Briefe aus meiner Mühle - Alphonse Daudet - E-Book

Briefe aus meiner Mühle E-Book

Alphonse Daudet

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Beschreibung

Briefe aus meiner Mühle (franz. Lettres de mon Moulin) ist eine Sammlung von Erzählungen des französischen Schriftstellers Alphonse Daudet, die 1869 erstmals in Buchform veröffentlicht wurde. Am Beginn des Buches schildert Daudet seinen Einzug in die seit über zwanzig Jahren verlassene Wind- und Getreidemühle im Rhonetal "mitten im Herzen der Provence". Von dort richtet er seine Briefe an die Leser im "lärmenden, schwarzen" Paris. Drei Erzählungen spielen in Algerien, wo Daudet den Winter 1861/62 verbracht hatte. In zwei Briefen verarbeitet er die Eindrücke und Erinnerungen an seinen Aufenthalt auf Korsika im darauffolgenden Jahr; der Schauplatz der übrigen Geschichten ist die Provence. Daudet schildert heiter-ironische Alltagsbegebenheiten (Die Alten), provencalische Schwänke (Das Elixier des hochwürdigen Paters Gaucher), Geschichten im Stil von Volksmärchen (Herrn Seguins Ziege), aber auch tragische Ereignisse wie den Untergang der Fregatte Sémillante.

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Briefe aus meiner Mühle

Alphonse Daudet

Inhalt:

Alphonse Daudet – Biografie und Bibliografie

Briefe aus meiner Mühle

Vorrede.

Einzug.

Die Postkutsche von Beaucaire.

Meister Cornilles Geheimnis.

Die Ziege des Herrn Seguin.

Die Sterne.

Die Arlesierin.

Das Maultier des Papstes.

Der Leuchtturm von Sanguinaires.

Der Todeskampf der Semillante.

Die Zollwächter.

Der Pfarrer von Cucugnan.

Die beiden Alten.

Balladen in Prosa.

I. Des Dauphins Tod.

II. Der Unterpräfekt im Grünen.

Die Brieftasche Bixious.

Die Legende vom Manne mit dem goldnen Gehirn.

Der Dichter Mistral.

Die drei stillen Messen.

I.

II.

III.

Die Orangen.

Die beiden Wirtshäuser.

In Milianah.

Die Heuschrecken.

Das Elixir des ehrwürdigen Vaters Gaucher.

In Camargue.

I. Der Aufbruch.

II. Die Hütte.

III. Auf das »Hoffe«! (Auf den Anstand!)

IV. Der Rote und der Weiße.

V. Der Vaccarès.

Kasernenheimweh.

Briefe aus meiner Mühle, A. Daudet

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849652883

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Alphonse Daudet – Biografie und Bibliografie

Franz. Schriftsteller, geb. 13. Mai 1840 in Nimes, gest. 16. Dez. 1897 in Paris, machte während der ersten Jahre seines Pariser Aufenthalts eine herbe Lehrzeit durch, bis der Herzog von Morny ihm als Privatsekretär ein sicheres Brot und die Mittel zu Studienreisen gab. Nach poetischen und dramatischen Versuchen erzielte der junge Schriftsteller seinen ersten durchschlagenden Erfolg mit dem selbstbiographischen Roman »Le petit Chose, histoire d'un enfant« (1868; deutsch u. d. T.: »Der kleine Dingsda«, Berl. 1877). Dann machten die »Lettres de mon moulin« (1869) und namentlich der meisterhafte komisch-satirische Roman »Les aventures prodigieuses de Tartarin de Tarascon« (1872) den Namen A. Daudets immer bekannter, bis er mit dem Roman »Fromont jeune et Risler aîné« (1874; deutsch, Berl. 1876), der über 60 Auflagen erlebte, in die Reihe der gelesensten Schriftsteller Europas vorrückte. Bald lösten nun die Erfolge einander ab mit ».Jack« (1876), »Le Nabab« (1877), »Les rois en exil« (1879), »Numa Roumestan« (1882), »L'Évangéliste« (1883), »Sapho« (1884), »Tartarin sur les Alpes« (1886), »L'Immortel«, eine Satire auf die französische Akademie (1888), »Port Tarascon, dernières aventures de l'illustre Tartarin« (1890), »Rose et Ninette« (1892), »La petite paroisse« (1895) und »Soutien de famille« (1898). Die meisten dieser Werke sind fast gleichzeitig mit dem Original in deutschen Übersetzungen erschienen. D. huldigt der realistischen Richtung, weiß aber dabei seinem Gegenstand immer eine intime, gemütvolle Seite abzugewinnen. Er wird daher oft der Nachahmung Dickens' geziehen; allein er hat vor diesem die künstlerische Gestaltung wie eine bestrickende Virtuosität der Sprache voraus. Seine Erinnerungen hat er niedergelegt in »Trente aus de Paris (A travers ma vie et mes livres)«, »Souvenirs d'un hommes de lettres« (1888) und »Notes sur la vie« (1899). Von den Theaterstücken Daudets sind zu nennen: »L'Arlésienne« (1872, mit musikalischen Einlagen von Bizet), dann die Bearbeitungen seiner Romane: »Fromont«, »Jack«, »Les rois en exil«, »Sapho«, »Numa Roumestan«, sowie die selbständigen Arbeiten: »La lutte pour la vie« (1889), »L'Obstacle« (1890), »La Menteuse« (1892, nach einer Erzählung der »Femmes d'artistes«). Eine auf 18 Bände berechnete illustrierte Ausgabe seiner »Œuvres complètes« begann 1899 in Paris zu erscheinen. Vgl. Gerstmann, A. D., sein Leben und seine Werke (Berl. 1883, 2 Bde.); Léon A. Daudet, Alphonse D. (Par. 1898); B. Diederich, Alphonse D., sein Leben und seine Werke (Berl. 1900). – Seine Gattin Julia, geborne Allard, geb. 1847 in Paris, früher Mitarbeiterin verschiedener Zeitschriften, veröffentlichte »Impressions de nature et d'art« (gesammelte Aufsätze, 1879), »L'enfance d'une Parisienne« (1883), »Fragments d'un livre inédit« (1885), »Enfants et mères« (1889) und »Journées de Femme« (1898), von seiner Beobachtung zeugende Skizzen, deren Stil etwas geziert ist.

