihn schon damals, als er noch zwölf Jahre jünger war, nicht wolltest.«

Ich lachte auf Alecs trockene Worte hin und sah ihm in die Augen. »Ich habe immer noch nur Augen für dich.«

»Und jetzt tanzen wir.«

»Stimmt. Ich bin froh, dass ich nicht so leicht aufgegeben habe, deine Aufmerksamkeit zu erlangen. Sonst müsstest du mir wirklich zugucken, wie ich mit jemand anderem tanze.«

Alec schenkte mir einen süffisanten Blick. »Irgendwann hätte ich dich sowieso zum Tanzen aufgefordert.«

»Hm«, antwortete ich ihm mit hochgezogener Augenbraue.

Aus den Augenwinkeln sah ich ein weiteres Paar. Mittlerweile waren Hector und Michelle, Paquin mit seiner Frau und ein paar andere unserem Beispiel gefolgt.

»Es wird voll hier«, las Alec meine Gedanken.

Ich nickte ihm zu. »Möchtest du jetzt lieber Hummer und Kaviar?«

»Ich möchte jetzt gern ins Hotel, aber dafür ist es wohl zu früh.«

»Was für ein Hotel? Wovon redest du?«

Geheimnisvoll lächelte er. Seine Augen blitzten, wie sie es selten genug taten. Eigentlich nur dann, wenn er etwas wusste, was ich nicht wusste.

»Alec Valmont, was hast du getan, und warum weiß ich nichts davon?«

»Weil es unmöglich ist, dich zu überraschen, wenn du auch nur den Hauch von einer Vermutung hast, dass ich dich überraschen will.«

»Das stimmt ja gar nicht. Ich werde gerne überrascht.«

Er nickte. »Das weiß ich. Nur leider findest du normalerweise alles vorher raus.«

»Dafür kann ich nichts. Das ist … meine Intuition.« Die war in der Tat so gut, dass ich tatsächlich immer schon vorher herausfand, wenn Alec mich irgendwohin einladen wollte. Ich fand es sogar heraus, wenn er mich mit einem Geschenk überraschen wollte. Unser Sohn nannte meine Gabe den mütterlichen Übersinn. Ich fand nämlich auch mit hundertprozentiger Treffsicherheit heraus, wenn Phil etwas verschwieg oder mich anschwindelte. Ich war nicht ohne Grund eine gute Polizistin. Geheimnisse vor mir zu haben war so gut wie unmöglich.

Mein Mann führte mich zwischen den Paaren hindurch zum Büfett, aber ich ließ mich nicht ablenken.

»Also, von was für einer Überraschung sprechen wir hier. Du …« Ich sah ihn mit großen Augen an. »Nein! Du hast ein Hotel gebucht? Ein Zimmer für eine Nacht?«

»Nicht ich. Marcus hat das für mich gemacht. Du hättest das sonst bestimmt mitbekommen.«

»Hätte ich nicht.« Hätte ich sehr wohl.

»Ich wollte sichergehen.«

»Also schlafen wir heute Nacht im Hotel?«

Alec drehte sich um und ließ seinen Blick bewusst langsam über meinen Körper fahren. »Ich hatte nicht vor, viel zu schlafen.«

Selbst nach neun Jahren Ehe schaffte er es, dass mir sofort warm wurde. Das Blut rauschte durch meinen Körper, als hätte ich nicht zwei Gläser, sondern eine ganze Flasche Champagner getrunken. Beiläufig trat ich zu Alec, ohne ihn anzusehen, und tat so, als könnte ich mich nicht zwischen dem gebratenen Wildlachs, den Garnelen und dem Hummer entscheiden.

»Was glaubst du, wann können wir gehen, ohne dass es unhöflich wirkt?«

Alec zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Kümmert mich ehrlicherweise auch nicht. Die amüsieren sich ganz gut ohne uns.«

»Alec! Ich kann nicht einfach so abhauen. Wie sieht das denn aus?«

»Es interessiert sie nicht, Grace.«

Ich erwiderte nichts. Ein Blick genügte. Alec wusste, dass ich nicht vorhatte, von meinem Standpunkt abzurücken.

»Wenn es dir hilft, kannst du ja die Kinder vorschieben.«

»Mary kann nicht schlafen?«, fragte ich vorsichtig. Die Idee gefiel mir mehr, als ich mir selbst eingestehen wollte.

»Albträume.«

»Schlimme Albträume.«

»Ja.« Alec sagte das so ernst, dass ich mir das Grinsen nicht verkneifen konnte.

»Ich sage Hector Bescheid«, schlug ich vor.

»Gut, dann hole ich unsere Jacken.«

Ich kämpfte mich zurück auf die Tanzfläche, die ihren Namen mittlerweile doch noch verdient hatte. Hector kam mir gerade entgegen.

»Grace!«

Michelle nahm mich in den Arm. »Ich gratuliere dir.«

»Nicht doch. Du hast mir mindestens schon fünfmal gratuliert.«

Die gesamte letzte Woche jeden Tag einmal.

»Aber jetzt ist es offiziell«, erwiderte sie unbeeindruckt. »Ich freue mich so für dich. Hector hat eine gute Wahl getroffen.«

»Das habe ich nicht allein entschieden.«

Ich sah über die Schulter. Alec stand schon mit meinem Mantel in der Hand da. Michelle war meinem Blick gefolgt.

»Ihr geht schon?«

»Ja. Ich meine, ähm die Kinder. Mary.« Ich räusperte mich und versuchte, eine bedauernde Miene an den Tag zu legen. »Mary hat momentan diese Albträume. Sie schläft unruhig, und Claire sagt, sie verlangt nach ihrer Mami.«

Michelle und Hector hatten selbst eine Tochter. Sie war keine drei mehr, sondern sechzehn, aber gut. Sie wussten bestimmt noch, wie das war.

»Hattest du nicht erzählt, dass sie wie ein Engel schläft, seitdem sie in die Nursery School geht?«

Ich sah Michelle an und befeuchtete meine Lippen. Mein Hirn arbeitete verdammt langsam an einer spontanen Antwort. Der Champagner machte sich langsam bemerkbar. Ich wusste schon, warum ich normalerweise nichts trank.

»Grace’ Mutterliebe blendet sie.«

Ich sah über die Schulter und in Alecs Lächeln.

»Sie hasst es, zuzugeben, dass Mary immer noch Albträume hat.«

»Das arme Mäuschen.« Michelle sah ehrlich ergriffen aus. Mutterliebe besaß sie ganz sicher auch genug.

