BRANDZEICHEN DER GEWALT - Christian Dörge - E-Book

BRANDZEICHEN DER GEWALT E-Book

Christian Dörge

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Shorty Gibbs hat Glück im Unglück: Bei einem Überfall wird der kleine, zähe Postreiter angeschossen und schwer verletzt. Pferd und Postsack sind verschwunden, aber Shorty kann sich noch bis zur Stadt schleppen... Lane Sauer sucht in Saguaro nach seinem Bruder. Doch sein Empfang in dieser Stadt ist alles andere als freundlich. Man geht ihm aus dem Weg und stiehlt ihm das Pferd. Warum steht man ihm so feindselig gegenüber? Lane versucht hinter das Geheimnis zu kommen - und hat die ganze Stadt gegen sich... Carmack schien eine Stadt wie jede andere im Westen zu sein. Aber Steve Garrison tat dort gut daran zu vergessen, dass er das Gesetz vertreten muss... Die von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Sammlung BRANDZEICHEN DER GEWALT enthält drei ausgesuchte und klassische Spitzen-Romane US-amerikanischer Autoren, perfekten Lesestoff also für alle Western-Fans und Leser der Reihe APEX WESTERN: Ein Mann und ein Revolver von Clifton Adams, Kein Gott in Saguaro von Lewis B. Patten sowie BRANDZEICHEN DER GEWALT von Harry Whittington.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

CHRISTIAN DÖRGE (Hrsg.)

 

 

Brandzeichen der Gewalt

 

 

 

Drei Romane in einem Band

 

 

 

Apex Western, Band 37

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

Clifton Adams: EIN MANN UND EIN REVOLVER (Shorty) 

Harry Whittington: BRANDZEICHEN DER GEWALT (Drygulch Town) 

Lewis B. Patten: KEIN GOTT IN SAGUARO (No God In Saguaro) 

 

Das Buch

 

Shorty Gibbs hat Glück im Unglück: Bei einem Überfall wird der kleine, zähe Postreiter angeschossen und schwer verletzt. Pferd und Postsack sind verschwunden, aber Shorty kann sich noch bis zur Stadt schleppen...

 

Lane Sauer sucht in Saguaro nach seinem Bruder. Doch sein Empfang in dieser Stadt ist alles andere als freundlich. Man geht ihm aus dem Weg und stiehlt ihm das Pferd. Warum steht man ihm so feindselig gegenüber? Lane versucht hinter das Geheimnis zu kommen - und hat die ganze Stadt gegen sich...

 

Carmack schien eine Stadt wie jede andere im Westen zu sein. Aber Steve Garrison tat dort gut daran zu vergessen, dass er das Gesetz vertreten muss...

 

Die von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Sammlung Brandzeichen der Gewalt enthält drei ausgesuchte und klassische Spitzen-Romane US-amerikanischer Autoren, perfekten Lesestoff also für alle Western-Fans und Leser der Reihe APEX WESTERN: Ein Mann und ein Revolver von Clifton Adams, Kein Gott in Saguaro von Lewis B. Patten sowie Brandzeichen der Gewalt von Harry Whittington. 

  Clifton Adams: EIN MANN UND EIN REVOLVER (Shorty)

 

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Shorty Gibbs hatte seine Augen fest geschlossen. Er befand sich an der Grenze der Bewusstlosigkeit und versuchte zu erraten, wo er war.

War es eine Gefängniszelle? Eines von jenen knapp zwei Quadratmeter großen Löchern in irgendeiner namenlosen Trailstadt? Dann würde es keineswegs der fremdeste Ort sein, an dem er jemals erwacht war...

Aber Moment mal, er hatte sich doch schon im Jahre ‛85 vom Trail zurückgezogen – oder war es bereits ‛84 gewesen?

Sein Gedächtnis arbeitete nicht so richtig. Er hatte Kopfschmerzen, dann noch diesen seltsamen Geschmack im Mund und das merkwürdige Rumoren in seinen Eingeweiden. Seine Gedanken begannen träge herumzuwandern. Ein Erinnerungsfetzen an seine Zeit in Caldwell tauchte auf. Da hatte ein rothaariges Saloonmädchen im Namen von Brickyard Floyd...

Zum Teufel, dachte er, das war vor fünf, sechs Jahren! 

Tatsache war, dass Shorty Gibbs ein bisschen Angst hatte, die Augen zu öffnen – der Himmel mochte wissen, was es zu sehen gab. Vielleicht blickte er mitten ins Höllenfeuer, und vor ihm stand ein bocksfüßiger Gentleman mit Hörnern, der einen roten Frack trug und mit einer dreizinkigen Gabel herumschwirrende Seelen in die Glut warf. Er stellte sich allen Ernstes die Frage, ob er noch am Leben war.

Endlich wurden seine Gedanken ein wenig elastischer. Er hatte die alte Mobeetee Road verlassen und war in nordöstliche Richtung geritten in der Hoffnung, seinen Postbotenritt noch vor Sonnenuntergang in Hardrow beenden zu können. Sein Pferd musste in ein Fuchsloch getreten haben, denn Shorty erinnerte sich, dass er wie eine Kanonenkugel durch die Luft geflogen war. Schon der Gedanke daran ließ ihn zusammenzucken. Fuchslöcher und sonstige Überraschungen bei Wegabkürzungen – so sah die Versicherung eines Reiters gegen ein hohes Alter aus.

Eine krächzende Stimme sagte gereizt, und so, als habe sie es schon einige Male gesagt: »Leben Sie noch, Mister?«

Vorsichtig öffnete Shorty ein blutunterlaufenes Auge und entgegnete heiser: »Weiß ich im Augenblick nicht genau...« Er betrachtete mit einem Auge das lederartige, bärtige Gesicht seines Gastgebers und fragte schließlich: »Können Sie mir vielleicht verraten, wo ich bin, Alter?«

Der alte Mann zuckte gleichmütig die Achseln. »Auf meinem Wagen«, antwortete er dann, »und da haben Sie gelegen, seit ich Sie hinaufgepackt habe.«

»Und wo habe ich vorher gelegen?«

Der Alte musterte ihn nachdenklich. »Nun, ich habe Sie im Süden entdeckt«, murmelte er, »nicht sehr weit vom Gyp Creek entfernt.«

»Haben Sie nirgendwo mein Pferd, einen Scheckwallach, gesehen?«

»Nicht die Spur.« Der Alte drehte den Kopf und spie durch einen Schlitz in der Wagenplane.

Was war aus dem Wallach geworden? Auf drei Beinen konnte er nicht weit gelaufen sein.

»Und wann haben Sie mich gefunden?«, erkundigte sich Shorty.

Der Mann kratzte seine Bartstoppeln.

»Vor drei Tagen, wenn ich mich nicht irre.«

Drei Tage!

Shorty riss jetzt auch das andere Auge auf. »Stimmt das?«, fragte er.

»Ein paar Stunden mehr oder weniger.«

Shorty war beunruhigt, aber der Alte zeigte sich nicht im mindesten beeindruckt. Er stützte seine Hände auf und versuchte, seinen Körper in die Höhe zu drücken. Doch er kippte nur gegen die Seitenwand des Wagens. »Haben Sie wenigstens etwas von meiner Ausrüstung gesehen?«, keuchte er. »Postsack, Gewehr, Satteltasche?«

»Nicht die Spur.« Der Alte saß hinten im Wagen, und seine Haltung verriet, dass er seine Arbeit offenbar fortsetzen wollte. Nach dem scharfen Geruch des ganzen Wagens zu urteilen, musste er sich mit Schafen beschäftigen. »Ich habe nur Sie gesehen, weiter nichts«, fügte er hinzu. »Sie stolperten am Ufer entlang wie ein Comanche, der Bauchweh hat.«

Shorty blinzelte und stützte sich auf die Ellenbogen. »Ich lief herum?« Er konnte das kaum glauben.

»Wie ich’s sagte. Natürlich hatte die Kugel Ihren Skalp angeritzt. Sie bluteten auch nicht schlecht...«

»Kugel?«

»Sie hatten eine Kugel abbekommen, als ich Sie fand«, sagte der Alte, langsam ungeduldig werdend. »Die Kugel zog Ihnen ‛nen Scheitel – und vielleicht waren Sie deshalb ein bisschen durcheinander.«

Vor Shortys Augen begann sich alles zu drehen. Er ließ sich zurücksinken und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Eine schöne Bescherung, dachte er angewidert. Aber damit musste wohl jemand rechnen, der Viehtreiber gewesen war und dann einen soliden Beruf ergriffen hatte. Einfach aus dem Sattel geschossen! Da hätte ich lieber bei den Rindern bleiben sollen... 

Andererseits waren die Tage der großen Rindertrails gezählt; das hatte Shorty schon vor drei Jahren eingesehen, als er den Entschluss fasste, sich in Hardrow nach einer anderen Beschäftigung umzusehen. Und jetzt hatte jemand auf ihn geschossen. Zum Teufel, wer hatte es darauf angelegt, einen so liebenswerten, gutmütigen, hilfsbereiten Gentleman wie Shorty Gibbs ins Jenseits zu befördern?

Sofort kamen ihm ein paar hässliche Antworten in den Sinn – sollte er am Ende doch nicht so liebenswert und gutmütig sein, wie Shorty es sich persönlich vorstellte? Ein niederträchtiger Gedanke... Tatsächlich hatte er zu seiner Zeit einigen Leuten recht unsanft auf die Füße getreten. Man nannte ihn ein Pulverfass mit kurzer Zündschnur, und das galt besonders dann, wenn er sich einige Whiskeys einverleibt hatte.