Briefe aus meiner Mühle

Vorrede.

Vor Meister Honorat Grapazi, Notar der Residenzstadt Pampérigouste erschien

Herr Gaspard Mitifio, Gemahl der Frau Vivette Cornille, Wirtschafter von Grillenheim und daselbst wohnhaft,

Welcher durch Gegenwärtiges verkauft und übertragen hat unter den Garantien des Rechts und der Thatsachen, und frei von Schulden, Privilegien und Hypotheken

An Herrn Alphonse Daudet, Dichter, wohnhaft in Paris, jetzt hier gegenwärtig und Gegenwärtiges genehmigend und annehmend,

Eine Wind- und Mahlmühle, gelegen im Thale des Rhône, mitten im Herzen der Provence, auf einem mit Tannen und immergrünen Eichen bewachsenen Hügel; welche gedachte Mühle seit mehr als zwanzig Jahren verlassen ist und außer stande zu mahlen, wie dies ersichtlich aus dem wilden Wein, Moos, Rosmarin und andern parasitischen Gewächsen, die bis an das Ende der Flügel empor geklettert sind;

Dessenungeachtet, so wie sie ist und sich befindet, mit ihrem großen, zerbrochenen Rade, der Plattform, zwischen deren Ziegeln das Unkraut hervorschießt, erklärt genannter Herr Daudet, daß die genannte Mühle nach seinem Geschmack ist und seinen dichterischen Arbeiten zu dienen vermag, übernimmt sie auf seine Gefahr und sein Risiko und ohne jeden weiteren Anspruch an den Verkäufer wegen nötig werdender Reparaturen.

Der Verkauf ist perfekt geworden durch Zahlung des stipulierten Preises, welchen genannter Herr Daudet, Dichter, auf dem Bureau in gangbaren Sorten niedergelegt hat, welchen Preis sofort der genannte Herr Mitifio an sich genommen und zurückgezogen hat, alles in Gegenwart des Notars und der unterzeichneten Zeugen.

So geschehen in Pampérigouste, im Bureau Honorat, in Gegenwart von Francet Mamaï, Querpfeifer und von Louiset genannt le Quique, Kreuzträger der weißen Büßer,

Die diesen Akt mit den Parteien und dem Notar gelesen und unterschrieben haben.

Einzug.

Wie haben sich die Kaninchen gewundert! . . . Seit so langer Zeit daran gewohnt, die Thür der Mühle verschlossen, die Mauern und die Plattform von Unkraut überwuchert zu sehen, hatten sie schließlich geglaubt, die Rasse der Müller sei ausgestorben und da sie den Ort gut fanden, hatten sie ans demselben eine Art Hauptquartier, einen Mittelpunkt für ihre strategischen Operationen gemacht: eine Mühle von Jemappes für die Kaninchen . . . . In der Nacht meiner Ankunft saßen wohl, ohne zu lügen, ihrer zwanzig in der Runde auf der Plattform und wärmten sich ihre Pfoten an einem Mondstrahl . . . . Aber kaum versuchte ich es ein Fenster zu öffnen, prr! nahm das ganze Bivouac Reißaus und alle die kleinen Hinterweißen verschwanden mit erhobener Blume in dem Dickicht. Ich hoffe, sie werden wieder kommen.