Ich nickte. »Ja, es ist furchtbar.«

»Dann solltet ihr lieber fahren. Wir sagen den anderen Bescheid, wenn sie fragen.«

»Ach, die sind alle mit dem Essen und sich selbst beschäftigt.«

Ich warf Alec auf seine Worte hin einen warnenden Blick zu. Dann drückte ich Michelle zum Abschied, schüttelte Hector die Hand und ließ mir von Alec in den Mantel helfen.

»Meine Mutterliebe blendet mich also?«, flüsterte ich auf dem Weg nach draußen.

»Klingt doch überzeugend, oder?«

Ich lachte leise. »Ja, sicher.«

Alec zeigte auf ein Taxi.

»Wann hast du denn das gerufen?«, fragte ich verwundert.

»Hat Marcus für mich organisiert. Ich hab ihm gesagt, ich brauche um acht ein Taxi.«

»Du hast …, woher wusstest du, dass wir um acht gehen werden?«

»Weil ich für Viertel nach acht einen Tisch im Nobile bestellt habe.«

»Was hast du?«

Ich blieb stehen, und er sah mich an. »Grace. Das ist dein Tag und nicht der von irgendwelchen Sesselhockern, die dich gar nicht kennen. Ich möchte den Abend richtig mit dir feiern.«

»Du hast einen Tisch reserviert und ein Hotel gebucht?«

Alec nickte bloß, und ich sah ihn einen Moment schweigend an. Dann legte ich ihm die Arme um den Hals und küsste ihn. Wir trennten uns erst, als sich das Taxi mit lautem Hupen bemerkbar machte. Hastig stiegen wir ein und fuhren los.

Lächelnd betrachtete ich meinen Mann.

»Was ist?«, wollte er wissen.

»Ist dir klar, dass es dir gelungen ist, mich zu überraschen?«

»Na ja, nach zwölf Jahren hab selbst ich kapiert, was ich machen muss, damit das funktioniert.«

»Ach so?«

»Mein emotionaler IQ, Grace, mag zwar nur fünfundsiebzig betragen, aber ich bin auch Polizist. Zusammenhänge erkenne ich ganz gut. Dazu brauche ich kein emotionales Genie zu sein.«

Ich lachte. »Du hast keinen so geringen emotionalen IQ, wie du glaubst, Alec.«

»Ich erinnere dich bei nächster Gelegenheit an deine Worte.«

»Ich beweise dir nachher, dass ich recht habe.«

»Die Herausforderung kannst du nicht vorbeiziehen lassen, oder?« Er lächelte mich an.

Ich war gern im Recht. Alec wusste das, und daher nickte ich. »Ich werde es dir gerne beweisen.«

»Ich bin sicher, dass du das tust.«

Während ich mein Bein an seinem rieb, kam Alec langsam dahinter, welche Methoden mir vorschwebten.

»Vielleicht verzichten wir im Restaurant auf den Nachtisch?«, schlug er mit ernster Stimme vor.

Meinen Blick nicht von ihm nehmend, strich ich mit meiner Hand über seinen Arm und rückte näher zu ihm.

»Vielleicht«, ich beugte mich so weit vor, dass ich ihn küssen konnte, und meine Lippen wanderten zu seinem Ohr, »habe ich gar keinen Hunger mehr?«

Alec sah mich an, und ich verlor mich in den Tiefen seiner grünen Augen. Als er dem Fahrer Bescheid gab und die Adresse änderte, huschte ein Lächeln über mein Gesicht. Im nächsten Moment spürte ich Alecs hungrige Lippen auf meinen. Offensichtlich hatten wir beide doch Hunger. Nur mussten wir deshalb nicht unbedingt essen gehen. Zweisamkeit war ein Geschenk, das wir viel zu selten genießen konnten und das in diesem Moment viel mehr wert war als eine Party oder ein schicker Restaurantbesuch.

[home]

Haifisch-Mama

Und wie war deine erste Woche?«

Ich goss Abygail einen Kaffee ein und lächelte. »Gut. Eigentlich nicht viel anders als sonst«, gestand ich schulterzuckend.

»Was? Willst du mir etwa erzählen, Commander Valmonts Alltag sieht genauso aus wie der von Officer Valmont?« Abygail schenkte mir ein spöttisches Lächeln, und ich verdrehte die Augen.

»Ehrlich. Bis auf den verrückten Titel ist alles wie immer. Es ist beinah so, als hätte ich die meisten Dinge, die ich jetzt erledige, sowieso schon immer gemacht.«

Und das stimmte irgendwie auch. Ich hatte Karl Flemming bereits vorher ausgeholfen. Eigentlich schon seit Sommer letzten Jahres, als er einen Herzinfarkt erlitt. Ich hatte ihm seitdem unter die Arme gegriffen. Wenn er Arzttermine hatte, sich nicht gut fühlte und zu Hause geblieben war. Ja, selbst wenn er bei der Arbeit war, hatte ich versucht, ihm alles abzunehmen, was er bereit war abzugeben. Nicht, weil ich seinen Job wollte, sondern weil ich ihm hatte helfen wollen. Mir war nie aufgefallen, dass es anders gewirkt haben mochte. Erst seit der Beförderung dachte ich darüber nach, dass andere meine Hilfsbereitschaft rückwirkend vielleicht als Berechnung deuten konnten.

»Du bist ja total weit weg. Worüber denkst du nach, Grace?« Abygail musterte mich mit ihren braunen Augen. Die einzigen braunen Augen, die ich kannte, die so stechend und durchdringend waren, dass sie eiskalt wirken konnten. Aber nicht im Moment. Jetzt war ihr Lächeln ehrlich. Es erreichte ihre Augen, und ich erwiderte es automatisch.

»Das ist dir nicht entgangen, was?«

»Du bist meine beste Freundin, Grace.«

»Ich bin deine einzige Freundin«, erwiderte ich trocken.

Abygail nickte. »Du hast absolut recht.«

»Hm.« Ich lächelte und trank etwas Kaffee.

Es war ein schöner Nachmittag Mitte März. Bald standen die Ferien an, und dann kam schon Ostern. Alec und ich hatten dieses Wochenende beide frei. Ich fühlte mich einfach großartig.