Zugegeben, er hatte hin und wieder jemandem einen kleinen Knuff versetzt – aber musste man ihn deswegen gleich umbringen? In seiner leichtsinnigen Vergangenheit war ihm mehr als einmal zumute gewesen, als müsse er einigen zu groß geratenen Herren mit dem Revolverkolben auf den Kopf schlagen, damit sie ein wenig kleiner wurden. Doch wer nahm sich das so zu Herzen, dass er sich noch nach fünf Jahren an ihm rächen wollte? Das konnte es nicht geben.

Oder doch?

Da war jener Spieler in Wichita gewesen – irgendein Streit wegen eines langbeinigen Saloonmädchens, an dessen Namen Shorty sich nicht sofort erinnern konnte. Oder jener Revolverheld in Dodge, der, wie es sich herausstellte, nicht so schnell war, wie die Leute das von ihm behauptet hatten. Shortys Kugel hatte ihm die Kniescheibe zertrümmert, und seitdem lief er mit einem steifen Bein herum, wie Shorty zu Ohren gekommen war.

»Junge, Sie sehen sehr schlecht aus«, sagte der Alte. »Sollten noch ein wenig die Augen zumachen.« Damit stieg er vom Wagen.

Shorty hörte in einiger Entfernung Schafe blöken. Das hat mir mitten in einem Rinderland gerade noch gefehlt, dachte er mürrisch. Ein Schäfer mit einer Schafherde! 

 

Das erste Licht der Morgendämmerung kroch über die Prärie. Shorty erwachte langsam; in seinem Magen rumorte es. Er erinnerte sich trübe, etwas Fleischbrühe getrunken zu haben, die ihm der Alte von Zeit zu Zeit eingeflößt hatte. Immerhin waren fast vier Tage vergangen, seit sein Magen zum letzten Mal kompakte Nahrung verdaut hatte.

Die Morgensonne sah wie ein goldener Dollar aus, wenn man sie durch die Öffnung der Wagenplane betrachtete. Shorty richtete sich mit großer Anstrengung auf. Ich muss hier ‛raus, dachte er, nach Hardrow zurückreiten und den Leuten sagen, was passiert ist. Vermutlich wird man über den verlorenen Postsack viel Aufhebens machen, aber daran ist nun mal nichts zu ändern. 

»He, Alter!«, rief er mit heiserer Stimme.

Der Mann erschien am hinteren Ende des Wagens, schob die Plane weiter zurück und sagte: »Ich heiße übrigens Seth Bohannan. Ich denke, wenn Sie schreien können, dann können Sie mich auch beim Namen nennen.«

Shorty nahm diesen Vorwurf mit wenig Feingefühl zur Kenntnis. »Ich muss nach Hardrow. Können Sie mir ein Pferd leihen?«

»Ein Pferd? Nein.« Bohannan war ihm beim Absteigen behilflich und lehnte ihn an das Wagenrad. »Das da ist Mary Ann«, sagte er und deutete auf einen Maulesel, der in der Nähe des Wagens angepflockt war. »Aber an einen Sattel hat sie sich nie so recht gewöhnen können.«

Shorty seufzte. Einen Sattel hatte er sowieso nicht – der Scheck war damit davongaloppiert und er war sicher, dass der alte Schäfer gar keinen Sattel besaß.

»Kennen Sie den Burschen, der es auf Sie abgesehen hatte?«, fragte der Alte.

»Ich weiß nicht mehr als Sie, Bohannan. Und meinen Postsack haben Sie nirgendwo gesehen?«

Der Alte stieß einen ungeduldigen Schnauflaut aus. »Ich habe weder Ihren Postsack noch Ihren Gaul gesehen. Wenn Mary Ann einverstanden ist, kann ich sie Ihnen bis Hardrow ausleihen.« Er schien die Rolle des barmherzigen Samariters nicht mehr gern weiterspielen zu wollen. Ein Schäfer hatte in einem Rinderland genügend eigene Probleme. Shorty sah den Alten von der Seite an, als er die Tiere betrachtete, die das spärliche Gras in einer Mulde rupften. Das bärtige Gesicht hatte einen grimmigen Zug, und Shorty fragte sich flüchtig, ob dieser Mann sich möglicherweise nicht nur mit Schafen, sondern auch mit anderen Dingen beschäftigte.

Bohannan nahm einen Topf vom Feuer, löffelte Schmorfleisch auf einen verbeulten Blechteller und gab ihn Shorty. »Essen Sie das«, sagte er. »Damit wird Ihr Magen bis Hardrow zu tun haben.«

Shorty beäugte misstrauisch die Fleischstücke. »Was ist denn das?«, fragte er. »Lammfleisch?«

Bohannan sah ihn entrüstet an. »Ein Schäfer isst nicht die eigenen Tiere. Wenn Sie das nicht wissen, sind Sie ein größeres Greenhorn, als ich dachte.«

Shorty grunzte eine Art Entschuldigung und ließ es sich schmecken. Das Schmorfett war dick, stark gepfeffert und schmeckte nach Knoblauch. Das Fleisch selbst hatte einen Wildgeschmack, war zäh und faserig. »Ich habe keine Ahnung, was für eine Kuh das mal war«, sagte er endlich, »aber die ist zu Lebzeiten bestimmt nicht mit Heu, Klee und besserem Futter verwöhnt worden.«

»Von einer Kuh kann keine Rede sein«, entgegnete der Alte angesichts der Unwissenheit seines Gastes. »Das ist Kojotenschmorfleisch! Ich habe dieses Rezept aus Sonora mitgebracht.«

Shorty wurde blass, schluckte kurz und stellte den Teller zur Seite. »Ich glaube, ich bin jetzt satt...« Er fuhr mit der Hand über seinen Kopf und mit einer Fingerspitze über die verschorfte Narbe. Zum ersten Mal seit seinem Erwachen auf dem Wagen Bohannans fühlte er sich kräftig genug, seinem Ärger freien Lauf zu lassen. Yes, Sir, dachte er, noch eine Haaresbreite tiefer, dann hätte mein Schädel keinen Deckel mehr gehabt! »Einen Spiegel haben Sie wohl nicht – oder doch?«, fragte er.

Der Alte antwortete nicht und sah ihn nur kurz an.

Auch egal, dachte Shorty; ich habe vier Tage mit einem Kopfschuss auf dem Wagen gelegen und kann mir schon denken, wie ich im Augenblick aussehe. Ich habe auch das Gefühl, dass ich in meinem Leben nie mehr glücklich sein werde, solange ich den Burschen, der mir einen Scheitel gezogen hat, nicht erwischt habe... 

 

Zwanzig Meilen auf dem nackten Rücken eines Maulesels über die Prärie zu reiten, das war auch unter günstigeren Umständen eine Plage. Um die Mittagszeit dröhnte Shortys Kopf wie eine Pauke, eine Sitzfläche war wundgescheuert, die Beine begannen sich zu verkrampfen. Und in seinem Magen wälzte sich das Kojotenfleisch á la Sonora hin und her.

Am Nachmittag traf er endlich in Hardrow ein; das war eine öde, staubige Stadt, die diese Bezeichnung nicht verdiente. Ein paar barackenartige Läden, einige Hütten, verlassen zum Teil, dem Einsturz nahe und mit Unkraut auf den Dächern. Eine Ranchereinkaufsstadt, abseits der Postkutschenstrecke Dodge-Tascosa; eine farblose Oase in sonnendurchglühter Wüste, aber für Shortys Augen immerhin ein erfreulicher Anblick.

Er zügelte seinen Maulesel in Höhe des Mietstalls am Stadtrand, stieg ab und stampfte mit den Füßen auf, um den unterbrochenen Blutkreislauf wieder in Gang zu bringen. Es war gespenstisch still in der Stadt. Nur drei Pferde standen vor den Haltegeländern; Wagen war weit und breit keiner zu sehen.

Er ging zur Tür des Mietstalls und rief laut: »Ist da jemand?«

Seine eigene Stimme dröhnte ihm im Kopf. Er hörte jemanden näherkommen, es war Murph Hogan, der plumpe, rotgesichtige, zwiebelköpfige Stallknecht, dem beinahe die Augen aus dem Kopf fielen, als er Shorty vor sich stehen sah.

»Sie sind es?«, fragte Hogan atemlos.

»An wen haben Sie denn gedacht?«, sagte Shorty ungeduldig. »Ich möchte gern meinen Maulesel abstellen, während ich...« Er sah sich den glotzäugigen Stallknecht näher an. »Was ist eigentlich los mit Ihnen, Mann?«

»Sie können es nicht sein«, knurrte Hogan.

»Das werde ich doch wohl besser wissen.«

»Alle sind am Gyp Creek – mit Haken und Netzen. Suchen den ganzen Flussboden ab.«

Shortys berühmte kurze Zündschnur fing Feuer. »Zum Teufel, was reden Sie für Zeug?«

Der Stallknecht schluckte. »Wir glaubten es alle... Ihr Pferd kam mit einem leeren Sattel zurück. Der Postsack war weg. Dann fanden wir auch noch Ihren Hut und dachten...«

Shorty gab einen grunzenden Laut von sich und sagte drohend: »Zum letzten Mal, Hogan: Was reden Sie für krauses Zeug?«

Hogan machte mit seinen Armen eine hilflose Schwenkbewegung. »Aber Sie müssen doch tot sein, Shorty! Alles deutete darauf hin. Alles!«

Shorty verstand allmählich, und seine Stimme klang wieder ein wenig ruhiger bei den Worten: »Man sucht den Gyp Creek nach mir ab? Ist es das, was Sie mir erzählen wollen?«

Hogans Kahlkopf bewegte sich auf und ab. »Alles war so klar wie der helle Tag, als wir zu der Stelle kamen, an der es passiert sein musste. Zuerst glaubten wir, Ihr Scheck sei scheu geworden und hätte Sie abgeworfen. Dann entdeckte Ab Jergin auch noch Ihren Hut am Flussufer. Und die Blutspur. Da konnten wir uns bequem ausrechnen, was geschehen war.«

»Und was war das?«, fragte Shorty mit beißendem Spott.