Ein andrer, der sich bei meinem Anblick sehr wunderte, das war der Mietsmann aus dem ersten Stock, ein alter finsterer Uhu mit dem Kopfe eines Philosophen, der die Mühle seit mehr als zwanzig Jahren bewohnt. Ich fand ihn in dem oberen Raume unbeweglich und aufrecht, mitten unter herabgefallenem Gips und zerbrochenen Ziegeln auf dem Wellbaum sitzend. Er sah mich einen Augenblick mit seinen runden Augen an, und fing dann ganz erschreckt darüber, daß er mich nicht kannte, an »Hu! Hu!« zu schreien und mit seinen Flügeln zu schlagen, was ihm nur mit Mühe gelang, da sie von dem draufliegenden Staube ganz grau waren. – Diese Teufelskerle von Philosophen! Das bürstet sich niemals aus! – Doch das thut nichts! So wie er ist, mit seinen blinzelnden Augen und seinem sauren Gesichte gefällt mir dieser schweigsame Mieter noch immer besser, als irgend ein andrer und ich habe mich beeilt, seinen Mietskontrakt zu erneuern. Er behält wie in der Vergangenheit den ganzen oberen Stock der Mühle mit einem Eingange durch das Dach; ich behalte für mich den untern Raum, ein kleines niedriges Gemach mit weißen Wänden, gewölbt wie das Refektorium eines Klosters.

###

Von hier aus schreibe ich dir, meine Thüre weit geöffnet beim schönen Sonnenschein.

Ein hübscher Tannenwald zieht sich, ganz von Licht überflutet, bis an den Fuß des Hügels herab. Am Horizonte die feingezackten Kämme der Alpen . . . . Kein Geräusch . . . Höchstens in langen Zwischenräumen ein Ton der Querpfeife, ein Brachvogel im Lavendel, das Glöckchen eines Maultiers auf der Landstraße . . . Das ganze schöne provençalische Land lebt nur durch das Licht.

Und nun, wie kannst du verlangen, daß ich mich nach deinem geräuschvollen, schwarzen Paris sehne? Ich befinde mich in meiner Mühle so wohl! Das ist gerade der Erdenwinkel, den ich suchte, ein kleiner duftender und warmer Winkel, tausend Stunden weit entfernt von Zeitungen, Droschken und Nebel! . . . Und was für hübsche Sachen giebt es rund um mich herum! Kaum sind es acht Tage, seitdem ich eingezogen bin und schon habe ich den Kopf voller Eindrücke und Erinnerungen . . . Laß dir erzählen! Erst gestern Abend habe ich die Rückkehr der Schafherden in einen Meierhof am Fuße des Hügels mit angesehen und ich schwöre dir, daß ich dieses Schauspiel nicht gegen alle die ersten Aufführungen eintauschen würde, die ihr in dieser Woche in Paris gehabt habt. Urteile selbst!

Zuerst muß ich dir sagen, daß es in der Provence üblich ist, die Schafe auf die Alpen zu schicken, wenn es anfängt heiß zu werden. Menschen und Tiere bleiben fünf oder sechs Monate da oben unter freiem Himmel, bis an den Bauch im Grase; wenn dann im Herbste der erste Frost kommt, steigt man wieder nach dem Meierhofe herab und läßt die Schafe bürgerlich die niedrigen grauen Hügel abweiden, die von Rosmarin duften . . . . Gestern Abend also kehrten die Herden zurück. Schon am Morgen waren beide Flügel des Hauptthors weit geöffnet, um sie zu erwarten; in den Schafställen war frisches Stroh hoch aufgestreut. Von Stunde zu Stunde sagte man sich: »Jetzt sind sie in Eyguières, jetzt in Paradou.« Dann plötzlich, gegen Abend, ein lauter Ruf: »Da sind sie!« und da unten, in der Ferne sehen wir die Herde kommen, eingehüllt in eine Glorie von Staub. Die ganze Straße scheint lebendig geworden . . . . Zuerst kommen die alten Böcke, die Hörner nach vorn, mit wildem Gesicht; hinter ihnen die Schafe, die Mütter ein wenig müde, ihre Säuglinge zwischen den Beinen; – die Maultiere mit roten Quasten, die in Körben die erst zur Welt gekommenen Lämmer tragen und im Gehen wiegen; dann die Hunde, in Schweiß gebadet, die langen Zungen bis zur Erde hängend und zuletzt zwei große Schlingel von Schäfern in Mänteln von roter Serge, die wie Priestergewänder bis auf die Fersen herabfallen.

Das alles zieht lustig an uns vorüber und in den Schlund des großen Thores hinein, wobei die trippelnden Füße ein Geräusch hervorbringen, wie die Tropfen eines tüchtigen Platzregens . . . Nun solltest du sehen, in welche Aufregung das ganze Haus versetzt ist. Von ihrem hohen Sitze haben die grüngoldenen Pfauen mit ihren Spitzenhauben die angekommenen erkannt und begrüßen sie mit einem, durch Mark und Bein gehenden Trompetenstoß; die bereits eingeschlafenen Hühner erwachen, springen von den Stangen herab und stürzen aus ihrem Stalle heraus. Alle Welt ist auf den Beinen: Tauben, Enten, Trut- und Perlhühner. Der Hühnerhof ist wie toll; die Hühner sprechen davon, die ganze Nacht aufzubleiben! . . . Man möchte glauben, jedes Schaf habe in seiner Wolle außer dem wilden Alpenduft ein wenig von der frischen Bergluft mit herabgebracht, welche berauscht und zum Tanzen verleitet.