Während Alec mit den Kindern im Garten Fußball spielte – Mary saß wohl eher im Sandkasten und spielte backen und kochen –, hatte ich Abygail zum Kaffee eingeladen. Sie war meine beste Freundin, aber da sie anders als ich – zumindest bislang – voll berufstätig war, sahen wir uns viel zu selten. Abygail war Allgemeinmedizinerin und praktizierte hier in Boulder in einer eigenen Praxis. Sie war elf Jahre älter als ich, ebenfalls verheiratet und hatte eine zwanzigjährige Tochter, die bereits studierte. Auch charakterlich waren wir beide grundverschieden. Abygail war aufbrausend und impulsiv; in ihren Entscheidungen konnte sie manches Mal sehr egoistisch sein. Im Gegensatz zu mir war sie handwerklich geschickt, besaß eine Engelsgeduld und eine Einfühlsamkeit, die man ihr nicht zutraute. Obwohl wir so unterschiedlich waren, verstanden wir uns bestens. Für mich war sie wie eine Seelenverwandte, und ich wusste, dass ich mit jedem Problem zu ihr kommen konnte. Nicht, dass ich sie deswegen sehen wollte. Es gab kein Problem. Ich hatte einfach nur Lust, mit ihr Kaffee zu trinken und zu plaudern.

»Du starrst schon wieder vor dich hin. Brütest du über irgendwas Wichtigem?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin heute etwas zerstreut. Es ist gar nichts.«

»Wenn du das sagst, klingt es nicht wie gar nichts.«

»Es ist alles noch sehr neu und chaotisch. Das ist alles.«

»Was? Der Job? Ich denke, es hat sich kaum was verändert.«

»Na ja.« Ich sah Abygail an und seufzte. »Es hat sich auch nicht wirklich etwas verändert. Aber ich trage natürlich jetzt mehr Verantwortung, und da sind auch noch die Arbeitszeiten.«

»Du sollst jetzt wieder Vollzeit arbeiten?«

»Nicht sofort. Diese Woche habe ich noch ganz normal wie immer nur fünfstündig gearbeitet. Die kommende Woche bleibt es auch dabei, aber dann muss ich langsam erhöhen, bis ich wieder bei meinen vollen zehn Stunden an vier Tagen der Woche bin. Jetzt da ich die freien Tage selbst einteile und bestimme, wer wann frei hat, überkommt mich das Gefühl, ich missbrauche meine Position. Zum Beispiel wenn Alec und ich ein gemeinsames, freies Wochenende haben, so wie gerade.«

Abygail hob fragend die Augenbrauen. »Wieso missbrauchst du dann deine Position? Verstehe ich nicht.«

»Na, weil ich bewusst darauf geachtet habe, dass wir parallel frei haben, und das auch noch am Wochenende, Abby. Ist das nicht unfair?«

»Hat Pablo nicht auch frei?«

»Natürlich.«

»Na siehst du. Und die anderen müssen doch auch nicht alle arbeiten, oder?«

»Nicht Samstag und Sonntag, aber an einem der Tage. Wir drei sind die Einzigen, die ein komplett freies Wochenende haben.«

»Und wann hattest du das zum letzten Mal?«

Kurz überlegte ich. »Keine Ahnung«, antwortete ich schließlich lachend. »Es ist vermutlich schon eine ganze Weile her.«

»Siehst du. Von wegen Ausnutzen deiner Position! Mach dich nicht lächerlich, Grace.«

»Du hast ja recht. Wahrscheinlich bin ich einfach immer noch nervös. Ich habe den Eindruck, es freuen sich alle ehrlich für mich, aber irgendetwas ist anders. Sie sehen mich anders an, gehen anders mit mir um.«

»Ja, klar. Du bist jetzt ihre Chefin und nicht mehr länger ihre Kollegin. Was hast du erwartet?«

»Gar nichts«, gestand ich ehrlich. »Ich habe ja nicht mal mit dieser Beförderung gerechnet. Woher sollte ich da Erwartungen gehabt haben?«

»Hast du nicht mal darüber nachgedacht, wie es wäre? Kein einziges Mal?«

Ich schüttelte den Kopf. »Wieso denn? Ich hätte nie gedacht, dass man mir diese Position geben würde. Paquin war für mich immer die logische Option. Er ist schon lange dabei. Nur Ted hat noch mehr Erfahrung, aber er geht in fünf Jahren in Rente. Dass Hector ihn nimmt, war unwahrscheinlich. Selbst wenn er sich nicht für Paquin entschieden hätte, nun … ich hätte eher erwartet, dass er Alec den Job gibt.«

Abygail lachte. »Das sagst du nur, weil du in einem Beruf arbeitest, der von Männern dominiert wird. Warum sollte Alec den Job kriegen? Er ist garantiert nicht besser qualifiziert als du. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass Alec gerne Termine organisiert und Dinge plant. Das machst zu Hause doch auch du und nicht er.«

»Ich weiß ja.«

»Zweifelst du an dir?« Abygails Stimme war plötzlich ernst geworden. Das Lachen stand nicht mehr in ihrem Gesicht. Stattdessen sah sie mich mit ihrem prüfenden Ärzteblick an. Ich nannte ihn so, weil er mir immer das Gefühl gab, als könne sie damit direkt durch mich hindurch bis in mein Innerstes sehen. Als gäbe es keine Geheimnisse, die sie nicht entdecken würde.

»Ich weiß es nicht. Vielleicht ein bisschen. Ich fühle mich irgendwie reingeworfen«, gab ich zu.

»In ein Haifischbecken?«

»Nein!«, lachte ich protestierend auf. »In ein Haifischbecken! Also ehrlich. Nein, das nicht. Meine Kollegen sind keine Haifische. Ich komme nach wie vor gut mit ihnen zurecht. Im Gegenteil. Es fühlt sich seltsam an, dass sie mich jetzt anders behandeln. Nicht mehr wie eine von ihnen.«

»Du bist auch keine mehr von ihnen, Grace. Du bist ihr Boss, die Haifisch-Mama. Das verändert alles.«

»Mir war nicht klar gewesen, dass es so sein würde«, gestand ich lachend. Haifisch-Mama. Auf so was konnte nur Abby kommen.

»Bereust du es?«

»Was?« Mein Lachen brach ab.

»Ja gesagt zu haben?«

»Zum Job?«

»Ja, zu was sonst?«

»Ich … nein.« Ich musste nicht mal überlegen. »Nein, nicht wirklich. Es ist eine große Ehre. Ein Vertrauensbeweis. Es zeigt mir, dass ich vieles richtig gemacht habe. Dass ich etwas kann. Ich meine, du hast schon recht. Es ist ein Männerberuf. Als Frau eine solche Stelle zu bekommen ist ein großes Lob. Ich bin stolz darauf und ich freue mich. Es ist ja nicht so, dass mir das, was ich mache, keinen Spaß bereiten würde. Im Gegenteil. Die neue Aufgabe ist große Klasse.«

»Dann verstehe ich dein Problem nicht.«

»Ja, ich auch nicht.« Lachend deutete ich auf den Kuchen. »Komm, lass uns in den Garten gehen und die Meute fragen, ob sie was essen will.«

Abygail nickte und folgte mir nach draußen. Ich trug den Kuchen und sie das Tablett mit dem Geschirr. Abygail war allein gekommen. Ihr Mann Jim war – wie so oft – in Denver auf einer Tagung. Er reiste viel und war selten zu Hause. Manchmal hatte ich den Eindruck, Abygail war öfter hier bei uns als mit Jim bei sich daheim. Doch das schien ihr nichts auszumachen.