»Sie konnten nur ermordet worden sein, Shorty!«, platzte der Stallknecht heraus. »Das Gras war blutig an der Stelle, wo Sie aus dem Sattel geschossen wurden. Die Blutspur führte zum Wasser – und dann lag Ihr Hut am Ufer. Es war doch alles klar. Oder was hätten wir sonst davon halten sollen?«

Shorty atmete einmal tief ein und aus. Die Knie wurden ihm weich. Er hatte keine Ahnung, wie er an Stelle der Bewohner von Hardrow gehandelt haben würde. Und das war ihm auch egal. Sollten sie glauben, dass man ihn ermordet hatte, wenn ihnen das niemand ausreden konnte.

»Sie bekamen doch eine Kugel«, sagte der Stallknecht. »Sie wurden vom Pferd geschossen – nicht wahr? Man raubte Ihnen den Postsack!«

»Eine Kugel, ja«, sagte Shorty müde. »Ausgeraubt, ja. Aber Sie können den braven Bürgern von Hardrow mitteilen, dass sie nicht mehr den Morast im Gyp Creek aufzurühren brauchen. Und mein Grab können sie auch wieder zuschaufeln. Denn der alte Shorty Gibbs ist nicht tot – noch nicht ganz.«

Er machte kehrt und ging in Richtung des Plug-Hat-Saloons davon.

 

Goldie Vale war in ihren roten, hochhackigen Schuhen einen halben Kopf größer als Shorty Gibbs. Ihr Haar glänzte wie die Messingspucknäpfe entlang der Fußleiste der Bartheke. Sie saß am Ende der Bar und deckte in dem Moment die Karten auf, als Shorty eintrat.

»Whiskey«, sagte Shorty, sich auf die Bar stützend.

»Shorty Gibbs!« Ihre Stimme klang so hell wie ihr Haar aussah. Sie freute sich aufrichtig, dass Shorty noch am Leben war – und das, dachte Shorty, ist mehr, als ich von Murph Hogan behaupten kann. »Wir dachten alle, du wärst...«

Shorty machte eine wegwerfende Geste. »Ein Schäfer las mich auf und ernährte mich mit Kojotenfleisch. Ich weiß nicht, ob du dir darunter was vorstellen kannst.«

Goldie verzog nur das Gesicht und goss einen kräftigen Schuss Whiskey in ein Wasserglas.

Er trank es mit einem Schluck; eine angenehme Wärme brachte sein träge fließendes Blut in Bewegung, verlieh seinen Augen Glanz und schärfte seinen Verstand.

Goldie erholte sich von dem Schock, Shorty unter den Lebenden weilen zu sehen, und betrachtete ihn schärfer und forschender. »Hat dich schon jemand gesehen?«

»Nur Hogan im Mietstall. Er erzählte mir auch, dass die ganze Stadt im Gyp Creek meine Leiche sucht.« Er strengte sich vergeblich an, sein Gesicht zu einem Grinsen zu verziehen. »Um die Wahrheit zu sagen, ich hätte nie damit gerechnet, dass man so viel Aufhebens machen würde, wenn der alte Shorty Gibbs das Zeitliche segnet.«

Sie warf ihm einen Seitenblick zu, der ihn irgendwie mit Unruhe erfüllte. »Hat Hogan dir nichts von dem Fremden erzählt?«

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Einen Tag, nachdem dein Scheck mit dem leeren Sattel aufgetaucht war, kam ein Fremder namens Courtney nach Hardrow und stellte allerhand Fragen bezüglich deines Postritts von Tascosa.«

Shorty blickte ohne zu blinzeln in Goldies glitzernde, grüne Augen. »Wo steckt dieser Fremde jetzt?«

Ihr Gesicht wurde plötzlich blass; man sah deutlich die Sommersprossen auf ihrer Nase. »Ein paar Jungs ritten hinter ihm her und hängten ihn auf. Seit gestern Abend liegt er auf dem Friedhof.«

Shorty starrte sie an. Gewiss, einem Fremden gegenüber war man immer misstrauisch, aber einen Fremden zu lynchen, das war wieder etwas anderes. Auch für eine Stadt wie Hardrow. »Ich nehme an, dass keine Gerichtsverhandlung stattgefunden hat.« Shorty sagte es ohne Hoffnung.

Goldie zuckte die Achseln. »Der Kreisrichter kommt erst in einem Monat wieder – und die Jungs waren ungeduldig.«

Alles stürmte zu plötzlich auf Shorty ein. Zuerst hatte ein heimtückischer Schütze ihm beinahe ein Loch in den Hinterkopf geschossen, und dann hatte in Hardrow ein Fremder dafür bezahlen müssen. Und nun suchten die Stadtleute, aus irgendwelchen nebelhaften Gründen, den Gyp Creek nach seiner Leiche ab.

»Fangen wir noch einmal von vorn an«, sagte er. »Was hat dieser Fremde angestellt, dass die Leute sich über ihn ärgerten und ihn aufknüpften?«

Goldie griff gedankenverloren nach einem anderen Glas und goss sich selber einen Drink ein. »Nun, dieser Courtney behauptete, ein Spieler zu sein; aber er hat – solange er sich in Hardrow aufhielt – keine Karte angerührt.« Sie trank einen Schluck. »Da fällt mir ein, dass er für die Karten auch nie viel Zeit hatte.«

Shorty überkam ein merkwürdiges Gefühl – ein unangenehmer Juckreiz an einer Stelle, an der er sich schlecht kratzen konnte. »Wie sah er denn aus?«

Goldie betrachtete Shorty von oben bis unten, als wolle sie an seinen ein Meter fünfundsechzig Maß nehmen. »Groß«, sagte sie dann. »Bestimmt über einen Meter neunzig. Sah irgendwie verhungert aus.«

»Schwarzer Hut?«, fragte Shorty gespannt. »Lederweste? Schwarze Stiefel?«

»Du kennst ihn?«, fragte sie verwundert.

»Er nahm mich in Tascosa beim Spiel nach Strich und Faden aus. Er kassierte alles, was ich hatte, sogar das silberne Amulett, das ich immer als Glücksbringer bei mir trug.«

Goldie Vale sah ihn groß an. »Er hat dir das Amulett beim Spiel abgenommen?«

»Ich weiß nicht genau, ob man das als Spiel bezeichnen kann«, sagte Shorty. »Jedenfalls hat er es – auf seine Weise – gewonnen.« Ihm störte etwas im Gesicht der Saloonbesitzerin, und letzten Endes störte ihn seine eigene Unschlüssigkeit. Er konnte sich keinen Reim auf diese Vorgänge machen. »Was hat ein Stückchen Navajosilber mit dieser Lynchjustiz zu tun?«, wollte er wissen.

Goldie goss zögernd beide Gläser nach. »Eben dieses Amulett brachte die Dinge miteinander in Verbindung. Als dein Pferd kam und man am Flussufer deinen Hut entdeckte, da hielten wir dich alle für tot...« Sie spreizte ihre Hände, eine Geste der Hilflosigkeit. »Dann entdeckte jemand bei Courtney dieses Amulett. Jemand behauptete, du würdest dich nie von diesem Glücksbringer getrennt haben, da müsste dich schon jemand umbringen. Und ich glaube, so dachten alle. Als sie Courtney zur Rede stellten, behauptete er, es am Spieltisch einem Postreiter abgenommen zu haben, der hier in Hardrow wohne. Er sagte auch, das Amulett habe ihm Pech gebracht, und so wolle er es dem Mann zurückgeben; denn er sei Spieler und recht abergläubisch. Ja, das sagte er.«

Shorty rieselte ein kalter Schauer über den Rücken. Dieses silberne Amulett war nicht mal einen Dollar wert – und trotzdem hatte es einen Menschen ins Grab gebracht.

Goldie meinte es nur gut mit ihm, als sie sagte: »Trink dein Glas leer, Shorty. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen.«

»Ich mache mir auch keine Vorwürfe, Goldie.« Seine Wut schürte gleichzeitig seine Energie – aber konnte man eine ganze Stadt hassen? »Was ist mit dem verschwundenen Postsack?«, fragte er. »Hat irgendjemand Courtney diese Frage gestellt, bevor er aufgeknüpft wurde?«

Goldie lächelte, doch es war ein humorloses Lächeln. »Ich glaube nicht«, antwortete sie. »Wenn die Leute aufgewiegelt sind, dann können sie nicht mehr so klar denken.«

»Das«, sagte Shorty mit schneidender Stimme, »wird für Courtney bestimmt ein großer Trost sein!« Er machte kehrt, stampfte aus dem Saloon und ließ den von Goldie spendierten Whiskey unberührt auf der Bartheke stehen.

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Der ganzen Lynchgeschichte haftete etwas Tragisches an; aber es war keine Tragik von jener mehr zufälligen oder selbstverständlichen Art, die Shorty so häufig auf dem Trail erlebt hatte. Verlor beispielsweise ein guter Postreiter in pechschwarzer Nacht die Orientierung und stürzte samt seinem Pferd in eine Schlucht, dann war das eine andere Art von Tragik.

Shorty suchte seine Einraumwohnung in der Nähe des Mietstalls auf, ging gleich zu Bett und dachte über den verschwundenen Postsack nach. War darin etwas so Wertvolles gewesen, dass ein Mensch nicht vor einem Mord zurückschreckte, um es in die Hände zu bekommen? Anscheinend wohnte der Schurke hier in Hardrow, weil Hardrow die Endstation der Postreiter dieser Strecke war. Handelte es sich um einen Brief oder irgendetwas, das mit dieser Lynchjustiz zu tun hatte?