Während dies alles vorgeht, erreicht die Herde ihren Lagerplatz. Nichts reizender, als dieser Einzug. Die alten Böcke werden beim Anblick ihrer Raufen von Rührung ergriffen. Die Lämmer, die ganz kleinen, die, welche erst auf der Reise das Licht der Welt erblickten und noch nie den Meierhof sahen, sehen mit Verwunderung und Erstaunen um sich.

Aber das rührendste von allen sind die Hunde, die braven Schäferhunde, die ganz mit ihren Tieren beschäftigt sind und nichts außer ihnen im ganzen Meierhofe sehen. Der Hofhund mag aus seiner Hütte heraus sie rufen, soviel er will; der Brunneneimer, bis zum Rande mit frischem Wasser gefüllt, mag sie noch so dringend einladen; sie wollen nichts sehen, nichts hören, bis die ganze Herde im Stalle, bis der große Riegel an der kleinen Gitterthüre vorgeschoben ist, bis die Schäfer in ihrem Gemach am Tische sitzen. Erst dann sind sie zu bewegen, ihren Stall aufzusuchen und während sie dort ihren Napf Suppe auslecken, erzählen sie ihren Kameraden vom Meierhofe, was sie dort oben gemacht haben im Gebirge, dem schwarzen Lande, wo es Wölfe giebt und große, purpurne Fingerhüte, die bis zum Rande mit Thau angefüllt sind.

Die Postkutsche von Beaucaire.

Es war an dem Tage, als ich hier ankam. In Beaucaire war ich in den Postwagen gestiegen, einen guten alten Rumpelkasten, der keinen großen Weg zu machen hatte, bis man ihn wieder an seinen Standort zurückbrachte, der aber den ganzen Weg gemütlich bummelte, damit es am Abend bei der Rückkehr scheinen solle, als käme er Gott weiß wie weit her. Wir waren außer dem Kondukteur ihrer fünf in dem Coupé.

Zunächst ein Waldwärter von Camargue, ein kleiner, untersetzter, haariger Mann, der nach Rotwild roch, mit großen blutunterlaufenen Augen und mit silbernen Ringen in den Ohren; sodann zwei Leute aus Beaucaire, ein Bäcker und sein Geselle, beide sehr rot und kurzatmig, aber mit herrlichem Profil, zwei römische Medaillen nach dem Bilde von Vitellius. Endlich auf dem Vordersitze neben dem Wagenlenker ein Mann – nein! eine Schildmütze, eine gewaltige Schildmütze von Kaninchenfell, die nur wenig sprach und traurig auf die Straße hinaus sah.

Alle diese Leute kannten sich untereinander und sprachen ganz laut und frei über ihre Angelegenheiten. Der Mann von Camargue erzählte, daß er von Nîmes komme, wohin er vor den Untersuchungsrichter geladen worden sei wegen eines Stichs mit einer Heugabel, den er einem Schäfer beigebracht habe. Man hat eben heißes Blut in Camargue . . . . Und nun erst in Beaucaire! Wollten sich nicht unsere zwei Leute aus Beaucaire in die Haare fahren und zwar der heiligen Jungfrau wegen? Der Bäcker gehörte nämlich zu einer Kirche, welche seit langer Zeit der Madonna gewidmet war und zwar derjenigen, welche die Provençalen die »gute Mutter« nennen und die das Jesuskind in den Armen hält; der Geselle dagegen sang im Chore einer ganz neuen Kirche, die dem »unbefleckten Empfängnis« geweiht war, jenem lachenden Bilde, das man mit herabhängenden Armen, die Hände voller Strahlen darstellt. Daher kam der Streit. Es war interessant mit anzusehen und anzuhören, wie diese beiden guten Katholiken sich und ihre Madonnen behandelten.

»Eine hübsche Person, deine Unbefleckte!«

»Ach! geh mir doch mit deiner ›guten Mutter‹!«

»O, die hat schöne Streiche gemacht, deine, in Palästina!«

»Und deine, hu! wie häßlich! Wer weiß, was die gemacht hat . . . Frage doch einmal den heiligen Joseph.«

Um sich auf den Hafenplatz von Neapel versetzt zu glauben fehlte nur, daß man die Messer blitzen sah und, meiner Treu, ich glaube, daß das schöne theologische Turnier schließlich dazu geführt haben würde, hätte nicht der Kutscher sich in das Mittel geschlagen.

»Laßt uns doch in Ruhe mit euren Madonnen, sagte er lachend zu den Hitzköpfen: das alles sind ja Weibergeschichten, Männer dürfen sich nicht da hinein mischen.«

Dabei klatschte er mit seiner Peitsche und nahm eine so skeptische Miene an, daß alle Welt seiner Ansicht beitrat.