Alec störte sich auch nicht an ihrer Anwesenheit. Er aß ein Stück meines Apfelkuchens, dann tobte er wieder mit Phil zusammen durch den Garten. Abby und ich beobachteten die beiden eine Weile; schließlich überredete uns Mary, bei ihr in der Bäckerei einzukaufen. Wir spielten den ganzen Nachmittag, bis es draußen zu frisch wurde und ich Mary nach drinnen holte. Abygail verabschiedete sich, sodass ich Mary nach oben bringen und baden konnte. Ich hatte ihr gerade die Haare geföhnt und sie vor ihrer Puppenstube abgesetzt, als Alec und Phil auch hereinkamen.

»Na ihr zwei?«

Ich fuhr Phil über sein braunes Haar, das meinem so ähnlich war. Zum Glück hatte Mary als Mädchen das Haar ihres Vaters geerbt. Es war dunkelblond, dick und sogar leicht gelockt. Phil, der seine Haare sowieso sehr kurz geschnitten trug, würde sich über die Dünne seiner Haare kaum beschweren.

»Mom!«

Darüber, dass ich ihn seiner Meinung nach wie einen Sechsjährigen behandelte – darunter fiel küssen, Haare streicheln und ungefragtes Umarmen, nicht aber hinterherräumen und bei den Hausaufgaben helfen –, beschwerte er sich gerne.

Alec und ich sahen uns an.

»Los, geh nach oben und bring deine Mathehausaufgaben mit.«

Ich hob eine Augenbraue fragend. »Du hast deine Matheaufgaben noch nicht gemacht?«

Phil zuckte die Achseln.

»Du kennst die Regeln. Du kannst gerne den ganzen Tag Fußball mit deinem Vater spielen, aber zuerst machst du deine Aufgaben.«

»Dad hilft mir.«

»Das ist kein Grund, die Regeln zu brechen.«

»Willst du mich jetzt verhaften?« Phil lächelte.

»Geh nach oben und hol deine Mathesachen.« Ich versuchte, mein Lächeln zu verstecken. Es gelang mir nur halb, was ich an Phils breitem Grinsen erkannte. »In einer Stunde ist das Abendessen fertig.« Ich sah meinem Sohn hinterher und wandte dann den Blick zu Alec. »Hast du es gewusst?«

»Hm?«

»Dass er seine Matheaufgaben noch nicht gemacht hat?«

»Grace.« Alec sah mich an. »Ich bitte dich. Er ist neun Jahre alt. Was hast du erwartet?«

»Dass er noch so lange auf mich hört, bis er achtzehn ist«, erwiderte ich ehrlich und lachte dann.

Alec nahm mich in den Arm, küsste mich auf die Stirn und ging anschließend in die Küche. Ich folgte ihm.

»Was ist mit Mary?«

»Die spielt oben mit ihren Puppen.«

»Ah, gut.«

Ich ging zum Kühlschrank, den Alec offen gelassen hatte. Während er sein Bier öffnete, suchte ich mir die Zutaten fürs Abendessen heraus. Ich hatte das Kochbuch schon bereitliegen. Sonntags nahm ich mir die Zeit – sofern ich nicht arbeiten musste –, etwas Besonderes zu zaubern. Ich hatte mir vorgenommen, mal wieder Chicken Gumbo zu machen. Alec aß es gern, und die Kinder waren ebenfalls dafür zu begeistern. Sogar Mary aß davon eine gute Portion.

Ich vertiefte mich in die Vorbereitungen, während ich mit halbem Ohr Alec und Phil zuhörte, wie sie zusammen Matheaufgaben lösten. Alles war vertraut und eingespielt, und ich vergaß, welche Sorgen mich geplagt hatten.

Gerade hatte ich den Deckel auf das Gumbo gesetzt, sodass es vor sich hin köcheln konnte, als Mary mich rief. Ich ging nach oben, um nachzusehen, was los war. Sie brauchte Hilfe beim Zöpfeflechten, und so verbrachte ich die nächste halbe Stunde damit, diverse Puppen zu frisieren und im Anschluss auch Mary einen französischen Zopf zu flechten. Gerade noch rechtzeitig kam ich mit Mary auf dem Arm herunter, um das Gumbo von der Herdplatte zu ziehen. »Seid ihr fertig geworden?«, fragte ich Alec und sah von ihm zu Phil.

Alec nickte. »Schon seit ein paar Minuten.«

»Dann räum deine Sachen in dein Zimmer, und dann können wir essen.«

Mary kletterte auf Alecs Schoß, und ich deckte auf. Als wir alle zusammen am Tisch saßen, sprach ich das Tischgebet, und dann aßen wir zu Abend. Weder Alec noch ich war besonders religiös, aber Tischgebete gehörten dazu. Wir kannten es beide so von zu Hause und hatten das automatisch übernommen. In die Kirche gingen wir zwar nicht, aber ich fand, das schloss nicht aus, ab und an ein Gebet zu sprechen und sich bewusst zu machen, wie gesegnet das Leben war, das wir führten. Wie dankbar wir waren für das, was wir besaßen und geschenkt bekommen hatten.

Nach dem gemeinsamen Abendessen brachte ich die Kinder ins Bett. Alec ging heute Abend zu Marcus, um Baseball zu gucken. Nachdem die Kinder schliefen, räumte ich die Küche auf, danach ließ ich mich entspannt aufs Sofa fallen. Ich war ausgelaugt vom Wochenende, aber glücklich.

Eigentlich wartete noch ein Korb Wäsche auf mich, aber ich konnte mich nicht dazu überwinden, jetzt zu bügeln. Stattdessen nahm ich mir meinen Häkelkorb und entspannte mit hochgelegten Füßen und Radiomusik bei dem Versuch, ein paar Puppenkleider für Marys Puppensammlung zu häkeln. Eine überaus entspannende und zudem praktische Sache.

Als Alec spät am Abend wieder nach Hause kam, lag ich immer noch auf dem Sofa.

»Und wie ist das Spiel gewesen?«, fragte ich ihn, als er mir einen Kuss gab und sich neben mich setzte. Ich legte meine Füße in seinen Schoß und schloss seufzend die Augen, als Alec sie zu massieren begann.