Es war Stunden später, als er erwachte und das breite, sanft blickende Gesicht von Hoyt Tooms vor sich sah. Tooms war der Marshal von Hardrow – wenigstens wurde er Marshal genannt und übte eine Tätigkeit aus, die der eines Gesetzesvertreters ziemlich nahekam.

Shorty blinzelte einige Male. Er hatte einen pelzigen Geschmack im Mund und noch immer dieses Pochen in seinem Schädel. Dann musterte er die massige Gestalt des Marshals und stellte fest, dass dessen Kleidung mit Schweiß durchtränkt und mit Morast beschmiert war.

»Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, Tooms«, sagte Shorty mürrisch, »aber ich dachte nicht daran, mich im Gyp Creek zu ersäufen, um das Gewissen Ihrer Lynchmannschaft zu beruhigen.«

»Würde ich in Ihren Stiefeln stecken«, sagte Tooms mit einer Stimme, die an das Schnurren einer großen Katze erinnerte, »würde ich besser auf meine Worte achten. Die Leute sind nervös. Ihretwegen waren wir den ganzen Tag am Fluss – und Sie liegen schlafend in Ihrer Bude. Und dann die Sache mit Courtney, diesem Fremden. Geht auch auf Ihre Rechnung, Shorty. Die Leute vergessen so leicht nichts.«

»Auf meine Rechnung?« Shorty schwang die Beine von seiner Pritsche und setzte sich aufrecht hin. »Na, das ist gut...« Er blickte den stämmigen Marshal an. »Sieht aus, als würde hier niemand etwas Schlechtes tun – wie Menschen überfallen oder lynchen. Es sind immer nur die Leute. Aber niemand, auf den man mit dem Finger zeigen und das ist er sagen kann. Finden Sie das nicht auch ein wenig seltsam, Marshal?«

»Was dem Fremden zustieß, war ein Unfall, Gibbs. Je früher Sie sich damit abfinden, umso besser für uns alle.«

»Schon wieder Mehrzahl«, sagte Shorty. »Hätte es nicht heißen müssen: Umso besser für jemanden?«

Der Gesichtsausdruck des Marshals veränderte sich nicht, obwohl man den Eindruck hatte, dass seine grauen Augen ein wenig kühler blickten. »Das ist Ihr Standpunkt, Gibbs. Niemand macht Ihnen einen Vorwurf, aber Sie werden nicht bestreiten können, dass Sie uns allerlei Kopfzerbrechen verursacht haben.«

Shorty sagte verbittert: »Sobald ich kräftiger bin, werde ich mich in aller Form dafür entschuldigen, dass man auf mich geschossen hat.« Er stand auf, stolperte zum Waschständer und kippte sich eine Schöpfkelle Wasser über den Kopf. Dann blickte er in die milchige Spiegelscherbe über dem Waschständer, und es war ein Schock für ihn, als er zum ersten Mal nach vier Tagen sein Gesicht betrachtete.

Seine Augen waren so eingefallen wie seine Wangen. Der Bart war eine Woche alt und verlieh seinem Gesicht das Aussehen einer noch nicht gewaschenen Leiche.

Er kümmerte sich nicht mehr um den Marshal, griff nach der Seife, schäumte sein Gesicht ein und begann sich zu rasieren. Aber der Marshal ging nicht und sah ihm schweigend zu.

»Und was wollen Sie im Hinblick auf den verschwundenen Postsack unternehmen?«, fragte Shorty schließlich.

Der Marshal zuckte die Achseln. »Da gibt’s nicht viel zu unternehmen. Ich werde natürlich den County Sheriff informieren, wenn ich ihn sehe. Es war Ihre Aufgabe, die Post einzubringen, und ich habe außerhalb von Hardrow keine Vollmachten.«

Shorty konnte sich die weitere Entwicklung der Dinge vorstellen. Man würde ihn für alles verantwortlich machen. Er war überfallen worden, gewiss, aber da hätte er eben besser aufpassen müssen. Und was den County Sheriff betraf, so wusste dieser Mann vielleicht nicht einmal, dass es eine Stadt namens Hardrow gab.

Shorty beendete schweigend seine Rasur. Er wusch sein Gesicht und achtete darauf, dass er nicht die verschorfte Narbe auf seinem Kopf berührte. »Wo ist mein Hut?«, fragte er. »Ich hörte, er wurde am Ufer des Gyp Creek gefunden.« Ohne Hut kam er sich irgendwie nackt vor – und ein Postreiter konnte sich nicht jedes Mal, wenn auf ihn geschossen wurde, einen neuen Hut kaufen.

»Ihr Hut ist drüben bei Goldie Vale«, antwortete Tooms.

»Hat Goldie Ihnen von dem Fremden erzählt, von seinem Amulett, und wie er in dessen Besitz gekommen war?«

Tooms nickte mit seinem schweren Kopf.

»Ich denke, die Stadt kann stolz auf sich sein«, sagte Shorty. »Sie hat einen Mord aufgeklärt, der kein Mord war, und einen Mann an den Galgen gebracht, der nichts damit zu tun hatte. Ich nehme an, dass es keinem Menschen in den Sinn kam, nach Tascosa zu reiten, um den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte zu überprüfen, wie?«

Der Marshal sah Shorty mit zusammengekniffenen Augen an. Eine gewisse klärte war in seinem Gesicht zu lesen, als er fragte: »Sie werden doch nicht Staub aufwirbeln wollen, Gibbs?«

Shorty lachte, aber nur kurz, weil er sofort seinen Kopf spürte. »Ich bekam eine Kugel und verlor den Postsack, das ist mein ganzes Verbrechen. Warum sollte ich Spektakel machen? Hätte ich einen unschuldigen Menschen aufgehängt, wäre mir möglicherweise ein bisschen anders zumute.«

Der Marshal hatte die ganze Zeit neben der Tür gestanden, aber jetzt kam er in den Raum. Seine wuchtige Gestalt schien förmlich die Wände auszubeulen. Er legte beide Hände auf den Waschständer, beugte sich vor und sah Shorty mit eiskalten Augen an. »Werden Sie nicht frech, Gibbs. Das mit dem Fremden war eine böse Sache, aber man kann niemandem einen Vorwurf machen. Den Leuten gingen nun mal die Pferde durch, so etwas kann überall passieren.« Seine katzenartig schnurrende Stimme hatte nun einen leise fauchenden Unterton.

Shorty erwiderte den Blick des Marshals und fragte sich, ob er eines Tages in die Verlegenheit kommen würde, die Theorie des guten kleinen Mannes gegen einen guten großen Mann auf die Probe zu stellen.

»Sie wollen alles in Vergessenheit geraten lassen, nicht wahr? Den Überfall, die Lynchjustiz, den Raub? Es soll Gras darüber wachsen, habe ich recht?«

»Das ist besser für alle, Gibbs. Courtney ist tot – niemand kann etwas daran ändern.«

»Aber irgendwo läuft ein Bandit mit meinem Postsack herum. Interessiert es denn keinen Menschen, wer dieser Bursche ist?«

»Eins führt zum anderen«, sagte der Marshal. »Sucht man den Banditen, stellt man die Lynchgruppe bloß. Der Postsack ist nicht weiter wichtig – niemand in Hardrow wird sich beschweren. Ja, niemand wird überhaupt erfahren, dass Sie den Postsack verloren haben.«

»Tröstlich zu hören«, murmelte Shorty mit dem ganzen Sarkasmus, den er aufbieten konnte.

Tooms machte eine resignierende Schulterbewegung, zwängte dann seine stattliche Körperfülle durch den Türrahmen und war verschwunden.

Shorty hörte die sich entfernenden Schritte und betrachtete in der Spiegelscherbe sein hageres, eingefallenes Gesicht. »Ich will doch verdammt sein«, sagte er laut. »Oder wie denkst du darüber, Shorty?«

 

Wenig später ging er zum Ace-Café. Dort bestellte er Pfannkuchen, Chili, Steak und Kartoffeln, um den Kojotenfleischgeschmack aus seinem Mund zu vertreiben. Er hatte ein Bad genommen und die Kleidung gewechselt; auf diese Weise war er endlich den scharfen Schafgeruch losgeworden, der ihn unliebsam an die Gastfreundschaft des alten Bohannan erinnert hatte. Der Schlaf hatte ihn erfrischt, und die Kopfschmerzen waren nicht mehr so stark. Mit gefülltem Magen und klaren Augen sah die Welt gleich anders aus. Vielleicht hatte er die Stadt zu voreilig verflucht; er musste sich erst einmal überall gründlich umhören.

Der alte Ben Kramer, Besitzer des Cafés, schob Shorty eine Tasse zu, goss schwarzen Kaffee hinein und warf ihm einen misstrauischen Seitenblick zu.

»Seien Sie unbesorgt«, sagte Shorty trocken. »Ich bin kein Geist – noch nicht.«

»Mag sein«, erwiderte Kramer, »aber ich muss mich erst daran gewöhnen.« Schweigend fragte er Shorty, ob er nicht lieber woanders essen wolle, aber auf schweigende Stimmen reagierte Shorty nicht.

»Ich habe einiges nachzuholen«, erklärte Shorty und beschäftigte sich mit einem Stück Apfelkuchen. Dann fragte er plötzlich: »Können Sie mir etwas über diesen Spieler namens Courtney erzählen?«

Kramer betupfte mit dem Wischlappen, den er gerade in der Hand hatte, seine Stirn. »Da weiß ich nichts. Ich habe den Mann nie gesehen.«

Shortys Gefühl des Wohlbefindens schwand dahin. »Das muss ein Kunststück gewesen sein«, kommentierte er trocken. »Zumal dann, wenn man berücksichtigt, was Courtney zugestoßen ist...«

»Was mich betrifft, so weiß ich nicht, ob jemandem etwas zugestoßen ist, wie Sie sagen. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten.«

Der Cafébesitzer legte den Wischlappen zur Seite und machte sich am Ende der Theke zu schaffen.