###

Der Streit war beendigt; allein der Bäcker war einmal im Zuge und fühlte daher das Bedürfnis, den Rest seiner Galle an den Mann zu bringen. Er wendete sich daher nach der unglücklichen Schirmmütze um, die schweigend und traurig in ihrer Ecke saß und sprach zu ihm mit der Miene eines Spaßmachers:

»Und deine Frau, du alter Scherenschleifer? . . . mit welcher Kirche hält sie es?«

Offenbar lag in dieser Phrase etwas höchst Komisches, denn die ganze Postkutsche brach in ein schallendes Gelächter aus. Der Scherenschleifer aber lachte nicht. Er that, als habe er nichts gehört. Als er dies sah, wendete sich der Bäcker an mich:

»Sie kennen sie nicht, seine Frau, mein Herr? Sehen Sie, das ist eine lustige Pariserin! Es giebt nicht zwei wie sie in ganz Beaucaire.«

Das Gelächter verdoppelte sich. Der Scherenschleifer rührte sich nicht; er begnügte sich ganz leise zu sagen, ohne den Kopf zu heben:

»Schweig, Bäcker!«

Aber dieser Teufelskerl von Bäcker hatte keine Lust zu schweigen und nahm nun erst recht wieder das Wort:

»Taugenichts! Der Kamerad ist nicht zu beklagen, eine Frau wie diese zu haben . . . . Mit ihr hat man keinen Augenblick Langeweile . . . . Denken Sie nur! Alle sechs Monat läßt sich die Schöne entführen und wenn sie wieder kommt, da giebt es natürlich immer viel zu erzählen . . . . Nun einerlei, 's ist eben ein drolliger kleiner Haushalt . . . . Denken Sie nur, mein Herr, sie waren noch nicht ein ganzes Jahr verheiratet, paf! da geht die Frau mit einem Schokoladehändler durch nach Spanien.«

»Der Mann bleibt allein zu Haus. Er weint, er trinkt . . . er ist wie verrückt . . . Nach einiger Zeit kommt die Schöne in das Land zurück, als Spanierin gekleidet, mit einer kleinen, schellenbehängten Trommel. Wir alle redeten ihr zu:

»Verbirg dich; er wird dich töten.«

»Ach ja! sie töten . . . . Sie haben sich in aller Ruhe wieder vertragen und sie hat ihn gelehrt, die baskische Trommel zu spielen.«

Es gab ein neues Gelächter. In seiner Ecke, ohne den Kopf zu heben, murmelte der Scherenschleifer wieder:

»Schweig, Bäcker!«

Der Bäcker beachtete es nicht und fuhr fort:

»Sie glauben vielleicht, mein Herr, daß die Schöne nach ihrer Rückkehr aus Spanien ruhig geblieben ist . . . Bewahre der Himmel! Ihr Mann hatte ja die Sache so gut aufgenommen! Das hat ihr Lust gemacht, die Geschichte wieder zu probieren . . . . Nach dem Spanier war's ein Offizier, dann ein Schiffer vom Rhône, dann ein Musiker, dann ein . . . . Was weiß ich? Das beste ist, daß es jedesmal dieselbe Komödie giebt. Die Frau geht durch, der Mann weint; die Frau kommt zurück, der Mann tröstet sich. Und immer wieder entführt man sie und immer nimmt er sie wieder auf . . . Das ist doch ein Mann, der Geduld hat! Freilich muß man auch sagen, daß sie verdammt hübsch ist, die kleine Scherenschleiferin . . . . ein wahrer Bissen für einen Kardinal: lebhaft, zierlich und dabei eine feine, weiße Haut und nußbraune Augen, die stets die Männer anlächeln . . . . Meiner Treu, mein Herr Pariser, wenn Sie auf dem Rückwege durch Beaucaire kommen . . . .«

»Oh! Schweig, Bäcker, ich bitte dich darum,« bat noch einmal der arme Scherenschleifer mit herzzerreißendem Ausdruck der Stimme.

In diesem Augenblicke hielt der Postwagen. Wir waren an dem Gute Anglores. Hier stiegen die beiden Leute aus Beaucaire ab und ich kann beschwören, daß ich kein Verlangen fühlte sie zurückzuhalten . . . . Dieser Hanswurst von Bäcker! Er war schon im Hofe des Gutes, als man ihn noch lachen hörte.

###

Nachdem diese Leute weg waren, erschien das Coupé leer. Den Wächter von Camargue hatte man in Arles gelassen, der Kutscher ging auf der Straße neben den Pferden her . . . . Wir waren allein im Wagen, der Scherenschleifer und ich, jeder in seiner Ecke . . . stumm. Es war sehr heiß. Ich fühlte, wie meine Augen von Zeit zu Zeit zufielen und wie mein Kopf schwer wurde; aber es war mir unmöglich zu schlafen. Immer klang es mir in den Ohren: »Schweig, ich bitte dich darum,« so sanft, so herzzerreißend . . . . Auch er, der arme Mann, schlief nicht. Von hinten sah ich seine starken Schultern erbeben und seine Hand – eine lange, bleifarbene und ungeschickte Hand – auf dem Sitze zitternd umherfahren, wie die Hand eines Greises. Er weinte . : .