»Hm, gut.«

Ich lächelte. »Wart ihr allein? Marcus und du?«

»Ja. Paquin hatte keine Zeit. Seine Kinder sind krank. Ich hab vergessen, welche. Und Mac hatte wohl keine Lust.«

»Kommt Paquin morgen zur Arbeit?«

»Keine Ahnung. Habe ich Marcus nicht gefragt.«

Ich nickte. »Nicht schlimm. Es ist schon spät.« Ich legte meine Häkelsachen zurück in den Korb, verschloss ihn vor neugierigen Kinderhänden und stellte ihn zurück in den Schrank. »Wollen wir schlafen gehen?«

»Hm.«

Ich ging nach oben, während Alec die Vorder- und Hintertür ordentlich verschloss und die Fensterläden zumachte. Als er ins Bad kam, putzte ich mir gerade die Zähne. Anstatt auf ihn zu warten, ging ich schon mal vor ins Bett. Bevor Alec zu mir kam, löschte er das Licht; dann kuschelte ich mich dicht an seinen warmen, vertrauten Körper.

»Das war ein schönes Wochenende, oder?«, fragte ich leise.

»Hm.«

»Bist du glücklich, Alec?«

»Hm.«

Er küsste mich kurz und legte sich mit einem Seufzer zurück in die Kissen. Sobald ich die Augen geschlossen hatte, übermannte auch mich der Schlaf.

[home]

Partner

Es war bisher ein ziemlich verrückter Start in die neue Woche gewesen. Oder vielleicht auch bloß ein ganz normaler Start. Ich würde es mit der Zeit merken. Von acht bis neun hatte ich die Besprechung geplant, um neun hatte ich dann mit allen Officers, die ich leitete, ein Meeting gehabt. Wir waren den Einsatzplan für die Woche durchgegangen. Da hatte es einige spontane Veränderungen gegeben, denn in der Patrol II, die die Abend- und Nachtschicht fuhr, waren sie aufgrund von Krankheitsausfällen unterbesetzt. Ich war gebeten worden, unsere Schichten ein wenig in den Abend auszudehnen. Erst mal nur für diese Woche. Nach ewigen Diskussionen – Freiwillige hatten sich nicht gemeldet – hatte ich schließlich eine faire Lösung gefunden, die auch mehr oder weniger murrend aufgenommen worden war. Wir alle schoben einfach vier Stunden länger Dienst. So war keiner benachteiligt.

Nachdem das geklärt war, hatte ich mir die aktuellen Updates zu den jeweiligen offenen Fällen geben lassen, an denen die Jungs arbeiteten, und dann waren wir fertig gewesen. Alec kümmerte sich um die Zeugenbefragung bei einem Einbruch, damit er den Fall abschließen und an die Detectives weitergeben konnte. Marcus und Mackenzie fuhren Streife in den Wohnvierteln, Ted war auf der Pearl unterwegs, und David hielt sich auf Abruf in der Zentrale auf. Nach seiner Zeugenbefragung fuhr Alec Patrouille auf den Highways. Normalerweise hatte ich jetzt Feierabend, aber da alle heute vier Stunden länger ranmussten, wollte auch ich heute bis um sechzehn Uhr arbeiten. Meine Ma hatte die Kinder zwischenzeitlich abgeholt und mit ins Café genommen. Claire Valmont war Inhaberin des Boulder Cafés, und meine Ma war ihre Teilhaberin. Sie hatte heute früher frei und würde sich um die Kinder kümmern. Begeistert war sie zwar nicht gewesen, als ich sie darum gebeten hatte, aber im Notfall konnte ich mich trotzdem immer auf sie verlassen.

Natürlich war mir klar, dass ich nicht vier Stunden länger bleiben musste. Ich war die Chefin. Aber mir wäre es nach der murrenden Reaktion der Jungs wie ein Verrat vorgekommen, wenn ich nicht ebenfalls länger blieb. Pablo würde dank der Extraschicht heute nicht bis 17, sondern bis einundzwanzig Uhr arbeiten, und ich wollte ihm etwas Gesellschaft leisten. Seit Marys Geburt war er es gewohnt, die Hälfte unserer Schicht allein zu fahren. So hatten wir das schon bei Phil gehandhabt. Dennoch wusste ich aus Erfahrung, dass der Job einfacher war und mehr Spaß machte, wenn man nicht allein draußen unterwegs war.

Dank meiner neuen Aufgaben hatte ich den gesamten Vormittag im Büro verbracht. Gerade tauchte ich aus dem aktuellen Bericht auf, den ich las, als es plötzlich klopfte.

»Hi, Pablo.« Ich sah auf und strahlte, als mein Partner mir einen Pizzakarton herüberschob.

»Ich dachte, was zu essen kann nicht schaden.«

»Nein, wirklich nicht.« Der leckere Pizzaduft brachte mich dazu, die Akte beiseitezuschieben, die ich unbedingt noch hatte fertig bearbeiten wollen.

»Du hast bestimmt noch nichts gegessen.«

Ich nickte. »Bin ich nicht dazu gekommen.«

Pablo lächelte wissend. Er war mein Partner, seitdem ich hier arbeitete. Pablo und ich waren gleich alt, hatten dieselbe Klasse besucht und danach zusammen studiert. Mit vierzehn waren wir mal für zwei Jahre zusammen. Pablo war meine erste große Liebe gewesen. Da er heute mein bester Freund war, war ich erleichtert, dass weder er mir noch ich ihm das Herz gebrochen hatte. Wir hatten einfach mit sechzehn festgestellt, dass wir uns sehr mochten und gut verstanden, aber dass es keine körperliche Anziehung zwischen uns gab. Also blieben wir Freunde. Einen besseren Partner hätte ich mir nicht wünschen können. Pablo war nicht nur ein guter Cop, er war auch absolut zuverlässig. Wir verstanden uns blind und wussten auch ohne Worte, was der andere wollte. Außerdem widersprach er mir nicht, denn als Italiener war er es gewohnt, von einer Frau herumkommandiert zu werden. Seine Mama hatte nämlich im Hause Terriani die Hosen an, wie ich nur zu gut wusste. Mama Terriani war eine tolle Frau, und als Vierzehnjährige hatte ich sie sehr verehrt, bis mir aufgefallen war, wie tiefgläubig sie war. Sie hatte mich sonntags gezwungen, mit ihnen die Kirche zu besuchen, anschließend hatten wir noch mal eine Stunde zu Hause die Predigt reflektiert. Einmal hatte sie mir ihren eigenen kleinen Altar gezeigt, der im Wohnzimmer von Familie Terriani stand. Danach war ich nicht mehr ganz so begeistert von ihr gewesen.