So sieht das also aus, dachte Shorty. Es muss eine große Enttäuschung für die Leute gewesen sein, als sie meine Leiche nicht im Gyp Creek fanden. Aber ich sitze hier, in voller Lebensgröße, und erinnere die ganze Stadt daran, dass ein unschuldiger Mann aufgeknüpft wurde. Er aß den Rest Apfelkuchen, zahlte und ging hinaus.

Die Straße machte einen ziemlich verlassenen Eindruck, als er in Richtung des öffentlichen Korrals ging, um nach seinem Scheck zu sehen. Leicht verwundert stellte er fest, dass Hardrow eine sterbende Stadt war. An sich ging es mit ihr schon bergab, als die Postkutschenlinie zugunsten von Tascosa einen weiten Bogen machte.

Ich habe hier nur meine Zeit verschwendet, dachte er düster. Zwei Jahre, in denen ich mir lediglich die Sitzflächen wundgeritten und Kopfschmerzen bekommen habe. 

Auch der Wagenabstellplatz machte, wie der Rest der Stadt, einen öden Eindruck. Südlich des Mietstalls hatten einmal ordentlich aussehende Hütten gestanden, aber jetzt waren die meisten entweder zusammengebrochen, oder man hatte sie als Brennholz verfeuert. Die Zeiten, in denen Rancher und Cowboys ihre Feiertage in Hardrow verbrachten, waren vorbei. Man amüsierte sich lieber woanders.

Shorty ging um den Mietstall herum zum öffentlichen Korral. Der Scheck war da, rund und zufrieden aussehend wie ein Comanche, dem man soeben ein Stück Land zugeteilt hatte.

Murph Hogan kam aus dem Stall und wischte mit einem Halstuch seinen Kahlkopf ab. »Sie schulden mir noch drei Dollar für die Fütterung und Pflege Ihres Pferdes«, sagte er zu Shorty. »Und ich möchte das Geld sofort haben.«

Shortys Augen glitzerten bei der Frage: »Ist es nicht so üblich, dass Rechnungen am Wochenende beglichen werden?«

»Normalerweise ja, aber jetzt sieht die Sache anders aus. Ich habe für Ihren Schecken keinen Platz mehr – und weil schon mal die Rede davon ist, können Sie den Maulesel auch gleich mitnehmen.«

Shorty starrte nur; er war zu verblüfft, um sich aufregen zu können. Während er den Tag verschlafen hatte, musste in Hardrow etwas sehr Interessantes über die Bühne gegangen sein. Plötzlich war in einem leeren Korral für zwei Tiere kein Platz mehr. In einer Stadt, die im Absterben begriffen war, verzichtete ein Stallknecht auf seinen Verdienst! Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Shorty zahlte ohne viel Aufhebens und mit einer Fügsamkeit, die seiner Natur eigentlich fremd war. Er ließ sich seinen Sattel und das Gewehr geben. »Ich habe das seltsame Gefühl«, sagte er nachdenklich, »dass Sie mir auch kein Futter für die beiden Tiere verkaufen werden – oder irre ich mich?«

Hogan blinzelte. »Ich habe gerade genug Futter für die Pferde meiner Stammkundschaft.« Er war kein sehr empfindsamer Mann, wusste aber trotzdem, dass Shortys Lächeln nur eine Maske war. »Jetzt muss ich wieder an die Arbeit«, sagte er und steuerte auf die Stalltür zu.

Glücklicherweise war das Futterproblem einfach zu lösen. Gleich hinter Shortys Bude wuchs hohes Gras. Da hatten die Kauwerkzeuge von Pferd und Maulesel schon einige Zeit zu tun. Andererseits hatte Shorty das dumpfe Gefühl, dass sich am Horizont bereits andere Probleme abzeichneten. Vielleicht musste er auch aus dieser Bruchbude ausziehen, die er gemietet hatte. Vielleicht wurde sein Scheck lahm, sodass er seinen Postreitervertrag nicht mehr hundertprozentig erfüllen konnte und man auf seine weiteren Dienste verzichtete. Vielleicht hatte er in den Läden von Hardrow plötzlich keinen Kredit mehr. Da konnten die seltsamsten Dinge passieren, wenn sich jemand vorgenommen hatte, sie passieren zu lassen; beispielsweise so ein Mann wie Hoyt Tooms.

Wieder spürte Shorty, dass er keine Kopfbedeckung hatte. In den Panhandle Counties nahm ein Mann seinen Hut gewöhnlich nur bei Beerdigungen ab und wenn er zu Bett ging.

 

Der Plug-Hat-Saloon machte gute Geschäfte, wenn man berücksichtigte, dass Zeit zum Abendessen war und die meisten Bürger von Hardrow zu Hause aßen. Shorty zählte an der Bartheke immerhin vier Cowboys und sah an einem der Tische zwei Rancher und einen Mann von der Rindergenossenschaft. Die Rancharbeiter und der Genossenschaftsmann trugen Revolver, was nicht ungewöhnlich war, obwohl mehr und mehr Stadtgemeinden dazu übergegangen waren, das Tragen von Schusswaffen zu verbieten. Man sah nicht häufig so viele Schusswaffen in einem Raum.

George Marquis, Goldies Schankkellner für die Abendstunden, arbeitete am Ende der Bar. Shorty nickte der Besitzerin zu. Ohne eine besondere Aufforderung stellte Goldie eine Flasche und ein Glas vor Shorty hin und reichte ihm den Hut. Er inspizierte seinen Kopfschmuck mit mehr als gewöhnlichem Interesse. Es war ein guter, nicht billiger Hut – oder war es vor zwölf Jahren gewesen. Jetzt trug das Schweißband seinen Namen zu Recht; der Flut war fleckig, speckig und wies auch sonst Spuren unzähliger Misshandlungen auf, aber er hatte noch immer seine ursprüngliche Form beibehalten, wie das nur bei erstklassigem Filz der Fall war. Fast so gut wie neu, dachte Shorty grimmig. Er betrachtete die beiden Löcher im Hut und den dunklen Fleck, die bei der letzten Inspektion noch nicht vorhanden gewesen waren.

Er putzte den Hut mit seinem Ärmel ab und drückte ihn so zurecht, dass die Löcher nicht sofort auffielen. Dann setzte er ihn vorsichtig auf. »Danke, Goldie«, murmelte er.

»Jetzt hast du alles, was du bei deinem Eintreffen in Hardrow hattest«, sagte Goldie. »Glaubst du nicht auch, dass es besser ist, wenn du dich nach einer anderen Stadt umsiehst?«

Shorty sah sie leicht verwundert an. »Du auch, Goldie? Sieht aus, als wären alle daran interessiert, mich aus Hardrow zu bugsieren, aber ich dachte, dass wenigstens wir beide uns verstehen würden.«

Goldie sah ihn an, als habe die Kugel seine Gehirnzellen beschädigt. »Was willst du damit sagen, Shorty? Möglich, dass du’s selber noch nicht gemerkt hast, aber du bist wahrhaftig nicht der beliebteste Gentleman, der jemals in Hardrow aufgetaucht ist. Und eine Geschäftsfrau in dieser Gegend muss nicht unbedingt mit Shorty Gibbs befreundet sein.«

Shorty griff nach der Flasche und füllte sein Glas. »Ich wusste, dass die Stadtleute verärgert sind – aber so schlimm kann es doch nicht sein?«

»Ich weiß nur, was ich sehe, Shorty. Dort an jenem Tisch sitzt Emery Straffer, der zweitgrößte Rancher in dieser Gegend von Texas. Neben ihm sitzt Paul Maston, der drittgrößte Rancher. Und der lange Gentleman, der den beiden Gesellschaft leistet, ist Sam Milo, Oberinspektor der Rindergenossenschaft. Weißt du, wie lange die schon nicht mehr in Hardrow waren?

Shorty grunzte etwas und trank sein Glas leer.

»Über ein Jahr«, sagte Goldie mit einer Betonung, als sei das eine sehr wichtige Feststellung. »Kannst du dir denken, was sie wissen wollen? Alle, wie sie zur Tür hereinkommen?«

Shorty schüttelte den Kopf.

»Sie wollen wissen, ob ich nicht Shorty Gibbs gesehen habe. Es will ihnen offenbar nicht in den Kopf, dass du noch lebst.«

»Sicher nicht die einzigen Leute, die darüber enttäuscht sind...«

Goldies Lächeln war wie ein blitzendes Messer. »Also ist dir schon ein Licht aufgegangen! Sagt es dir nichts, wenn jemand dich beinahe umgebracht hat und nun alle Leute versuchen, dich aus der Stadt zu vertreiben?«

»Natürlich sagt mir das etwas«, erwiderte Shorty. »Hardrow ist eine Stadt mit einem verdammt schlechten Gewissen.«

»Ach, du bist ein Narr, Shorty!«

»Vielleicht bin ich tatsächlich einer«, sagte er. »Wäre ich sonst auf die blödsinnige Idee gekommen, mich hier niederzulassen? Na ja, aber jetzt bin ich schon mal hier und habe keine Lust, mich so einfach verscheuchen zu lassen.« Er grinste breit, wenn auch ein wenig verkrampft. »Wie dem auch sei, Straiter und Maston sind für mich nicht maßgeblich. Wenn John English und seine Leute mich aus der Stadt jagen wollen, dann würde ich mir schon eher Gedanken machen.«

Goldie schüttelte traurig den Kopf. »Welche Blumen hast du denn am liebsten, Shorty? Für den Fall, dass ich in Verlegenheit komme, dir welche aufs Grab pflanzen zu müssen.«

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit einem neuen Gast zu, der eben die Schwingtüren aufgestoßen hatte. Shorty beobachtete sie mit zusammengekniffenen Augen und musste zugeben, dass sie eine attraktive Frau war; doch ihr Sinn für Humor beeindruckte ihn weniger. Der neue Kunde trat an die Bar und nahm zwischen den Männern in Cowboykleidung und Shorty Aufstellung. Offensichtlich war er auch ein Rancharbeiter, schien aber zur ersten Garnitur zu gehören. Er hatte das hagere, zähe Aussehen eines Mannes, der den größten Teil des Tages im Sattel verbrachte. Seine Kleidung war staubig, aber von erstklassiger Qualität. Shorty betrachtete kurz die schwarzen Stiefel; sie waren schon alt und ausgetreten, doch beste Maßanfertigung. Sie mussten einmal ein kleines Vermögen gekostet haben. Ein Vormann, dachte Shorty. Oder wenigstens der erste Mann auf einer großen Ranch. Er trug einen 45er mit hölzernem Kolben an der rechten Hüfte. Shorty, der keinen Revolver bei sich hatte, begann sich irgendwie nackt zu fühlen.