»Nun sind Sie an Ort und Stelle, Pariser!« rief mir plötzlich der Kutscher zu und zeigte mir mit der Peitsche meinen grünen Hügel, auf welchem die Mühle wie ein großer Schmetterling stand.

Ich beeilte mich abzusteigen. Beim Vorübergehen versuchte ich einen Blick unter die Schildmütze des Scherenschleifers zu werfen; ich hätte gern seine Gesichtszüge gesehen. Als ob er meine Gedanken erraten hätte, erhob der Unglückliche hastig den Kopf und heftete seinen Blick auf den meinen.

»Sehen Sie mich scharf an, Freundchen,« sagte er zu mir mit dumpfer Stimme, »und wenn Sie dieser Tage hören, daß es ein Unglück in Beaucaire gegeben hat, so können Sie sagen, daß Sie den kennen, der den Stoß geführt hat.«

Es war eine erloschene, traurige Gestalt mit kleinen blöden Augen. In diesen Augen standen Thränen, aber in dieser Stimme lag ein bittrer Haß. Der Haß, das ist der Zorn der Schwachen! . . . Wäre ich die Scherenschleiferin, ich würde mich fürchten. –

Meister Cornilles Geheimnis.

Francet Mamaï, der alte Querpfeifer, der zuweilen den Abend bei einem Glase Glühwein mit mir verlebt, hat mir neulich ein kleines Dorfdrama erzählt, das sich vor einigen zwanzig Jahren auf meiner Windmühle abgespielt hat. Die Geschichte des guten Kerls hat mich gerührt und ich will versuchen, sie so wieder zu erzählen, wie ich sie gehört habe.

Denke dir also, lieber Leser, für einen Augenblick, daß du vor einer Bowle mit gewürztem Wein sitzest und daß es ein alter Querpfeifer ist, der dir erzählt.

Unser Ort, mein lieber Herr, ist nicht immer so tot und ruhmlos gewesen wie heute. Sonst blühte darin der Handel mit Mühlenprodukten und zehn Stunden in der Runde brachten uns die Leute von den Meierhöfen ihr Getreide zum Mahlen . . . . Rings um das Dorf waren alle Hügel mit Windmühlen besetzt. Zur Rechten und zur Linken sah man nur Windmühlenflügel, die im Nordostwind sich drehten und über die Tannen weg in das Thal blickten, ganze Herden kleiner, mit Säcken beladener Esel, welche auf den Wegen bergauf und bergab stiegen, und die ganze Woche hindurch hatte man das Vergnügen, oben auf der Höhe das Knallen der Peitschen, das Sausen der Flügel und die Rufe der Müllergehilfen zu hören . . . . Sonntags gingen wir in ganzen Banden zu den Mühlen hinauf. Oben bezahlten die Müller den Muskatwein. Die Müllerinnen in ihren Spitzentüchern, mit ihren Goldkreuzen waren schön wie die Königinnen. Ich, ich brachte meine Querpfeife mit und bis in die dunkle Nacht hinein tanzte man Farandolen. Sehen Sie, diese Mühlen waren die Freude und der Reichtum unseres Dorfes.

Unglücklicherweise hatten die Pariser die Idee, auf dem Wege nach Tarascon eine Dampfmühle anzulegen. Was neu ist, gefällt. Die Leute gewöhnten sich daran, ihr Getreide zur Dampfmühle zu bringen und die armen Windmühlen hatten nichts mehr zu thun. Eine Zeitlang suchten sie dagegen anzukämpfen, allein der Dampf war stärker als sie und eine nach der andern, Gott sei es geklagt, mußten sie alle zuschließen . . . . Man sah nicht mehr die kleinen Esel ankommen . . . . Die schönen Müllerinnen verkauften ihre goldenen Kreuze . . . Es gab keinen Muskatwein, keine Farandolen mehr! Der Nordostwind hatte gut blasen, die Flügel drehten sich nicht . . . Dann eines schönen Tags ließ die Gemeinde alle diese Mauern niederreißen und wo sie gestanden hatten, pflanzte man Weinreben und Olivenbäume.

Eine Mühle hatte jedoch mitten in der Niederlage ausgehalten und fuhr fort, auf ihrem Hügel mutig ihre Flügel vor der Nase der Dampfmüller zu drehen. Es war Meister Cornilles Mühle, dieselbe, wo wir jetzt bei einander sitzen.

###

Meister Cornille war ein alter Müller, der seit sechzig Jahren im Mehle lebte und webte und für sein Handwerk begeistert war. Die Gründung der Dampfmühle hatte ihn fast toll gemacht. Acht Tage lang sah man ihn durch das Dorf laufen, alle Leute aufwiegeln und mit aller Kraft seiner Lunge in die Welt hinausschreien, man wolle die Provence mit dem Mehle der Dampfmühle vergiften. »Geht nicht da hinunter, sagte er; um Brot zu machen benutzen diese Räuber den Dampf, der eine Erfindung des Teufels ist, während ich mit dem Winde arbeite, der der Odem des lieben Gottes ist . . .« Und so fand er eine Masse schöner Worte zum Lobe der Windmühlen, aber niemand hörte auf sie.