»Sag mal, steht im Wohnzimmer deiner Eltern immer noch der Altar?«

Pablo sah mich fragend an. »Wie kommst du denn jetzt darauf?«

»Hab ich mich einfach gerade gefragt.«

»Ja, natürlich. Der steht, wo er immer stand.« Pablo sagte das völlig unbeeindruckt. Ich fragte mich – was ich mich damals nie gefragt hatte, da war ich viel zu geschockt gewesen –, ob er das normal fand.

»Hast du auch einen in deinem Wohnzimmer stehen?«, fragte ich ihn und musterte Pablo dabei interessiert.

Er sah mich jedoch an, als hätte ich den Verstand verloren. »Soll ich anfangen, mir Sorgen um dich zu machen, Grace?«

»Nein. Ich will nur wissen, ob du auch so ein Ding im Wohnzimmer stehen hast. Ist doch eine ganz normale Frage.«

»Nein.«

»Nein, hast du nicht?«

»Nein, die ist nicht normal. Die Frage.« Pablo grinste breit und begann, seine Pizza zu essen.

Das erinnerte mich daran, dass ich schrecklichen Hunger hatte. Ich biss in meine Thunfisch-Ei-Pizza und musterte Pablo beim Essen.

»Also hast du einen Altar in deinem Wohnzimmer. Und was machst du da? Betest du daran oder …«

Ich fragte mich, was man sonst damit anstellte. Wofür brauchte Mama Terriani einen Altar im Wohnzimmer, wenn sie sowieso jeden Sonntag in die Kirche ging?

»Man betet daran. Dreimal täglich, um es genau zu nehmen. Aber das machen die wenigsten.«

»Aber die Leute, die einen eigenen Altar haben, die machen das?«

»Keine Ahnung. Meine Mama macht es.«

»Und du?«

»Ich habe keinen eigenen Altar. Wie kommst du nur auf solche Sachen?«

Lachend sah ich ihn an. »Ich habe an damals gedacht und daran, wie erschreckend ich das bei deiner Mutter fand. Und eben klangst du so … na ja, so selbstverständlich. Ich dachte, vielleicht ist das so für dich, und du hast auch einen im Wohnzimmer stehen.«

»Ich brauche keinen Altar, um zu beten.« Pablo sagte das ganz ernst, und ich erwiderte seinen Blick überrascht. Obwohl wir uns so lange kannten, hatte ich nie darüber nachgedacht, dass Pablo ebenso gläubig sein könnte wie seine Eltern.

»Betest du dreimal täglich?«, fragte ich ihn.

Pablo grinste. »Nein. Ich bete, wenn mir danach ist. Aber verrat es nicht meiner Mutter.«

»Oh, bestimmt nicht.« Ich lachte und aß meine Pizza auf. Dann blickte ich auf die Uhr. »Wollen wir los?«

»Ja, klar.« Pablo nahm die Kartons und verließ mit ihnen mein Büro. Ich folgte ihm und traf im Gang auf Alec.

»Du bist ja noch hier, Grace.« Er runzelte die Stirn. »Ich dachte, du machst nur ein bisschen länger. Jetzt haben wir fast zwei.«

»Ich fahre noch mit Pablo Streife. Bis sechzehn Uhr. Und was machst du hier?«

»Einer Sache nachgehen.« Alec sah von mir zu Pablo.

»Ich hol dann mal mein Zeug. Brauchst du was?«, fragte er. Es hatte nicht den Anschein, als floh Pablo vor Alec, aber es war seine Art, uns einen privaten Moment allein zu geben.

»Eine Flasche Cola und irgendwelches Obst, was sie haben.«

»Okay. Ich warte beim Wagen.«

Ich sah ihm nicht hinterher, stattdessen starrte ich Alec an. »Bist du sauer?«

Er grummelte etwas Unverständliches, was mich dazu bewog, skeptisch eine Augenbraue zu heben. »Was hast du da vor dich hin gebrummt?«

»Ich frage mich, was du damit bezwecken willst?«

»Ich will nur klarmachen, dass ich nichts Besseres bin, Alec. Wenn wir alle länger ranmüssen, um auszuhelfen, dann muss ich mit gutem Beispiel vorangehen.«

Sein Gesicht verfinsterte sich, und ich holte Luft. »Tut mir leid. Du weißt doch, wie ich das meine, oder?«

»Hm, ja sicher, Grace.«

»Ja, sicher?«, fragte ich unsicher nach. Ich mochte es nicht, wenn etwas zwischen uns stand.

»Natürlich.« Alec nickte. »Sind die Kinder noch bei Rose?«

»Phil ist bei Ben.« Das war einer von seinen besten Freunden. »Den kann ich sowieso nicht vor sieben oder acht abholen. Und Mary ist bei Ma zu Hause.«

»Gut, na dann. Ich mach mal wieder los. Wir sehen uns dann irgendwann gegen zehn.«

»Okay.«

Wir küssten uns nicht, umarmten uns nicht. Als wir noch Kollegen gewesen waren, hatten wir das ab und an getan, weil jeder wusste, dass wir verheiratet waren, und es keinen störte. Aber jetzt kam es mir unpassend vor, und ich hatte Alec gefragt, ob er es auch so sah. Er hatte mit den Achseln gezuckt und gemeint, er würde es lassen, wenn ich das wollte.

Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich es wirklich nicht wollte. Gerade bereute ich es, aber vielleicht lag es daran, dass ich ein schlechtes Gewissen den Kindern gegenüber hatte. Obwohl ich wusste, dass das falsch war. Manchmal hielt einen die Arbeit auf. Und es war nicht das erste Mal, dass die Kinder länger bei ihren Großmüttern blieben. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass Alec mit meiner Entscheidung nicht wirklich einverstanden war, und das ärgerte mich.

Ich nahm meine Jacke und ging nach unten. Bei Fayne Dorcas holte ich meine Dienstwaffe ab und ging danach über den Parkplatz. Da Pablo die Schlüssel hatte, wartete ich neben unserem Streifenwagen auf ihn. Der Supermarkt lag dem Polizeirevier direkt gegenüber, und bald sah ich ihn zurückkommen.

»Hab alles gekriegt.« Pablo schloss den Wagen auf, und ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen, wo ich den Inhalt der Tüte im Auto verteilte. Flaschen in die Flaschenhalter, Obst ins Seitenfach, Müsliriegel ins Handschuhfach, Kaugummi ins Fach zwischen uns.

