Bulimie: Wenn Kontrolle zur Falle wird! - Julia Müller - E-Book

Bulimie: Wenn Kontrolle zur Falle wird! E-Book

Julia Müller

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Beschreibung

Was mit einer harmlosen Diät beginnt, entwickelt sich für Julia zu einem zerstörerischen Strudel aus Kontrolle, Zwang und Angst. Gefangen im Kreislauf von Hungern, Essen und Erbrechen verliert sie sich selbst - und kämpft doch unermüdlich um Freiheit. In diesem bewegenden Erfahrungsbericht erzählt Julia ehrlich und schonungslos von ihrem Weg durch die Bulimie - und wie sie es schaffte, Schritt für Schritt wieder ins Leben zurückzufinden.

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Seitenzahl: 80

Veröffentlichungsjahr: 2025

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ÜBER DIE AUTORIN

Julia Müller ist heute eine erwachsene Frau, die ihre Essstörung überwunden und auch aus der Distanz reflektiert hat. Sie möchte ihre Geschichte mit jungen Menschen teilen, die vielleicht selbst in die Fänge einer Essstörung geraten sind – um ihnen Mut zu machen, Hoffnung zu schenken und zu zeigen: Es gibt einen Weg hinaus.

INHALTSVERZEICHNIS

WER BIN ICH

ERSTE SELBSTZWEIFEL

DER EINSTIEG IN DIE BULIMIE

DER WENDEPUNKT

DER RÜCKFALL

VISIONEN WERDEN WIRKLICHKEIT

KÖRPER AM LIMIT

DIE ESSSTÖRUNG REIST MIT

SCHRITT FÜR SCHRITT ZURÜCK INS LEBEN

LERNEN AUS DEM RÜCKFALL

EIN LEBEN IN FREIHEIT

ABSCHLUSSWORT

WER ICH BIN

Lieber Leser, liebe Leserin,

in diesem Kapitel lade ich dich ein, Julia kennenzulernen – die Julia, die du damals getroffen hättest, als meine Geschichte mit der Essstörung begann.

Hallo zusammen!

Mein Name ist Julia, ich bin vierzehn Jahre alt, und von außen betrachtet könnte man sagen: ein ganz normales Mädchen. Ich lebe in einem kleinen Städtchen in Deutschland, wo die Welt noch überschaubar wirkt und die meisten sich untereinander kennen. Meine Kindheit war behütet, meine Familie intakt, und eigentlich hätte ich allen Grund, zufrieden zu sein.

Ich habe eine kleine Schwester, die mich zwar manchmal zur Weißglut bringt, die ich aber auch liebe – so, wie man eben ein Geschwisterkind liebt. Und es gibt Alissa, meine beste Freundin, seit ich denken kann. Sie ist mein Rückhalt, meine Vertraute, mein zweites Ich. Wir verbringen fast jedes Wochenende miteinander: reden stundenlang, lachen, probieren neue Styles aus oder machen einfach nichts – und selbst das macht Spaß, solange wir es gemeinsam tun. Seit einiger Zeit sind wir auch viel mit unserer Clique unterwegs, treffen uns am See oder in der Stadt. Eigentlich könnte man meinen, dass dies die schönste Zeit meines Lebens sein sollte.

Doch da ist etwas, das alles überschattet: mein Blick auf mich selbst.

Seit einigen Monaten verändert sich mein Körper – so, wie es in der Pubertät eben passiert. Nur hatte ich mir diese Veränderung anders vorgestellt. Ich habe mir ausgemalt, wie es sein würde, endlich weiblichere Formen zu bekommen, stolz in den Spiegel zu sehen und mich schön zu fühlen. Doch stattdessen beobachte ich, wie meine Hosen enger werden, meine Hüften breiter wirken, und jedes Mal, wenn ich mein Spiegelbild betrachte, denke ich: Das bin ich nicht. Das gefällt mir nicht.

Alissa dagegen scheint in allem zu glänzen. Sie ist groß und schlank, ihre Figur wirkt mühelos perfekt, als sei sie einem Modekatalog entsprungen. Wenn sie sich bewegt, wirkt es leicht und selbstverständlich. Und ich? Ich fühle mich plump daneben, zu schwer, zu auffällig – wie jemand, der nicht so recht dazugehört.