Goldie Vale schob dem Gast Flasche und Glas zu, kassierte das Geld, wandte sich wieder an Shorty und fragte mit gedämpfter Stimme: »Kennst du den Gentleman in den schwarzen Stiefeln?«

Er schüttelte den Kopf.

»Das ist Nate Corry«, antwortete Goldie und lächelte verschmitzt.

Shorty richtete sich unwillkürlich auf. Corry war der Vormann von John English, des einflussreichsten Mannes unter allen Ranchern von Panhandle. »Vielleicht spiele ich hier eine größere Rolle, als ich annehme«, sagte er zu der Saloonbesitzerin.

Aus dem Süden wehte eine sanfte Brise in den Plug-Hat-Saloon und streifte Shortys Nacken.

Goldie meinte besorgt: »Aber du spielst keine so große Rolle, dass Rancher wie John English vor dir den Hut ziehen, Shorty.« Sie schüttelte den Kopf und setzte damit ihre blonden Löckchen in Bewegung. »So eine Versammlung habe ich nicht mehr gesehen, seit dieser Schäfer aus Carrizo nach Panhandle kam.«

»Wann war das?«

»Vier Jahre her. Bevor du hier landetest. Aber jetzt dreht es sich nicht um Schafe. Der einzige Schäfer, von dem ich gehört habe, ist dieser alte Tropf, der dich mit Kojotenfleisch gefüttert hat und...«

Aber Shorty war schon gegangen. Unberechenbar wie der Präriewind, hatte er einfach den Hut auf seinen verletzten Kopf gesetzt und den Plug-Hat-Saloon verlassen.

 

Der Geruch des Holzfeuers und des Kojotenfleisches in dem Schmortopf über den Flammen schlugen Shorty gewaltig auf den Magen. Er zügelte sein Pferd unweit des Wagens und rief: »He, Bohannan! Sind Sie noch wach? Ich bin’s, Shorty Gibbs!«

Der Mond stand hoch am Himmel; sein silberner Glanz fiel auf das farblos wirkende Gras und die verblichene Plane des Wagens. Shorty hielt die Lederleine hoch. »Ich bringe Ihnen den Maulesel zurück!«

Seth Bohannan, ein Schatten in einem noch dunkleren Schatten, löste sich vom Wagen und bewegte sich auf seinen späten Besucher zu. Er hatte ein altes langläufiges Gewehr unter dem rechten Arm, ließ es fast enttäuscht sinken und sagte langsam: »Nicht, dass ich nicht froh darüber bin, meine Mary Ann wieder zurückzubekommen, aber der Mensch kann schon misstrauisch werden, wenn das mitten in der Nacht passiert.«

»Und außerdem«, sagte Shorty, »möchte ich mich mit Ihnen unterhalten.« Er hielt sich an die Gepflogenheiten des Südwestens und stieg nicht früher von seinem Pferd, bis der Alte eine entsprechende Geste machte.

»Wenn Sie wissen wollen, wer auf Sie geschossen hat, dann kann ich keine Auskunft geben.« Bohannan griff nach der Leine.

Sie gingen die Böschung zum Wagen hinauf und führten die Tiere hinter sich her. Der Alte blieb neben seinem Feuer stehen und schlang die Leinen um ein Wagenrad. Shorty umkreiste den leise brodelnden Schmortopf, bis er den Wind im Rücken hatte, und drehte sich eine Zigarette.

»Waren Sie vor vier Jahren, als es Ärger mit den Schafen gab, auch in dieser Gegend?«

»Nein«, sagte der Alte und nahm auf der anderen Seite des Feuers Platz. »Das waren mexikanische Hirten.«

»Können Sie mir verraten, was Sie ins Rinderland geführt hat?«

Bohannan dachte angestrengt über diese Frage nach und antwortete: »Die Herde geht nur dem Gras nach, und ich muss der Herde folgen.«

»Auch wenn die Herde Sie in gefährliche Bezirke führt?«

Der Alte blickte ihn über die glühenden Kohlen des Feuers hinweg an. »Sie haben mir Mary Ann zurückgebracht – was hat Sie außerdem noch zu mir geführt?«

Shorty erzählte ihm, was er über die merkwürdige Haltung der Stadtleute wusste, und das war wenig genug. »Nicht, dass ich Hardrow ungern verlasse«, erklärte er, »aber ich möchte nicht gern davongejagt werden, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Ich weiß«, sagte der Alte, »ich weiß...«

»Nun, so sehen die Dinge aus. Zuerst will der Marshal auf mir herumhacken, dann ist im öffentlichen Korral kein Platz für mein Pferd, und schließlich versammeln sich plötzlich die maßgeblichen Rancher in der Stadt und sind alle sehr neugierig auf Shorty Gibbs. Aber was mich hierhergeführt hat, ist die Bemerkung der Besitzerin des Saloons. Goldie sagte nämlich, dass die Rinderkönige sich zum ersten Mal seit dem Schafkrieg in Hardrow versammeln. Auf so etwas können Sie sich doch nicht einlassen, nicht wahr, Bohannan?«

Der Alte wackelte mit dem Kopf. »Nur ich und ein paar Dutzend Schafe... Wir sind doch die ganze Aufregung nicht wert.«

»Egal, Sie sind den Ranchern möglicherweise ein Dorn im Auge. Ich habe Rinderleute erlebt, die auf einen Schäfer schossen, nur um sein Blut zu sehen.«

Eine seltsame Starre breitete sich auf Bohannans Gesicht aus. »Das habe ich auch erlebt«, sagte er mit tonloser Stimme. Er schien durch Shorty hindurch zu blicken und in der Nacht Dinge zu sehen, die kein anderer sah. »Das habe ich auch erlebt«, wiederholte er. »So haben sie auch meinen Sohn umgebracht – nur um ihn bluten zu sehen. So brachten sie Ramon um...«

Der alte Bohannan stellte sich auf die Beine und ging, ohne Shorty auch nur anzublicken, in die Nacht hinaus.

Als Shorty wieder in Hardrow eintraf, war der größte Teil der Nacht schon vorbei. Der Scheck trottete die dunkle, verlassene Hauptstraße entlang. Der Präriewind hatte sich gelegt, aber trotzdem roch Shorty einen scharfen Brandgeruch. Er beugte sich im Sattel ein wenig vor. Alles schien völlig normal, denn zwei, drei Stunden vor Sonnenaufgang schlief die ganze Stadt. Es war nur ein wenig zu ruhig. Shorty tastete nach der Winchester im Sattelhalfter und hatte sie schon halb herausgezogen, als auf der Straße – vor dem Mietstall – eine dunkle Gestalt auftauchte.

Tooms – kein anderer Mann in Hardrow bildete auf einer leeren Straße eine derart große Silhouette.

Shorty zog seine Winchesterbüchse ganz heraus und drückte mit der gleichen Bewegung eine Patrone in die Kammer.

Tooms rührte sich nicht und stand nur in einer fast gelangweilten Haltung da. »Das Gewehr brauchen Sie nicht«, sagte er laut. »Noch nicht.«

Shorty ritt langsam weiter, vorsichtig und wie ein Hund in der Luft schnuppernd. Das war kein Nebel von den High Plains, sondern einwandfrei Rauch.

Er schob das Gewehr ins Halfter zurück und fragte: »Können Sie mir sagen, was ein Marshal um diese Zeit auf den Straßen zu suchen hat?«

»Ich könnte Ihnen die gleiche Frage stellen«, war die Antwort.