»Ist alles okay?«

Ich sah auf und in Pablos dunkelbraune Augen, die ohne künstliches Licht noch dunkler wirkten. Wie Schokoladenpudding. Ich grinste. »Oh Mann.« Dann griff ich nach einem Kaugummi. »Ja. Ich bin bloß überdreht.«

»Aha.« Er parkte aus. »Ich dachte, es wäre was mit Alec.«

»Wie kommst du darauf?«

»Zwischen euch schien es dicke Luft zu geben. Das ist alles.«

»Nein, gar nicht.« Das hoffte ich jedenfalls. »Es war nur blöd wegen der Kinder. Die Arbeitszeiten, die … das ist alles noch etwas schlecht organisiert. Aber ich krieg das hin.«

»Okay, klar.« Pablo lächelte, als er auf die Pearl fuhr. Ted wartete bereits, und wir tauschten uns kurz aus, aber es gab nichts Spannendes. Ein kleiner Auffahrunfall, den er abgewickelt hatte, und Sachbeschädigung an einer Parkuhr. Keine großen Dinge.

Während Pablo weiterfuhr, kreisten meine Gedanken immer noch um das, was ich gesagt hatte. Ich musste mir wirklich was einfallen lassen. Heute war es nur eine Ausnahme, aber bereits morgen musste ich in den sauren Apfel beißen und um zwölf Uhr Schluss machen. Ich konnte die Kids nicht wieder die ganze Woche bei ihren Großmüttern lassen. Das gäbe nur Ärger. Außerdem musste ich ab der darauffolgenden Woche sowieso einen alternativen Plan parat haben, denn ab dann sollte ich anfangen, meine Stunden langsam wieder zu erhöhen. Es gab Arbeit, die ich nicht länger delegieren konnte; immerhin war ich jetzt, wie hatte Abby gesagt, die Haifisch-Mama. Es war also an der Zeit, dass Mary nicht nur einen halben Tag, sondern den ganzen Tag in der Nursery School blieb. Ich musste mit Ms. Goodkind sprechen. Gleich morgen, wenn ich sie abholte.

Mir schoss ein Gedanke durch den Kopf. »Was Alec braucht, ist ein Partner.«

»Was?« Pablo warf mir einen verständnislosen Blick zu. »Grace …«

»Ich meine nicht so einen Partner natürlich. Einen bei der Arbeit. So wie wir oder Marcus. Es ist einfacher, wenn die Leute mit Familienanschluss einen Partner haben.«

»Okay.«

»Du klingst ja nicht gerade überzeugt. Siehst du das anders?«, wollte ich wissen und warf Pablo einen ernsten Blick zu. Er erwiderte ihn nur kurz, konzentrierte sich stattdessen auf die Straße.

»Das ist deine Entscheidung. Du kennst Alec am besten.«

»Aber ich frage dich nach deiner Meinung. Du hast doch eine, sonst hättest du mich eben nicht so angesehen.«

»Ich habe dich nicht so angesehen«, behauptete Pablo.

»Du hast mich doch so angesehen, und jetzt sag endlich, was du denkst.«

»Dass es Alec nicht gefallen wird, wenn du ihm jemanden an die Seite stellst, und dass es in der jetzigen Situation falsch wäre, weil sie eh schon angespannt genug ist. Auch ohne dass du noch für zusätzlichen Zündstoff sorgst.«

»Was für Zündstoff? Ich verstehe nicht, was du meinst. Bei Alec und mir ist alles …«

»Ich rede nicht von euch beiden. Deine Ehe geht mich nichts an. Du weißt, dass ich nicht mit dir darüber rede. Wir haben besprochen, das Privatleben ist tabu, wenn wir zusammenarbeiten.«

Ich rollte mit den Augen. »Du nimmst das alles so ernst. Warum auf einmal?«

»Weil du auch meine Chefin bist.« Er sah mich an und schluckte befangen. »Partner hin oder her. Du bist meine Chefin, und es gibt Dinge, die sollte ich nicht wissen. Darüber reden Chefs nicht mit einem.«

»Das ist alles total bescheuert, wenn du mich fragst.«

»Mag sein. Aber es wird einfacher, wenn du dich daran hältst.«

»Ach ja, und wieso?«

»Weil sie dich nur respektieren, wenn du nicht versuchst, ihr bester Freund zu sein. Das funktioniert nicht mehr, Grace. Du bist nicht mehr eine von ihnen, nicht mehr eine von uns. Du triffst Entscheidungen, die uns nicht immer gefallen werden, aber wenn du sie für richtig hältst, musst du sie durchsetzen. Egal, wie wir darüber denken.«

»Sprichst du von dem, was heute war?«

»Wusstest du, dass Ted und Marcus danach Witze gerissen haben?«, überging Pablo meine Frage.

Ich schüttelte den Kopf. Das hatte ich nicht gewusst. Aber mir war klar, was es bedeutete. Wenn Cops Witze über ihren Chef rissen, waren es fiese Gemeinheiten und Schläge unter die Gürtellinie. Hatte ich alles bei Flemming oft genug miterlebt. Ich wollte mir nicht ausmalen, was sie gesagt hatten. Aber ich war auch zu stolz, um es auf sich beruhen zu lassen.

»Was haben sie gesagt?«

Pablo schüttelte den Kopf. »Sag ich dir nicht. Willst du auch gar nicht wissen.«

»Doch, will ich wohl.«

»Nein.«

»Dann frag ich eben Alec.«

Pablo schnaubte. »Das solltest du erst recht lassen. Was glaubst du denn, wie witzig er es findet, wenn er weiß, dass du das mitbekommen hast? Er fand es so schon nicht besonders lustig.«

»Wie meinst du das?« Ich sah schon vor mir, wie Alec meine Ehre verteidigte, und ich hasste die Vorstellung. Ich konnte das ganz gut allein. Ich brauchte niemanden, der auf mich aufpasste und meine Kämpfe für mich ausfocht.

»Er hätte bestimmt gerne mitgemacht, Grace. Doch es ist nicht seine Art, über seine Frau herzuziehen. Selbst mit Marcus nicht. Aber das weißt du ja. Du kennst ihn am besten.«

Ich sah Pablo schweigend an. Er hatte recht. Ich kannte Alec. Und ich konnte mir denken, dass es eine blöde Situation für ihn gewesen war. »Das geht vorbei. Sie werden aufhören, Witze zu reißen«, sagte ich leise. Ich wollte das glauben.

»Wenn du ihnen klarmachst, dass du nicht die kleine Grace bist, sondern ihr Boss, werden sie es zumindest so machen, dass du es nicht erfährst.«

Ich sah aus dem Fenster. »Wusstest du, dass ich diesen Job immer schon wollte?«, lenkte ich ab.