Dieses Gefühl nagt an meinem Selbstbewusstsein. Es macht mich unsicher, zurückhaltend. Früher war ich lebendig, voller Energie, habe laut gelacht und mich selten gefragt, wie andere mich sehen. Doch inzwischen vergleiche ich mich ständig. Ich sehe, wie die Blicke der Jungs zu Alissa wandern, wie sie mit ihr reden wollen, wie sie sie zum Lachen bringen. Neben ihr verschwinde ich beinahe.

Und so sitze ich manchmal abends in meinem Zimmer, während die Musik aus meinen Kopfhörern rauscht, und frage mich: Wer bin ich eigentlich? Wer möchte ich sein? Werde ich jemals diejenige sein, die man beachtet, die man schön findet, die einfach mit sich im Reinen ist?

ERSTE SELBSTZWEIFEL

Ding-Dong. Die Schulglocke ertönte. Das Wochenende war eingeläutet. Mit einem erleichterten Lächeln packte ich meine Sachen zusammen. „Endlich frei!“, dachte ich, denn am Abend stand die Zeltdisco eines bekannten Radiosenders im Nachbarort an – das Highlight des Sommers. Seit Wochen fieberten wir darauf hin, und ich wollte unbedingt glänzen.

Am Nachmittag zog ich durch die Läden der Stadt. Es war ein seltsames Gefühl, ausnahmsweise einmal ohne Alissa unterwegs zu sein. Normalerweise machten wir alles zusammen – wir waren ein eingespieltes Team, wie zwei Hälften, die nur gemeinsam vollständig waren. Doch an diesem Nachmittag musste sie zum Zahnarzt, und so blieb mir nichts anderes übrig, als alleine loszuziehen.

Zuerst wollte ich gar nicht gehen. Ohne sie fühlte sich alles ungewohnt an, fast leer. Ich ertappte mich sogar bei dem Gedanken, dass ich lieber gewartet hätte, bis sie wieder Zeit hatte. Doch dann dachte ich: Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, einmal auf eigenen Beinen zu stehen.

Schließlich entdeckte ich es: eine ausgewaschene Jeans und ein schwarzes figurbetontes ärmelloses Shirt. Schlicht, aber modern – genau richtig. Als ich es in der Einkaufstasche nach Hause trug, malte ich mir bereits aus, wie ich darin auf der Tanzfläche stehen würde.

Doch am Abend, als ich endlich zur Ruhe kam, schlich sich plötzlich ein Gefühl der Unsicherheit in mir ein. Ich betrachtete mich im Spiegel und fragte mich: Ist die Hose nicht doch zu eng? Sobald ich mich hinsetzte, zeichnete sich unter dem Stoff ein kleiner Wulst ab – ein Bauchansatz, den ich bisher nie so deutlich wahrgenommen hatte. Erschrocken starrte ich auf mein Spiegelbild. Oh Gott, Bauchringe!, schoss es mir durch den Kopf. In diesem Moment verspürte ich den Drang, sofort den Bauch einzuziehen, als ließe sich das Problem damit einfach verbergen.

Gleichzeitig erinnerte ich mich an den Satz einer guten Freundin: „Wenn man älter wird, muss man eben mehr auf die Ernährung achten. Man kann nicht mehr alles wahllos in sich hineinstopfen wie früher.“ Und ja, vielleicht steckte ein Stück Wahrheit darin. Bis jetzt hatte ich mir kaum Gedanken über das gemacht, was ich aß – Schokolade, Chips, McDonald's-Ausflüge mit der Clique, all das gehörte für mich selbstverständlich dazu. Doch nun fragte ich mich, ob ich nicht anfangen sollte, bewusster zu leben, mehr auf meinen Körper zu achten und nicht mehr so sorglos alles in mich hineinzuschaufeln.

Um acht Uhr klingelte Alissa. Sie sah in ihrem blau-weiß gestreiften Kleid wie immer makellos aus: perfekt gestylte Haare, ein Lächeln, das alles heller machte.