Da erfaßte den Alten die Wut, er schloß sich in seine Mühle ein und lebte allein wie ein wildes Tier. Selbst seine Enkelin Vivette, ein Kind von fünfzehn Jahren, die seit dem Tode ihrer Eltern niemand auf der Welt hatte, als ihren Großvater, wollte er nicht bei sich behalten. Die arme Kleine war genötigt ihren Lebensunterhalt selbst zu gewinnen, indem sie sich auf den Meierhöfen umher bald für die Getreideernte, bald für die Seidenraupen oder für die Olivenernte vermietete. Und doch schien der Großvater sie lieb zu haben, das arme Kind. Denn nicht selten geschah es, daß er in der größten Sonnenglut zu Fuß seine vier Stunden weit ging, um sie auf dem Meierhofe, wo sie eben arbeitete, aufzusuchen und wenn er bei ihr war, so brachte er ganze Stunden damit zu, sie anzusehen und zu weinen . . .

Jedermann glaubte bei uns, daß der alte Müller die arme Vivette aus Geiz fortgeschickt habe und es brachte ihm wahrlich keine Ehre, daß er seine Enkelin so von einem Gute zum andern wandern ließ, den Roheiten der Pächter und all dem Elend ausgesetzt, dem junge Dienstmädchen so schwer zu entgehen vermögen. Auch fand man es sehr schlecht, daß ein Mann von dem Rufe des Meister Cornille, der bisher immer etwas auf sich gehalten hatte, jetzt wie ein wahrer Zigeuner durch die Straßen ging, mit nackten Füßen, durchlöcherter Mütze und zerfetztem Rocke . . . Thatsache ist, daß wir andern Alten Sonntags uns seiner schämten, wenn wir ihn in die Kirche treten sahen und Cornille fühlte das sehr wohl, denn er wagte es nicht mehr sich unter uns zu setzen. Stets blieb er im Hintergrunde der Kirche in der Nähe des Weihkessels bei den Armen.

Über das Leben Meister Cornilles war ein Schleier gebreitet, den man nicht zu durchschauen vermochte. Seit langer Zeit brachte ihm niemand aus dem Dorfe mehr Getreide und gleichwohl drehten sich die Flügel seiner Mühle beständig wie früher . . . Abends traf man auf der oder jener Straße den alten Müller, der seinen mit vollen Mehlsäcken beladenen Esel vor sich her trieb.

»Guten Abend, Meister Cornille!« riefen ihm die Bauern zu; »es geht also noch immer mit der Müllerei?«

»Versteht sich, noch immer, meine Kinder,« antwortete er mit lustiger Miene. »Gott sei Dank, an Arbeit fehlt es nicht.«

Und wenn man ihn dann fragte, wer zum Teufel ihm so viel zu thun gäbe, da legte er den Finger auf die Lippen und antwortete geheimnisvoll: »Still! ich arbeite für den Export . . .« Mehr konnte man nie aus ihm heraus kriegen.

Die Nase in seine Mühle zu stecken, daran war gar nicht zu denken. Selbst die kleine Vivette durfte nicht hinein . . . .

Kam man vorüber, so sah man stets die Thür verschlossen, die schweren Flügel stets in Bewegung, den alten Esel das Gras um die Mühle herum abweidend und eine große magere Katze, die sich auf dem Fensterbrette sonnte und den vorübergehenden einen boshaften Blick zuwarf.

Das alles erschien sehr geheimnisvoll und wurde natürlich viel besprochen. Jeder erklärte das Geheimnis Meister Cornilles auf seine Weise, im allgemeinen aber war man der Ansicht, daß in der Mühle da noch mehr Säcke voll Thaler, als Säcke voll Mehl steckten.

###

Zuletzt aber kam man hinter die ganze Geschichte und das ging so zu:

Eines schönen Tages, als ich auf meiner Querpfeife der Jugend zum Tanz aufspielte, bemerkte ich, daß der älteste von meinen Jungen und die kleine Vivette sich ineinander verliebt hatten. Im Grunde war ich nicht böse darüber, denn trotz alledem stand der Name Cornille bei uns in Achtung und den kleinen niedlichen Sperling, die Vivette, in meinem Hause herumtrippeln zu sehen, würde mir großes Vergnügen gemacht haben. Nur wollte ich, da die beiden Liebesleute oft Gelegenheit hatten zusammenzukommen, aus Furcht vor etwaigen Folgen die Sache gleich in Ordnung bringen und so stieg ich denn zur Mühle hinauf, um ein Paar Worte mit dem Großvater zu sprechen . . . O der alte Hexenmeister! Wie mich der Grobian empfing! Nichts vermochte ihn die Thüre zu öffnen. So gut es eben ging, suchte ich ihm die Sache durch das Schlüsselloch klar zu machen und da lag, so lange ich sprach, gerade über mir das nichtswürdige Vieh, die magere Katze und fauchte mich an wie ein Teufel.