»Konnte ich mir denken.«

Ich fragte Pablo nicht, ob er auch glaubte, dass ich Flemming im letzten Sommer nur geholfen hatte, um mich einzuschleimen und in die Position zu bringen, diese Beförderung zu kassieren. Ich wollte es nicht wissen, wenn es so war. Das gehörte wohl auch zu den Dingen, die der Commander nicht mit einem Officer besprach.

Der Polizeifunk verhinderte meine Antwort, und so schluckte ich meine Ahnungen hinunter, dass der Job, den ich mir immer schon erträumt hatte, so zweischneidig war: einerseits überaus erfüllend und andererseits überaus beschissen.

Als wir vor dem Tanzclub hielten, zu dem wir gerufen worden waren, stieg ich aus und ging vor Pablo hinein. Ein Angestellter deutete auf einen Tisch, an dem eine Gruppe Jugendlicher saß. Ich ging zu ihnen und sah ernst in die Runde.

»Guten Tag, ich bin Commander Valmont, das hier ist Officer Terriani. Wer von euch ist Charly Richmond?«

Ich musste mich an den Titel gewöhnen, ganz gleich, wie bescheuert er klang. Ich hatte ihn mir verdient und ich würde ihm gerecht werden. Alles, was ich brauchte, war Rückgrat, Selbstvertrauen und ein bisschen Zeit, um hineinzuwachsen.

[home]

Charly Richmond

Ein Junge warf einen verräterischen Blick zu einem der Mädchen, und ich wusste, hier lag ich richtig. Sie erwiderte den Blick des Jungen trotzig. Ihr schwarzes Haar war vermutlich gefärbt, denn es wirkte nicht echt; außerdem hatte sie zu helle Augenbrauen. Ihre Augen waren strahlend blau, sodass sie im künstlichen Licht des Raums türkis wirkten. Ihr trotziger Blick wandelte sich in die typische Miene eines gelangweilten Teenagers, der seine Angst zu verbergen versuchte, als sie zu mir aufsah.

»Ich bin Charly.«

»Hallo Charly.« Ich sah zu dem Jungen neben ihr. »Dann bist du Bobby?«

Der Junge nickte. »Ja, Comm…«

»Officer Valmont reicht.« Ich lächelte, was den Jungen zu beruhigen schien. Er verbarg seine Unsicherheit nicht so gut wie das Mädchen neben ihm. Es saßen noch zwei weitere Jugendliche am Tisch. Vermutlich ein Pärchen, so wie sie Händchen hielten.

»Du hast uns angerufen, Bobby?«, fragte ich und sah wieder zu dem Jungen.

»Ja.«

»Und du sagtest, es geht um einen Stalker?«

»Siehst du!«, hörte ich Charly zischen. »Ich hab dir gesagt, es ist voll übertrieben, gleich die Cops zu holen.«

»Das entscheiden wir nachher. Es ist immer besser, die Cops einmal zu viel zu rufen.« Ich sah zwischen den beiden Kids hin und her. »Was ist denn genau passiert?«

»Das musst du erzählen. Ich hab ja nichts gesehen. Ehrlich.« Bobby sah aus, als wollte er sich vergewissern, dass ich ihm glaubte. »Ich war nur der, der entschieden hat anzurufen.«

»Es war nichts weiter«, warf Charly ein. »Ein gestörter Freak oder so. Die gibt’s an jeder Ecke. Selbst hier.«

Wie recht sie hatte. Aber mit jedem Wort, das sie sagte, gefiel mir das Ganze weniger. Meine Instinkte waren hellwach und verrieten mir, dass es hier nicht nur um einen harmlosen Streich ging. »Okay, der Reihe nach. Seit wann seid ihr hier, und was genau war euer Plan?«

»Montags haben wir nur bis mittags Unterricht. Wir besuchen einen Tanzkurs und gehen vorher immer hier im Bistro was zusammen essen.«

»Ihr vier?« Ich deutete auf das andere Pärchen.

»Ja. Madison, Josh, Bobby und ich.« Charly hatte die ganze Zeit gelangweilt getan, aber ich hörte, wie ihre Stimme leiser wurde. Sie zögerte.

»Gut, vielleicht unterhalten wir uns ein bisschen allein, was meinst du?«

Sie zögerte immer noch, aber ich wartete geduldig, und schließlich nickte sie. »Okay.«

»Nimmst du die Daten auf?«, fragte ich Pablo, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.

»Na klar.«

Ich deutete Charly an, mir zu folgen.

Das Bistro 1001 Nights schloss direkt an die Tanzschule an. Es gab hier ab Mittag Snacks und kleine Gerichte, zum Nachmittag allerlei Teilchen und tatsächlich Süßspeisen mit märchenhaft orientalischen Namen. Ich war hier mit Alec auch schon oft tanzen und essen gewesen. Am Abend wurden neben einer Fülle von Salaten und leichten Gerichten vor allem Cocktails angeboten. Gerade war es jedoch sehr leer. Mittagstisch gab es nur bis vierzehn Uhr, und jetzt war es halb drei. Eine einzelne Kellnerin spülte Gläser. Ich nickte ihr kurz zu, bestellte zwei Cola für uns beide, und dann setzten wir uns an einen leeren Tisch nahe der Bar, wo wir ungestört reden konnten. Sobald ich mich hingesetzt und Charly eine der Flaschen gereicht hatte, nickte ich ihr aufmunternd zu.

»Du gehst also hier zum Tanzunterricht. Was tanzt du?«

»Choreografietanz. Madison hat mich überredet. Wir sind in der Schulband, und sie findet, es kann nicht schaden, mehr zu können, als nur dazustehen. Und es war besser als Standardtanz.«

»Verstehe. Ihr kommt also jeden Montag hierher?«

»Montags und donnerstags. Montags schon zum Essen und dann eben bis um fünf, wenn der Unterricht aus ist. Donnerstags kommen wir abends, von sieben bis um neun, und trinken dann ab und an noch was hier in der Bar.«

»Seit wann macht ihr das?«, fragte ich weiter.

»Seit Anfang des Jahres.«

»Okay.« Das konnte man bereits als Routine bezeichnen. »Und was hat Bobby mit dem Stalker gemeint?«

»Ich bin nach dem Essen auf die Toilette gegangen. Mädchensache.« Sie sah mich an, um sicherzugehen, dass ich verstand, was sie meinte, und ich nickte. Ich verstand schon.

»Deine Freunde haben hier gewartet?«

»Ja.«

»Und dann?«

»Ich war auf der Toilette und wollte mich gerade wieder anziehen, da ist mir die Schnalle vom Gürtel abgesprungen. Passiert mir bei dem öfter. Der ist total alt, aber …« Sie zuckte mit den Schultern.