Shorty ging nicht darauf ein, schnupperte wieder und sagte: »Mir scheint, da hat etwas gebrannt.«

»Eine der Hütten hinter dem Mietstall.« Der große Marshal betrachtete ihn nachdenklich. »Es war Ihre Hütte, Gibbs.«

Shorty richtete sich im Sattel auf, aber er beherrschte sich eisern und verdaute diese Auskunft zunächst einmal. Als er sprach, war seine Stimme wie Eis: »Ich wusste immer, woran ich mit Ihnen war, Tooms; aber für einen Brandstifter habe ich Sie nun doch nicht gehalten.«

Der Marshal bewegte nur kurz seine breiten Schultern. »Wenn ich von Ihnen genug habe, Gibbs, dann brauche ich Sie nicht auszuräuchern. Da gibt es andere Mittel.«

»Wollen Sie einige davon ausprobieren, Marshal? Sofort?« Seine bisher bewundernswerte Selbstbeherrschung verlor an Boden. Ärger wallte in ihm auf, wilder, heißer Ärger. Er schwang sich aus dem Sattel und griff nach seinem Gewehr. »Dann fangen Sie an, Marshal!« Er merkte plötzlich, dass er schrie, und das Echo seiner Stimme donnerte wie ein Kanonenschuss über die Dächer der Stadt hinweg. »Ich fordere Sie, Tooms! Versuchen Sie, mich loszuwerden.«

Der massige Marshal gab nur einen tiefen Seufzer von sich und sagte gedehnt: »Ein andermal, Gibbs. Nicht heute Nacht.«

»Was ist denn los, Tooms? Warten Sie vielleicht auf eine Gelegenheit, mir eine Kugel in den Rücken zu jagen?«

Die grauen Augen des Marshals schienen in dem blassen Mondlicht zu glitzern, aber seine Stimme war so weich wie immer – eine große, schnurrende Katze. »Das entspricht nicht ganz meiner Art, Gibbs. Ich habe auf Sie gewartet, um Ihnen eine Nachricht von Goldie Vale zu übermitteln. Sie lässt Ihnen sagen, dass die Hoftür ihres Saloons offen ist. Wenn Sie wollen, können Sie dort den Rest der Nacht verbringen.«

Shortys Griff um den Kolbenhals der Winchester lockerte sich. Er wusste, dass er sich selbst zum Narren gehalten hatte. »Nun gut«, sagte er schroff, »Sie haben mir die Nachricht übermittelt.« Er schob das Gewehr ins Halfter zurück und führte sein Pferd zu den Resten dessen, was von seiner Hütte übriggeblieben war.

Es war nicht viel – ein angekohlter Türrahmen, der an einem Stück Wand lehnte; ein Haufen rauchgeschwärzter Balken, die noch qualmten. Ein paar glühende Kohlen blinzelten in die Dunkelheit.

Tooms war ihm schweigend bis zu diesem Aschenhaufen gefolgt und erklärte: »Wir wissen nicht genau, wie es passiert ist. Sie waren noch nicht lange weg, da kam ein Viehtreiber in den Plug-Hat-Saloon und sagte, dass eine Hütte in Flammen stünde. Wir konnten nicht viel tun. Das nächste Wasserfass stand erst vor dem Mietstall.«

»Ein Feuerwerk für all die wichtigen Gäste der Stadt«, murmelte Shorty verbittert. »Keine schlechte Idee.« Er starrte den Marshal an. »Sie standen einfach da und sahen zu, wie?«

»Nur kurze Zeit«, sagte Tooms ruhig. »Dann ging ich in den Saloon und trank ein Bier.« Noch ehe Shorty explodieren konnte, hatte der Marshal sich in die Nacht zurückgezogen.

Die Dunkelheit lastete schwer auf Shorty. Er kam sich selber leer und ausgebrannt vor. Die verflossenen Tage hatten seine Energie untergraben. Lange Zeit stand er noch da und starrte wie blind auf die rauchende Asche.

»Zweiunddreißig Jahre alt«, sagte er laut, »und alles, was ich habe, sind ein Pferd, ein alter Sattel und ein zwölf Jahre altes Gewehr.« Und dann noch die Kleidung, die ich trage, dachte er. Die wenigen Habseligkeiten, die ich außerdem noch besaß, liegen unter den verkohlten Trümmern der Hütte. Dann wieder laut: »Aber die werden mich nicht davonjagen, höchstens davontragen, mit den Füßen voran!«

Als er das laut ausgesprochen hatte, fühlte er sich ein wenig besser. Er grinste wölfisch in die Dunkelheit hinein und fügte hinzu: »Wenn ihr mich ins Jenseits befördern wollt, Jungs, dann müsst ihr euch schon etwas einfallen lassen!«

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Er pflockte seinen Schecken auf die mit Wollkraut und Gras bewachsene Fläche hinter dem Plug-Hat-Saloon. Die Hoftür des Saloons war offen. Er trat vorsichtig ein und kam sich wie ein Einbrecher vor.

Ein unangenehmer Gedanke durchkreuzte sein Gehirn: Angenommen, Tooms hatte das alles arrangiert... Und was war schon dabei, wenn ein gewissenhafter Marshal einen Einbrecher erschoss? Konnte Tooms diesen Vorfall später nicht so auslegen? Ich hielt ihn für einen Einbrecher, konnte er sagen und dabei auf Shorty Gibbs deuten, der kalt und steif auf dem Fußboden des Saloons lag.

Meine Phantasie macht sich selbständig, dachte Shorty verärgert; Tooms mag seine Fehler haben, aber Mordlust gehört aller Wahrscheinlichkeit nach nicht dazu.

Er riss ein Streichholz an und hielt es an den Docht einer Spiegellampe. Goldie hatte auf dem Billardtisch am Ende der Bar ein Bett für ihn hergerichtet. Er sah sich vorsichtig um, doch er hatte eigentlich keinen besonderen Grund dazu, es sei denn, dass er einen Saloon um diese Zeit noch nie von innen gesehen hatte.

Er kehrte wieder zur Rückseite des Gebäudes zurück und schloss die Hoftür ab. Dann blies er die Lampe aus, streifte die Stiefel ab und legte sich auf das provisorische Bett. Er konnte sich in voller Länge ausstrecken und dachte: Manchmal hat es gewisse Vorzüge, klein zu sein. 

Er konnte nicht einschlafen und lag mit offenen Augen in der Dunkelheit. Er versuchte, seine Gedanken von Brandstiftern und heimtückischen Schützen abzulenken. Ein merkwürdiger Mann, dieser Seth Bohannan, dachte er. Ein Schäfer mit seiner Herde – und mitten in einem Rinderland! Das grenzte beinahe an Selbstmord. Ich wollte, ich könnte dem Alten helfen, dachte Shorty, aber er sah keine Möglichkeit. Bohannan war sein eigener Ratgeber und er, Shorty, hatte selbst genug Sorgen.

Seine Gedanken streiften Goldie Vale. Wer anders in Hardrow hätte den Mut aufgebracht, Shorty Gibbs zu beherbergen, wenn alle Leute versuchten, ihn aus der Stadt zu jagen? Goldie war auf ihre Art ein patentes Mädchen. Sie hatte Mut und die nötige Portion Mutterwitz – und es gab schon allerlei an ihr zu sehen.

Aber es gab Zeiten, da betrachtete Goldie ihn wie den letzten Gaul, der auf dem Pferdemarkt übriggeblieben war, und überlegte, ob sich der Kauf bezahlt machen würde oder nicht. Wie dem auch sei, Goldie war ohnehin nicht sein Typ; jedenfalls redete er sich dies tagtäglich ein, um etwas für seinen Seelenfrieden zu tun.

Seine Gedanken brodelten durcheinander und konzentrierten sich dann mehr und mehr auf eine Tatsache, die er nicht so recht begreifen konnte: Was war in dem verschwundenen Postsack gewesen?

Die normale Postsendung nach Hardrow war denkbar uninteressant. Weil es in Hardrow keine Bank gab, konnte auch keine nennenswerte Geldsumme im Postsack gewesen sein; anderenfalls würde man ihn davon in Kenntnis gesetzt haben.

Plötzlich schwang er die Beine von seinem Billardbett und wanderte auf bloßen Fußsohlen im Saloon herum, wobei er sich mechanisch eine Zigarette drehte. Ebenso mechanisch zündete er sie an. Warum sollte es jemandem in den Sinn kommen, wegen ein paar Privatbriefen, Drucksachen und Katalogen einen Postreiter umzubringen?

Er verhalf sich zu einem großzügigen Schluck von Goldie Vales bestem Whiskey und sagte zu dem dunklen Spiegel hinter der Bartheke: »Ich weiß es nicht. Aber der Mann hatte es auf den Postsack abgesehen...«

Das erste Licht der Morgendämmerung erschien am Horizont und sickerte durch die Fenster. Er gähnte und zog sich wieder in sein Bett auf dem Billardtisch zurück.

 

George Marquis, Faktotum und Aushilfskellner im Plug-Hat-Saloon, fegte den Kehricht des vergangenen Abends praktischerweise gleich zur Vordertür hinaus, als Shorty erwachte. Nach der verzierten Uhr über dem Barspiegel war es fast zehn.

Er kletterte vom Billardtisch. Rücken und Schultern waren steif. Dann blickte er blinzelnd im Saloon herum. »Sind Sie schon lange hier, George?«, fragte er.

»Ungefähr ‛ne halbe Stunde. Miss Goldie sagte, ich dürfe Sie nicht wecken.« George war ein großer, gutmütiger Mann und – nach Shortys Ansicht – nicht gerade übermäßig intelligent.

Er schob seine Füße in die Stiefel, ging mit steifen Schritten aus dem Saloon, um sich im Wasserkrug einer öffentlichen Pumpe am Ende der Straße Hände und Gesicht zu waschen. Seine Kopfnarbe juckte, was immerhin bedeutete, dass der Heilungsprozess gute Fortschritte machte.

Goldie Vale hatte ihr Wohnquartier einige Stunden früher als üblich verlassen und kochte Kaffee, als Shorty wieder in den Saloon zurückkehrte. Sie sah ihn auf jene Art und Weise an, die ihn immer beunruhigte. »Ich sehe, dass du dir mit meinem Whiskey eine gemütliche Nacht gemacht hast, Shorty«, sagte sie zu ihm.