Der Alte ließ mich gar nicht zu Ende kommen und schrie mir zu, ich solle lieber nach Hause gehen zu meiner Querpfeife und wenn ich es so eilig hätte, meinen Jungen zu verheiraten, so könnte ich ja eine Frau für ihn von der Dampfmühle holen . . . Natürlich stieg mir bei diesen Grobheiten das Blut nach dem Kopfe, doch war ich klug genug mich zusammenzunehmen Ich ließ den alten Narren in seiner Mühle und ging zu den Kindern um ihnen mitzuteilen, wie es mir ergangen war . . . Die armen Lämmer konnten gar nicht daran glauben und baten mich als besondere Gunst um die Erlaubnis, zusammen in die Mühle hinaufsteigen zu dürfen, um mit dem Großvater zu sprechen . . . Ich hatte nicht den Mut, es ihnen abzuschlagen und prr! da war das Pärchen schon auf und davon.

Gerade als sie oben ankamen, hatte Meister Cornille die Mühle verlassen. Die Thür war doppelt verschlossen, aber beim Weggehen hatte der alte Kerl seine Leiter draußen gelassen und sofort kam den Kindern der Gedanke, durch das Fenster einzusteigen und sich in der verrufenen Mühle ein wenig umzusehen . . . .

Sonderbar! Die Mühle war vollkommen leer . . . . Nicht ein Sack; nicht ein einziges Korn Getreide; nicht der geringste Mehlstaub an den Wänden oder auf den Spinnengeweben . . . . Selbst von dem würzigen Geruch nach zerquetschtem Getreide, welcher sonst die Mühlen durchzieht, war nichts zu spüren . . . Der Wellbaum war mit Staub bedeckt und die große dürre Katze lag auf ihm und schlief.

Unten in der Mühle sah es gerade so erbärmlich aus: – ein schlechtes Bett, ein Paar Lumpen, ein Stückchen Brot auf einer Stufe der Treppe und dann in einem Winkel drei oder vier zerplatzte Säcke, aus denen Schutt und weiße Erde zum Boden gefallen waren.

Das war das Geheimnis des Meister Cornille! Diesen Schutt, diesen Gips führte er abends auf der Straße spazieren, um die Ehre der Mühle zu retten und die Welt glauben zu machen, daß man darin noch immer Mehl mahle . . . . Arme Mühle! Armer Cornille! Schon längst hatte die Dampfmühle ihnen die letzte Kundschaft genommen. Die Flügel drehten sich beständig, aber die Mühle ging leer.

Ganz in Thränen kamen die Kinder zurück und erzählten nur, was sie gesehen hatten. Mir wollte das Herz brechen . . . Ohne einen Augenblick zu verlieren lief ich zu den Nachbarn, teilte ihnen die Sache in einem Paar Worten mit und wir beschlossen, sofort alles Getreide, was wir auftreiben konnten, hinauf in Cornilles Mühle zu schaffen. Gedacht, gethan! . . . Das ganze Dorf machte sich auf den Weg, in Prozession kamen wir oben an mit einer langen Reihe von Eseln, mit Getreide beladen, – diesmal mit wirklichem Getreide!

Die Mühle stand weit offen . . . Vor der Thüre saß Meister Cornille auf einem Sack voll Gips und weinte, den Kopf in seinen Händen verborgen. Bei seiner Rückkehr hatte er bemerkt, daß man während seiner Abwesenheit in die Mühle eingedrungen war und sein trauriges Geheimnis entdeckt hatte.

»Ach! ich armer Mann!« sagte er. »Nun bleibt mir weiter nichts übrig, als zu sterben . . . Die Mühle ist entehrt.«

Und er schluchzte, daß es einem das Herz zerschnitt, nannte seine Mühle mit allen möglichen Kosenamen und sprach zu ihr wie zu einem lebenden Wesen.

In diesem Augenblick kamen die Esel oben bei der Mühle an und wir alle fingen mit starker Stimme wie zur guten Zeit der Windmüller an zu schreien:

»Holla! zu mahlen! . . . Holla! Meister Cornille!«

Und die Säcke häuften sich vor der Thüre auf und hier und da, von allen Seiten, rollte das schöne braunrote Getreide zur Erde . . . .

Meister Cornille machte große Augen. Er hatte von dem Getreide in seine hohle Hand genommen und sagte unter Lachen und Weinen:

»Getreide! . . . Guter Gott! . . . Wirkliches Getreide! . . . Laßt mich, daß ich mir's genau betrachte!«

Dann wendete er sich zu uns:

»Ah! Ich wußte wohl, daß ihr wieder zu mir kommen würdet . . . Alle die Dampfmüller sind Spitzbuben.«

Wir wollten ihn in Triumph in das Dorf tragen:

»Nein, nein, Kinder; erst muß ich meiner Mühle zu essen geben . . . Denkt doch nur, wie lang es her ist, daß sie nichts zwischen den Zähnen gehabt hat!«