In letzter Zeit schlich sich in ihrer Nähe ein Gefühl ein, das ich kaum ertragen konnte: die quälende Gewissheit, weniger wert zu sein – einzig deshalb, weil ich in meinen eigenen Augen nicht so schön war wie sie.

Früher hatten wir uns nie verglichen. Wir waren einfach Freundinnen, gleichwertig, unzertrennlich. Doch nun erhob sich eine neue, unerbittliche Stimme in mir, die bei jeder Begegnung das Gleiche flüsterte: Sieh nur, wie makellos sie wirkt. Wie schlank ihre Figur ist. Warum kannst du nicht so sein? Warum fehlt dir die Kontrolle?

Diese Stimme war gnadenlos. Sie ließ sich nicht verscheuchen, egal, wie sehr ich es versuchte. Jeder Blick auf Alissas Silhouette machte meinen eigenen Körper schwerer, unförmiger – als würde sich mein Spiegelbild im direkten Vergleich verzerren.

*

Am Festplatz herrschte ausgelassene Stimmung. Lichterketten funkelten, die Musik dröhnte, der Boden vibrierte im Takt der Bässe. Der Geruch von Zuckerwatte und Bratwurst hing in der Luft. Unsere Clique war schon da – alle hatten sich herausgeputzt, und für einen Augenblick fragte ich mich, ob mein schlichtes Shirt wirklich mithalten konnte. Doch dann ließ ich mich von der Euphorie anstecken. Wir tanzten, lachten, schrien die Refrains mit, als gäbe es kein Morgen.

„Julia, kommst du mit zur Theke? Ich brauch was zu trinken“, rief Alissa.

„Klar!“, antwortete ich.

Gerade als sie zwei Cola bestellte, sah ich ihn: einen Jungen, unverschämt gut aussehend, selbstsicher. Für einen winzigen Augenblick trafen sich unsere Blicke. Hitze stieg mir ins Gesicht, mein Herz schlug schneller. Ich lächelte verlegen. Doch er bestellte nur ein Bier und verschwand wieder im Gedränge. Zurück blieb ein flüchtiger Stich der Enttäuschung.

Er war sicher zwei oder drei Jahre älter als wir. Doch genau das machte ihn interessant. Wir Mädchen schwärmten ohnehin eher für die Jungs aus der Oberstufe – nicht für die Milchgesichter in unserem Alter.

Auf der Tanzfläche verdrängte ich den Gedanken. Dann hörte ich eine Stimme neben mir: „Hallo, ich bin Tom.“

Ich drehte mich um – und erkannte ihn sofort. Der Junge von der Theke. Mein Herz machte einen Sprung. Wir unterhielten uns, und für einen Moment fühlte ich mich leicht und beachtet. Seine blauen Augen funkelten im Scheinwerferlicht. Doch schon bald bemerkte ich, dass sich seine Fragen fast ausschließlich um Alissa drehten.

„Seid ihr eigentlich befreundet?“

„Natürlich, sie ist meine beste Freundin.“

„Hat sie einen Freund?“

„Alissa? Nein. Warum?“

„Aha, cool. Könntest du mich ihr vielleicht vorstellen?“

Es war, als zöge jemand den Boden unter meinen Füßen weg. Also deshalb? Er hatte mich nur angesprochen, um an sie heranzukommen.

Schließlich stellte ich Tom meiner besten Freundin Alissa vor. Sie schenkte ihm ihr strahlendes Lächeln, dieses besondere Lächeln, das sie immer nur dann zeigte, wenn sie wirklich von jemandem angetan war. Er grinste sofort zurück, als hätte er nur auf genau dieses Signal gewartet. Kaum hatten sie ein paar Sätze gewechselt, da war es, als würden sie in eine kleine, abgeschottete Welt eintreten, in der für mich kein Platz mehr war.

Für einen Augenblick stand ich noch daneben, mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen, unschlüssig, ob ich bleiben oder verschwinden sollte. Ich fühlte mich wie eine Statistin in einer Szene, die ohne mich viel besser funktionierte. Unsichtbar. Überflüssig. Schließlich drehte ich mich um und ließ sie stehen. Ohne ein weiteres Wort stürzte ich mich zurück auf die Tanzfläche, als könnte ich dort das Gefühl von Zurückweisung einfach abschütteln.