»Malst du nach jedem Glas einen Strich auf die Flasche?«, fragte Shorty, griff nach seinem kugeldurchlöcherten Hut und setzte ihn auf seinen noch sehr empfindlichen Kopf. »Wenn du Angst um deinen Whiskey hast, brauchst du schließlich auch keinen Ex-Trailtreiber in deinem Saloon übernachten zu lassen.«

Sie lachte. .»Ich konnte ja schließlich nicht alle Flaschen wegräumen. Hier, trinke eine Tasse Kaffee.«

Er seufzte tief und zog einen Stuhl heran. Goldie goss Kaffee in die dickwandigen Tassen. »Nun«, sagte sie dann, »du bist zwar nicht der hübscheste Bursche, den ich mir jemals angesehen habe, aber du siehst auf alle Fälle bedeutend besser aus als gestern.«

Er überhörte diesen Tadel. »Ich glaube, es hat wenig Sinn, Erkundigungen darüber einzuziehen, wie meine Bude in Flammen aufgehen konnte, nicht wahr?«

Sie zuckte die Achseln. »Alle wissen nur, dass die Hütte plötzlich brannte. Aber es gibt ja noch andere.«

»Aber keine für Shorty Gibbs, nehme ich an.« Er betrachtete Goldie einen Moment. Sie sah zweifellos gut aus, doch friedlich und sanftmütig war sie nun mal nicht. Aber wer ihr eine Frage stellte, konnte mit einer aufrichtigen Antwort rechnen. »Weißt du, was das alles zu bedeuten hat, Goldie? Warum steht der Name Shorty Gibbs in Hardrow auf der schwarzen Liste?«

»Die Stadt ist ein wenig nervös. Ich nehme an, dass die Leute ein schlechtes Gewissen haben, zumal nach dem Lynchmord. Ich muss sagen, mir ist selber nicht ganz geheuer zumute.« Sie trank einen Schluck Kaffee und zog eine Grimasse. »Vielleicht wollen die Leute nicht gern an das erinnert werden, was sie ungerechtfertigterweise getan haben. Aber du erinnerst die Leute daran – dein bloßes Hiersein genügt vollkommen.«

Shorty blickte auf die staubige Straße hinaus.

»Vielleicht ist es gar nicht verkehrt, wenn du für einige Zeit aus Hardrow verschwindest«, sagte Goldie, ihn mit ihren grünen Augen anblickend. »Wenn du kein Geld hast, dann könnte ich dir...«

»Nein, danke«, fauchte Shorty. Bitterer Kaffee und Ärger – ein schöner Tagesanfang! »Merkwürdig, dieser Überfall... Warum wollte mich jemand umbringen? Er wollte den Postsack haben, gewiss – aber warum? Egal, ich muss den nächsten Postritt machen. Ich nehme doch an, dass ich noch immer im Dienst bin.«

Goldie schüttelte den Kopf. »Du bist nicht mehr im Dienst, Shorty. Straiter, Maston und English haben die Unternehmer bereits darauf hingewiesen, dass der Postdienst in diesem Bezirk unbefriedigend ist. Ein neuer Reiter ist schon unterwegs.«

Shorty stand ruckartig auf. »Aber das können sie doch nicht tun! Ich habe einen Vertrag und...«

»Dieser Vertrag gilt nur bei einer entsprechend befriedigenden Dienstleistung.« Goldie stellte ihr charakteristisches Achselzucken zur Schau. Nimm die Dinge, wie sie kommen, und sei auf der Hut, war Goldies Philosophie.

Shorty zügelte sein Temperament. Straiter, Maston und English... Wenn diese drei großen Rancher sich zusammengeschlossen hatten, konnten sie fast alles unternehmen, was ihnen in den Sinn kam. Doch bei John English, dem größten Rancher dieses Kleeblatts, konnte Shorty nicht einsehen, dass er sich mit derartigen Dingen befasste.

Goldie sagte leichthin: »English und ein paar Leute von seiner Ranch waren gestern Abend in der Stadt.«

Shorty stieß einen leisen Pfiff aus.

Goldie sah ihn forschend an und fragte: »Und du hast wirklich keine Lust, dir vorübergehend eine andere Gegend anzusehen?«

»Ich brauche keine Luftveränderung, Goldie, sondern nur die Antworten auf eine Handvoll Fragen!«

 

Die drei Rancher und der Genossenschaftsmann, Sam Milo, nahmen im Ace-Café ein frühes Mittagessen ein, als Shorty auf der Bildfläche erschien. Shorty kümmerte sich nicht um Ben Kramers vorwurfsvollen Blick, stampfte auf den großen Tisch zu und zog unaufgefordert einen Stuhl heran.

Lange starrten die Männer ihn schweigend an – der Genossenschaftsmann ärgerlich, Straiter mit kühlem Interesse und Maston mit eisiger Sachlichkeit. John English betrachtete den unwillkommenen Gast wie ein besonders hässliches Insekt, das er am liebsten mit dem Stiefelabsatz zerquetscht hätte.

Sam Milo meldete sich als erster zu Wort und beugte sich dabei betont langsam vor.

»Niemand hat Sie eingeladen, Gibbs. Also setzen Sie sich woanders hin.«

Shorty grinste die Rancher beleidigend an. »Ich habe mich selber eingeladen, Gentlemen. Und weil Sie sich offenbar für meine Angelegenheiten interessieren, können Sie mir auch getrost ins Gesicht sehen.«

»Nicht mehr lange...«, setzte Milo an, doch ein Blick von English brachte ihn zum Verstummen. Er lehnte sich wieder zurück, das Gesicht leicht gerötet, so als habe English ihm die Zügel straffgezogen.

»Eigentlich ganz gut, dass Sie sich zu uns gesetzt haben, Gibbs«, sagte English gedehnt. »Früher oder später wären wir uns doch begegnet. Die Leute behaupten, Sie seien ein sturer und leicht aufbrausender Mann. Das sind auch die Eigenschaften verwilderter Rinder. Sie wissen, was mit denen passiert, nicht wahr? Die enden im Schlachthaus.« Er schnitt ein Stück von seinem Steak ab und kaute nachdenklich.

Shorty blickte von einem zum anderen. Alle drei Rancher redeten wie English, das war klar. Selbst für so mächtige Männer wie Straiter und Maston waren die Worte von John English Gesetz. Paul Maston, ein hagerer, graubärtiger Mann Ende Fünfzig, saß scheinbar gelassen da. Straiter, ein großer, sonnengebräunter und zäh aussehender Rancher, erwiderte Shortys Blick mit unverhohlenem Ärger. English, älter als die beiden anderen, auch größer, dabei härter und unbarmherziger aussehend, legte Messer und Gabel nieder.

Shorty sagte: »Sieht aus, als hätten Sie sich gestern darauf geeinigt, mir meinen Postreiterjob zu entziehen.«

Sam Milo grinste, aber es war English, der wieder die Wortführung übernahm. »So ungefähr. Wir kamen zu dem Schluss, dass Sie sich am besten nach einer anderen Beschäftigung umsehen sollten.«

»Zumal Ihre Hütte abgebrannt ist«, warf Sam Milo ein, »und Sie demzufolge keine Bleibe mehr haben.«

Drei Augenpaare, hart wie Stahl, brachten ihn zum Schweigen. Der Genossenschaftsmann sank auf seinem Stuhl zusammen und ließ nichts mehr von sich hören.

»Warum brannte meine Bude ab?«, fragte Shorty, sich gewaltsam beherrschend.

»Hm!«, machte English. »Ich möchte sagen, Sie üben in dieser Gegend einen störenden Einfluss aus. Wir würden Sie lieber gehen als bleiben sehen.«

Shorty schüttelte langsam den Kopf. »Erst vor einigen Tagen wurde ich aus dem Sattel geschossen. Bei dieser Gelegenheit verschwand auch mein Postsack. Kein Wunder, dass ich gern herausfinden möchte, weshalb er verschwunden ist.«

Die drei Rancher tauschten ein paar kurze Blicke miteinander. Dann zog John English eine umfangreiche Geldbörse aus seiner Rocktasche, legte sie auf den Tisch und schob sie Shorty zu. »Vielleicht«, sagte der Rancher eisig, »werden Sie die Geschichte am Gyp Creek auf diese Weise besser vergessen können...«

Shorty nahm die Börse, runzelte die Stirn und öffnete sie. Was er sah, war sehr beeindruckend. Er blickte die drei Rancher der Reihe nach an und stieß hervor: »Das müssen zwei-, dreihundert Dollar sein!«

»Fünfhundert Dollar«, stellte English richtig. »In Zwanzigdollarstücken, Gibbs. Gold! Damit können Sie sich überall etwas kaufen, und zwar eine ganze Menge.«

Straiter ließ zum ersten Mal von sich hören und sagte: »Überall – nur nicht in Texas!«

Drei Köpfe nickten zustimmend.

Shorty saß da wie betäubt. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie fünfhundert Dollar besessen. Er brauchte sich nur auf sein Pferd zu setzen und die Stadt hinter sich zu lassen, dann hatte er fünfhundert Dollar verdient! Es kostete ihn einige Überwindung, die Börse wieder über den Tisch zu schieben, aber er schaffte es trotzdem. »Nicht, dass ich das Geld nicht gebrauchen könnte«, sagte er, »doch ich möchte auch gern ein paar Fragen beantwortet haben. Das ist für mich genauso wertvoll.«

Auf den Gesichtern der drei Männer zeichneten sich Ärger und Verwunderung ab, und es dauerte eine Weile, bis Paul Maston zischte: »Sie sind ein noch viel größerer Narr, als ich dachte, Gibbs!«

»Und in dieser Gegend«, erinnerte Straiter, »kann das Leben eines Narren sehr kurz sein.«

Shortys sonnengebräuntes Gesicht veränderte sich jäh; trotzige Linien zeichneten sich um seine Mundwinkel herum ab, seine Augen wurden kleiner und schienen Blitze zu sprühen, als er von einem zum anderen blickte. Dann schob er seinen Stuhl zurück und stelzte aus dem Café.

Goldie Vale stöhnte laut auf, als er ihr von der Börse erzählte.

»Fünfhundert Dollar in Gold! Maston hat vollkommen recht – du bist tatsächlich ein Narr!«